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LEBEN IN GEFAHR ? Susanna Daucher, Täuferin um 1500

20:07
 
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Manage episode 405285160 series 2822647
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Eine Frau aus dem 16. Jahrhundert geht wegen einer einzigen mutigen Aktion in die Augsburger Stadtgeschichte ein: Susanna Daucher war Anhängerin der Glaubensgemeinschaft der Täufer. Als vermeintlich sozialrevolutionäre Keimzelle werden die Mitglieder der Täuferbewegung verfolgt und bestraft. Dennoch versammelt Susanna Daucher am Ostersonntag des Jahres 1528 ihre Glaubensbrüder und -schwestern in ihrem Haus - mit weitreichenden Folgen für sich, ihre Familie und alle Anwesenden. Am 8.3. ist Internationaler #frauentag 2024.

Credits
Autorin: Ulrike Beck
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Johannes Hitzelberger, Beate Himmelstoß
Technik: Susanne Herzig
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Dr. Veronika Schmeer, Dr. Barbara Kink

Linktipps:
ZDF (2018): So lebten Frauen im Mittelalter
Ob Adelige oder Bäuerin, ob Nonne oder Gattin und Mutter: Frauen müssen sich im Mittelalter den Männern unterordnen. Zum Film geht es HIER.
Deutschlandfunk (2019): Die Täuferbewegung – Vorbilder der Toleranz
Vor 500 Jahren wurden Täufer verfolgt und ermordet. Heute werden sie zumindest oft noch schief angeschaut. Der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann plädiert für einen neuen Blick auf die Täufer: Sie seien Vorkämpfer moderner Werte und könnten auch Vorbild einer zukunftsfähigen Kirche sein. JETZT ANHÖREN

BR (2023): Das Bayerische Jahrtausend – 16. Jahrhundert: Augsburg
Augsburg ist im 16. Jahrhundert Schauplatz grundlegender sozialer und religiöser Umwälzungen. Die verarmten Weber proben den Aufstand - und Luthers Reformation führt erst zur Kirchenspaltung und 1555 zum Augsburger Religionsfrieden. JETZT ANSEHEN


Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:

Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
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TC 00:15 - Intro

MUSIK

Erzähler
Die Geschichte Susanna Dauchers beginnt um das Jahr 1495 in Augsburg, wo sie als Tochter der Familie Spitzmacher zur Welt kommt und gemeinsam mit ihrer Schwester Maxentia aufwächst. Hinein in die Zeit des gigantischen Umbruchs durch die Reformation.

MUSIK

Erzählerin
Mit ungefähr zwanzig Jahren heiratet sie Hans Adolf Daucher, einen gebürtigen Stuttgarter, der sich als Bildhauer einen Namen gemacht hat und in Augsburg zu-sammen mit seinem Vater eine Werkstatt betreibt. Susanna ist als Ehefrau des Adolf Daucher zu ihrer Zeit in Augsburg ein Begriff: Sie ist die Adolfin von Augsburg.

Atmo: Plätschern am Lechkanal

Erzähler
Das Ehepaar bekommt zwei Kinder und wohnt in einem ansehnlichen Haus mitten im Lechquartier - im Bürgergässchen. Hier kümmert sich Susanna Daucher nicht nur um ihre Kinder, sondern hilft auch tatkräftig im Handwerksbetrieb mit. Sie ist dafür zuständig, dass für die Gesellen und Lehrlinge immer genug zu essen auf dem Tisch steht.

MUSIK aus

Erzählerin
Doch was macht Susanna so besonders, dass es 500 Jahre später einen Wikipe-dia-Eintrag über sie gibt? Und an ihrem früheren Wohnhaus mittlerweile eine Ge-denktafel an sie erinnert? Beides würde nicht existieren, wenn sie sich 1527 nicht der Augsburger Täufergemeinde angeschlossen hätte.

Musikakzent: dramatisch, heimlich, dynamisch

TC 01:55 – Die Täufergemeinde in Augsburg

Erzähler
Was für eine Glaubensgemeinschaft sind die Täufer, die als Splittergruppe aus der Reformation hervorgehen? Eine Bewegung mit unterschiedlichen Flügeln, die aber dennoch ein gemeinsames Credo haben, wie Barbara Kink, Historikerin am Museum Fürstenfeldbruck erklärt:

1.O-Ton: ( Kink ab 0:19)
Die Täuferbewegung hat als kleinsten gemeinsamen Nenner die Ablehnung der Säuglingstaufe. (…) Es beginnt in der Schweiz im Umkreis um Huldrych Zwingli. Die erste Erwachsenentaufe findet da im Januar 1525 statt. Und (…) es greift re-lativ rasch um sich diese Täuferbewegung. (…) Die wollten wirklich die evangeli-schen Grundsätze (…) auch im diesseitigen Leben schon verwirklichen. Die hatten sehr pazifistische Grundsätze teilweise, sie wollten keinen Wehrdienst leisten, kei-nen Eid leisten, aber sie wollten wirklich eine Verbesserung ihrer Lebenswelten durch ein gemeinschaftliches Leben, durch Hilfe auch finanzieller Art, durch einen gemeinen Kasten, durch Gütergemeinschaft.

Erzählerin
Wie Susanna Daucher mit der Bewegung in Berührung gekommen ist, ist nicht überliefert. Aber offenbar hat es sie angesprochen, das Evangelium nach urchrist-lichem Vorbild zu leben. Denn im November 1527 lässt sie sich taufen.
Im Hause der Nestlerin, wie sie später in ihrem Prozess aussagt. Veronika Sch-meer, Kunsthistorikerin im Haus der Bayerischen Geschichte, hat die Verneh-mungsprotokolle studiert:

2.O-Ton: Veronika Schmeer ab 4:30
Die Nestlerin am Roßmarkt ist eigentlich keine Person, die man jetzt so konkret greifen kann. Susanna Daucher sagt eben aus, dass sie sich dort habe taufen lassen. Angeblich aber sowohl in Abwesenheit des Nestlers, des Ehemannes, aber auch der Nestlerin. Und sie verschweigt auch, wer sonst noch mit dabei ge-wesen sein soll - außer ihrer Schwester Maxentia Wisinger, die sich auch in die-sem Zusammenhang habe taufen lassen.

