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LEBEN IN GEFAHR ? Ada Blackjack, Überleben im Eis

23:29
 
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Manage episode 405285161 series 2822647
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Weil sie das Geld für ihren kranken Sohn benötigt, lässt sich die indigene Näherin Ada Blackjack auf eine halsbrecherische Arktis-Expedition ein. Mit vier jungen und unerfahrenen Männern bricht sie im Jahr 1921 in Nome, Alaska, auf. Zunächst verläuft alles nach Plan, doch dann bleibt das lang ersehnte Rettungs-Schiff im Eis stecken, die Nahrung wird knapp und die gefürchtete Seefahrer-Krankheit Skorbut bricht aus. Am 8.3. ist Internationaler #frauentag 2024.

Credits
Autorin: Karin Becker
Regie: Rainer Schaller
Es sprachen: Christian Jungwirth, Rahel Comtesse, Christian Schuler, Karin Schumacher
Technik: Christiane Gerheuser-Kamp
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview: Diane Glancy

Linktipps:
Deutschlandfunk (2022): Schulen, die zur Hölle wurden
Tausende indigene Kinder wurden zwischen 1870 und 1996 in Kanada von ihren Familien getrennt und in Internaten untergebracht. Oft wurden sie dort sexuell missbraucht, viele starben. Die Aufarbeitung dieses Kapitels der kanadischen Geschichte hat erst begonnen – und wird die Gesellschaft noch lange beschäftigen. JETZT ANHÖREN

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DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:
TC 00:15 – Intro
TC 01:30 – Eine fragliche Expedition
TC 04:14 – Erste Zweifel
TC 07:35 – Keine Rettung in Sicht
TC 13:11 – Alles für mein Kind
TC 16:13 – Eine glückliche Wendung
TC 19:57 – Zurück in die bittere Armut
TC 22:48 - Outro
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
TC 00:15 – Intro

SPRECHER
Die Insel ‚Wrangel Island‘ in der Arktis, 140 Kilometer bis zur sibirischen Küste. Ein Ort - umgeben von Nebel und gefrorenem Meer, bedeckt mit Eis. Eine Tierfalle im Schnee, darin: ein magerer Fuchs in seinen letzten Atemzügen. Ein paar hundert Meter weiter: Zelte. In einem davon liegt die gefrorene Leiche eines weißen Mannes – in einem anderen sitzt eine 25 Jahre alte Iñupiaq, eine Ureinwohnerin Alaskas, und schreibt auf einer Schreibmaschine.

ZITATOR ADA
“I finished my knitted gloves today and I open last biscuit box. The ice is over little below horizon. I thank the lord Jesus and his father.”

OVERVOICE ADA
“Ich habe heute meine Handschuhe fertiggestrickt und die letzte Plätzchendose aufgemacht. Das Eis reicht bis kurz unter den Horizont. Ich danke dem Herrn Jesus und seinem Vater.“

SPRECHER
Ada Blackjack heißt die schmale Person, die da im August 1923 auf ein Rettungsschiff wartet. Die dicken Schollen um die Insel müssen schmelzen, nur dann hat ein Schiff die Chance durchzukommen. Eine waghalsige Expedition hat sie an diesen Ort gebracht. Vier Männer sind bereits tot – Ada Blackjack ist die einzige Überlebende.

MUSIK

TC 01:30 – Eine fragliche Expedition

SPRECHER
Gut zwei Jahre zuvor: Vilhjálmur Stefánsson, ein draufgängerischer Polarforscher und Ernährungswissenschaftler, geboren in Kanada, sucht sich die Mannschaft für eine Expedition auf Wrangel Island zusammen. Offizielles Ziel ist es, die Insel mindestens ein Jahr zu bewohnen und sie damit zu kanadischem Staatsgebiet erklären zu können. Stefánsson ist charismatisch und ehrgeizig, er will mit der Expedition auch seinen Ruhm weiter ausbauen. Der Entdecker pflegt die Theorie der ‚freundlichen Arktis‘, die alles zum Leben bietet, wenn man es nur richtig anstellt. Lockend mit Abenteuer und dem Versprechen, es gäbe auf der Insel reichlich jagbares Wildfleisch, hat er bald eine junge und reichlich unerfahrene Crew zusammengestellt. Er selbst bleibt zu Hause. Allan R. Crawford wird zum Leiter erkoren. Der Kanadier ist zwanzig Jahre alt, Geologiestudent und hat keinerlei Vorerfahrung mit Expeditionen. Mit ihm kommen drei Amerikaner: Errol Lorne Knight und Frederick W. Maurer, beide 28, und Milton Galle, der 20 Jahre alte Sekretär von Stefánsson.

OTON 1
“These four explorers needed somebody to cook and so for them. And Ada was a seamstress. She knew how to sew, to repair Mukluks, that the men wore, those heavy boots, and (…) she could speak English and she was available.”

OVERVOICE OTON 1
“Diese vier Entdecker brauchten jemanden zum Kochen. Und Ada war eine Näherin. Sie konnte nähen und Mukluks reparieren, die die Männer trugen, diese schweren Stiefel. Und sie konnte Englisch und stand zur Verfügung.“

SPRECHER
Diane Glancy, Literatin und Sachbuchautorin, hat sich für ein Buchprojekt lange mit der fast vergessenen Geschichte der Ada Blackjack auseinandergesetzt. Geboren wird sie 1898 an der Westküste Alaskas, in einer abgelegenen Siedlung nahe der Goldgräberstadt Nome. Sie ist Tochter einer indigenen Familie von Iñupiat, Ureinwohnern Alaskas. Ihr Vater stirbt früh. Aus Geldnot wächst Ada in einer von Methodisten betriebenen Missionsschule auf. Dort lernt sie Englisch, lernt schreiben und nähen – alles Dinge, die sie als 23-Jährige für die Expedition interessant machen. Ada Blackjack hat freilich eigene Gründe, die Expedition zuzusagen.

OTON 2
“It was poverty and need and maybe a little longing for escape. Because she lived in poverty in Nome, Alaska, probably sleeping sometimes on the street. She had a husband who deserted her. She had two sons who died and another one lived, but she put him in a mission school (…). It was expedient for her to have money (…).”

OVERVOICE OTON 2
„Armut spielte eine große Rolle und vielleicht auch ein wenig die Sehnsucht, zu entkommen. Denn sie lebte in bitterer Not in Nome, Alaska, vermutlich übernachtete sie manchmal auf der Straße. Sie hatte einen Ehemann, der sie verließ. Sie hatte zwei Söhne, die starben. Ein weiterer lebte, doch sie musste ihn in eine Missionsschule geben. Geld war für sie wichtig.“

MUSIK
TC 04:14 – Erste Zweifel

SPRECHER
Für Ada Blackjack eröffnet das Expeditions-Honorar von 50 Dollar pro Monat die Chance, ihren Sohn Bennett nach ihrer Heimkehr zu sich zurückzuholen. Aus Geldnot ist er in einem Heim untergebracht. Außerdem hofft sie, mit dem Honorar seine schwere Tuberkulose behandeln lassen zu können. Und so besteigt sie am 9. September 1921 die ‚Silver Wave‘: das Schiff, das die fünf Leute der Expedition nach Wrangel Island bringt. Weitere Iñupiat, die ihr als Teilnehmer angekündigt waren, springen im letzten Moment ab. Vermutlich ist den Native Americans, erfahren was das Überleben im Eis betrifft, die schlechte Vorbereitung der Expedition nicht entgangen. Ada Blackjack, selbst nicht bei ihrem eigenen Volk aufgewachsen, ist also mit den vier jungen Männern alleine. Die Crew hat Verpflegung für ein halbes Jahr dabei – dazukommen soll das Fleisch selbst erlegter Tiere. Ein Schiff, das für das Jahr darauf angekündigt ist, soll sie entweder mit Nachschub versorgen oder aber evakuieren. Kaum am Zielort angelangt, hisst der Expeditionsleiter Allan Crawford den Union Jack und beansprucht die Insel für Kanada. Die Katze der Expedition, Victoria, und die vier Männer beginnen, die Insel in Besitz zu nehmen und ihr Lager aufzuschlagen. Ada hingegen erfasst bei Ankunft ein klammes Gefühl, das sie rückblickend in ihrem Tagebuch beschreibt:

ZITATOR ADA
„When we got to Wrangel Island, the main land looked very large to me, but they said that it was only a small Island. I thought at first that I would turn back, I decided it wouldn’t be fair to the boys so I felt I had to stay.”

