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Runzelige Rinden und bunte Borken - Die Haut der Bäume

23:03
 
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Runzelig, schuppig oder glatt - die Borke verrät die Baumart!Sie schützt den Baum vor Hitze, Kälte und Fressfeinden, sie ernährt ihn mit Wasser und Nährstoffen und bietet Käfern und Vögeln einen Lebensraum. Künstler sind fasziniert von der Schönheit ihrer Struktur: Die Baumrinde ist mehr als die Haut der Bäume. Autorin: Kirsten Zesewitz

Credits
Autor/in dieser Folge: Kirsten Zesewitz
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Susanne Schroeder
Technik: Robin Auld
Redaktion: Iska Schreglmann

Im Interview:
Norbert Wimmer, LWF;
Birgitta Volz, Künstlerin;
Martin Gebhardt, Survival-Trainer
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

ATMO 1 WALD

Musik 1: Boundless beauty – C1549590104 – 1:10 Min

SPRECHERIN

Tiefe Risse ziehen sich den Baumstamm empor, mächtige Furchen – Furchen, wie ein Canyon, ein Gebirge, ein tief gepflügter Acker. Eine Landschaft in der Vertikalen, denn die Furchen gehören zu einer alten Pappel.

Ihre Borke ist ein Kunstwerk, sie zieht die Blicke auf sich. Vor allem im Winter: Es gibt nichts, was ablenkt. Im Frühling stehen die Knospen im Fokus, sie verheißen neues Leben, Wachstum. Im Sommer geht der Blick in die Baumkrone, zu den grünen, schattenspendenden Blättern – und im Herbst zu ihrem bunten Laub.

Erst, wenn aller Schmuck gefallen ist, kommt die große Zeit der Borke. Sie weiß natürlich das ganze Jahr über mit Strukturen, Farben und Schattierungen zu überzeugen – es sieht nur kaum einer. Außer: Menschen, deren Augen geschult sind. Förster (wie Norbert Wimmer), zum Beispiel.

OT 1 Norbert Wimmer

Das ist hier von der Rinde her mein Lieblingsbaum: ein älterer Bergahorn, der wirklich so eine schöne, fantastisch variationenreiche, plattige Rindenstruktur ausgebildet hat. Die wird auch im Alter immer noch ästhetischer und mit vielen abplattenden Teilen... Da ist sehr vieles verborgen. Sie sehen, es sind ganz feine enge Ritzen und das sind natürlich super Verstecke für Spinnen und Käfer und Raupen...

ATMO 3-4 Abknipsen Borke

SPRECHERIN

Norbert Wimmer puhlt ein Stück Rinde ab und zeigt auf die Wollreste an der Innenseite: Unter der Rinde des Ahorns war mal ein Spinnennest. Der Förster würde am liebsten sofort weitersuchen, denn hier, in den alten Bäumen unweit des oberfränkischen Klosters Banz gibt es unzählige Verstecke, Nester und Höhlen…

Aber der Reihe nach: Vor Schönheit und Artenvielfalt gilt es zunächst zu klären: Was ist das eigentlich, die Borke?

OT 2 Norbert Wimmer

Die Borke ist diese abgestorbene Substanz rund um den Baum, die also überhaupt keine lebenden Zellen mehr hat und eigentlich nur noch als Schutz dient. Wenn das verletzt wird, gibt es Eintrittspforten für Pilze. Und das ist natürlich ein Problem für den Baum. Also im Grunde dient die Borke dazu, diesen Baum, diesen Stamm, aber auch sämtliche Äste usw. vor mechanischen Schäden zu schützen.

ATMO Wald +

Musik 2: Crystal palace i – C1572130101 – 58 Sek

SPRECHERIN

Bäume trotzen mit ihrer dicken Borke täglich dem Wetter: Regen, Sonne, Wind und Hagel – sie ist der Schutzwall und, ja, sowas wie die äußere Haut des Baumes.

Nach innen schließt sich die wenige Millimeter dünne Bastschicht an – das Leitungsgewebe: Der Bast transportiert die für den Baum lebenswichtigen Zuckerlösungen durch den Stamm: Im Frühling von der Wurzel in die Krone, wo Energie für das Öffnen der Knospen gebraucht wird – im Sommer von der Krone in die Wurzel, wo die Produkte der Photosynthese gespeichert werden. Borke und Bast sind zusammen: die Rinde.

Musik 3: Crystal palace xxii - C1572130122 – 38 Sek

SPRECHERIN

Unter dem Bast liegt das Kambium, die aktive, lebendige Wachstumsschicht des Baumes. Das Kambium bildet permanent neue Holzzellen nach innen und Bastzellen nach außen – auf diese Weise wird der Baum dicker, er wächst in die Breite. Nach innen folgen Splintholz, Kernholz und Mark im Zentrum des Baumstammes; fernab der Rinde und: gut geschützt.

Mit zunehmendem Alter der Bäume werden die Schichten abgestorbener Zellen immer dicker und zerreißen zu Platten, Streifen oder tiefen Furchen – das typische Borkenmuster der Baumart entsteht. Es gibt ihr auch einen Charakter.

OT 3 Norbert Wimmer

Die Borke verändert sich sehr stark bei manchen Baumarten. Bei manchen Baumarten bleibt sie lange ähnlich, zum Beispiel bei der Rotbuche. Irgendwann so mit 150, 160 Jahren Alter kommt dann eben dieser Sprung, wo die Borke aufreißt. Beim Spitzahorn beginnt es viel eher und wird auch dann noch viel auffälliger.

SPRECHERIN

Die Borke verrät die Baumart. Also, fast. Denn manche Borken sind sich in bestimmten Lebensphasen so ähnlich, dass selbst ein Förster eine alte, tief gefurchte Linde kaum von einer Eiche unterscheiden kann. Jenseits von so unverwechselbaren Borken wie der schwarz-weiß gefärbten Birke, gibt es grobrissige Bäume wie die Douglasie, schuppenartige wie die Kiefer oder glatte wie die Hainbuche.

MUSIK 4: Two by two – Z8042455103 – 1:03 Min

SPRECHERIN

Der französische Fotograf und Landschaftsarchitekt Cedric Pollet hat daraus eine eigene Kunst gemacht – und die halbe Welt bereist, um auf allen Kontinenten die wundersamsten Rinden zu fotografieren. Kunstwerke der Natur. Verrücktheiten. Farb- und Formexplosionen. Entstanden sind mehrere Ausstellungen und ein dicker Fotoband nur über: „Rinden“.

