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Julius Robert Oppenheimer - Der „Vater“ der Atombombe

22:54
 
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Robert Oppenheimer hat mit der Atombombe eine Massenvernichtungswaffe entwickelt, die die gesamte Menschheit bedroht. In seiner Person verdichtet sich die Frage nach den Grenzen der technischen Machbarkeit und der Verantwortung des Wissenschaftlers. Von Brigitte Kohn

Credits
Autorin dieser Folge: Brigitte Kohn
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Thomas Birnstiel, Peter Weiß, Christian Baumann
Technik: Susanne Herzig
Redaktion: Andrea Bräu

Im Interview:
Dr. Alexander Blum, Physikhistoriker, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin

Literaturtipps:

Kai Bird und Martin J. Sherwin: J. Robert Oppenheimer. Die Biographie. Ullstein Verlag Berlin 8. Auflage 2023.

Heinar Kipphardt: In der Sache J. Robert Oppenheimer, suhrkamp Verlag Frankfurt, 1. Auflage 2005.

James A. Hijiya: The Gita of J. Robert Oppenheimer. Proceedings oft he American Philosophical Society, Band 144, No.2, June 2000.

Robert Oppenheimer: Ausblicke auf Kunst und Wissenschaft, Physikalische Blätter 11. Jahrgang Heft 10, 1955.

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

Musik: Z8028915109 Coming closer 0‘34

ERZÄHLERIN:

Aus dem Protokoll der Anhörung des Physikers Julius Robert Oppenheimer durch die US-amerikanischen Atomenergiekommission im Jahr 1954:

FRAGESTELLER – Zitator 1

Mr. Oppenheimer. Sie hatten schreckliche moralische Skrupel?

OPPENHEIMER – Zitator 2

Ich kenne niemanden, der nach dem Abwurf der Atombombe nicht schreckliche moralische Skrupel gehabt hätte.

FRAGESTELLER: Zitator 1

Ist da nicht ein bisschen schizophren?

OPPENHEIMER: Zitator 2

Was? Moralische Skrupel zu haben?

Musik: ZR004490102 Legende für Klavier zu 4 Händen 0‘38

ERZÄHLERIN

50 Jahre zuvor. Robert Oppenheimer wird am 22. April 1904 in New York geboren.

Beide Eltern, ein Textilingenieur und eine Malerin, sind Juden und haben deutsche Wurzeln. Der Vater ist mit 17 Jahren nach New York gekommen und hat es hier zu Reichtum gebracht. Robert ist der ältere von zwei Söhnen, ein sensibles und ungeheuer aufgewecktes Kind mit dichten schwarzen Locken und ausdrucksvollen wasserhellen Augen. Beide Eltern vergöttern ihn und fördern ihn nach Kräften. Ihre Ansprüche an Roberts Leistungsbereitschaft und auch an die innerfamiliäre Harmonie sind hoch, und das erzeugt manchmal Druck.

ERZÄHLER:

Er sei ein gehorsamer und grässlich guter Junge gewesen, sagt Oppenheimer später von sich selbst. Was ihm gefehlt habe, sei die gesunde Möglichkeit gewesen, sich auch mal danebenzubenehmen.

ERZÄHLERIN:

Die Eltern sind fortschrittlich eingestellt und nicht religiös. Sie schicken ihren Sohn auf die Schule der Society for Ethical Culture, Gesellschaft für ethische Kultur, die sich einem weltlichen jüdischen Humanismus verpflichtet fühlt, sagt Alexander Blum, Physikhistoriker am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin.

01 O-TON DR. BLUM

Seine Eltern wollten sich assimilieren in der amerikanischen Haute Volee. Die religiösen Traditionen waren nicht wichtig, aber gewisse kulturelle Elemente des Judentums kann man durchaus wiedererkennen. Es ist ein sehr optimistisches Weltbild, ein Weltbild, wo auch der Verstand und die Wissenschaft als positive Kräfte gesehen werden, die, wenn der Mensch sie zu gebrauchen weiß, die Welt zu einem besseren Ort machen können.

Musik: Z8035149130 This one question 0‘28

ERZÄHLERIN:

Die Schule betont die Handlungsfähigkeit und die moralische Verantwortung des Einzelnen. Vom Menschen hänge alles ab, der Mensch dürfe sich viel zutrauen, er müsse sich aber auch stark in die Pflicht nehmen. Die Erwartungen sind also auch hier sehr hoch. Der Glaube an eine übergeordnete, göttliche Instanz, die lenkt oder schützt, spielt kaum mehr eine Rolle.

ERZÄHLER:

Oppenheimers enger Freund, der Physiker Isidor Isaac Rabi, überliefert in späteren Jahren, Oppenheimer habe skeptisch auf seine Schulzeit zurückgeblickt. Die übermittelten Moralvorstellungen hätten seine Fragen nach der Stellung und Aufgabe des Menschen im Universum nicht zufriedenstellend lösen können.

ERZÄHLERIN:

Aber es gibt viele engagierte Lehrer an dieser Schule, die Robert vor allem für die Naturwissenschaften begeistern, aber auch für alles andere: moderne Literatur, Sprachen, Philosophie, Psychologie. Seine vielseitigen Begabungen verführen ihn oft dazu, sich zu zerfleddern, sich zu viel zuzumuten und sich von Gleichaltrigen, die ihn manchmal hart schikanieren, zu isolieren.

ERZÄHLER:

Auch an der Universität Harvard bedeuten ihm Bücher mehr als Freunde, und sein ruheloser Geist probiert sich ohne festen Plan in zahlreichen Fächern aus. Aber die Physik fesselt ihn auf Dauer am meisten, denn sie bietet mehr Neuland als jede andere Wissenschaft.

02 O-TON DR. BLUM

Da hat sich wahnsinnig viel getan um die Jahrhundertwende. Paul Dirac, einer der Pioniere der Quantenmechanik, beschreibt die Zeit als das Goldene Zeitalter der Physik, in der jeder mittelmäßige Physiker erstklassige Entdeckungen machen konnte, weil mit der Quantenmechanik ein ganz neuer mathematischer Rahmen gegeben war, mit der man die Welt in einem ganz neuen Blickwinkel betrachten konnte.

ERZÄHLERIN:

Nach seinem Abschluss in Harvard geht Oppenheimer nach Europa, denn dort lehren die führenden Kapazitäten.

