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Strategiespirale mit Jan Schulte-Kellinghaus

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Jan Schulte-Kellinghaus ist Programmdirektor des rbb. Mit ihm spreche ich über Boomer und Digitalkompetenz, alte und neue Erfolgskriterien und die Herausforderung, Dinge wegzulassen.

Kann man „zu erfolgreich“ sein, um innovativ zu werden? Wie groß ist der Impuls, alte Dinge hinter sich zu lassen und sich auf die Zukunft zu konzentrieren, wenn die eigenen Medienangebote zu gut laufen? Wie entkommt man den Zwängen des eigenen Erfolgs?

Ein Beispiel: die Währungen, mit denen wir unseren Erfolg messen. Beim Fernsehen und im Radio sind das die Einschaltzahlen oder Umfragen dazu, welchen Medien das meiste Vertrauen geschenkt wird. Dabei schneidet der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer wieder gut ab – zuletzt auch, weil Menschen in der Pandemie ihr Informationsbedürfnis damit gestillt haben, dass sie ARD und ZDF einschalten.

Was dort passiert, bezeichne ich als Strategiespirale – und mit Jan Schulte-Kellinghaus spreche ich darüber, wie man ihr entkommt. Schulte-Kellinghaus hat vor seiner Zeit als Programmdirektor des rbb anderem für das heute journal gearbeitet. Er war ZDF-Studioleiter in Thüringen und Redaktionsleiter für Talk und Unterhaltung beim NDR.

Mit Jan Schulte-Kellinghaus ist also ein klassischer Fernsehmacher zu Gast im Innovationstheater, der es in die Chefetage eines großen Medienhauses geschafft hat – einer von denen also, an denen sich Menschen, die digital arbeiten, oft auch die Zähne ausbeißen.

Das Gespräch mit Jan Schulte-Kellinghaus in Textform

Dennis Horn: Wie ist die Innovationslage im rbb? Was macht das Innovationsgeschäft gerade?

Jan Schulte-Kellinghaus: Ach, wir kommen mit großen Schritten voran, weil wir die letzten anderthalb Jahre darauf verwendet haben, die Grundlagen zu schaffen. Das ist ja immer meine Erfahrung: Wenn man sich einmal ganz grundsätzlich auf einen Weg einigt, auf Kriterien einigt, dann geht alles ganz schnell, dann klickert alles zusammen. Aber solange man das noch nicht tut, sondern in so einem „Wir-müssten-mal“-Verteilungskampf oder -Verhinderungskampf ist, kommt man nicht so richtig weiter. Im Augenblick bin ich ganz optimistisch, weil wir uns Zeit genommen haben, uns über die Regeln und Geschäftsbedingungen und Neuorganisationen Gedanken zu machen. Und jetzt sieht man schon die ersten Früchte der Arbeit.

Dennis Horn: Wir möchten Sie zu Beginn erst einmal kennenlernen. Sie sind 1969 geboren, und je nach Definition sind sie der erste Boomer hier im Innovationstheater – also je nachdem, bis wann man diese Generation zählt. Viele Entscheiderinnen und Entscheider gehören ja einer Generation an, die nicht digital sozialisiert wurde. Welche Rolle spielt das für Sie?

Jan Schulte-Kellinghaus: Das spielt eine große Rolle. Ich bin ganz sicher kein Digital Native. Trotzdem habe ich, glaube ich, schon noch das Gefühl dafür, dass man etwas tun muss und dass wir in einem Riesenumbruchsprozess sind. Dieses Gefühl hatte ich schon sehr früh. Ich habe meine Doktorarbeit über den Rundfunkbegriff im digitalen Zeitalter geschrieben. Das war allerdings 1997, da war von Netflix und Amazon und so noch nicht die Rede. Da ging es um Kompression und Rückkanäle. Schon damals gab es ein Großprojekt in Stuttgart, wo man über Glasfaser testen wollte, ob die Leute sich Sendungen nach Hause bestellen können – und da war dann die Frage: Ist das Rundfunk oder nicht? Es hat mich schon damals sehr interessiert. Aber die Zukunftsprognosen haben sich nicht so schnell bestätigt, und deshalb gab es auch ganz viele Menschen in meinem Alter, die sich dann irgendwann wieder abgewendet haben und gesagt haben: Ja, ja, klar, das wird schon alles anders. Aber das betrifft uns nicht wirklich.

Dennis Horn: Im Grunde war das auch schon eine Art Strategiespirale, richtig? Wenn man dann wieder ins Alte zurückgegangen ist.

Jan Schulte-Kellinghaus: Ich bin jetzt seit 25 Jahren im Beruf. Und ich habe tatsächlich noch leitende Führungskräfte kennengelernt, die gesagt haben, das Internet ist eine temporäre Zeiterscheinung und das geht auch wieder weg. Ich habe auch Führungskräfte kennengelernt, die gesagt haben: „Seht ihr! Es wird immer gesagt, wir müssen digital so viel tun. Aber guckt euch doch mal die Fernsehquoten an und guckt euch doch mal die Radioquoten an. Das, was ihr da im Digitalen macht, kommt da doch überhaupt nicht ran. Lasst euch nicht ins Bockshorn jagen von der Öffentlichkeit, die so pseudomodern ist und sagt, jetzt gebt da mal ganz viel Geld für dieses Web aus. Lasst uns vernünftig sein und die Quote da machen, wo wir sie machen können!“ Und das war auch gar nicht falsch. Jahrelang, bis vor fünf Jahren, würde ich sagen, war das als Strategie auch okay. Nur spätestens vor fünf Jahren hätte man noch viel konsequenter umsteuern müssen, als wir es bisher getan haben. Unser Problem ist unser Erfolg im Linearen. Speziell die Öffentlich-Rechtlichen mit dem eher etwas älteren Stammpublikum werden zurzeit ja auch immer noch erfolgreicher. Gerade in Pandemiezeiten sind unsere Sendungen eingeschaltet wie nie, und die Menschen gucken durchschnittlich länger Fernsehen als noch ein Jahre davor. Das heißt, unsere Angebote werden mehr genutzt als je zuvor, unsere linearen Angebote im Radio und Fernsehen. Da dann zu sagen, wir müssen trotzdem einen Punkt finden, damit wir auch Angebote für die Generation unter 30 oder unter 40 machen, damit wir da auch relevant sind, denn auch die zahlen Beiträge, und unser Job ist ja eine Kommunikationsbasis für die ganze Gesellschaft zu sein und nicht nur für die im Schnitt 60-Jährigen – das ist die Schwierigkeit, dass wir uns entscheiden müssen, aktiv entscheiden müssen, Dinge zu lassen, von denen wir wissen, die sind erfolgreich in einer bestimmten Zielgruppe, um andere Dinge möglich zu machen, von denen wir jetzt noch nicht wissen, ob wir da gleichermaßen erfolgreich sein werden.

Dennis Horn: Sie haben schon auf ein paar Dinge hingewiesen, auf die ich gleich auch noch kommen möchte, zum Beispiel das Weglassen. Aber ich möchte noch mal kurz bei diesem Moment bleiben, den Sie beschreiben: „Unsere Zahlen sind ja gut!“ Das war meine erste These für diesen Begriff Strategiespirale: Um wirklich innovativ zu sein, ist der Schmerz oft nicht groß genug. Der Erfolg ist das Problem, und der führt dann zum Festhalten an alten Mechanismen. Ich habe da ein Bild im Kopf von den Chefinnen und Chefs, die aus ihrem Büro kommen, mit so einem Blatt Papier in der Hand, wo die neuesten Umfrageergebnisse drauf sind – ich glaube, ich habe das zu oft genau so erlebt. Und dann sagen sie: „Schaut mal hier, die die Menschen vertrauen dem öffentlichen-rechtlichen Rundfunk doch immer noch am meisten.“ Oder: „Hier sind die aktuellen MA-Ergebnisse, und das Radio immer noch das wichtigste Medium – und wir der meistgehörte Sender.“ Und so etwas. Sie haben gerade beschrieben, wie man darüber gleichzeitig eine andere Entwicklung ignoriert: den massiven Umbruch, der eben in jüngeren Zielgruppen stattfindet. Aber es ist ja zugegeben auch schwierig, da jetzt einfach zu switchen – weil die alten Zahlen tatsächlich bis heute die Währung sind. Das ist auch ein Punkt in dieser Strategiespirale, bei dem ich mich oft frage: Wie befreit man sich daraus? Die Quoten sind die Währung, und die Zahlen, die wir im digitalen haben – von der Interaktion des Publikums bis zu Besuchszahlen auf der Website – da geht ja niemand nach. Wie befreit man sich aus dieser Bredouille?

