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Nutzerorientierung mit Katharina Köth

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Katharina Köth arbeitet als Experience Director. Mit ihr spreche ich über UX Design, Kommunikation von Innovation und die Kritik an Design Thinking, Sprints und Personas.

Design Thinking, Sprints und Personas – all das sind Mittel, mit denen Medienhäuser gerade versuchen, sich an ihren Nutzer:innen zu orientieren. Tatsächlich entstehen darüber reihenweise neue Ideen. Redaktionen kommen ins Arbeiten und lernen neue Methoden, die sie nach vorne bringen.

Aber wie viel sind diese Schritte wert, wenn sie nur einmal geschehen? Wenn die Beteiligten im Anschluss in die Redaktion zurückkehren und es dann doch wieder recht bauchgefühlig zur Sache geht – und Nutzer:innenorientierung nur punktuell, aber nicht als Prozess geschieht?

Katharina Köth hat viele Jahre für Jung von Matt gearbeitet und dort Kunden wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung, aber auch Mercedes-Benz, 1&1 und Roland Berger bei der Entwicklung und Gestaltung komplexer Plattformen und Produkte betreut. Mittlerweile ist sie selbstständig, arbeitet als Experience Director und hat das Unternehmen Creative Complexity gegründet.

Ihre Perspektive ist eine andere als die vieler Menschen, die bisher zu Gast im Innovationstheater waren, nämlich keine einer Journalistin, sondern die einer Dienstleisterin. Ihre Arbeit war damit schon immer nutzer:innenorientiert – ein Dialog mit ihrer eigenen Zielgruppe.

Das Gespräch mit Katharina Köth in Textform

Dennis Horn: Wir haben uns vor ein paar Wochen in einem Gespräch über Nutzer:innenorientierung verloren – und darüber, wie Medienhäuser sie heute leben. Ich möchte nicht sagen, wir haben gelästert, aber wir haben ein paar so Phänomene kritisch betrachtet, nicht wahr?

Katharina Köth: Das kann man so sagen, ja. Lästern … kann man auch schon sagen. Wir sind ja hier unter uns Medienmacher:innen.

Dennis Horn: Absolut, wir sind unter uns. Auf jeden Fall war es der Zünder dafür, dass ich dich unbedingt in diesem Podcast dabei haben wollte, denn ich würde mit dir gern die Nutzer:innenorientierung noch etwas näher ausleuchten – diesen Begriff vielleicht auch noch etwas weiten, um ihn für Innovation nutzbarer zu machen. Bevor wir damit anfangen, möchte ich mit dir erst mal klären, wie Nutzer:innenorientierung in Medienhäusern zurzeit gelebt wird – wenn sie gelebt wird. Ich hatte Dirk von Gehlen ja in der letzten Ausgabe hier im Innovationstheater zu Gast. Der hat mir ins Heft geschrieben, dass Innovation in vielen Häusern schon Thema ist, dass viele Redaktionen da ihre Schritte gehen. Das ist auch meine Wahrnehmung. Da kommen Dinge zum Zug wie Personas, Design Thinking, Sprints. Ich glaube nicht, dass diese Begriffe völlig unbekannt sind. Aber ich bin mir auch nicht sicher, wie viele Menschen, die diesen Podcast hören, diese Dinge schon einmal durchlaufen und erlebt haben. Also lass uns doch bitte erst einmal diese Begriffe klären: Personas, Sprints, Design Thinking – auf welchen hast du zuerst Lust?

Katharina Köth: Eigentlich fast „Nutzer:innenzentrierung“ …

Dennis Horn: Oh. Ja, dann bitte, dann fangen wir damit an.

Katharina Köth: Ich glaube, dass der Begriff „Nutzer:innenzentrierung“ ja schon bei vielen so ein Trendbegriff ist, ein Hype, von dem sie schon gehört haben, mit dem sie vielleicht auch Design Thinking, Personas und so weiter verbinden, aber von dem sie vielleicht auch gar nicht wissen, was es eigentlich genau ist und was damit gemeint ist. So, wie ich es erlebe und in meine Arbeit einfließen lasse, ist es einfach ein Selbstverständnis, ein Blickwechsel, der die digitale Antwort ist auf das, was früher in Kommunikationsagenturen und Medienhäusern gelebt wurde, nämlich der Gegensatz zur Autorenschaft, der Wahrnehmung, dass der Redakteur, die Redakteurin der Kreativdirektor – wer auch immer – die Person ist, die weiß, was die Menschen da draußen wollen; die weiß, was die Personen bekommen sollten. Durch die Digitalisierung und die Fragmentierung von Kanälen und so weiter verlieren wir immer mehr Menschen, weil wir es halt vielleicht auch nicht wissen. Und weil wir uns nicht auf die Menschen einlassen. Insofern hat sich da eine Art Gegenschule zu dem Autoren- und Geniekult gebildet, die wiederum fast auch kultisch Nutzerinnen und Konsumentinnen in den Mittelpunkt stellt.