Da wetteifern regenbogenfarbene Eukalyptusrinden mit leuchtend roten Erdbeerbäumen, die platten Schuppen französischer Platanen mit den adrett gekämmten Rillen englischer Edelkastanien. Archaisch mutet dagegen der Küstenmammutbaum an – ein wildes, tief gefaltetes Gebirge hölzerner Borkenstrukturen...

ATMO 5 Gang in Keller (Treppe) + ATMO 6

SPRECHERIN (Anm.: Volz sprich: „Folz“)

Mit solch tiefen Furchen kann Birgitta Volz allerdings wenig anfangen, auch trutzige Eichen sind ihr ein Graus. Die Künstlerin bestreicht die Stämme von Bäumen mit einer organischen Ölfarbe, drückt ein Vlies darauf und erhält so Abdrucke ihrer Borke. In teilweise meterhohen Dimensionen. Dafür steigt die 60-Jährige auch mal auf eine Leiter. Allerdings: Für ihre kunstvollen Rindendrucke braucht Birgitta Volz Bäume mit einer vergleichsweise glatten Rinde: Buchen, Linden oder Kastanien.

OT 4 Birgitta Volz

Wenn die Borke sehr expressiv ist, hat die ja oft sehr, sehr hohe Niveauunterschiede, und das druckt extrem schlecht. Das heißt, je schicker die Borke aussieht, desto schwieriger ist, die zu drucken. Und es kommen oft vollkommen andere Sachen raus. Also eigentlich ist es vollkommen unvorhersehbar, was da passiert und für mich reine Magie.

ATMO 7 Schubladen öffnen, kramen in Drucken

SPRECHERIN

Im Keller des elterlichen Hauses in Nürnberg ist ihr Depot: Hier lagern Rindendrucke aus 30 Jahren künstlerischen Schaffens. Birgitta Volz zieht eine Schublade nach der anderen heraus:

ATMO 7 kurz hoch Schubladen öffnen, kramen in Drucken

SPRECHERIN

Die Drucke lagern in speziellen Schränken, einige hängen über Verstrebungen an der Decke, wieder andere stehen in meterhohen Rollen in der Ecke des Kellers.

OT 6 (ATMO-OT FREI STEHEND - mit ATMO vorne dran)

Hier ist zum Beispiel Holzwurmfraß, da sieht man was für schöne Strukturen die machen…

ATMO 7 Schubladen öffnen, kramen in Drucken

SPRECHERIN

Birgitta Volz hat ein Jahr lang an den Bäumen im alten Hainpark der Stadt Bamberg gearbeitet, ihre Rindenmuster in Drucken verewigt. Eine Ausstellung ist daraus entstanden: „Lineamenta arborum – Die Gesichtszüge der Bäume.“

OT 8 Birgitta Volz

Die Birke macht oft sehr schöne dekorative Schwarz-Weiß-Muster. Und die Kirschen, die machen fast Musik. Die haben diese wunderbaren Linien und Punkte. Das ist wirklich wie so ein Rhythmus, wie eine Komposition. Buchen haben sehr gegenständlichen Ausdruck und auch sehr viel Schnitzereien drinnen. Fichten sind unwahrscheinlich kleinteilig, die haben lauter Punkte. Da kann man dann so einen richtigen Impressionismus draus machen…

Musik 5: Across the aisle – Z8042455104 – 31 Sek

SPRECHERIN

Viele der Muster haben etwas Grafisches, es sind Wellenbewegungen, Dreiecksformen, Trapeze… Bei längerem Hinschauen werden jedoch auch Figuren sichtbar: Gesichter, Körper, mythische Gestalten. Eine alte Salweide im Alpenvorland hat es Birgitta Volz besonders angetan, ihre Rinde hat die Künstlerin schon mehrmals gedruckt…

OT 9 Birgitta Volz

Ich zeige Ihnen mal die schönen Hexen, die sind auch von meiner Salweide. Das Bild ist 1,20 Meter. Und es ist genauso von der Rinde gekommen, wie es hier ist. Hier haben wir mehrere Hexen drauf. Also hier ist nun eine schöne junge mit wehenden Haaren. Da ist eine, die ist richtig unheimlich, die ist fast wie so ein Zombie-Schädel. Und wenn man länger schaut, findet man überall noch kleinere Gesichter drauf. Ich bin immer wieder fassungslos, wenn das ohne mein Zutun von der Rinde kommt.

ATMO 8 rascheln (kurz) und ATMO 7 (Schubladen)

SPRECHERIN

Birgitta Volz legt die Blätter vorsichtig in ihre Mappen zurück, zu den anderen mythischen Gestalten in ihrem Archiv.

Die Künstlerin glaubt, dass Bäume ein Gedächtnis haben. Sie können mehrere hundert Jahre alt werden – und während dieser langen Lebenszeit sind sie Zeugen unzähliger historischer Ereignisse oder lokaler Begebenheiten…

OT 10 Birgitta Volz

Ich bin mittlerweile nach 30 Jahren Arbeit in dem Bereich davon überzeugt, dass unsere Umgebung wie eine Speicherkarte funktioniert. Nicht nur Bäume, sondern auch Steine oder sogar alte Mauern, die von Menschen gemacht wurden – die gesamte Umgebung kann ein Speicher der Ereignisse oder des kulturellen Gedächtnisses sein.

MUSIK 6: Crystal palace i – siehe vorn – 19 Sek

SPRECHERIN

Gedächtnis, Haut oder gar Gesicht des Baumes: Botanisch gesehen, ist die Borke zuallererst ein Schutz. Was (passiert) aber, wenn diese trutzige, robuste Schutzschicht verletzt wird?

ATMO Wald

SPRECHERIN

Zurück in den Wald nahe des oberfränkischen Klosters Banz und zu Norbert Wimmer. Der Förster hat eine Lärche entdeckt, die bei Holzarbeiten einige Blessuren davongetragen hat. Eine große Wunde klafft in ihrer Rinde – dort, wo der gefällte Nachbarbaum sie wohl gestreift haben könnte.