Erzähler
Susanna Daucher wird aktives Mitglied der Augsburger Täufergemeinde. Sie ver-anstaltet Treffen für Frauen, bei denen sie aus der Bibel lesen. Sie besucht Ver-sammlungen außerhalb der Stadt und beginnt, sich auch im diakonischen Bereich zu engagieren, indem sie sich um arme Menschen kümmert.

Erzählerin
Sie ist zwar keine Führungspersönlichkeit in der Täuferbewegung - diese Rolle ist den Männern vorbehalten - aber eine der vielen Frauen, ohne die die Gemein-schaft nicht existieren könnte:

3.O-Ton: (Veronika Schmeer ab 5:10)
Die Frauen spielen eine ziemlich große Rolle in dieser ganzen Täufer-Bewegung. Man sollte das aber vielleicht auch nicht zu sehr aus dem heutigen Blick sich anschauen. Dass es irgendwie eine emanzipatorische Bewegung gewesen wäre, sondern man kann sich eher vorstellen, dass es daran liegt, dass die Täufer sich immer zu Hause treffen. (…) Die Frauen kümmern sich zum Beispiel darum, dass Wein und Getränke vorhanden sind, dass es etwas zu essen gibt, dass es eine
Herberge auch für die Täufer gibt, die von außen in die Stadt kommen.

TC 04:55 – Verfolgung, Folter und Todesstrafe

Erzähler
Eine Gastfreundschaft, die gefährlich ist, denn Täufer gelten spätestens nach der Niederschlagung des Bauernaufstandes als sozialrevolutionäre Keimzelle, deren Anhänger verfolgt und bestraft werden. Barbara Kink:

4.O-Ton: Barbara Kink:
Die Täufer wurden von Beginn an verfolgt. ( ..)
(weiter ab: 14:29) Also die bayrischen Herzöge haben sich ganz früh schon entschieden,(…) Wir müssen jeden reformatorischen Aufbruch bekämpfen, denn durch die Lutherischen kommt schließlich auch der Bauernkrieg und die Revolution und die Unruhe und Empörung. (…) Die bayerischen Herzöge haben einen Inquisitor eingesetzt. (15:16) Die Behörden haben relativ rasch und effektiv und effizient gearbeitet, um diese Verfolgung auch effektiv zu gestalten. Das bayerische Täufermandat ist eines der frühesten. Schon 1527 gibt's ein Mandat mit Androhung der Todesstrafe.

Erzählerin
Als Freie Reichsstadt gehört Augsburg nicht zum Herzogtum Bayern und nimmt es bis zum Herbst 1527 mit der Verfolgung der Täufer nicht ganz so genau. Damit strömen immer mehr Anhänger der Bewegung in die Stadt oder lassen sich in der Umgebung nieder. Augsburg ist bald das Zentrum der süddeutschen Täuferbewegung.

5.O-Ton (Kink ab 6:02)
Aus unterschiedlichen Gründen. (…) Sehr viele der Ratsherren in Augsburg haben sich dem Luthertum angeschlossen, aber es gab eben auch z.B. den Eitelhans Langenmantel, der dezidierter Täuferanhänger war. Der Rat war gespalten (…) Die ersten Jahre hat man die Täufer in Augsburg durch Winkelpredigten sehr stark vertreten gesehen. (ab 7:19) Winkelpredigten sind eben nicht Predigten in der Kirche. Das ist etwas, was die Täuferbewegung auch auszeichnet, dass sie sehr oft unter freiem Himmel stattfinden, dass sie in Privathäusern stattfinden, in Wirtshäusern vor allem aber eben in städtischen Winkeln, (…) wo sich Prediger hinstellen und eine interessierte Gruppe um sich scharen.

MUSIK

Erzähler
Im August 1527 füllt sich die Stadt mit auffällig vielen Führern der Täuferbewegung. Sie kommen aus ganz Süddeutschland, Österreich und der Schweiz und haben vom 20. bis zum 24. eine Synode anberaumt, auf der ein Konsens gefunden werden soll zwischen dem pazifistischen Schweizer Flügel und der militanten süddeutschen Gruppe um Hans Hut.

Erzählerin
Hans Hut, ein Weggefährte Thomas Müntzers, der im Bauernaufstand den Einsatz von Gewalt durchaus befürwortet hat, leitet zwei der Versammlungen. Er ist längst zu einer der führenden Persönlichkeiten der Täuferbewegung im süddeutschen Raum geworden.

6.O-Ton: ( ab ca. 11:35)
Ein wandernder Buchhändler, der offensichtlich sehr charismatisch war. (weiter ab 12:00) Hans Hut war davon überzeugt, dass er das Ende der Welt erleben wird und zwar auch aufgrund von biblischen Berechnungen. Er hat Johannes‘ Apokalypse berechnet und (…) hat berechnet, Pfingsten 1528 wird die Welt untergehen. (…) Er ist durch die Lande gezogen und hat es in Augsburg publik macht. Er wird 144 000 Fromme, Gerechte vor dem Weltende bewahren. Und wenn man sich so vorstellt, also diese Sündenangst. Dieses Bewusstsein, ich komme in die Hölle. Das hat gezogen.

Erzähler
Die Täufersynode wird als Augsburger Märtyrersynode bekannt, denn viele der Teilnehmer werden anschließend verfolgt und hingerichtet.
Die Stadt beginnt von nun an, das Täufermandat konsequent umzusetzen und die Gemeinschaft drastisch zu verfolgen. Bereits im Herbst 1527 kommt es zu einer ersten großen Verhaftungswelle.

