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Hürdenlauf durchs Leben

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Aus den „Sichtweisen“, Ausgabe 10/2020

Sie lernte Artistik am Trapez, tourte mit Comedy und Kindertheaterstücken durchs Land und liebte die Bühne. Dann die Diagnose: Retinitis pigmentosa – Erblindung genetisch programmiert. Anfangs verzweifelt übersprang Dörte Maack mit viel Ausdauer dennoch die Hindernisse, die auf ihrem Weg lagen – die realen und die abstrakten. Bis sie ins Scheinwerferlicht der Bühne zurückkehrte.

Von Dörte Maack

„Was ist, wenn wir fallen?“, fragten wir unsere Trapezlehrerin. Sie atmete tief durch und sagte: „Well, we do not fall.“ Verstanden: Wir fallen nicht. Nach der Ausbildung an der Zirkusschule in England gründete ich mit zwei anderen jungen Frauen in Hamburg die Kirschkern Company. Schon bald wurden wir auf zahllosen kleinen und einigen großen Bühnen im gesamten Bundesgebiet mit unseren Comedy-Nummern und Kindertheaterstücken gefeiert. Für mich hätte es so weitergehen können, doch dann stellte mir mein Augenarzt die Diagnose Retinitis pigmentosa – Erblindung unausweichlich. In meiner Ignoranz und Arroganz erschien mir Blindsein als das genaue Gegenteil meines bisherigen buntschillernden Lebens, dass ich so sehr liebte. „Als Blinde werde ich arm, einsam, hässlich und nutzlos sein“, war ich sicher. Versinkend in Angst, Trauer und Wut verabschiedete ich mich von der Bühne. Wir fallen eben doch – und dann?

„Als blinde Frau kannst du fast alles machen. Wenn es scheitert, dann an der mangelnden Fantasie der Sehenden“, sagte mir der Berater einer Beratungsstelle für blinde und sehbehinderte Menschen in Hamburg. Er war selbst blind, ein Experte also, der es wissen musste. Ich dagegen dachte wie eine Sehende und konnte mir nicht vorstellen, was man als blinde Frau überhaupt noch machen könnte, und schon gar nicht wie.

Schritt für Schritt lernte ich eine Menge Neues kennen: Blindenlangstock, Blindenführhund, Braillezeile, Sprachausgabe und vieles mehr. Blindentechnisch schließlich fit beendete ich mein Studium mit einem neuen zweiten Hauptfach: Sport. Für die Abschlussprüfung in Leichtathletik lief ich nach monatelangem Training und dank kreativer Ideen meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen blind über Hürden. Völlig sinnlos für meine berufliche Karriere, aber wichtig für mein Selbstbewusstsein.

Immer häufiger gebucht

Mit dem Hochschulabschluss in der Tasche ging ich zu „Dialog im Dunkeln“, einem Ausstellungsprojekt, bei dem blinde Guides die sehenden Besucher durch eine aufwendige lichtlose Installation führen und ein „Dinner im Dunkeln“ angeboten wird. Fünfzehn Jahre war ich dort Leiterin des Bereichs Bildung, qualifizierte mich in Fortbildungen zum Coach und zur Team-Entwicklerin, entwickelte Workshops für Teams und Führungskräfte und bereiste die Welt. Beruflich lief es nicht schlecht und privat noch besser: Ich lernte einen wunderbaren Mann kennen, und wir bekamen zwei Kinder. Meine Tochter und meinen Sohn habe ich noch nie gesehen, doch für mich sind es die schönsten Kinder der Welt. Vor einigen Jahren bekam ich die Chance, auf die Bühne zurückzukehren. Ich wurde als Moderatorin für Tagungen und Kongresse und als Rednerin immer häufiger gebucht und machte mich schließlich selbstständig. „Ich kann mir zwar nicht vorstellen, wie man blind diesen Kongress moderieren kann, aber machen Sie mal“, sagte mir einmal ein Auftraggeber, und viele dachten sicher ähnlich. Derlei Bedenken waren mir ein Ansporn. Wie damals beim blinden Hürdenlauf arbeitete ich hart und fand Lösungen für die speziellen blindheitsbedingten Herausforderungen auf der Bühne.

Dass ich überzeugt hatte, wusste ich, wenn ein Veranstalter im Nachhinein sagte: „Na ja, eigentlich ist es ja auch leichter, blind zu moderieren. Dann wird man nicht so abgelenkt.“ Tatsächlich ist es zugleich schwerer und leichter, blind zu moderieren. Aber vor allem ist es ein Handwerk, das man lernen kann, und heute mein Beruf.