OVERVOICE ADA
“Als wir auf Wrangel Island ankamen, sah das Festland für mich sehr groß aus, aber sie sagten es sei nur eine kleine Insel. Ich dachte zuerst, ich würde wieder umdrehen. Ich beschloss, dass das den Jungs gegenüber nicht fair wäre, daher hatte ich das Gefühl, dass ich bleiben musste.“

SPRECHER
Die ‚Silver Wave‘ legt also ohne Ada Blackjack ab und verschwindet am Horizont. In den bald etablierten Inselalltag und ihre Rolle darin findet die junge Frau nur schwer, aus verschiedenen Gründen:

OTON 3
“There's something called Arctic hysteria that some explorers face. When you’re out there in the great nothingness your whole being can sort of collapse on you and you don't know where you are and you are senseless sometimes and she pouted. (…) And sometimes she wouldn't work. She wouldn't sew or wouldn't cook and Lorne Knight told her once (…) if she didn't work, she would not eat. So there was a lot of animosity between them. (…) and they exiled her to her own little tent. (…) and when she was lazy, they said: no wonder your children died. and they would say very hateful things (…). And that didn’t help her attitude, her mind. (…) Another thing is that in native community women are your company and she had no women around her. (…) I think she was trying to treat the men like a community of women. (…) She finally came around and did the work. But she was very temperamental in the beginning and I think they expected her to be like one of the men. And of course she was not, being native and a woman … and young and not used to all of this. And they had camraderie and she was left out of it.”

OVERVOICE OTON 3
“Es gibt ein Phänomen unter Entdeckern, das sich „Arktische Hysterie“ nennt. Wenn Du da draußen im großen Nichts bist, kann dir dein ganzes Sein in sich zusammenfallen und du weißt nicht mehr, wo du bist und du wirst unvernünftig. Ada schmollte. Und manchmal verweigerte sie die Arbeit. Sie nähte nicht, kochte nicht, und Lorne Knight drohte ihr einmal, dass wenn sie nicht arbeitete, sie auch nichts zu essen bekäme. Zudem leben indigene Frauen eng mit anderen Frauen zusammen, aber es gab keine andere Frau. Ich denke, dass sie versuchte, die Männer wie ihre Gemeinschaft von Frauen zu behandeln. Irgendwann kriegte sie die Kurve und machte ihre Arbeit. Aber sie war anfangs sehr launisch und ich glaube, die Männer hatten erwartet, dass sie sich wie einer von ihnen verhielt. Natürlich tat sie das nicht, als Indigene und als Frau… sie war jung und die Situation für sie völlig neu. Und die Männer hatten Kameradschaft und sie war außen vor.“
TC 07:35 – Keine Rettung in Sicht

MUSIK

SPRECHER
Die Männer verbringen ihre Tage mit Jagen, Holzsammeln, Reparaturen. Außerdem haben sie eine Fotokamera dabei und schreiben Tagebuch – Milton Galle hat sich hierfür sogar eine Schreibmaschine mitgebracht. Ada hat mit all dem zunächst nichts zu tun, sie kocht und näht. Anfangs erlegen die Männer und ihre Jagdhunde ausreichend Fleisch für alle – die ‚Friendly Arctic‘ scheint auf Wrangel Island ihr Gesicht zu zeigen. Die ersten zwölf Monate vergehen ohne größere Ereignisse, so wirkt es jedenfalls im erhaltenen Teil der Expeditionstagebücher. Dann erwarten die fünf das Schiff mit Nachschub. Doch das Jahr 1922 bringt Wrangel Island einen kalten Sommer, die Insel bleibt von dicken Eisschollen umgeben. Der von Steffánson losgeschickte Schoner namens „Teddy Bear“ bleibt im Eis stecken und muss unverrichteter Dinge umkehren. Vergeblich warten die fünf auf der Insel, während es wieder Winter wird.

ZITATOR ADA
“Around about November they knew the boat wouldn’t come. About the middle of November we moved up to the west of our present camp, about four miles I think, so they wouldn’t have to haul the wood so far. After we arrived in our new camp I started to sewing skins for the two boys, Knight and Crawford, who were going to take a trip to Siberia.”

OVERVOICE ADA
“Ungefähr im November wussten sie, dass das Boot nicht kommen würde. Irgendwann Mitte November verlegten wir unser Lager weiter Richtung Westen, um circa vier Meilen denke ich, so dass sie das Holz nicht so weit schleppen mussten. Nachdem wir in unserem neuen Lager angekommen waren, begann ich mit Fellen zu nähen, weil die zwei Jungs, Knight und Crawford, vorhatten, nach Sibirien zu gehen.“

SPRECHER
Die beiden Männer wollen sich übers Eis bis nach Sibirien durchschlagen und dort per Telegramm Kontakt mit Stefánsson aufnehmen. Vorher feiern die fünf Festsitzenden auf Wrangel Island noch ein wenig ausgelassenes Weihnachtsfest.

ZITATOR ADA
“At Christmas time we had some Salt seal meat and some hard bread and tea for our Christmas dinner. That time when we had dinner I wondered where I would be if I lived until Next Christmas.”

OVERVOICE ADA
“An Weihnachten hatten wir gesalzenes Seehundfleisch und etwas hartes Brot und Tee als Weihnachtsessen. Als wir beim Abendessen saßen fragte ich mich, wo ich sein würde, wenn ich das nächste Weihnachten erleben würde.“

SPRECHER
Die beiden Männer müssen ihre Reise durchs Eis bald abbrechen: Lorne Knight ist den massiven Anstrengungen körperlich nicht mehr gewachsen. Er zeigt Anzeichen von Skorbut, wirkt zusehends angeschlagen. Die Vorräte im Camp werden knapper und knapper – und die jagbaren Tiere auf der Insel rarer. Und so entschließen sich die drei gesunden Männer der Expedition, Wrangel Island gemeinsam zu verlassen und Hilfe zu holen. Zurück bleiben der kranke Lorne Knight, der bald nur noch liegen kann, und Ada Blackjack. Die junge Iñupiaq ist mit der neuen Situation schlicht überfordert. Nicht nur muss sie sich nun um einen Kranken kümmern und weiter kochen und nähen. Sie ist jetzt auch für den überlebenswichtigen Fleischnachschub verantwortlich.

OTON 4
“When it came time that she had to hunt, the men were looking at her because she was a native woman. She should have known how to hunt. But she said: I was raised in a mission school. I had to depart from my Inuit ways, I didn't know how to hunt. I didn't know how to trap.”