MUSIK aus

TC 08:31 – Ein verhängnisvoller Ostersonntag

Erzählerin
Das ist genau die Zeit, in der Susanna Daucher in der Bewegung aktiv wird. Ihr Mann Hans Adolf dürfte davon mäßig begeistert gewesen sein. Immerhin riskiert sie als Mutter von zwei Kindern nicht nur ihr Leben, sondern auch seine Existenz.

Erzähler
Das muss Susanna bewusst gewesen sein, aber sie hat offenbar bei den Täufern eine Gemeinschaft gefunden, die ihrem Glauben entspricht. Angesichts der Pro-phezeiung, dass das Ende der Welt unmittelbar bevorsteht, scheint sie im Dies-seits nichts mehr gefürchtet zu haben.

7. O-Ton (Kink ab 19:01)
Dieses Heilsbedürfnis der Menschen in den frühen Jahrzehnten des16. Jahrhunderts darf man nicht unterschätzen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie wirklich ganz, ganz stark interessiert war an diesen Glaubensinhalten, dass sie sich Verbesserungen versprochen hat und Halt in der Gemeinde. Man war ja doch eine eingeschworene Gesellschaft. (…) Und sie war sicherlich davon überzeugt, dass sie das Richtige tut und dass sie diese Bewegung unterstützen möchte.

Atmo Plätschern des Lechkanals, Geräusche von Schritten auf dem Pflaster, dramatischer Musikakzent

Erzählerin
Augsburg am 12.April 1528. Es ist der entscheidende Tag, durch den Susanna Daucher Eingang findet in die Stadtgeschichte. Der letzte Ostersonntag vor Huts prophezeiter Wiederkunft Christi. Hans Hut selbst ist mittlerweile nach Folter und Gefangenschaft qualvoll gestorben und gilt unter den Täufern als Märtyrer, was seine Prophezeiung noch bedeutender erscheinen lässt.

Erzähler
In den frühen Morgenstunden versammeln sich im Hause Daucher in der Bürger-gasse an die 100 Menschen, um hier einen Gottesdienst abzuhalten. Der Haus-herr ist verreist. Susanna nutzt die Gelegenheit, um hier ihre Glaubensbrüder und -schwestern zu empfangen.

Erzählerin
Sie weiß, dass es verboten ist, andere Mitglieder der Täuferbewegung aufzuneh-men und zu bewirten, aber sie hat dennoch Brot und Wein besorgt für alle, die in ihrem Haus nun zusammen in der Bibel lesen wollen.

Erzähler
Vorsorglich hat sie an diesem Ostersonntag die Fenster mit Tüchern verhängt und als Erkennungszeichen für ihre Glaubensbrüder und -schwestern einen Ring an die Haustür gemalt. Damit niemand an der falschen Tür klopft.

Erzählerin
Sie ist mit ihrem dritten Kind schwanger und sich bewusst, dass es drastische Konsequenzen hat, wenn die Versammlung auffliegt. Dennoch geht sie das Risiko ein. Ungeachtet der Warnungen, dass bereits die Stadtwache ihr Haus im Visier hat.

MUSIK aus

Erzähler
Was in den frühen Morgenstunden des Ostersonntags im Hause Daucher genau passiert, das rekonstruiert Veronika Schmeer:

8.O-Ton (Interview 1. Teil ab 14:37 ff.)
Man trifft sich schon am Vortag am Ostersamstag sozusagen in wahrscheinlich einer kleineren Runde und man beschließt, sich am Ostersonntag in der Früh (…) bei der Adolfin (…) zu treffen also bei Susanna Daucher. Und (…) es ist so, dass sie wahrscheinlich schon im Vorfeld verraten werden. Denn es gibt Berichte darüber, dass schon irgendwelche Stadtschergen im Umfeld des Hauses sich auffällig positioniert haben und einige Leute sind davon abgeschreckt. (…) Die Stadt-Schergen (…) greifen dann ein und lösen die Versammlung auf und verhaften diese 88 Personen, von denen übrigens mehr als die Hälfte sind Frauen.

MUSIK

TC 12:03 – Verbannung

Erzählerin
In Zweierreihen werden sie abgeführt und zum Rathaus gebracht. Diejenigen, die von auswärts kommen, werden zuerst verhört und müssen dann die Stadt verlas-sen. Sie müssen schwören, für einen Zeitraum von sechs Jahren das Stadtgebiet nicht mehr zu betreten. Wer sich nicht daran halten sollte, dem droht die Hinrich-tung.

Erzähler
Die Strafen für die Augsburger Gemeindemitglieder, die so genannten Einheimi-schen, fallen hingegen drastischer aus. Ihnen wird im April der Prozess gemacht, der für den Vorsteher der Täufergemeinde Hans Leupold mit einem Todesurteil endet.

MUSIK aus

9. O-Ton: ( Interview Teil 2 ab ca. 18:15)
Der Schneider wird dann eben hingerichtet. Das ist dann quasi die drastischste Strafe, die da passiert. Die meisten anderen bekommen die Strafe mit dem Ba-cken brennen. Was sehr grausam ist. Man bekommt mit einer Eisenstange die Backen durchgebrannt und ist somit auch für immer gekennzeichnet. Als Täufer oder ehemals Anhänger der Täufer Gemeinde. Das ist im Grunde genommen auch ein Ruin (…) Man kommt dann vielleicht auch nirgendwo mehr unter, be-kommt keine Arbeit mehr. Es hat definitiv Folgen.

Erzählerin
Susanna Daucher zeigt sich während ihres Prozesses unerschrocken. Wie den Vernehmungsprotokollen zu entnehmen ist, weicht sie den bohrenden Fragen des Stadtschreibers – und damals schon berühmten Humanisten - Konrad Peutinger geschickt aus.

10.O-Ton: ( Schmeer ab ca. 13:11)
Er wollte ja wissen, wer ist noch beteiligt. Man wollte wirklich so ein Denunziantentum in diesen Verhören anstiften. Und da hält sie sich sehr bedeckt. Sie sagt immer nur: ich kenne keine Namen. Ich habe niemanden beherbergt. Ich habe nichts getan. Und sie wird ja zuerst nur befragt und dann wird ihr angedroht, dass sie ernstlich befragt wird. Eine Androhung einer Folter. (…) Und auch da sagt sie, sie wisse nicht was sie noch zu der Angelegenheit sagen soll.

