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Widerstand gegen das Patriarchat: „Ich, Antigone“ ist antiker Stoff im zeitgenössischen Gewand

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Manage episode 426132713 series 175436
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Antigone trauert um den Bruder

In einer düster beleuchteten Bühnenlandschaft zwischen Kohlestücken, Reifen und Mülldeckeln schluchzt Antigone um ihren getöteten Bruder Polyneikes, der als unheimlicher, lebloser Körper neben einer zerschlissenen Matratze liegt. Ganz in schwarz gehüllte Darstellerinnen, deren Gesichter mit Tüchern unkenntlich gemacht wurden, umkreisen die tragische Figur – gespielt von Leandra Enders – und wiegen und umhüllen sie in einer Art choreografischem Trauerritual.

Ehre oder Spott? Zwei unvereinbare Positionen

In Anna Gschnitzers Stück „Ich, Antigone“ bildet das Element des Staubs den griechischen Chor – es ist Staub, mit dem Antigone den Herrscher Kreon erbost, weil sie diesen auf ihren toten Bruder Polyneikes streut, und ihm damit die letzte Ehre erweist. Was für Antigone ein Akt der schwesterlichen Liebe ist, ist für Kreon eine Verspottung seiner Macht. Zwei unvereinbare Positionen, die Sophokles zeitlose Tragödie interessant für die Gegenwart machen. Das habe sie bei ihrer Neuinterpretation noch einmal schärfer herausarbeiten wollen, sagt Anna Gschnitzer. „Was die Tragödie ausmacht, ist, dass man weiß, dass es schlecht enden wird, dass es aber auch daran liegt, dass keine dieser Figuren bereit ist, der anderen Figur zuzuhören.“

Hochmoderne Figuren

Die Figuren sind hochmodern. Der machtgierige Kreon nennt jeden einen Kriegstreiber, der sich seiner tyrannischen Herrschaft nicht vollkommen unterwirft und witzelt über die Verweichlichung der jüngeren Generationen. Sein Sohn Haimon hingegen, Antigones Verlobter, spricht ihn auf seine fragile Männlichkeit an, erklärt, dass er nicht weniger Mann sei, wenn er nachgebe und auf seine Gefühle höre. Jede Figur in dem Stück ruft Assoziationen mit dem Hier und Jetzt hervor. Gschnitzers Fassung greift in weiten Teilen auf den antiken Text zurück und bringt dessen Bedeutungsdichte für ein modernes Publikum zum Leuchten.

In Mainz hat Antigone das letzte Wort

Gleichzeitig bieten der moderne Text und die Inszenierung eine zentrale Neufokussierung auf Antigone als Subjekt. „In fast allen griechischen Stoffe geht es um patriarchale Gewalt, und in den meisten dieser Stoffe gelingt es den Figuren nicht, dies auszusprechen“, sagt Gschnitzer. „Antigone hingegen versucht, Widerstand zu leisten. Sie stellt sich gegen ein System, in dem sie von vornherein keinen Raum hatte.“ Dieser Raum, so Anna Gschnitzer, wird Antigone in ihrem Stück in der Schlussszene zuteil, in der Antigone – anders als in Sophokles Stück – noch einmal zu Wort kommt.

Welchen Sinn hat Antigones Tod?

Während sie am Rand der Bühne zum Publikum spricht, bewegt sich eine durch Leuchtstäbe erzeugte schwarze Wand immer näher auf sie zu – sie suggeriert die Höhle, in der sie lebendig begraben wird. In diesem existenziellen Moment ergreifen Antigone Zweifel. Hat dieses Opfer einen Nutzen? Wird sie überhaupt in Erinnerung bleiben, oder wird ihr Tod, ihre Auslöschung umsonst gewesen sein?