Jan Schulte-Kellinghaus: Na ja, es sind ja noch mehr als nur Zahlen. Das ist mir schon wichtig. Es ist ja ein gesellschaftlicher Wert, der dahinter steht. Die Tagesschau wird jeden Tag von 12 Millionen Menschen gesehen, im Ersten und in den Ausstrahlungen in den Dritten. Jeden Tag hören 36 Millionen Menschen öffentlich-rechtliche Radionachrichten. Das ist ja ein Riesenwert, und das ist ja auch toll, und den gilt es auch zu erhalten. Gleichzeitig müssen wir eben auch andere Angebote machen. Und das müssen wir irgendwie ins Verhältnis setzen. Da sind wir jetzt gerade mit der Medienforschung dran – ich glaube, ganz viele andere Medienforscher auch – unter dem Stichwort konvergente Quoten: dass man das mal beginnt, ins Verhältnis zu setzen. Was bedeuten eigentlich die Zahlen, die man in im Digitalen erreicht, im Verhältnis dazu, was man im Linearen erreicht? Was bedeuten die 400.000 oder 500.000 Nutzer vom rbb24-Textangebot gegenüber den 300.000 Zuschauern der Abendschau in Berlin? Kommen wir da langsam zu einer Währung, wo man sagen kann, das ist auch ebenbürtig? Oder bedeutet es ganz etwas Anderes, weil das eine 24-Stunden-Textnutzung ist, weil die viel kürzer lesen, als wenn sie eine halbe Stunde konsequent die Abendschau gucken? In diese Diskussion kommen wir langsam, weil unsere digitalen Angebote an bestimmten Stellen inzwischen auch so stark sind, dass sich so ein Vergleich lohnt und dass man in diese Sphären kommt. Aber ich glaube, man wird nie dazu kommen, dass Onlinereichweiten gleich mit Fernsehreichweiten sind – weil online natürlich auch nur das erfolgreich ist, was ein spezielles Angebot für die spitzere Zielgruppe ist. Das ist ein Teil der Schwierigkeit: dass diese Fernseh- und Radiodenke nicht mehr geht, irgendetwas zu machen, was gleichermaßen für alle Menschen interessant ist. Das kann man ja online gar nicht machen, sondern man muss sich gerade spitze Produkte für spitze Zielgruppen ausdenken. Deshalb sind sie sowieso nicht vergleichbar mit Fernseh- und Radioprodukten. Das macht die Sache noch einmal besonders schwierig.

Dennis Horn: Die geringeren Zahlen führen in meiner Beobachtung manchmal auch zu einer Art Abwertung von Menschen, die aus dem Fernsehen Millionenreichweiten gewohnt sind und dann einen Instagram-Account mit 40.000 Followern sehen und denken: Was ist das? Warum sollen wir da investieren?

Jan Schulte-Kellinghaus: Das ist so. Gleichzeitig sieht man am Nutzungsverhalten der nachwachsenden Generation, der 20-Jährigen, dass es gar nicht mehr anders geht. Dass die gar nicht mehr Fernsehen gucken oder Fernsehen nur noch eine von vielen unterschiedlichen Möglichkeiten ist, sich zu unterhalten und sich zu informieren oder zu kommunizieren. Die Unausweichlichkeit dieses Prozesses, ist uns – also der Boomer-Generation, der ich angehöre – erst in den letzten fünf Jahren klar geworden. Vorher war es modern und auch angesagt. Und je nachdem, wie modern sein wollte und wie technisch interessiert man sein wollte, hat man sich dafür stärker eingesetzt. Aber es war dann auch eher nur Programmbegleitung. Diese Idee, eigene Programme, eigene Angebote für andere Zielgruppen machen, hat ihren Platz in der ARD eigentlich erst gefunden, seit wir funk haben, würde ich sagen.

Dennis Horn: Ich bin mal ehrlich, wie ich die Beauftragung für funk damals wahrgenommen habe. Als die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten funk beauftragt haben, hat der damalige SWR-Intendant gesagt, es sei „leider“ kein Fernsehsender draus geworden. Ich habe die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, weil ich dachte: Halleluja, zum Glück! Zum Glück trägt dieses Angebot kein lineares Erbe mit sich. Sie sagen gerade, spätestens vor fünf Jahren musste einem das bewusst werden. Jetzt wird es viele geben, die sagen, na ja, ich wusste das vor 10 oder 15 Jahren schon. Und trotzdem muss das ja irgendwo ankommen: dieses Wissen und der Gedanke, das jetzt auch umzusetzen. Und dann auch auf Ebenen wie Ihrer, also der Programmdirektorinnen und Programmdirektoren oder der Intendantinnen und Intendanten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wie erfahren Sie davon? Wie sehen die Wege aus? Wer sagt Ihnen das? Wie kommen Sie darauf, zu sagen jetzt verstehe ich das? Wie baut man in einer solchen Position möglicherweise auch fehlendes Wissen über den digitalen Raum, über Digitalkultur, über nötige Innovationen auf? Wie brechen Sie das für sich auf, wenn Sie sagen, da habe ich vielleicht auch Lücken?

Jan Schulte-Kellinghaus: Ganz ehrlich: Was mich am meisten beeinflusst hat, ist das Mediennutzungsverhalten meiner Tochter. Die ist 19 Jahre alt, und die guckt keine Filme mehr mit uns, die guckt auch kein Fernsehen mehr. Die hört auch kein Radio, obwohl wir sehr viel dafür getan haben, dass sie es tut. Wenn die jetzt auszieht, wird die auch keinen Fernseher mitnehmen wollen, denn den braucht sie gar nicht. Das hat mich am nachhaltigsten beeindruckt. Jetzt ist eine Privatempirie natürlich immer schwierig, und es hat auch nicht jeder eine Tochter in dem Alter. Welche Kreise gibt es? Ich habe einen Kollegen, der inzwischen Intendant ist. Als ihm jemand einen Amazon-Stick geschenkt hat, hat er den mal ausprobiert. Da hat bei ihm Klick gemacht, da hat er begriffen, worum es eigentlich geht und worüber wir hier schon seit langem reden. Man braucht eine gewisse Privaterfahrung, um das zu realisieren. Es gibt auch andere Kollegen, die privat sehr intensiv in den sozialen Netzwerken unterwegs sind, die das trotzdem in einem beruflichen Zusammenhang anders bewerten, weil die sagen: Es ist Kommunikation, aber das ist was anderes als das, was wir hier machen. Aber ich glaube, das Eindringlichste ist, wenn man es in der eigenen Nutzung erlebt. Und wenn man dann daraus seine Schlüsse zieht.

Dennis Horn: Einer meiner ersten Chefs beim Radio hat immer gesagt: Wir brauchen keine Digitalstrategie. Ich weiß gar nicht, ob ich diese Geschichte in einer der vorherigen Episoden erzählt habe. Wir haben dem immer von Spotify berichtet, wussten schon, es wird eine Gefahr, und er meinte, das ist Quatsch. Dann hat das Medienhaus, zu dem dieser Radiosender gehört, seine Blackberrys als Diensthandys abgeschafft, und alle haben iPhones bekommen. Damit hat er sich die Twitter- und Facebook-Apps runtergeladen – und genau derselbe Effekt: Der kam eine Woche später und hat gesagt: Wir müssen digital eine Strategie haben. Dieser Effekt, den sie gerade beschrieben haben, von ihrer Tochter oder von dem Kollegen, der diesen Amazon-Stick hatte – hätte man das mit egal wie vielen PowerPoint-Präsentationen geschafft, in denen die Zahlen ja auch schon seit ein paar Jahren schwarz auf weiß zu sehen sind? Bringt das überhaupt etwas: die Fakten zu präsentieren?

Jan Schulte-Kellinghaus: Das muss man ja auf jeden Fall tun. Aber der durchschlagende Effekt ist glaube ich das eigene Nutzungserlebnis – oder das Erlebnis von Menschen, die einem nahestehen, die sich völlig anders verhalten. Ehrlich gesagt lässt sich das auch schwer ersetzen durch PowerPoint oder welche Vorträge auch immer. Trotzdem sind die unerlässlich, denn sagen muss man es den Menschen. Man muss natürlich auch den Führungskräften alle Informationen an die Hand geben, die da sind. Aber am Ende – und das ist ja nicht nur in den Medien, sondern überall bei Führungskräften so – ist es auch immer eine Abschätzung: Wohin wird der Markt gehen? Halte ich Schritt mit der Zeit? Und halte ich Schritt mit der Nachfrage? Das geht Supermarktbetreibern nicht anders als Theatermachern, als einem öffentlich-rechtlichen System. Man muss alle notwendigen Informationen haben, man muss ein Bauchgefühl haben, aber man muss sich auch selbst einen Eindruck verschaffen. Das ist extrem wichtig, denn nur wenn man selbst den den Eindruck hat, kann man abschätzen, was das für eine Bedeutung für die anderen Menschen haben könnte.

Dennis Horn: Ich möchte auf ein Thema zurückkommen, das sie eben schon angerissen haben, nämlich das Weglassen. Ich finde das ein faszinierendes Thema, denn es kommt ja immer mehr obendrauf. Einmal kennen wir das als Beschwerde, von der Redakteurin oder dem Redakteur, die sagen, jetzt müssen wir das auch noch machen. Aber ich möchte aus einer strategischen Sicht draufgucken: Es kommt immer mehr obendrauf, und es wird kaum etwas weggelassen. Damit meine ich Produkte, Sendungen, also größere Dinge als nur eine Alltagsaufgabe. Konrad Weber ist ein Kollege, der fürs SRF in der Schweiz gearbeitet hat, der in einem Vortrag mal gesagt hat: Eigentlich müsste jeder, der eine neue Innovationsabteilung gründet, auch gleichzeitig eine Verzichtsabteilung gründen. Wie lässt man Dinge weg?