OVERVOICE OTON 4
„Als es soweit war, dass sie jagen sollte, sahen die Männer sie an: sie war indigen, sie erwarteten also, dass sie jagen konnte. Aber sie sagte: Ich bin in einer Missionsschule erzogen worden. Ich musste meine Inuit Kultur verlassen. Ich weiß nicht, wie man jagt. Ich weiß nicht, wie man Fallen aufstellt.“

SPRECHER
Die Männer lassen sie Ende Januar 1923 dennoch zurück und Ada Blackjack, die eine Riesenangst vor Polarbären hat, muss mitten im Eis so schnell wie möglich den Umgang mit Waffen und das Stellen von Tierfallen lernen. Ergiebige Beute wie Bären oder Walrosse macht sie nicht. Zum Überleben bleiben für sie und ihren Patienten vornehmlich ab und an getroffene Enten, Fischöl und das - gerade für einen Kranken - schwer verdauliche Fleisch von Füchsen. In ihrem Tagebuch berichtet Ada Blackjack von ihren ersten Versuchen, einen Fuchs zu fangen. Sie versteckt eine Falle im Schnee - und wartet dann tagelang vergeblich auf Beute, während ihr Patient zusehends hungriger und schwächer wird.

ZITATOR ADA
“I guess I covered them to much and that is the reason why I didn’t get any fox, then I baited it again end just left it on top of the snow didn’t cover it up at all. The next morning I got up and looked out and I saw a fox (….). That was the first one I had caught , and that was on the 22nd of February, 1923. (…) (( In killing them I would take a stick and hit them on the head until I stunned them then I would bend their heads back until I brocke there heck. Then I would take them home and skin them.)) Later in the spring, around April the fox got very scarce, and I couldn’t trap and more at all. After I couldn’t get any more fox, Knight became worse he got very faint every time he moved.”

OVERVOICE ADA
“Ich glaube, ich habe sie zu stark abgedeckt und das ist der Grund warum ich keine Füchse gefangen habe, dann habe ich nochmal einen Köder hineingelegt und ließ die Falle oben auf dem Schnee, ohne sie überhaupt abzudecken. Am nächsten Morgen stand ich auf und sah hinaus und ich sah einen Fuchs. Das war der erste, den ich gefangen habe, und das war am 22. Februar 1923. Später im Frühjahr, ungefähr im April, wurden die Füchse knapp, und ich konnte keine mehr fangen. Als ich keine mehr fangen konnte, ging es Knight schlechter, jede kleinste Bewegung schwächte ihn.“

MUSIK

SPRECHER
Im späten Frühjahr 1923 gibt es auf der Insel kaum mehr jagbare Tiere. Der kranke Lorne Knight kommt mit seiner wachsenden Todesangst und seiner Abhängigkeit von der jungen Frau schlecht zurecht. Immer wieder, so beschreibt Ada Blackjack es in ihrem Tagebuch, beschimpft er sie wüst und macht ihr ungerechte Vorwürfe.

SPRECHER
Auch Ada Blackjack selbst beginnt die Folgen der Mangelernährung zu spüren. Am 2. April 1923 schreibt sie:

ZITATOR ADA
“(…) Knight wants me to go out to the traps but my eye is very ach so I cannot go out when my eye is that way because in evening I could barly stand the ache of my eye and one side of head. If anything happens to me and my death is known (…) I wish if you please take everything to Bennett that is belong to me. I don’t know how mach I would be glad to get home to folks.”

OVERVOICE ADA
“Knight will, dass ich zu den Fallen gehe, aber mein Auge tut sehr weh. Ich kann nicht rausgehen, wenn mein Auge so ist, am Abend konnte ich kaum mehr stehen, weil mein Auge und eine Seite von meinem Kopf so wehgetan haben. Wenn mir etwas zustößt und mein Tod bekannt wird, dann wünsche ich, dass bitte alles, was mir gehört, zu Bennett gebracht wird. Ich wäre so sehr froh, wenn ich zu meinen Leuten nach Hause kommen könnte.“
TC 13:11 – Alles für mein Kind

SPRECHER
Dass wir ihre damaligen Gedanken in dieser verzweifelten Lage heute erfahren und Ada Blackjacks einzigartige Geschichte dadurch ein Stück weit nacherleben können, ist ihrem Tagebuch zu verdanken. Mit dem Schreiben beginnt sie erst, nachdem die drei Männer das Camp verlassen haben – und die Schreibmaschine von Milton Galle, die sie schon länger fasziniert zu haben scheint, unbenutzt herumsteht. Was bringt sie dazu, ein Tagebuch zu führen?

OTON 5
“After those three men left I just think she wanted the presence of herself. (…) And she had a typewriter before her and she had tried to peck on it once. And (…) he wouldn't let her use it. So once he was gone to Siberia, she went to that typewriter and started pecking, to see how these different letters could make the words that she wanted to make. (…) So that was very difficult when you've never typed on a typewriter before and you have this language that is not really yours - English language - and you have to put it on paper.”

OVERVOICE OTON 5
“Nachdem die drei Männer fort waren, denke ich, wollte sie ihre eigene Gegenwart spüren. Und sie hatte da eine Schreibmaschine vor sich stehen. Sie hatte darauf schon einmal versucht, einen Buchstaben zu tippen und er hatte sie nicht gelassen. Also ging sie jetzt, als er auf dem Weg nach Sibirien war, hin und begann zu tippen, um zu sehen, wie diese verschiedenen Buchstaben zu den Worten wurden, die sie schreiben wollte. Das ist sehr schwierig, wenn Du zuvor noch nie auf einer Schreibmaschine geschrieben hast und dann noch in einer Sprache, die nicht wirklich deine ist – englisch – schreibst.“

SPRECHER
Ada Blackjacks Tagebücher sind teils schwer zu lesen, wegen vieler Tipp- und Schreibfehler – englisch war schließlich nicht ihre Muttersprache, sondern Iñupiaq. Großteils beschreibt sie in knappen, fast teilnahmslos wirkenden Sätzen die erledigten Tätigkeiten und Vorfälle des Tages. Was sie gegessen, genäht, gejagt hat. Wie es dem kranken Lorne Knight ergeht. Ihre fatalistische Sachlichkeit ist für sie wohl auch eine Überlebensstrategie. Das Tagebuch gibt noch weitere Hinweise, wie sie die Einsamkeit und das Ausgeliefertsein im Eis überstehen konnte. Je bedrohlicher die Situation für sie, desto häufiger erwähnt sie ihren Sohn Bennett. Ihn will sie retten, für ihn lohnt es sich, durchzuhalten. Zudem drückt sie im Tagebuch gerade in besonders aussichtslosen Situationen ihren Glauben an Gott aus.
Die rückblickend hoch problematische Christianisierung indigener Kinder in den Missionsschulen Nordamerikas zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist auch Ada Blackjack widerfahren. Auf Wrangel Island bietet ihr ihr Glauben an Gott jedoch Rückhalt – so sieht es Diane Glancy, die selbst indigene Cherokee-Wurzeln und über Blackjacks Überleben viel nachgedacht hat.

OTON 6
“I think her faith helped her quite a bit (…) and she was native (…). There's something.. survival through hardship is sort of built in to the native, I think, and especially in the north, where the conditions are so harsh, there is a built in survival mode, or a will to survive through hardship. That maybe the men who had had more comfort in their lives, could not tolerate the suffering of the end (…) It was just the strength of Ada. (…) She was a survivor.”

