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ERSTER WELTKRIEG - Der Versailler Vertrag
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Die Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs waren gerade erst ein halbes Jahr eingestellt, doch nun standen alliierte Truppen bereit, um in Deutschland einzumarschieren. Ende Juni 1919 sollte die deutsche Delegation ultimativ die Bestimmungen des Versailler Vertrags unterzeichnen, sonst wollten die Alliierten die Unterschrift erzwingen. Die deutsche Seite hatte die Vertragsbedingungen zunächst als "unerträglich" zurückgewiesen. Jetzt gab sie nach. Von Thomas Morawetz (BR 2010)
Credits
Autor: Thomas Morawetz
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Beate Himmelstoß, Andreas Neumann, Thomas Loibl
Technik: Lydia Schön-Krimmer
Redaktion: Brigitte Reimer
Im Interview: Eberhard Kolb
Linktipps:
ARD alpha (2019): Gewaltfrieden – Die Legende vom Dolchstoß und der Vertrag von Versailles
Mai 1919: Deutschland hat den Krieg verloren, seinen Kaiser gestürzt und die Alliierten stehen einmarschbereit am Rhein. Der darauffolgende "Gewaltfrieden" von Versailles und dessen Instrumentalisierung trugen bereits den Keim des noch viel grausameren Zweiten Weltkriegs in sich. Basierend auf Originaldokumenten erzählt Regisseur Bernd Fischerauer in dem zweiteiligen Dokumentarspiel „Gewaltfrieden“ die bewegende Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zwischen Waffenstillstandsabkommen und Friedensvertrag. JETZT ANSEHEN
ZDF (2021): Der deutsche Abgrund – Saat der Gewalt 1918 – 1922
Am Anfang steht die Verheißung von alter Größe und neuer Ordnung, am Ende millionenfacher Mord. Was dazwischen liegt, ist eine Warnung der Geschichte. JETZT ANSEHEN
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:
TC 00:15 – Intro
TC 02:33 - Kapitulation
TC 06:34 – Die „Friedensmacher“
TC 11:33 – Eine neue Deutschlandkarte
TC 15:18 – Der Preis der Schuld
TC 22:13 – Vom Dolchstoß und Novemberverbrechern
TC 24:00 – Outro
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
TC 00:15 – Intro
ZITATOR (Liest monoton)
„Deutschland: 1.800.000 Tote. Frankreich: 1.400.000 Tote. Großbritannien: 910.000 Tote“
ERZÄHLERIN
Das Ende. Der große Krieg, der Weltkrieg, ist vorbei.
ZITATOR
„Österreich-Ungarn: 1.200.000 Tote. Russland: 1.700.000 Tote. USA: 115.000 Tote“
ERZÄHLER
Schlussstrich. Auf der ganzen Welt ist die Menschheit in die roten Zahlen geraten.
ZITATOR
„Italien: 460.000 Tote. Türkei : 320.000 Tote. Bulgarien : 90.000 Tote.“
ERZÄHLERIN
Doch nun soll der Frieden kommen, und mit ihm – die Rechnung.
ERZÄHLER
Die Rechnung. Wer muss sie bezahlen? Der Verlierer? Deutschland, das Kaiserreich Wilhelms II., ist sicher nicht der einzige Verlierer des Ersten Weltkriegs, aber der größte.
ERZÄHLERIN
Deutschland war die Führungsmacht der Mittelmächte mit Österreich-Ungarn, später schlossen sich das Osmanische Reich und Bulgarien an. Gewonnen haben die Mächte der Entente, Frankreich und Großbritannien. Russland ist am Ende ausgeschieden, das alte Zarenreich wurde weggefegt von Lenins Revolution. Dafür sind die USA auf Seiten der Entente in den Krieg eingetreten. Etwa drei Viertel der Erdbevölkerung sind am Ende in das große Töten verstrickt.
MUSIK
ERZÄHLER
Dann also der Zahltag. Am 28. Juni 1919 muss Deutschland im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles die „Rechnung“ unterschreiben. Der Vertrag beinhaltet drakonische Bestimmungen. Nach der Kriegskatastrophe eine Friedenskatastrophe, ein Schandfrieden, so sehen es in Deutschland die Politiker der jungen Weimarer Demokratie und auch die Bevölkerung. Die Deutschen fühlen sich zutiefst gedemütigt. Mit der Unterschrift unter den Versailler Vertrag sollen sie die Alleinschuld am Krieg eingestehen.
TC 02:33 - Kapitulation
ERZÄHLERIN
Die Szene im Versailler Spiegelsaal ist legendär. Sie ist die Inszenierung einer gewollten Demütigung. An die 1.000 Personen sind versammelt. Der britische Diplomat Harold Nicolson erinnert sich:
ZITATOR (Nicolson)
„Wir betreten den Spiegelsaal. Drüben, am anderen Ende steht die Presse bereits dicht gedrängt. In der Mitte steht eine hufeisenförmige Tafel für die Bevollmächtigten. Davor, wie eine Guillotine, der Tisch, an dem die Unterzeichnung vor sich gehen soll.“
ERZÄHLER
Der Regisseur der Inszenierung ist der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau, 77 Jahre alt. „Bringen Sie die Deutschen herein!“ befiehlt er den Saaldienern:
Kurz darauf schreiten Außenminister Herman Müller, ein Sozialdemokrat, und Johannes Bell, ein Zentrumsminister, mit gesenkten Blicken durch den Saal:
ZITATOR MÜLLER
„Wir fühlten, dass 1.000 Blicke auf uns gerichtet waren. Am Tisch angelangt, zog ich meinen Füllfederhalter und unterschrieb. Nach mir Dr. Bell. Zurück zu unseren Plätzen. Es war vorüber.“
ERZÄHLERIN
Die Unterzeichnung hätte auch an einem neutralen Ort stattfinden können. Aber der Spiegelsaal in Versailles wurde auf besonderen Wunsch Clemenceaus ausgewählt. Rund 50 Jahre zuvor, am 26. Februar 1871, mussten nämlich hier unter umgekehrten Vorzeichen die Franzosen den Vorfrieden von Versailles zum Ende des deutsch-französischen Kriegs unterzeichnen. Ein Schicksalsmoment in den deutsch-französischen Beziehungen. Denn gleichzeitig wurde der Preußenkönig Wilhelm zum Kaiser eines erstmals geeinten Deutschen Reichs ausgerufen worden.
ERZÄHLER
Frankreich wurde zur Zustimmung gezwungen: ein geeintes Deutschland als künftige neue Großmacht in Europa, als starker Konkurrent um einen Platz an der Sonne, im Kampf um Kolonien weltweit. Deutschland war zum französischen Trauma geworden. Und nun war der Tag der Rache gekommen.