Jan Schulte-Kellinghaus: Wir sind ja genau jetzt in der Situation, also speziell bei mir im rbb, dass ich sagen würde, das ist jetzt alles handgenäht, wir können uns nicht zusätzliche Dinge leisten, sondern wir müssen weglassen. Deshalb haben wir uns ganz aktuell entschlossen, dass wir sagen: Zusätzlich zu allem, was wir mit rbb24.de und allen Digitalangeboten und dem, was wir schon für die Mediathek only machen, wollen wir im nächsten Jahr weitere 10 Prozent – Jetzt kann man sagen, es hört sich wenig an, das ist aber hart – des linearen Budgets in Digitalbudget umwandeln. Mit den Content-Box-Leiterinnen und -Leitern – Das ist unsere neue Matrixform der Organisation, weil wir die klassischen Hauptabteilungen aufgelöst und anders organisiert haben – sind wir jetzt Budgetposition für Budgetposition durchgegangen und haben gefragt: Ist die in irgendeiner Weise flexibel und beeinflussbar für uns? Wenn ja, gehen davon 10 Prozent ab ins digitale Budget. Das wird dann gar nicht anders gehen, als dass man sagt: Dann reduzieren wir das Mengengerüst für Fernsehdokumentationen um 10 Prozent oder vielleicht sogar mehr. Wir lassen bestimmte Unterhaltungssendungen weg. Wir denken uns im Radio eine Aktion weniger aus, oder die denken wir uns im Digitalen aus. Oder wir lassen bestimmte Wortbeiträge weg und wandeln diese Ressourcen in Podcast-Angebote um. Diesen Prozess betreiben wir jetzt ganz aktiv. Noch im letzten Jahr war es so, dass ich sagen würde, wir konnten uns immer noch Dinge zusätzlich leisten, wo wir dann gesagt haben, da machen wir jetzt keine Fernsehsendung fürs Sommerprogramm mehr, aber wir machen jetzt ein Digitalangebot. Chez Krömer ist ja mein Lieblingsbeispiel dafür: Das senden wir zwar auch im Fernsehen, aber eigentlich machen wir das, um jüngere Zielgruppen auf YouTube und in der Mediathek zu erreichen. Und das tun wir auch. Dafür benutzen wir dieses Geld und diese Kapazitäten nicht, um andere klassische Fernsehunterhaltung zu machen. Ich merke nur, man muss ab einem gewissen Punkt, damit die von Ihnen so schön genannte Spirale einsetzt, grundsätzliche Entscheidung treffen und sagen: Ihr müsst jetzt 10 Prozent rausnehmen, und dann gucken wir gemeinsam, was ihr damit macht. Wenn man das nicht macht, kommt dieser Prozess nicht weiter in Gang. Leider ist bei allen Versuchen bisher auch meine Erkenntnis, dass es eben auch andere Produkte sind. Das digitale Format, das auch erfolgreich im Fernsehen läuft oder erfolgreich im Radio läuft und ein Erfolg in den sozialen Netzwerken oder bei YouTube oder in den Mediatheken ist, habe ich leider noch nicht gesehen.

Dennis Horn: Da wird ja schon seit Jahren von allen dran herumgedoktert und gesucht, und keiner hat das große Ergebnis. Wenn jetzt diese zehn Prozent, von denen Sie sagen, die sollen umgeschichtet werden, dazu führen, dass man Dinge weglässt, dann gehören dazu ja auch Dinge, die Menschen gerne mögen. Mein Eindruck ist, dass einzelne Fernsehsender, Radiosender oder einzelne Sendungsformate manchmal eine sehr starke Lobby haben. Ich komme aus dem WDR, ich habe es mehrfach erlebt. Ich glaube, die letzte starke Lobby, die da tätig geworden ist und protestiert hat, war die um das ZeitZeichen, ein historisches Format, bei dem der NDR die Zusammenarbeit eingestellt hat – übrigens, weil er weglassen wollte und da sehr konsequent vorgegangen ist – und das jetzt anders produziert wird und von Radio Bremen kommt. Ich kann mich aber auch daran erinnern, dass der WDR bei WDR 3 umstellen wollte, dem Kulturradio, das eine im Linearen sehr spitze Zielgruppe und eine ganz starke Lobby hat. Weil die Menschen, die dort engagiert sind, dann auch die sind, die zum Beispiel in Rundfunkräten sitzen oder Doktortitel und einen Namen und Gewicht haben – nichts gegen Doktortitel, Sie haben selbst einen. Und dann wird Weglassen zum Teil mit Protest bestraft, der es einem nicht einfach macht, weitere Schritte zu gehen. Das Neue hat diese Lobby nicht. Wie setzt man das Weglassen dann durch?

Jan Schulte-Kellinghaus: Es ist ja ein allgemeines Phänomen, auch jenseits der Digital-Diskussion. Alle sagen, die Öffentlich-Rechtlichen müssen sich einschränken und sparen. Beginnt man damit, kommen immer Lobbygruppen, die sagen: „Aber doch nicht das! Das haben wir nicht gemeint!“ Da ist man in einem gewissen Maß dran gewöhnt in meinem Metier, dass jede Form von Weglassen zu großen Protesten führt, und unser Weg bisher war: Wir versuchen in dem Genre etwas im Digitalen anzubieten. Ein extrem umstrittener Punkt in der Reform bei uns war, bei rbbKultur die feministische Sendung Zeitpunkte in der Form, in der sie linear im Radio, am Wochenendnachmittag ausgestrahlt wurde, nicht fortzusetzen – das Thema Feminismus aber, weil es ein extrem junges und diskutiertes Thema ist, sehr wohl zu machen, in Podcastform. Wir haben diverse Podcasts aufgesetzt, „Clever Girls“ und „Hannah Arendt verstehen“, gehen verstärkt in diese Richtung und finden auch andere, größere und jüngere Zielgruppen für das Thema Feminismus auf diesem Weg, als es uns durch das lineare Radiomagazin gelungen ist. Trotzdem gibt es selbstverständlich eine riesige Fangemeinde, also ganz viele Hörerinnen und Hörer, die das extrem vermissen und die damit auch nicht glücklich sind, die aber zumindest eine Erklärung bekommen haben: Ja, wir machen das Thema. Aber wir machen es jetzt anders. Das gelingt nicht in allen Fällen. Wir werden auch Dinge weglassen, die wir ersatzlos weglassen müssen, weil wir uns das so nicht mehr leisten können. Wir müssen auch auch andere Dinge bedienen. Aber die Größe der Lobby ist ja auch immer ein Signal dafür, dass das eben doch ein Thema und ein Genre ist, das wirklich Bedeutung hat und bei dem man besser zweimal darüber nachdenkt, ob man es macht – und dann sich die Frage stellt: Kann man das Thema nicht in einer anderen Form im Digitalen anbieten und damit nicht viel besser und viel aktueller Zielgruppen erreichen?

Dennis Horn: Ich bin am Weglassen übrigens noch für eine weitere Podcast-Folge dran, weil es auf Newsroom-Ebene auch Erfahrungen gibt, wie man das richtig strategisch angeht, mit welchem Leitfaden man auf einer redaktionellen Ebene auch Entscheidungen für die eigenen Produkte treffen kann. Wenn man zum Beispiel die Maßgabe hat, 10 Prozent müssen umgeschichtet werden – wie geht man da ran? Da werden wir uns auch noch ein bisschen handwerklicher in einer weiteren Episode drum kümmern. Ich habe noch drei Zwänge auf meiner Liste aus der Strategiespirale. Als ich mich vor dem Podcast hier umgehört habe, um zu sehen, was andere Menschen noch in dieser Strategiespirale verorten, haben die zum Beispiel gesasgt: Das Tagesgeschäft ist ein großer Zwang und auch oft ein Damoklesschwert, das am Ende als Totschlagargument eingesetzt wird, warum etwas Innovatives aktuell nicht möglich ist. Das kennen wir alle, weil wir dann wieder zurück in die Redaktion gerufen werden, weil heute wieder irgendetwas besonders dringend ist. Wie bekommt man das abgestellt?

Jan Schulte-Kellinghaus: Indem man nur ganz grundsätzlich rangeht. Das ist natürlich immer so, dass alle Leute sagen: Wie sollen wir das denn noch machen? Für mich ist das dann ein Signal, dass die Prioritäten nicht richtig verstanden worden sind – oder wir uns nicht gemeinsam auf Prioritäten geeinigt haben. Möglicherweise wird das dann auf den Rücken irgendwelcher Tages-CvDs ausgetragen. Die können es dann wirklich nicht lösen. Aber in so einem Changeprozess, habe ich in all den Jahren gelernt, ist es immer wichtig, das Thema ganz grundsätzlich anzugehen. Deshalb haben wir im rbb vor anderthalb Jahren gesagt, wir organisieren uns jetzt um, wir lösen die Hauptabteilungen auf. Wir waren zwar schon seit längerer Zeit eine multimediale Programmdirektion, trotzdem haben die Radiowellen neben den Fernsehsendungen ihr Eigenleben geführt, wie die Fernsehsendungen ihr Eigenleben geführt haben. Die waren dann zwar in Hauptabteilungen vereint und haben sich auch alle 14 Tage mal gegenseitig erzählt, was sie so machen. Aber darüber hinaus hatte es keine weiteren Konsequenzen. Ich überzeichne das jetzt ein bisschen. Deshalb haben wir bewusst gesagt: Wir müssen uns erst mal anders organisieren. Und uns muss klar sein, dass der Ursprung, die Programmidee, der Content sein muss. Dann machen wir uns gemeinsam Gedanken darüber, wie wir den für die unterschiedlichen Ausspielwege aufbereiten. Das bedeutet, wir brauchen viel mehr zentralere Pools, in denen wir uns gemeinsam Gedanken machen und sagen: Was machen wir daraus jetzt? Und wir brauchen weniger abgeschlossene Redaktionen, die ausschließlich ihr Format bewachen. Oder Wellen, die ausschließlich ihre Welle bewachen. Sondern wir brauchen vorgeschaltet viel mehr gemeinsames Planen und gemeinsames Nachdenken über Content und was wir da für die einzelnen Ausspielwege machen können. In dem Prozess sind wir gerade. Und wenn ich eine Welle so umorganisiere, dass ich sage: Was ihr zum Thema Kultur macht, kommt aus einem Fachressort, das sich Gedanken gemacht hat – Wie gehen wir jetzt mit der Hannah-Arendt-Ausstellung in Online, Radio, Fernsehen? Was machen wir an Podcasts? – ist das ein anderes Arbeiten und schafft andere Ergebnisse. Weil man die Prioritäten anders gesetzt hat und gesagt hat: Wir müssen ganz anders zusammenarbeiten, um andere Ergebnisse zu erzielen. Und dann ist es das Zweite, dass man diesen Ergebnissen auch Aufmerksamkeit schenkt. Eine Zeit lang haben wir gesagt, wir organisieren jetzt um, und wir wollen jetzt mehr Digitales machen In unseren Sitzungen haben wir aber immer nur über Fernsehsendungen gesprochen oder über MA-Aktionen im Radio, aber gar nicht über die digitalen Produkte. Auch das muss man verändern. Man muss dann den Produkten, sobald sie da sind, Aufmerksamkeit schenken, und zwar erst einmal mehr Aufmerksamkeit schenken als den anderen, die man schon kennt. Das führt aber natürlich auch zur Diskussion: Sind wir jetzt nichts mehr wert? Wir sind doch schließlich auch noch eine Fernsehanstalt, wir sind doch auch noch eine Radioanstalt. Das auszutarieren, ist schwer. Aber um noch einmal darauf zurückzukommen: Im Tagesgeschäft ist das nicht zu lösen, sondern erst mal muss man ganz grundsätzlich die Aufgaben und Rollenbeschreibungen definieren. Sobald es um grundsätzliche Verantwortlichkeiten, Zuständigkeiten geht, sind plötzlich ganz andere Prioritäten und Aufmerksamkeiten da. Wenn man das dann einmal geklärt hat, ist das Tagesgeschäft nicht mehr die Frage, sondern dann ist die Frage: Wie organisiere ich das Tagesgeschäft, damit das rauskommt, was wir mit unserer Organisationsform eigentlich wollen?