Erzähler
Das Urteil fällt für Susanna Daucher vergleichsweise milde aus. Weil sie schwan-ger ist, wird sie am 21.April 1528 mit dem so genannten „Verruf“ aus der Stadt verbannt. Das bedeutet, dass es ihr fortan verboten ist, sich Augsburg in einem Umkreis von sechs Meilen zu nähern.

MUSIK

Erzählerin
Die Verbannung durch den Rat der Stadt Augsburg hat für Susanna Daucher weit-reichende Konsequenzen. Noch am Tag der Urteilsverkündung wird sie an den Pranger gestellt und muss sofort danach die Stadt verlassen.

Erzähler
Ohne ihre beiden Kinder, die sie nie wiedersehen wird. Susanna sucht zunächst in der näheren Umgebung Zuflucht und bringt dort ihr drittes Kind zur Welt. Das of-fenbar ihr Mann zu sich holt, nachdem er von seiner Reise zurückkehrt. Er wird jedenfalls später als Vater von drei Kindern erwähnt.

MUSIK aus

11.O-Ton ( Veronika Schmeer ab ca. 22:00)
Ich nehme an, sie werden weiterhin Kontakt gehabt haben, aber sie darf natürlich nicht in die Stadt kommen. (…) Er kann aber später dann auch für die Kinder selber nicht sorgen, sondern die sind dann auch in Pflegschaft alle drei.

Erzählerin
Auch Hans Daucher verliert mit der Verbannung seiner Frau alles, denn …

12.O-Ton ( ab ca. 6:00)
Ohne seine Frau ist sein Unternehmen mit der Bildhauerei eigentlich dem Ruin geweiht, weil die Frau sich auch um die ganzen Gesellen und Lehrlinge kümmert. (…) Und ohne die Frau funktioniert diese Werkstatt nicht mehr (…) und es ist dann später bezeugt, dass der Hans Daucher eigentlich nur noch unter den Habenichtsen in den Steuerbüchern geführt wird und er kann ja auch nicht neu heiraten, denn seine Frau ist ja nicht tot. Er ist da irgendwie gefangen und kommt auch nicht mehr raus.

TC 15:38 – Die falsche Prophezeiung

Erzähler
Nach der Verhaftungswelle an jenem Osterfest 1528 beginnt die Täufergemeinde in Augsburg, sich aufzulösen. Nicht nur, weil es angesichts der drastischen Verfol-gung in der Stadt niemand mehr wagt, Versammlungen abzuhalten, sondern auch, weil Hans Huts Prophezeiung nicht eingetroffen ist. Barbara Kink:

13.O-Ton: (Kink ab ca. 25.20)
Es war offensichtlich dann doch eine große Enttäuschung. Man hat Hans Hut geglaubt. Man hat sich versprochen von diesen Höllenqualen verschont zu werden. Und man sieht, dass diese Bewegung dann ja zum Teil zusammenbricht. Dann natürlich auch aufgrund der einsetzenden obrigkeitlichen Maßnahmen, man setzte dann doch nicht so gern sein Leben aufs Spiel.

Erzählerin
Schon Mitte August 1528 beschließt die Täufergemeinde, künftig nicht mehr zusammen zu kommen.

Erzähler
Wer dennoch als Täufer seinen Glauben leben möchte, wandert ab. Entweder in die Schweiz, wo im Zollikon noch kleine Täufergemeinschaften existieren.

Erzählerin
Oder nach Mähren an einen der Bruderhöfe, wo Täufer ein urchristlich-kommunistisches Gemeinschaftsleben praktizieren. Auf Initiative des Tirolers Jakob Hutter leben und arbeiten Familien hier völlig autark zusammen und teilen sich Hab und Gut. Die Bruderhöfe werden zum Zufluchtsort für viele Täufer:

14.O-Ton: Barbara Kink:
Es gab sicherlich Leute, die dann nach Mähren gegangen sind. Das weiß man von vielen bayerischen Täufern. (…) Also wirklich ab 1530 verschwinden die Täufer von der Bildfläche. Im Herzogtum ist es so. Und die nächsten Täufermandate, die dann aus den 50er 60er und 70er Jahren des 16. Jahrhunderts sind, da geht es vor allem darum, dass man versucht diese Abwanderung in die Bruderhöfe nach Böhmen und Mähren zu verhindern. Man versucht also wirklich, da ein Riegel vorzuschieben, dass viele Leute an diesen täuferischen Idealen immer noch festhalte, abwenden.

Erzähler
Die Täufer werden auch nicht mit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 als Glaubensgemeinschaft akzeptiert. Den Grund dafür sieht Barbara Kink in der Tatsache, dass sie als Glaubensgemeinschaft keine einflussreichen Fürsprecher haben:

15.O-Ton: Barbara Kink
Die Täufer fallen zwischen alle Raster. Es sind die Lutheraner, es sind die Reformierten und die Katholiken, die davon profitieren. Die Täufer sind als reformatorische Splittergruppe oder als Wildwuchs der Reformation (…) nicht relevant dafür. Die haben einfach keine adlige Lobby. (…) Das ist wirklich (…) eine Revolution des Gemeinen Mannes.

MUSIK

Erzählerin
Dennoch bleibt die Sehnsucht nach religiöser Authentizität, nach Ursprünglichkeit, nach diesem Urchristentum bis heute lebendig.

16.O-Ton: Barbara Kink
Die Täufer existieren ja heute noch in sehr vielgestaltiger Weise. Es gibt die Mennoniten in Amerika, es gibt die Hutterer immer noch, es gibt die Amish. Es gibt immer noch sehr viele Glaubensgemeinschaften vor allem freikirchliche Baptisten, die sich auch heute noch auf die Täufer wirklich als Ursprungsherd berufen.