ERZÄHLERIN
Die Verbitterung in Deutschland über diesen Frieden ist umso größer, als noch ein Jahr zuvor kaum jemand im Reich an eine Niederlage dachte. Zur Jahreswende 1917/18 scheint noch einmal alles offen: Russland ausgeschieden aus dem Krieg und die USA noch nicht so recht dabei. Jetzt oder nie! - heißt das im Frühjahr für die Oberste Heeresleitung, die OHL. Eberhard Kolb, Historiker an der Universität Köln:
Zusp. Kolb
„Es war klar, die Zeit arbeitet gegen Deutschland nach dem Kriegseintritt der USA. Und deshalb kam also die Entschlossenheit, möglichst rasch einen entscheidenden Erfolg an der Westfront zu erringen, das war die Frühjahrsoffensive „Michael“, die am 21. März begonnen hat, aber schon nach 14 Tagen im Wesentlichen gescheitert war ein Geländegewinn bis zu 60 km, aber nicht der strategische Durchbruch, der geplant war, der war nicht gelungen.“
ERZÄHLER
Doch die OHL mit den Generälen Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff gesteht den Misserfolg nicht ein, der Bevölkerung nicht und tragischerweise auch nicht der eigenen Regierung.
Zusp. Kolb
„Es war wahrscheinlich eine Stimmung so erwartungsvoll und hoffnungsvoll, wie sie nach dem Sommer 1914 nicht mehr gewesen war.“
ERZÄHLERIN
Dann, am 1. Oktober 1918 der Schock. Ludendorff schenkt – noch vor der Regierung! – seinen Offizieren reinen Wein ein: Es ist aus. Der Krieg ist verloren. Jetzt gebe es nur noch die Möglichkeit, in Deutschland wenigstens eine bolschewistische Revolution wie in Russland zu vermeiden: Sofort einen Waffenstillstand herbeiführen über den amerikanischen Präsidenten Wilson auf Grundlage seiner Vierzehn Punkte.
TC 06:34 – Die „Friedensmacher“
ERZÄHLER
Präsident Woodrow Wilson. Wenn der Franzose Clemenceau für die Ängste der Deutschen steht, bedeutet der Amerikaner Wilson für die Deutschen Hoffnung. Erst im Januar des Jahres hat er mit seinem Friedensprogramm großes Aufsehen erregt. Die wesentliche Idee: Die Welt braucht eine umfassende Friedensordnung, die auf dem Selbstbestimmungsrecht der Völker beruht.
ERZÄHLERIN
Wilson ist ein erklärter Gegner von autoritären Regierungen. Der deutsche Kaiser kann also nicht mit ihm verhandeln. Und so fällt die OHL im deutschen Hauptquartier eine dramatische Entscheidung: Man entschließt sich für eine „Revolution von oben“! Die vom Kaiser ernannte Reichsleitung wird aufgelöst. Eine neue Regierung soll übernehmen.
ERZÄHLER
Doch woher nehmen? Jetzt gelingt ein Coup, der viele spätere Propagandakämpfe um den Versailler Frieden einleitet: Bislang sind die Mehrheitsparteien im Reichstag, Sozialdemokraten, Liberale und katholisches Zentrum nicht an der Regierung beteiligt. Sie gelten als oppositionell, als unsichere Kantonisten.
ERZÄHLERIN
Opposition! Für die Generalität ein Phänomen nahe am Landesverrat. Jetzt, in der Stunde ihres militärischen Offenbarungseids kommt die Opposition gerade recht als Sündenbock. Ludendorff am 1. Oktober, als er die Niederlage eingesteht:
ZITATOR (Ludendorff)
„Die sollen nun den Frieden schließen, der geschlossen werden muss. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben.“
ERZÄHLER
Und genauso kommt es. Zunächst nimmt eine Übergangsregierung Kontakt zu Wilson auf.
Wochen später liegt die alliierte Antwort vor. Darin heißt es: Die Alliierten sind zum Friedensschluss mit Deutschland bereit auf der Basis der 14 Punkte Wilsons.
ERZÄHLERIN
Also geschafft? Ist jetzt der ersehnte „Wilson-Frieden“ in Reichweite? In Deutschland herrscht keine Entspannung. Denn inzwischen ist tatsächlich die Revolution ausgebrochen. Im ganzen Land bilden sich Soldatenräte. Im Chaos verkündet die Übergangsregierung die Abdankung des Kaisers – ohne dessen Zustimmung.
Zusp. Philipp Scheideman
„Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen, es lebe das Neue, es lebe die deutsche Republik!“
ERZÄHLER
Philipp Scheidemann am 9. November in Berlin. In letzter Sekunde ruft er die Republik aus, sonst hätten revolutionäre Truppen die bolschewistische Revolution verkündet. Am Tag darauf steht eine neue Regierung. Deutschland hat nun pünktlich zum Zusammenbruch eine Regierung aus Zivilisten.
ERZÄHLERIN
Inzwischen ist die deutsche Waffenstillstandskommission an die Westfront aufgebrochen. Eine nächtliche Fahrt führt in den Wald von Compiègne. Dort die erste direkte Begegnung mit dem Sieger, mit Marschall Foche, dem Verhandlungsführer der Alliierten. Das Treffen verläuft eisig. Deutschland muss sich fast völlig entwaffnen lassen. Gleich zu Beginn erklärt der Marschall:
ZITATOR
„Ich habe keine Vorschläge zu machen.“
ERZÄHLER
Das heißt: Verhandelt wird nicht – unterschreiben! Und so geschieht es. Am 11. November 1918 schweigen die Waffen nach über vier Jahren.
ERZÄHLERIN
Was für ein Dilemma! Die Deutschen, die nun den Frieden für ihr Land schließen müssen, sind nicht die Deutschen, die den Krieg vier Jahre lang verantwortlich geführt haben. Kaiser und Generäle haben sich bereits aus der Verantwortung gestohlen.
MUSIK
ERZÄHLER
Am 18. Januar 1919 beginnen in Paris die Friedensverhandlungen. Ohne Deutschland. Der Besiegte bleibt ausgeschlossen, wenn nun die „Friedensmacher“ die Rechnung aufstellen.
ERZÄHLERIN
Wer sind die Friedensmacher? Eine Vollversammlung der Siegermächte hat über 1000 Beteiligte, sie tritt nur selten zusammen. Aber immerhin: An den Verhandlungen in 58 Ausschüssen und etlichen Beraterstäben sind an die 10.000 Personen beteiligt. Die eigentlichen Hauptfiguren in Paris, die wahren Friedensmacher, sind jedoch die Männer im so genannten Rat der Vier: der Franzose Georges Clemenceau, der Amerikaner Woodrow Wilson, der Brite David Lloyd George und der Italiener Vittorio Emanuele Orlando, der sich jedoch bald zurückzieht.
ERZÄHLER
Der Programmchef ist Woodrow Wilson: Seine 14 Punkte sind die Grundlage aller Friedensanstrengungen. Und entsprechend pocht Wilson darauf, wenn der Friede Zukunft haben soll, muss er durch ein neues internationales politisches Gebilde gesichert werden – den Völkerbund.