Dennis Horn: Sehr interessant. Ein Problem, das im Alltag aufläuft, aber auf ein eine sehr viel grundlegendere Angelegenheit hinweist. Und man neigt dazu, zu sagen: Wir müssen jetzt uns halt irgendwie ein bisschen Freiraum im Alltag gönnen und ein bisschen strenger darauf achten. Aber eigentlich ist das, was dahinter liegt, noch größer. Ich fand ganz interessant: die Redaktionen, die Formate, die Wellen, die Sie gerade beschrieben haben, die sich selbst bewachen und ihr eigenes Dasein und darauf aufpassen. Das ist ein Punkt, den ich auch noch auf meiner Liste habe: Profilierungszwänge der Redaktionen untereinander. Mein Eindruck ist, dass sich diese Profilierungszwänge dadurch, dass journalistische Produkte im digitalen Raum plötzlich aufeinandertreffen, eigentlich nur noch verschärfen – und dann auch eine Wagenburgmentalität entsteht, das Wirtschaftsformat aus dem Hörfunk gegen das Wirtschaftsformat aus dem Fernsehen zum Beispiel. Ich würde als große strategische Herausforderung auch die öffentlich-rechtlichen Wortwellen sehen, die ja einen Teil dessen machen, was die Tagesschau in ihrem Markenkern hat – und dann im digitalen Raum aufeinandertreffen. Wie geht man mit diesen Profilierungszwängen um, in denen sich Redaktionen, Formate, Wellen, dann plötzlich wiederfinden und gefühlt ihr eigenes Überleben sichern müssen?

Jan Schulte-Kellinghaus: Ich betrachte das erst mal nicht als Profilierung gegeneinander, sondern ich glaube, es ist ein sehr professioneller Prozess, dass man sagt: Wenn ich Hörer oder Zuschauer an mich binden will, muss ich ein ganz klares Versprechen haben. Man muss wissen, was man bei mir kriegt. Weil es linear ist und immer wieder kommt, möglichst regelmäßig, muss ich genau das liefern und genau das versprechen, was man bei mir kriegt. Das führt dann ganz schnell zu einer Formatdenke oder einer Markendenke und einer Wellendenke, die nur im zweiten oder dritten Schritt guckt: Gibt es im Markt noch jemanden, der das Gleiche verspricht? Dann ist es nicht sinnvoll, das gleiche Versprechen zu geben – sondern dann lasst uns überlegen, was wir sonst tun können. Aber erst mal ist das ja nicht eine unkollegiale Profilierung gegen irgendjemanden, sondern ich positioniere meine Sendung, meine Welle. Was ich zu sagen habe, positioniere ich so, um das bestmöglich zu kommunizieren. Dazu gehört, dass ich sehr picky bin in der Themenauswahl, in der Aufbereitung der Themen. Dass eben nicht irgendjemand irgendetwas machen kann, sondern dass ich meine eigenen Reporterinnen habe, und die Moderatoren müssen sich dann auch genau so anhören, wie ich das möchte … die klassische Formatarbeit finde ich eigentlich auch toll, und es gehört ja dazu. Die hat nur im Umkehrschluss genau dieses Ausschließende den Anderen gegenüber und führt zu einer Ressourcenverschwendung. Denn ich brauche für jedes Format, für jede Sendung, die ich so style, alle Leute für mich. Das werden wir in Zukunft nicht mehr haben können. Deshalb müssen wir uns Mittel und Wege überlegen, wie ich die Marke der Welle oder des Formats, der Fernsehsendung erhalte und es mir gelingt, zusätzlich Angebote aus diesem Genre im Digitalen, in Podcasts, in Webvideos, auf TikTok oder was weiß ich zu machen, die dazu passen und jüngere Zielgruppen erreichen. Sie haben eigentlich nach etwas Anderem gefragt: danach, dass diese Formate gegenseitig in Konkurrenz stehen. Das tun sie ja eh. Das tun sie im Linearen „on air“, wie sie es dann im Non-Linearen auch tun. Und da kann man nur an den Zahlen ablesen, wer der Erfolgreichere ist.

Dennis Horn: … mit dem Unterschied, dass in der analogen Zeit eine Radiohörerin aus Potsdam nicht so gut die Angebote von hr-iNFO nutzen konnte – aber jetzt geht es.

Jan Schulte-Kellinghaus: Ja. Vielleicht sagen Sie wieder, Sie sind ein Boomer, Sie haben es noch nicht begriffen. Aber im Augenblick würde ich auch sagen – und alles, was wir über die Radio-Analyse sehen – ist immer noch der weit überwiegende Teil der Radionutzung regional und entspricht den Marken, die ich aus dem Linearen kenne. Die Frage ist: Geht jetzt einer in Hamburg hin und scannt die Livestream-Angebote aller Radios und entscheidet sich dann für hr2? Möglicherweise ist das eine relevante Gefahr. Im Augenblick, weiß ich nicht … Da glaube ich, ist es eher der Podcast-Markt, weil der per Definition ein mindestens bundesweiter ist. Da trifft es viel mehr aufeinander als bei den Livestreams der Radio- oder Fernsehsender.

Dennis Horn: Spätestens, seit ich das Thema Ihrer Doktorarbeit kenne, kann ich dieses Boomer-Ding auch gar nicht mehr so hundertprozentig aufrechterhalten. Eins meiner Stichworte wäre noch: Bekommen wir überhaupt die guten Leute? Die digitalen Köpfe landen manchmal wegen ihrer Gehaltsvorstellungen, manchmal aus anderen Gründen in anderen Branchen – und werden zum Teil auch von Audible, TikTok und so weiter abgeworben. Ich kenne mittlerweile ein halbes Dutzend solcher Abgänge, auch einen früherer ARD-Volontär, der mittlerweile für TikTok arbeitet. Wie holen wir eigentlich in Zukunft noch die Leute ran, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in die Zukunft tragen? Welche Versprechen kann man denen machen? Was zeichnet den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, was zeichnet den rbb als Arbeitgeber aus – außer, dass man weiß, man tut es für die Gesellschaft?

Jan Schulte-Kellinghaus: Na ja, aber das ist ja schon mal was. Wenn Sie mich fragen – vielleicht ist es auch wieder ein Boomer-Phänomen -, bin ich jeden Morgen stolz, dass ich nicht in einer Schraubenfabrik arbeite, sondern dass das, was ich da mache, auch hoch umstritten ist. Viele Leute sagen, das ist zu seicht oder ihr müsst mehr das oder jenes machen. Aber es hat einen gesellschaftlichen Wert. Wir hatten diese Angst im rbb auch, dass wir überhaupt keine Leute bekommen, die Erfahrung darin haben, wie man mit TikTok umgeht oder wie man Memes erfolgreich macht. Meine Erfahrung ist, die ersten Erkenntnisse sind: Sobald man als Sender signalisiert, „Doch, doch! Wir machen so etwas, und wir interessieren uns dafür, und wir brauchen euch!“, gibt es sehr wohl Menschen, die das gerne machen. funk war ja für uns alle im Öffentlich-Rechtlichen ein Vorreiter und hat auch tolle Formate ins Leben gerufen. Da arbeiten viele Leute, deren Know-how jetzt Gott sei dank auch die anderen Anstalten nutzen, weil natürlich alle – nicht nur im rbb – mit Webvideo-Einheiten und Labs arbeiten und weil natürlich alle an dieser Frage sitzen: Wie schaffen wir unsere Inhalte? Ich finde, man muss es auch einmal sagen dürfen: Wir sind die Guten. Wir haben keine kommerziellen Interessen. Wir haben auch keine politischen Interessen, weil wir so organisiert sind, dass wir größtmöglich politisch ausgewogen sind. Man hört natürlich Haltung und sieht Haltung, das geht nie zu 100 Prozent. Aber zumindest gibt es bei uns definitiv keine politische Einflussnahme, so wie wir keine kommerziellen Interessen haben. Und das ist natürlich eine super Organisationsform für eine Gesellschaft. Wir haben halt nur das Problem, dass wir im Moment noch vor allem im Linearen erfolgreiche Angebote machen und nicht ausreichend im Digitalen aufgestellt sind. Aber meine Erfahrung ist, dass es viele junge Menschen gibt, die uns dabei unterstützen wollen, das zu tun. Andersrum, auf Direktionsversammlungen und so im rbb, melden sich auch regelmäßig Unter-30-Jährige die sagen: Wir sind doch da, nun lasst uns doch nur mal machen, nun hört doch einmal auf uns! Das wollen wir jetzt auch verstärkt tun.

(Hinweis: Ich habe das Gespräch aus dem Podcast zur besseren Lesbarkeit leicht geglättet.)