03 O-TON BLUM:

Anders als bei der Relativitätstheorie, die man auf einen Menschen, letztlich auf Einstein, zurückführen kann, war die Quantenmechanik wirklich ein kollaboratives Projekt, zu dem Wissenschaftler in verschiedenen Zentren, die über Europa verstreut waren, beigetragen haben. Und Oppenheimer hat die eigentlich alle abgehakt. Er ist von Cambridge nach Leiden zu Ehrenfest, war dann in Göttingen bei Max Born, in Zürich bei Wolfgang Pauli. Diese Generation, etwas älter als er, die die Quantenmechanik begründet haben, da hat er wirklich bei allen vorbeigeschaut.

ERZÄHLERIN:

Oppenheimers Lehrer finden ihn begabt und kreativ, aber auch sprunghaft und arrogant. Und ungeschickt. Beim Experimentieren im Labor gehen ihm oft die Instrumente zu Bruch. Von Einsamkeit und Versagensängsten gequält, gerät er in eine tiefe seelische Krise.

Musik: Z8019017126 Secret proofs 0‘30

ERZÄHLER:

Manchmal fühlt er sich wie versteinert, dann wieder kochen die Aggressionen hoch. Dem Laborleiter will er mal einen vergifteten Apfel aufs Pult gelegt haben, so kolportiert er es selbst – doch sicher belegt ist das nicht, manche führen die Geschichte auf seine überhitzte Phantasie zurück.

ERZÄHLERIN:

Langsam findet Oppenheimer wieder in die Spur, dank seiner wachsenden Liebe zur theoretischen Physik. Quantentheoretisch und mathematisch, bisweilen auch philosophisch orientiert, bietet sie ihm den Zufluchtsraum des abstrakten Denkens und bringt ihm die Geheimnisse des Universums näher. Wenige Jahre später wird sie ihm die Grundlagen für den Atombombenbau liefern – mit verheerenden Folgen.

04 O-TON Dr. BLUM:

Alles, was Oppenheimer gemacht hat, von seinen ersten Arbeiten zu Molekülen bis hin zur Atombombe, das war alles Quantenphysik, letztlich.

ERZÄHLERIN:

1929 tritt er eine Stelle an der Universität von Berkeley in Kalifornien an und macht die Quantenphysik auch in Amerika bekannt. Seine Studenten verehren ihren jungen exzentrischen Lehrer, der immer mit seinem geliebten breitkrempigen Hut und einer Zigarette im Mundwinkel vor der Tafel steht und gern auch mal privat ein paar Drinks ausgibt. Neben seiner Lehrtätigkeit schreibt Oppenheimer viel beachtete Aufsätze, unter anderem zur Zusammenführung von Quantentheorie und Relativitätstheorie.

Musik: Z8035149115 This is strange 0‘35

ERZÄHLER:

Allerdings ist er oft zu ungeduldig und sprunghaft, um alle Probleme im Detail zu durchdenken. Eigenschaften, die er wohl auch ab dem Jahr 1942, als er für das so genannten „Manhattan-Projekt“, die Entwicklung der Atombombe arbeitet, auch nicht ganz ablegen kann.

Der Physiker Oppenheimer hätte im Laufe seines Lebens eigentlich gerne, wie so einige seiner damaligen Kollegen, einen Nobelpreis gewonnen, doch die zeitaufwändige Leitung des „Manhattan-Projekts“ hat ihm das möglicherweise auch vermasselt. Dazu der Physikhistoriker Alexander Blum:

05 O-TON DR. BLUM:

Wenn man das Manhattan-Projekt rausschneidet und sich nur die Arbeiten anguckt, die er letztendlich geschrieben hat, dann ist er ein solider, aber nicht herausragender Physiker im 20. Jahrhundert. Er hat sich mit Fragen beschäftigt, die dann sehr wichtig wurden, und die Frage ist immer: Wenn er nicht der Leiter des Manhattan-Projekts gewesen wäre, sondern sich der reinen Wissenschaft hätte widmen können, ob er dann nicht gewisse Entdeckungen gemacht hätte, die andere dann stattdessen gemacht haben.

Musik: Z8032962139 Immer mehr (reduced 2) 0‘34

ERZÄHLERIN:

Entspannung findet der ehrgeizige junge Dozent in der Wüste von New Mexico, eine Landschaft, in die er sich verliebt hat und die er oft besucht, um sie auf langen Ausflügen auf dem Pferderücken zu erkunden. Reiten ist seine Passion, außerdem die Literatur und das Studium des Sanskrit. Die Bhagavad Gita, eine jahrtausendealte heilige Schrift des Hinduismus, zieht ihn sein Leben lang in ihren Bann.

ERZÄHLER:

Die Bhagavad Gita lehrt die Menschen unter anderem, die Pflichten ihres Standes zu erfüllen und die Pflichten anderer Stände zu respektieren, ohne sich einzumischen. Die Konsequenzen von Handlungen seien abhängig vom Zusammenwirken der Stände und vom Wirken einer höheren Macht, aber nicht vom Willen und den ethischen Maßstäben eines Einzelnen.

ERZÄHLERIN:

Der Gedanke der Pflichterfüllung gibt Oppenheimer innere Ruhe. Er kann nun die Fragen nach Gut und Böse und individueller Verantwortung, die seine Jugend geprägt haben, zugunsten der Frage zurückstellen, was er selbst zum Gesamtzusammenhang beitragen kann. Und da liegt für ihn die Antwort auf der Hand: Es sind seine wissenschaftlichen Fähigkeiten, die die Gesellschaft braucht; für andere Bereiche gibt es andere Experten.

Musik: Z8020108141 In der Finsternis 0‘27

Doch die Weltwirtschaftskrise verursacht seit Anfang der Dreißigerjahre viel Not und stört den Gesamtzusammenhang erheblich. 1933 ergreift Hitler in Deutschland die Macht.

ERZÄHLER:

Das erfüllt Oppenheimer mit Wut und Sorge um das Schicksal der deutschen Juden. Aber es gibt für ihn eine andere Lehre, die verspricht, Gerechtigkeit herzustellen und die verstörte Welt zu heilen: Das ist der Kommunismus. Oppenheimer interessiert sich dafür wie viele andere junge Intellektuelle auch. Zwar tritt er nie in die Kommunistische Partei der USA ein, aber er beteiligt sich an vielen Aktivitäten und knüpft viele Freundschaften, auch zu Frauen. Er ist selbstsicherer und geselliger geworden und gilt sogar als sehr charmant.

Musik: Z8035579101 Recalling the trauma 0‘31

ERZÄHLERIN:

Die Medizinerin Jean Tatlock, (sprich: Schien Tätlock) ist Oppenheimers erste große Liebe. Sie ist oft schwermütig, melancholisch. Sie setzt

ebenfalls Hoffnungen auf den Kommunismus. Die beiden fühlen sich eng verbunden, aber es ist kompliziert, und Jean schreckt vor einer Ehe zurück.