ERZÄHLERIN
Tatsächlich wird eine entsprechende Völkerbundsatzung schon Mitte Februar verabschiedet. Das wichtigste Ziel der neuen Staatenorganisation ist die Sicherung der territorialen und politischen Unabhängigkeit der Mitgliedsstaaten.
TC 11:33 – Eine neue Deutschlandkarte
ERZÄHLER
Soweit, so gut, doch die Interessen Frankreichs sind weniger theoretisch. Frankreich hat klare Sicherheitsinteressen und Gebietsansprüche gegenüber Deutschland. Eberhard Kolb:
Zusp. Kolb
„Also, über Elsass-Lothringen brauchte nicht mehr diskutiert zu werden, das war von vorne herein entschieden, dass dieses ohne Volksabstimmung an Frankreich kommen würde. Das war in Wilsons Punkten schon so vorgesehen, darüber wurde nicht diskutiert. Was ist dann im Westen? Dann ist es das linksrheinische Deutschland. Und darum ging der Kampf. Saargebiet: Konnten Wilson und Lloyd-George verhindern, dass es einfach abgetreten würde an Frankreich, sondern man hat sich dann geeinigt, Verwaltung des Völkerbunds, wirtschaftlicher Anschluss an Frankreich, […] nach 15 Jahren eine Volksabstimmung, ob das Saargebiet zu Deutschland zurückkehren wollte, bei Frankreich bleiben wollte oder unter Völkerbundsverwaltung bleiben wollte. Das war also das Saargebiet. Aber das linksrheinische Deutschland war ja viel größer. […] Und hier war in den französischen Führungskreisen und zwar quer durch die politischen Gruppierungen schon seit 1914 und in den stärksten Bedrängnissen der Franzosen, war die Entschlossenheit, das linksrheinische Deutschland vom Reich abzutrennen, einhellig. Und darum wurde gekämpft.“
ERZÄHLERIN
Und Frankreich verliert. Die Briten wollen kein allzu mächtiges Frankreich, immerhin steht man weltweit in Konkurrenz zueinander in den Kolonialgebieten. Und Wilson – er fürchtet um seine gerechte Friedensordnung, wie so oft während dieser Wochen in Paris, wenn die Großen Drei immer wieder ihre Rollen wechseln, mal Haifisch in eigener Sache, mal Notarzt für die Welt. Weitgehend einig ist man sich allerdings bei den riesigen Gebietsverlusten, die Deutschland im Osten hinnehmen soll. Eberhard Kolb:
Zusp. Kolb
„Das heißt, dass also an Deutschlands Ostgrenze ein starker Staat entstehen muss, nämlich Polen, […] und dieses Polen also als Kern eines Cordon Sanitaire […] zwischen Deutschland und Russland, das zu diesem Zeitpunkt ja noch im Bürgerkrieg stand mit allerdings deutlichen Vorteilen für die Sowjetmacht …“
ERZÄHLER
Die Sowjetmacht! Gegen den Bolschewismus wollen die kapitalistischen Friedensmacher unbedingt einen Cordon Sanitaire, einen Sicherheitspuffer, einbauen! Denn im Bolschewismus fürchten sie eine unberechenbare Gefahr für ihre neue Weltordnung.
ERZÄHLERIN
Die Deutschen verlieren also große Gebiete im Osten. Der Verlust des größten Teils von Posen und Westpreußen an Polen, zeigt wie drastisch die Einbußen sind:
Auf der neuen Deutschlandkarte ist Ostpreußen plötzlich vom übrigen Reich abgeschnitten. Dazwischen liegt künftig der so genannte Danziger Korridor. Ohne Volksabstimmung, wie es Wilsons Gedanke der Selbstbestimmung der Völker eigentlich verlangen würde.
ERZÄHLER
Im Westen wie im Osten verliert Deutschland insgesamt über ein Achtel seines Staatsgebiets und über ein Zehntel seiner Bevölkerung. 15% der landwirtschaftlichen Produktion gehen verloren, 50% der Eisenerzversorgung, 25% der Steinkohleförderung.
ERZÄHLERIN
Ganz zu schweigen vom Verlust der deutschen Kolonien mit einer Ländermasse von der sechsfachen Größe Deutschlands. Mit den Kolonien verliert Deutschland auch seine Flotte. Der Vertrag gestattet Deutschland nur noch 15.000 Mann Marine. Vor allem die Briten haben ein großes Interesse daran, den früher so ehrgeizigen Konkurrenten auf den Weltmeeren auszuschalten.
TC 15:18 – Der Preis der Schuld
ERZÄHLER
Noch härter trifft Deutschland die Beschränkung seiner Armee auf 100.000 Mann Berufsheer. Verboten sind künftig auch moderne Waffen, also Panzer, U-Boote und Luftwaffe.
ERZÄHLERIN
Dann die wirtschaftlichen Bestimmungen des Vertrags: kompliziert im Detail und widersprüchlich in der großen Linie. Einerseits sollen die deutschen Ressourcen extrem beansprucht werden, andererseits soll Deutschland erhebliche Reparationsleistungen bezahlen.
ERZÄHLER
Das Stichwort Reparationen berührt wie keine andere Bestimmung den Charakter des Vertrags. Wie hoch wird also die Rechnung, die Deutschland materiell begleichen soll? Unter den Großen Drei steht Wilson in dieser Frage allein. Eberhard Kolb:
Zusp. Kolb
„Franzosen und Engländer waren in diesem Punkt sich einiger. Vor allem eben die Engländer, die hätten bei der ursprünglichen Formulierung, dass nur Kriegsschäden ersetzt werden – wären sie relativ leer ausgegangen, denn in Großbritannien gab es praktisch keine eigentlichen Kriegszerstörungen, wohl aber gab es viele tote Briten, deren Familien versorgt werden mussten. Aus diesem Grund haben die Briten ganz energisch eine Ausweitung des Reparationsbegriffes verlangt, und auf diese Weise kamen eben die exorbitanten Reparationsforderungen zustande, denen sich die Franzosen sich natürlich auch angeschlossen haben, die aber im Vertrag selbst nicht beziffert sind. Es wurde im Vertrag nur festgelegt, dass 1921 eine Reparationskommission die Zahlen dann erarbeiten sollte, und 1921 diese Zahlen den Deutschen mit einem Zahlungsplan zugestellt würden.“
ERZÄHLERIN
Auch wenn die genaue Höhe der Summe einstweilen noch offen bleibt, soviel ist gewiss: Deutschland soll im Grunde für die gesamten Kriegskosten seiner Gegner aufkommen – eine unglaubliche Summe steht damit im Raum!