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Jan Schulte-Kellinghaus ist Programmdirektor des rbb. Mit ihm spreche ich über Boomer und Digitalkompetenz, alte und neue Erfolgskriterien und die Herausforderung, Dinge wegzulassen.

Kann man „zu erfolgreich“ sein, um innovativ zu werden? Wie groß ist der Impuls, alte Dinge hinter sich zu lassen und sich auf die Zukunft zu konzentrieren, wenn die eigenen Medienangebote zu gut laufen? Wie entkommt man den Zwängen des eigenen Erfolgs?

Ein Beispiel: die Währungen, mit denen wir unseren Erfolg messen. Beim Fernsehen und im Radio sind das die Einschaltzahlen oder Umfragen dazu, welchen Medien das meiste Vertrauen geschenkt wird. Dabei schneidet der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer wieder gut ab – zuletzt auch, weil Menschen in der Pandemie ihr Informationsbedürfnis damit gestillt haben, dass sie ARD und ZDF einschalten.

Was dort passiert, bezeichne ich als Strategiespirale – und mit Jan Schulte-Kellinghaus spreche ich darüber, wie man ihr entkommt. Schulte-Kellinghaus hat vor seiner Zeit als Programmdirektor des rbb anderem für das heute journal gearbeitet. Er war ZDF-Studioleiter in Thüringen und Redaktionsleiter für Talk und Unterhaltung beim NDR.

Mit Jan Schulte-Kellinghaus ist also ein klassischer Fernsehmacher zu Gast im Innovationstheater, der es in die Chefetage eines großen Medienhauses geschafft hat – einer von denen also, an denen sich Menschen, die digital arbeiten, oft auch die Zähne ausbeißen.

Das Gespräch mit Jan Schulte-Kellinghaus in Textform

Dennis Horn: Wie ist die Innovationslage im rbb? Was macht das Innovationsgeschäft gerade?

Jan Schulte-Kellinghaus: Ach, wir kommen mit großen Schritten voran, weil wir die letzten anderthalb Jahre darauf verwendet haben, die Grundlagen zu schaffen. Das ist ja immer meine Erfahrung: Wenn man sich einmal ganz grundsätzlich auf einen Weg einigt, auf Kriterien einigt, dann geht alles ganz schnell, dann klickert alles zusammen. Aber solange man das noch nicht tut, sondern in so einem „Wir-müssten-mal“-Verteilungskampf oder -Verhinderungskampf ist, kommt man nicht so richtig weiter. Im Augenblick bin ich ganz optimistisch, weil wir uns Zeit genommen haben, uns über die Regeln und Geschäftsbedingungen und Neuorganisationen Gedanken zu machen. Und jetzt sieht man schon die ersten Früchte der Arbeit.

Dennis Horn: Wir möchten Sie zu Beginn erst einmal kennenlernen. Sie sind 1969 geboren, und je nach Definition sind sie der erste Boomer hier im Innovationstheater – also je nachdem, bis wann man diese Generation zählt. Viele Entscheiderinnen und Entscheider gehören ja einer Generation an, die nicht digital sozialisiert wurde. Welche Rolle spielt das für Sie?

Jan Schulte-Kellinghaus: Das spielt eine große Rolle. Ich bin ganz sicher kein Digital Native. Trotzdem habe ich, glaube ich, schon noch das Gefühl dafür, dass man etwas tun muss und dass wir in einem Riesenumbruchsprozess sind. Dieses Gefühl hatte ich schon sehr früh. Ich habe meine Doktorarbeit über den Rundfunkbegriff im digitalen Zeitalter geschrieben. Das war allerdings 1997, da war von Netflix und Amazon und so noch nicht die Rede. Da ging es um Kompression und Rückkanäle. Schon damals gab es ein Großprojekt in Stuttgart, wo man über Glasfaser testen wollte, ob die Leute sich Sendungen nach Hause bestellen können – und da war dann die Frage: Ist das Rundfunk oder nicht? Es hat mich schon damals sehr interessiert. Aber die Zukunftsprognosen haben sich nicht so schnell bestätigt, und deshalb gab es auch ganz viele Menschen in meinem Alter, die sich dann irgendwann wieder abgewendet haben und gesagt haben: Ja, ja, klar, das wird schon alles anders. Aber das betrifft uns nicht wirklich.

Dennis Horn: Im Grunde war das auch schon eine Art Strategiespirale, richtig? Wenn man dann wieder ins Alte zurückgegangen ist.

Jan Schulte-Kellinghaus: Ich bin jetzt seit 25 Jahren im Beruf. Und ich habe tatsächlich noch leitende Führungskräfte kennengelernt, die gesagt haben, das Internet ist eine temporäre Zeiterscheinung und das geht auch wieder weg. Ich habe auch Führungskräfte kennengelernt, die gesagt haben: „Seht ihr! Es wird immer gesagt, wir müssen digital so viel tun. Aber guckt euch doch mal die Fernsehquoten an und guckt euch doch mal die Radioquoten an. Das, was ihr da im Digitalen macht, kommt da doch überhaupt nicht ran. Lasst euch nicht ins Bockshorn jagen von der Öffentlichkeit, die so pseudomodern ist und sagt, jetzt gebt da mal ganz viel Geld für dieses Web aus. Lasst uns vernünftig sein und die Quote da machen, wo wir sie machen können!“ Und das war auch gar nicht falsch. Jahrelang, bis vor fünf Jahren, würde ich sagen, war das als Strategie auch okay. Nur spätestens vor fünf Jahren hätte man noch viel konsequenter umsteuern müssen, als wir es bisher getan haben. Unser Problem ist unser Erfolg im Linearen. Speziell die Öffentlich-Rechtlichen mit dem eher etwas älteren Stammpublikum werden zurzeit ja auch immer noch erfolgreicher. Gerade in Pandemiezeiten sind unsere Sendungen eingeschaltet wie nie, und die Menschen gucken durchschnittlich länger Fernsehen als noch ein Jahre davor. Das heißt, unsere Angebote werden mehr genutzt als je zuvor, unsere linearen Angebote im Radio und Fernsehen. Da dann zu sagen, wir müssen trotzdem einen Punkt finden, damit wir auch Angebote für die Generation unter 30 oder unter 40 machen, damit wir da auch relevant sind, denn auch die zahlen Beiträge, und unser Job ist ja eine Kommunikationsbasis für die ganze Gesellschaft zu sein und nicht nur für die im Schnitt 60-Jährigen – das ist die Schwierigkeit, dass wir uns entscheiden müssen, aktiv entscheiden müssen, Dinge zu lassen, von denen wir wissen, die sind erfolgreich in einer bestimmten Zielgruppe, um andere Dinge möglich zu machen, von denen wir jetzt noch nicht wissen, ob wir da gleichermaßen erfolgreich sein werden.

Dennis Horn: Sie haben schon auf ein paar Dinge hingewiesen, auf die ich gleich auch noch kommen möchte, zum Beispiel das Weglassen. Aber ich möchte noch mal kurz bei diesem Moment bleiben, den Sie beschreiben: „Unsere Zahlen sind ja gut!“ Das war meine erste These für diesen Begriff Strategiespirale: Um wirklich innovativ zu sein, ist der Schmerz oft nicht groß genug. Der Erfolg ist das Problem, und der führt dann zum Festhalten an alten Mechanismen. Ich habe da ein Bild im Kopf von den Chefinnen und Chefs, die aus ihrem Büro kommen, mit so einem Blatt Papier in der Hand, wo die neuesten Umfrageergebnisse drauf sind – ich glaube, ich habe das zu oft genau so erlebt. Und dann sagen sie: „Schaut mal hier, die die Menschen vertrauen dem öffentlichen-rechtlichen Rundfunk doch immer noch am meisten.“ Oder: „Hier sind die aktuellen MA-Ergebnisse, und das Radio immer noch das wichtigste Medium – und wir der meistgehörte Sender.“ Und so etwas. Sie haben gerade beschrieben, wie man darüber gleichzeitig eine andere Entwicklung ignoriert: den massiven Umbruch, der eben in jüngeren Zielgruppen stattfindet. Aber es ist ja zugegeben auch schwierig, da jetzt einfach zu switchen – weil die alten Zahlen tatsächlich bis heute die Währung sind. Das ist auch ein Punkt in dieser Strategiespirale, bei dem ich mich oft frage: Wie befreit man sich daraus? Die Quoten sind die Währung, und die Zahlen, die wir im digitalen haben – von der Interaktion des Publikums bis zu Besuchszahlen auf der Website – da geht ja niemand nach. Wie befreit man sich aus dieser Bredouille?

Jan Schulte-Kellinghaus: Na ja, es sind ja noch mehr als nur Zahlen. Das ist mir schon wichtig. Es ist ja ein gesellschaftlicher Wert, der dahinter steht. Die Tagesschau wird jeden Tag von 12 Millionen Menschen gesehen, im Ersten und in den Ausstrahlungen in den Dritten. Jeden Tag hören 36 Millionen Menschen öffentlich-rechtliche Radionachrichten. Das ist ja ein Riesenwert, und das ist ja auch toll, und den gilt es auch zu erhalten. Gleichzeitig müssen wir eben auch andere Angebote machen. Und das müssen wir irgendwie ins Verhältnis setzen. Da sind wir jetzt gerade mit der Medienforschung dran – ich glaube, ganz viele andere Medienforscher auch – unter dem Stichwort konvergente Quoten: dass man das mal beginnt, ins Verhältnis zu setzen. Was bedeuten eigentlich die Zahlen, die man in im Digitalen erreicht, im Verhältnis dazu, was man im Linearen erreicht? Was bedeuten die 400.000 oder 500.000 Nutzer vom rbb24-Textangebot gegenüber den 300.000 Zuschauern der Abendschau in Berlin? Kommen wir da langsam zu einer Währung, wo man sagen kann, das ist auch ebenbürtig? Oder bedeutet es ganz etwas Anderes, weil das eine 24-Stunden-Textnutzung ist, weil die viel kürzer lesen, als wenn sie eine halbe Stunde konsequent die Abendschau gucken? In diese Diskussion kommen wir langsam, weil unsere digitalen Angebote an bestimmten Stellen inzwischen auch so stark sind, dass sich so ein Vergleich lohnt und dass man in diese Sphären kommt. Aber ich glaube, man wird nie dazu kommen, dass Onlinereichweiten gleich mit Fernsehreichweiten sind – weil online natürlich auch nur das erfolgreich ist, was ein spezielles Angebot für die spitzere Zielgruppe ist. Das ist ein Teil der Schwierigkeit: dass diese Fernseh- und Radiodenke nicht mehr geht, irgendetwas zu machen, was gleichermaßen für alle Menschen interessant ist. Das kann man ja online gar nicht machen, sondern man muss sich gerade spitze Produkte für spitze Zielgruppen ausdenken. Deshalb sind sie sowieso nicht vergleichbar mit Fernseh- und Radioprodukten. Das macht die Sache noch einmal besonders schwierig.

