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Sasha Filipenko – Der Schatten einer offenen Tür | Buchkritik

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Das russische Provinzstädtchen Ostrog wird von einer Selbstmordserie heimgesucht: Im Kinderheim des Ortes haben sich drei Teenager nacheinander und auf ganz unterschiedliche Weise umgebracht. Einen Zusammenhang zwischen den Taten hat die örtliche Polizei noch nicht finden können. Und weil immer mehr Journalisten in den Ort strömen, wird Alexander Koslow aus Moskau mit dem Fall betraut. Er versucht, sich in der allgemeinen Aufregung einen Überblick zu verschaffen – auch wenn er am liebsten zu Hause geblieben wäre.
Er hat keine Lust auf Ostrog. Erstens muss er deswegen andere Fälle delegieren, und zweitens ist er alles andere als begeistert von der Aussicht, den dortigen Beamten den Hintern zu putzen. Außerdem war er schon mal in Ostrog. Wenn er an diese hermetische Kleinstadt zurückdenkt, fällt ihm wieder ein, wie wenig dieser gottvergessene Ort zu bieten hat. Vor Jahren hat er in einer großen Ermittlergruppe den dortigen Bürgermeister hinter Gitter gebracht, und seine Erinnerungen daran sind wahrscheinlich nicht angenehm.

Quelle: Sasha Filipenko – Der Schatten einer offenen Tür

Ein systemtreuer Ermittler

Sasha Filipenkos Roman besticht zunächst durch einen charismatischen Ermittler: Koslow ist Veteran des Tschetschenienkriegs und hat es zu etwas gebracht, weil er nach den Regeln spielt und keine lästigen Fragen stellt. Seine Ehe ist angesichts dieses Pflichtbewusstseins in die Brüche gegangen und seitdem lässt eine – vielleicht typisch russische – Schwermut Koslow nicht mehr los. Dass ausgerechnet dieser systemtreue Ermittler sympathisch wirkt, liegt daran, dass er um die menschlichen Schwächen weiß, auch um seine eigenen. Das wird zum Beispiel deutlich, als Koslow mit großer Ausdauer versucht, so viel wie möglich über die toten Teenager in Erfahrung zu bringen und sich durch deren Social-Media-Profile scrollt.
Er könnte mit geschlossenen Augen die Gesichter der toten Teenager beschreiben und, wenn es nötig wäre, ganz ohne Verwechslungen ihre Lebensläufe wiedergeben. Was im Übrigen gar nicht so schwer ist, weil sie einander ja doch recht ähneln: überforderte Eltern und ein Kinderheim nach dem anderen. Die Erarbeitung dieses Wissens hat mehrere Stunden gedauert. Als er die Dokumente ordnet, stößt er auf ein weißes Blatt Papier. Er betrachtet es und denkt zum ersten Mal in seinem Leben, wie schwierig es doch ist, über Gefühle zu sprechen. Die passenden Formulierungen dafür zu finden. Nicht dem eigenen Wortschatz auf dem Leim zu gehen, es nicht dem Zufall zu überlassen, sondern nach den einzig richtigen Worten zu suchen.

Quelle: Sasha Filipenko – Der Schatten einer offenen Tür

Ein Bild des heutigen Russlands

Der belarussische Schriftsteller Sasha Filipenko hat bis 2020 in St. Petersburg gelebt, bis er Russland verlassen musste und mit seiner Familie in die Schweiz gezogen ist. In seinem neuen Roman zeichnet Filipenko ein plastisches Bild des heutigen Russlands: So wie Ostrog als Ort an einen Kerker ohne Wände erinnert, gleicht das ganze Land einem riesigen Gefängnis. Nur selten geraten die Bilder etwas zu plump, etwa wenn sich siamesische Zwillinge in Ostrog über den Anschluss der Krim streiten – eine Zwillingsschwester ist für Russland, die andere für die Ukraine. Viel öfter sind es stimmige Details, die den Roman ausmachen:
Irgendwo fängt ein Hund zu bellen an. Andere stimmen ein. Klein und groß kläffen im Chor, und dann schließen sich, ganz gegen die Vorschrift, auch noch die Schäferhunde im Gefängnis an. Wie in einer europäischen Stadt das Glockenläuten ergießt sich das Echo des Hundegebells über Ostrog.