OT 11 Norbert Wimmer

Schmerzen im menschlichen Sinne haben Bäume nicht, da sie einfach neurologisch überhaupt nicht dazu ausgestattet sind. Dem Baum tut es nicht weh. Aber es bringt ihm Nachteile, eben, dass zum Beispiel Pilze eintreten können, weil Pilze warten nur darauf, an dieses Holz, an diesen irrsinnigen Energiespeicher, der da über Jahrzehnte aufgebaut wurde, ranzukommen, dort ihr Myzel reinwachsen zu lassen und diese Sonnenenergie - gebunden in Holz – für sich zu nutzen.

ATMO Wald

SPRECHERIN

Es gibt nur einen Ausweg: der Baum muss die Wunde so schnell wie möglich schließen. Und das tut er mit Hilfe seines Kambiums, der Wachstumsschicht. Das Kambium bildet neue Holzzellen, die sich von außen nach innen über die Wunde schieben. Wie ein Wulst. Jeder hat wohl schon einmal eingewachsene Wanderschilder oder Nägel gesehen – Ergebnisse der baumeigenen Hautheilung.

Der Heilungsprozess dauert oft Jahre oder Jahrzehnte und manchmal schafft es der Baum auch gar nicht – entweder, weil die Wunde zu groß ist oder: weil sie immer wieder aufgerissen wird…

ATMO knisternde Schritte

SPRECHERIN

Norbert Wimmer stapft zu einer alten Buche und schaut durch sein Fernglas nach oben. In gut 15 Metern Höhe sind zwei große Höhleneingänge im Stamm.

OT 12 Norbert Wimmer

Die hat der Schwarzspecht gebaut und hat sie auch jahrelang als Nisthöhle benutzt. Dann ist die Hohltaube eingezogen... Jetzt ist es aber so, wie Sie sehen, sind diese Höhlen in einer vitalen Rotbuche. Das heißt, jedes Jahr wird ein neuer Jahrring gebildet und unmerklich wird dieser Baum dicker. Würde niemand was da oben machen, (an diesen zwei Höhleneingängen) würden die in 20 Jahren komplett zuwachsen. Jetzt kommt aber der Schwarzspecht jedes Jahr mal vorbei und erweitert diese Höhleneingänge wieder. Manche Höhlen nutzt er tatsächlich nicht mehr, die überwallen dann. Und das ist die Stunde zum Beispiel für Fledermäuse! Oder für seltene Käferarten wie den Eremiten, der in solchen riesigen Höhlen lebt. Deswegen ist es oft so, dass in scheinbar gesunden Bäumen (durch dieses Überwallen) riesige Höhlen sich im Innern befinden, von denen wir gar nichts ahnen.

ATMO Wald

ATMO knisternde Schritte/ Schritte auf Laub

SPRECHERIN

(Man merkt,) Norbert Wimmer ist kein Förster, der Stammlängen vermisst und die Holzpreise auswendig kennt: Der dunkelhaarige Mann in T-Shirt und Stoffhose ist an der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft für den Naturschutz zuständig. Ein Fernglas baumelt um seinen Hals.

ATMO Wald, knisternde Schritte

SPRECHERIN

Hier, im ehemaligen Klosterwald der Zisterzienser gibt es noch viele alte Bäume – und Strukturen, die ganz verschiedenen Tier- und Pflanzenarten einen Lebensraum bieten.

Es sind tatsächlich die rissigen, löchrigen, unperfekten Bäume, unter deren Rinde das Leben tobt.

OT 13.2 Norbert Wimmer

Je grobborkiger, desto mehr! Desto mehr Möglichkeiten bieten sie für verschiedene Bewohner.

Musik 7: Across the aisle – siehe vorn – 37 Sek

SPRECHERIN

Unzählige Käfer, Wanzen, Spinnen und Fledermäuse leben unter der Borke, vom menschlichen Auge unbemerkt, in winzigen Ritzen, Spalten und Löchern. Laut Bund Naturschutz sind rund ein Viertel aller in Deutschland vorkommenden Käferarten auf diesen Lebensraum angewiesen. Hinzu kommen hunderte Pilze, Moose und Flechten, die vor allem ältere Borken besiedeln und so weitere Biotope für Spring-schwänze, Moostiere und mikroskopisch kleine Würmchen schaffen.

OT 14 Norbert Wimmer

An einer alten 300-jährigen Eiche, da ist eigentlich immer irgendwas zu beobachten. Da kommt zum Beispiel der Mittelspecht vorbei. Dann kommt vielleicht auch in so Uraltbäumen eine Nymphenfledermaus, die wirklich so klein ist, dass sie in so eine Rindenritze passt…

ATMO Wald + Musik 8: Crystal palace xxii – siehe vorn – 53 Sek

SPRECHERIN

Jeder Waldbesitzer, der in den letzten Jahren mitansehen musste, wie seine Fichten (durch Schädlingsbefall) starben, wird an dieser Stelle einen Bewohner der Baumrinde vermissen: den Borkenkäfer. Gehasst und bekämpft – aber im Grunde genommen auch nur: ein Insekt, das sich von Rinde ernährt.

Der Borkenkäfer bohrt sich vor allem in Fichten ein und legt unter der Rinde sein sehr beeindruckendes System von Fraß- und Geburtsgängen an. Das Problem: Er zerstört den Bast, die lebenswichtige Leitungsbahn, in der die Nährstoffe zwischen Wurzel und Krone transportiert werden. Der Baum stirbt.

Norbert Wimmer möchte lieber über einen anderen Rindenfresser sprechen: den Biber.

OT 15 Norbert Wimmer

Viele glauben, der Biber frisst Holz, nein, er frisst tatsächlich die Rinde. Also nicht diese Borke, sondern dieses Bastgewebe, das sehr zellulosehaltig ist, das leichter verdaulich ist wie Holz. Und das auch nur als Winternahrung. Letztendlich gibt es nur ganz wenige Organismen, die Holz verdauen können. Das sind Pilze, und das sind wirklich nur ganz wenige Käfer, die entsprechende Zellulasen im Darm haben. Und erst wenn dieses Holz mal vorverdaut ist, dann können andere Insekten die Pilzkörper besiedeln. Aber Holz zu zersetzen ist eine ganz andere Nummer als diese zellulosehaltige Bastschicht zu verdauen.

