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VORSTÖSSE - Pickelhaube und Kokosnuss

23:06
 
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Wer auf der Südsee-Insel Samoa einen Blick ins Telefonbuch wirft, kann sich auf eine Überraschung gefasst machen. Nachnamen wie Keil, Thieme und Retzlaff zeugen von einer Zeit, die in Deutschland fast vergessen ist: Einen "Platz an der Sonne" suchte das Deutsche Reich auch auf Neuguinea, Samoa und anderen Südseeinseln. Die deutsche Kolonialzeit in der Südsee ist mehr als nur eine kuriose Randnotiz der Geschichte. Von Klaus Uhrig (BR 2014)

Credits
Autor: Klaus Uhrig
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Stefan Wilkening, Hemma Michel, Jerzy May
Technik: Susanne Herzig
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Prof. Joseph Hiery
Besonderer Linktipp der Redaktion:
ARD Crime Time (2024): Tatunca Nara – und die Toten im Dschungel
Die 31. Staffel der erfolgreichen Doku-Serie begibt sich auf die Spuren eines außergewöhnlichen Falls, der bereits als Vorlage für Indiana Jones diente: Ende der 1960er Jahre wandert Günther Hans Hauck nach Brasilien aus und erfindet sich dort eine neue Identität als Nachfahre einer indigenen Kultur, die bislang unentdeckt tief im Dschungel in einem gigantischen Reich lebe. Viele Menschen packt die Faszination und sie folgen dem selbst ernannten Oberhaupt „Tatunca Nara“ in den Regenwald. Für einige endet die Expedition tödlich. Ein Team der ARD Crime Time begibt sich auf Spurensuche. Das Ziel der Reise: ein Ort im brasilianischen Regenwald, wo der Hochstapler auch heute noch leben soll. IN DER MEDIATHEK
Linktipps:
WDR (2023): Die deutsche Kolonialzeit – Was wir heute über sie wissen
Am Ende des 19. Jahrhunderts gehörte das Deutsche Reich zu den Kolonialmächten Europas. Mit mörderischer Brutalität unterdrückten deutsche Kolonialherren die Bewohner der besetzten Länder. Ein düsteres Geschichtskapitel, über das bis heute noch wenig bekannt ist. JETZT ANSEHEN

Das Kalenderblatt (2011): Deutsch-Neuguinea wird reguläre Kolonie (01.04.1899)
Der 1. April 1899 bedeutete für die Papua-Bevölkerung den Anbruch einer neuen Zeit, denn Deutsch-Neuguinea wurde reguläre Kolonie des Deutschen Reichs. Bis heute ist es schwer, die Lebensbedingungen der indigenen Bevölkerung vor der Kolonisierung zu rekonstruieren. JETZT ANHÖREN

Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:

Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
JETZT ENTDECKEN
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK

Erzählerin:
Ob seine melanesischen Diener Otto Ehlers wirklich aufgegessen haben, das lässt sich mit letzter Sicherheit nicht sagen. Unwahrscheinlich ist es aber nicht. Im tiefen Dschungel Neuguineas gibt es keine großen Tiere, die man jagen könnte und überhaupt kaum Nahrungsquellen. Wem hier die Vorräte ausgehen, den könnte so ein wohlgenährter Deutscher schon in Versuchung bringen.

MUSIK ENDE

Erzähler:
Vielleicht haben sie ihn auch einfach nur erschossen, weil sie genug von seinen abstrusen Plänen hatten. Einmal die größte Insel der Südsee von Norden nach Süden durchqueren, zu Fuß, durch den unerforschten, dichten Dschungel. Das wäre selbst heute eine Schnapsidee. Im Jahre 1895 ist es der reinste Selbstmord.

Erzählerin:
Obendrein lässt sich Ehlers auch noch eine Kiste Gold und ein Stahlrohrbett durch den Urwald tragen. Ein zivilisierter Forschungsreisender schläft doch nicht in der Hängematte. Was er allerdings mit dem Gold vorhatte …. keine Ahnung.

Erzähler:
Klar ist nur: Ehlers kommt nie auf der Südseite der Insel an. Von seinen 40 Dienern überleben nur 22. Und als der deutsche Landeshauptmann von Neuguinea, Curt von Hagen, später die Mörder stellen will, wird auch er im Urwald erschossen.

Erzählerin:
Spätestens jetzt reibt sich wohl so mancher in der Heimat verwundert die Augen: Was genau wollten wir noch mal auf diesen gottverlassenen Dschungel-Inseln?

MUSIK

Erzähler:
Ja genau, was eigentlich?

MUSIK

Erzählerin:
Das deutsche Kolonialreich in der Südsee wirkt erst mal wie eine Randnotiz der Geschichte. Ein Kuriosum. Reichsdampfer am Korallenriff. Kuckucksuhr an der Kokospalme. Vielen Deutschen ist bis heute völlig unbekannt, dass das Deutsche Reich Kolonien im Südpazifik hatte. Also ein paar ganz kleine Kolonien.

Erzähler:
Die Inseln der Südsee sind der letzte weiße Fleck auf den Landkarten der Europäer. Erst im 18. Jahrhundert entdecken Handelsschiffe und Weltreisende die weitläufigen Inselreiche im Südpazifik – von den Hawaii-Inseln im Norden, über die winzigen Atolle Mikronesiens, bis hin zu den polynesischen Inselgruppen Tahiti und Samoa. Paradiesische Eilande – und dazwischen: Tausende Meilen offene See.

Erzählerin:
Bald stecken Engländer und Franzosen ihre Claims ab, Spanier, Holländer, Portugiesen, Amerikaner. Jeder will ein Stückchen vom Paradies abhaben. Und die Deutschen?

O-Ton Joseph Hiery:
Das ist ne durchaus interessante Geschichte: Was machten die Deutschen da in der Mitte des 19. Jahrhunderts?
Erzählerin:
Professor Joseph Hiery ist einer der wirklich seltenen Südsee-Kolonial-Experten, die es in Deutschland gibt. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich der Historiker von der Universität Bayreuth mit diesem Thema; diesem kolonialen Spezialfall, der so ganz anders verlief, als die Kolonisierung Afrikas.

O-Ton Joseph Hiery:
Kolonialismus bedeutet normalerweise, dass eine christliche Mission zuerst kommt, und dann übernimmt der koloniale Staat. Das haben wir häufig auch in der Südsee. Bei den Deutschen hat die Mission nie eine Rolle gespielt für die Kolonialisierung in der Südsee. Eine Mission kam erst, nachdem das Kolonie war, aber der Handel, der Handel, wenn man will, das Geld.

Erzähler:
Statt Soldaten oder Priester sind es nämlich deutsche Händler, die sich zuerst in die Südsee vorwagen. Und Walfänger. Zu diesem Zeitpunkt ist Waltran eine unersetzliche Ressource – vor allem für die Kerzenherstellung, elektrisches Licht gibt es ja noch nicht. Und die größten Walherden durchstreifen in dieser Zeit eben den Südpazifik.