ERZÄHLER
Wie soll das begründet werden? Immerhin verstehen sich die Friedensmacher als Gestalter eines Rechtsfriedens und nicht eines Gewaltfriedens, bei dem der Sieger den Gegner einfach ausnimmt. Um also ihre Ansprüche zu begründen, schreiben sie den später berüchtigten Artikel 231 in den Vertrag. In dem heißt es:
MUSIK
ZITATOR:
„Deutschland erkennt an, dass Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und alle Schäden verantwortlich sind, welche die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Angehörigen des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben.“
ERZÄHLERIN
Bis heute wird der Artikel leidenschaftlich diskutiert. Behauptet er eine moralische Alleinschuld Deutschlands an der Gesamtkatastrophe des Ersten Weltkriegs? Oder nur eine juristische Verantwortung? Immerhin ist hier noch von Deutschland und seinen Verbündeten gemeinsam die Rede. Doch davon rücken die Alliierten später ab. In Deutschland jedenfalls wird dieser Artikel für einen Aufschrei der Empörung sorgen. Durch ihn bekommt Versailles das Stigma „Schandfrieden“.
ERZÄHLER
Noch ahnt in Deutschland niemand, was sich in Paris zusammenbraut. Solange die Sieger verhandeln, heißt es abwarten. Ende April, bricht die Friedensdelegation endlich auf nach Versailles. Am 7. Mai übergibt Clemenceau dem deutschen Außenminister Ulrich Graf Brockdorff-Rantzau die Friedensbedingungen mit den Worten:
ZITATOR (Clemenceau)
„Die Stunde der Abrechnung ist da. Sie haben um Frieden gebeten, wir sind geneigt, ihn Ihnen zu geben.“
ERZÄHLERIN
Ein klarer Ton. Brockdorff-Rantzau würzt seine Antwortrede mit einer provozierenden Geste. Demonstrativ bleibt er sitzen. Vor Wut zerbricht Lloyd George einen Brieföffner, Clemenceau läuft rot an. Nach Bekanntwerden der Friedensbedingungen sind die Deutschen hell entsetzt.
ERZÄHLER
Fünf Tage später, Berlin: Krisensitzung der Nationalversammlung. Reichsministerpräsident Philipp Scheidemann von den Sozialdemokraten ist außer sich:
ZITATOR (Scheidemann)
„Welche Hand müsste nicht verdorren, die sich und uns in diese Fesseln legt?“
ERZÄHLERIN
Rettungsversuche. Die deutsche Delegation in Versailles im Notenwechsel mit den Siegern. Doch am Ende lässt sich am Vertrag nicht rütteln. Am 16. Juni präsentieren die Sieger eine Mantelnote …
Zusp. Kolb
„[…] und da wurde nun die deutsche Kriegsschuld viel schärfer formuliert, als in dem Artikel 231, wo nur von einer Haftung die Rede ist.“
ERZÄHLER
Nun heißt es:
MUSIK
ZITATOR (Alliierte Mantelnote)
„Indessen beschränkt sich die Verantwortlichkeit Deutschlands nicht auf die Tatsache, den Krieg gewollt und entfesselt zu haben. Deutschland ist in gleicher Weise für die rohe und unmenschliche Art, auf die er geführt wurde, verantwortlich.“
ERZÄHLERIN
Gewollt und entfesselt: Damit sind die Ereignisse vom Juli 1914 gemeint, die zum unmittelbaren Kriegsbeginn geführt hatten. Tatsächlich ist die deutsche Verantwortung für den Ausbruch der Feindseligkeiten in diesen Tagen unbestreitbar. Doch diese Perspektive berücksichtigt die weiteren Zusammenhänge nicht, sie ist bis heute umstritten. Für die Deutschen in Versailles steht jedenfalls unbedingt fest: Der Große Krieg war ein Verteidigungskrieg. Jetzt daran die Alleinschuld tragen zu sollen, ist blanke Infamie.
ERZÄHLER
Mit der Mantelnote ergeht ein Ultimatum. Wenn Deutschland nicht unterschreibt, werden die Kampfhandlungen wieder aufgenommen. Die Truppen dazu sind bereits am Rhein stationiert.
ERZÄHLERIN
Die nächsten Tage bis zum 23. Juni ringen in Deutschland Kabinett und Fraktionen. Was soll man tun?! Was kann man wagen? Deutschland ist keiner neuen Konfrontation mehr gewachsen.
ERZÄHLER
Ein allerletzter Versuch: Deutschland sei zum Einlenken bereit – allerdings mit Vorbehalt! Ohne die Kriegsschuld anzuerkennen!
ERZÄHLERIN
Die Alliierten lehnen ab. In dieser Situation spricht sich Reichsministerpräsident Gustav Bauer für die Annahme des Friedens aus. Seine Rede ist auf einem Tondokument erhalten:
Zusp. Gustav Bauer
„[…] hier wird ein besiegtes Volk an Leib und Seele vergewaltigt … Meine Damen und Herren, kein Protest heute mehr, keinen Sturm der Empörung – unterschreiben wir! Das ist der Vorschlag, den ich Ihnen im Namen des gesamten Kabinetts machen muss. Die Gründe, die uns zu diesem Vorschlag zwingen, sind dieselben wie gestern. Nur trennt uns jetzt eine Frist von knappen vier Stunden vor der Wiederaufnahme der Feindseligkeit.“
ERZÄHLER
Die Deutschen nehmen den Frieden an. Tage später fährt der Zug nach Versailles.
TC 22:13 – Vom Dolchstoß und Novemberverbrechern
ERZÄHLERIN
In Deutschland wird der Frieden nicht verwunden. Er wird zur schweren Belastung für die Weimarer Demokratie. Ausgerechnet die Generäle Hindenburg und Ludendorff bringen das Schlagwort vom Dolchstoß unter die enttäuschten Massen. Nicht das Militär, die Zivilisten hätten den Krieg verloren! Allen voran die Novemberverbrecher, die den Waffenstillstand eingeleitet hatten. Eberhard Kolb:
Zusp. Kolb
„[…] und dann kam ja schnell in Umlauf die Vorstellung, […] im Felde unbesiegt hat das deutsche Volk kapituliert, im Felde unbesiegt, was eine schlichte Unwahrheit ist, denn gerade weil die Deutschen im Felde besiegt waren, kam die Kapitulation zustande.“
ERZÄHLER
Am 10. Januar 1920 tritt der Vertrag endgültig in Kraft. Bald kommt es zu schweren Krisen, weil Deutschland mit den Reparationen in Verzug kommt. Erst mit dem Abkommen von Lausanne im Juli 1932 werden die Zahlungen praktisch beendet. Bis dahin hat Deutschland zwar enorme Summen, aber dennoch nur einen Bruchteil der geforderten Reparationen bezahlt.
ERZÄHLERIN
Ein halbes Jahr später wird Hitler Reichskanzler. Sofort fliegen ihm die Herzen der Reichswehrelite zu. Er verspricht, den Versailler Vertrag endgültig zu erledigen, er verspricht die verlorengegangenen Gebiete zurückzuholen. Er verspricht, die alte Herrlichkeit des Militärs wieder herzustellen. Und noch viel mehr. Der Versailler Vertrag – ein Frieden auf schiefer Ebene, ein Frieden, der direkt in den nächsten Krieg führen wird.
