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Harze - Das Blut der Bäume

23:22
 
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Harze sind die Wundsekrete von Pflanzen. Menschen nutzen sie auf vielfältige Weise -zum Beispiel in der Medizin, der Technik und der Malerei. Und sie stellen künstliche Harze her, etwa Klebstoffe und Lacke. (BR 2019) Autor: Hellmuth Nordwig

Credits
Autor/in dieser Folge: Hellmuth Nordwig
Regie: Axel Wostry
Es sprachen: Susanne Schroeder, Andreas Neumann
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Bernhard Kastner

Im Interview:
Dr. Ehrentraud Bayer, Botanischer Garten, München;
Prof. Rolf Mülhaupt, Makromolekulare Chemie, Universität Freiburg;
Dr. Patrick Dietemann, Doerner-Institut München;
Dr. Johann Seibert, Apotheker, Teisendorf

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

MUSIK

ATMO 1 Schritte Botanischer Garten

SPRECHER:

Der Botanische Garten in München-Nymphenburg ist schon mehr als hundert Jahre alt. Und der nordamerikanische Baum, auf den Ehrentraud Bayer zielstrebig zusteuert, hat auch schon Jahrzehnte auf dem Buckel. Die wissenschaftliche Leiterin des Gartens darf ausnahmsweise, was für Besucher streng verboten ist - sie zückt ein kleines Taschenmesser …:

O-Ton 1: Bayer

Wir stehen jetzt hier an der Balsamtanne. Die bildet das Harz direkt unter der Rinde, und dann gibt es hier zum Beispiel solche Blasen. Und wenn ich so eine Blase aufschneide ... Sehen Sie? Man sticht da rein, und dann tritt das Harz hervor. Es ist etwas mühsam, das einzusammeln. Aber es lohnt sich, Sie können mal daran riechen. Es ist absolut aromatisch, wirklich ganz toll.

SPRECHER:

Eine Träne Harz läuft die glatte Rinde hinunter. Ausgesprochen wohlriechend. Wer jetzt aber den Fehler macht, hineinzufassen, hat für lange Zeit klebrige Finger. Denn sie klebt, diese Flüssigkeit, die mal Harz, mal Terpentin genannt wird - und die mitunter auch Balsam oder Pech heißt.

Sie besteht aus einer Mischung ganz verschiedener Stoffe, die je nach Pflanzenart wiederum sehr unterschiedlich ist. Eine Gemeinsamkeit aber gibt es: In Wasser lösen sich die Harze nicht. Man kann also auch nicht einfach abwaschen, was der Baum von sich gibt, wenn er verletzt wird. Etwa, wenn wir einen Ast absägen, wenn Vögel den Stamm anbohren oder wenn Insektenlarven versuchen, im Holz Gänge zu graben. Für den Baum ist das wichtig. Ihm dient das Harz nämlich dazu …:

O-Ton 2: Bayer

… Fraßfeinde abzuwehren. Das funktioniert bei den einen besser, bei den anderen schlechter. Aber es sind Fraßfeinde. Es sind auch Pilze, die abgewehrt werden, oder Bakterien. Also dazu dient es.

SPRECHER:

Wer sich an der Rinde oder dem Holz gütlich tun will, den verklebt der Baum also kurzerhand. Mit der Zeit wird das Harz immer fester - Insekten und ihre Larven haben dann immer schlechtere Chancen, lebend wieder herauszukommen. Oft sieht man sie in Harztränen eingeschlossen. Dann hat die Pflanze den Zweikampf mit dem "Fraßfeind" gewonnen. Manchmal verliert sie ihn aber auch. Zum Beispiel ein tropischer Baum, der mit dem Weihrauchbaum verwandt ist: Bei dieser Pflanze ist das Harz auch in den Blättern - und auf diese Blätter haben es bestimmte Käferlarven abgesehen:

O-Ton 3: Bayer

Und wenn die Käferlarven unvorsichtig sind und an einer falschen Stelle das Blatt anfressen, dann schießt momentan aus dem Harzkanal, der in dem Blatt ist, offensichtlich eine beachtliche Menge an diesem Harz hervor und verklebt diese Larven. Dann gibt es aber wieder Käferlarven, die sind schlau, und die beißen in dem Blatt zuerst den Harzkanal durch, sodass der keinen Druck mehr hat und nicht mehr das Harz ausschießen kann. Das ist eine sehr interessante Entwicklung, finde ich.

SPRECHER:

Harze sind für viele Pflanzen eine wichtige Waffe in diesem Wettrüsten der Natur. Nicht nur für Bäume: Hopfen harzt aus speziellen Drüsenhaaren, beim Hanf, auch bekannt als Cannabis, scheiden die weiblichen Blüten ein Harz aus - es ist recht beliebt, weil es die Rauschdroge THC enthält. Und es gibt sogar ein Tier, das harzt: die Lackschildlaus, Lieferantin des Schelllacks, aus dem früher Schallplatten hergestellt wurden. In unseren Breiten sind aber vor allem die Nadelgehölze als Harzlieferanten bekannt: Bei Tannen steckt das Harz in der Rinde. Bei Kiefern, Fichten und Lärchen im Holz. Bei Bedarf befördern es diese Bäume über eigene Harzkanäle nach außen:

O-Ton 4: Bayer

Im Prinzip sind die Harze für die Pflanze dazu da, zum Beispiel Wunden zu verschließen. Also wenn jetzt ein Ast abgehackt wird bei so einer Fichte oder Kiefer auch, dann tritt das Harz aus, und zwar wird es dann auch zum Teil vermehrt produziert und an den Ort der Verwundung transportiert. Dann tritt das Harz aus und bildet sozusagen einen Wundverschluss. Und dadurch, dass es mit der Zeit verhärtet, ist es eigentlich eine optimale Methode.

MUSIKAKZENT

O-Ton 5: Bayer

Dass Harze eingesetzt werden, auch beim Menschen, medizinisch, das ist ja auch bei uns der Fall. Ich weiß das nur von meiner Mutter, die erzählt hat, dass ihr Großvater wiederum, wenn man irgendwie eine Verwundung hatte, ein aufgeschürftes Knie, dann kam darauf eine Paste, die aus Honig und Kiefernharz gemischt war. Und das war einfach ein Wundverschluss. Und so werden verschiedene Harze auch in verschiedenen Naturvölkern immer noch verwendet. Und wahrscheinlich ist es gar nicht das Schlechteste.