„Ich recherchiere tagelang“

Die Fantasie der Sehenden hat sich in den vergangenen Jahrzehnten begonnen zu entfalten, langsam zwar, aber immerhin. Es ist heute fast selbstverständlich, dass ich für Veranstaltungen zur Inklusion gebucht werde: Inklusion in der Bildung, Inklusion auf dem Arbeitsmarkt, barrierefreies Bauen. Für diese Themen nimmt man gern eine Moderatorin mit einer Beeinträchtigung. Mir kam das entgegen, denn ich bin mit all diesen Inhalten gut vertraut. Bald kamen aber auch Aufträge zu benachbarten und auch zu ganz anderen Themen: Altenpflege, Kinder- und Jugendhilfe, Digitalisierung, Kriminalität, Mehrsprachigkeit, Wohnungsnot und Stadtplanung. Auf keinem dieser Gebiete bin ich eine ausgewiesene Expertin, doch als Moderatorin muss ich natürlich die entscheidenden Fragen stellen können. Ich recherchiere dafür jedes Mal aufs Neue tagelang mit wachsender Begeisterung, telefoniere ausführlich mit allen Referenten und Podiumsgästen und staune immer wieder, wie viele unterschiedliche Aspekte sich hinter jedem einzelnen Thema verbergen.

Auf der Bühne habe ich anders als früher kein Zirkusgerät mehr dabei, doch in unserem Wohnzimmer hängt ein Trapez, und ich fahre auch wieder Einrad – nur so zum Spaß. Mein Berater hatte recht behalten: „Du kannst als blinde Frau fast alles machen.“ Aber ich habe beim Training zum blinden Hürdenlauf auch verstanden, dass der Aufwand dafür ungeheuer hoch sein kann. Manchmal macht das Spaß, und oft lohnen sich die Extrameilen, aber längst nicht immer. Noch allzu oft stehen wir Menschen mit Beeinträchtigungen vor Hürden, die mit ein bisschen Fantasie leicht aus dem Weg geräumt werden könnten.

Die Corona-Sendepause für Tagungen und Kongresse habe ich genutzt, um die Geschichte meiner Erblindung aufzuschreiben. Wenn mein Buch ein bisschen gegen mangelnde Fantasie in Bezug auf die Lebenswelten blinder Menschen helfen kann, hat es sich gelohnt.

Dörte Maack (52) lebt in Prisdorf in Schleswig-Holstein.

Das Buch von Dörte Maack heißt „Wie man aus Trümmern ein Schloss baut: Die Geschichte meines Erblindens und wie ich wieder Lebensfreude fand“, Patmos Verlag 2020.

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Sie lernte Artistik am Trapez, tourte mit Comedy und Kindertheaterstücken durchs Land und liebte die Bühne. Dann die Diagnose: Retinitis pigmentosa – Erblindung genetisch programmiert. Anfangs verzweifelt übersprang Dörte Maack mit viel Ausdauer dennoch die Hindernisse, die auf ihrem Weg lagen – die realen und die abstrakten. Bis sie ins Scheinwerferlicht der Bühne zurückkehrte.

Von Dörte Maack

„Was ist, wenn wir fallen?“, fragten wir unsere Trapezlehrerin. Sie atmete tief durch und sagte: „Well, we do not fall.“ Verstanden: Wir fallen nicht. Nach der Ausbildung an der Zirkusschule in England gründete ich mit zwei anderen jungen Frauen in Hamburg die Kirschkern Company. Schon bald wurden wir auf zahllosen kleinen und einigen großen Bühnen im gesamten Bundesgebiet mit unseren Comedy-Nummern und Kindertheaterstücken gefeiert. Für mich hätte es so weitergehen können, doch dann stellte mir mein Augenarzt die Diagnose Retinitis pigmentosa – Erblindung unausweichlich. In meiner Ignoranz und Arroganz erschien mir Blindsein als das genaue Gegenteil meines bisherigen buntschillernden Lebens, dass ich so sehr liebte. „Als Blinde werde ich arm, einsam, hässlich und nutzlos sein“, war ich sicher. Versinkend in Angst, Trauer und Wut verabschiedete ich mich von der Bühne. Wir fallen eben doch – und dann?

„Als blinde Frau kannst du fast alles machen. Wenn es scheitert, dann an der mangelnden Fantasie der Sehenden“, sagte mir der Berater einer Beratungsstelle für blinde und sehbehinderte Menschen in Hamburg. Er war selbst blind, ein Experte also, der es wissen musste. Ich dagegen dachte wie eine Sehende und konnte mir nicht vorstellen, was man als blinde Frau überhaupt noch machen könnte, und schon gar nicht wie.

Schritt für Schritt lernte ich eine Menge Neues kennen: Blindenlangstock, Blindenführhund, Braillezeile, Sprachausgabe und vieles mehr. Blindentechnisch schließlich fit beendete ich mein Studium mit einem neuen zweiten Hauptfach: Sport. Für die Abschlussprüfung in Leichtathletik lief ich nach monatelangem Training und dank kreativer Ideen meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen blind über Hürden. Völlig sinnlos für meine berufliche Karriere, aber wichtig für mein Selbstbewusstsein.