MUSIK
TC 24:00 – Outro
365 Episoden
Manage episode 431769695 series 2822647
Die Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs waren gerade erst ein halbes Jahr eingestellt, doch nun standen alliierte Truppen bereit, um in Deutschland einzumarschieren. Ende Juni 1919 sollte die deutsche Delegation ultimativ die Bestimmungen des Versailler Vertrags unterzeichnen, sonst wollten die Alliierten die Unterschrift erzwingen. Die deutsche Seite hatte die Vertragsbedingungen zunächst als "unerträglich" zurückgewiesen. Jetzt gab sie nach. Von Thomas Morawetz (BR 2010)
Credits
Autor: Thomas Morawetz
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Beate Himmelstoß, Andreas Neumann, Thomas Loibl
Technik: Lydia Schön-Krimmer
Redaktion: Brigitte Reimer
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Mai 1919: Deutschland hat den Krieg verloren, seinen Kaiser gestürzt und die Alliierten stehen einmarschbereit am Rhein. Der darauffolgende "Gewaltfrieden" von Versailles und dessen Instrumentalisierung trugen bereits den Keim des noch viel grausameren Zweiten Weltkriegs in sich. Basierend auf Originaldokumenten erzählt Regisseur Bernd Fischerauer in dem zweiteiligen Dokumentarspiel „Gewaltfrieden“ die bewegende Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zwischen Waffenstillstandsabkommen und Friedensvertrag. JETZT ANSEHEN
ZDF (2021): Der deutsche Abgrund – Saat der Gewalt 1918 – 1922
Am Anfang steht die Verheißung von alter Größe und neuer Ordnung, am Ende millionenfacher Mord. Was dazwischen liegt, ist eine Warnung der Geschichte. JETZT ANSEHEN
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:
TC 00:15 – Intro
TC 02:33 - Kapitulation
TC 06:34 – Die „Friedensmacher“
TC 11:33 – Eine neue Deutschlandkarte
TC 15:18 – Der Preis der Schuld
TC 22:13 – Vom Dolchstoß und Novemberverbrechern
TC 24:00 – Outro
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
TC 00:15 – Intro
ZITATOR (Liest monoton)
„Deutschland: 1.800.000 Tote. Frankreich: 1.400.000 Tote. Großbritannien: 910.000 Tote“
ERZÄHLERIN
Das Ende. Der große Krieg, der Weltkrieg, ist vorbei.
ZITATOR
„Österreich-Ungarn: 1.200.000 Tote. Russland: 1.700.000 Tote. USA: 115.000 Tote“
ERZÄHLER
Schlussstrich. Auf der ganzen Welt ist die Menschheit in die roten Zahlen geraten.
ZITATOR
„Italien: 460.000 Tote. Türkei : 320.000 Tote. Bulgarien : 90.000 Tote.“
ERZÄHLERIN
Doch nun soll der Frieden kommen, und mit ihm – die Rechnung.
ERZÄHLER
Die Rechnung. Wer muss sie bezahlen? Der Verlierer? Deutschland, das Kaiserreich Wilhelms II., ist sicher nicht der einzige Verlierer des Ersten Weltkriegs, aber der größte.
ERZÄHLERIN
Deutschland war die Führungsmacht der Mittelmächte mit Österreich-Ungarn, später schlossen sich das Osmanische Reich und Bulgarien an. Gewonnen haben die Mächte der Entente, Frankreich und Großbritannien. Russland ist am Ende ausgeschieden, das alte Zarenreich wurde weggefegt von Lenins Revolution. Dafür sind die USA auf Seiten der Entente in den Krieg eingetreten. Etwa drei Viertel der Erdbevölkerung sind am Ende in das große Töten verstrickt.
MUSIK
ERZÄHLER
Dann also der Zahltag. Am 28. Juni 1919 muss Deutschland im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles die „Rechnung“ unterschreiben. Der Vertrag beinhaltet drakonische Bestimmungen. Nach der Kriegskatastrophe eine Friedenskatastrophe, ein Schandfrieden, so sehen es in Deutschland die Politiker der jungen Weimarer Demokratie und auch die Bevölkerung. Die Deutschen fühlen sich zutiefst gedemütigt. Mit der Unterschrift unter den Versailler Vertrag sollen sie die Alleinschuld am Krieg eingestehen.
TC 02:33 - Kapitulation
ERZÄHLERIN
Die Szene im Versailler Spiegelsaal ist legendär. Sie ist die Inszenierung einer gewollten Demütigung. An die 1.000 Personen sind versammelt. Der britische Diplomat Harold Nicolson erinnert sich:
ZITATOR (Nicolson)
„Wir betreten den Spiegelsaal. Drüben, am anderen Ende steht die Presse bereits dicht gedrängt. In der Mitte steht eine hufeisenförmige Tafel für die Bevollmächtigten. Davor, wie eine Guillotine, der Tisch, an dem die Unterzeichnung vor sich gehen soll.“
ERZÄHLER
Der Regisseur der Inszenierung ist der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau, 77 Jahre alt. „Bringen Sie die Deutschen herein!“ befiehlt er den Saaldienern:
Kurz darauf schreiten Außenminister Herman Müller, ein Sozialdemokrat, und Johannes Bell, ein Zentrumsminister, mit gesenkten Blicken durch den Saal:
ZITATOR MÜLLER
„Wir fühlten, dass 1.000 Blicke auf uns gerichtet waren. Am Tisch angelangt, zog ich meinen Füllfederhalter und unterschrieb. Nach mir Dr. Bell. Zurück zu unseren Plätzen. Es war vorüber.“
ERZÄHLERIN
Die Unterzeichnung hätte auch an einem neutralen Ort stattfinden können. Aber der Spiegelsaal in Versailles wurde auf besonderen Wunsch Clemenceaus ausgewählt. Rund 50 Jahre zuvor, am 26. Februar 1871, mussten nämlich hier unter umgekehrten Vorzeichen die Franzosen den Vorfrieden von Versailles zum Ende des deutsch-französischen Kriegs unterzeichnen. Ein Schicksalsmoment in den deutsch-französischen Beziehungen. Denn gleichzeitig wurde der Preußenkönig Wilhelm zum Kaiser eines erstmals geeinten Deutschen Reichs ausgerufen worden.
ERZÄHLER
Frankreich wurde zur Zustimmung gezwungen: ein geeintes Deutschland als künftige neue Großmacht in Europa, als starker Konkurrent um einen Platz an der Sonne, im Kampf um Kolonien weltweit. Deutschland war zum französischen Trauma geworden. Und nun war der Tag der Rache gekommen.