Quelle: Sasha Filipenko – Der Schatten einer offenen Tür

Immer wieder nimmt der Roman Bezug auf die griechische Tragödie: Die Kapitel sind als Gesänge überschrieben und es wird bald klar, dass in dieser Geschichte so gut wie alle Menschen in Schuld verstrickt sind. „Der Schatten einer offenen Tür“ ist ein packender Roman, der als Gesellschaftsporträt genauso überzeugt wie als Kriminalfall.
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Er hat keine Lust auf Ostrog. Erstens muss er deswegen andere Fälle delegieren, und zweitens ist er alles andere als begeistert von der Aussicht, den dortigen Beamten den Hintern zu putzen. Außerdem war er schon mal in Ostrog. Wenn er an diese hermetische Kleinstadt zurückdenkt, fällt ihm wieder ein, wie wenig dieser gottvergessene Ort zu bieten hat. Vor Jahren hat er in einer großen Ermittlergruppe den dortigen Bürgermeister hinter Gitter gebracht, und seine Erinnerungen daran sind wahrscheinlich nicht angenehm.

Quelle: Sasha Filipenko – Der Schatten einer offenen Tür

Ein systemtreuer Ermittler

Sasha Filipenkos Roman besticht zunächst durch einen charismatischen Ermittler: Koslow ist Veteran des Tschetschenienkriegs und hat es zu etwas gebracht, weil er nach den Regeln spielt und keine lästigen Fragen stellt. Seine Ehe ist angesichts dieses Pflichtbewusstseins in die Brüche gegangen und seitdem lässt eine – vielleicht typisch russische – Schwermut Koslow nicht mehr los. Dass ausgerechnet dieser systemtreue Ermittler sympathisch wirkt, liegt daran, dass er um die menschlichen Schwächen weiß, auch um seine eigenen. Das wird zum Beispiel deutlich, als Koslow mit großer Ausdauer versucht, so viel wie möglich über die toten Teenager in Erfahrung zu bringen und sich durch deren Social-Media-Profile scrollt.
Er könnte mit geschlossenen Augen die Gesichter der toten Teenager beschreiben und, wenn es nötig wäre, ganz ohne Verwechslungen ihre Lebensläufe wiedergeben. Was im Übrigen gar nicht so schwer ist, weil sie einander ja doch recht ähneln: überforderte Eltern und ein Kinderheim nach dem anderen. Die Erarbeitung dieses Wissens hat mehrere Stunden gedauert. Als er die Dokumente ordnet, stößt er auf ein weißes Blatt Papier. Er betrachtet es und denkt zum ersten Mal in seinem Leben, wie schwierig es doch ist, über Gefühle zu sprechen. Die passenden Formulierungen dafür zu finden. Nicht dem eigenen Wortschatz auf dem Leim zu gehen, es nicht dem Zufall zu überlassen, sondern nach den einzig richtigen Worten zu suchen.

Quelle: Sasha Filipenko – Der Schatten einer offenen Tür

Ein Bild des heutigen Russlands

Der belarussische Schriftsteller Sasha Filipenko hat bis 2020 in St. Petersburg gelebt, bis er Russland verlassen musste und mit seiner Familie in die Schweiz gezogen ist. In seinem neuen Roman zeichnet Filipenko ein plastisches Bild des heutigen Russlands: So wie Ostrog als Ort an einen Kerker ohne Wände erinnert, gleicht das ganze Land einem riesigen Gefängnis. Nur selten geraten die Bilder etwas zu plump, etwa wenn sich siamesische Zwillinge in Ostrog über den Anschluss der Krim streiten – eine Zwillingsschwester ist für Russland, die andere für die Ukraine. Viel öfter sind es stimmige Details, die den Roman ausmachen:
Irgendwo fängt ein Hund zu bellen an. Andere stimmen ein. Klein und groß kläffen im Chor, und dann schließen sich, ganz gegen die Vorschrift, auch noch die Schäferhunde im Gefängnis an. Wie in einer europäischen Stadt das Glockenläuten ergießt sich das Echo des Hundegebells über Ostrog.

Quelle: Sasha Filipenko – Der Schatten einer offenen Tür

Immer wieder nimmt der Roman Bezug auf die griechische Tragödie: Die Kapitel sind als Gesänge überschrieben und es wird bald klar, dass in dieser Geschichte so gut wie alle Menschen in Schuld verstrickt sind. „Der Schatten einer offenen Tür“ ist ein packender Roman, der als Gesellschaftsporträt genauso überzeugt wie als Kriminalfall.
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