ERZÄHLER:

1940 heiratet Oppenheimer eine andere, die Botanikerin Katherine Puening Harrison, genannt Kitty. Sie bekommen einen Sohn und eine Tochter. Seit 1942 lebt die Familie in Los Alamos, New Mexico, denn der inzwischen 38jährige Oppenheimer hat die Stelle des wissenschaflichen Leiters des Manhattan-Projekts bekommen, das die erste Atombombe der Welt entwickeln soll. Man will schneller sein als Hitlerdeutschland, wo man ähnliche Aktivitäten vermutet.

07 O-TON BLUM:

Die sehr reelle Möglichkeit einer Nazibombe war für die meisten das Hauptargument, da mitzumachen, und ich würde auch sagen, ein völlig legitimes Argument.

ERZÄHLERIN:

Mehrere Hundert Menschen arbeiten in Los Alamos, darunter exzellente Physiker aus verschiedenen Ländern. Oppenheimer ist ein guter Leiter, der die Leute motivieren, Ergebnisse zusammenführen und die Arbeit zügig vorantreiben kann.

ERZÄHLER:

Wenn man ein Wissenschaftler sei, so glaube man, dass es gut sei, herausfinden, wie die Welt funktioniert, sagt er später. Wenn man auf reizvolle technische Herausforderungen stoße, dann packe man sie an und arbeite so lange an ihnen, bis man Erfolg habe. Und so sei es auch bei der Atombombe gewesen.

08 O-TON DR. BLUM:

Man sitzt da in der Wüste, während draußen die Welt brennt und man weiß, man ist dabei, das alles zu entscheiden, und das würde die Welt dann auch grundlegend verändern, das ist schon alles sehr aufregend.

Musik: Z8014761126 Dark operation 0‘35

ERZÄHLERIN:

Kitty Oppenheimer ist mit ihrem isolierten Hausfrauendasein im Schatten einer bedrohlichen Zukunft unzufrieden und trinkt viel zu viel. Robert magert ab und raucht ununterbrochen. Als er sich einmal eine Stippvisite nach Berkeley mit Übernachtung bei seiner Ex-Geliebten Jean Tatlock gestattet, beschatten Agenten der US-Armee ihr Treffen. Es wird das letzte sein, denn Jean geht es schlecht. 1944 bringt sie sich um.

ERZÄHLER:

Sie sei froh, einer kämpfenden Welt die Last ihrer gelähmten Seele abnehmen zu können, schreibt sie in ihrem Abschiedsbrief.

ERZÄHLERIN:

Auch im Labor gibt es Konflikte. Hitlerdeutschland steuert seinem Untergang entgegen, auf die Existenz einer Nazibombe deutet nichts hin, und immer mehr Physiker von Los Alamos zweifeln an Sinn und Zweck ihres Tuns. Aber Oppenheimer ist ziemlich gut darin, ihnen die Skrupel auszureden. Im Mai 1945 kapituliert Deutschland, und Präsident Harry Truman beschließt, die Bombe über Japan abwerfen zu lassen, einem Mitglied der feindlichen Achsenmächte, das sich gegen die Kapitulation sinnloserweise noch sträubt.

ERZÄHLER:

Truman wird den Abwurf der Atombombe sein Leben lang mit dem Argument verteidigen, sie habe den Krieg abgekürzt und „das Leben Abertausender junger Amerikaner“ gerettet. Viele Projekt-Mitarbeiter damals und Historiker heute vermuten eher, die Bombe sei eingesetzt worden, um den Anteil der Sowjetunion am Sieg und damit auch den Einfluss der kommunistischen Großmacht in der Nachkriegszeit zu schmälern.

ERZÄHLERIN:

In Los Alamos finden damals jedoch viele, das sei kein ausreichender Grund, um eine Massenvernichtungswaffe mit unkalkulierbarer Zerstörungskraft gegen die japanische Zivilbevölkerung zu richten, noch dazu ohne Vorwarnung und ohne letztes Ultimatum. Sie wollen Präsident Truman dazu bewegen, sich auf einen demonstrativen Test zu beschränken.

ERZÄHLER:

Oppenheimer wehrt das Ansinnen heftig ab. Leute, die nichts von der japanischen Mentalität verstünden, sollten die Entscheidung besser militärischen Experten überlassen, hält er dagegen und setzt sich durch.

Musik: Z8023504123 Nuclear division (b) 0‘30

ERZÄHLERIN:

Und so berät er das Militär bei der Auswahl der zu bombardierenden Städte und versorgt die Piloten mit genauen Anweisungen zu Wetterlage und Flughöhe, damit der zu erwartende Schaden möglichst groß ausfällt. Die Welt soll sehen, welche Risiken das nukleare Zeitalter bereithält, und das Kriegsführen im Zukunft einstellen. Alexander Blum geht davon aus …

09 O-TON BLUM:

… dass er mehr wollte, als einfach nur der Vater der Atombombe zu sein, sondern er wollte der Vater des durch die Atombombe entstandenen Weltfriedens sein. Da hat er sich wohl auch zurechtgelegt, dass, wenn die Atombombe wirklich das Ende aller Kriege darstellen sollte, dann werde sie wohl auch einmal im Krieg eingesetzt werden müssen.

C1590970109 Nuclear plant (2) 0‘32

Atmo Atombombe

ERZÄHLERIN:

Am 6. August 1945 legt die Atombombe Hiroshima in Schutt und Asche, drei Tage später fällt eine weitere auf Nagasaki. Zehntausende Menschen sterben in Sekunden, Zehntausende Monate und Jahre später an den Folgen ihrer Verletzungen oder der Strahlung. Das Trauma dieser ungeheuren Zerstörung wirkt in Japan und in der Welt bis heute nach.

ERZÄHLER:

Nun bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten. So heißt es, frei übersetzt, in der Bhagavad Gita.

ERZÄHLERIN:

Die amerikanische Öffentlichkeit feiert ihn als den neuen Prometheus, der den Menschen das atomare Feuer gebracht und den Krieg beendet habe.

Musik: Z8035149124 Cold shimmer (reduced 2) 0‘34

Doch Oppenheimer selbst fällt in eine Depression. Die zahllosen Toten belasten ihn unendlich, und dass die Atombombe nötig gewesen sei, um den Frieden herbeizuführen, daran zweifelt er irgendwann auch.

ERZÄHLER:

Sein Zustand sei schrecklich gewesen, überliefert seine Frau Kitty. Sie habe nicht gewusst, wie es weitergehen solle.