OVERVOICE OTON 6
“Ich denke, dass ihr Glauben ihr ziemlich viel geholfen hat…. und sie war indigen. Da gibt es sowas…. Extreme Lagen überstehen zu können ist den Ureinwohnern besonders zueigen, gerade im Norden, wo die Bedingungen so hart sind. Es ist wie ein Überlebensmodus, oder ein Wille, große Bedrängnis zu überstehen. Ich denke, vielleicht konnten die Männer, die mehr Komfort in ihrem Leben gewohnt waren, das Leiden am Ende nicht ertragen. Es lag einfach an Adas Stärke. Sie war eine Überlebenskünsterlin.“
TC 16:13 – Eine glückliche Wendung

MUSIK

SPRECHER
Die drei Männer, die sich nach Sibirien hatten retten wollen, bleiben auf immer spurlos im Eis verschwunden. Wir wissen nicht, wie weit sie gekommen und woran sie gestorben sind. Es gibt bis heute keinen eindeutigen Hinweis zu ihrem Verbleib. Der skorbutkranke Lorne Knight verbringt über vier Monate, ohne sich auch nur aus seinem Schlafsack bewegen zu können. Zuletzt verliert er seine Zähne und die Fähigkeit zu schlucken. Er stirbt, nur noch Haut und Knochen, am 22. Juni 1923. Auch Ada Blackjack ist zu diesem Zeitpunkt stark geschwächt. Sie vermag es nicht, den bald gefrorenen Leichnam zu bewegen. Die sterblichen Überreste des Lorne Knigth bleiben im Schlafsack liegen, sie selbst zieht in ein anderes Zelt um. Jetzt ist sie ganz alleine.

SPRECHER
Drei Tage später erlegt sie mit glücklicher Hand einen Seehund – es ist das erste frische Fleisch, das sie in Wochen zu essen bekommt. Es rettet ihr vermutlich das Leben. Langsam bricht der Sommer an, jetzt steigt auch die Zahl der jagbaren Tiere auf der Insel, Ada Blackjack kommt wieder zu Kräften. Mit großer Geschicklichkeit findet sie sich im einsamen Alltag zurecht, baut sich etwa eine Plattform, von der aus sie die gefürchteten Polarbären früh erkennen kann. Und auch nach einem Rettungsschiff späht sie von dort aus. Denn der Sommer ist die Zeit, in der ein Schiff kommen kann – wenn es denn kommt. Genau beobachtet Ada Blackjack den Stand der Eisschollen um die Insel und notiert ihn mehrmals in ihr Tagebuch. Im August 1923 lebt sie beinahe schon zwei Monate lang völlig alleine auf der Insel, da fällt ihr etwas auf, was sie zuerst gar nicht ernst nehmen kann:

ZITATOR ADA
„I heard a funny noise like a boat whistle but thought it was a duck or something. It was foggy and I couldn’t see so I didn’t think any more about it until the next morning. I took my book after supper, (…) then I went to sleep. The next morning about six o’clock I heard that same noise again and it sounded more like a boat whistle this time so I grabbed my field glasses and went out on top of my raft, and sure enough there was a boat (…).”

OVERVOICE ADA
“Ich hörte ein seltsames Geräusch, wie das Signal von einem Schiff, aber ich dachte, es sei eine Ente oder sonstwas. Es war neblig und ich konnte nichts sehen, daher dachte ich nicht mehr daran. Am nächsten Morgen um circa sechs Uhr hörte ich das gleiche Geräusch wieder und jetzt klang es mehr nach einem Schiffssignal, also griff ich zu meinem Feldstecher und stieg auf mein Floß und tatsächlich, da war ein Schiff.“

MUSIK

SPRECHER
Am 20. August 1923, nach zwei Jahren in menschenfeindlicher, eisiger Ödnis wird Ada Blackjack gerettet. Sie hat den Kampf ums Überleben gewonnen. Die kleine Frau umarmt ihre Retter, die nach eigener Aussage überrascht darüber sind, in welch gutem Zustand sie Ada Blackjack antreffen. An Bord des Schiffes nimmt sie das erste Bad seit langer Zeit. Mit ihr zurück nach Nome in Alaska reisen Fotos der Expedition, die noch vorhandenen Tagebücher, einige Fuchsfelle und die offensichtlich außergewöhnlich zähe Expeditionskatze Victoria.
Zu Hause angekommen, veröffentlicht der Kapitän des Rettungsschiffes, Harold Noice, einen Zeitungsartikel über Ada Blackjack, der einer Lobeshymne gleichkommt. Als „weiblicher Robinson Crusoe“ wird die Iñupiaq von der Öffentlichkeit bald gefeiert. Sie selbst schweigt dazu, der Rummel liegt ihr nicht. Mit ihrem Expeditions-Honorar jedoch kann sie ihren Sohn, wie geplant, zu sich holen und seine Krankheit behandeln lassen. Es mag wie ein ‚Happy End‘ klingen, doch die Geschichte der Ada Blackjack muss ganz erzählt werden. Denn nach dem Ruhm folgen in Zeitungen Anklage und Verachtung.
TC 19:57 – Zurück in die bittere Armut

ZITATOR SCHLAGZEILE 1
“Spurned Eskimo Woman Is Blamed For Arctic Death”

OVERVOICE SCHLAGZEILE 1
„Zurückgewiesene Eskimo Frau wird für Tod in der Arktis schuldig erklärt“

ZITATOR SCHLAGZEILE 2 (andere Stimme)
„Though Man’s Body Was Wasted by Starvation, Ada Blackjack Was Healthy”

OVERVOICE SCHLAGZEILE 2 (andere Stimme)
“Während Männerleiche von Hunger verzehrt war, war Ada Blackjack gesund“

SPRECHER
Kapitän Noice hat bemerkt, dass Adas Geschichte Aufmerksamkeit und Geld bringt - und veröffentlicht im Februar 1924 noch einmal einen Artikel über sie, der eine Reihe sensationslüsterner Zeitungsberichte nach sich zieht. Noice hat sämtliche Tagebücher für sich behalten, und wirft ihr nun vor, der Tod des skorbutkranken Lorne Knight sei ihre ihre Schuld. Das ließe sich angeblich dessen Tagebüchern entnehmen. Sie habe ihn verhungern lassen, nachdem er sie nicht habe heiraten wollen. Sie selbst hingegen habe ihre Retter ja wohlgenährt empfangen.

MUSIK

Diese öffentliche Anklage bringt Ada Blackjack schließlich dazu, zu sprechen. Noice‘ Behauptungen will sie nicht auf sich sitzen lassen. Sie fährt zur Los Angeles Times und bietet von sich aus ein Interview an. Sie schildert darin ihre Erinnerungen und erklärt auch die übers Jahr variierenden Ernährungszustände der Inselbewohner durch die Zu- und Abnahme des Jagdwildes. Als Harold Noice schließlich dazu gezwungen wird, die Tagebücher herauszugeben, fehlen in Knights Tagebuch Seiten, manche Stellen sind geschwärzt. Noice hat offenbar versucht, alles zu tilgen, was seine Anschuldigungen als Diffamierung offensichtlich macht. Die Eltern des Verstorbenen hatten ohnehin nie an Ada Blackjacks Schuld geglaubt.

SPRECHER
Nach diesem Vorfall verfällt Ada Blackjack wieder in Schweigen. Sie führt ein Leben in bitterer Armut, reiht Gelegenheitsjob an Gelegenheitsjob. In hohem Alter wird sie von einer Zeitung noch einmal zu ihren Erinnerungen befragt. Kein Tag vergehe, antwortet sie, ohne dass sie von ihren schlimmen Erlebnissen auf Wrangel Island verfolgt würde.

OTON 7
“She lived to be 85 years old and the last parts of her life were very grim. She washed dishes in Nome, Alaska. She did whatever she could to survive. She did not have a happy life. But you don't pay attention to happiness, when you're in Alaska and a native, you just keep going.”