SPRECHER:

... erzählt Ehrentraud Bayer. Inzwischen sind wir im Gewächshaus des Botanischen Gartens angekommen und stehen vor dem Guajakbaum aus Südamerika. Eher ein Strauch, größer wird er bei uns nicht. Aber er hat es in sich: In seiner Heimat wäre er fast ausgerottet worden, wegen seiner angeblichen medizinischen Wirkung. "Franzosenholz" heißt der Guajakbaum auch - eine Anspielung auf die "französische Krankheit", die Syphilis. Ob sie durch das Harz des Guajakbaums wirklich behandelt werden kann, das ist aus heutiger Sicht ungewiss.

SPRECHERIN:

Heute wird Guajakharz wird in der Medizin ganz woanders verwendet, erklärt Hans Seibert, Apotheker aus Teisendorf:

O-Ton 6: Seibert

Das brauchen wir, um einen Blutnachweis im Stuhl zu führen. Denn wenn dieses Harz mit Hämoglobin zusammenkommt, zusätzlich mit Wasserstoffperoxid, ändert sich die Farbe dieses Harzes, wird eine Blaufärbung erreicht. Und damit habe ich einen Nachweis für Blutvorkommen im Faeces, im Stuhl.

SPRECHERIN:

Ein Besuch in der Markt-Apotheke der Ortschaft im Rupertiwinkel zeigt, dass die Harze in der Medizin auch sonst eine wichtige Rolle spielen.

Atmo 2 - Klappern 1-1:05

SPRECHERIN:

In kleinen Plastikdosen hat Hans Seibert verschiedene Harze vorrätig, um daraus Medikamente zu machen.

Harte Stücke, zum Beispiel Kiefern- und Fichtenharz, das er selbst gefunden hat. Und in einem Glas eine zähe Masse, die aussieht wie Honig:

O-Ton 7: Seibert

Lärchenharz, aus dem Baum heraus gewonnen, wird ja in Österreich in riesigen Lärchenwäldern produziert, indem man die Bäume anbohrt und dann dieses heraustretende Harz sammelt, Und wir können es zur Weiterverarbeitung nutzen.

SPRECHERIN:

Zum Beispiel für eine sogenannte Zugsalbe, ein traditionelles Rezept der Volksmedizin. Wenn ein Tier oder Mensch sich einen Schiefer einzieht, der nicht herauszubekommen ist, dann streichen Bauern gerne diese Salbe darauf. Das enthaltene Harz reizt die Haut. Dadurch schwillt die Stelle etwas an und der Schiefer lässt sich schließlich herausdrücken. Hans Seibert ist einer der wenigen Apotheker, die eine solche Zugsalbe noch herstellen;

wobei die Nachfrage nach dieser traditionellen Zugsalbe heute nicht mehr allzu groß ist. Ein paar Kilogramm pro Jahr stellt Hans Seibert noch her …:

O-Ton 9: Seibert

Heute greift man schon eher auf pharmazeutische Salben dann auch zurück vor allen Dingen, weil die ja auch Nachweise erbringen, Studien gemacht haben, die wir mit unserer Pechsalbe nicht machen können. Aber wir machen es halt im Rahmen der Volksmedizin und dürfen das in der Apotheke auch herstellen.

SPRECHERIN:

Sehr aromatisch riecht es hier, im Labor der Apotheke in Teisendorf. Genau wie im Botanischen Garten. Denn Harze enthalten auch Geruchsstoffe, die leicht verdunsten. Ätherische Öle sagt der Fachmann dazu. Sie lassen sich aus dem Harz gewinnen, mit Hilfe von Wasserdampf:

O-Ton 10: Seibert

Es funktioniert so: Das Harz wird in einen Behälter gegeben, der wird erhitzt. Und dieser Dampf trägt das ätherische Öl mit sich. Und wenn der abgekühlt wird, der Dampf, dann trennen sie sich wieder. Der Dampf bildet Wasser, und der Rest ist ätherisches Öl. Und ich hab mein Terpentinöl.

SPRECHERIN:

Es ist heute vor allem als Pinselreiniger bekannt. Doch auch dieses Terpentinöl haben Menschen in der Volksmedizin verwendet.

Nicht nur für entspannende Badezusätze, die es nach wie vor mit Lärchen- oder Tannennadelduft gibt. Früher gab es Terpentinöl sogar zu trinken. Angeblich sollte es gegen Magenkrankheiten helfen. Doch davon rät Hans Seibert dringend ab.

So spielt das Terpentinöl hauptsächlich in der Tiermedizin noch eine gewisse Rolle. Aber das duftende Öl ist ja nicht der einzige Anteil von Harz. Bei der Destillation bleibt nämlich auch noch ein fester Rückstand. Und der ist ganz ohne Zweifel nützlich - wenn auch für eine ganz andere Verwendung.

MUSIK (Geigenstück oder Cello)

SPRECHERIN:

Kolophonium heißt das, was vom Harz übrigbleibt, wenn man die ätherischen Öle abgetrennt hat. Es ist unerlässlich für das Spiel von Streichinstrumenten.

Die Haare des Bogens werden damit eingerieben, damit er auf der Saite zunächst haftet und dann, bei seitlichem Druck, gleichmäßig darüber gleitet. Nur dank dieses festen Anteils von Harz kann der Musiker einen sauberen Geigen-, Bratschen- oder Celloton hervorbringen.

MUSIK

SPRECHERIN:

Aber es gibt auch noch ganz andere Anwendungen für Kolophonium, die ein Technik-Fachmann parat hat: Rolf Mülhaupt. Er ist Professor für "Makromolekulare Chemie" an der Universität Freiburg. Kennt sich also aus mit großen Molekülen, aus denen eben auch die Harze bestehen:

O-Ton 12: Mülhaupt

Kolophonium und andere Naturharze haben sehr viele Anwendungen. Also, wenn Sie Lacke, Klebstoffe machen, haben Sie nicht nur eine Harzkomponente,

sondern oft zehn, 20 verschiedene Füllstoffe. Und da sind Komponenten drin, die zum Beispiel die Klebrigkeit, die Haftung erhöhen. Und da hat man dann häufig auch Naturprodukte mit im Einsatz.