Dennis Horn: Die geringeren Zahlen führen in meiner Beobachtung manchmal auch zu einer Art Abwertung von Menschen, die aus dem Fernsehen Millionenreichweiten gewohnt sind und dann einen Instagram-Account mit 40.000 Followern sehen und denken: Was ist das? Warum sollen wir da investieren?

Jan Schulte-Kellinghaus: Das ist so. Gleichzeitig sieht man am Nutzungsverhalten der nachwachsenden Generation, der 20-Jährigen, dass es gar nicht mehr anders geht. Dass die gar nicht mehr Fernsehen gucken oder Fernsehen nur noch eine von vielen unterschiedlichen Möglichkeiten ist, sich zu unterhalten und sich zu informieren oder zu kommunizieren. Die Unausweichlichkeit dieses Prozesses, ist uns – also der Boomer-Generation, der ich angehöre – erst in den letzten fünf Jahren klar geworden. Vorher war es modern und auch angesagt. Und je nachdem, wie modern sein wollte und wie technisch interessiert man sein wollte, hat man sich dafür stärker eingesetzt. Aber es war dann auch eher nur Programmbegleitung. Diese Idee, eigene Programme, eigene Angebote für andere Zielgruppen machen, hat ihren Platz in der ARD eigentlich erst gefunden, seit wir funk haben, würde ich sagen.

Dennis Horn: Ich bin mal ehrlich, wie ich die Beauftragung für funk damals wahrgenommen habe. Als die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten funk beauftragt haben, hat der damalige SWR-Intendant gesagt, es sei „leider“ kein Fernsehsender draus geworden. Ich habe die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, weil ich dachte: Halleluja, zum Glück! Zum Glück trägt dieses Angebot kein lineares Erbe mit sich. Sie sagen gerade, spätestens vor fünf Jahren musste einem das bewusst werden. Jetzt wird es viele geben, die sagen, na ja, ich wusste das vor 10 oder 15 Jahren schon. Und trotzdem muss das ja irgendwo ankommen: dieses Wissen und der Gedanke, das jetzt auch umzusetzen. Und dann auch auf Ebenen wie Ihrer, also der Programmdirektorinnen und Programmdirektoren oder der Intendantinnen und Intendanten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wie erfahren Sie davon? Wie sehen die Wege aus? Wer sagt Ihnen das? Wie kommen Sie darauf, zu sagen jetzt verstehe ich das? Wie baut man in einer solchen Position möglicherweise auch fehlendes Wissen über den digitalen Raum, über Digitalkultur, über nötige Innovationen auf? Wie brechen Sie das für sich auf, wenn Sie sagen, da habe ich vielleicht auch Lücken?

Jan Schulte-Kellinghaus: Ganz ehrlich: Was mich am meisten beeinflusst hat, ist das Mediennutzungsverhalten meiner Tochter. Die ist 19 Jahre alt, und die guckt keine Filme mehr mit uns, die guckt auch kein Fernsehen mehr. Die hört auch kein Radio, obwohl wir sehr viel dafür getan haben, dass sie es tut. Wenn die jetzt auszieht, wird die auch keinen Fernseher mitnehmen wollen, denn den braucht sie gar nicht. Das hat mich am nachhaltigsten beeindruckt. Jetzt ist eine Privatempirie natürlich immer schwierig, und es hat auch nicht jeder eine Tochter in dem Alter. Welche Kreise gibt es? Ich habe einen Kollegen, der inzwischen Intendant ist. Als ihm jemand einen Amazon-Stick geschenkt hat, hat er den mal ausprobiert. Da hat bei ihm Klick gemacht, da hat er begriffen, worum es eigentlich geht und worüber wir hier schon seit langem reden. Man braucht eine gewisse Privaterfahrung, um das zu realisieren. Es gibt auch andere Kollegen, die privat sehr intensiv in den sozialen Netzwerken unterwegs sind, die das trotzdem in einem beruflichen Zusammenhang anders bewerten, weil die sagen: Es ist Kommunikation, aber das ist was anderes als das, was wir hier machen. Aber ich glaube, das Eindringlichste ist, wenn man es in der eigenen Nutzung erlebt. Und wenn man dann daraus seine Schlüsse zieht.

Dennis Horn: Einer meiner ersten Chefs beim Radio hat immer gesagt: Wir brauchen keine Digitalstrategie. Ich weiß gar nicht, ob ich diese Geschichte in einer der vorherigen Episoden erzählt habe. Wir haben dem immer von Spotify berichtet, wussten schon, es wird eine Gefahr, und er meinte, das ist Quatsch. Dann hat das Medienhaus, zu dem dieser Radiosender gehört, seine Blackberrys als Diensthandys abgeschafft, und alle haben iPhones bekommen. Damit hat er sich die Twitter- und Facebook-Apps runtergeladen – und genau derselbe Effekt: Der kam eine Woche später und hat gesagt: Wir müssen digital eine Strategie haben. Dieser Effekt, den sie gerade beschrieben haben, von ihrer Tochter oder von dem Kollegen, der diesen Amazon-Stick hatte – hätte man das mit egal wie vielen PowerPoint-Präsentationen geschafft, in denen die Zahlen ja auch schon seit ein paar Jahren schwarz auf weiß zu sehen sind? Bringt das überhaupt etwas: die Fakten zu präsentieren?

Jan Schulte-Kellinghaus: Das muss man ja auf jeden Fall tun. Aber der durchschlagende Effekt ist glaube ich das eigene Nutzungserlebnis – oder das Erlebnis von Menschen, die einem nahestehen, die sich völlig anders verhalten. Ehrlich gesagt lässt sich das auch schwer ersetzen durch PowerPoint oder welche Vorträge auch immer. Trotzdem sind die unerlässlich, denn sagen muss man es den Menschen. Man muss natürlich auch den Führungskräften alle Informationen an die Hand geben, die da sind. Aber am Ende – und das ist ja nicht nur in den Medien, sondern überall bei Führungskräften so – ist es auch immer eine Abschätzung: Wohin wird der Markt gehen? Halte ich Schritt mit der Zeit? Und halte ich Schritt mit der Nachfrage? Das geht Supermarktbetreibern nicht anders als Theatermachern, als einem öffentlich-rechtlichen System. Man muss alle notwendigen Informationen haben, man muss ein Bauchgefühl haben, aber man muss sich auch selbst einen Eindruck verschaffen. Das ist extrem wichtig, denn nur wenn man selbst den den Eindruck hat, kann man abschätzen, was das für eine Bedeutung für die anderen Menschen haben könnte.

Dennis Horn: Ich möchte auf ein Thema zurückkommen, das sie eben schon angerissen haben, nämlich das Weglassen. Ich finde das ein faszinierendes Thema, denn es kommt ja immer mehr obendrauf. Einmal kennen wir das als Beschwerde, von der Redakteurin oder dem Redakteur, die sagen, jetzt müssen wir das auch noch machen. Aber ich möchte aus einer strategischen Sicht draufgucken: Es kommt immer mehr obendrauf, und es wird kaum etwas weggelassen. Damit meine ich Produkte, Sendungen, also größere Dinge als nur eine Alltagsaufgabe. Konrad Weber ist ein Kollege, der fürs SRF in der Schweiz gearbeitet hat, der in einem Vortrag mal gesagt hat: Eigentlich müsste jeder, der eine neue Innovationsabteilung gründet, auch gleichzeitig eine Verzichtsabteilung gründen. Wie lässt man Dinge weg?