Dennis Horn: Es war nur vorgeblich so, dass die auch immer wirklich alles über ihr Publikum gewusst haben. Das kann ja auch gar nicht sein.

Katharina Köth: Genau. Wenn man nicht fragt, dann weiß man es nicht.

Dennis Horn: Und jetzt geht das Pendel in die andere Richtung. Wir werten aus – alles, was wir haben. Oder fragen, fragen, fragen. Und da ist dann auch wieder so eine überzogene Nummer draus geworden.

Katharina Köth: Genau, und die spiegelt sich in den Formaten, die du gerade genannt hast. Einerseits in der Methode der Personas. Das heißt, entweder leiten wir aus Research – das können Fokusgruppengespräche, Interviews, Beobachtungen, Studien sein – Protopersonen ab und oft auch einfach Stereotypen. Das heißt, wir versuchen, aus vielen unterschiedlichen Datenpunkten und Aspekten von Mediennutzungsverhalten, Soziodemografie, Motivation, eine Person abzuleiten, um sie möglichst greifbar zu machen, um dann in die Situation oder in die Gelegenheit zu kommen, uns empathisch in sie hineindenken zu können und dadurch zu antizipieren, was sie wohl gerne hätte und wie sie dazu kommt und sich mit der Medienlandschaft beschäftigt.

Dennis Horn: Ich habe mich schon mehrfach mit solchen Prozessen beschäftigt – das hat immer großen Spaß gemacht.

Katharina Köth: Das glaube ich.

Dennis Horn: Irgendwann findet man sich wirklich in diesen Personen wieder und weiß dann aber auch wirklich, was sie tun. Wobei ich auch sagen würde, das hat etwas Persiflagenhaftes.

Katharina Köth: Ja, ja, ich finde es immer sehr stereotypisch. Sehr, sehr persiflagenhaft. Man ist dann doch häufig in Sprints und Design-Thinking-Workshops, die nicht lange dauern, und muss auf sein bestehendes Wissen zurückgreifen. Dann wird es halt häufig Thomas, der Geschäftsführer, Mitte 50, hat anderthalb Kinder, wohnt im Speckgürtel, hat einen Hund, eine Frau …

Dennis Horn: … und noch nicht die richtige Ahnung vom Digitalen.

Katharina Köth: Genau. Und man hat so ein Bild vor Augen, wie er aussieht, wie er lebt. Er fährt wahrscheinlich einen Mercedes oder einen BMW oder einen Audi und hat eine nach außen scheinend ideale Familie und Beziehung …

Dennis Horn: … einen leichten Bierbauch, gendert noch nicht …

Katharina Köth: … ja, er tut sich mit dem Gendern schwer, aber weiß aus der Arbeit heraus, dass es langsam Zeit wird. Und er will sich auch nicht jedes Mal mit den Frauen streiten.

Dennis Horn: Siehst du, und schon sind wir in den Stereotypen.

Katharina Köth: Total. Und ich habe tatsächlich auch erst vor kurzem in einem Vortrag genau diese Person, die wir gerade fast ein bisschen ad hoc entworfen haben, ähnlich aufgezeigt. Aber am Beispiel ehemaliger Chefs, die ich hatte, wo dann aber dieser Durchschnitts-Thomas, den wir aus den Geschäftsführungen kennen, auf der einen Seite Heavy Metaler war, auf der anderen Seite obskure Jazzplatten aus den Sechzigern gesammelt hat. Die Kritik, die wir teilen, ist, dass man in diesen Workshop-Prozessen im gemeinsamen Denken sehr schnell ins Spinnen kommt. Es macht total viel Spaß, sich auch ein bisschen ironisch mit den Leuten zu beschäftigen. Und dann verliert man sich in dieser Workshop-Methode aber fast mehr als darüber nachzudenken: Was hilft mir das jetzt in meiner Produktentwicklung?