Erzähler
Was Susanna Daucher 1528 nicht ahnen konnte ist, dass im 20.Jahrhundert eine mennonitische Gemeinde in Augsburg sehr aktiv ist. Dass es runde 500 Jahre nach ihrer Verbannung Menschen gibt, die nach den Glaubensgrundsätzen leben, für die sie damals alles riskiert hat. Und dafür nicht mehr verfolgt werden.

Erzählerin
Sie konnte auch nicht wissen, dass mittlerweile an ihrem Haus am heutigen Hinteren Lech 2 eine Gedenktafel an sie und die Ereignisse des Ostersonntags 1528 erinnert.

TC 19:28 – Outro

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Autorin: Ulrike Beck
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Es sprachen: Johannes Hitzelberger, Beate Himmelstoß
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Ob Adelige oder Bäuerin, ob Nonne oder Gattin und Mutter: Frauen müssen sich im Mittelalter den Männern unterordnen. Zum Film geht es HIER.
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Vor 500 Jahren wurden Täufer verfolgt und ermordet. Heute werden sie zumindest oft noch schief angeschaut. Der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann plädiert für einen neuen Blick auf die Täufer: Sie seien Vorkämpfer moderner Werte und könnten auch Vorbild einer zukunftsfähigen Kirche sein. JETZT ANHÖREN

BR (2023): Das Bayerische Jahrtausend – 16. Jahrhundert: Augsburg
Augsburg ist im 16. Jahrhundert Schauplatz grundlegender sozialer und religiöser Umwälzungen. Die verarmten Weber proben den Aufstand - und Luthers Reformation führt erst zur Kirchenspaltung und 1555 zum Augsburger Religionsfrieden. JETZT ANSEHEN


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DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
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Die Geschichte Susanna Dauchers beginnt um das Jahr 1495 in Augsburg, wo sie als Tochter der Familie Spitzmacher zur Welt kommt und gemeinsam mit ihrer Schwester Maxentia aufwächst. Hinein in die Zeit des gigantischen Umbruchs durch die Reformation.

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Mit ungefähr zwanzig Jahren heiratet sie Hans Adolf Daucher, einen gebürtigen Stuttgarter, der sich als Bildhauer einen Namen gemacht hat und in Augsburg zu-sammen mit seinem Vater eine Werkstatt betreibt. Susanna ist als Ehefrau des Adolf Daucher zu ihrer Zeit in Augsburg ein Begriff: Sie ist die Adolfin von Augsburg.

Atmo: Plätschern am Lechkanal

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Das Ehepaar bekommt zwei Kinder und wohnt in einem ansehnlichen Haus mitten im Lechquartier - im Bürgergässchen. Hier kümmert sich Susanna Daucher nicht nur um ihre Kinder, sondern hilft auch tatkräftig im Handwerksbetrieb mit. Sie ist dafür zuständig, dass für die Gesellen und Lehrlinge immer genug zu essen auf dem Tisch steht.

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Doch was macht Susanna so besonders, dass es 500 Jahre später einen Wikipe-dia-Eintrag über sie gibt? Und an ihrem früheren Wohnhaus mittlerweile eine Ge-denktafel an sie erinnert? Beides würde nicht existieren, wenn sie sich 1527 nicht der Augsburger Täufergemeinde angeschlossen hätte.

Musikakzent: dramatisch, heimlich, dynamisch

TC 01:55 – Die Täufergemeinde in Augsburg

Erzähler
Was für eine Glaubensgemeinschaft sind die Täufer, die als Splittergruppe aus der Reformation hervorgehen? Eine Bewegung mit unterschiedlichen Flügeln, die aber dennoch ein gemeinsames Credo haben, wie Barbara Kink, Historikerin am Museum Fürstenfeldbruck erklärt:

1.O-Ton: ( Kink ab 0:19)
Die Täuferbewegung hat als kleinsten gemeinsamen Nenner die Ablehnung der Säuglingstaufe. (…) Es beginnt in der Schweiz im Umkreis um Huldrych Zwingli. Die erste Erwachsenentaufe findet da im Januar 1525 statt. Und (…) es greift re-lativ rasch um sich diese Täuferbewegung. (…) Die wollten wirklich die evangeli-schen Grundsätze (…) auch im diesseitigen Leben schon verwirklichen. Die hatten sehr pazifistische Grundsätze teilweise, sie wollten keinen Wehrdienst leisten, kei-nen Eid leisten, aber sie wollten wirklich eine Verbesserung ihrer Lebenswelten durch ein gemeinschaftliches Leben, durch Hilfe auch finanzieller Art, durch einen gemeinen Kasten, durch Gütergemeinschaft.

Erzählerin
Wie Susanna Daucher mit der Bewegung in Berührung gekommen ist, ist nicht überliefert. Aber offenbar hat es sie angesprochen, das Evangelium nach urchrist-lichem Vorbild zu leben. Denn im November 1527 lässt sie sich taufen.
Im Hause der Nestlerin, wie sie später in ihrem Prozess aussagt. Veronika Sch-meer, Kunsthistorikerin im Haus der Bayerischen Geschichte, hat die Verneh-mungsprotokolle studiert:

2.O-Ton: Veronika Schmeer ab 4:30
Die Nestlerin am Roßmarkt ist eigentlich keine Person, die man jetzt so konkret greifen kann. Susanna Daucher sagt eben aus, dass sie sich dort habe taufen lassen. Angeblich aber sowohl in Abwesenheit des Nestlers, des Ehemannes, aber auch der Nestlerin. Und sie verschweigt auch, wer sonst noch mit dabei ge-wesen sein soll - außer ihrer Schwester Maxentia Wisinger, die sich auch in die-sem Zusammenhang habe taufen lassen.

Erzähler
Susanna Daucher wird aktives Mitglied der Augsburger Täufergemeinde. Sie ver-anstaltet Treffen für Frauen, bei denen sie aus der Bibel lesen. Sie besucht Ver-sammlungen außerhalb der Stadt und beginnt, sich auch im diakonischen Bereich zu engagieren, indem sie sich um arme Menschen kümmert.