Erzählerin:
Immer wieder lassen sich deutsche Matrosen auf den paradiesisch wirkenden Eilanden nieder. Diese sogenannten „Beachcomber“ gründen Familien mit einheimischen Frauen und gehen ganz in der Kultur der Einheimischen auf.

O-Ton Joseph Hiery:
Und dann kam von Südamerika Mitte des 19. Jahrhunderts ein deutscher Geschäftsmann, der in Valparaiso Geschäfte machte für ein deutsches Handelshaus, und kam nach Samoa und fand vor Ort auf fast jeder Insel einen Deutschen. Und das waren so die geborenen Agenten für seine Handelstätigkeit, denn über diese gemeinsame Zugehörigkeit, es gab ja noch keinen deutschen Nationalstaat, aber über die gemeinsame Sprache, die gemeinsame Kultur, lag es nahe, die mit Geschäften zu beauftragen. Das Wirtschaftsunternehmen wuchs. Und das fiel dann zufällig mit der Zeit in die Reichsgründung durch Bismarck hinein. Dann kam die Idee: Na ja, da, wo die Engländer noch nicht sind, da setzen wir uns ein. Schützen eigentlich die Wirtschaftsinteressen.

MUSIK

Erzähler:
Im November 1884 hisst Otto Finsch, der sogenannte „Forschungsagent des Neuguinea-Konsortiums“, im fernen Nordosten Neuguineas die erste deutsche Flagge in der Südsee. Bis Ende Dezember reklamieren verschiedene Kapitäne dazu noch zahlreiche umliegende Inseln für das Deutsche Reich, und dazu die – Zitat – „unbestritten herrenlosen“ Archipele der Marshall-, Providence- und Brown-Inseln.

Erzählerin:
Wobei „unbestritten herrenlos“ sich natürlich nur auf weiße Kolonialherren bezieht. Die Inseln sind alles andere als unbewohnt. Aber die dunkelhäutigen Melanesier und Mikronesier werden von der Kolonial-Ideologie der Zeit bestenfalls als „edle Wilde“ gesehen – aus der Zeit gefallene Steinzeitvölker, die es zu zivilisieren gilt.

Erzähler:
Wohlgemerkt: Es sind Handelskapitäne, die die deutsche Flagge hissen. Deutsche Kolonie wird Nordost-Neuguinea erst 15 Jahre später. Bis dahin steht dieses sogenannte „Kaiser-Wilhelm-Land“ zwar unter dem Schutz des Reiches. Doch die Verwaltung liegt in den Händen der privaten „Neuguinea-Kompagnie“ – ein Konsortium aus Berliner Bankiers und Finanzinvestoren.

Erzählerin:
Lange bleibt das Schutzgebiet die einzige deutsche Besitzung in der Südsee. Deutsche Missionare versuchen, den äußerst unwilligen Melanesiern ihre Religion nahezubringen und ihnen den unter wahren Christenmenschen dann doch eher verpönten Kannibalismus auszureden. Deutsche Unternehmer gründen Kokos-Plantagen und deutsche Verwaltungsbeamte geben den melanesischen Inseln anständige deutsche Namen: Neupommern. Neubrandenburg. Bismarck-Archipel.

Erzähler:
Dann, Ende der 1890er Jahre, können die Deutschen ihr Kolonialreich noch einmal entscheidend erweitern. Von den schwächelnden Spaniern kauft man für 25 Millionen Peseten Palau, sowie die Marianen- und Karolineninseln.

MUSIK

Erzählerin:
Und schließlich fällt der Blick der Deutschen auf ein mögliches Juwel in der kolonialen Perlenkette: das Polynesische Samoa. Ein Archipel aus wunderschönen Inseln, ein zweites Hawaii sozusagen. Offiziell noch keine Kolonie, wirtschaftlich gesehen aufgeteilt zwischen deutschen, englischen und amerikanischen Interessen.

Erzähler:
An dieser Stelle kommt wieder Otto Ehlers ins Spiel. Der exzentrische Reisende mit dem Stahlrohrbett, der einige Zeit später im Dschungel Neuguineas mutmaßlich ein unrühmliches Ende als Abendessen finden wird.

MUSIK ENDE

Erzählerin:
1894 ist eben dieser Otto Ehlers noch wohlauf, und widmet sich fleißig seinem liebsten Hobby, der Fernreise. Genauer gesagt: Der patriotischen Fernreise. Joseph Hiery:

O-Ton Joseph Hiery:
Ja, also Otto Ehlers ist so ein deutscher Dandy-Reisender, der relativ wohlhabend ist, wohl nichts arbeitet, weil er so viel Geld hat, und meint, er müsse die Welt sehen und dann auf den Spuren der deutschen Flaggenhissungen in die Welt reist und als erster da sein will, wenn da die deutsche Fahne gehisst wird. Und glaubt, er kommt nach Samoa, und die deutsche Fahne wird gehisst, und er kann da Beifall klatschen.

Erzähler:
In dieser Hinsicht ist Samoa eine Enttäuschung für Ehlers: Das Deutsche Reich denkt zunächst gar nicht daran, auf Samoa irgendeine Fahne aufzuziehen. Zu fragil scheint das Mächtegleichgewicht mit Amerikanern und Engländern. Zu unsicher der Nutzen eines solchen Unternehmens.

Erzählerin:
Dass sich das keine fünf Jahre später ändert, ist dann allerdings wohl auch Ehlers zu verdanken. Genauer gesagt: Dem Buch, das Ehlers nach seiner Rückkehr nach Deutschland schreibt: Samoa – Perle der Südsee.

MUSIK

Zitator Ehlers:
Im Westen tauchte die matt leuchtende Scheibe des Vollmonds in die Wogen, während im Osten ein rosiger Schein das Nahen der Sonne verkündete. Und in diesem zauberhaften Zwielicht aus opalfarbig schillernder Flut sich erhebend, lag vor mir, vom Fuße zum Gipfel in dem üppigen Tropengrün prangend, die Insel Upolu. Wo soll ich armer Reisender Worte hernehmen, den wunderbaren Reiz dieses Bildes zu schildern, wie in trockener Prosa den Zauber eines lyrischen Gedichts, den Duft eines Blütenstraußes wiedergeben.

MUSIK ENDE

Erzähler:
Zusammengefasst: Die Samoa-Inseln sind das reinste Paradies. In ihm leben besonders edle und schöne Menschen mit bronzefarbener Haut – kein Vergleich zu anderen Wilden. Und die Deutschen sollten sich diese Inseln unbedingt holen, bevor jemand anders schneller sein könnte.

Erzählerin:
Eine exotistische Schwärmerei eben. In einer an Schwärmereien nicht eben armen Zeit. Nichts Besonderes, dieser Bericht – könnte man meinen. Doch dann wird Ehlers‘ Reisebericht überraschend zum Bestseller.