SPRECHERIN:

Lacke und Klebstoffe: Das sind zwei technische Anwendungen von Harzen. Bekannt sind zum Beispiel die Epoxidharze. Sie werden in der Regel als zwei flüssige Komponenten ausgeliefert. Erst wenn man beide genau im richtigen Verhältnis zusammenbringt, wird die Mischung hart - gerade so schnell, dass man zum Beispiel eine Schramme am Auto ausbessern oder eine Lackschicht auftragen kann, wenn man sich beeilt. Epoxidharze werden im Labor hergestellt. Den Begriff Kunstharze mag Rolf Mülhaupt trotzdem nicht. Für ihn als Chemiker gibt es so etwas eigentlich nicht:

O-Ton 13: Mülhaupt

Der Name Harz und Kunststoff und Polymer und Makromolekül wird oft synonym gebraucht. Es hat also durchaus Überlappungen. Ja, man kann nicht zwischen Kunststoff und Harz unterscheiden. Das kennen Sie alles aus der Natur. Ein Baum hat auch Harze. Das waren ganz früher Harze, die irgendwo dann an Luft gehärtet wurden. Und das hat man in der Technik dann übernommen. Aber im Prinzip ist die Bedeutung gleich. Und die Trennlinie existiert nicht.

SPRECHERIN:

Darum könnte man auf den ersten Blick auch Kautschuk zu den Harzen zählen. Jene milchige Flüssigkeit, die der Kautschukbaum absondert. Auch er besteht aus großen Molekülen. Fachleute betrachten ihn dennoch nicht als Harz. Denn er wird nicht richtig hart, bleibt weich wie Gummi, den man aus ihm herstellt. Aber es gibt ja jede Menge echte Harze, die mit der Zeit hart werden und mit denen Chemiker einiges anfangen können.

In der Technik haben Harze viele Vorteile. Vor allem: Sie sind ziemlich stabil. Egal ob es heiß ist oder kalt, sie bleiben in Form. Und weder in Wasser lösen sie sich auf noch sind sie sonst leicht zu zerstören. Inzwischen ist das ein großer Nachteil für die Umwelt, in der solche Produkte kaum abgebaut werden. Aber in vielen Bereichen schätzen wir genau diese Eigenschaft von technischen Harzen.

Atmo 3 - Bohren Zahnarzt (Archiv)

Zum Beispiel beim Zahnarzt:

O-Ton 15: Mülhaupt

Was macht der Zahnarzt? Er hat ein Harz und das ist gefüllt mit Quarzmehl zum Beispiel oder anderen Füllstoffen. Und er hat eine Blaulichtlampe. Was er jetzt macht: Er füllt das in ihre Zahnlücke, belichtet das. Und da ist eine Verbindung drin, die zerfällt und dann eine Reaktion auslöst, die zum Härten von diesem Material führt, das dann fest wird und die gewünschten Eigenschaften hat.

SPRECHERIN:

Auch der Schiffbau ist ohne Harze undenkbar. Die Römer konnten halb Europa auch deswegen so schnell erobern, weil sie auf Donau und Rhein wendige Kriegsschiffe im Einsatz hatten - und weil die mit Baumpech abgedichtet waren.

Heute verwenden Bootsbauer stattdessen spezielle Epoxidharze. Dass sie leicht sind, ist ein weiterer Vorteil, der bei Flugzeugen und Autos wichtig ist. Hier werden inzwischen viele Teile aus sogenannten Verbundmaterialien hergestellt: zum Beispiel aus einem Gewebe aus Carbonfasern, das mit Harzen verklebt und in Form gebracht wird.

MUSIKAKZENT

Atmo 4 - Alte Pinakothek 10:30

SPRECHERIN:

Von den modernen Hightech-Anwendungen noch einmal weit zurück in die Vergangenheit. Auch Künstler nutzen Harze, und das war schon vor 650 Jahren so. Rogier van der Weyden zum Beispiel, einer der wichtigsten Vertreter der Altniederländischen Malerei. Seinen Columba-Altar, den er im Jahr 1455 fertiggestellt hat, kann man in der Alten Pinakothek in München bestaunen:

O-Ton 16: Dietemann

Es ist lebendig, es ist wahnsinnig detailliert. Die Gesichter sind ganz klar, Porträts teilweise. Also es ist wahnsinnig gut gemalt und es wirkt ganz frisch. Und diese Malerei ist nicht nur qualitativ natürlich supertoll, sondern als Chemiker muss ich sagen, es ist auch recht stabil.

SPRECHERIN:

Frische, lebendige Farben nach so langer Zeit - das ist erstaunlich. Auch für den Chemiker Patrick Dietemann. Er arbeitet am Doerner-Institut, einer Forschungseinrichtung der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Sein Spezialgebiet sind die Bindemittel. Also das, was den Farbstoff, der eigentlich ein festes Pulver ist, zusammenhält und daraus eine Art Paste macht, die der Maler auf den Untergrund pinseln kann. Bindemittel gibt es verschiedene: zum Beispiel eine Emulsion aus Ei und Öl bei der Tempera-Malerei. Oder eben solche, die neben Öl auch Harz enthalten. In einem Kellerraum des Instituts hat Patrick Dietemann eine ganze Sammlung davon:

O-Ton 17: Dietemann

Hier ist unsere Schatzkammer mit allen unseren gesammelten Materialien. Wir haben hier natürlich sehr viele Pigmente, und da bin ich als Bindemittelchemiker dann immer neidisch, weil das so schön bunt ist. Meine Welt ist hier die andere Seite des Raums, wo es eigentlich nur zwischen gelb, braun und schwarz variiert, aber eben sehr viele unterschiedliche Materialien da sind. Wir haben viele Harze, wir haben aber auch Teere, Peche, Öle und alles Mögliche, was in der Kunst noch so verwendet wurde.