Staatliche Gewalt vs. Menschenrechte

Fragen, die auch die Programmdramaturgin Rebecca Reuter hinsichtlich politischer Verfolgter in unserer Zeit bewegen: „Man erbringt dieses ultimative Opfer mit der absoluten Ungewissheit, ob andere das für einen weiterführen, ob das der Tropfen Wasser ist, der das Fass zum Überquellen bringt. Es gibt genauso viele politische Akte, wo Menschen sterben, von denen wir gar nichts mitbekommen.“ „Ich, Antigone” am Staatstheater Mainz lotet den Kampf von staatlicher Gewalt und universellen Menschenrechten neu aus und ist so von verblüffender Aktualität.
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Antigone trauert um den Bruder

In einer düster beleuchteten Bühnenlandschaft zwischen Kohlestücken, Reifen und Mülldeckeln schluchzt Antigone um ihren getöteten Bruder Polyneikes, der als unheimlicher, lebloser Körper neben einer zerschlissenen Matratze liegt. Ganz in schwarz gehüllte Darstellerinnen, deren Gesichter mit Tüchern unkenntlich gemacht wurden, umkreisen die tragische Figur – gespielt von Leandra Enders – und wiegen und umhüllen sie in einer Art choreografischem Trauerritual.

Ehre oder Spott? Zwei unvereinbare Positionen

In Anna Gschnitzers Stück „Ich, Antigone“ bildet das Element des Staubs den griechischen Chor – es ist Staub, mit dem Antigone den Herrscher Kreon erbost, weil sie diesen auf ihren toten Bruder Polyneikes streut, und ihm damit die letzte Ehre erweist. Was für Antigone ein Akt der schwesterlichen Liebe ist, ist für Kreon eine Verspottung seiner Macht. Zwei unvereinbare Positionen, die Sophokles zeitlose Tragödie interessant für die Gegenwart machen. Das habe sie bei ihrer Neuinterpretation noch einmal schärfer herausarbeiten wollen, sagt Anna Gschnitzer. „Was die Tragödie ausmacht, ist, dass man weiß, dass es schlecht enden wird, dass es aber auch daran liegt, dass keine dieser Figuren bereit ist, der anderen Figur zuzuhören.“

Hochmoderne Figuren

Die Figuren sind hochmodern. Der machtgierige Kreon nennt jeden einen Kriegstreiber, der sich seiner tyrannischen Herrschaft nicht vollkommen unterwirft und witzelt über die Verweichlichung der jüngeren Generationen. Sein Sohn Haimon hingegen, Antigones Verlobter, spricht ihn auf seine fragile Männlichkeit an, erklärt, dass er nicht weniger Mann sei, wenn er nachgebe und auf seine Gefühle höre. Jede Figur in dem Stück ruft Assoziationen mit dem Hier und Jetzt hervor. Gschnitzers Fassung greift in weiten Teilen auf den antiken Text zurück und bringt dessen Bedeutungsdichte für ein modernes Publikum zum Leuchten.

In Mainz hat Antigone das letzte Wort

Gleichzeitig bieten der moderne Text und die Inszenierung eine zentrale Neufokussierung auf Antigone als Subjekt. „In fast allen griechischen Stoffe geht es um patriarchale Gewalt, und in den meisten dieser Stoffe gelingt es den Figuren nicht, dies auszusprechen“, sagt Gschnitzer. „Antigone hingegen versucht, Widerstand zu leisten. Sie stellt sich gegen ein System, in dem sie von vornherein keinen Raum hatte.“ Dieser Raum, so Anna Gschnitzer, wird Antigone in ihrem Stück in der Schlussszene zuteil, in der Antigone – anders als in Sophokles Stück – noch einmal zu Wort kommt.

Welchen Sinn hat Antigones Tod?

Während sie am Rand der Bühne zum Publikum spricht, bewegt sich eine durch Leuchtstäbe erzeugte schwarze Wand immer näher auf sie zu – sie suggeriert die Höhle, in der sie lebendig begraben wird. In diesem existenziellen Moment ergreifen Antigone Zweifel. Hat dieses Opfer einen Nutzen? Wird sie überhaupt in Erinnerung bleiben, oder wird ihr Tod, ihre Auslöschung umsonst gewesen sein?

Staatliche Gewalt vs. Menschenrechte

Fragen, die auch die Programmdramaturgin Rebecca Reuter hinsichtlich politischer Verfolgter in unserer Zeit bewegen: „Man erbringt dieses ultimative Opfer mit der absoluten Ungewissheit, ob andere das für einen weiterführen, ob das der Tropfen Wasser ist, der das Fass zum Überquellen bringt. Es gibt genauso viele politische Akte, wo Menschen sterben, von denen wir gar nichts mitbekommen.“ „Ich, Antigone” am Staatstheater Mainz lotet den Kampf von staatlicher Gewalt und universellen Menschenrechten neu aus und ist so von verblüffender Aktualität.
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