OVERVOICE OTON 7
“Sie wurde 85 Jahre alt und die letzten Jahrzehnte ihres Lebens waren sehr düster. Sie wusch Teller in Nome, Alaska… Sie tat was auch immer, um zu überleben. Sie hatte kein glückliches Leben. Aber Glück ist keine Kategorie, wenn du als Indigene in Alaska lebst. Du machst einfach weiter.“

MUSIK

SPRECHER
Andere schlagen aus Ada Blackjacks Erlebnissen hingegen Profit. Ihre Geschichte wird mehrfach erzählt und verkauft. Manch einer verdient daran, Ada nicht. Sie erhält lediglich 500 Dollar für ihr Tagebuch – das bald in den Archiven verschwindet. Bis heute findet es kaum Beachtung.

TC 22:48 - Outro

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TC 00:15 – Intro

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Die Insel ‚Wrangel Island‘ in der Arktis, 140 Kilometer bis zur sibirischen Küste. Ein Ort - umgeben von Nebel und gefrorenem Meer, bedeckt mit Eis. Eine Tierfalle im Schnee, darin: ein magerer Fuchs in seinen letzten Atemzügen. Ein paar hundert Meter weiter: Zelte. In einem davon liegt die gefrorene Leiche eines weißen Mannes – in einem anderen sitzt eine 25 Jahre alte Iñupiaq, eine Ureinwohnerin Alaskas, und schreibt auf einer Schreibmaschine.

ZITATOR ADA
“I finished my knitted gloves today and I open last biscuit box. The ice is over little below horizon. I thank the lord Jesus and his father.”

OVERVOICE ADA
“Ich habe heute meine Handschuhe fertiggestrickt und die letzte Plätzchendose aufgemacht. Das Eis reicht bis kurz unter den Horizont. Ich danke dem Herrn Jesus und seinem Vater.“

SPRECHER
Ada Blackjack heißt die schmale Person, die da im August 1923 auf ein Rettungsschiff wartet. Die dicken Schollen um die Insel müssen schmelzen, nur dann hat ein Schiff die Chance durchzukommen. Eine waghalsige Expedition hat sie an diesen Ort gebracht. Vier Männer sind bereits tot – Ada Blackjack ist die einzige Überlebende.

MUSIK

TC 01:30 – Eine fragliche Expedition

SPRECHER
Gut zwei Jahre zuvor: Vilhjálmur Stefánsson, ein draufgängerischer Polarforscher und Ernährungswissenschaftler, geboren in Kanada, sucht sich die Mannschaft für eine Expedition auf Wrangel Island zusammen. Offizielles Ziel ist es, die Insel mindestens ein Jahr zu bewohnen und sie damit zu kanadischem Staatsgebiet erklären zu können. Stefánsson ist charismatisch und ehrgeizig, er will mit der Expedition auch seinen Ruhm weiter ausbauen. Der Entdecker pflegt die Theorie der ‚freundlichen Arktis‘, die alles zum Leben bietet, wenn man es nur richtig anstellt. Lockend mit Abenteuer und dem Versprechen, es gäbe auf der Insel reichlich jagbares Wildfleisch, hat er bald eine junge und reichlich unerfahrene Crew zusammengestellt. Er selbst bleibt zu Hause. Allan R. Crawford wird zum Leiter erkoren. Der Kanadier ist zwanzig Jahre alt, Geologiestudent und hat keinerlei Vorerfahrung mit Expeditionen. Mit ihm kommen drei Amerikaner: Errol Lorne Knight und Frederick W. Maurer, beide 28, und Milton Galle, der 20 Jahre alte Sekretär von Stefánsson.

OTON 1
“These four explorers needed somebody to cook and so for them. And Ada was a seamstress. She knew how to sew, to repair Mukluks, that the men wore, those heavy boots, and (…) she could speak English and she was available.”

OVERVOICE OTON 1
“Diese vier Entdecker brauchten jemanden zum Kochen. Und Ada war eine Näherin. Sie konnte nähen und Mukluks reparieren, die die Männer trugen, diese schweren Stiefel. Und sie konnte Englisch und stand zur Verfügung.“

SPRECHER
Diane Glancy, Literatin und Sachbuchautorin, hat sich für ein Buchprojekt lange mit der fast vergessenen Geschichte der Ada Blackjack auseinandergesetzt. Geboren wird sie 1898 an der Westküste Alaskas, in einer abgelegenen Siedlung nahe der Goldgräberstadt Nome. Sie ist Tochter einer indigenen Familie von Iñupiat, Ureinwohnern Alaskas. Ihr Vater stirbt früh. Aus Geldnot wächst Ada in einer von Methodisten betriebenen Missionsschule auf. Dort lernt sie Englisch, lernt schreiben und nähen – alles Dinge, die sie als 23-Jährige für die Expedition interessant machen. Ada Blackjack hat freilich eigene Gründe, die Expedition zuzusagen.

OTON 2
“It was poverty and need and maybe a little longing for escape. Because she lived in poverty in Nome, Alaska, probably sleeping sometimes on the street. She had a husband who deserted her. She had two sons who died and another one lived, but she put him in a mission school (…). It was expedient for her to have money (…).”

OVERVOICE OTON 2
„Armut spielte eine große Rolle und vielleicht auch ein wenig die Sehnsucht, zu entkommen. Denn sie lebte in bitterer Not in Nome, Alaska, vermutlich übernachtete sie manchmal auf der Straße. Sie hatte einen Ehemann, der sie verließ. Sie hatte zwei Söhne, die starben. Ein weiterer lebte, doch sie musste ihn in eine Missionsschule geben. Geld war für sie wichtig.“

MUSIK
TC 04:14 – Erste Zweifel

SPRECHER
Für Ada Blackjack eröffnet das Expeditions-Honorar von 50 Dollar pro Monat die Chance, ihren Sohn Bennett nach ihrer Heimkehr zu sich zurückzuholen. Aus Geldnot ist er in einem Heim untergebracht. Außerdem hofft sie, mit dem Honorar seine schwere Tuberkulose behandeln lassen zu können. Und so besteigt sie am 9. September 1921 die ‚Silver Wave‘: das Schiff, das die fünf Leute der Expedition nach Wrangel Island bringt. Weitere Iñupiat, die ihr als Teilnehmer angekündigt waren, springen im letzten Moment ab. Vermutlich ist den Native Americans, erfahren was das Überleben im Eis betrifft, die schlechte Vorbereitung der Expedition nicht entgangen. Ada Blackjack, selbst nicht bei ihrem eigenen Volk aufgewachsen, ist also mit den vier jungen Männern alleine. Die Crew hat Verpflegung für ein halbes Jahr dabei – dazukommen soll das Fleisch selbst erlegter Tiere. Ein Schiff, das für das Jahr darauf angekündigt ist, soll sie entweder mit Nachschub versorgen oder aber evakuieren. Kaum am Zielort angelangt, hisst der Expeditionsleiter Allan Crawford den Union Jack und beansprucht die Insel für Kanada. Die Katze der Expedition, Victoria, und die vier Männer beginnen, die Insel in Besitz zu nehmen und ihr Lager aufzuschlagen. Ada hingegen erfasst bei Ankunft ein klammes Gefühl, das sie rückblickend in ihrem Tagebuch beschreibt:

ZITATOR ADA
„When we got to Wrangel Island, the main land looked very large to me, but they said that it was only a small Island. I thought at first that I would turn back, I decided it wouldn’t be fair to the boys so I felt I had to stay.”