MUSIK

SPRECHERIN:

Etwa ab dem Mittelalter haben Maler sich neben der Temperatechnik auch der Ölmalerei zugewandt. Dabei werden die Farbstoffe in bestimmten Ölen verteilt, die nach einiger Zeit erstarren, zum Beispiel Leinöl. Kocht man ein solches Öl vorher mit einem Harz auf, wird die Farbe schneller fest - nicht erst nach Tagen, sondern schon nach ein paar Stunden. Das bedeutet:

Der Maler kann rascher die nächste Schicht auftragen. Das könnte ein Grund dafür sein, dass die Ölmalerei rasch wichtig geworden ist. Auch glänzen die Farben mehr, sie erscheinen durchsichtiger, und Farbübergänge lassen sich stufenlos gestalten. Das erläutert Patrick Dietemann an Hand eines der berühmtesten Werke der Pinakothek: des "Selbstbildnisses im Pelzrock" von Albrecht Dürer aus dem Jahr 1500. Frontal schaut der Künstler dem Betrachter direkt in die Augen

O-Ton 18: Dietemann

Wenn man die Haare oder eben auch den Pelz sieht, dann sind das natürlich einzelne Pinselstriche, die Haare, und das ist natürlich Absicht. Aber da im Stoff vor dem Gesicht, da sieht man eben keine abrupten Farbübergänge. Also das ist quasi wie ein Foto mit so feinen Übergängen, dass man das gar nicht sieht.

Und das wird eben erreicht über das Vermischen der Farben ineinander und über eine erhöhte Transparenz der Schichten, sodass man auch so gut durchsehen kann, dass da

eben keine harten Kontraste sichtbar werden außer da, wo es gewünscht ist künstlerisch. Und das ist typisch für diese Art von Ölmalerei.

SPRECHERIN:

Kolophonium, Mastix, Dammar, Drachenblut - welches Harz hat ein Maler verwendet? Diese Frage stellt sich spätestens, wenn ein Werk restauriert werden muss. Dann wollen die Fachleute der Original-Rezeptur möglichst nahekommen. Schriftliche Aufzeichnungen der Künstler gibt es aber nicht immer, und wenn, kann man sich darauf nicht unbedingt verlassen. Zum Beispiel wurden unter dem Begriff "Straßburger Terpentin" je nach Ort und Zeit höchst unterschiedliche Gemische verstanden - das zeigt die Sammlung historischer Bindemittel. Hier ist also das ganze Arsenal der modernen analytischen Chemie gefragt. Aber immer im Dienst der Kunst, das ist Patrick Dietemann wichtig.

MUSIKAKZENT

SPRECHER:

Zurück im Botanischen Garten in München. Im Gewächshaus hat Ehrentraud Bayer einige tropische Baumarten gezeigt, die ganz verschiedene berühmte Harze liefern:

Kopál, Weihrauch, Myrrhe, Perubalsam, und auch das Drachenblut, das Maler gerne wegen seiner rötlichen Färbung verwenden. Nun geht es noch einmal nach draußen: zu einem unscheinbaren Strauch aus der Familie der Pistaziengewächse. Im östlichen Mittelmeerraum wird er größer als hier, dort kann er richtige Bäume bilden. Sein Harz heißt Mastix, vom lateinischen Wort für kauen:

O-Ton 20: Bayer

Weil man das Harz auch als Kaugummi verwenden kann. Übrigens auch Harze von unserer Waldkiefer kann man, wenn's gerade so die richtige Konsistenz hat, also wenn's nicht zu fest ist, und auch nicht zu klebrig, sonst bleibt es immer in den Zähnen kleben, kann man das kauen. Ich habe das als Kind des Öfteren gemacht. Kaugummi und so war irgendwie nicht drin. Da hat man halt das Harz gekaut, und es schmeckt nicht schlecht. Schmeckt eben schön harzig.

SPRECHER:

Auch die Basis von richtigen Kaugummis ist ein Harz.

Das vom Mastixstrauch riecht sehr gut und wird zum Beispiel zum Ankleben von falschen Wimpern und Bärten verwendet. Außerdem ist es eines der teuersten Harze. Das liegt an der aufwändigen Gewinnung, die zum Beispiel auf der griechischen Insel Chios noch genauso passiert wie in der Antike.ü

O-Ton 21: Bayer

Der Baum wird angeritzt, und unten drunter werden entweder Blätter aufgelegt oder Platten aufgelegt, oder Kalk wird zum Teil gestreut, und da sammelt man das. Das Harz tritt dann in kleinen Tröpfchen aus, und dieses Harz muss man dann einsammeln mühsam. Ich glaube, ein Kilogramm hat 85 Euro gekostet von diesem Harz früher. Um ein Kilogramm von diesem Mastixharz zu gewinnen, muss man zehn große Bäume anritzen und das Harz mühsam Tröpfchen für Tröpfchen aufsammeln. Also kein Wunder, dass das so teuer ist.

SPRECHER:

Und wenn sich die Harzsammler die Finger verkleben, können sie mit Wasser und Seife nicht viel ausrichten. Aber die Griechen haben da einen Geheimtipp, wie man die klebrige Masse doch wegbekommt. Harze sind nämlich fettlöslich. Man muss die Stelle also einölen, zum Beispiel Olivenöl eine Weile einwirken lassen - und dann mit einem Tuch abwischen. Wahrscheinlich ist auch das ein Rezept aus der Antike. Denn mit Harzen haben Menschen schon lange Erfahrung, da ist sich Ehrentraud Bayer sicher:

O-Ton 22: Bayer

Es ist halt so, dass es nicht in allen Pflanzenfamilien auftritt, aber doch in diversen Pflanzenfamilien, und der Mensch es immer schon irgendwie genutzt hat. Entweder als Klebstoff oder um zum Beispiel auch Schiffe wasserfest zu machen. Oder er hat's halt medizinisch genutzt als Pflaster, oder er hat's eben zu Räucherungen verwendet, um böse Geister auszutreiben oder um unbewusst vielleicht auch die Luft etwas zu verbessern. Also das Harz begleitet die Menschheit schon sehr lange.