ERZÄHLERIN
Die Verbitterung in Deutschland über diesen Frieden ist umso größer, als noch ein Jahr zuvor kaum jemand im Reich an eine Niederlage dachte. Zur Jahreswende 1917/18 scheint noch einmal alles offen: Russland ausgeschieden aus dem Krieg und die USA noch nicht so recht dabei. Jetzt oder nie! - heißt das im Frühjahr für die Oberste Heeresleitung, die OHL. Eberhard Kolb, Historiker an der Universität Köln:
Zusp. Kolb
„Es war klar, die Zeit arbeitet gegen Deutschland nach dem Kriegseintritt der USA. Und deshalb kam also die Entschlossenheit, möglichst rasch einen entscheidenden Erfolg an der Westfront zu erringen, das war die Frühjahrsoffensive „Michael“, die am 21. März begonnen hat, aber schon nach 14 Tagen im Wesentlichen gescheitert war ein Geländegewinn bis zu 60 km, aber nicht der strategische Durchbruch, der geplant war, der war nicht gelungen.“
ERZÄHLER
Doch die OHL mit den Generälen Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff gesteht den Misserfolg nicht ein, der Bevölkerung nicht und tragischerweise auch nicht der eigenen Regierung.
Zusp. Kolb
„Es war wahrscheinlich eine Stimmung so erwartungsvoll und hoffnungsvoll, wie sie nach dem Sommer 1914 nicht mehr gewesen war.“
ERZÄHLERIN
Dann, am 1. Oktober 1918 der Schock. Ludendorff schenkt – noch vor der Regierung! – seinen Offizieren reinen Wein ein: Es ist aus. Der Krieg ist verloren. Jetzt gebe es nur noch die Möglichkeit, in Deutschland wenigstens eine bolschewistische Revolution wie in Russland zu vermeiden: Sofort einen Waffenstillstand herbeiführen über den amerikanischen Präsidenten Wilson auf Grundlage seiner Vierzehn Punkte.
TC 06:34 – Die „Friedensmacher“
ERZÄHLER
Präsident Woodrow Wilson. Wenn der Franzose Clemenceau für die Ängste der Deutschen steht, bedeutet der Amerikaner Wilson für die Deutschen Hoffnung. Erst im Januar des Jahres hat er mit seinem Friedensprogramm großes Aufsehen erregt. Die wesentliche Idee: Die Welt braucht eine umfassende Friedensordnung, die auf dem Selbstbestimmungsrecht der Völker beruht.
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Wilson ist ein erklärter Gegner von autoritären Regierungen. Der deutsche Kaiser kann also nicht mit ihm verhandeln. Und so fällt die OHL im deutschen Hauptquartier eine dramatische Entscheidung: Man entschließt sich für eine „Revolution von oben“! Die vom Kaiser ernannte Reichsleitung wird aufgelöst. Eine neue Regierung soll übernehmen.
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Doch woher nehmen? Jetzt gelingt ein Coup, der viele spätere Propagandakämpfe um den Versailler Frieden einleitet: Bislang sind die Mehrheitsparteien im Reichstag, Sozialdemokraten, Liberale und katholisches Zentrum nicht an der Regierung beteiligt. Sie gelten als oppositionell, als unsichere Kantonisten.
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Opposition! Für die Generalität ein Phänomen nahe am Landesverrat. Jetzt, in der Stunde ihres militärischen Offenbarungseids kommt die Opposition gerade recht als Sündenbock. Ludendorff am 1. Oktober, als er die Niederlage eingesteht:
ZITATOR (Ludendorff)
„Die sollen nun den Frieden schließen, der geschlossen werden muss. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben.“
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Und genauso kommt es. Zunächst nimmt eine Übergangsregierung Kontakt zu Wilson auf.
Wochen später liegt die alliierte Antwort vor. Darin heißt es: Die Alliierten sind zum Friedensschluss mit Deutschland bereit auf der Basis der 14 Punkte Wilsons.
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Also geschafft? Ist jetzt der ersehnte „Wilson-Frieden“ in Reichweite? In Deutschland herrscht keine Entspannung. Denn inzwischen ist tatsächlich die Revolution ausgebrochen. Im ganzen Land bilden sich Soldatenräte. Im Chaos verkündet die Übergangsregierung die Abdankung des Kaisers – ohne dessen Zustimmung.
Zusp. Philipp Scheideman
„Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen, es lebe das Neue, es lebe die deutsche Republik!“
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Philipp Scheidemann am 9. November in Berlin. In letzter Sekunde ruft er die Republik aus, sonst hätten revolutionäre Truppen die bolschewistische Revolution verkündet. Am Tag darauf steht eine neue Regierung. Deutschland hat nun pünktlich zum Zusammenbruch eine Regierung aus Zivilisten.
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Inzwischen ist die deutsche Waffenstillstandskommission an die Westfront aufgebrochen. Eine nächtliche Fahrt führt in den Wald von Compiègne. Dort die erste direkte Begegnung mit dem Sieger, mit Marschall Foche, dem Verhandlungsführer der Alliierten. Das Treffen verläuft eisig. Deutschland muss sich fast völlig entwaffnen lassen. Gleich zu Beginn erklärt der Marschall:
ZITATOR
„Ich habe keine Vorschläge zu machen.“
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Das heißt: Verhandelt wird nicht – unterschreiben! Und so geschieht es. Am 11. November 1918 schweigen die Waffen nach über vier Jahren.
ERZÄHLERIN
Was für ein Dilemma! Die Deutschen, die nun den Frieden für ihr Land schließen müssen, sind nicht die Deutschen, die den Krieg vier Jahre lang verantwortlich geführt haben. Kaiser und Generäle haben sich bereits aus der Verantwortung gestohlen.
MUSIK
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Am 18. Januar 1919 beginnen in Paris die Friedensverhandlungen. Ohne Deutschland. Der Besiegte bleibt ausgeschlossen, wenn nun die „Friedensmacher“ die Rechnung aufstellen.
ERZÄHLERIN
Wer sind die Friedensmacher? Eine Vollversammlung der Siegermächte hat über 1000 Beteiligte, sie tritt nur selten zusammen. Aber immerhin: An den Verhandlungen in 58 Ausschüssen und etlichen Beraterstäben sind an die 10.000 Personen beteiligt. Die eigentlichen Hauptfiguren in Paris, die wahren Friedensmacher, sind jedoch die Männer im so genannten Rat der Vier: der Franzose Georges Clemenceau, der Amerikaner Woodrow Wilson, der Brite David Lloyd George und der Italiener Vittorio Emanuele Orlando, der sich jedoch bald zurückzieht.
ERZÄHLER
Der Programmchef ist Woodrow Wilson: Seine 14 Punkte sind die Grundlage aller Friedensanstrengungen. Und entsprechend pocht Wilson darauf, wenn der Friede Zukunft haben soll, muss er durch ein neues internationales politisches Gebilde gesichert werden – den Völkerbund.