Dennis Horn: Lass uns mal bei diesen Workshops bleiben. Ein Sprint ist ein Workshop-Format über mehrere Tage, und Design Thinking ist das Set an Methoden, die ich in einem solchen Workshop einsetzen kann, richtig?

Katharina Köth: Jein. Es ist sogar ein bisschen andersrum. Design Thinking war zuerst da, also bestimmt schon seit 10 Jahren sehr etabliert, aber seit 20 bis 30 Jahren hat sich das schon geformt, und der Sprint ist fast wie eine Art komprimierte Variante eines Design-Thinking-Prozesses, der ja auch locker mal sechs, acht Wochen, ein halbes Jahr oder sogar noch länger dauern kann. Der Sprint ist die radikale Effizienzoptimierung auf fünf Tage.

Dennis Horn: Das hat mir immer Schwierigkeiten gemacht, weil ich in diesen Sprints den Eindruck hatte, da muss jetzt erst einmal auf Masse nachgedacht werden, es müssen Ideen generiert werden, dann wird die Schere wieder geschlossen, und dabei bleiben lauter Sägespäne an guten Ideen liegen. Und ich hatte immer das Gefühl, dieser Workshop wird zu einem Freiflug, weil ich immer noch an die Idee von vor drei Schritten denken musste – und die eigentlich die bessere fand.

Katharina Köth: Das kann ich komplett teilen. Vielleicht auch noch einmal zur Einordnung für die Leute, die noch keinem Sprint beigewohnt haben: Es ist relativ hart durchstrukturiert, wie diese fünf Tage stattzufinden haben. Es beginnt an Tag eins mit dem Kennenlernen und der Definition des Problems. An Tag zwei sammelt man Ideen. Das ist das, wo du gerade schon deine Sägespäne findest. An Tag drei werden die Ideen geschärft. An Tag vier wird daraus ein Prototyp entwickelt. Und an Tag fünf wird mit idealerweise echten Nutzer:innen geprobt, ob das dann auch funktioniert. Das Phänomen, das du beschreibst, finde ich persönlich auch am faszinierendsten. Ich bin ja häufig als Dienstleisterin von extern in den Teams. Da muss man sich erst einmal kennenlernen, da muss man erst mal verstehen: Wie tickst du? Wie ticke ich? Welche Erwartungen haben wir an so ein Thema? Welche Vorerfahrung und welches Wissen bringen wir mit, um das Thema und das Problem ein bisschen abzustecken? Und dann, an Tag zwei, soll man direkt kreativ werden. Da soll man direkt schon Vertrauen aufgebaut haben, direkt schon ins Machen kommen und direkt schon eine Problemlösung finden. Da ist für mich schon ein Spannungspunkt drin. Habe ich nach einem halben Tag ein Problem überhaupt schon gut genug verstanden, um es lösen zu können? Und: Was du beschreibst, in sehr hart getakteten und getimeboxten Aktionen und Abläufen, die auch schon relativ klar sind, weil gerade im Sprint die Methoden noch strikter als im Design Thinking zugespitzt sind, bleibt nicht die Zeit, um darüber nachzudenken, weil man dann schon bei der nächsten Methode ist. Was ultimativ passiert: dass du an Tag zwei am Vormittag zum Beispiel ein Set aus 20 Ideen hast, von denen sind drei so, dass sie spannend sind und man sie weiterentwickeln möchte. Aber aus diesen drei Ideen kann schon am letzten Tag der Prototyp werden und – wie ich es manchmal auch in Wirtschaftsprojekten außerhalb der Medienbranche erlebe – ganze Innovationsinitiativen, die mehrere Jahre einnehmen. Dann frage ich mich schon: Wie viel Verantwortung und wie viel Verbindlichkeit kann in fünf Tagen „Wir schließen uns mal in einem Raum zusammen und denken über etwas nach“ tatsächlich liegen?

Dennis Horn: … für einen sechsstelligen Betrag, der da reingeht – wenn nicht siebenstellig. Wenn ich das richtig verstehe, kritisierst du bei diesen Methoden und Frameworks ein gewisses Schablonendenken.