MUSIK 9: long forgotten future – Z8018372104 – 23 Sek

ATMO Wald_5 (Wuhlheide)

SPRECHERIN

Von Oberfranken nach Berlin. Martin Gebhardt hatte die Wuhlheide im Südosten Berlins als Treffpunkt vorgeschlagen. Hier macht der Survival-Trainer auch einige seiner Kurse: bringt Leuten bei, wie sie in einer echten Wildnis überleben können. Zum Beispiel, mit Hilfe von Baumrinde.

OT 16 Martin Gebhardt

Ich würde als Allererstes, wenn ich nach Rinde zum Essen suche, erst mal alle Bäume aussortieren, die giftig sind, wie zum Beispiel die Eibe oder die Robinie, da würde ich die Finger davonlassen und dann schauen nach Bäumen wie Weide, Linde oder Birke. Das sind so die Bäume, wo es erstens nicht unangenehm schmeckt, zum Beispiel nach zu viel Gerbsäure wie bei der Eiche, und wo es sicher ist, das zu essen.

ATMO 10 (kurz) + ATMO Schälen (Archiv)

SPRECHERIN

Martin Gebhardt kramt ein Taschenmesser aus seiner Gürteltasche. Er hat einen gut 5 Zentimeter dicken Ahornast vom Waldboden aufgelesen und fängt an, die äußere Rinde abzuschälen. Für seine Kurse würde der 42-Jährige niemals einen Baum verletzen: Um zu lernen, wie man aus Rinde Mehl gewinnt oder Spaghetti kocht, reicht ein Ast, sagt Gebhardt. Vorsichtig säbelt er die äußere Rindenschicht ab…

OT 17 Martin Gebhardt

Und dann kommt hier untendrunter der Bast zum Vorschein. Der ist auch sehr dünn. Den sieht man hier fast nicht. Und – jetzt haben wir so eine grüne Schicht und idealerweise zieht man, wenn es geht, die Rinde ab mit der Hand, weil, dann kommt das Kambium an der Holzschicht zum Vorschein.

SPRECHERIN

Anders als Hirsch und Borkenkäfer kann der menschliche Magen den Bast, also das zellulosehaltige Leitungsgewebe nicht gut verdauen, die Holzfasern erst recht nicht – was geht, ist das Kambium, die Wachstumsschicht des Baumes.

Martin Gebhard steckt sich eine fingerhutgroße Portion Kambium-Raspel in den Mund.

ATMO 11 FREI „hm…“

OT 18 Martin Gebhardt

Es schmeckt manchmal nach Baum, so ein bisschen erdig. Wenn man jetzt zum Beispiel Kiefern nutzt, dann schmeckt das Kambium auch manchmal ein bisschen harzig, ist nicht jedermanns Sache. Aber wenn man zum Beispiel das Kambium nutzt von der Linde, der Weide oder der Birke, dann schmeckt das recht neutral – wie man ein Birkenblatt essen würde, ein frisches. Und wenn man merkt, das ist jetzt total zäh und man kriegt es mit seinen Zähnen überhaupt nicht klein, dann hat man sehr wahrscheinlich den Bast mit erwischt, oder Holzfasern. Das ist nicht schlimm, da werden wir nicht von umkommen, aber es muss einem klar sein, dass wir es nicht verdauen können.

SPRECHERIN

Das Kambium dagegen schon – und es bringt sogar einiges an Energie: 80-100 Kilokarien pro 100 Gramm, um einige Tage zu überleben, könnte es helfen. Kambium enthält Stärke, also Zucker, Vitamine, Mineralien und Ballaststoffe.

Mit einer Feuerstelle eröffnen sich allerdings noch einmal ganz andere Möglichkeiten: In Streifen geschnitten, lässt sich Kambium nämlich auch als Spaghetti kochen oder wie Schinken anbraten.

ATMO Schälen + Wald kurz hoch

SPRECHERIN

Martin Gebhardt steckt sich eine lange Haarsträhne hinter die Ohren: Der stämmige Mann mit grauem Vollbart, Pferdeschwanz und Brille kommt ursprünglich aus der IT-Branche; inzwischen lebt der Familienvater von seinen Bushcraft-Seminaren. Der Begriff „Bushcraft“ bedeutet frei übersetzt, die Fähigkeit, das Handwerk, mit nur wenig Ausrüstung in der Wildnis zu überleben. Feuermachen ohne Streichhölzer beispielsweise, eine regendichte Schlafstätte bauen – oder ein nahrhaftes Essen zubereiten. Und für all das kann man Baumrinde gebrauchen.

OT 20 Martin Gebhardt

Rinde ist ein ganz wunderbarer Werkstoff. Zum Beispiel können wir aus Birkenrinde Behälter bauen, zum Sammeln von Früchten (weiteren Nahrungsmitteln sozusagen). Ich brauch dazu nur ein Messer, um die Rinde abzubekommen, kann dann mit kleinen Stöckchen die Ecken formen und so meine Himbeeren transportieren. Ich kann mir aus Birkenrinde eine Schöpfkelle bauen. Rinde wird auch genutzt um… Wenn wir draußen unterwegs sind und wir brauchen ein Feuer, dann halten wir immer Ausschau nach einer Birke. Birkenrinde hat verschiedene ätherische Öle, die supergut brennen. Und wenn wir uns ein bisschen was abschaben davon und dann mit einem Feuerstahl, also mit einem Metallstab, der Funken erzeugt, können wir damit einwandfrei Feuer machen. Brennt sofort.

ATMO Wald

SPRECHERIN

Förster Norbert Wimmer wäre vermutlich nicht so glücklich, über Bushcraft-Fans, die in seinen Wäldern das Überleben in der Wildnis üben. Vielleicht hätte er aber auch Verständnis für sie, denn Leute wie Martin Gebhardt setzen sich mit der Natur auseinander, gehen achtsam mit ihr um – weil sie sie brauchen.

OT 21 Martin Gebhardt

Bäume sind für mich extrem wichtige Partner im Wald. Ich kann daraus viel Material und Ressourcen ziehen. Aber ich profitiere auch unheimlich von den Bäumen, wenn ich sie überhaupt nicht anfasse: Sie bieten mir Schutz vor Unwetter, vor Regen. Sie bieten mir Schatten. Bäume bieten unheimlich viel Lebensraum für Tiere. Und ja, das Allerwichtigste ist natürlich, die produzieren unsere Luft zum Atmen, die ist lebenswichtig für mich. Und ich finde auch daher sollten wir sie unheimlich schätzen. Einfach, dass sie da sind und uns versorgen, bedingungslos.