O-Ton Joseph Hiery:
Und dann wird das im Reichstag zitiert in der Debatte, ob man Samoa Geld geben soll. Das Geld sei doch alles ins Meer geschmissen, argumentieren die Linksliberalen und die Sozialdemokraten, Taifun geht regelmäßig darüber, alles geht wieder kaputt. Und dann zitiert damals der Gouverneur Deutsch-Neuguineas das Buch – ja und: Das müssen sie doch kennen! Wie toll! Und wir haben solche prächtigen Menschen da. Und es ist die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Deutschen, diese prächtigen Menschen zu schützen vor den bösen Franzosen, den bösen Engländern, den bösen Amerikanern und keiner kann’s so gut machen wie wir!

Erzählerin:
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Das Argument, das schließlich den Reichstag zur Bewilligung der Gelder für eine Kolonie bringt, ist nicht etwa das deutsche Handelsinteresse, und auch kein militärisches Kalkül. Es ist der ebenso arrogante wie naive Wunsch, den edelsten aller edlen Wilden vor der Inkompetenz der anderen Kolonialmächte zu schützen.

Erzähler:
Diese Reichstagsdebatte ist dabei alles andere als eine besonders kuriose Episode innerhalb des deutschen Kolonialbetriebs. Sie ist vielleicht der Schlüssel zu dem, was in den nächsten Jahren entstehen sollte: der „Sonderfall Samoa“, die mit Abstand ungewöhnlichste aller deutschen Kolonien.

O-Ton Joseph Hiery:
Zunächst einmal ist’s ein, wenn man so will, klingt merkwürdig, ein positiver Rassismus hier zu erkennen. Das heißt, das Kolonialamt und seine Vorläuferbehörde im Auswärtigen Amt haben mal festgelegt, die Südsee-Insulaner sind anders zu behandeln als die Afrikaner.

Erzähler:
Konkret heißt das: keine Prügelstrafe. Keine Eisenkette. Keine Sklavenarbeit auf den Plantagen wie in den deutschen Kolonien in Afrika.

Erzählerin:
Zumindest nicht für die Samoaner. Bei den deutlich dunkelhäutigeren Bewohnern Neuguineas ist die Kolonialverwaltung weniger zimperlich.

O-Ton Joseph Hiery:
Bei den Samoanern heißt es dann sogar: Das sind eigentlich Arier. Die sind mit uns verwandt. Und vielleicht jetzt nicht so ganz auf unserer Stufe, aber da bringen wir sie ja da hin. Und sie sind alle besser als die anderen, die da rumwohnen.

Erzähler:
Samoa wird eine Art Modell-Kolonie. Aber nicht im Sinne einer effizienten Ausbeutung, ganz im Gegenteil. Gouverneur wird Wilhelm Solf, ein Bürgerssohn und Schöngeist, der in der Heimat zunächst Literatur und Sanskrit studiert hatte.

Erzählerin:
Solf lässt die gesellschaftlichen Strukturen der Samoaner weitgehend weiterbestehen – unter deutscher Oberherrschaft, versteht sich. Und versucht, sich ansonsten möglichst wenig in ihre Angelegenheiten einzumischen. Während sich andere Kolonialbeamte verwundert die Augen reiben, verkündet Solf: Eigentlich sei doch Samoa primär das Land der Samoaner. Joseph Hiery:

O-Ton Joseph Hiery:
Während es Deutsch-Neuguinea hieß und Deutsch-Westafrika und Deutsch-Südwestafrika, hieß das Samoa, es hieß nicht Deutsch-Samoa offiziell, und die Deutschen, die da waren, mussten gemäß Diktion des Gouverneurs „Fremde“ genannt werden.

Erzähler:
Vielleicht trägt diese Haltung der Deutschen zu der Souveränität bei, mit der die Samoaner auf die koloniale Situation reagieren: Sie bewahren, was sie bewahren wollen, und nehmen begierig alles auf, was ihre Lebenssituation verbessern könnte.

Erzählerin:
Vor allem in der Medizin und der Landwirtschaft sind die Deutschen den Samoanern so weit voraus, dass jedes Dorf einen riesigen Vorteil hat, wenn ein Weißer dort lebt. Möglicherweise liegt darin auch die Ursache für den phänomenalen Erfolg der christlichen Missionare bei den Samoanern.

O-Ton Joseph Hiery:
Die wollten Weiße haben – sag ich jetzt mal platt – weil der „Besitz“ eines Weißen aus einheimischer Sicht bedeutete Zugriff auf dessen Wissen und die Verbesserung der eigenen Lebensverhältnisse. Und den, den man am ehesten haben konnte, der länger da blieb, das war ein Priester oder ein Pastor.

MUSIK

Erzähler:
Während in Samoa einzelne Dörfer regelrecht darum kämpfen, wer denn nun einen Missionar bekommen würde, führen deutsche Missionare auf der melanesischen Insel Neupommern über 4.000 Kilometer westlich von Samoa einen ganz anderen Kampf.

MUSIK ENDE

Erzählerin:
Den ums nackte Überleben.

MUSIK

Erzähler:
Am 13. August 1904 richten Melanesier vom Volk der Baining unter den katholischen Missionaren der Missions-Station St. Paul ein Massaker an. Der fieberkranke Missionschef Pater Rascher wird im Bett liegend erschossen, die Missionsschwester Angela am Fuß des Altars mit einer Axt erschlagen.

Erzählerin:
Was war geschehen? Woher kam dieser grenzenlose Hass?

MUSIK ENDE

Erzähler:
Den hatten sich die Missionare wohl weitgehend selbst zuzuschreiben. St. Paul war keine einfache Missionsstation. Hier sollte eines von vielen sogenannten „Christendörfern“ entstehen, in denen umerzogene Melanesier ein christliches Leben führen sollten – völlig losgelöst von ihrer eigentlichen Kultur, die die Missionare regelrecht verteufelten. Vor allem den allesbestimmenden Ahnenkult der Melanesier wollten die Missionare rigoros ausmerzen
Erzählerin:
Pater Raschert hatte sogar das erste Gebot extra für seine melanesischen Schäfchen umgeschrieben.

Zitator Pater Raschert:
Ich bin der Herr, dein Gott – du sollst keinen Totenkult treiben!

Erzählerin:
Hinzu kam die strenge Sexualmoral – den Melanesiern völlig fremd – und ihre rigide Durchsetzung mit Prügelstrafen und Predigten vom Höllenfeuer – sowie ein völliges Unverständnis der Missionare für die politischen Verhältnisse unter den Einheimischen.

MUSIK

Erzähler:
Als die Gewalt schließlich nach einer besonders brutalen Prügel-Orgie in der Missionsstation eskaliert, sind kurze Zeit später alle zehn deutschen Missionare von St. Paul tot.

Erzählerin.
Es ist eine ganz ähnliche Gemengelage aus Arroganz, Selbstherrlichkeit und der unseligen Prügelstrafe, die sechs Jahre später zum größten Aufstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft in der Südsee führt. Ort des Geschehens: Ponape, eine mikronesische Insel, auf der fünf Völker in winzigen Stammes-Staaten leben.