Immer häufiger gebucht

Mit dem Hochschulabschluss in der Tasche ging ich zu „Dialog im Dunkeln“, einem Ausstellungsprojekt, bei dem blinde Guides die sehenden Besucher durch eine aufwendige lichtlose Installation führen und ein „Dinner im Dunkeln“ angeboten wird. Fünfzehn Jahre war ich dort Leiterin des Bereichs Bildung, qualifizierte mich in Fortbildungen zum Coach und zur Team-Entwicklerin, entwickelte Workshops für Teams und Führungskräfte und bereiste die Welt. Beruflich lief es nicht schlecht und privat noch besser: Ich lernte einen wunderbaren Mann kennen, und wir bekamen zwei Kinder. Meine Tochter und meinen Sohn habe ich noch nie gesehen, doch für mich sind es die schönsten Kinder der Welt. Vor einigen Jahren bekam ich die Chance, auf die Bühne zurückzukehren. Ich wurde als Moderatorin für Tagungen und Kongresse und als Rednerin immer häufiger gebucht und machte mich schließlich selbstständig. „Ich kann mir zwar nicht vorstellen, wie man blind diesen Kongress moderieren kann, aber machen Sie mal“, sagte mir einmal ein Auftraggeber, und viele dachten sicher ähnlich. Derlei Bedenken waren mir ein Ansporn. Wie damals beim blinden Hürdenlauf arbeitete ich hart und fand Lösungen für die speziellen blindheitsbedingten Herausforderungen auf der Bühne.

Dass ich überzeugt hatte, wusste ich, wenn ein Veranstalter im Nachhinein sagte: „Na ja, eigentlich ist es ja auch leichter, blind zu moderieren. Dann wird man nicht so abgelenkt.“ Tatsächlich ist es zugleich schwerer und leichter, blind zu moderieren. Aber vor allem ist es ein Handwerk, das man lernen kann, und heute mein Beruf.

„Ich recherchiere tagelang“

Die Fantasie der Sehenden hat sich in den vergangenen Jahrzehnten begonnen zu entfalten, langsam zwar, aber immerhin. Es ist heute fast selbstverständlich, dass ich für Veranstaltungen zur Inklusion gebucht werde: Inklusion in der Bildung, Inklusion auf dem Arbeitsmarkt, barrierefreies Bauen. Für diese Themen nimmt man gern eine Moderatorin mit einer Beeinträchtigung. Mir kam das entgegen, denn ich bin mit all diesen Inhalten gut vertraut. Bald kamen aber auch Aufträge zu benachbarten und auch zu ganz anderen Themen: Altenpflege, Kinder- und Jugendhilfe, Digitalisierung, Kriminalität, Mehrsprachigkeit, Wohnungsnot und Stadtplanung. Auf keinem dieser Gebiete bin ich eine ausgewiesene Expertin, doch als Moderatorin muss ich natürlich die entscheidenden Fragen stellen können. Ich recherchiere dafür jedes Mal aufs Neue tagelang mit wachsender Begeisterung, telefoniere ausführlich mit allen Referenten und Podiumsgästen und staune immer wieder, wie viele unterschiedliche Aspekte sich hinter jedem einzelnen Thema verbergen.

Auf der Bühne habe ich anders als früher kein Zirkusgerät mehr dabei, doch in unserem Wohnzimmer hängt ein Trapez, und ich fahre auch wieder Einrad – nur so zum Spaß. Mein Berater hatte recht behalten: „Du kannst als blinde Frau fast alles machen.“ Aber ich habe beim Training zum blinden Hürdenlauf auch verstanden, dass der Aufwand dafür ungeheuer hoch sein kann. Manchmal macht das Spaß, und oft lohnen sich die Extrameilen, aber längst nicht immer. Noch allzu oft stehen wir Menschen mit Beeinträchtigungen vor Hürden, die mit ein bisschen Fantasie leicht aus dem Weg geräumt werden könnten.

Die Corona-Sendepause für Tagungen und Kongresse habe ich genutzt, um die Geschichte meiner Erblindung aufzuschreiben. Wenn mein Buch ein bisschen gegen mangelnde Fantasie in Bezug auf die Lebenswelten blinder Menschen helfen kann, hat es sich gelohnt.

Dörte Maack (52) lebt in Prisdorf in Schleswig-Holstein.

Das Buch von Dörte Maack heißt „Wie man aus Trümmern ein Schloss baut: Die Geschichte meines Erblindens und wie ich wieder Lebensfreude fand“, Patmos Verlag 2020.

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