Musik 10: Boundless beauty – siehe Musik 1 – 32 Sek

SPRECHERIN

In einem sind sich Martin Gebhardt, Birgitta Volz und Norbert Wimmer einig: Sie lieben den Wald, sie lieben Bäume – und sie empfinden eine Faszination für ihre ganz verschiedenen, kunstvollen, magischen, essbaren, schützenden – und besonders an alten Bäumen: extrem lebendigen Rinden.

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Runzelig, schuppig oder glatt - die Borke verrät die Baumart!Sie schützt den Baum vor Hitze, Kälte und Fressfeinden, sie ernährt ihn mit Wasser und Nährstoffen und bietet Käfern und Vögeln einen Lebensraum. Künstler sind fasziniert von der Schönheit ihrer Struktur: Die Baumrinde ist mehr als die Haut der Bäume. Autorin: Kirsten Zesewitz

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Autor/in dieser Folge: Kirsten Zesewitz
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Susanne Schroeder
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Birgitta Volz, Künstlerin;
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ATMO 1 WALD

Musik 1: Boundless beauty – C1549590104 – 1:10 Min

SPRECHERIN

Tiefe Risse ziehen sich den Baumstamm empor, mächtige Furchen – Furchen, wie ein Canyon, ein Gebirge, ein tief gepflügter Acker. Eine Landschaft in der Vertikalen, denn die Furchen gehören zu einer alten Pappel.

Ihre Borke ist ein Kunstwerk, sie zieht die Blicke auf sich. Vor allem im Winter: Es gibt nichts, was ablenkt. Im Frühling stehen die Knospen im Fokus, sie verheißen neues Leben, Wachstum. Im Sommer geht der Blick in die Baumkrone, zu den grünen, schattenspendenden Blättern – und im Herbst zu ihrem bunten Laub.

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Das ist hier von der Rinde her mein Lieblingsbaum: ein älterer Bergahorn, der wirklich so eine schöne, fantastisch variationenreiche, plattige Rindenstruktur ausgebildet hat. Die wird auch im Alter immer noch ästhetischer und mit vielen abplattenden Teilen... Da ist sehr vieles verborgen. Sie sehen, es sind ganz feine enge Ritzen und das sind natürlich super Verstecke für Spinnen und Käfer und Raupen...

ATMO 3-4 Abknipsen Borke

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Norbert Wimmer puhlt ein Stück Rinde ab und zeigt auf die Wollreste an der Innenseite: Unter der Rinde des Ahorns war mal ein Spinnennest. Der Förster würde am liebsten sofort weitersuchen, denn hier, in den alten Bäumen unweit des oberfränkischen Klosters Banz gibt es unzählige Verstecke, Nester und Höhlen…

Aber der Reihe nach: Vor Schönheit und Artenvielfalt gilt es zunächst zu klären: Was ist das eigentlich, die Borke?

OT 2 Norbert Wimmer

Die Borke ist diese abgestorbene Substanz rund um den Baum, die also überhaupt keine lebenden Zellen mehr hat und eigentlich nur noch als Schutz dient. Wenn das verletzt wird, gibt es Eintrittspforten für Pilze. Und das ist natürlich ein Problem für den Baum. Also im Grunde dient die Borke dazu, diesen Baum, diesen Stamm, aber auch sämtliche Äste usw. vor mechanischen Schäden zu schützen.

ATMO Wald +

Musik 2: Crystal palace i – C1572130101 – 58 Sek

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Bäume trotzen mit ihrer dicken Borke täglich dem Wetter: Regen, Sonne, Wind und Hagel – sie ist der Schutzwall und, ja, sowas wie die äußere Haut des Baumes.

Nach innen schließt sich die wenige Millimeter dünne Bastschicht an – das Leitungsgewebe: Der Bast transportiert die für den Baum lebenswichtigen Zuckerlösungen durch den Stamm: Im Frühling von der Wurzel in die Krone, wo Energie für das Öffnen der Knospen gebraucht wird – im Sommer von der Krone in die Wurzel, wo die Produkte der Photosynthese gespeichert werden. Borke und Bast sind zusammen: die Rinde.

Musik 3: Crystal palace xxii - C1572130122 – 38 Sek

SPRECHERIN

Unter dem Bast liegt das Kambium, die aktive, lebendige Wachstumsschicht des Baumes. Das Kambium bildet permanent neue Holzzellen nach innen und Bastzellen nach außen – auf diese Weise wird der Baum dicker, er wächst in die Breite. Nach innen folgen Splintholz, Kernholz und Mark im Zentrum des Baumstammes; fernab der Rinde und: gut geschützt.

Mit zunehmendem Alter der Bäume werden die Schichten abgestorbener Zellen immer dicker und zerreißen zu Platten, Streifen oder tiefen Furchen – das typische Borkenmuster der Baumart entsteht. Es gibt ihr auch einen Charakter.

OT 3 Norbert Wimmer

Die Borke verändert sich sehr stark bei manchen Baumarten. Bei manchen Baumarten bleibt sie lange ähnlich, zum Beispiel bei der Rotbuche. Irgendwann so mit 150, 160 Jahren Alter kommt dann eben dieser Sprung, wo die Borke aufreißt. Beim Spitzahorn beginnt es viel eher und wird auch dann noch viel auffälliger.

SPRECHERIN

Die Borke verrät die Baumart. Also, fast. Denn manche Borken sind sich in bestimmten Lebensphasen so ähnlich, dass selbst ein Förster eine alte, tief gefurchte Linde kaum von einer Eiche unterscheiden kann. Jenseits von so unverwechselbaren Borken wie der schwarz-weiß gefärbten Birke, gibt es grobrissige Bäume wie die Douglasie, schuppenartige wie die Kiefer oder glatte wie die Hainbuche.