Erzählerin
Sie ist zwar keine Führungspersönlichkeit in der Täuferbewegung - diese Rolle ist den Männern vorbehalten - aber eine der vielen Frauen, ohne die die Gemein-schaft nicht existieren könnte:

3.O-Ton: (Veronika Schmeer ab 5:10)
Die Frauen spielen eine ziemlich große Rolle in dieser ganzen Täufer-Bewegung. Man sollte das aber vielleicht auch nicht zu sehr aus dem heutigen Blick sich anschauen. Dass es irgendwie eine emanzipatorische Bewegung gewesen wäre, sondern man kann sich eher vorstellen, dass es daran liegt, dass die Täufer sich immer zu Hause treffen. (…) Die Frauen kümmern sich zum Beispiel darum, dass Wein und Getränke vorhanden sind, dass es etwas zu essen gibt, dass es eine
Herberge auch für die Täufer gibt, die von außen in die Stadt kommen.

TC 04:55 – Verfolgung, Folter und Todesstrafe

Erzähler
Eine Gastfreundschaft, die gefährlich ist, denn Täufer gelten spätestens nach der Niederschlagung des Bauernaufstandes als sozialrevolutionäre Keimzelle, deren Anhänger verfolgt und bestraft werden. Barbara Kink:

4.O-Ton: Barbara Kink:
Die Täufer wurden von Beginn an verfolgt. ( ..)
(weiter ab: 14:29) Also die bayrischen Herzöge haben sich ganz früh schon entschieden,(…) Wir müssen jeden reformatorischen Aufbruch bekämpfen, denn durch die Lutherischen kommt schließlich auch der Bauernkrieg und die Revolution und die Unruhe und Empörung. (…) Die bayerischen Herzöge haben einen Inquisitor eingesetzt. (15:16) Die Behörden haben relativ rasch und effektiv und effizient gearbeitet, um diese Verfolgung auch effektiv zu gestalten. Das bayerische Täufermandat ist eines der frühesten. Schon 1527 gibt's ein Mandat mit Androhung der Todesstrafe.

Erzählerin
Als Freie Reichsstadt gehört Augsburg nicht zum Herzogtum Bayern und nimmt es bis zum Herbst 1527 mit der Verfolgung der Täufer nicht ganz so genau. Damit strömen immer mehr Anhänger der Bewegung in die Stadt oder lassen sich in der Umgebung nieder. Augsburg ist bald das Zentrum der süddeutschen Täuferbewegung.

5.O-Ton (Kink ab 6:02)
Aus unterschiedlichen Gründen. (…) Sehr viele der Ratsherren in Augsburg haben sich dem Luthertum angeschlossen, aber es gab eben auch z.B. den Eitelhans Langenmantel, der dezidierter Täuferanhänger war. Der Rat war gespalten (…) Die ersten Jahre hat man die Täufer in Augsburg durch Winkelpredigten sehr stark vertreten gesehen. (ab 7:19) Winkelpredigten sind eben nicht Predigten in der Kirche. Das ist etwas, was die Täuferbewegung auch auszeichnet, dass sie sehr oft unter freiem Himmel stattfinden, dass sie in Privathäusern stattfinden, in Wirtshäusern vor allem aber eben in städtischen Winkeln, (…) wo sich Prediger hinstellen und eine interessierte Gruppe um sich scharen.

MUSIK

Erzähler
Im August 1527 füllt sich die Stadt mit auffällig vielen Führern der Täuferbewegung. Sie kommen aus ganz Süddeutschland, Österreich und der Schweiz und haben vom 20. bis zum 24. eine Synode anberaumt, auf der ein Konsens gefunden werden soll zwischen dem pazifistischen Schweizer Flügel und der militanten süddeutschen Gruppe um Hans Hut.

Erzählerin
Hans Hut, ein Weggefährte Thomas Müntzers, der im Bauernaufstand den Einsatz von Gewalt durchaus befürwortet hat, leitet zwei der Versammlungen. Er ist längst zu einer der führenden Persönlichkeiten der Täuferbewegung im süddeutschen Raum geworden.

6.O-Ton: ( ab ca. 11:35)
Ein wandernder Buchhändler, der offensichtlich sehr charismatisch war. (weiter ab 12:00) Hans Hut war davon überzeugt, dass er das Ende der Welt erleben wird und zwar auch aufgrund von biblischen Berechnungen. Er hat Johannes‘ Apokalypse berechnet und (…) hat berechnet, Pfingsten 1528 wird die Welt untergehen. (…) Er ist durch die Lande gezogen und hat es in Augsburg publik macht. Er wird 144 000 Fromme, Gerechte vor dem Weltende bewahren. Und wenn man sich so vorstellt, also diese Sündenangst. Dieses Bewusstsein, ich komme in die Hölle. Das hat gezogen.

Erzähler
Die Täufersynode wird als Augsburger Märtyrersynode bekannt, denn viele der Teilnehmer werden anschließend verfolgt und hingerichtet.
Die Stadt beginnt von nun an, das Täufermandat konsequent umzusetzen und die Gemeinschaft drastisch zu verfolgen. Bereits im Herbst 1527 kommt es zu einer ersten großen Verhaftungswelle.

MUSIK aus

TC 08:31 – Ein verhängnisvoller Ostersonntag

Erzählerin
Das ist genau die Zeit, in der Susanna Daucher in der Bewegung aktiv wird. Ihr Mann Hans Adolf dürfte davon mäßig begeistert gewesen sein. Immerhin riskiert sie als Mutter von zwei Kindern nicht nur ihr Leben, sondern auch seine Existenz.

Erzähler
Das muss Susanna bewusst gewesen sein, aber sie hat offenbar bei den Täufern eine Gemeinschaft gefunden, die ihrem Glauben entspricht. Angesichts der Pro-phezeiung, dass das Ende der Welt unmittelbar bevorsteht, scheint sie im Dies-seits nichts mehr gefürchtet zu haben.