Jan Schulte-Kellinghaus: Wir sind ja genau jetzt in der Situation, also speziell bei mir im rbb, dass ich sagen würde, das ist jetzt alles handgenäht, wir können uns nicht zusätzliche Dinge leisten, sondern wir müssen weglassen. Deshalb haben wir uns ganz aktuell entschlossen, dass wir sagen: Zusätzlich zu allem, was wir mit rbb24.de und allen Digitalangeboten und dem, was wir schon für die Mediathek only machen, wollen wir im nächsten Jahr weitere 10 Prozent – Jetzt kann man sagen, es hört sich wenig an, das ist aber hart – des linearen Budgets in Digitalbudget umwandeln. Mit den Content-Box-Leiterinnen und -Leitern – Das ist unsere neue Matrixform der Organisation, weil wir die klassischen Hauptabteilungen aufgelöst und anders organisiert haben – sind wir jetzt Budgetposition für Budgetposition durchgegangen und haben gefragt: Ist die in irgendeiner Weise flexibel und beeinflussbar für uns? Wenn ja, gehen davon 10 Prozent ab ins digitale Budget. Das wird dann gar nicht anders gehen, als dass man sagt: Dann reduzieren wir das Mengengerüst für Fernsehdokumentationen um 10 Prozent oder vielleicht sogar mehr. Wir lassen bestimmte Unterhaltungssendungen weg. Wir denken uns im Radio eine Aktion weniger aus, oder die denken wir uns im Digitalen aus. Oder wir lassen bestimmte Wortbeiträge weg und wandeln diese Ressourcen in Podcast-Angebote um. Diesen Prozess betreiben wir jetzt ganz aktiv. Noch im letzten Jahr war es so, dass ich sagen würde, wir konnten uns immer noch Dinge zusätzlich leisten, wo wir dann gesagt haben, da machen wir jetzt keine Fernsehsendung fürs Sommerprogramm mehr, aber wir machen jetzt ein Digitalangebot. Chez Krömer ist ja mein Lieblingsbeispiel dafür: Das senden wir zwar auch im Fernsehen, aber eigentlich machen wir das, um jüngere Zielgruppen auf YouTube und in der Mediathek zu erreichen. Und das tun wir auch. Dafür benutzen wir dieses Geld und diese Kapazitäten nicht, um andere klassische Fernsehunterhaltung zu machen. Ich merke nur, man muss ab einem gewissen Punkt, damit die von Ihnen so schön genannte Spirale einsetzt, grundsätzliche Entscheidung treffen und sagen: Ihr müsst jetzt 10 Prozent rausnehmen, und dann gucken wir gemeinsam, was ihr damit macht. Wenn man das nicht macht, kommt dieser Prozess nicht weiter in Gang. Leider ist bei allen Versuchen bisher auch meine Erkenntnis, dass es eben auch andere Produkte sind. Das digitale Format, das auch erfolgreich im Fernsehen läuft oder erfolgreich im Radio läuft und ein Erfolg in den sozialen Netzwerken oder bei YouTube oder in den Mediatheken ist, habe ich leider noch nicht gesehen.

Dennis Horn: Da wird ja schon seit Jahren von allen dran herumgedoktert und gesucht, und keiner hat das große Ergebnis. Wenn jetzt diese zehn Prozent, von denen Sie sagen, die sollen umgeschichtet werden, dazu führen, dass man Dinge weglässt, dann gehören dazu ja auch Dinge, die Menschen gerne mögen. Mein Eindruck ist, dass einzelne Fernsehsender, Radiosender oder einzelne Sendungsformate manchmal eine sehr starke Lobby haben. Ich komme aus dem WDR, ich habe es mehrfach erlebt. Ich glaube, die letzte starke Lobby, die da tätig geworden ist und protestiert hat, war die um das ZeitZeichen, ein historisches Format, bei dem der NDR die Zusammenarbeit eingestellt hat – übrigens, weil er weglassen wollte und da sehr konsequent vorgegangen ist – und das jetzt anders produziert wird und von Radio Bremen kommt. Ich kann mich aber auch daran erinnern, dass der WDR bei WDR 3 umstellen wollte, dem Kulturradio, das eine im Linearen sehr spitze Zielgruppe und eine ganz starke Lobby hat. Weil die Menschen, die dort engagiert sind, dann auch die sind, die zum Beispiel in Rundfunkräten sitzen oder Doktortitel und einen Namen und Gewicht haben – nichts gegen Doktortitel, Sie haben selbst einen. Und dann wird Weglassen zum Teil mit Protest bestraft, der es einem nicht einfach macht, weitere Schritte zu gehen. Das Neue hat diese Lobby nicht. Wie setzt man das Weglassen dann durch?

Jan Schulte-Kellinghaus: Es ist ja ein allgemeines Phänomen, auch jenseits der Digital-Diskussion. Alle sagen, die Öffentlich-Rechtlichen müssen sich einschränken und sparen. Beginnt man damit, kommen immer Lobbygruppen, die sagen: „Aber doch nicht das! Das haben wir nicht gemeint!“ Da ist man in einem gewissen Maß dran gewöhnt in meinem Metier, dass jede Form von Weglassen zu großen Protesten führt, und unser Weg bisher war: Wir versuchen in dem Genre etwas im Digitalen anzubieten. Ein extrem umstrittener Punkt in der Reform bei uns war, bei rbbKultur die feministische Sendung Zeitpunkte in der Form, in der sie linear im Radio, am Wochenendnachmittag ausgestrahlt wurde, nicht fortzusetzen – das Thema Feminismus aber, weil es ein extrem junges und diskutiertes Thema ist, sehr wohl zu machen, in Podcastform. Wir haben diverse Podcasts aufgesetzt, „Clever Girls“ und „Hannah Arendt verstehen“, gehen verstärkt in diese Richtung und finden auch andere, größere und jüngere Zielgruppen für das Thema Feminismus auf diesem Weg, als es uns durch das lineare Radiomagazin gelungen ist. Trotzdem gibt es selbstverständlich eine riesige Fangemeinde, also ganz viele Hörerinnen und Hörer, die das extrem vermissen und die damit auch nicht glücklich sind, die aber zumindest eine Erklärung bekommen haben: Ja, wir machen das Thema. Aber wir machen es jetzt anders. Das gelingt nicht in allen Fällen. Wir werden auch Dinge weglassen, die wir ersatzlos weglassen müssen, weil wir uns das so nicht mehr leisten können. Wir müssen auch auch andere Dinge bedienen. Aber die Größe der Lobby ist ja auch immer ein Signal dafür, dass das eben doch ein Thema und ein Genre ist, das wirklich Bedeutung hat und bei dem man besser zweimal darüber nachdenkt, ob man es macht – und dann sich die Frage stellt: Kann man das Thema nicht in einer anderen Form im Digitalen anbieten und damit nicht viel besser und viel aktueller Zielgruppen erreichen?

Dennis Horn: Ich bin am Weglassen übrigens noch für eine weitere Podcast-Folge dran, weil es auf Newsroom-Ebene auch Erfahrungen gibt, wie man das richtig strategisch angeht, mit welchem Leitfaden man auf einer redaktionellen Ebene auch Entscheidungen für die eigenen Produkte treffen kann. Wenn man zum Beispiel die Maßgabe hat, 10 Prozent müssen umgeschichtet werden – wie geht man da ran? Da werden wir uns auch noch ein bisschen handwerklicher in einer weiteren Episode drum kümmern. Ich habe noch drei Zwänge auf meiner Liste aus der Strategiespirale. Als ich mich vor dem Podcast hier umgehört habe, um zu sehen, was andere Menschen noch in dieser Strategiespirale verorten, haben die zum Beispiel gesasgt: Das Tagesgeschäft ist ein großer Zwang und auch oft ein Damoklesschwert, das am Ende als Totschlagargument eingesetzt wird, warum etwas Innovatives aktuell nicht möglich ist. Das kennen wir alle, weil wir dann wieder zurück in die Redaktion gerufen werden, weil heute wieder irgendetwas besonders dringend ist. Wie bekommt man das abgestellt?

Jan Schulte-Kellinghaus: Indem man nur ganz grundsätzlich rangeht. Das ist natürlich immer so, dass alle Leute sagen: Wie sollen wir das denn noch machen? Für mich ist das dann ein Signal, dass die Prioritäten nicht richtig verstanden worden sind – oder wir uns nicht gemeinsam auf Prioritäten geeinigt haben. Möglicherweise wird das dann auf den Rücken irgendwelcher Tages-CvDs ausgetragen. Die können es dann wirklich nicht lösen. Aber in so einem Changeprozess, habe ich in all den Jahren gelernt, ist es immer wichtig, das Thema ganz grundsätzlich anzugehen. Deshalb haben wir im rbb vor anderthalb Jahren gesagt, wir organisieren uns jetzt um, wir lösen die Hauptabteilungen auf. Wir waren zwar schon seit längerer Zeit eine multimediale Programmdirektion, trotzdem haben die Radiowellen neben den Fernsehsendungen ihr Eigenleben geführt, wie die Fernsehsendungen ihr Eigenleben geführt haben. Die waren dann zwar in Hauptabteilungen vereint und haben sich auch alle 14 Tage mal gegenseitig erzählt, was sie so machen. Aber darüber hinaus hatte es keine weiteren Konsequenzen. Ich überzeichne das jetzt ein bisschen. Deshalb haben wir bewusst gesagt: Wir müssen uns erst mal anders organisieren. Und uns muss klar sein, dass der Ursprung, die Programmidee, der Content sein muss. Dann machen wir uns gemeinsam Gedanken darüber, wie wir den für die unterschiedlichen Ausspielwege aufbereiten. Das bedeutet, wir brauchen viel mehr zentralere Pools, in denen wir uns gemeinsam Gedanken machen und sagen: Was machen wir daraus jetzt? Und wir brauchen weniger abgeschlossene Redaktionen, die ausschließlich ihr Format bewachen. Oder Wellen, die ausschließlich ihre Welle bewachen. Sondern wir brauchen vorgeschaltet viel mehr gemeinsames Planen und gemeinsames Nachdenken über Content und was wir da für die einzelnen Ausspielwege machen können. In dem Prozess sind wir gerade. Und wenn ich eine Welle so umorganisiere, dass ich sage: Was ihr zum Thema Kultur macht, kommt aus einem Fachressort, das sich Gedanken gemacht hat – Wie gehen wir jetzt mit der Hannah-Arendt-Ausstellung in Online, Radio, Fernsehen? Was machen wir an Podcasts? – ist das ein anderes Arbeiten und schafft andere Ergebnisse. Weil man die Prioritäten anders gesetzt hat und gesagt hat: Wir müssen ganz anders zusammenarbeiten, um andere Ergebnisse zu erzielen. Und dann ist es das Zweite, dass man diesen Ergebnissen auch Aufmerksamkeit schenkt. Eine Zeit lang haben wir gesagt, wir organisieren jetzt um, und wir wollen jetzt mehr Digitales machen In unseren Sitzungen haben wir aber immer nur über Fernsehsendungen gesprochen oder über MA-Aktionen im Radio, aber gar nicht über die digitalen Produkte. Auch das muss man verändern. Man muss dann den Produkten, sobald sie da sind, Aufmerksamkeit schenken, und zwar erst einmal mehr Aufmerksamkeit schenken als den anderen, die man schon kennt. Das führt aber natürlich auch zur Diskussion: Sind wir jetzt nichts mehr wert? Wir sind doch schließlich auch noch eine Fernsehanstalt, wir sind doch auch noch eine Radioanstalt. Das auszutarieren, ist schwer. Aber um noch einmal darauf zurückzukommen: Im Tagesgeschäft ist das nicht zu lösen, sondern erst mal muss man ganz grundsätzlich die Aufgaben und Rollenbeschreibungen definieren. Sobald es um grundsätzliche Verantwortlichkeiten, Zuständigkeiten geht, sind plötzlich ganz andere Prioritäten und Aufmerksamkeiten da. Wenn man das dann einmal geklärt hat, ist das Tagesgeschäft nicht mehr die Frage, sondern dann ist die Frage: Wie organisiere ich das Tagesgeschäft, damit das rauskommt, was wir mit unserer Organisationsform eigentlich wollen?