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Harze - Das Blut der Bäume

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Harze sind die Wundsekrete von Pflanzen. Menschen nutzen sie auf vielfältige Weise -zum Beispiel in der Medizin, der Technik und der Malerei. Und sie stellen künstliche Harze her, etwa Klebstoffe und Lacke. (BR 2019) Autor: Hellmuth Nordwig

Credits
Autor/in dieser Folge: Hellmuth Nordwig
Regie: Axel Wostry
Es sprachen: Susanne Schroeder, Andreas Neumann
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Bernhard Kastner

Im Interview:
Dr. Ehrentraud Bayer, Botanischer Garten, München;
Prof. Rolf Mülhaupt, Makromolekulare Chemie, Universität Freiburg;
Dr. Patrick Dietemann, Doerner-Institut München;
Dr. Johann Seibert, Apotheker, Teisendorf

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MUSIK

ATMO 1 Schritte Botanischer Garten

SPRECHER:

Der Botanische Garten in München-Nymphenburg ist schon mehr als hundert Jahre alt. Und der nordamerikanische Baum, auf den Ehrentraud Bayer zielstrebig zusteuert, hat auch schon Jahrzehnte auf dem Buckel. Die wissenschaftliche Leiterin des Gartens darf ausnahmsweise, was für Besucher streng verboten ist - sie zückt ein kleines Taschenmesser …:

O-Ton 1: Bayer

Wir stehen jetzt hier an der Balsamtanne. Die bildet das Harz direkt unter der Rinde, und dann gibt es hier zum Beispiel solche Blasen. Und wenn ich so eine Blase aufschneide ... Sehen Sie? Man sticht da rein, und dann tritt das Harz hervor. Es ist etwas mühsam, das einzusammeln. Aber es lohnt sich, Sie können mal daran riechen. Es ist absolut aromatisch, wirklich ganz toll.

SPRECHER:

Eine Träne Harz läuft die glatte Rinde hinunter. Ausgesprochen wohlriechend. Wer jetzt aber den Fehler macht, hineinzufassen, hat für lange Zeit klebrige Finger. Denn sie klebt, diese Flüssigkeit, die mal Harz, mal Terpentin genannt wird - und die mitunter auch Balsam oder Pech heißt.

Sie besteht aus einer Mischung ganz verschiedener Stoffe, die je nach Pflanzenart wiederum sehr unterschiedlich ist. Eine Gemeinsamkeit aber gibt es: In Wasser lösen sich die Harze nicht. Man kann also auch nicht einfach abwaschen, was der Baum von sich gibt, wenn er verletzt wird. Etwa, wenn wir einen Ast absägen, wenn Vögel den Stamm anbohren oder wenn Insektenlarven versuchen, im Holz Gänge zu graben. Für den Baum ist das wichtig. Ihm dient das Harz nämlich dazu …:

O-Ton 2: Bayer

… Fraßfeinde abzuwehren. Das funktioniert bei den einen besser, bei den anderen schlechter. Aber es sind Fraßfeinde. Es sind auch Pilze, die abgewehrt werden, oder Bakterien. Also dazu dient es.

SPRECHER:

Wer sich an der Rinde oder dem Holz gütlich tun will, den verklebt der Baum also kurzerhand. Mit der Zeit wird das Harz immer fester - Insekten und ihre Larven haben dann immer schlechtere Chancen, lebend wieder herauszukommen. Oft sieht man sie in Harztränen eingeschlossen. Dann hat die Pflanze den Zweikampf mit dem "Fraßfeind" gewonnen. Manchmal verliert sie ihn aber auch. Zum Beispiel ein tropischer Baum, der mit dem Weihrauchbaum verwandt ist: Bei dieser Pflanze ist das Harz auch in den Blättern - und auf diese Blätter haben es bestimmte Käferlarven abgesehen:

O-Ton 3: Bayer

Und wenn die Käferlarven unvorsichtig sind und an einer falschen Stelle das Blatt anfressen, dann schießt momentan aus dem Harzkanal, der in dem Blatt ist, offensichtlich eine beachtliche Menge an diesem Harz hervor und verklebt diese Larven. Dann gibt es aber wieder Käferlarven, die sind schlau, und die beißen in dem Blatt zuerst den Harzkanal durch, sodass der keinen Druck mehr hat und nicht mehr das Harz ausschießen kann. Das ist eine sehr interessante Entwicklung, finde ich.

SPRECHER:

Harze sind für viele Pflanzen eine wichtige Waffe in diesem Wettrüsten der Natur. Nicht nur für Bäume: Hopfen harzt aus speziellen Drüsenhaaren, beim Hanf, auch bekannt als Cannabis, scheiden die weiblichen Blüten ein Harz aus - es ist recht beliebt, weil es die Rauschdroge THC enthält. Und es gibt sogar ein Tier, das harzt: die Lackschildlaus, Lieferantin des Schelllacks, aus dem früher Schallplatten hergestellt wurden. In unseren Breiten sind aber vor allem die Nadelgehölze als Harzlieferanten bekannt: Bei Tannen steckt das Harz in der Rinde. Bei Kiefern, Fichten und Lärchen im Holz. Bei Bedarf befördern es diese Bäume über eigene Harzkanäle nach außen:

O-Ton 4: Bayer

Im Prinzip sind die Harze für die Pflanze dazu da, zum Beispiel Wunden zu verschließen. Also wenn jetzt ein Ast abgehackt wird bei so einer Fichte oder Kiefer auch, dann tritt das Harz aus, und zwar wird es dann auch zum Teil vermehrt produziert und an den Ort der Verwundung transportiert. Dann tritt das Harz aus und bildet sozusagen einen Wundverschluss. Und dadurch, dass es mit der Zeit verhärtet, ist es eigentlich eine optimale Methode.

MUSIKAKZENT

O-Ton 5: Bayer

Dass Harze eingesetzt werden, auch beim Menschen, medizinisch, das ist ja auch bei uns der Fall. Ich weiß das nur von meiner Mutter, die erzählt hat, dass ihr Großvater wiederum, wenn man irgendwie eine Verwundung hatte, ein aufgeschürftes Knie, dann kam darauf eine Paste, die aus Honig und Kiefernharz gemischt war. Und das war einfach ein Wundverschluss. Und so werden verschiedene Harze auch in verschiedenen Naturvölkern immer noch verwendet. Und wahrscheinlich ist es gar nicht das Schlechteste.