Katharina Köth: Ich habe lange Zeit meiner Karriere in einer Kreativagentur gearbeitet, die interessanterweise genau das Gegenteil von einer Innovationsagentur ist, weil in der Kreativagentur sehr lange Raum geschaffen wird, um frei zu denken, um freizuspielen, um sich Räume zu schaffen und Dinge auszuprobieren. Und in diesen sehr schablonenhaften Vorgängen versucht man einfach, Ergebnisse zu reproduzieren. Das ist zum Teil auch gar nicht schlimm, weil viele Leute, die in den Workshops sitzen, haben vorher noch nie gemacht. So haben sie einmal die Möglichkeit, relativ strukturiert durch so einen Prozess durchgeführt zu werden.

Dennis Horn: Ich habe zumindest das Gefühl, dass viele Redaktionen damit überhaupt erst mal ins Arbeiten kommen, dass ihnen das einen gewissen Push gibt und sie dadurch kennenlernen, wie es auch geht.

Katharina Köth: Ja, da bin ich ganz bei dir. Das erlebe ich auch in einigen Redaktionen, mit denen ich Format-Workshops und Ähnliches gemacht habe: dass man überhaupt erst mal einen Rahmen schaffen kann, in dem man sich orientieren kann in dieser neuen, digitalen Welt. Was nur manchmal auf der Strecke bleibt, ist tatsächlich kreativ zu werden. Gerade, wenn man Teams hat, die das zum ersten Mal machen, sind diese Workshops total gut, um Leute in die Methode einzuführen, um diesen Denkbruch zu schaffen, um sie aus dem Alltag rauszuholen. Aber die Frage, die ich mir stelle: Wie hoch kann die Erwartung an ein umsetzbares Ergebnis daraus schon sein? Oder ist es nicht einfach eine Art Vorkosten, wie der große Prozess sein könnte?

Dennis Horn: Das heißt, man wendet es an, um sich im nächsten Schritt anderen Methoden zu widmen, um weiterzukommen. Und solche Modelle können immer nur ein Baustein sein, den ich mir als Methode für einen Moment auswähle, wo sie passen. Aber sie sind nicht der Schlüssel für alles.

Katharina Köth: Genau. Was auf der Strecke bleibt, gerade wenn Leute diese Abläufe sehr schablonenhaft vorgelebt bekommen, ist der Blick hinter die Kulissen – und wozu diese Methoden eigentlich da sind. Ein Großteil meiner Kritik geht immer dahin, dass die Leute nicht befähigt werden, zu verstehen, was da eigentlich gerade passiert, um dann daraus Ableitungen für sich selbst zu ziehen. Sondern sie verharren in diesem: „Das ist der 5-Tage-Sprint. So geht das, so macht man das.“ Aber das passt ja auch nicht in jede Kultur und in jedes Team und in jede Aufgabenstellung. Ihnen fehlen dadurch, dass es so strikt ist, die Möglichkeiten und Spielräume, sich einfach ein bisschen auszutoben und mehr zu erschließen. Um kurz bei den kreativen Prozessen zu bleiben: Jeder Mensch denkt anders kreativ. Ich bin zum Beispiel jemand, der sehr abstrakt ist und sehr textlich denkt. Mir fällt es sehr leicht, einen Gedanken, den ich habe, in ein Wort zu fassen oder in eine Wortgruppe. Was mir fast gar nicht gelingt, auch mit Übung – und ich habe da einige Trainings zu gemacht – sind Scribbles. Ich kann einfach nicht gut visuell denken. Mir fällt es sehr, sehr schwer, einen Gedanken selbst in ein schlechtes Scribble zu packen. Ich habe sieben Jahre lang auch für Mercedes-Benz gearbeitet, und ich kann immer noch kein Scribble von einem Mercedes machen. Aber ich glaube auch da: Es gibt einen ganzen Prozess, wie Leute herausfinden können, unter welchen Fragestellungen, unter welchen Herangehensweisen sie kreativ sind und sie viele neue Gedanken haben. Es gibt Leute, die funktionieren gut in einem Pingpong. Es gibt Leute, die müssen erst ganz viel Informationen in sich reinsaugen, drei Nächte drüber schlafen und kommen dann mit den Ideen raus. Und indem man die Menschen immer wieder in diesen gleichen Prozess steckt, versagt man ihnen, richtig gut darin werden zu können und für sich Methoden und Herangehensweisen zu finden, die für sie auch besser oder schlechter funktionieren.

