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Patricia Kopatchinskajas neues Album „Exile“: Sehr originell und berührend

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„Exil!“ von Ysaÿe: Ein Schrei aus der Seele

Das ist alles andere als Virtuosenfutter. Hier frisst sich was in die Seele und singt und schreit heraus: der Wille nach Ausdruck, das ist Not und Bedürfnis. Ganz erstaunlich ist das: Musik von Eugène Ysaÿe, dem belgischen Großmeister der Geige, dessen Kompositionen die meisten von uns wohl vor allem aus höchst artistischen Konzert-Zugaben kennen. „Exil!“ heißt dieses völlig andere Stück von 1917, hinter dem Titel steht bezeichnenderweise ein Ausrufezeichen. „Exile“, ohne Ausrufezeichen, heißt auch das neue Album der Geigerin Patricia Kopatchinskaja und ihrer Mitstreitenden, Mitleidenden, Mitsingenden und -springenden.

Trailer zum Album „Exile“ auf YouTube

Musik, die in der Luft schwebt und flirrt

Das Werk von Ysaÿe, der seine Heimat während des Ersten Weltkriegs in die USA verließ, steht ganz am Schluss des Albums. Es ist ein Oktett, geschrieben für sechs Violinen und zwei Bratschen. Tiefe Streicher fehlen: Musik, die in der Luft schwebt und flirrt, ohne Erdung im Bass, wie entwurzelt. Das ist keine ätherische Klangspielerei, sondern existenziell. Die letzten zweieinhalb Minuten, ein Drittel der Gesamtlänge, sind ein einziges Auspendeln, wie letzte Atemzüge, auskomponiertes Verstummen.

Äußerliches und innerliches Exil

Der Begriff Exil ist auf diesem Album weitgefasst. Da ist Musik von einem Petersburger dabei, der in Paris starb, und von einem Polen, der nach England floh, und auch von einem jüdisch-wolgadeutschen Russen, der später in Hamburg leben sollte. Aber ebenso gibt es Musik von einem Wiener, der Wien kaum je verließ, sondern dessen Leben nur vom Himmelpfortgrund auf die Wieden führte. Doch auch wenn Franz Schuberts Geburts- und Sterbeort nur wenige Kilometer auseinander lagen, wird seine Musik hier als „Schmerz und Einsamkeit inneren Exils“ begriffen.

Album durchdacht aufgebaut

Ein hochkonzentriertes Streicherensemble der Camerata Bern ist Kopatchinskajas Partner. Und für die Bass-Dimension im Gesamtbild, für aufgewühlte Erde, sorgt vor allem der Cellist Thomas Kaufmann – zum Beispiel in Alfred Schnittkes Sonate für Cello und Klavier von 1978, die Martin Merker allerdings für Ensemble arrangiert hat. So weit der Exil-Begriff des Albums gefasst ist, so simpel, aber durchdacht ist sein Aufbau: zwischen drei komplexen, mehrteiligen Werken stehen scheinbar einfachere Stücke, nicht nur das Schubert-Menuett, auch aus der Volksmusik Stammendes. Und am Schluss das Exil-Poem von Ysaÿe.

Kopatchinskaja beim Heidelberger Frühling 2024

Herrlich schräge Vierteltönelei von Wyschnegradsky

Toll ist aber, was für Raritäten hier versammelt sind. Außer Schnittke und einem Violinkonzert von Andrzej Panufnik – Lutosławskis polnischem Weggefährten, der 1954 die Heimat Richtung England verließ – ist hier das zweite Streichquartett von Ivan Wyschnegradsky zu hören, entstanden um 1930. Wyschnegradsky gehörte zur seltsamen Viertelton-Clique jener Zeit, einer Art alternativen Avantgarde, im Grunde das Gegenteil der Zwölftonmusik, die ja per definitionem geradezu halbton-fanatisch war. Herrlich schräges Zeug ist diese Vierteltönelei von Wyschnegradsky! Dieses dolle Ding zeigt, dass es auch stilistisches Exil gibt, Ortlosigkeit, Verlust von Heimat, ohne irgendwo anzukommen – vielleicht auch, ohne ankommen zu wollen. Und nicht zuletzt beweist die Aufnahme, wie unausgereizt das Streichquartett-Repertoire immer noch ist. Eine absolute Entdeckung für mich!