ERZÄHLERIN:

Doch eine Hoffnung bleibt Oppenheimer: dass die Menschheit des nuklearen Zeitalters die Gefahr ihrer atomaren Vernichtung ernst nehmen und lernen könne, in Frieden zu leben. 1947 wird er Direktor des Institute for Advanced Study in Princeton und setzt sich als Berater der Regierung und der amerikanischen Atomenergiebehörde für internationale Waffenkontrollabkommen ein. Die Wissenschaftsgemeinde unterstützt ihn, doch viele Kollegen finden ihn zu nachgiebig und schwach im Umgang mit Politikern.

ERZÄHLER:

Im Gespräch mit dem US-Präsidenten legt er seine Schuldgefühle offen: Er habe Blut an seinen Händen, sagt er. Peinlich berührt befiehlt Truman seiner Sekretärin, ihm Oppenheimer, das Cry-Baby, künftig vom Hals zu halten.

Musik: Z8023845106 War is coming 0‘47

ERZÄHLERIN:

Seit 1949 verfügt auch die Sowjetunion über eine Atombombe. Das Wettrüsten des Kalten Krieges beginnt, die Atomwaffenarsenale wachsen. Die US-Regierung beschließt die Entwicklung einer Wasserstoffbombe mit noch sehr viel höherem Vernichtungspotential. Oppenheimer steuert ein paar wissenschaftliche Ratschläge bei, aber das Sofortprogramm geht ihm zu schnell, er plädiert für Verhandlungen mit den Sowjets. Damit macht er sich die Atomenergiebehörde zum Feind – die zudem von der antikommunistischen Hysterie der McCarthy-Ära befeuert wird.

ERZÄHLER:

Man wirft Oppenheimer Folgendes vor: erstens, dem Kommunismus zugeneigt zu sein, was die Möglichkeit einschließt, Spionage zugunsten der Sowjets in Los Alamos zumindest nicht verhindert zu haben. Zweitens, und das wiegt noch schwerer: durch seinen Widerstand gegen die Wasserstoffbombe nationale Interessen zu beschädigen.

ERZÄHLERIN:

Man will Oppenheimer politisch kaltstellen. Dazu muss man ihm seine Sicherheitsfreigabe streitig machen, also die Berechtigung, Zugang zu geheimen Regierungsinformationen zu haben. 1954 wird der Sicherheitsausschuss der Atomenergiebehörde einberufen, der Oppenheimer auf den Zahn fühlen soll.

ERZÄHLER:

Es ist nur eine interne Überprüfung, keineswegs ein juristisches Verfahren. Aber sie gerät zum öffentlichen Tribunal, weil die Presse Zugriff auf die Protokolle der Anhörung bekommt. Der Mann, der nur wenige Jahre zuvor als „Amerikas Prometheus“ gefeiert wurde, steht nun unter extremem Druck.

10 O-TON DR. BLUM:

So wird das Ganze eben wirklich zu einer Bewertung seines ganzen Lebens und seiner gesamten Karriere. So was, und dann noch in einer feindseligen Atmosphäre, das ist für jeden anstrengend, wenn man sich für alles, was man je gemacht hat, rechtfertigen muss. Sowohl auf politischer als auch auf persönlicher Ebene, weil diese Sachen bei ihm sehr verquickt sind dadurch, dass seine Frauengeschichten sehr eng mit der kommunistischen Partei verbunden waren.

Musik: Z8028915109 Coming closer 0‘35

FRAGESTELLER – Zitator 1

Sie hatten schreckliche moralische Skrupel?

OPPENHEIMER – Zitator 2

Ich kenne niemanden, der nach dem Abwurf der Atombombe nicht schreckliche moralische Skrupel gehabt hätte.

FRAGESTELLER: Zitator 1

Ist da nicht ein bisschen schizophren?

Das Ding zu machen, die Ziele auszusuchen, die Zündhöhe zu bestimmen und dann über den Folgen in moralische Skrupel zu fallen? Ist das nicht ein bisschen schizophren, Doktor?

OPPENHEIMER: Zitator 2

Ja. Es ist die Art von Schizophrenie, in der wir Physiker seit einigen Jahren leben.

ERZÄHLERIN:

Der deutsche Dramatiker Heinar Kipphardt hat aus den Protokollen der Sicherheitsanhörung ein Theaterstück verfertigt. Für ihn ist Oppenheimer keine rundweg positive Figur, sondern jemand, der sich oft herauswindet und sich in Allgemeinplätze flüchtet.

Musik: Z8028915109 Coming closer 0‘15

OPPENHEIMER: Zitator 2

Die Welt ist auf die neuen Entdeckungen nicht eingerichtet. Sie ist aus den Fugen.

FRAGESTELLER: Zitator 1

Und Sie sind ein bisschen gekommen, sie einzurenken, wie Hamlet sagt?

OPPENHEIMER: Zitator 2

Ich kann es nicht. Sie muss das selber tun.

ERZÄHLERIN:

Oppenheimer ist mit Kipphardts Theaterstück übrigens nicht einverstanden, denn der Autor legt dem Hauptdarsteller eine fiktive Schlussrede in den Mund, die seine Reue zum Ausdruck bringt. Aber der wirkliche Oppenheimer bereut seine Rolle im Manhattan-Projekt durchaus nicht – allen Skrupeln zum Trotz.

ERZÄHLER:

Er sei als Physiker dem wissenschaftlichen Fortschritt verpflichtet und habe seine Aufgabe erfüllt. Die Gesellschaft müsse lernen, mit den Ergebnissen umzugehen, das ist sein Standpunkt. Alexander Blum findet ihn nicht sehr überzeugend.

11 O-TON ALEXANDER BLUM:

Er ist berühmt, weil er sich als erster diesem Dilemma hat stellen müssen, der Verantwortung des Wissenschaftlers, aber er ist nicht dafür berühmt, dass er es besonders elegant gelöst hat. Letztlich war die Lösung, die er versucht hat anzubieten, eben dieses Fortschrittsnarrativ. Dass letztlich Wissen nicht verhindert werden kann und auch nicht schlecht sein kann und letztlich nur dazu dienen kann, die Menschheit voranzubringen und einer rosigen Zukunft zuzuführen. Diese Fortschrittsnarrativ war schon damals am Kippen und ist heute unpopulärer denn je.

Musik: Z8024462111 Everyone sleeps 0‘45

ERZÄHLERIN:

Zum Schluss wird ihm die Sicherheitsfreigabe aberkannt, und das ist das Ende seiner Laufbahn als Politikberater. Oppenheimer nimmt die Entscheidung fast demütig an. Zwar freut er sich, als man ihm später in der Kennedy-Ära hohe Preise zukommen lässt. Aber inzwischen ist er schwer an Kehlkopfkrebs erkrankt. Dem Tod sieht er mit Ruhe und Würde entgegen. Robert Oppenheimer stirbt am 18. Februar 1967 im Alter von 62 Jahren.