Erzähler:
Am 18. Oktober 1910 wird Gustav Boeder, Leiter des Verwaltungsbezirks Ostkarolinen, durch einen Gewehrschuss in den Bauch niedergestreckt und von einem aufgebrachten Einheimischen schließlich durch einen weiteren Schuss in den Kopf getötet (MUSIK ENDE). Auch zwei weitere deutsche Kolonialbeamte und fünf Mikronesier in deutschen Diensten werden von Aufständischen ermordet, die allesamt dem Volk der Sokehs angehören. Ein Blutvergießen mit Ansage.

Erzählerin:
Auf Ponape gibt es da bereits seit einigen Jahren große Spannungen zwischen einzelnen Völkern der Insel und den deutschen Kolonialherren. Sie beginnen im Jahr 1901, als der äußerst diplomatische und friedliebende Gouverneur Hahl abberufen und durch Victor Berg ersetzt wird. Berg hatte zuvor in den deutsche Kolonien in Afrika gedient - wo ein deutlich brutaleres Kolonialregime geführt wurde.

Erzähler:
Bereits 54 Tage nach seiner Ankunft schickt Berg ein Memorandum nach Berlin, in dem er die „energische wirtschaftliche Erschließung“ der Insel fordert und für den Fall eines Aufstandes eine „schonungslose Strafexpedition“ vorschlägt.

MUSIK

Erzählerin:
1907 schändet Berg persönlich eine Grabstätte, als er im Auftrag des Leipziger Völkerkundemuseums Ausgrabungen vornimmt. Einen Tag später stirbt Berg. Sonnenstich, sagt der Arzt. Die Rache der Geister, sagen die Ponapesen.

Erzähler:
Es folgt eine Zeit der Unruhe. Lange bleibt der Posten vakant. Gouverneur eines potentiellen Pulverfasses am Ende der Welt zu werden, ist für deutsche Beamte nicht unbedingt ein Traumjob (MUSIK ENDE). Schließlich wird Gustav Boeder Inselchef. Wie Berg ist auch er Afrika-erprobt. Und ein großer Freund der Prügelstrafe. Joseph Hiery:
O-Ton Joseph Hiery:
Der hat gemeint, er müsse hier afrikanische Methoden einführen. Daraufhin hat eine Ethnie, oder wie wir deutsch sagen: Stamm, revoltiert und es gab einen Aufstand. Der hat allerdings nur diese eine Ethnie betroffen. Das ist ohnehin schon ne kleine Insel mit sehr vielen anderen Ethnien, die haben sich nicht dem angeschlossen.

Erzählerin:
Die völlig überrumpelten Deutschen verschanzen sich nach dem Beginn des Aufstands in ihrer Hauptstadt Kolonia und fordern Hilfe aus der Heimat an - die nach langen Wochen des zermürbenden Wartens tatsächlich auch kommt.

O-Ton Joseph Hiery:
Das Kaiserreich hat relativ brutal reagiert – Schiffe hingeschickt und dann die Aufständischen exekutiert, die Ethnie weggebracht von der Insel auf ne andere Insel exiliert, wenn man so will.

MUSIK

Erzähler:
Es bleibt die einzige größere Kriegsaktion der Deutschen in der Südsee. Das allerdings liegt vielleicht auch daran, dass die Zeit des deutschen Kolonialreiches vier Jahre später schon wieder vorüber ist.

MUSIK ENDE

Erzählerin:
Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, sind die Deutschen in der Südsee völlig chancenlos. Und das Reich denkt gar nicht daran, die dann doch ziemlich unbedeutenden Kolonien zu unterstützen. Kämpfe gibt es nur – ganz kurz – auf Neuguinea, das aber innerhalb von kürzester Zeit von australischen Truppen eingenommen wird.
Erzähler:
Auf Samoa ergeben sich die deutschen kampflos einer neuseeländischen Flotte. Die Neuseeländer – als sogenanntes britisches „Dominion“ selbst noch eine halbe Kolonie – übernehmen die Kolonialverwaltung.

Erzählerin:
Dabei stellen sie sich so ungeschickt und arrogant an, dass sie innerhalb von kürzester Zeit die Ablehnung der einheimischen Samoaner provozieren.

Erzähler:
Als die Neuseeländer 1918 ein Seuchenschiff im Hafen von Apia anlegen lassen, stirbt ein Drittel der gesamten Bevölkerung an der spanischen Grippe. Spätestens jetzt setzt auf Samoa eine Verklärung der deutschen Herrschaft ein. Im Gegensatz zur neuseeländischen Verwaltung sei das „die gute alte Zeit“.

O-Ton Joseph Hiery:
Als ich da hinkam, lebten ja noch Leute, ich hab viele befragt aus der deutschen Kolonialzeit. Und dann hört man dann Stereotype, die positiv sind über Deutsche. Die haben die besten Ärzte und so weiter und so weiter. Das ist relativ stark verankert, aber im Kontrast zur Erfahrung mit den Neuseeländern.

MUSIK

Erzählerin:
Deutschland und die Südsee – das bleibt ein kurzes Abenteuer. Allzu prägend ist die deutsche Zeit für viele der Kolonien nicht. Dazu ist die Kolonialzeit zu kurz und die Zahl der Deutschen zu gering. Zu keinem Zeitpunkt leben viel mehr als 4.000 von ihnen in der Südsee.
Erzähler:
Allerdings: Wenn man genau hinsieht, kann man schon noch einige deutsche Einflüsse erkennen. Zum Beispiel in der Mischsprache „Tok Pisin“, die heute noch in Papua-Neuguinea gesprochen wird. In ihr finden sich zahlreiche, häufig verfremdete, deutsche Lehnworte – „spaisesima“ zum Beispiel, also „Speisezimmer“. Oder, selbsterklärend: „saiskanake“.

MUSIK ENDE

Erzählerin:
Den stärksten Einfluss hatte Deutschland sicherlich auf Samoa. In Apia steht bis heute ein Gerichtsgebäude im Kolonialstil, es gibt eine zu deutscher Marschmusik paradierende Polizei-Kapelle und eine der bekanntesten Persönlichkeiten des Landes – ehemaliger Vizepremier und Autor eines eher mäßigen Liebesromans – hört auf den illustren Namen Misa Telefoni Retzlaff...

Erzähler:
… wobei Misa ein traditioneller Samoanischer Würdentitel ist, und der Retzlaff von seinem Großvater Erich Retzlaff stammt, einem deutschen Kolonialbeamten. Telefoni schließlich heißt die ganze Familie ehrenhalber, (MUSIK: C1205330 012 [00‘43‘‘]) seitdem eben jener Erich Anfang des 20. Jahrhunderts in Samoa das Telefon eingeführt hatte.

Erzählerin:
Und was wurde eigentlich aus Wilhelm Solf, dem deutschen Gouverneur Samoas?