Mit viel Herzblut

Hier wird mit viel Herzblut musiziert, wie generell auf diesem Album. Kopatchinskaja, Kaufmann und die Camerata Bern sind Zerbrechlichkeitszelebrierer, aber auch klagende Clowns. Hibbelig-hyperaktive Lamento-Akrobaten im besten Sinn. Auch gesungen wird da, in moldauischem Rumänisch, von Kopatchinskaja und Vlad Popescu. „Exile“ heißt das sehr originelle, sehr berührende Album, erschienen ist es beim Label Alpha Classics.
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Das ist alles andere als Virtuosenfutter. Hier frisst sich was in die Seele und singt und schreit heraus: der Wille nach Ausdruck, das ist Not und Bedürfnis. Ganz erstaunlich ist das: Musik von Eugène Ysaÿe, dem belgischen Großmeister der Geige, dessen Kompositionen die meisten von uns wohl vor allem aus höchst artistischen Konzert-Zugaben kennen. „Exil!“ heißt dieses völlig andere Stück von 1917, hinter dem Titel steht bezeichnenderweise ein Ausrufezeichen. „Exile“, ohne Ausrufezeichen, heißt auch das neue Album der Geigerin Patricia Kopatchinskaja und ihrer Mitstreitenden, Mitleidenden, Mitsingenden und -springenden.

Trailer zum Album „Exile“ auf YouTube

Musik, die in der Luft schwebt und flirrt

Das Werk von Ysaÿe, der seine Heimat während des Ersten Weltkriegs in die USA verließ, steht ganz am Schluss des Albums. Es ist ein Oktett, geschrieben für sechs Violinen und zwei Bratschen. Tiefe Streicher fehlen: Musik, die in der Luft schwebt und flirrt, ohne Erdung im Bass, wie entwurzelt. Das ist keine ätherische Klangspielerei, sondern existenziell. Die letzten zweieinhalb Minuten, ein Drittel der Gesamtlänge, sind ein einziges Auspendeln, wie letzte Atemzüge, auskomponiertes Verstummen.

Äußerliches und innerliches Exil

Der Begriff Exil ist auf diesem Album weitgefasst. Da ist Musik von einem Petersburger dabei, der in Paris starb, und von einem Polen, der nach England floh, und auch von einem jüdisch-wolgadeutschen Russen, der später in Hamburg leben sollte. Aber ebenso gibt es Musik von einem Wiener, der Wien kaum je verließ, sondern dessen Leben nur vom Himmelpfortgrund auf die Wieden führte. Doch auch wenn Franz Schuberts Geburts- und Sterbeort nur wenige Kilometer auseinander lagen, wird seine Musik hier als „Schmerz und Einsamkeit inneren Exils“ begriffen.

Album durchdacht aufgebaut

Ein hochkonzentriertes Streicherensemble der Camerata Bern ist Kopatchinskajas Partner. Und für die Bass-Dimension im Gesamtbild, für aufgewühlte Erde, sorgt vor allem der Cellist Thomas Kaufmann – zum Beispiel in Alfred Schnittkes Sonate für Cello und Klavier von 1978, die Martin Merker allerdings für Ensemble arrangiert hat. So weit der Exil-Begriff des Albums gefasst ist, so simpel, aber durchdacht ist sein Aufbau: zwischen drei komplexen, mehrteiligen Werken stehen scheinbar einfachere Stücke, nicht nur das Schubert-Menuett, auch aus der Volksmusik Stammendes. Und am Schluss das Exil-Poem von Ysaÿe.

Kopatchinskaja beim Heidelberger Frühling 2024

Herrlich schräge Vierteltönelei von Wyschnegradsky

Toll ist aber, was für Raritäten hier versammelt sind. Außer Schnittke und einem Violinkonzert von Andrzej Panufnik – Lutosławskis polnischem Weggefährten, der 1954 die Heimat Richtung England verließ – ist hier das zweite Streichquartett von Ivan Wyschnegradsky zu hören, entstanden um 1930. Wyschnegradsky gehörte zur seltsamen Viertelton-Clique jener Zeit, einer Art alternativen Avantgarde, im Grunde das Gegenteil der Zwölftonmusik, die ja per definitionem geradezu halbton-fanatisch war. Herrlich schräges Zeug ist diese Vierteltönelei von Wyschnegradsky! Dieses dolle Ding zeigt, dass es auch stilistisches Exil gibt, Ortlosigkeit, Verlust von Heimat, ohne irgendwo anzukommen – vielleicht auch, ohne ankommen zu wollen. Und nicht zuletzt beweist die Aufnahme, wie unausgereizt das Streichquartett-Repertoire immer noch ist. Eine absolute Entdeckung für mich!

Mit viel Herzblut

Hier wird mit viel Herzblut musiziert, wie generell auf diesem Album. Kopatchinskaja, Kaufmann und die Camerata Bern sind Zerbrechlichkeitszelebrierer, aber auch klagende Clowns. Hibbelig-hyperaktive Lamento-Akrobaten im besten Sinn. Auch gesungen wird da, in moldauischem Rumänisch, von Kopatchinskaja und Vlad Popescu. „Exile“ heißt das sehr originelle, sehr berührende Album, erschienen ist es beim Label Alpha Classics.
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