SPRECHER:

... erzählt Ehrentraud Bayer. Inzwischen sind wir im Gewächshaus des Botanischen Gartens angekommen und stehen vor dem Guajakbaum aus Südamerika. Eher ein Strauch, größer wird er bei uns nicht. Aber er hat es in sich: In seiner Heimat wäre er fast ausgerottet worden, wegen seiner angeblichen medizinischen Wirkung. "Franzosenholz" heißt der Guajakbaum auch - eine Anspielung auf die "französische Krankheit", die Syphilis. Ob sie durch das Harz des Guajakbaums wirklich behandelt werden kann, das ist aus heutiger Sicht ungewiss.

SPRECHERIN:

Heute wird Guajakharz wird in der Medizin ganz woanders verwendet, erklärt Hans Seibert, Apotheker aus Teisendorf:

O-Ton 6: Seibert

Das brauchen wir, um einen Blutnachweis im Stuhl zu führen. Denn wenn dieses Harz mit Hämoglobin zusammenkommt, zusätzlich mit Wasserstoffperoxid, ändert sich die Farbe dieses Harzes, wird eine Blaufärbung erreicht. Und damit habe ich einen Nachweis für Blutvorkommen im Faeces, im Stuhl.

SPRECHERIN:

Ein Besuch in der Markt-Apotheke der Ortschaft im Rupertiwinkel zeigt, dass die Harze in der Medizin auch sonst eine wichtige Rolle spielen.

Atmo 2 - Klappern 1-1:05

SPRECHERIN:

In kleinen Plastikdosen hat Hans Seibert verschiedene Harze vorrätig, um daraus Medikamente zu machen.

Harte Stücke, zum Beispiel Kiefern- und Fichtenharz, das er selbst gefunden hat. Und in einem Glas eine zähe Masse, die aussieht wie Honig:

O-Ton 7: Seibert

Lärchenharz, aus dem Baum heraus gewonnen, wird ja in Österreich in riesigen Lärchenwäldern produziert, indem man die Bäume anbohrt und dann dieses heraustretende Harz sammelt, Und wir können es zur Weiterverarbeitung nutzen.

SPRECHERIN:

Zum Beispiel für eine sogenannte Zugsalbe, ein traditionelles Rezept der Volksmedizin. Wenn ein Tier oder Mensch sich einen Schiefer einzieht, der nicht herauszubekommen ist, dann streichen Bauern gerne diese Salbe darauf. Das enthaltene Harz reizt die Haut. Dadurch schwillt die Stelle etwas an und der Schiefer lässt sich schließlich herausdrücken. Hans Seibert ist einer der wenigen Apotheker, die eine solche Zugsalbe noch herstellen;

wobei die Nachfrage nach dieser traditionellen Zugsalbe heute nicht mehr allzu groß ist. Ein paar Kilogramm pro Jahr stellt Hans Seibert noch her …:

O-Ton 9: Seibert

Heute greift man schon eher auf pharmazeutische Salben dann auch zurück vor allen Dingen, weil die ja auch Nachweise erbringen, Studien gemacht haben, die wir mit unserer Pechsalbe nicht machen können. Aber wir machen es halt im Rahmen der Volksmedizin und dürfen das in der Apotheke auch herstellen.

SPRECHERIN:

Sehr aromatisch riecht es hier, im Labor der Apotheke in Teisendorf. Genau wie im Botanischen Garten. Denn Harze enthalten auch Geruchsstoffe, die leicht verdunsten. Ätherische Öle sagt der Fachmann dazu. Sie lassen sich aus dem Harz gewinnen, mit Hilfe von Wasserdampf:

O-Ton 10: Seibert

Es funktioniert so: Das Harz wird in einen Behälter gegeben, der wird erhitzt. Und dieser Dampf trägt das ätherische Öl mit sich. Und wenn der abgekühlt wird, der Dampf, dann trennen sie sich wieder. Der Dampf bildet Wasser, und der Rest ist ätherisches Öl. Und ich hab mein Terpentinöl.

SPRECHERIN:

Es ist heute vor allem als Pinselreiniger bekannt. Doch auch dieses Terpentinöl haben Menschen in der Volksmedizin verwendet.

Nicht nur für entspannende Badezusätze, die es nach wie vor mit Lärchen- oder Tannennadelduft gibt. Früher gab es Terpentinöl sogar zu trinken. Angeblich sollte es gegen Magenkrankheiten helfen. Doch davon rät Hans Seibert dringend ab.

So spielt das Terpentinöl hauptsächlich in der Tiermedizin noch eine gewisse Rolle. Aber das duftende Öl ist ja nicht der einzige Anteil von Harz. Bei der Destillation bleibt nämlich auch noch ein fester Rückstand. Und der ist ganz ohne Zweifel nützlich - wenn auch für eine ganz andere Verwendung.

MUSIK (Geigenstück oder Cello)

SPRECHERIN:

Kolophonium heißt das, was vom Harz übrigbleibt, wenn man die ätherischen Öle abgetrennt hat. Es ist unerlässlich für das Spiel von Streichinstrumenten.

Die Haare des Bogens werden damit eingerieben, damit er auf der Saite zunächst haftet und dann, bei seitlichem Druck, gleichmäßig darüber gleitet. Nur dank dieses festen Anteils von Harz kann der Musiker einen sauberen Geigen-, Bratschen- oder Celloton hervorbringen.

MUSIK

SPRECHERIN:

Aber es gibt auch noch ganz andere Anwendungen für Kolophonium, die ein Technik-Fachmann parat hat: Rolf Mülhaupt. Er ist Professor für "Makromolekulare Chemie" an der Universität Freiburg. Kennt sich also aus mit großen Molekülen, aus denen eben auch die Harze bestehen:

O-Ton 12: Mülhaupt

Kolophonium und andere Naturharze haben sehr viele Anwendungen. Also, wenn Sie Lacke, Klebstoffe machen, haben Sie nicht nur eine Harzkomponente,

sondern oft zehn, 20 verschiedene Füllstoffe. Und da sind Komponenten drin, die zum Beispiel die Klebrigkeit, die Haftung erhöhen. Und da hat man dann häufig auch Naturprodukte mit im Einsatz.