Erzähler:
Der wird 1918 kurz deutscher Außenminister, 1920 dann schließlich deutscher Botschafter in Tokio. Dort erreicht ihn 1923 ein Brief aus Samoa. Ob es nicht irgendwie möglich wäre, dass er zurückkäme und wieder Gouverneur in Apia werde. Noch heute hat Solf in Samoa einen ausgezeichneten Ruf.
MUSIK

Erzählerin:
Gustav Boeder dagegen, der prügelnde Inselchef Ponapes, hat da wohl andere Spuren in der Erinnerung hinterlassen. 1983 stürzen Unbekannte seinen Grabstein um und schänden seine letzte Ruhestätte.

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Credits
Autor: Klaus Uhrig
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Stefan Wilkening, Hemma Michel, Jerzy May
Technik: Susanne Herzig
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Prof. Joseph Hiery
Besonderer Linktipp der Redaktion:
ARD Crime Time (2024): Tatunca Nara – und die Toten im Dschungel
Die 31. Staffel der erfolgreichen Doku-Serie begibt sich auf die Spuren eines außergewöhnlichen Falls, der bereits als Vorlage für Indiana Jones diente: Ende der 1960er Jahre wandert Günther Hans Hauck nach Brasilien aus und erfindet sich dort eine neue Identität als Nachfahre einer indigenen Kultur, die bislang unentdeckt tief im Dschungel in einem gigantischen Reich lebe. Viele Menschen packt die Faszination und sie folgen dem selbst ernannten Oberhaupt „Tatunca Nara“ in den Regenwald. Für einige endet die Expedition tödlich. Ein Team der ARD Crime Time begibt sich auf Spurensuche. Das Ziel der Reise: ein Ort im brasilianischen Regenwald, wo der Hochstapler auch heute noch leben soll. IN DER MEDIATHEK
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Am Ende des 19. Jahrhunderts gehörte das Deutsche Reich zu den Kolonialmächten Europas. Mit mörderischer Brutalität unterdrückten deutsche Kolonialherren die Bewohner der besetzten Länder. Ein düsteres Geschichtskapitel, über das bis heute noch wenig bekannt ist. JETZT ANSEHEN

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Der 1. April 1899 bedeutete für die Papua-Bevölkerung den Anbruch einer neuen Zeit, denn Deutsch-Neuguinea wurde reguläre Kolonie des Deutschen Reichs. Bis heute ist es schwer, die Lebensbedingungen der indigenen Bevölkerung vor der Kolonisierung zu rekonstruieren. JETZT ANHÖREN

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Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
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Erzählerin:
Ob seine melanesischen Diener Otto Ehlers wirklich aufgegessen haben, das lässt sich mit letzter Sicherheit nicht sagen. Unwahrscheinlich ist es aber nicht. Im tiefen Dschungel Neuguineas gibt es keine großen Tiere, die man jagen könnte und überhaupt kaum Nahrungsquellen. Wem hier die Vorräte ausgehen, den könnte so ein wohlgenährter Deutscher schon in Versuchung bringen.

MUSIK ENDE

Erzähler:
Vielleicht haben sie ihn auch einfach nur erschossen, weil sie genug von seinen abstrusen Plänen hatten. Einmal die größte Insel der Südsee von Norden nach Süden durchqueren, zu Fuß, durch den unerforschten, dichten Dschungel. Das wäre selbst heute eine Schnapsidee. Im Jahre 1895 ist es der reinste Selbstmord.

Erzählerin:
Obendrein lässt sich Ehlers auch noch eine Kiste Gold und ein Stahlrohrbett durch den Urwald tragen. Ein zivilisierter Forschungsreisender schläft doch nicht in der Hängematte. Was er allerdings mit dem Gold vorhatte …. keine Ahnung.

Erzähler:
Klar ist nur: Ehlers kommt nie auf der Südseite der Insel an. Von seinen 40 Dienern überleben nur 22. Und als der deutsche Landeshauptmann von Neuguinea, Curt von Hagen, später die Mörder stellen will, wird auch er im Urwald erschossen.

Erzählerin:
Spätestens jetzt reibt sich wohl so mancher in der Heimat verwundert die Augen: Was genau wollten wir noch mal auf diesen gottverlassenen Dschungel-Inseln?

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Erzähler:
Ja genau, was eigentlich?

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Das deutsche Kolonialreich in der Südsee wirkt erst mal wie eine Randnotiz der Geschichte. Ein Kuriosum. Reichsdampfer am Korallenriff. Kuckucksuhr an der Kokospalme. Vielen Deutschen ist bis heute völlig unbekannt, dass das Deutsche Reich Kolonien im Südpazifik hatte. Also ein paar ganz kleine Kolonien.

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Die Inseln der Südsee sind der letzte weiße Fleck auf den Landkarten der Europäer. Erst im 18. Jahrhundert entdecken Handelsschiffe und Weltreisende die weitläufigen Inselreiche im Südpazifik – von den Hawaii-Inseln im Norden, über die winzigen Atolle Mikronesiens, bis hin zu den polynesischen Inselgruppen Tahiti und Samoa. Paradiesische Eilande – und dazwischen: Tausende Meilen offene See.

Erzählerin:
Bald stecken Engländer und Franzosen ihre Claims ab, Spanier, Holländer, Portugiesen, Amerikaner. Jeder will ein Stückchen vom Paradies abhaben. Und die Deutschen?

O-Ton Joseph Hiery:
Das ist ne durchaus interessante Geschichte: Was machten die Deutschen da in der Mitte des 19. Jahrhunderts?
Erzählerin:
Professor Joseph Hiery ist einer der wirklich seltenen Südsee-Kolonial-Experten, die es in Deutschland gibt. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich der Historiker von der Universität Bayreuth mit diesem Thema; diesem kolonialen Spezialfall, der so ganz anders verlief, als die Kolonisierung Afrikas.

O-Ton Joseph Hiery:
Kolonialismus bedeutet normalerweise, dass eine christliche Mission zuerst kommt, und dann übernimmt der koloniale Staat. Das haben wir häufig auch in der Südsee. Bei den Deutschen hat die Mission nie eine Rolle gespielt für die Kolonialisierung in der Südsee. Eine Mission kam erst, nachdem das Kolonie war, aber der Handel, der Handel, wenn man will, das Geld.

Erzähler:
Statt Soldaten oder Priester sind es nämlich deutsche Händler, die sich zuerst in die Südsee vorwagen. Und Walfänger. Zu diesem Zeitpunkt ist Waltran eine unersetzliche Ressource – vor allem für die Kerzenherstellung, elektrisches Licht gibt es ja noch nicht. Und die größten Walherden durchstreifen in dieser Zeit eben den Südpazifik.

Erzählerin:
Immer wieder lassen sich deutsche Matrosen auf den paradiesisch wirkenden Eilanden nieder. Diese sogenannten „Beachcomber“ gründen Familien mit einheimischen Frauen und gehen ganz in der Kultur der Einheimischen auf.