Dennis Horn: Woher kommt das eigentlich, dass dieser Prozess des Design Thinkings, oder in der radikalen Kurzform des Sprints, jetzt so durchschlagend ist? Ist das ein Hype? Wird so viel Geld dafür ausgegeben, dass man sich nicht traut, zuzugeben, dass man es zum Teil versenkt? Ich komme ja ein bisschen rum, und ich sehe es im Moment überall. Alles, was an neuen digitalen Produkten entwickelt wird, in allen möglichen Redaktionen – Sprint, Personas. Warum zieht sich das so durch, diese eine Lösung?

Katharina Köth: Wenn ich es ganz spitz mache: Der Sprint ist ein Produkt, das ideal für den Einkauf entwickelt wurde. Teams haben Vorgaben, innovativ zu sein, bestimmte Dinge zu machen. So ein Sprint dauert fünf Tage. Das kann man sehr gut kalkulieren. Und am Schluss hast du sogar noch einen Prototyp, den du rumzeigen kannst. Ich glaube, so wie das Produkt definiert und geschnitten ist, ist es einfach zu verführerisch, um es nicht zu nutzen.

Dennis Horn: Diese Antwort wurde Ihnen präsentiert von der Beschaffung.

Katharina Köth: Genau. (lacht) Aber es ist natürlich ein spannender Aspekt: Wer profitiert davon? Warum ist es ein Prozess, der sich so durchsetzt? Und – um ein bisschen die Polemik rauszunehmen – es hat natürlich auch ganz viel mit Sicherheit zu tun. Einen bestimmten Betrag auszugeben, und dann hat man im schlimmsten Fall fünf Tage versenkt, weil nichts Gutes bei rausgekommen ist. Aber man hat sich wenigstens mit dem Thema beschäftigt. Man hat einen neuen Arbeitsprozess etabliert, und dann ist trotzdem was dabei rumgekommen. Aus meiner Perspektive ist es schon sehr schwer, da wieder rauszukommen, als jemand, der das schon seit 14, 15 Jahren macht – und nicht gerade zum ersten Mal.

Dennis Horn: Wir wollen uns noch mal der Nutzer:innenzentrierung zuwenden. Ich finde noch eine These von dir interessant: dass diese Methoden und Frameworks zwar für die Nutzer:innenorientierung angewendet werden – die aber nicht gelebt wird. Was meinst du damit?

Katharina Köth: Ich habe ja schon gesagt, dass diese Nutzer:innenzentrierung für mich fast eine Art von Selbstverständnis ist. Seitdem ich arbeite – und schon im Studium – wurde mir immer beigebracht, dass Marken und Menschen, sozusagen Autoren und Rezipienten, eine Einheit bilden. Und dass immer jeder Erfolg an einer Form von Dialog hängt. Das ist ein Grundverständnis. Und das war noch, bevor es das iPhone gab – so alt bin ich dann auch schon. Und jetzt werden diese Werte wie Agilität, Nutzer.innenzentrierung und so weiter häufig in Strategiehefte geschrieben, in Zielbeschreibungen und Visionen, aber den Menschen dadurch auch ein bisschen übergestülpt, sowohl den Redakteurinnen und Redakteuren, als auch den Teams, die die Innovationsteams leiten. Was auch vollkommen okay ist – da die auch meistens schon an einem Punkt sind, dass es ein Selbstverständnis ist. Interessanterweise erlebe ich aber an vielen Stellen, dass diese Nutzer:innenzentrierung immer Endkonsumenten-gewandt ist und nicht nach innen gerichtet. Man versucht nicht, einen Workshop zu planen, der besser aufgreift, dass Kolleginnen und Kollegen noch keine Erfahrung mit Kreativprozessen haben, sondern sagt einfach: Du machst das jetzt so. Man versucht bei der Endkonsumenten-Nutzerzentrierung ja immer wieder, sich in die Person reinzuversetzen: Was sind die Ängste? Was sind die Motivationen? Warum macht jemand was? Nach innen machen wir das aber nicht so häufig. Das ist ein Punkt, den ich häufig beobachte: dass diese Nutzer:innenzentrierung sehr, sehr, sehr spitz gelebt wird auf die Endkonsumenten, auf „Was wollen die jetzt?“ – und die bekommen dann auch genau das. Aber nach innen wird sie fast nicht mehr ausgeübt – oder es wird fast vergessen, dass man auch mit den gleichen Prinzipien an die Kolleginnen herantreten könnte.

Dennis Horn: Das ist interessant. Eigentlich reden wir da doch über interne Kommunikation, oder?