SPRECHERIN:

Lacke und Klebstoffe: Das sind zwei technische Anwendungen von Harzen. Bekannt sind zum Beispiel die Epoxidharze. Sie werden in der Regel als zwei flüssige Komponenten ausgeliefert. Erst wenn man beide genau im richtigen Verhältnis zusammenbringt, wird die Mischung hart - gerade so schnell, dass man zum Beispiel eine Schramme am Auto ausbessern oder eine Lackschicht auftragen kann, wenn man sich beeilt. Epoxidharze werden im Labor hergestellt. Den Begriff Kunstharze mag Rolf Mülhaupt trotzdem nicht. Für ihn als Chemiker gibt es so etwas eigentlich nicht:

O-Ton 13: Mülhaupt

Der Name Harz und Kunststoff und Polymer und Makromolekül wird oft synonym gebraucht. Es hat also durchaus Überlappungen. Ja, man kann nicht zwischen Kunststoff und Harz unterscheiden. Das kennen Sie alles aus der Natur. Ein Baum hat auch Harze. Das waren ganz früher Harze, die irgendwo dann an Luft gehärtet wurden. Und das hat man in der Technik dann übernommen. Aber im Prinzip ist die Bedeutung gleich. Und die Trennlinie existiert nicht.

SPRECHERIN:

Darum könnte man auf den ersten Blick auch Kautschuk zu den Harzen zählen. Jene milchige Flüssigkeit, die der Kautschukbaum absondert. Auch er besteht aus großen Molekülen. Fachleute betrachten ihn dennoch nicht als Harz. Denn er wird nicht richtig hart, bleibt weich wie Gummi, den man aus ihm herstellt. Aber es gibt ja jede Menge echte Harze, die mit der Zeit hart werden und mit denen Chemiker einiges anfangen können.

In der Technik haben Harze viele Vorteile. Vor allem: Sie sind ziemlich stabil. Egal ob es heiß ist oder kalt, sie bleiben in Form. Und weder in Wasser lösen sie sich auf noch sind sie sonst leicht zu zerstören. Inzwischen ist das ein großer Nachteil für die Umwelt, in der solche Produkte kaum abgebaut werden. Aber in vielen Bereichen schätzen wir genau diese Eigenschaft von technischen Harzen.

Atmo 3 - Bohren Zahnarzt (Archiv)

Zum Beispiel beim Zahnarzt:

O-Ton 15: Mülhaupt

Was macht der Zahnarzt? Er hat ein Harz und das ist gefüllt mit Quarzmehl zum Beispiel oder anderen Füllstoffen. Und er hat eine Blaulichtlampe. Was er jetzt macht: Er füllt das in ihre Zahnlücke, belichtet das. Und da ist eine Verbindung drin, die zerfällt und dann eine Reaktion auslöst, die zum Härten von diesem Material führt, das dann fest wird und die gewünschten Eigenschaften hat.

SPRECHERIN:

Auch der Schiffbau ist ohne Harze undenkbar. Die Römer konnten halb Europa auch deswegen so schnell erobern, weil sie auf Donau und Rhein wendige Kriegsschiffe im Einsatz hatten - und weil die mit Baumpech abgedichtet waren.

Heute verwenden Bootsbauer stattdessen spezielle Epoxidharze. Dass sie leicht sind, ist ein weiterer Vorteil, der bei Flugzeugen und Autos wichtig ist. Hier werden inzwischen viele Teile aus sogenannten Verbundmaterialien hergestellt: zum Beispiel aus einem Gewebe aus Carbonfasern, das mit Harzen verklebt und in Form gebracht wird.

MUSIKAKZENT

Atmo 4 - Alte Pinakothek 10:30

SPRECHERIN:

Von den modernen Hightech-Anwendungen noch einmal weit zurück in die Vergangenheit. Auch Künstler nutzen Harze, und das war schon vor 650 Jahren so. Rogier van der Weyden zum Beispiel, einer der wichtigsten Vertreter der Altniederländischen Malerei. Seinen Columba-Altar, den er im Jahr 1455 fertiggestellt hat, kann man in der Alten Pinakothek in München bestaunen:

O-Ton 16: Dietemann

Es ist lebendig, es ist wahnsinnig detailliert. Die Gesichter sind ganz klar, Porträts teilweise. Also es ist wahnsinnig gut gemalt und es wirkt ganz frisch. Und diese Malerei ist nicht nur qualitativ natürlich supertoll, sondern als Chemiker muss ich sagen, es ist auch recht stabil.

SPRECHERIN:

Frische, lebendige Farben nach so langer Zeit - das ist erstaunlich. Auch für den Chemiker Patrick Dietemann. Er arbeitet am Doerner-Institut, einer Forschungseinrichtung der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Sein Spezialgebiet sind die Bindemittel. Also das, was den Farbstoff, der eigentlich ein festes Pulver ist, zusammenhält und daraus eine Art Paste macht, die der Maler auf den Untergrund pinseln kann. Bindemittel gibt es verschiedene: zum Beispiel eine Emulsion aus Ei und Öl bei der Tempera-Malerei. Oder eben solche, die neben Öl auch Harz enthalten. In einem Kellerraum des Instituts hat Patrick Dietemann eine ganze Sammlung davon:

O-Ton 17: Dietemann

Hier ist unsere Schatzkammer mit allen unseren gesammelten Materialien. Wir haben hier natürlich sehr viele Pigmente, und da bin ich als Bindemittelchemiker dann immer neidisch, weil das so schön bunt ist. Meine Welt ist hier die andere Seite des Raums, wo es eigentlich nur zwischen gelb, braun und schwarz variiert, aber eben sehr viele unterschiedliche Materialien da sind. Wir haben viele Harze, wir haben aber auch Teere, Peche, Öle und alles Mögliche, was in der Kunst noch so verwendet wurde.