O-Ton Joseph Hiery:
Und dann kam von Südamerika Mitte des 19. Jahrhunderts ein deutscher Geschäftsmann, der in Valparaiso Geschäfte machte für ein deutsches Handelshaus, und kam nach Samoa und fand vor Ort auf fast jeder Insel einen Deutschen. Und das waren so die geborenen Agenten für seine Handelstätigkeit, denn über diese gemeinsame Zugehörigkeit, es gab ja noch keinen deutschen Nationalstaat, aber über die gemeinsame Sprache, die gemeinsame Kultur, lag es nahe, die mit Geschäften zu beauftragen. Das Wirtschaftsunternehmen wuchs. Und das fiel dann zufällig mit der Zeit in die Reichsgründung durch Bismarck hinein. Dann kam die Idee: Na ja, da, wo die Engländer noch nicht sind, da setzen wir uns ein. Schützen eigentlich die Wirtschaftsinteressen.

MUSIK

Erzähler:
Im November 1884 hisst Otto Finsch, der sogenannte „Forschungsagent des Neuguinea-Konsortiums“, im fernen Nordosten Neuguineas die erste deutsche Flagge in der Südsee. Bis Ende Dezember reklamieren verschiedene Kapitäne dazu noch zahlreiche umliegende Inseln für das Deutsche Reich, und dazu die – Zitat – „unbestritten herrenlosen“ Archipele der Marshall-, Providence- und Brown-Inseln.

Erzählerin:
Wobei „unbestritten herrenlos“ sich natürlich nur auf weiße Kolonialherren bezieht. Die Inseln sind alles andere als unbewohnt. Aber die dunkelhäutigen Melanesier und Mikronesier werden von der Kolonial-Ideologie der Zeit bestenfalls als „edle Wilde“ gesehen – aus der Zeit gefallene Steinzeitvölker, die es zu zivilisieren gilt.

Erzähler:
Wohlgemerkt: Es sind Handelskapitäne, die die deutsche Flagge hissen. Deutsche Kolonie wird Nordost-Neuguinea erst 15 Jahre später. Bis dahin steht dieses sogenannte „Kaiser-Wilhelm-Land“ zwar unter dem Schutz des Reiches. Doch die Verwaltung liegt in den Händen der privaten „Neuguinea-Kompagnie“ – ein Konsortium aus Berliner Bankiers und Finanzinvestoren.

Erzählerin:
Lange bleibt das Schutzgebiet die einzige deutsche Besitzung in der Südsee. Deutsche Missionare versuchen, den äußerst unwilligen Melanesiern ihre Religion nahezubringen und ihnen den unter wahren Christenmenschen dann doch eher verpönten Kannibalismus auszureden. Deutsche Unternehmer gründen Kokos-Plantagen und deutsche Verwaltungsbeamte geben den melanesischen Inseln anständige deutsche Namen: Neupommern. Neubrandenburg. Bismarck-Archipel.

Erzähler:
Dann, Ende der 1890er Jahre, können die Deutschen ihr Kolonialreich noch einmal entscheidend erweitern. Von den schwächelnden Spaniern kauft man für 25 Millionen Peseten Palau, sowie die Marianen- und Karolineninseln.

MUSIK

Erzählerin:
Und schließlich fällt der Blick der Deutschen auf ein mögliches Juwel in der kolonialen Perlenkette: das Polynesische Samoa. Ein Archipel aus wunderschönen Inseln, ein zweites Hawaii sozusagen. Offiziell noch keine Kolonie, wirtschaftlich gesehen aufgeteilt zwischen deutschen, englischen und amerikanischen Interessen.

Erzähler:
An dieser Stelle kommt wieder Otto Ehlers ins Spiel. Der exzentrische Reisende mit dem Stahlrohrbett, der einige Zeit später im Dschungel Neuguineas mutmaßlich ein unrühmliches Ende als Abendessen finden wird.

MUSIK ENDE

Erzählerin:
1894 ist eben dieser Otto Ehlers noch wohlauf, und widmet sich fleißig seinem liebsten Hobby, der Fernreise. Genauer gesagt: Der patriotischen Fernreise. Joseph Hiery:

O-Ton Joseph Hiery:
Ja, also Otto Ehlers ist so ein deutscher Dandy-Reisender, der relativ wohlhabend ist, wohl nichts arbeitet, weil er so viel Geld hat, und meint, er müsse die Welt sehen und dann auf den Spuren der deutschen Flaggenhissungen in die Welt reist und als erster da sein will, wenn da die deutsche Fahne gehisst wird. Und glaubt, er kommt nach Samoa, und die deutsche Fahne wird gehisst, und er kann da Beifall klatschen.

Erzähler:
In dieser Hinsicht ist Samoa eine Enttäuschung für Ehlers: Das Deutsche Reich denkt zunächst gar nicht daran, auf Samoa irgendeine Fahne aufzuziehen. Zu fragil scheint das Mächtegleichgewicht mit Amerikanern und Engländern. Zu unsicher der Nutzen eines solchen Unternehmens.

Erzählerin:
Dass sich das keine fünf Jahre später ändert, ist dann allerdings wohl auch Ehlers zu verdanken. Genauer gesagt: Dem Buch, das Ehlers nach seiner Rückkehr nach Deutschland schreibt: Samoa – Perle der Südsee.

MUSIK

Zitator Ehlers:
Im Westen tauchte die matt leuchtende Scheibe des Vollmonds in die Wogen, während im Osten ein rosiger Schein das Nahen der Sonne verkündete. Und in diesem zauberhaften Zwielicht aus opalfarbig schillernder Flut sich erhebend, lag vor mir, vom Fuße zum Gipfel in dem üppigen Tropengrün prangend, die Insel Upolu. Wo soll ich armer Reisender Worte hernehmen, den wunderbaren Reiz dieses Bildes zu schildern, wie in trockener Prosa den Zauber eines lyrischen Gedichts, den Duft eines Blütenstraußes wiedergeben.

MUSIK ENDE

Erzähler:
Zusammengefasst: Die Samoa-Inseln sind das reinste Paradies. In ihm leben besonders edle und schöne Menschen mit bronzefarbener Haut – kein Vergleich zu anderen Wilden. Und die Deutschen sollten sich diese Inseln unbedingt holen, bevor jemand anders schneller sein könnte.

Erzählerin:
Eine exotistische Schwärmerei eben. In einer an Schwärmereien nicht eben armen Zeit. Nichts Besonderes, dieser Bericht – könnte man meinen. Doch dann wird Ehlers‘ Reisebericht überraschend zum Bestseller.

O-Ton Joseph Hiery:
Und dann wird das im Reichstag zitiert in der Debatte, ob man Samoa Geld geben soll. Das Geld sei doch alles ins Meer geschmissen, argumentieren die Linksliberalen und die Sozialdemokraten, Taifun geht regelmäßig darüber, alles geht wieder kaputt. Und dann zitiert damals der Gouverneur Deutsch-Neuguineas das Buch – ja und: Das müssen sie doch kennen! Wie toll! Und wir haben solche prächtigen Menschen da. Und es ist die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Deutschen, diese prächtigen Menschen zu schützen vor den bösen Franzosen, den bösen Engländern, den bösen Amerikanern und keiner kann’s so gut machen wie wir!