MUSIK 4: Two by two – Z8042455103 – 1:03 Min

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Da wetteifern regenbogenfarbene Eukalyptusrinden mit leuchtend roten Erdbeerbäumen, die platten Schuppen französischer Platanen mit den adrett gekämmten Rillen englischer Edelkastanien. Archaisch mutet dagegen der Küstenmammutbaum an – ein wildes, tief gefaltetes Gebirge hölzerner Borkenstrukturen...

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SPRECHERIN (Anm.: Volz sprich: „Folz“)

Mit solch tiefen Furchen kann Birgitta Volz allerdings wenig anfangen, auch trutzige Eichen sind ihr ein Graus. Die Künstlerin bestreicht die Stämme von Bäumen mit einer organischen Ölfarbe, drückt ein Vlies darauf und erhält so Abdrucke ihrer Borke. In teilweise meterhohen Dimensionen. Dafür steigt die 60-Jährige auch mal auf eine Leiter. Allerdings: Für ihre kunstvollen Rindendrucke braucht Birgitta Volz Bäume mit einer vergleichsweise glatten Rinde: Buchen, Linden oder Kastanien.

OT 4 Birgitta Volz

Wenn die Borke sehr expressiv ist, hat die ja oft sehr, sehr hohe Niveauunterschiede, und das druckt extrem schlecht. Das heißt, je schicker die Borke aussieht, desto schwieriger ist, die zu drucken. Und es kommen oft vollkommen andere Sachen raus. Also eigentlich ist es vollkommen unvorhersehbar, was da passiert und für mich reine Magie.

ATMO 7 Schubladen öffnen, kramen in Drucken

SPRECHERIN

Im Keller des elterlichen Hauses in Nürnberg ist ihr Depot: Hier lagern Rindendrucke aus 30 Jahren künstlerischen Schaffens. Birgitta Volz zieht eine Schublade nach der anderen heraus:

ATMO 7 kurz hoch Schubladen öffnen, kramen in Drucken

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Die Drucke lagern in speziellen Schränken, einige hängen über Verstrebungen an der Decke, wieder andere stehen in meterhohen Rollen in der Ecke des Kellers.

OT 6 (ATMO-OT FREI STEHEND - mit ATMO vorne dran)

Hier ist zum Beispiel Holzwurmfraß, da sieht man was für schöne Strukturen die machen…

ATMO 7 Schubladen öffnen, kramen in Drucken

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Birgitta Volz hat ein Jahr lang an den Bäumen im alten Hainpark der Stadt Bamberg gearbeitet, ihre Rindenmuster in Drucken verewigt. Eine Ausstellung ist daraus entstanden: „Lineamenta arborum – Die Gesichtszüge der Bäume.“

OT 8 Birgitta Volz

Die Birke macht oft sehr schöne dekorative Schwarz-Weiß-Muster. Und die Kirschen, die machen fast Musik. Die haben diese wunderbaren Linien und Punkte. Das ist wirklich wie so ein Rhythmus, wie eine Komposition. Buchen haben sehr gegenständlichen Ausdruck und auch sehr viel Schnitzereien drinnen. Fichten sind unwahrscheinlich kleinteilig, die haben lauter Punkte. Da kann man dann so einen richtigen Impressionismus draus machen…

Musik 5: Across the aisle – Z8042455104 – 31 Sek

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Viele der Muster haben etwas Grafisches, es sind Wellenbewegungen, Dreiecksformen, Trapeze… Bei längerem Hinschauen werden jedoch auch Figuren sichtbar: Gesichter, Körper, mythische Gestalten. Eine alte Salweide im Alpenvorland hat es Birgitta Volz besonders angetan, ihre Rinde hat die Künstlerin schon mehrmals gedruckt…

OT 9 Birgitta Volz

Ich zeige Ihnen mal die schönen Hexen, die sind auch von meiner Salweide. Das Bild ist 1,20 Meter. Und es ist genauso von der Rinde gekommen, wie es hier ist. Hier haben wir mehrere Hexen drauf. Also hier ist nun eine schöne junge mit wehenden Haaren. Da ist eine, die ist richtig unheimlich, die ist fast wie so ein Zombie-Schädel. Und wenn man länger schaut, findet man überall noch kleinere Gesichter drauf. Ich bin immer wieder fassungslos, wenn das ohne mein Zutun von der Rinde kommt.

ATMO 8 rascheln (kurz) und ATMO 7 (Schubladen)

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Birgitta Volz legt die Blätter vorsichtig in ihre Mappen zurück, zu den anderen mythischen Gestalten in ihrem Archiv.

Die Künstlerin glaubt, dass Bäume ein Gedächtnis haben. Sie können mehrere hundert Jahre alt werden – und während dieser langen Lebenszeit sind sie Zeugen unzähliger historischer Ereignisse oder lokaler Begebenheiten…

OT 10 Birgitta Volz

Ich bin mittlerweile nach 30 Jahren Arbeit in dem Bereich davon überzeugt, dass unsere Umgebung wie eine Speicherkarte funktioniert. Nicht nur Bäume, sondern auch Steine oder sogar alte Mauern, die von Menschen gemacht wurden – die gesamte Umgebung kann ein Speicher der Ereignisse oder des kulturellen Gedächtnisses sein.

MUSIK 6: Crystal palace i – siehe vorn – 19 Sek

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Gedächtnis, Haut oder gar Gesicht des Baumes: Botanisch gesehen, ist die Borke zuallererst ein Schutz. Was (passiert) aber, wenn diese trutzige, robuste Schutzschicht verletzt wird?

ATMO Wald

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Zurück in den Wald nahe des oberfränkischen Klosters Banz und zu Norbert Wimmer. Der Förster hat eine Lärche entdeckt, die bei Holzarbeiten einige Blessuren davongetragen hat. Eine große Wunde klafft in ihrer Rinde – dort, wo der gefällte Nachbarbaum sie wohl gestreift haben könnte.

OT 11 Norbert Wimmer

Schmerzen im menschlichen Sinne haben Bäume nicht, da sie einfach neurologisch überhaupt nicht dazu ausgestattet sind. Dem Baum tut es nicht weh. Aber es bringt ihm Nachteile, eben, dass zum Beispiel Pilze eintreten können, weil Pilze warten nur darauf, an dieses Holz, an diesen irrsinnigen Energiespeicher, der da über Jahrzehnte aufgebaut wurde, ranzukommen, dort ihr Myzel reinwachsen zu lassen und diese Sonnenenergie - gebunden in Holz – für sich zu nutzen.