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Robert Oppenheimer hat mit der Atombombe eine Massenvernichtungswaffe entwickelt, die die gesamte Menschheit bedroht. In seiner Person verdichtet sich die Frage nach den Grenzen der technischen Machbarkeit und der Verantwortung des Wissenschaftlers. Von Brigitte Kohn

Credits
Autorin dieser Folge: Brigitte Kohn
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Thomas Birnstiel, Peter Weiß, Christian Baumann
Technik: Susanne Herzig
Redaktion: Andrea Bräu

Im Interview:
Dr. Alexander Blum, Physikhistoriker, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin

Literaturtipps:

Kai Bird und Martin J. Sherwin: J. Robert Oppenheimer. Die Biographie. Ullstein Verlag Berlin 8. Auflage 2023.

Heinar Kipphardt: In der Sache J. Robert Oppenheimer, suhrkamp Verlag Frankfurt, 1. Auflage 2005.

James A. Hijiya: The Gita of J. Robert Oppenheimer. Proceedings oft he American Philosophical Society, Band 144, No.2, June 2000.

Robert Oppenheimer: Ausblicke auf Kunst und Wissenschaft, Physikalische Blätter 11. Jahrgang Heft 10, 1955.

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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

Musik: Z8028915109 Coming closer 0‘34

ERZÄHLERIN:

Aus dem Protokoll der Anhörung des Physikers Julius Robert Oppenheimer durch die US-amerikanischen Atomenergiekommission im Jahr 1954:

FRAGESTELLER – Zitator 1

Mr. Oppenheimer. Sie hatten schreckliche moralische Skrupel?

OPPENHEIMER – Zitator 2

Ich kenne niemanden, der nach dem Abwurf der Atombombe nicht schreckliche moralische Skrupel gehabt hätte.

FRAGESTELLER: Zitator 1

Ist da nicht ein bisschen schizophren?

OPPENHEIMER: Zitator 2

Was? Moralische Skrupel zu haben?

Musik: ZR004490102 Legende für Klavier zu 4 Händen 0‘38

ERZÄHLERIN

50 Jahre zuvor. Robert Oppenheimer wird am 22. April 1904 in New York geboren.

Beide Eltern, ein Textilingenieur und eine Malerin, sind Juden und haben deutsche Wurzeln. Der Vater ist mit 17 Jahren nach New York gekommen und hat es hier zu Reichtum gebracht. Robert ist der ältere von zwei Söhnen, ein sensibles und ungeheuer aufgewecktes Kind mit dichten schwarzen Locken und ausdrucksvollen wasserhellen Augen. Beide Eltern vergöttern ihn und fördern ihn nach Kräften. Ihre Ansprüche an Roberts Leistungsbereitschaft und auch an die innerfamiliäre Harmonie sind hoch, und das erzeugt manchmal Druck.

ERZÄHLER:

Er sei ein gehorsamer und grässlich guter Junge gewesen, sagt Oppenheimer später von sich selbst. Was ihm gefehlt habe, sei die gesunde Möglichkeit gewesen, sich auch mal danebenzubenehmen.

ERZÄHLERIN:

Die Eltern sind fortschrittlich eingestellt und nicht religiös. Sie schicken ihren Sohn auf die Schule der Society for Ethical Culture, Gesellschaft für ethische Kultur, die sich einem weltlichen jüdischen Humanismus verpflichtet fühlt, sagt Alexander Blum, Physikhistoriker am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin.

01 O-TON DR. BLUM

Seine Eltern wollten sich assimilieren in der amerikanischen Haute Volee. Die religiösen Traditionen waren nicht wichtig, aber gewisse kulturelle Elemente des Judentums kann man durchaus wiedererkennen. Es ist ein sehr optimistisches Weltbild, ein Weltbild, wo auch der Verstand und die Wissenschaft als positive Kräfte gesehen werden, die, wenn der Mensch sie zu gebrauchen weiß, die Welt zu einem besseren Ort machen können.

Musik: Z8035149130 This one question 0‘28

ERZÄHLERIN:

Die Schule betont die Handlungsfähigkeit und die moralische Verantwortung des Einzelnen. Vom Menschen hänge alles ab, der Mensch dürfe sich viel zutrauen, er müsse sich aber auch stark in die Pflicht nehmen. Die Erwartungen sind also auch hier sehr hoch. Der Glaube an eine übergeordnete, göttliche Instanz, die lenkt oder schützt, spielt kaum mehr eine Rolle.

ERZÄHLER:

Oppenheimers enger Freund, der Physiker Isidor Isaac Rabi, überliefert in späteren Jahren, Oppenheimer habe skeptisch auf seine Schulzeit zurückgeblickt. Die übermittelten Moralvorstellungen hätten seine Fragen nach der Stellung und Aufgabe des Menschen im Universum nicht zufriedenstellend lösen können.

ERZÄHLERIN:

Aber es gibt viele engagierte Lehrer an dieser Schule, die Robert vor allem für die Naturwissenschaften begeistern, aber auch für alles andere: moderne Literatur, Sprachen, Philosophie, Psychologie. Seine vielseitigen Begabungen verführen ihn oft dazu, sich zu zerfleddern, sich zu viel zuzumuten und sich von Gleichaltrigen, die ihn manchmal hart schikanieren, zu isolieren.

ERZÄHLER:

Auch an der Universität Harvard bedeuten ihm Bücher mehr als Freunde, und sein ruheloser Geist probiert sich ohne festen Plan in zahlreichen Fächern aus. Aber die Physik fesselt ihn auf Dauer am meisten, denn sie bietet mehr Neuland als jede andere Wissenschaft.

02 O-TON DR. BLUM

Da hat sich wahnsinnig viel getan um die Jahrhundertwende. Paul Dirac, einer der Pioniere der Quantenmechanik, beschreibt die Zeit als das Goldene Zeitalter der Physik, in der jeder mittelmäßige Physiker erstklassige Entdeckungen machen konnte, weil mit der Quantenmechanik ein ganz neuer mathematischer Rahmen gegeben war, mit der man die Welt in einem ganz neuen Blickwinkel betrachten konnte.

ERZÄHLERIN:

Nach seinem Abschluss in Harvard geht Oppenheimer nach Europa, denn dort lehren die führenden Kapazitäten.

03 O-TON BLUM:

Anders als bei der Relativitätstheorie, die man auf einen Menschen, letztlich auf Einstein, zurückführen kann, war die Quantenmechanik wirklich ein kollaboratives Projekt, zu dem Wissenschaftler in verschiedenen Zentren, die über Europa verstreut waren, beigetragen haben. Und Oppenheimer hat die eigentlich alle abgehakt. Er ist von Cambridge nach Leiden zu Ehrenfest, war dann in Göttingen bei Max Born, in Zürich bei Wolfgang Pauli. Diese Generation, etwas älter als er, die die Quantenmechanik begründet haben, da hat er wirklich bei allen vorbeigeschaut.