MUSIK

SPRECHERIN:

Etwa ab dem Mittelalter haben Maler sich neben der Temperatechnik auch der Ölmalerei zugewandt. Dabei werden die Farbstoffe in bestimmten Ölen verteilt, die nach einiger Zeit erstarren, zum Beispiel Leinöl. Kocht man ein solches Öl vorher mit einem Harz auf, wird die Farbe schneller fest - nicht erst nach Tagen, sondern schon nach ein paar Stunden. Das bedeutet:

Der Maler kann rascher die nächste Schicht auftragen. Das könnte ein Grund dafür sein, dass die Ölmalerei rasch wichtig geworden ist. Auch glänzen die Farben mehr, sie erscheinen durchsichtiger, und Farbübergänge lassen sich stufenlos gestalten. Das erläutert Patrick Dietemann an Hand eines der berühmtesten Werke der Pinakothek: des "Selbstbildnisses im Pelzrock" von Albrecht Dürer aus dem Jahr 1500. Frontal schaut der Künstler dem Betrachter direkt in die Augen

O-Ton 18: Dietemann

Wenn man die Haare oder eben auch den Pelz sieht, dann sind das natürlich einzelne Pinselstriche, die Haare, und das ist natürlich Absicht. Aber da im Stoff vor dem Gesicht, da sieht man eben keine abrupten Farbübergänge. Also das ist quasi wie ein Foto mit so feinen Übergängen, dass man das gar nicht sieht.

Und das wird eben erreicht über das Vermischen der Farben ineinander und über eine erhöhte Transparenz der Schichten, sodass man auch so gut durchsehen kann, dass da

eben keine harten Kontraste sichtbar werden außer da, wo es gewünscht ist künstlerisch. Und das ist typisch für diese Art von Ölmalerei.

SPRECHERIN:

Kolophonium, Mastix, Dammar, Drachenblut - welches Harz hat ein Maler verwendet? Diese Frage stellt sich spätestens, wenn ein Werk restauriert werden muss. Dann wollen die Fachleute der Original-Rezeptur möglichst nahekommen. Schriftliche Aufzeichnungen der Künstler gibt es aber nicht immer, und wenn, kann man sich darauf nicht unbedingt verlassen. Zum Beispiel wurden unter dem Begriff "Straßburger Terpentin" je nach Ort und Zeit höchst unterschiedliche Gemische verstanden - das zeigt die Sammlung historischer Bindemittel. Hier ist also das ganze Arsenal der modernen analytischen Chemie gefragt. Aber immer im Dienst der Kunst, das ist Patrick Dietemann wichtig.

MUSIKAKZENT

SPRECHER:

Zurück im Botanischen Garten in München. Im Gewächshaus hat Ehrentraud Bayer einige tropische Baumarten gezeigt, die ganz verschiedene berühmte Harze liefern:

Kopál, Weihrauch, Myrrhe, Perubalsam, und auch das Drachenblut, das Maler gerne wegen seiner rötlichen Färbung verwenden. Nun geht es noch einmal nach draußen: zu einem unscheinbaren Strauch aus der Familie der Pistaziengewächse. Im östlichen Mittelmeerraum wird er größer als hier, dort kann er richtige Bäume bilden. Sein Harz heißt Mastix, vom lateinischen Wort für kauen:

O-Ton 20: Bayer

Weil man das Harz auch als Kaugummi verwenden kann. Übrigens auch Harze von unserer Waldkiefer kann man, wenn's gerade so die richtige Konsistenz hat, also wenn's nicht zu fest ist, und auch nicht zu klebrig, sonst bleibt es immer in den Zähnen kleben, kann man das kauen. Ich habe das als Kind des Öfteren gemacht. Kaugummi und so war irgendwie nicht drin. Da hat man halt das Harz gekaut, und es schmeckt nicht schlecht. Schmeckt eben schön harzig.

SPRECHER:

Auch die Basis von richtigen Kaugummis ist ein Harz.

Das vom Mastixstrauch riecht sehr gut und wird zum Beispiel zum Ankleben von falschen Wimpern und Bärten verwendet. Außerdem ist es eines der teuersten Harze. Das liegt an der aufwändigen Gewinnung, die zum Beispiel auf der griechischen Insel Chios noch genauso passiert wie in der Antike.ü

O-Ton 21: Bayer

Der Baum wird angeritzt, und unten drunter werden entweder Blätter aufgelegt oder Platten aufgelegt, oder Kalk wird zum Teil gestreut, und da sammelt man das. Das Harz tritt dann in kleinen Tröpfchen aus, und dieses Harz muss man dann einsammeln mühsam. Ich glaube, ein Kilogramm hat 85 Euro gekostet von diesem Harz früher. Um ein Kilogramm von diesem Mastixharz zu gewinnen, muss man zehn große Bäume anritzen und das Harz mühsam Tröpfchen für Tröpfchen aufsammeln. Also kein Wunder, dass das so teuer ist.

SPRECHER:

Und wenn sich die Harzsammler die Finger verkleben, können sie mit Wasser und Seife nicht viel ausrichten. Aber die Griechen haben da einen Geheimtipp, wie man die klebrige Masse doch wegbekommt. Harze sind nämlich fettlöslich. Man muss die Stelle also einölen, zum Beispiel Olivenöl eine Weile einwirken lassen - und dann mit einem Tuch abwischen. Wahrscheinlich ist auch das ein Rezept aus der Antike. Denn mit Harzen haben Menschen schon lange Erfahrung, da ist sich Ehrentraud Bayer sicher:

O-Ton 22: Bayer

Es ist halt so, dass es nicht in allen Pflanzenfamilien auftritt, aber doch in diversen Pflanzenfamilien, und der Mensch es immer schon irgendwie genutzt hat. Entweder als Klebstoff oder um zum Beispiel auch Schiffe wasserfest zu machen. Oder er hat's halt medizinisch genutzt als Pflaster, oder er hat's eben zu Räucherungen verwendet, um böse Geister auszutreiben oder um unbewusst vielleicht auch die Luft etwas zu verbessern. Also das Harz begleitet die Menschheit schon sehr lange.

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