ATMO Wald

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Es gibt nur einen Ausweg: der Baum muss die Wunde so schnell wie möglich schließen. Und das tut er mit Hilfe seines Kambiums, der Wachstumsschicht. Das Kambium bildet neue Holzzellen, die sich von außen nach innen über die Wunde schieben. Wie ein Wulst. Jeder hat wohl schon einmal eingewachsene Wanderschilder oder Nägel gesehen – Ergebnisse der baumeigenen Hautheilung.

Der Heilungsprozess dauert oft Jahre oder Jahrzehnte und manchmal schafft es der Baum auch gar nicht – entweder, weil die Wunde zu groß ist oder: weil sie immer wieder aufgerissen wird…

ATMO knisternde Schritte

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Norbert Wimmer stapft zu einer alten Buche und schaut durch sein Fernglas nach oben. In gut 15 Metern Höhe sind zwei große Höhleneingänge im Stamm.

OT 12 Norbert Wimmer

Die hat der Schwarzspecht gebaut und hat sie auch jahrelang als Nisthöhle benutzt. Dann ist die Hohltaube eingezogen... Jetzt ist es aber so, wie Sie sehen, sind diese Höhlen in einer vitalen Rotbuche. Das heißt, jedes Jahr wird ein neuer Jahrring gebildet und unmerklich wird dieser Baum dicker. Würde niemand was da oben machen, (an diesen zwei Höhleneingängen) würden die in 20 Jahren komplett zuwachsen. Jetzt kommt aber der Schwarzspecht jedes Jahr mal vorbei und erweitert diese Höhleneingänge wieder. Manche Höhlen nutzt er tatsächlich nicht mehr, die überwallen dann. Und das ist die Stunde zum Beispiel für Fledermäuse! Oder für seltene Käferarten wie den Eremiten, der in solchen riesigen Höhlen lebt. Deswegen ist es oft so, dass in scheinbar gesunden Bäumen (durch dieses Überwallen) riesige Höhlen sich im Innern befinden, von denen wir gar nichts ahnen.

ATMO Wald

ATMO knisternde Schritte/ Schritte auf Laub

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(Man merkt,) Norbert Wimmer ist kein Förster, der Stammlängen vermisst und die Holzpreise auswendig kennt: Der dunkelhaarige Mann in T-Shirt und Stoffhose ist an der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft für den Naturschutz zuständig. Ein Fernglas baumelt um seinen Hals.

ATMO Wald, knisternde Schritte

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Hier, im ehemaligen Klosterwald der Zisterzienser gibt es noch viele alte Bäume – und Strukturen, die ganz verschiedenen Tier- und Pflanzenarten einen Lebensraum bieten.

Es sind tatsächlich die rissigen, löchrigen, unperfekten Bäume, unter deren Rinde das Leben tobt.

OT 13.2 Norbert Wimmer

Je grobborkiger, desto mehr! Desto mehr Möglichkeiten bieten sie für verschiedene Bewohner.

Musik 7: Across the aisle – siehe vorn – 37 Sek

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Unzählige Käfer, Wanzen, Spinnen und Fledermäuse leben unter der Borke, vom menschlichen Auge unbemerkt, in winzigen Ritzen, Spalten und Löchern. Laut Bund Naturschutz sind rund ein Viertel aller in Deutschland vorkommenden Käferarten auf diesen Lebensraum angewiesen. Hinzu kommen hunderte Pilze, Moose und Flechten, die vor allem ältere Borken besiedeln und so weitere Biotope für Spring-schwänze, Moostiere und mikroskopisch kleine Würmchen schaffen.

OT 14 Norbert Wimmer

An einer alten 300-jährigen Eiche, da ist eigentlich immer irgendwas zu beobachten. Da kommt zum Beispiel der Mittelspecht vorbei. Dann kommt vielleicht auch in so Uraltbäumen eine Nymphenfledermaus, die wirklich so klein ist, dass sie in so eine Rindenritze passt…

ATMO Wald + Musik 8: Crystal palace xxii – siehe vorn – 53 Sek

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Jeder Waldbesitzer, der in den letzten Jahren mitansehen musste, wie seine Fichten (durch Schädlingsbefall) starben, wird an dieser Stelle einen Bewohner der Baumrinde vermissen: den Borkenkäfer. Gehasst und bekämpft – aber im Grunde genommen auch nur: ein Insekt, das sich von Rinde ernährt.

Der Borkenkäfer bohrt sich vor allem in Fichten ein und legt unter der Rinde sein sehr beeindruckendes System von Fraß- und Geburtsgängen an. Das Problem: Er zerstört den Bast, die lebenswichtige Leitungsbahn, in der die Nährstoffe zwischen Wurzel und Krone transportiert werden. Der Baum stirbt.

Norbert Wimmer möchte lieber über einen anderen Rindenfresser sprechen: den Biber.

OT 15 Norbert Wimmer

Viele glauben, der Biber frisst Holz, nein, er frisst tatsächlich die Rinde. Also nicht diese Borke, sondern dieses Bastgewebe, das sehr zellulosehaltig ist, das leichter verdaulich ist wie Holz. Und das auch nur als Winternahrung. Letztendlich gibt es nur ganz wenige Organismen, die Holz verdauen können. Das sind Pilze, und das sind wirklich nur ganz wenige Käfer, die entsprechende Zellulasen im Darm haben. Und erst wenn dieses Holz mal vorverdaut ist, dann können andere Insekten die Pilzkörper besiedeln. Aber Holz zu zersetzen ist eine ganz andere Nummer als diese zellulosehaltige Bastschicht zu verdauen.

MUSIK 9: long forgotten future – Z8018372104 – 23 Sek

ATMO Wald_5 (Wuhlheide)

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Von Oberfranken nach Berlin. Martin Gebhardt hatte die Wuhlheide im Südosten Berlins als Treffpunkt vorgeschlagen. Hier macht der Survival-Trainer auch einige seiner Kurse: bringt Leuten bei, wie sie in einer echten Wildnis überleben können. Zum Beispiel, mit Hilfe von Baumrinde.