ERZÄHLERIN:

Oppenheimers Lehrer finden ihn begabt und kreativ, aber auch sprunghaft und arrogant. Und ungeschickt. Beim Experimentieren im Labor gehen ihm oft die Instrumente zu Bruch. Von Einsamkeit und Versagensängsten gequält, gerät er in eine tiefe seelische Krise.

Musik: Z8019017126 Secret proofs 0‘30

ERZÄHLER:

Manchmal fühlt er sich wie versteinert, dann wieder kochen die Aggressionen hoch. Dem Laborleiter will er mal einen vergifteten Apfel aufs Pult gelegt haben, so kolportiert er es selbst – doch sicher belegt ist das nicht, manche führen die Geschichte auf seine überhitzte Phantasie zurück.

ERZÄHLERIN:

Langsam findet Oppenheimer wieder in die Spur, dank seiner wachsenden Liebe zur theoretischen Physik. Quantentheoretisch und mathematisch, bisweilen auch philosophisch orientiert, bietet sie ihm den Zufluchtsraum des abstrakten Denkens und bringt ihm die Geheimnisse des Universums näher. Wenige Jahre später wird sie ihm die Grundlagen für den Atombombenbau liefern – mit verheerenden Folgen.

04 O-TON Dr. BLUM:

Alles, was Oppenheimer gemacht hat, von seinen ersten Arbeiten zu Molekülen bis hin zur Atombombe, das war alles Quantenphysik, letztlich.

ERZÄHLERIN:

1929 tritt er eine Stelle an der Universität von Berkeley in Kalifornien an und macht die Quantenphysik auch in Amerika bekannt. Seine Studenten verehren ihren jungen exzentrischen Lehrer, der immer mit seinem geliebten breitkrempigen Hut und einer Zigarette im Mundwinkel vor der Tafel steht und gern auch mal privat ein paar Drinks ausgibt. Neben seiner Lehrtätigkeit schreibt Oppenheimer viel beachtete Aufsätze, unter anderem zur Zusammenführung von Quantentheorie und Relativitätstheorie.

Musik: Z8035149115 This is strange 0‘35

ERZÄHLER:

Allerdings ist er oft zu ungeduldig und sprunghaft, um alle Probleme im Detail zu durchdenken. Eigenschaften, die er wohl auch ab dem Jahr 1942, als er für das so genannten „Manhattan-Projekt“, die Entwicklung der Atombombe arbeitet, auch nicht ganz ablegen kann.

Der Physiker Oppenheimer hätte im Laufe seines Lebens eigentlich gerne, wie so einige seiner damaligen Kollegen, einen Nobelpreis gewonnen, doch die zeitaufwändige Leitung des „Manhattan-Projekts“ hat ihm das möglicherweise auch vermasselt. Dazu der Physikhistoriker Alexander Blum:

05 O-TON DR. BLUM:

Wenn man das Manhattan-Projekt rausschneidet und sich nur die Arbeiten anguckt, die er letztendlich geschrieben hat, dann ist er ein solider, aber nicht herausragender Physiker im 20. Jahrhundert. Er hat sich mit Fragen beschäftigt, die dann sehr wichtig wurden, und die Frage ist immer: Wenn er nicht der Leiter des Manhattan-Projekts gewesen wäre, sondern sich der reinen Wissenschaft hätte widmen können, ob er dann nicht gewisse Entdeckungen gemacht hätte, die andere dann stattdessen gemacht haben.

Musik: Z8032962139 Immer mehr (reduced 2) 0‘34

ERZÄHLERIN:

Entspannung findet der ehrgeizige junge Dozent in der Wüste von New Mexico, eine Landschaft, in die er sich verliebt hat und die er oft besucht, um sie auf langen Ausflügen auf dem Pferderücken zu erkunden. Reiten ist seine Passion, außerdem die Literatur und das Studium des Sanskrit. Die Bhagavad Gita, eine jahrtausendealte heilige Schrift des Hinduismus, zieht ihn sein Leben lang in ihren Bann.

ERZÄHLER:

Die Bhagavad Gita lehrt die Menschen unter anderem, die Pflichten ihres Standes zu erfüllen und die Pflichten anderer Stände zu respektieren, ohne sich einzumischen. Die Konsequenzen von Handlungen seien abhängig vom Zusammenwirken der Stände und vom Wirken einer höheren Macht, aber nicht vom Willen und den ethischen Maßstäben eines Einzelnen.

ERZÄHLERIN:

Der Gedanke der Pflichterfüllung gibt Oppenheimer innere Ruhe. Er kann nun die Fragen nach Gut und Böse und individueller Verantwortung, die seine Jugend geprägt haben, zugunsten der Frage zurückstellen, was er selbst zum Gesamtzusammenhang beitragen kann. Und da liegt für ihn die Antwort auf der Hand: Es sind seine wissenschaftlichen Fähigkeiten, die die Gesellschaft braucht; für andere Bereiche gibt es andere Experten.

Musik: Z8020108141 In der Finsternis 0‘27

Doch die Weltwirtschaftskrise verursacht seit Anfang der Dreißigerjahre viel Not und stört den Gesamtzusammenhang erheblich. 1933 ergreift Hitler in Deutschland die Macht.

ERZÄHLER:

Das erfüllt Oppenheimer mit Wut und Sorge um das Schicksal der deutschen Juden. Aber es gibt für ihn eine andere Lehre, die verspricht, Gerechtigkeit herzustellen und die verstörte Welt zu heilen: Das ist der Kommunismus. Oppenheimer interessiert sich dafür wie viele andere junge Intellektuelle auch. Zwar tritt er nie in die Kommunistische Partei der USA ein, aber er beteiligt sich an vielen Aktivitäten und knüpft viele Freundschaften, auch zu Frauen. Er ist selbstsicherer und geselliger geworden und gilt sogar als sehr charmant.

Musik: Z8035579101 Recalling the trauma 0‘31

ERZÄHLERIN:

Die Medizinerin Jean Tatlock, (sprich: Schien Tätlock) ist Oppenheimers erste große Liebe. Sie ist oft schwermütig, melancholisch. Sie setzt

ebenfalls Hoffnungen auf den Kommunismus. Die beiden fühlen sich eng verbunden, aber es ist kompliziert, und Jean schreckt vor einer Ehe zurück.