Dennis Horn: Sehr interessant. Ein Problem, das im Alltag aufläuft, aber auf ein eine sehr viel grundlegendere Angelegenheit hinweist. Und man neigt dazu, zu sagen: Wir müssen jetzt uns halt irgendwie ein bisschen Freiraum im Alltag gönnen und ein bisschen strenger darauf achten. Aber eigentlich ist das, was dahinter liegt, noch größer. Ich fand ganz interessant: die Redaktionen, die Formate, die Wellen, die Sie gerade beschrieben haben, die sich selbst bewachen und ihr eigenes Dasein und darauf aufpassen. Das ist ein Punkt, den ich auch noch auf meiner Liste habe: Profilierungszwänge der Redaktionen untereinander. Mein Eindruck ist, dass sich diese Profilierungszwänge dadurch, dass journalistische Produkte im digitalen Raum plötzlich aufeinandertreffen, eigentlich nur noch verschärfen – und dann auch eine Wagenburgmentalität entsteht, das Wirtschaftsformat aus dem Hörfunk gegen das Wirtschaftsformat aus dem Fernsehen zum Beispiel. Ich würde als große strategische Herausforderung auch die öffentlich-rechtlichen Wortwellen sehen, die ja einen Teil dessen machen, was die Tagesschau in ihrem Markenkern hat – und dann im digitalen Raum aufeinandertreffen. Wie geht man mit diesen Profilierungszwängen um, in denen sich Redaktionen, Formate, Wellen, dann plötzlich wiederfinden und gefühlt ihr eigenes Überleben sichern müssen?

Jan Schulte-Kellinghaus: Ich betrachte das erst mal nicht als Profilierung gegeneinander, sondern ich glaube, es ist ein sehr professioneller Prozess, dass man sagt: Wenn ich Hörer oder Zuschauer an mich binden will, muss ich ein ganz klares Versprechen haben. Man muss wissen, was man bei mir kriegt. Weil es linear ist und immer wieder kommt, möglichst regelmäßig, muss ich genau das liefern und genau das versprechen, was man bei mir kriegt. Das führt dann ganz schnell zu einer Formatdenke oder einer Markendenke und einer Wellendenke, die nur im zweiten oder dritten Schritt guckt: Gibt es im Markt noch jemanden, der das Gleiche verspricht? Dann ist es nicht sinnvoll, das gleiche Versprechen zu geben – sondern dann lasst uns überlegen, was wir sonst tun können. Aber erst mal ist das ja nicht eine unkollegiale Profilierung gegen irgendjemanden, sondern ich positioniere meine Sendung, meine Welle. Was ich zu sagen habe, positioniere ich so, um das bestmöglich zu kommunizieren. Dazu gehört, dass ich sehr picky bin in der Themenauswahl, in der Aufbereitung der Themen. Dass eben nicht irgendjemand irgendetwas machen kann, sondern dass ich meine eigenen Reporterinnen habe, und die Moderatoren müssen sich dann auch genau so anhören, wie ich das möchte … die klassische Formatarbeit finde ich eigentlich auch toll, und es gehört ja dazu. Die hat nur im Umkehrschluss genau dieses Ausschließende den Anderen gegenüber und führt zu einer Ressourcenverschwendung. Denn ich brauche für jedes Format, für jede Sendung, die ich so style, alle Leute für mich. Das werden wir in Zukunft nicht mehr haben können. Deshalb müssen wir uns Mittel und Wege überlegen, wie ich die Marke der Welle oder des Formats, der Fernsehsendung erhalte und es mir gelingt, zusätzlich Angebote aus diesem Genre im Digitalen, in Podcasts, in Webvideos, auf TikTok oder was weiß ich zu machen, die dazu passen und jüngere Zielgruppen erreichen. Sie haben eigentlich nach etwas Anderem gefragt: danach, dass diese Formate gegenseitig in Konkurrenz stehen. Das tun sie ja eh. Das tun sie im Linearen „on air“, wie sie es dann im Non-Linearen auch tun. Und da kann man nur an den Zahlen ablesen, wer der Erfolgreichere ist.

Dennis Horn: … mit dem Unterschied, dass in der analogen Zeit eine Radiohörerin aus Potsdam nicht so gut die Angebote von hr-iNFO nutzen konnte – aber jetzt geht es.

Jan Schulte-Kellinghaus: Ja. Vielleicht sagen Sie wieder, Sie sind ein Boomer, Sie haben es noch nicht begriffen. Aber im Augenblick würde ich auch sagen – und alles, was wir über die Radio-Analyse sehen – ist immer noch der weit überwiegende Teil der Radionutzung regional und entspricht den Marken, die ich aus dem Linearen kenne. Die Frage ist: Geht jetzt einer in Hamburg hin und scannt die Livestream-Angebote aller Radios und entscheidet sich dann für hr2? Möglicherweise ist das eine relevante Gefahr. Im Augenblick, weiß ich nicht … Da glaube ich, ist es eher der Podcast-Markt, weil der per Definition ein mindestens bundesweiter ist. Da trifft es viel mehr aufeinander als bei den Livestreams der Radio- oder Fernsehsender.

Dennis Horn: Spätestens, seit ich das Thema Ihrer Doktorarbeit kenne, kann ich dieses Boomer-Ding auch gar nicht mehr so hundertprozentig aufrechterhalten. Eins meiner Stichworte wäre noch: Bekommen wir überhaupt die guten Leute? Die digitalen Köpfe landen manchmal wegen ihrer Gehaltsvorstellungen, manchmal aus anderen Gründen in anderen Branchen – und werden zum Teil auch von Audible, TikTok und so weiter abgeworben. Ich kenne mittlerweile ein halbes Dutzend solcher Abgänge, auch einen früherer ARD-Volontär, der mittlerweile für TikTok arbeitet. Wie holen wir eigentlich in Zukunft noch die Leute ran, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in die Zukunft tragen? Welche Versprechen kann man denen machen? Was zeichnet den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, was zeichnet den rbb als Arbeitgeber aus – außer, dass man weiß, man tut es für die Gesellschaft?

Jan Schulte-Kellinghaus: Na ja, aber das ist ja schon mal was. Wenn Sie mich fragen – vielleicht ist es auch wieder ein Boomer-Phänomen -, bin ich jeden Morgen stolz, dass ich nicht in einer Schraubenfabrik arbeite, sondern dass das, was ich da mache, auch hoch umstritten ist. Viele Leute sagen, das ist zu seicht oder ihr müsst mehr das oder jenes machen. Aber es hat einen gesellschaftlichen Wert. Wir hatten diese Angst im rbb auch, dass wir überhaupt keine Leute bekommen, die Erfahrung darin haben, wie man mit TikTok umgeht oder wie man Memes erfolgreich macht. Meine Erfahrung ist, die ersten Erkenntnisse sind: Sobald man als Sender signalisiert, „Doch, doch! Wir machen so etwas, und wir interessieren uns dafür, und wir brauchen euch!“, gibt es sehr wohl Menschen, die das gerne machen. funk war ja für uns alle im Öffentlich-Rechtlichen ein Vorreiter und hat auch tolle Formate ins Leben gerufen. Da arbeiten viele Leute, deren Know-how jetzt Gott sei dank auch die anderen Anstalten nutzen, weil natürlich alle – nicht nur im rbb – mit Webvideo-Einheiten und Labs arbeiten und weil natürlich alle an dieser Frage sitzen: Wie schaffen wir unsere Inhalte? Ich finde, man muss es auch einmal sagen dürfen: Wir sind die Guten. Wir haben keine kommerziellen Interessen. Wir haben auch keine politischen Interessen, weil wir so organisiert sind, dass wir größtmöglich politisch ausgewogen sind. Man hört natürlich Haltung und sieht Haltung, das geht nie zu 100 Prozent. Aber zumindest gibt es bei uns definitiv keine politische Einflussnahme, so wie wir keine kommerziellen Interessen haben. Und das ist natürlich eine super Organisationsform für eine Gesellschaft. Wir haben halt nur das Problem, dass wir im Moment noch vor allem im Linearen erfolgreiche Angebote machen und nicht ausreichend im Digitalen aufgestellt sind. Aber meine Erfahrung ist, dass es viele junge Menschen gibt, die uns dabei unterstützen wollen, das zu tun. Andersrum, auf Direktionsversammlungen und so im rbb, melden sich auch regelmäßig Unter-30-Jährige die sagen: Wir sind doch da, nun lasst uns doch nur mal machen, nun hört doch einmal auf uns! Das wollen wir jetzt auch verstärkt tun.

(Hinweis: Ich habe das Gespräch aus dem Podcast zur besseren Lesbarkeit leicht geglättet.)


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