7. O-Ton (Kink ab 19:01)
Dieses Heilsbedürfnis der Menschen in den frühen Jahrzehnten des16. Jahrhunderts darf man nicht unterschätzen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie wirklich ganz, ganz stark interessiert war an diesen Glaubensinhalten, dass sie sich Verbesserungen versprochen hat und Halt in der Gemeinde. Man war ja doch eine eingeschworene Gesellschaft. (…) Und sie war sicherlich davon überzeugt, dass sie das Richtige tut und dass sie diese Bewegung unterstützen möchte.

Atmo Plätschern des Lechkanals, Geräusche von Schritten auf dem Pflaster, dramatischer Musikakzent

Erzählerin
Augsburg am 12.April 1528. Es ist der entscheidende Tag, durch den Susanna Daucher Eingang findet in die Stadtgeschichte. Der letzte Ostersonntag vor Huts prophezeiter Wiederkunft Christi. Hans Hut selbst ist mittlerweile nach Folter und Gefangenschaft qualvoll gestorben und gilt unter den Täufern als Märtyrer, was seine Prophezeiung noch bedeutender erscheinen lässt.

Erzähler
In den frühen Morgenstunden versammeln sich im Hause Daucher in der Bürger-gasse an die 100 Menschen, um hier einen Gottesdienst abzuhalten. Der Haus-herr ist verreist. Susanna nutzt die Gelegenheit, um hier ihre Glaubensbrüder und -schwestern zu empfangen.

Erzählerin
Sie weiß, dass es verboten ist, andere Mitglieder der Täuferbewegung aufzuneh-men und zu bewirten, aber sie hat dennoch Brot und Wein besorgt für alle, die in ihrem Haus nun zusammen in der Bibel lesen wollen.

Erzähler
Vorsorglich hat sie an diesem Ostersonntag die Fenster mit Tüchern verhängt und als Erkennungszeichen für ihre Glaubensbrüder und -schwestern einen Ring an die Haustür gemalt. Damit niemand an der falschen Tür klopft.

Erzählerin
Sie ist mit ihrem dritten Kind schwanger und sich bewusst, dass es drastische Konsequenzen hat, wenn die Versammlung auffliegt. Dennoch geht sie das Risiko ein. Ungeachtet der Warnungen, dass bereits die Stadtwache ihr Haus im Visier hat.

MUSIK aus

Erzähler
Was in den frühen Morgenstunden des Ostersonntags im Hause Daucher genau passiert, das rekonstruiert Veronika Schmeer:

8.O-Ton (Interview 1. Teil ab 14:37 ff.)
Man trifft sich schon am Vortag am Ostersamstag sozusagen in wahrscheinlich einer kleineren Runde und man beschließt, sich am Ostersonntag in der Früh (…) bei der Adolfin (…) zu treffen also bei Susanna Daucher. Und (…) es ist so, dass sie wahrscheinlich schon im Vorfeld verraten werden. Denn es gibt Berichte darüber, dass schon irgendwelche Stadtschergen im Umfeld des Hauses sich auffällig positioniert haben und einige Leute sind davon abgeschreckt. (…) Die Stadt-Schergen (…) greifen dann ein und lösen die Versammlung auf und verhaften diese 88 Personen, von denen übrigens mehr als die Hälfte sind Frauen.

MUSIK

TC 12:03 – Verbannung

Erzählerin
In Zweierreihen werden sie abgeführt und zum Rathaus gebracht. Diejenigen, die von auswärts kommen, werden zuerst verhört und müssen dann die Stadt verlas-sen. Sie müssen schwören, für einen Zeitraum von sechs Jahren das Stadtgebiet nicht mehr zu betreten. Wer sich nicht daran halten sollte, dem droht die Hinrich-tung.

Erzähler
Die Strafen für die Augsburger Gemeindemitglieder, die so genannten Einheimi-schen, fallen hingegen drastischer aus. Ihnen wird im April der Prozess gemacht, der für den Vorsteher der Täufergemeinde Hans Leupold mit einem Todesurteil endet.

MUSIK aus

9. O-Ton: ( Interview Teil 2 ab ca. 18:15)
Der Schneider wird dann eben hingerichtet. Das ist dann quasi die drastischste Strafe, die da passiert. Die meisten anderen bekommen die Strafe mit dem Ba-cken brennen. Was sehr grausam ist. Man bekommt mit einer Eisenstange die Backen durchgebrannt und ist somit auch für immer gekennzeichnet. Als Täufer oder ehemals Anhänger der Täufer Gemeinde. Das ist im Grunde genommen auch ein Ruin (…) Man kommt dann vielleicht auch nirgendwo mehr unter, be-kommt keine Arbeit mehr. Es hat definitiv Folgen.

Erzählerin
Susanna Daucher zeigt sich während ihres Prozesses unerschrocken. Wie den Vernehmungsprotokollen zu entnehmen ist, weicht sie den bohrenden Fragen des Stadtschreibers – und damals schon berühmten Humanisten - Konrad Peutinger geschickt aus.

10.O-Ton: ( Schmeer ab ca. 13:11)
Er wollte ja wissen, wer ist noch beteiligt. Man wollte wirklich so ein Denunziantentum in diesen Verhören anstiften. Und da hält sie sich sehr bedeckt. Sie sagt immer nur: ich kenne keine Namen. Ich habe niemanden beherbergt. Ich habe nichts getan. Und sie wird ja zuerst nur befragt und dann wird ihr angedroht, dass sie ernstlich befragt wird. Eine Androhung einer Folter. (…) Und auch da sagt sie, sie wisse nicht was sie noch zu der Angelegenheit sagen soll.

Erzähler
Das Urteil fällt für Susanna Daucher vergleichsweise milde aus. Weil sie schwan-ger ist, wird sie am 21.April 1528 mit dem so genannten „Verruf“ aus der Stadt verbannt. Das bedeutet, dass es ihr fortan verboten ist, sich Augsburg in einem Umkreis von sechs Meilen zu nähern.