OVERVOICE ADA
“Als wir auf Wrangel Island ankamen, sah das Festland für mich sehr groß aus, aber sie sagten es sei nur eine kleine Insel. Ich dachte zuerst, ich würde wieder umdrehen. Ich beschloss, dass das den Jungs gegenüber nicht fair wäre, daher hatte ich das Gefühl, dass ich bleiben musste.“

SPRECHER
Die ‚Silver Wave‘ legt also ohne Ada Blackjack ab und verschwindet am Horizont. In den bald etablierten Inselalltag und ihre Rolle darin findet die junge Frau nur schwer, aus verschiedenen Gründen:

OTON 3
“There's something called Arctic hysteria that some explorers face. When you’re out there in the great nothingness your whole being can sort of collapse on you and you don't know where you are and you are senseless sometimes and she pouted. (…) And sometimes she wouldn't work. She wouldn't sew or wouldn't cook and Lorne Knight told her once (…) if she didn't work, she would not eat. So there was a lot of animosity between them. (…) and they exiled her to her own little tent. (…) and when she was lazy, they said: no wonder your children died. and they would say very hateful things (…). And that didn’t help her attitude, her mind. (…) Another thing is that in native community women are your company and she had no women around her. (…) I think she was trying to treat the men like a community of women. (…) She finally came around and did the work. But she was very temperamental in the beginning and I think they expected her to be like one of the men. And of course she was not, being native and a woman … and young and not used to all of this. And they had camraderie and she was left out of it.”

OVERVOICE OTON 3
“Es gibt ein Phänomen unter Entdeckern, das sich „Arktische Hysterie“ nennt. Wenn Du da draußen im großen Nichts bist, kann dir dein ganzes Sein in sich zusammenfallen und du weißt nicht mehr, wo du bist und du wirst unvernünftig. Ada schmollte. Und manchmal verweigerte sie die Arbeit. Sie nähte nicht, kochte nicht, und Lorne Knight drohte ihr einmal, dass wenn sie nicht arbeitete, sie auch nichts zu essen bekäme. Zudem leben indigene Frauen eng mit anderen Frauen zusammen, aber es gab keine andere Frau. Ich denke, dass sie versuchte, die Männer wie ihre Gemeinschaft von Frauen zu behandeln. Irgendwann kriegte sie die Kurve und machte ihre Arbeit. Aber sie war anfangs sehr launisch und ich glaube, die Männer hatten erwartet, dass sie sich wie einer von ihnen verhielt. Natürlich tat sie das nicht, als Indigene und als Frau… sie war jung und die Situation für sie völlig neu. Und die Männer hatten Kameradschaft und sie war außen vor.“
TC 07:35 – Keine Rettung in Sicht

MUSIK

SPRECHER
Die Männer verbringen ihre Tage mit Jagen, Holzsammeln, Reparaturen. Außerdem haben sie eine Fotokamera dabei und schreiben Tagebuch – Milton Galle hat sich hierfür sogar eine Schreibmaschine mitgebracht. Ada hat mit all dem zunächst nichts zu tun, sie kocht und näht. Anfangs erlegen die Männer und ihre Jagdhunde ausreichend Fleisch für alle – die ‚Friendly Arctic‘ scheint auf Wrangel Island ihr Gesicht zu zeigen. Die ersten zwölf Monate vergehen ohne größere Ereignisse, so wirkt es jedenfalls im erhaltenen Teil der Expeditionstagebücher. Dann erwarten die fünf das Schiff mit Nachschub. Doch das Jahr 1922 bringt Wrangel Island einen kalten Sommer, die Insel bleibt von dicken Eisschollen umgeben. Der von Steffánson losgeschickte Schoner namens „Teddy Bear“ bleibt im Eis stecken und muss unverrichteter Dinge umkehren. Vergeblich warten die fünf auf der Insel, während es wieder Winter wird.

ZITATOR ADA
“Around about November they knew the boat wouldn’t come. About the middle of November we moved up to the west of our present camp, about four miles I think, so they wouldn’t have to haul the wood so far. After we arrived in our new camp I started to sewing skins for the two boys, Knight and Crawford, who were going to take a trip to Siberia.”

OVERVOICE ADA
“Ungefähr im November wussten sie, dass das Boot nicht kommen würde. Irgendwann Mitte November verlegten wir unser Lager weiter Richtung Westen, um circa vier Meilen denke ich, so dass sie das Holz nicht so weit schleppen mussten. Nachdem wir in unserem neuen Lager angekommen waren, begann ich mit Fellen zu nähen, weil die zwei Jungs, Knight und Crawford, vorhatten, nach Sibirien zu gehen.“

SPRECHER
Die beiden Männer wollen sich übers Eis bis nach Sibirien durchschlagen und dort per Telegramm Kontakt mit Stefánsson aufnehmen. Vorher feiern die fünf Festsitzenden auf Wrangel Island noch ein wenig ausgelassenes Weihnachtsfest.

ZITATOR ADA
“At Christmas time we had some Salt seal meat and some hard bread and tea for our Christmas dinner. That time when we had dinner I wondered where I would be if I lived until Next Christmas.”

OVERVOICE ADA
“An Weihnachten hatten wir gesalzenes Seehundfleisch und etwas hartes Brot und Tee als Weihnachtsessen. Als wir beim Abendessen saßen fragte ich mich, wo ich sein würde, wenn ich das nächste Weihnachten erleben würde.“

SPRECHER
Die beiden Männer müssen ihre Reise durchs Eis bald abbrechen: Lorne Knight ist den massiven Anstrengungen körperlich nicht mehr gewachsen. Er zeigt Anzeichen von Skorbut, wirkt zusehends angeschlagen. Die Vorräte im Camp werden knapper und knapper – und die jagbaren Tiere auf der Insel rarer. Und so entschließen sich die drei gesunden Männer der Expedition, Wrangel Island gemeinsam zu verlassen und Hilfe zu holen. Zurück bleiben der kranke Lorne Knight, der bald nur noch liegen kann, und Ada Blackjack. Die junge Iñupiaq ist mit der neuen Situation schlicht überfordert. Nicht nur muss sie sich nun um einen Kranken kümmern und weiter kochen und nähen. Sie ist jetzt auch für den überlebenswichtigen Fleischnachschub verantwortlich.

OTON 4
“When it came time that she had to hunt, the men were looking at her because she was a native woman. She should have known how to hunt. But she said: I was raised in a mission school. I had to depart from my Inuit ways, I didn't know how to hunt. I didn't know how to trap.”

OVERVOICE OTON 4
„Als es soweit war, dass sie jagen sollte, sahen die Männer sie an: sie war indigen, sie erwarteten also, dass sie jagen konnte. Aber sie sagte: Ich bin in einer Missionsschule erzogen worden. Ich musste meine Inuit Kultur verlassen. Ich weiß nicht, wie man jagt. Ich weiß nicht, wie man Fallen aufstellt.“

SPRECHER
Die Männer lassen sie Ende Januar 1923 dennoch zurück und Ada Blackjack, die eine Riesenangst vor Polarbären hat, muss mitten im Eis so schnell wie möglich den Umgang mit Waffen und das Stellen von Tierfallen lernen. Ergiebige Beute wie Bären oder Walrosse macht sie nicht. Zum Überleben bleiben für sie und ihren Patienten vornehmlich ab und an getroffene Enten, Fischöl und das - gerade für einen Kranken - schwer verdauliche Fleisch von Füchsen. In ihrem Tagebuch berichtet Ada Blackjack von ihren ersten Versuchen, einen Fuchs zu fangen. Sie versteckt eine Falle im Schnee - und wartet dann tagelang vergeblich auf Beute, während ihr Patient zusehends hungriger und schwächer wird.