Katharina Köth: Ja, ich glaube, jeder nutzerzentrierte Prozess ist eigentlich nur ein Dialog, und ein Zuhören und wirklich versuchen, zu verstehen, welche Hürden es da gibt. Natürlich ist nicht jeder Konflikt dadurch lösbar. Das will ich damit gar nicht behaupten. Aber ich glaube, es würde noch einmal andere Zugänge schaffen, gerade von denen, die sich auf die Fahne schreiben, so empathisch miteinander zu sein.

Dennis Horn: Wir betrachten also nicht mehr nur das Publikum als Nutzerinnen, Nutzer, sondern wir sagen: Auch die andere Abteilung, auch die Kolleg:innen, die Stakeholder werden zu Nutzerinnen und Nutzern von dem, was ich so mache, intern. Das finde ich schon mal den den ersten neuen Blickwinkel. Der andere neue Blickwinkel ist, dass du sagst, das muss im Dialog geschehen. Wir haben gerade zwar Methoden und Schablonen gegeißelt. Aber ich habe ja schon gesagt, die können auch ein gutes Mittel sein, überhaupt erst mal ins Arbeiten zu kommen und sich auf diesen Weg zu begeben. Wenn du jetzt sagst, statt dieser punktuellen und schablonenhaften Nutzer:innenorientierung müsste man immer im Gespräch miteinander bleiben mit den Menschen intern: Wie mache ich das denn? Was sind denn die Methoden dafür? Wenn ich keine Personas erstelle – was intern ja besonders leicht fällt, weil man die Leute ja tatsächlich kennt – was heißt Dialog? Wie setzt man das um – praktisch?

Katharina Köth: Ich glaube, ein großes strukturelles Problem – das sich jetzt auch nicht durch unseren Podcast lösen lässt – ist, dass zu viel Verantwortung in der Nutzer:innenzentrierung auf Redakteur:innen gelegt wird. Ich glaube fast, dass es einfacher wäre und auch vielleicht zielführender – die New York Times arbeitet zum Beispiel so – dass es UX-Designer für jedes Redaktionsteam gibt, die immer wieder auch für diese Perspektive sorgen.

Dennis Horn: Kannst du kurz erklären, was das heißt, UX-Designer?

Katharina Köth: „UX-Designer“ ist quasi die personifizierte Nutzerzentrierung. Das ist der Jobbegriff, der sich in der Digitalwirtschaft daraus ableitet. Früher war das der Informationsarchitekt oder der Digitalkonzepter, die Digitalkonzepterin. Die Aufgabe ist tatsächlich, Konzepte zu entwickeln, die die Nutzerperspektive berücksichtigen, aber natürlich auch die Marken und die Markenbedürfnisse, und das in den Ausgleich zu bringen und daraus Konzepte, Wireframes für Apps für Websites, für alles Mögliche zu entwickeln.

Dennis Horn: Ich versuche es jetzt mal grob zu beschreiben: Wenn das in die Hand der Redakteurinnen und Redakteure gelegt wird, dann haben die wenig Zeit dafür, weil sie ja eigentlich noch einen inhaltlichen Job haben.

Katharina Köth: Genau.

Dennis Horn: Die können sich dann einmal im Jahr einen Sprint leisten und da Nutzer:innenzentrierung machen, und den Rest des Jahres muss das aber laufen, damit sie eben auch die Inhalte machen können. Und ein UX-Designer im Team stellt sicher, dass eine Nutzer:innenorientierung eben dauerhaft stattfindet, richtig?

Katharina Köth: Genau. Er würde auch die funktionalen Überlegungen übernehmen. Es gibt da auch noch UX-Strategists und UX-Researcher und so, aber ich würde es einmal kurz auf diesen Designbegriff fokussieren, damit wir da nicht noch in die Branche ausbrechen. Aber das wäre dann jemand, der oder die sich darum kümmert, zu überlegen: Welcher Kanal ist überhaupt richtig? Passt die Erzählweise zu einer bestimmten Rezeptionsart? Gerade, wenn wir über Querverwertung von Formaten sprechen: Wenn wir einen Podcast haben und den Kanal auf YouTube ausspielen wollen, wie müsste der dann anders anmoderiert, angeschnitten werden, damit das besser in ein digitales Mediennutzungsverhalten passt, weil der Inhalt vielleicht sowohl für Podcasts auf Apple als auch auf YouTube interessant ist? Und so weiter. Da gibt es ja viele – auch aus der Medienproduktion heraus – Überlegungen, die überhaupt nicht inhaltlicher Natur sind. Und das ist vielleicht auch noch mal ein interessanter Aspekt an der Nutzer:innenzentrierung: Es geht nicht mehr um das Publikum, sondern um jemanden, der oder die etwas verwendet. Es geht plötzlich um ein Ziel. Das wäre jemand, der diese Perspektive im Blick behält und auch im Kontext von medienrezeptiven Entwicklungen anpasst, ins Team trägt und sich gegebenenfalls auch wirklich damit auseinandersetzt, welche Interessen, welche Themen es gibt, Social-Media-Listening betreibt und so weiter.