OT 16 Martin Gebhardt

Ich würde als Allererstes, wenn ich nach Rinde zum Essen suche, erst mal alle Bäume aussortieren, die giftig sind, wie zum Beispiel die Eibe oder die Robinie, da würde ich die Finger davonlassen und dann schauen nach Bäumen wie Weide, Linde oder Birke. Das sind so die Bäume, wo es erstens nicht unangenehm schmeckt, zum Beispiel nach zu viel Gerbsäure wie bei der Eiche, und wo es sicher ist, das zu essen.

ATMO 10 (kurz) + ATMO Schälen (Archiv)

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Martin Gebhardt kramt ein Taschenmesser aus seiner Gürteltasche. Er hat einen gut 5 Zentimeter dicken Ahornast vom Waldboden aufgelesen und fängt an, die äußere Rinde abzuschälen. Für seine Kurse würde der 42-Jährige niemals einen Baum verletzen: Um zu lernen, wie man aus Rinde Mehl gewinnt oder Spaghetti kocht, reicht ein Ast, sagt Gebhardt. Vorsichtig säbelt er die äußere Rindenschicht ab…

OT 17 Martin Gebhardt

Und dann kommt hier untendrunter der Bast zum Vorschein. Der ist auch sehr dünn. Den sieht man hier fast nicht. Und – jetzt haben wir so eine grüne Schicht und idealerweise zieht man, wenn es geht, die Rinde ab mit der Hand, weil, dann kommt das Kambium an der Holzschicht zum Vorschein.

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Anders als Hirsch und Borkenkäfer kann der menschliche Magen den Bast, also das zellulosehaltige Leitungsgewebe nicht gut verdauen, die Holzfasern erst recht nicht – was geht, ist das Kambium, die Wachstumsschicht des Baumes.

Martin Gebhard steckt sich eine fingerhutgroße Portion Kambium-Raspel in den Mund.

ATMO 11 FREI „hm…“

OT 18 Martin Gebhardt

Es schmeckt manchmal nach Baum, so ein bisschen erdig. Wenn man jetzt zum Beispiel Kiefern nutzt, dann schmeckt das Kambium auch manchmal ein bisschen harzig, ist nicht jedermanns Sache. Aber wenn man zum Beispiel das Kambium nutzt von der Linde, der Weide oder der Birke, dann schmeckt das recht neutral – wie man ein Birkenblatt essen würde, ein frisches. Und wenn man merkt, das ist jetzt total zäh und man kriegt es mit seinen Zähnen überhaupt nicht klein, dann hat man sehr wahrscheinlich den Bast mit erwischt, oder Holzfasern. Das ist nicht schlimm, da werden wir nicht von umkommen, aber es muss einem klar sein, dass wir es nicht verdauen können.

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Das Kambium dagegen schon – und es bringt sogar einiges an Energie: 80-100 Kilokarien pro 100 Gramm, um einige Tage zu überleben, könnte es helfen. Kambium enthält Stärke, also Zucker, Vitamine, Mineralien und Ballaststoffe.

Mit einer Feuerstelle eröffnen sich allerdings noch einmal ganz andere Möglichkeiten: In Streifen geschnitten, lässt sich Kambium nämlich auch als Spaghetti kochen oder wie Schinken anbraten.

ATMO Schälen + Wald kurz hoch

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Martin Gebhardt steckt sich eine lange Haarsträhne hinter die Ohren: Der stämmige Mann mit grauem Vollbart, Pferdeschwanz und Brille kommt ursprünglich aus der IT-Branche; inzwischen lebt der Familienvater von seinen Bushcraft-Seminaren. Der Begriff „Bushcraft“ bedeutet frei übersetzt, die Fähigkeit, das Handwerk, mit nur wenig Ausrüstung in der Wildnis zu überleben. Feuermachen ohne Streichhölzer beispielsweise, eine regendichte Schlafstätte bauen – oder ein nahrhaftes Essen zubereiten. Und für all das kann man Baumrinde gebrauchen.

OT 20 Martin Gebhardt

Rinde ist ein ganz wunderbarer Werkstoff. Zum Beispiel können wir aus Birkenrinde Behälter bauen, zum Sammeln von Früchten (weiteren Nahrungsmitteln sozusagen). Ich brauch dazu nur ein Messer, um die Rinde abzubekommen, kann dann mit kleinen Stöckchen die Ecken formen und so meine Himbeeren transportieren. Ich kann mir aus Birkenrinde eine Schöpfkelle bauen. Rinde wird auch genutzt um… Wenn wir draußen unterwegs sind und wir brauchen ein Feuer, dann halten wir immer Ausschau nach einer Birke. Birkenrinde hat verschiedene ätherische Öle, die supergut brennen. Und wenn wir uns ein bisschen was abschaben davon und dann mit einem Feuerstahl, also mit einem Metallstab, der Funken erzeugt, können wir damit einwandfrei Feuer machen. Brennt sofort.

ATMO Wald

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Förster Norbert Wimmer wäre vermutlich nicht so glücklich, über Bushcraft-Fans, die in seinen Wäldern das Überleben in der Wildnis üben. Vielleicht hätte er aber auch Verständnis für sie, denn Leute wie Martin Gebhardt setzen sich mit der Natur auseinander, gehen achtsam mit ihr um – weil sie sie brauchen.

OT 21 Martin Gebhardt

Bäume sind für mich extrem wichtige Partner im Wald. Ich kann daraus viel Material und Ressourcen ziehen. Aber ich profitiere auch unheimlich von den Bäumen, wenn ich sie überhaupt nicht anfasse: Sie bieten mir Schutz vor Unwetter, vor Regen. Sie bieten mir Schatten. Bäume bieten unheimlich viel Lebensraum für Tiere. Und ja, das Allerwichtigste ist natürlich, die produzieren unsere Luft zum Atmen, die ist lebenswichtig für mich. Und ich finde auch daher sollten wir sie unheimlich schätzen. Einfach, dass sie da sind und uns versorgen, bedingungslos.

Musik 10: Boundless beauty – siehe Musik 1 – 32 Sek

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In einem sind sich Martin Gebhardt, Birgitta Volz und Norbert Wimmer einig: Sie lieben den Wald, sie lieben Bäume – und sie empfinden eine Faszination für ihre ganz verschiedenen, kunstvollen, magischen, essbaren, schützenden – und besonders an alten Bäumen: extrem lebendigen Rinden.

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