ZITATOR ADA
“I guess I covered them to much and that is the reason why I didn’t get any fox, then I baited it again end just left it on top of the snow didn’t cover it up at all. The next morning I got up and looked out and I saw a fox (….). That was the first one I had caught , and that was on the 22nd of February, 1923. (…) (( In killing them I would take a stick and hit them on the head until I stunned them then I would bend their heads back until I brocke there heck. Then I would take them home and skin them.)) Later in the spring, around April the fox got very scarce, and I couldn’t trap and more at all. After I couldn’t get any more fox, Knight became worse he got very faint every time he moved.”

OVERVOICE ADA
“Ich glaube, ich habe sie zu stark abgedeckt und das ist der Grund warum ich keine Füchse gefangen habe, dann habe ich nochmal einen Köder hineingelegt und ließ die Falle oben auf dem Schnee, ohne sie überhaupt abzudecken. Am nächsten Morgen stand ich auf und sah hinaus und ich sah einen Fuchs. Das war der erste, den ich gefangen habe, und das war am 22. Februar 1923. Später im Frühjahr, ungefähr im April, wurden die Füchse knapp, und ich konnte keine mehr fangen. Als ich keine mehr fangen konnte, ging es Knight schlechter, jede kleinste Bewegung schwächte ihn.“

MUSIK

SPRECHER
Im späten Frühjahr 1923 gibt es auf der Insel kaum mehr jagbare Tiere. Der kranke Lorne Knight kommt mit seiner wachsenden Todesangst und seiner Abhängigkeit von der jungen Frau schlecht zurecht. Immer wieder, so beschreibt Ada Blackjack es in ihrem Tagebuch, beschimpft er sie wüst und macht ihr ungerechte Vorwürfe.

SPRECHER
Auch Ada Blackjack selbst beginnt die Folgen der Mangelernährung zu spüren. Am 2. April 1923 schreibt sie:

ZITATOR ADA
“(…) Knight wants me to go out to the traps but my eye is very ach so I cannot go out when my eye is that way because in evening I could barly stand the ache of my eye and one side of head. If anything happens to me and my death is known (…) I wish if you please take everything to Bennett that is belong to me. I don’t know how mach I would be glad to get home to folks.”

OVERVOICE ADA
“Knight will, dass ich zu den Fallen gehe, aber mein Auge tut sehr weh. Ich kann nicht rausgehen, wenn mein Auge so ist, am Abend konnte ich kaum mehr stehen, weil mein Auge und eine Seite von meinem Kopf so wehgetan haben. Wenn mir etwas zustößt und mein Tod bekannt wird, dann wünsche ich, dass bitte alles, was mir gehört, zu Bennett gebracht wird. Ich wäre so sehr froh, wenn ich zu meinen Leuten nach Hause kommen könnte.“
TC 13:11 – Alles für mein Kind

SPRECHER
Dass wir ihre damaligen Gedanken in dieser verzweifelten Lage heute erfahren und Ada Blackjacks einzigartige Geschichte dadurch ein Stück weit nacherleben können, ist ihrem Tagebuch zu verdanken. Mit dem Schreiben beginnt sie erst, nachdem die drei Männer das Camp verlassen haben – und die Schreibmaschine von Milton Galle, die sie schon länger fasziniert zu haben scheint, unbenutzt herumsteht. Was bringt sie dazu, ein Tagebuch zu führen?

OTON 5
“After those three men left I just think she wanted the presence of herself. (…) And she had a typewriter before her and she had tried to peck on it once. And (…) he wouldn't let her use it. So once he was gone to Siberia, she went to that typewriter and started pecking, to see how these different letters could make the words that she wanted to make. (…) So that was very difficult when you've never typed on a typewriter before and you have this language that is not really yours - English language - and you have to put it on paper.”

OVERVOICE OTON 5
“Nachdem die drei Männer fort waren, denke ich, wollte sie ihre eigene Gegenwart spüren. Und sie hatte da eine Schreibmaschine vor sich stehen. Sie hatte darauf schon einmal versucht, einen Buchstaben zu tippen und er hatte sie nicht gelassen. Also ging sie jetzt, als er auf dem Weg nach Sibirien war, hin und begann zu tippen, um zu sehen, wie diese verschiedenen Buchstaben zu den Worten wurden, die sie schreiben wollte. Das ist sehr schwierig, wenn Du zuvor noch nie auf einer Schreibmaschine geschrieben hast und dann noch in einer Sprache, die nicht wirklich deine ist – englisch – schreibst.“

SPRECHER
Ada Blackjacks Tagebücher sind teils schwer zu lesen, wegen vieler Tipp- und Schreibfehler – englisch war schließlich nicht ihre Muttersprache, sondern Iñupiaq. Großteils beschreibt sie in knappen, fast teilnahmslos wirkenden Sätzen die erledigten Tätigkeiten und Vorfälle des Tages. Was sie gegessen, genäht, gejagt hat. Wie es dem kranken Lorne Knight ergeht. Ihre fatalistische Sachlichkeit ist für sie wohl auch eine Überlebensstrategie. Das Tagebuch gibt noch weitere Hinweise, wie sie die Einsamkeit und das Ausgeliefertsein im Eis überstehen konnte. Je bedrohlicher die Situation für sie, desto häufiger erwähnt sie ihren Sohn Bennett. Ihn will sie retten, für ihn lohnt es sich, durchzuhalten. Zudem drückt sie im Tagebuch gerade in besonders aussichtslosen Situationen ihren Glauben an Gott aus.
Die rückblickend hoch problematische Christianisierung indigener Kinder in den Missionsschulen Nordamerikas zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist auch Ada Blackjack widerfahren. Auf Wrangel Island bietet ihr ihr Glauben an Gott jedoch Rückhalt – so sieht es Diane Glancy, die selbst indigene Cherokee-Wurzeln und über Blackjacks Überleben viel nachgedacht hat.

OTON 6
“I think her faith helped her quite a bit (…) and she was native (…). There's something.. survival through hardship is sort of built in to the native, I think, and especially in the north, where the conditions are so harsh, there is a built in survival mode, or a will to survive through hardship. That maybe the men who had had more comfort in their lives, could not tolerate the suffering of the end (…) It was just the strength of Ada. (…) She was a survivor.”

OVERVOICE OTON 6
“Ich denke, dass ihr Glauben ihr ziemlich viel geholfen hat…. und sie war indigen. Da gibt es sowas…. Extreme Lagen überstehen zu können ist den Ureinwohnern besonders zueigen, gerade im Norden, wo die Bedingungen so hart sind. Es ist wie ein Überlebensmodus, oder ein Wille, große Bedrängnis zu überstehen. Ich denke, vielleicht konnten die Männer, die mehr Komfort in ihrem Leben gewohnt waren, das Leiden am Ende nicht ertragen. Es lag einfach an Adas Stärke. Sie war eine Überlebenskünsterlin.“
TC 16:13 – Eine glückliche Wendung

MUSIK

SPRECHER
Die drei Männer, die sich nach Sibirien hatten retten wollen, bleiben auf immer spurlos im Eis verschwunden. Wir wissen nicht, wie weit sie gekommen und woran sie gestorben sind. Es gibt bis heute keinen eindeutigen Hinweis zu ihrem Verbleib. Der skorbutkranke Lorne Knight verbringt über vier Monate, ohne sich auch nur aus seinem Schlafsack bewegen zu können. Zuletzt verliert er seine Zähne und die Fähigkeit zu schlucken. Er stirbt, nur noch Haut und Knochen, am 22. Juni 1923. Auch Ada Blackjack ist zu diesem Zeitpunkt stark geschwächt. Sie vermag es nicht, den bald gefrorenen Leichnam zu bewegen. Die sterblichen Überreste des Lorne Knigth bleiben im Schlafsack liegen, sie selbst zieht in ein anderes Zelt um. Jetzt ist sie ganz alleine.