Erzählerin:
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Das Argument, das schließlich den Reichstag zur Bewilligung der Gelder für eine Kolonie bringt, ist nicht etwa das deutsche Handelsinteresse, und auch kein militärisches Kalkül. Es ist der ebenso arrogante wie naive Wunsch, den edelsten aller edlen Wilden vor der Inkompetenz der anderen Kolonialmächte zu schützen.

Erzähler:
Diese Reichstagsdebatte ist dabei alles andere als eine besonders kuriose Episode innerhalb des deutschen Kolonialbetriebs. Sie ist vielleicht der Schlüssel zu dem, was in den nächsten Jahren entstehen sollte: der „Sonderfall Samoa“, die mit Abstand ungewöhnlichste aller deutschen Kolonien.

O-Ton Joseph Hiery:
Zunächst einmal ist’s ein, wenn man so will, klingt merkwürdig, ein positiver Rassismus hier zu erkennen. Das heißt, das Kolonialamt und seine Vorläuferbehörde im Auswärtigen Amt haben mal festgelegt, die Südsee-Insulaner sind anders zu behandeln als die Afrikaner.

Erzähler:
Konkret heißt das: keine Prügelstrafe. Keine Eisenkette. Keine Sklavenarbeit auf den Plantagen wie in den deutschen Kolonien in Afrika.

Erzählerin:
Zumindest nicht für die Samoaner. Bei den deutlich dunkelhäutigeren Bewohnern Neuguineas ist die Kolonialverwaltung weniger zimperlich.

O-Ton Joseph Hiery:
Bei den Samoanern heißt es dann sogar: Das sind eigentlich Arier. Die sind mit uns verwandt. Und vielleicht jetzt nicht so ganz auf unserer Stufe, aber da bringen wir sie ja da hin. Und sie sind alle besser als die anderen, die da rumwohnen.

Erzähler:
Samoa wird eine Art Modell-Kolonie. Aber nicht im Sinne einer effizienten Ausbeutung, ganz im Gegenteil. Gouverneur wird Wilhelm Solf, ein Bürgerssohn und Schöngeist, der in der Heimat zunächst Literatur und Sanskrit studiert hatte.

Erzählerin:
Solf lässt die gesellschaftlichen Strukturen der Samoaner weitgehend weiterbestehen – unter deutscher Oberherrschaft, versteht sich. Und versucht, sich ansonsten möglichst wenig in ihre Angelegenheiten einzumischen. Während sich andere Kolonialbeamte verwundert die Augen reiben, verkündet Solf: Eigentlich sei doch Samoa primär das Land der Samoaner. Joseph Hiery:

O-Ton Joseph Hiery:
Während es Deutsch-Neuguinea hieß und Deutsch-Westafrika und Deutsch-Südwestafrika, hieß das Samoa, es hieß nicht Deutsch-Samoa offiziell, und die Deutschen, die da waren, mussten gemäß Diktion des Gouverneurs „Fremde“ genannt werden.

Erzähler:
Vielleicht trägt diese Haltung der Deutschen zu der Souveränität bei, mit der die Samoaner auf die koloniale Situation reagieren: Sie bewahren, was sie bewahren wollen, und nehmen begierig alles auf, was ihre Lebenssituation verbessern könnte.

Erzählerin:
Vor allem in der Medizin und der Landwirtschaft sind die Deutschen den Samoanern so weit voraus, dass jedes Dorf einen riesigen Vorteil hat, wenn ein Weißer dort lebt. Möglicherweise liegt darin auch die Ursache für den phänomenalen Erfolg der christlichen Missionare bei den Samoanern.

O-Ton Joseph Hiery:
Die wollten Weiße haben – sag ich jetzt mal platt – weil der „Besitz“ eines Weißen aus einheimischer Sicht bedeutete Zugriff auf dessen Wissen und die Verbesserung der eigenen Lebensverhältnisse. Und den, den man am ehesten haben konnte, der länger da blieb, das war ein Priester oder ein Pastor.

MUSIK

Erzähler:
Während in Samoa einzelne Dörfer regelrecht darum kämpfen, wer denn nun einen Missionar bekommen würde, führen deutsche Missionare auf der melanesischen Insel Neupommern über 4.000 Kilometer westlich von Samoa einen ganz anderen Kampf.

MUSIK ENDE

Erzählerin:
Den ums nackte Überleben.

MUSIK

Erzähler:
Am 13. August 1904 richten Melanesier vom Volk der Baining unter den katholischen Missionaren der Missions-Station St. Paul ein Massaker an. Der fieberkranke Missionschef Pater Rascher wird im Bett liegend erschossen, die Missionsschwester Angela am Fuß des Altars mit einer Axt erschlagen.

Erzählerin:
Was war geschehen? Woher kam dieser grenzenlose Hass?

MUSIK ENDE

Erzähler:
Den hatten sich die Missionare wohl weitgehend selbst zuzuschreiben. St. Paul war keine einfache Missionsstation. Hier sollte eines von vielen sogenannten „Christendörfern“ entstehen, in denen umerzogene Melanesier ein christliches Leben führen sollten – völlig losgelöst von ihrer eigentlichen Kultur, die die Missionare regelrecht verteufelten. Vor allem den allesbestimmenden Ahnenkult der Melanesier wollten die Missionare rigoros ausmerzen
Erzählerin:
Pater Raschert hatte sogar das erste Gebot extra für seine melanesischen Schäfchen umgeschrieben.

Zitator Pater Raschert:
Ich bin der Herr, dein Gott – du sollst keinen Totenkult treiben!

Erzählerin:
Hinzu kam die strenge Sexualmoral – den Melanesiern völlig fremd – und ihre rigide Durchsetzung mit Prügelstrafen und Predigten vom Höllenfeuer – sowie ein völliges Unverständnis der Missionare für die politischen Verhältnisse unter den Einheimischen.

MUSIK

Erzähler:
Als die Gewalt schließlich nach einer besonders brutalen Prügel-Orgie in der Missionsstation eskaliert, sind kurze Zeit später alle zehn deutschen Missionare von St. Paul tot.

Erzählerin.
Es ist eine ganz ähnliche Gemengelage aus Arroganz, Selbstherrlichkeit und der unseligen Prügelstrafe, die sechs Jahre später zum größten Aufstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft in der Südsee führt. Ort des Geschehens: Ponape, eine mikronesische Insel, auf der fünf Völker in winzigen Stammes-Staaten leben.

Erzähler:
Am 18. Oktober 1910 wird Gustav Boeder, Leiter des Verwaltungsbezirks Ostkarolinen, durch einen Gewehrschuss in den Bauch niedergestreckt und von einem aufgebrachten Einheimischen schließlich durch einen weiteren Schuss in den Kopf getötet (MUSIK ENDE). Auch zwei weitere deutsche Kolonialbeamte und fünf Mikronesier in deutschen Diensten werden von Aufständischen ermordet, die allesamt dem Volk der Sokehs angehören. Ein Blutvergießen mit Ansage.