MUSIK

Erzählerin
Die Verbannung durch den Rat der Stadt Augsburg hat für Susanna Daucher weit-reichende Konsequenzen. Noch am Tag der Urteilsverkündung wird sie an den Pranger gestellt und muss sofort danach die Stadt verlassen.

Erzähler
Ohne ihre beiden Kinder, die sie nie wiedersehen wird. Susanna sucht zunächst in der näheren Umgebung Zuflucht und bringt dort ihr drittes Kind zur Welt. Das of-fenbar ihr Mann zu sich holt, nachdem er von seiner Reise zurückkehrt. Er wird jedenfalls später als Vater von drei Kindern erwähnt.

MUSIK aus

11.O-Ton ( Veronika Schmeer ab ca. 22:00)
Ich nehme an, sie werden weiterhin Kontakt gehabt haben, aber sie darf natürlich nicht in die Stadt kommen. (…) Er kann aber später dann auch für die Kinder selber nicht sorgen, sondern die sind dann auch in Pflegschaft alle drei.

Erzählerin
Auch Hans Daucher verliert mit der Verbannung seiner Frau alles, denn …

12.O-Ton ( ab ca. 6:00)
Ohne seine Frau ist sein Unternehmen mit der Bildhauerei eigentlich dem Ruin geweiht, weil die Frau sich auch um die ganzen Gesellen und Lehrlinge kümmert. (…) Und ohne die Frau funktioniert diese Werkstatt nicht mehr (…) und es ist dann später bezeugt, dass der Hans Daucher eigentlich nur noch unter den Habenichtsen in den Steuerbüchern geführt wird und er kann ja auch nicht neu heiraten, denn seine Frau ist ja nicht tot. Er ist da irgendwie gefangen und kommt auch nicht mehr raus.

TC 15:38 – Die falsche Prophezeiung

Erzähler
Nach der Verhaftungswelle an jenem Osterfest 1528 beginnt die Täufergemeinde in Augsburg, sich aufzulösen. Nicht nur, weil es angesichts der drastischen Verfol-gung in der Stadt niemand mehr wagt, Versammlungen abzuhalten, sondern auch, weil Hans Huts Prophezeiung nicht eingetroffen ist. Barbara Kink:

13.O-Ton: (Kink ab ca. 25.20)
Es war offensichtlich dann doch eine große Enttäuschung. Man hat Hans Hut geglaubt. Man hat sich versprochen von diesen Höllenqualen verschont zu werden. Und man sieht, dass diese Bewegung dann ja zum Teil zusammenbricht. Dann natürlich auch aufgrund der einsetzenden obrigkeitlichen Maßnahmen, man setzte dann doch nicht so gern sein Leben aufs Spiel.

Erzählerin
Schon Mitte August 1528 beschließt die Täufergemeinde, künftig nicht mehr zusammen zu kommen.

Erzähler
Wer dennoch als Täufer seinen Glauben leben möchte, wandert ab. Entweder in die Schweiz, wo im Zollikon noch kleine Täufergemeinschaften existieren.

Erzählerin
Oder nach Mähren an einen der Bruderhöfe, wo Täufer ein urchristlich-kommunistisches Gemeinschaftsleben praktizieren. Auf Initiative des Tirolers Jakob Hutter leben und arbeiten Familien hier völlig autark zusammen und teilen sich Hab und Gut. Die Bruderhöfe werden zum Zufluchtsort für viele Täufer:

14.O-Ton: Barbara Kink:
Es gab sicherlich Leute, die dann nach Mähren gegangen sind. Das weiß man von vielen bayerischen Täufern. (…) Also wirklich ab 1530 verschwinden die Täufer von der Bildfläche. Im Herzogtum ist es so. Und die nächsten Täufermandate, die dann aus den 50er 60er und 70er Jahren des 16. Jahrhunderts sind, da geht es vor allem darum, dass man versucht diese Abwanderung in die Bruderhöfe nach Böhmen und Mähren zu verhindern. Man versucht also wirklich, da ein Riegel vorzuschieben, dass viele Leute an diesen täuferischen Idealen immer noch festhalte, abwenden.

Erzähler
Die Täufer werden auch nicht mit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 als Glaubensgemeinschaft akzeptiert. Den Grund dafür sieht Barbara Kink in der Tatsache, dass sie als Glaubensgemeinschaft keine einflussreichen Fürsprecher haben:

15.O-Ton: Barbara Kink
Die Täufer fallen zwischen alle Raster. Es sind die Lutheraner, es sind die Reformierten und die Katholiken, die davon profitieren. Die Täufer sind als reformatorische Splittergruppe oder als Wildwuchs der Reformation (…) nicht relevant dafür. Die haben einfach keine adlige Lobby. (…) Das ist wirklich (…) eine Revolution des Gemeinen Mannes.

MUSIK

Erzählerin
Dennoch bleibt die Sehnsucht nach religiöser Authentizität, nach Ursprünglichkeit, nach diesem Urchristentum bis heute lebendig.

16.O-Ton: Barbara Kink
Die Täufer existieren ja heute noch in sehr vielgestaltiger Weise. Es gibt die Mennoniten in Amerika, es gibt die Hutterer immer noch, es gibt die Amish. Es gibt immer noch sehr viele Glaubensgemeinschaften vor allem freikirchliche Baptisten, die sich auch heute noch auf die Täufer wirklich als Ursprungsherd berufen.

Erzähler
Was Susanna Daucher 1528 nicht ahnen konnte ist, dass im 20.Jahrhundert eine mennonitische Gemeinde in Augsburg sehr aktiv ist. Dass es runde 500 Jahre nach ihrer Verbannung Menschen gibt, die nach den Glaubensgrundsätzen leben, für die sie damals alles riskiert hat. Und dafür nicht mehr verfolgt werden.

Erzählerin
Sie konnte auch nicht wissen, dass mittlerweile an ihrem Haus am heutigen Hinteren Lech 2 eine Gedenktafel an sie und die Ereignisse des Ostersonntags 1528 erinnert.

TC 19:28 – Outro

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