SPRECHER
Drei Tage später erlegt sie mit glücklicher Hand einen Seehund – es ist das erste frische Fleisch, das sie in Wochen zu essen bekommt. Es rettet ihr vermutlich das Leben. Langsam bricht der Sommer an, jetzt steigt auch die Zahl der jagbaren Tiere auf der Insel, Ada Blackjack kommt wieder zu Kräften. Mit großer Geschicklichkeit findet sie sich im einsamen Alltag zurecht, baut sich etwa eine Plattform, von der aus sie die gefürchteten Polarbären früh erkennen kann. Und auch nach einem Rettungsschiff späht sie von dort aus. Denn der Sommer ist die Zeit, in der ein Schiff kommen kann – wenn es denn kommt. Genau beobachtet Ada Blackjack den Stand der Eisschollen um die Insel und notiert ihn mehrmals in ihr Tagebuch. Im August 1923 lebt sie beinahe schon zwei Monate lang völlig alleine auf der Insel, da fällt ihr etwas auf, was sie zuerst gar nicht ernst nehmen kann:

ZITATOR ADA
„I heard a funny noise like a boat whistle but thought it was a duck or something. It was foggy and I couldn’t see so I didn’t think any more about it until the next morning. I took my book after supper, (…) then I went to sleep. The next morning about six o’clock I heard that same noise again and it sounded more like a boat whistle this time so I grabbed my field glasses and went out on top of my raft, and sure enough there was a boat (…).”

OVERVOICE ADA
“Ich hörte ein seltsames Geräusch, wie das Signal von einem Schiff, aber ich dachte, es sei eine Ente oder sonstwas. Es war neblig und ich konnte nichts sehen, daher dachte ich nicht mehr daran. Am nächsten Morgen um circa sechs Uhr hörte ich das gleiche Geräusch wieder und jetzt klang es mehr nach einem Schiffssignal, also griff ich zu meinem Feldstecher und stieg auf mein Floß und tatsächlich, da war ein Schiff.“

MUSIK

SPRECHER
Am 20. August 1923, nach zwei Jahren in menschenfeindlicher, eisiger Ödnis wird Ada Blackjack gerettet. Sie hat den Kampf ums Überleben gewonnen. Die kleine Frau umarmt ihre Retter, die nach eigener Aussage überrascht darüber sind, in welch gutem Zustand sie Ada Blackjack antreffen. An Bord des Schiffes nimmt sie das erste Bad seit langer Zeit. Mit ihr zurück nach Nome in Alaska reisen Fotos der Expedition, die noch vorhandenen Tagebücher, einige Fuchsfelle und die offensichtlich außergewöhnlich zähe Expeditionskatze Victoria.
Zu Hause angekommen, veröffentlicht der Kapitän des Rettungsschiffes, Harold Noice, einen Zeitungsartikel über Ada Blackjack, der einer Lobeshymne gleichkommt. Als „weiblicher Robinson Crusoe“ wird die Iñupiaq von der Öffentlichkeit bald gefeiert. Sie selbst schweigt dazu, der Rummel liegt ihr nicht. Mit ihrem Expeditions-Honorar jedoch kann sie ihren Sohn, wie geplant, zu sich holen und seine Krankheit behandeln lassen. Es mag wie ein ‚Happy End‘ klingen, doch die Geschichte der Ada Blackjack muss ganz erzählt werden. Denn nach dem Ruhm folgen in Zeitungen Anklage und Verachtung.
TC 19:57 – Zurück in die bittere Armut

ZITATOR SCHLAGZEILE 1
“Spurned Eskimo Woman Is Blamed For Arctic Death”

OVERVOICE SCHLAGZEILE 1
„Zurückgewiesene Eskimo Frau wird für Tod in der Arktis schuldig erklärt“

ZITATOR SCHLAGZEILE 2 (andere Stimme)
„Though Man’s Body Was Wasted by Starvation, Ada Blackjack Was Healthy”

OVERVOICE SCHLAGZEILE 2 (andere Stimme)
“Während Männerleiche von Hunger verzehrt war, war Ada Blackjack gesund“

SPRECHER
Kapitän Noice hat bemerkt, dass Adas Geschichte Aufmerksamkeit und Geld bringt - und veröffentlicht im Februar 1924 noch einmal einen Artikel über sie, der eine Reihe sensationslüsterner Zeitungsberichte nach sich zieht. Noice hat sämtliche Tagebücher für sich behalten, und wirft ihr nun vor, der Tod des skorbutkranken Lorne Knight sei ihre ihre Schuld. Das ließe sich angeblich dessen Tagebüchern entnehmen. Sie habe ihn verhungern lassen, nachdem er sie nicht habe heiraten wollen. Sie selbst hingegen habe ihre Retter ja wohlgenährt empfangen.

MUSIK

Diese öffentliche Anklage bringt Ada Blackjack schließlich dazu, zu sprechen. Noice‘ Behauptungen will sie nicht auf sich sitzen lassen. Sie fährt zur Los Angeles Times und bietet von sich aus ein Interview an. Sie schildert darin ihre Erinnerungen und erklärt auch die übers Jahr variierenden Ernährungszustände der Inselbewohner durch die Zu- und Abnahme des Jagdwildes. Als Harold Noice schließlich dazu gezwungen wird, die Tagebücher herauszugeben, fehlen in Knights Tagebuch Seiten, manche Stellen sind geschwärzt. Noice hat offenbar versucht, alles zu tilgen, was seine Anschuldigungen als Diffamierung offensichtlich macht. Die Eltern des Verstorbenen hatten ohnehin nie an Ada Blackjacks Schuld geglaubt.

SPRECHER
Nach diesem Vorfall verfällt Ada Blackjack wieder in Schweigen. Sie führt ein Leben in bitterer Armut, reiht Gelegenheitsjob an Gelegenheitsjob. In hohem Alter wird sie von einer Zeitung noch einmal zu ihren Erinnerungen befragt. Kein Tag vergehe, antwortet sie, ohne dass sie von ihren schlimmen Erlebnissen auf Wrangel Island verfolgt würde.

OTON 7
“She lived to be 85 years old and the last parts of her life were very grim. She washed dishes in Nome, Alaska. She did whatever she could to survive. She did not have a happy life. But you don't pay attention to happiness, when you're in Alaska and a native, you just keep going.”

OVERVOICE OTON 7
“Sie wurde 85 Jahre alt und die letzten Jahrzehnte ihres Lebens waren sehr düster. Sie wusch Teller in Nome, Alaska… Sie tat was auch immer, um zu überleben. Sie hatte kein glückliches Leben. Aber Glück ist keine Kategorie, wenn du als Indigene in Alaska lebst. Du machst einfach weiter.“

MUSIK

SPRECHER
Andere schlagen aus Ada Blackjacks Erlebnissen hingegen Profit. Ihre Geschichte wird mehrfach erzählt und verkauft. Manch einer verdient daran, Ada nicht. Sie erhält lediglich 500 Dollar für ihr Tagebuch – das bald in den Archiven verschwindet. Bis heute findet es kaum Beachtung.

TC 22:48 - Outro

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