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Tatsächlich wird eine entsprechende Völkerbundsatzung schon Mitte Februar verabschiedet. Das wichtigste Ziel der neuen Staatenorganisation ist die Sicherung der territorialen und politischen Unabhängigkeit der Mitgliedsstaaten.
TC 11:33 – Eine neue Deutschlandkarte
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Soweit, so gut, doch die Interessen Frankreichs sind weniger theoretisch. Frankreich hat klare Sicherheitsinteressen und Gebietsansprüche gegenüber Deutschland. Eberhard Kolb:
Zusp. Kolb
„Also, über Elsass-Lothringen brauchte nicht mehr diskutiert zu werden, das war von vorne herein entschieden, dass dieses ohne Volksabstimmung an Frankreich kommen würde. Das war in Wilsons Punkten schon so vorgesehen, darüber wurde nicht diskutiert. Was ist dann im Westen? Dann ist es das linksrheinische Deutschland. Und darum ging der Kampf. Saargebiet: Konnten Wilson und Lloyd-George verhindern, dass es einfach abgetreten würde an Frankreich, sondern man hat sich dann geeinigt, Verwaltung des Völkerbunds, wirtschaftlicher Anschluss an Frankreich, […] nach 15 Jahren eine Volksabstimmung, ob das Saargebiet zu Deutschland zurückkehren wollte, bei Frankreich bleiben wollte oder unter Völkerbundsverwaltung bleiben wollte. Das war also das Saargebiet. Aber das linksrheinische Deutschland war ja viel größer. […] Und hier war in den französischen Führungskreisen und zwar quer durch die politischen Gruppierungen schon seit 1914 und in den stärksten Bedrängnissen der Franzosen, war die Entschlossenheit, das linksrheinische Deutschland vom Reich abzutrennen, einhellig. Und darum wurde gekämpft.“
ERZÄHLERIN
Und Frankreich verliert. Die Briten wollen kein allzu mächtiges Frankreich, immerhin steht man weltweit in Konkurrenz zueinander in den Kolonialgebieten. Und Wilson – er fürchtet um seine gerechte Friedensordnung, wie so oft während dieser Wochen in Paris, wenn die Großen Drei immer wieder ihre Rollen wechseln, mal Haifisch in eigener Sache, mal Notarzt für die Welt. Weitgehend einig ist man sich allerdings bei den riesigen Gebietsverlusten, die Deutschland im Osten hinnehmen soll. Eberhard Kolb:
Zusp. Kolb
„Das heißt, dass also an Deutschlands Ostgrenze ein starker Staat entstehen muss, nämlich Polen, […] und dieses Polen also als Kern eines Cordon Sanitaire […] zwischen Deutschland und Russland, das zu diesem Zeitpunkt ja noch im Bürgerkrieg stand mit allerdings deutlichen Vorteilen für die Sowjetmacht …“
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Die Sowjetmacht! Gegen den Bolschewismus wollen die kapitalistischen Friedensmacher unbedingt einen Cordon Sanitaire, einen Sicherheitspuffer, einbauen! Denn im Bolschewismus fürchten sie eine unberechenbare Gefahr für ihre neue Weltordnung.
ERZÄHLERIN
Die Deutschen verlieren also große Gebiete im Osten. Der Verlust des größten Teils von Posen und Westpreußen an Polen, zeigt wie drastisch die Einbußen sind:
Auf der neuen Deutschlandkarte ist Ostpreußen plötzlich vom übrigen Reich abgeschnitten. Dazwischen liegt künftig der so genannte Danziger Korridor. Ohne Volksabstimmung, wie es Wilsons Gedanke der Selbstbestimmung der Völker eigentlich verlangen würde.
ERZÄHLER
Im Westen wie im Osten verliert Deutschland insgesamt über ein Achtel seines Staatsgebiets und über ein Zehntel seiner Bevölkerung. 15% der landwirtschaftlichen Produktion gehen verloren, 50% der Eisenerzversorgung, 25% der Steinkohleförderung.
ERZÄHLERIN
Ganz zu schweigen vom Verlust der deutschen Kolonien mit einer Ländermasse von der sechsfachen Größe Deutschlands. Mit den Kolonien verliert Deutschland auch seine Flotte. Der Vertrag gestattet Deutschland nur noch 15.000 Mann Marine. Vor allem die Briten haben ein großes Interesse daran, den früher so ehrgeizigen Konkurrenten auf den Weltmeeren auszuschalten.
TC 15:18 – Der Preis der Schuld
ERZÄHLER
Noch härter trifft Deutschland die Beschränkung seiner Armee auf 100.000 Mann Berufsheer. Verboten sind künftig auch moderne Waffen, also Panzer, U-Boote und Luftwaffe.
ERZÄHLERIN
Dann die wirtschaftlichen Bestimmungen des Vertrags: kompliziert im Detail und widersprüchlich in der großen Linie. Einerseits sollen die deutschen Ressourcen extrem beansprucht werden, andererseits soll Deutschland erhebliche Reparationsleistungen bezahlen.
ERZÄHLER
Das Stichwort Reparationen berührt wie keine andere Bestimmung den Charakter des Vertrags. Wie hoch wird also die Rechnung, die Deutschland materiell begleichen soll? Unter den Großen Drei steht Wilson in dieser Frage allein. Eberhard Kolb:
Zusp. Kolb
„Franzosen und Engländer waren in diesem Punkt sich einiger. Vor allem eben die Engländer, die hätten bei der ursprünglichen Formulierung, dass nur Kriegsschäden ersetzt werden – wären sie relativ leer ausgegangen, denn in Großbritannien gab es praktisch keine eigentlichen Kriegszerstörungen, wohl aber gab es viele tote Briten, deren Familien versorgt werden mussten. Aus diesem Grund haben die Briten ganz energisch eine Ausweitung des Reparationsbegriffes verlangt, und auf diese Weise kamen eben die exorbitanten Reparationsforderungen zustande, denen sich die Franzosen sich natürlich auch angeschlossen haben, die aber im Vertrag selbst nicht beziffert sind. Es wurde im Vertrag nur festgelegt, dass 1921 eine Reparationskommission die Zahlen dann erarbeiten sollte, und 1921 diese Zahlen den Deutschen mit einem Zahlungsplan zugestellt würden.“
ERZÄHLERIN
Auch wenn die genaue Höhe der Summe einstweilen noch offen bleibt, soviel ist gewiss: Deutschland soll im Grunde für die gesamten Kriegskosten seiner Gegner aufkommen – eine unglaubliche Summe steht damit im Raum!