Erzählerin:
Auf Ponape gibt es da bereits seit einigen Jahren große Spannungen zwischen einzelnen Völkern der Insel und den deutschen Kolonialherren. Sie beginnen im Jahr 1901, als der äußerst diplomatische und friedliebende Gouverneur Hahl abberufen und durch Victor Berg ersetzt wird. Berg hatte zuvor in den deutsche Kolonien in Afrika gedient - wo ein deutlich brutaleres Kolonialregime geführt wurde.

Erzähler:
Bereits 54 Tage nach seiner Ankunft schickt Berg ein Memorandum nach Berlin, in dem er die „energische wirtschaftliche Erschließung“ der Insel fordert und für den Fall eines Aufstandes eine „schonungslose Strafexpedition“ vorschlägt.

MUSIK

Erzählerin:
1907 schändet Berg persönlich eine Grabstätte, als er im Auftrag des Leipziger Völkerkundemuseums Ausgrabungen vornimmt. Einen Tag später stirbt Berg. Sonnenstich, sagt der Arzt. Die Rache der Geister, sagen die Ponapesen.

Erzähler:
Es folgt eine Zeit der Unruhe. Lange bleibt der Posten vakant. Gouverneur eines potentiellen Pulverfasses am Ende der Welt zu werden, ist für deutsche Beamte nicht unbedingt ein Traumjob (MUSIK ENDE). Schließlich wird Gustav Boeder Inselchef. Wie Berg ist auch er Afrika-erprobt. Und ein großer Freund der Prügelstrafe. Joseph Hiery:
O-Ton Joseph Hiery:
Der hat gemeint, er müsse hier afrikanische Methoden einführen. Daraufhin hat eine Ethnie, oder wie wir deutsch sagen: Stamm, revoltiert und es gab einen Aufstand. Der hat allerdings nur diese eine Ethnie betroffen. Das ist ohnehin schon ne kleine Insel mit sehr vielen anderen Ethnien, die haben sich nicht dem angeschlossen.

Erzählerin:
Die völlig überrumpelten Deutschen verschanzen sich nach dem Beginn des Aufstands in ihrer Hauptstadt Kolonia und fordern Hilfe aus der Heimat an - die nach langen Wochen des zermürbenden Wartens tatsächlich auch kommt.

O-Ton Joseph Hiery:
Das Kaiserreich hat relativ brutal reagiert – Schiffe hingeschickt und dann die Aufständischen exekutiert, die Ethnie weggebracht von der Insel auf ne andere Insel exiliert, wenn man so will.

MUSIK

Erzähler:
Es bleibt die einzige größere Kriegsaktion der Deutschen in der Südsee. Das allerdings liegt vielleicht auch daran, dass die Zeit des deutschen Kolonialreiches vier Jahre später schon wieder vorüber ist.

MUSIK ENDE

Erzählerin:
Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, sind die Deutschen in der Südsee völlig chancenlos. Und das Reich denkt gar nicht daran, die dann doch ziemlich unbedeutenden Kolonien zu unterstützen. Kämpfe gibt es nur – ganz kurz – auf Neuguinea, das aber innerhalb von kürzester Zeit von australischen Truppen eingenommen wird.
Erzähler:
Auf Samoa ergeben sich die deutschen kampflos einer neuseeländischen Flotte. Die Neuseeländer – als sogenanntes britisches „Dominion“ selbst noch eine halbe Kolonie – übernehmen die Kolonialverwaltung.

Erzählerin:
Dabei stellen sie sich so ungeschickt und arrogant an, dass sie innerhalb von kürzester Zeit die Ablehnung der einheimischen Samoaner provozieren.

Erzähler:
Als die Neuseeländer 1918 ein Seuchenschiff im Hafen von Apia anlegen lassen, stirbt ein Drittel der gesamten Bevölkerung an der spanischen Grippe. Spätestens jetzt setzt auf Samoa eine Verklärung der deutschen Herrschaft ein. Im Gegensatz zur neuseeländischen Verwaltung sei das „die gute alte Zeit“.

O-Ton Joseph Hiery:
Als ich da hinkam, lebten ja noch Leute, ich hab viele befragt aus der deutschen Kolonialzeit. Und dann hört man dann Stereotype, die positiv sind über Deutsche. Die haben die besten Ärzte und so weiter und so weiter. Das ist relativ stark verankert, aber im Kontrast zur Erfahrung mit den Neuseeländern.

MUSIK

Erzählerin:
Deutschland und die Südsee – das bleibt ein kurzes Abenteuer. Allzu prägend ist die deutsche Zeit für viele der Kolonien nicht. Dazu ist die Kolonialzeit zu kurz und die Zahl der Deutschen zu gering. Zu keinem Zeitpunkt leben viel mehr als 4.000 von ihnen in der Südsee.
Erzähler:
Allerdings: Wenn man genau hinsieht, kann man schon noch einige deutsche Einflüsse erkennen. Zum Beispiel in der Mischsprache „Tok Pisin“, die heute noch in Papua-Neuguinea gesprochen wird. In ihr finden sich zahlreiche, häufig verfremdete, deutsche Lehnworte – „spaisesima“ zum Beispiel, also „Speisezimmer“. Oder, selbsterklärend: „saiskanake“.

MUSIK ENDE

Erzählerin:
Den stärksten Einfluss hatte Deutschland sicherlich auf Samoa. In Apia steht bis heute ein Gerichtsgebäude im Kolonialstil, es gibt eine zu deutscher Marschmusik paradierende Polizei-Kapelle und eine der bekanntesten Persönlichkeiten des Landes – ehemaliger Vizepremier und Autor eines eher mäßigen Liebesromans – hört auf den illustren Namen Misa Telefoni Retzlaff...

Erzähler:
… wobei Misa ein traditioneller Samoanischer Würdentitel ist, und der Retzlaff von seinem Großvater Erich Retzlaff stammt, einem deutschen Kolonialbeamten. Telefoni schließlich heißt die ganze Familie ehrenhalber, (MUSIK: C1205330 012 [00‘43‘‘]) seitdem eben jener Erich Anfang des 20. Jahrhunderts in Samoa das Telefon eingeführt hatte.

Erzählerin:
Und was wurde eigentlich aus Wilhelm Solf, dem deutschen Gouverneur Samoas?

Erzähler:
Der wird 1918 kurz deutscher Außenminister, 1920 dann schließlich deutscher Botschafter in Tokio. Dort erreicht ihn 1923 ein Brief aus Samoa. Ob es nicht irgendwie möglich wäre, dass er zurückkäme und wieder Gouverneur in Apia werde. Noch heute hat Solf in Samoa einen ausgezeichneten Ruf.
MUSIK

Erzählerin:
Gustav Boeder dagegen, der prügelnde Inselchef Ponapes, hat da wohl andere Spuren in der Erinnerung hinterlassen. 1983 stürzen Unbekannte seinen Grabstein um und schänden seine letzte Ruhestätte.

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