ERZÄHLER:

1940 heiratet Oppenheimer eine andere, die Botanikerin Katherine Puening Harrison, genannt Kitty. Sie bekommen einen Sohn und eine Tochter. Seit 1942 lebt die Familie in Los Alamos, New Mexico, denn der inzwischen 38jährige Oppenheimer hat die Stelle des wissenschaflichen Leiters des Manhattan-Projekts bekommen, das die erste Atombombe der Welt entwickeln soll. Man will schneller sein als Hitlerdeutschland, wo man ähnliche Aktivitäten vermutet.

07 O-TON BLUM:

Die sehr reelle Möglichkeit einer Nazibombe war für die meisten das Hauptargument, da mitzumachen, und ich würde auch sagen, ein völlig legitimes Argument.

ERZÄHLERIN:

Mehrere Hundert Menschen arbeiten in Los Alamos, darunter exzellente Physiker aus verschiedenen Ländern. Oppenheimer ist ein guter Leiter, der die Leute motivieren, Ergebnisse zusammenführen und die Arbeit zügig vorantreiben kann.

ERZÄHLER:

Wenn man ein Wissenschaftler sei, so glaube man, dass es gut sei, herausfinden, wie die Welt funktioniert, sagt er später. Wenn man auf reizvolle technische Herausforderungen stoße, dann packe man sie an und arbeite so lange an ihnen, bis man Erfolg habe. Und so sei es auch bei der Atombombe gewesen.

08 O-TON DR. BLUM:

Man sitzt da in der Wüste, während draußen die Welt brennt und man weiß, man ist dabei, das alles zu entscheiden, und das würde die Welt dann auch grundlegend verändern, das ist schon alles sehr aufregend.

Musik: Z8014761126 Dark operation 0‘35

ERZÄHLERIN:

Kitty Oppenheimer ist mit ihrem isolierten Hausfrauendasein im Schatten einer bedrohlichen Zukunft unzufrieden und trinkt viel zu viel. Robert magert ab und raucht ununterbrochen. Als er sich einmal eine Stippvisite nach Berkeley mit Übernachtung bei seiner Ex-Geliebten Jean Tatlock gestattet, beschatten Agenten der US-Armee ihr Treffen. Es wird das letzte sein, denn Jean geht es schlecht. 1944 bringt sie sich um.

ERZÄHLER:

Sie sei froh, einer kämpfenden Welt die Last ihrer gelähmten Seele abnehmen zu können, schreibt sie in ihrem Abschiedsbrief.

ERZÄHLERIN:

Auch im Labor gibt es Konflikte. Hitlerdeutschland steuert seinem Untergang entgegen, auf die Existenz einer Nazibombe deutet nichts hin, und immer mehr Physiker von Los Alamos zweifeln an Sinn und Zweck ihres Tuns. Aber Oppenheimer ist ziemlich gut darin, ihnen die Skrupel auszureden. Im Mai 1945 kapituliert Deutschland, und Präsident Harry Truman beschließt, die Bombe über Japan abwerfen zu lassen, einem Mitglied der feindlichen Achsenmächte, das sich gegen die Kapitulation sinnloserweise noch sträubt.

ERZÄHLER:

Truman wird den Abwurf der Atombombe sein Leben lang mit dem Argument verteidigen, sie habe den Krieg abgekürzt und „das Leben Abertausender junger Amerikaner“ gerettet. Viele Projekt-Mitarbeiter damals und Historiker heute vermuten eher, die Bombe sei eingesetzt worden, um den Anteil der Sowjetunion am Sieg und damit auch den Einfluss der kommunistischen Großmacht in der Nachkriegszeit zu schmälern.

ERZÄHLERIN:

In Los Alamos finden damals jedoch viele, das sei kein ausreichender Grund, um eine Massenvernichtungswaffe mit unkalkulierbarer Zerstörungskraft gegen die japanische Zivilbevölkerung zu richten, noch dazu ohne Vorwarnung und ohne letztes Ultimatum. Sie wollen Präsident Truman dazu bewegen, sich auf einen demonstrativen Test zu beschränken.

ERZÄHLER:

Oppenheimer wehrt das Ansinnen heftig ab. Leute, die nichts von der japanischen Mentalität verstünden, sollten die Entscheidung besser militärischen Experten überlassen, hält er dagegen und setzt sich durch.

Musik: Z8023504123 Nuclear division (b) 0‘30

ERZÄHLERIN:

Und so berät er das Militär bei der Auswahl der zu bombardierenden Städte und versorgt die Piloten mit genauen Anweisungen zu Wetterlage und Flughöhe, damit der zu erwartende Schaden möglichst groß ausfällt. Die Welt soll sehen, welche Risiken das nukleare Zeitalter bereithält, und das Kriegsführen im Zukunft einstellen. Alexander Blum geht davon aus …

09 O-TON BLUM:

… dass er mehr wollte, als einfach nur der Vater der Atombombe zu sein, sondern er wollte der Vater des durch die Atombombe entstandenen Weltfriedens sein. Da hat er sich wohl auch zurechtgelegt, dass, wenn die Atombombe wirklich das Ende aller Kriege darstellen sollte, dann werde sie wohl auch einmal im Krieg eingesetzt werden müssen.

C1590970109 Nuclear plant (2) 0‘32

Atmo Atombombe

ERZÄHLERIN:

Am 6. August 1945 legt die Atombombe Hiroshima in Schutt und Asche, drei Tage später fällt eine weitere auf Nagasaki. Zehntausende Menschen sterben in Sekunden, Zehntausende Monate und Jahre später an den Folgen ihrer Verletzungen oder der Strahlung. Das Trauma dieser ungeheuren Zerstörung wirkt in Japan und in der Welt bis heute nach.

ERZÄHLER:

Nun bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten. So heißt es, frei übersetzt, in der Bhagavad Gita.

ERZÄHLERIN:

Die amerikanische Öffentlichkeit feiert ihn als den neuen Prometheus, der den Menschen das atomare Feuer gebracht und den Krieg beendet habe.

Musik: Z8035149124 Cold shimmer (reduced 2) 0‘34

Doch Oppenheimer selbst fällt in eine Depression. Die zahllosen Toten belasten ihn unendlich, und dass die Atombombe nötig gewesen sei, um den Frieden herbeizuführen, daran zweifelt er irgendwann auch.

ERZÄHLER:

Sein Zustand sei schrecklich gewesen, überliefert seine Frau Kitty. Sie habe nicht gewusst, wie es weitergehen solle.