ERZÄHLER
Wie soll das begründet werden? Immerhin verstehen sich die Friedensmacher als Gestalter eines Rechtsfriedens und nicht eines Gewaltfriedens, bei dem der Sieger den Gegner einfach ausnimmt. Um also ihre Ansprüche zu begründen, schreiben sie den später berüchtigten Artikel 231 in den Vertrag. In dem heißt es:
MUSIK
ZITATOR:
„Deutschland erkennt an, dass Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und alle Schäden verantwortlich sind, welche die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Angehörigen des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben.“
ERZÄHLERIN
Bis heute wird der Artikel leidenschaftlich diskutiert. Behauptet er eine moralische Alleinschuld Deutschlands an der Gesamtkatastrophe des Ersten Weltkriegs? Oder nur eine juristische Verantwortung? Immerhin ist hier noch von Deutschland und seinen Verbündeten gemeinsam die Rede. Doch davon rücken die Alliierten später ab. In Deutschland jedenfalls wird dieser Artikel für einen Aufschrei der Empörung sorgen. Durch ihn bekommt Versailles das Stigma „Schandfrieden“.
ERZÄHLER
Noch ahnt in Deutschland niemand, was sich in Paris zusammenbraut. Solange die Sieger verhandeln, heißt es abwarten. Ende April, bricht die Friedensdelegation endlich auf nach Versailles. Am 7. Mai übergibt Clemenceau dem deutschen Außenminister Ulrich Graf Brockdorff-Rantzau die Friedensbedingungen mit den Worten:
ZITATOR (Clemenceau)
„Die Stunde der Abrechnung ist da. Sie haben um Frieden gebeten, wir sind geneigt, ihn Ihnen zu geben.“
ERZÄHLERIN
Ein klarer Ton. Brockdorff-Rantzau würzt seine Antwortrede mit einer provozierenden Geste. Demonstrativ bleibt er sitzen. Vor Wut zerbricht Lloyd George einen Brieföffner, Clemenceau läuft rot an. Nach Bekanntwerden der Friedensbedingungen sind die Deutschen hell entsetzt.
ERZÄHLER
Fünf Tage später, Berlin: Krisensitzung der Nationalversammlung. Reichsministerpräsident Philipp Scheidemann von den Sozialdemokraten ist außer sich:
ZITATOR (Scheidemann)
„Welche Hand müsste nicht verdorren, die sich und uns in diese Fesseln legt?“
ERZÄHLERIN
Rettungsversuche. Die deutsche Delegation in Versailles im Notenwechsel mit den Siegern. Doch am Ende lässt sich am Vertrag nicht rütteln. Am 16. Juni präsentieren die Sieger eine Mantelnote …
Zusp. Kolb
„[…] und da wurde nun die deutsche Kriegsschuld viel schärfer formuliert, als in dem Artikel 231, wo nur von einer Haftung die Rede ist.“
ERZÄHLER
Nun heißt es:
MUSIK
ZITATOR (Alliierte Mantelnote)
„Indessen beschränkt sich die Verantwortlichkeit Deutschlands nicht auf die Tatsache, den Krieg gewollt und entfesselt zu haben. Deutschland ist in gleicher Weise für die rohe und unmenschliche Art, auf die er geführt wurde, verantwortlich.“
ERZÄHLERIN
Gewollt und entfesselt: Damit sind die Ereignisse vom Juli 1914 gemeint, die zum unmittelbaren Kriegsbeginn geführt hatten. Tatsächlich ist die deutsche Verantwortung für den Ausbruch der Feindseligkeiten in diesen Tagen unbestreitbar. Doch diese Perspektive berücksichtigt die weiteren Zusammenhänge nicht, sie ist bis heute umstritten. Für die Deutschen in Versailles steht jedenfalls unbedingt fest: Der Große Krieg war ein Verteidigungskrieg. Jetzt daran die Alleinschuld tragen zu sollen, ist blanke Infamie.
ERZÄHLER
Mit der Mantelnote ergeht ein Ultimatum. Wenn Deutschland nicht unterschreibt, werden die Kampfhandlungen wieder aufgenommen. Die Truppen dazu sind bereits am Rhein stationiert.
ERZÄHLERIN
Die nächsten Tage bis zum 23. Juni ringen in Deutschland Kabinett und Fraktionen. Was soll man tun?! Was kann man wagen? Deutschland ist keiner neuen Konfrontation mehr gewachsen.
ERZÄHLER
Ein allerletzter Versuch: Deutschland sei zum Einlenken bereit – allerdings mit Vorbehalt! Ohne die Kriegsschuld anzuerkennen!
ERZÄHLERIN
Die Alliierten lehnen ab. In dieser Situation spricht sich Reichsministerpräsident Gustav Bauer für die Annahme des Friedens aus. Seine Rede ist auf einem Tondokument erhalten:
Zusp. Gustav Bauer
„[…] hier wird ein besiegtes Volk an Leib und Seele vergewaltigt … Meine Damen und Herren, kein Protest heute mehr, keinen Sturm der Empörung – unterschreiben wir! Das ist der Vorschlag, den ich Ihnen im Namen des gesamten Kabinetts machen muss. Die Gründe, die uns zu diesem Vorschlag zwingen, sind dieselben wie gestern. Nur trennt uns jetzt eine Frist von knappen vier Stunden vor der Wiederaufnahme der Feindseligkeit.“
ERZÄHLER
Die Deutschen nehmen den Frieden an. Tage später fährt der Zug nach Versailles.
TC 22:13 – Vom Dolchstoß und Novemberverbrechern
ERZÄHLERIN
In Deutschland wird der Frieden nicht verwunden. Er wird zur schweren Belastung für die Weimarer Demokratie. Ausgerechnet die Generäle Hindenburg und Ludendorff bringen das Schlagwort vom Dolchstoß unter die enttäuschten Massen. Nicht das Militär, die Zivilisten hätten den Krieg verloren! Allen voran die Novemberverbrecher, die den Waffenstillstand eingeleitet hatten. Eberhard Kolb:
Zusp. Kolb
„[…] und dann kam ja schnell in Umlauf die Vorstellung, […] im Felde unbesiegt hat das deutsche Volk kapituliert, im Felde unbesiegt, was eine schlichte Unwahrheit ist, denn gerade weil die Deutschen im Felde besiegt waren, kam die Kapitulation zustande.“
ERZÄHLER
Am 10. Januar 1920 tritt der Vertrag endgültig in Kraft. Bald kommt es zu schweren Krisen, weil Deutschland mit den Reparationen in Verzug kommt. Erst mit dem Abkommen von Lausanne im Juli 1932 werden die Zahlungen praktisch beendet. Bis dahin hat Deutschland zwar enorme Summen, aber dennoch nur einen Bruchteil der geforderten Reparationen bezahlt.
ERZÄHLERIN
Ein halbes Jahr später wird Hitler Reichskanzler. Sofort fliegen ihm die Herzen der Reichswehrelite zu. Er verspricht, den Versailler Vertrag endgültig zu erledigen, er verspricht die verlorengegangenen Gebiete zurückzuholen. Er verspricht, die alte Herrlichkeit des Militärs wieder herzustellen. Und noch viel mehr. Der Versailler Vertrag – ein Frieden auf schiefer Ebene, ein Frieden, der direkt in den nächsten Krieg führen wird.
MUSIK
TC 24:00 – Outro
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