ERZÄHLERIN:

Doch eine Hoffnung bleibt Oppenheimer: dass die Menschheit des nuklearen Zeitalters die Gefahr ihrer atomaren Vernichtung ernst nehmen und lernen könne, in Frieden zu leben. 1947 wird er Direktor des Institute for Advanced Study in Princeton und setzt sich als Berater der Regierung und der amerikanischen Atomenergiebehörde für internationale Waffenkontrollabkommen ein. Die Wissenschaftsgemeinde unterstützt ihn, doch viele Kollegen finden ihn zu nachgiebig und schwach im Umgang mit Politikern.

ERZÄHLER:

Im Gespräch mit dem US-Präsidenten legt er seine Schuldgefühle offen: Er habe Blut an seinen Händen, sagt er. Peinlich berührt befiehlt Truman seiner Sekretärin, ihm Oppenheimer, das Cry-Baby, künftig vom Hals zu halten.

Musik: Z8023845106 War is coming 0‘47

ERZÄHLERIN:

Seit 1949 verfügt auch die Sowjetunion über eine Atombombe. Das Wettrüsten des Kalten Krieges beginnt, die Atomwaffenarsenale wachsen. Die US-Regierung beschließt die Entwicklung einer Wasserstoffbombe mit noch sehr viel höherem Vernichtungspotential. Oppenheimer steuert ein paar wissenschaftliche Ratschläge bei, aber das Sofortprogramm geht ihm zu schnell, er plädiert für Verhandlungen mit den Sowjets. Damit macht er sich die Atomenergiebehörde zum Feind – die zudem von der antikommunistischen Hysterie der McCarthy-Ära befeuert wird.

ERZÄHLER:

Man wirft Oppenheimer Folgendes vor: erstens, dem Kommunismus zugeneigt zu sein, was die Möglichkeit einschließt, Spionage zugunsten der Sowjets in Los Alamos zumindest nicht verhindert zu haben. Zweitens, und das wiegt noch schwerer: durch seinen Widerstand gegen die Wasserstoffbombe nationale Interessen zu beschädigen.

ERZÄHLERIN:

Man will Oppenheimer politisch kaltstellen. Dazu muss man ihm seine Sicherheitsfreigabe streitig machen, also die Berechtigung, Zugang zu geheimen Regierungsinformationen zu haben. 1954 wird der Sicherheitsausschuss der Atomenergiebehörde einberufen, der Oppenheimer auf den Zahn fühlen soll.

ERZÄHLER:

Es ist nur eine interne Überprüfung, keineswegs ein juristisches Verfahren. Aber sie gerät zum öffentlichen Tribunal, weil die Presse Zugriff auf die Protokolle der Anhörung bekommt. Der Mann, der nur wenige Jahre zuvor als „Amerikas Prometheus“ gefeiert wurde, steht nun unter extremem Druck.

10 O-TON DR. BLUM:

So wird das Ganze eben wirklich zu einer Bewertung seines ganzen Lebens und seiner gesamten Karriere. So was, und dann noch in einer feindseligen Atmosphäre, das ist für jeden anstrengend, wenn man sich für alles, was man je gemacht hat, rechtfertigen muss. Sowohl auf politischer als auch auf persönlicher Ebene, weil diese Sachen bei ihm sehr verquickt sind dadurch, dass seine Frauengeschichten sehr eng mit der kommunistischen Partei verbunden waren.

Musik: Z8028915109 Coming closer 0‘35

FRAGESTELLER – Zitator 1

Sie hatten schreckliche moralische Skrupel?

OPPENHEIMER – Zitator 2

Ich kenne niemanden, der nach dem Abwurf der Atombombe nicht schreckliche moralische Skrupel gehabt hätte.

FRAGESTELLER: Zitator 1

Ist da nicht ein bisschen schizophren?

Das Ding zu machen, die Ziele auszusuchen, die Zündhöhe zu bestimmen und dann über den Folgen in moralische Skrupel zu fallen? Ist das nicht ein bisschen schizophren, Doktor?

OPPENHEIMER: Zitator 2

Ja. Es ist die Art von Schizophrenie, in der wir Physiker seit einigen Jahren leben.

ERZÄHLERIN:

Der deutsche Dramatiker Heinar Kipphardt hat aus den Protokollen der Sicherheitsanhörung ein Theaterstück verfertigt. Für ihn ist Oppenheimer keine rundweg positive Figur, sondern jemand, der sich oft herauswindet und sich in Allgemeinplätze flüchtet.

Musik: Z8028915109 Coming closer 0‘15

OPPENHEIMER: Zitator 2

Die Welt ist auf die neuen Entdeckungen nicht eingerichtet. Sie ist aus den Fugen.

FRAGESTELLER: Zitator 1

Und Sie sind ein bisschen gekommen, sie einzurenken, wie Hamlet sagt?

OPPENHEIMER: Zitator 2

Ich kann es nicht. Sie muss das selber tun.

ERZÄHLERIN:

Oppenheimer ist mit Kipphardts Theaterstück übrigens nicht einverstanden, denn der Autor legt dem Hauptdarsteller eine fiktive Schlussrede in den Mund, die seine Reue zum Ausdruck bringt. Aber der wirkliche Oppenheimer bereut seine Rolle im Manhattan-Projekt durchaus nicht – allen Skrupeln zum Trotz.

ERZÄHLER:

Er sei als Physiker dem wissenschaftlichen Fortschritt verpflichtet und habe seine Aufgabe erfüllt. Die Gesellschaft müsse lernen, mit den Ergebnissen umzugehen, das ist sein Standpunkt. Alexander Blum findet ihn nicht sehr überzeugend.

11 O-TON ALEXANDER BLUM:

Er ist berühmt, weil er sich als erster diesem Dilemma hat stellen müssen, der Verantwortung des Wissenschaftlers, aber er ist nicht dafür berühmt, dass er es besonders elegant gelöst hat. Letztlich war die Lösung, die er versucht hat anzubieten, eben dieses Fortschrittsnarrativ. Dass letztlich Wissen nicht verhindert werden kann und auch nicht schlecht sein kann und letztlich nur dazu dienen kann, die Menschheit voranzubringen und einer rosigen Zukunft zuzuführen. Diese Fortschrittsnarrativ war schon damals am Kippen und ist heute unpopulärer denn je.

Musik: Z8024462111 Everyone sleeps 0‘45

ERZÄHLERIN:

Zum Schluss wird ihm die Sicherheitsfreigabe aberkannt, und das ist das Ende seiner Laufbahn als Politikberater. Oppenheimer nimmt die Entscheidung fast demütig an. Zwar freut er sich, als man ihm später in der Kennedy-Ära hohe Preise zukommen lässt. Aber inzwischen ist er schwer an Kehlkopfkrebs erkrankt. Dem Tod sieht er mit Ruhe und Würde entgegen. Robert Oppenheimer stirbt am 18. Februar 1967 im Alter von 62 Jahren.

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