Dennis Horn: Wir sprechen hier also nicht über einen echten Dialog, sondern wir sprechen darüber, dass das, was in so einem Sprint oder bei der Entwicklung von Personas punktuell geschieht – und auf einer Datenbasis, die auch manchmal schnell zusammengeklaubt ist, damit man das machen kann -, sondern du sprichst über eine Verstetigung dessen?

Katharina Köth: Genau. Und um ein respektvolles Grundverständnis dieser Personen. Wenn ich Dinge wie eine Startseite konzipiere, führe ich tatsächlich fast eher einen Dialog mit mir selbst: „Hey, Zielgruppe xy! Schön, dass du da bist! Hier, das habe ich dir anzubieten.“ So gehe ich in meinen Konzeptionsprozessen für wirklich digitale „Gefäßprodukte“ tatsächlich vor.

Dennis Horn: Da beginnst du, mit dir selbst zu sprechen?

Katharina Köth: Ja, aber schon auch unter Berücksichtigung dessen, was ich über die Zielgruppe weiß, in welchen Tonalitäten sie spricht. Das zeigt auch gleichzeitig wieder die Grenzen auf, weil es natürlich Personengruppen oder Bereiche gibt, in denen ich mich nicht wohlfühle oder nicht gut auskenne. Und dann merkt man wieder: Wie gut kann eine einzelne Person sein, die aus bestimmten Lebensverhältnissen kommt?

Dennis Horn: Jetzt notiere ich mir: Wir brauchen UX-Designer im Team.

Katharina Köth: Ja, schön, oder?

Dennis Horn: Wenn der dann sagt, so muss die Ansprechhaltung bei YouTube sein und darauf musst du in den ersten drei Sekunden deines Facebook-Videos achten und das hier ist wichtig für die Hashtags bei TikTok …

Katharina Köth: … und dann noch SEO.

Dennis Horn: Ja! Das ist doch dann trotzdem Wissen, das die Redakteurinnen und Redakteure im Doing auch brauchen, oder? Ist diese Person oder diese Rolle dann auch dafür zuständig, die Redaktion zu schulen? Oder wie trennt sich das ab?

Katharina Köth: Genau. Idealerweise, wäre diese Personen einfach Teil des Teams – gleichberechtigt – um schon Einfluss nehmen zu können und gehört zu werden, wenn man sich Themen überlegt. Das kann natürlich mit Blick auf den Konflikt zwischen Autoren-Brille und Nutzer:innen-Brille auch wieder zu einem Ungleichgewicht führen, das ist auf jeden Fall klar. Ich frage mich immer: Ist es tatsächlich machbar, alle Redakteurinnen und Redakteure auf Nutzer:innenzentriertheit zu schulen? Was ist mit Menschen, die sich dafür einfach nicht interessieren, die einfach nur das erzählen, was sie wollen? Das gibt es ja auch immer.

Dennis Horn: Irgendwer hat mich mal gefragt, warum ich Radio mache. Ich habe dann geantwortet, dass ich Radio für ein super Medium halten würde – wenn das Publikum nicht wäre. Ich habe das immer gemacht, weil ich im Kopf die perfekten Vorstellung einer Radiosendung hatte. Und der wollte ich immer nur möglichst nahe kommen. Das war also eher so ein künstlerisches Ding. Menschen, die nicht nutzer:innenzentriert arbeiten wollen – hätten die dann noch eine Perspektive in der Medienlandschaft, wenn UX-Designer dazu kommen?

Katharina Köth: Mein Eindruck ist – und ich weiß nicht, ob du den teilst – in den Medienhäusern, mit denen ich in den letzten sieben Jahren gearbeitet habe … Ich will jetzt nicht sagen, das erledigt sich von selbst. Aber die meisten Personen, die ich kennengelernt habe, aus den jüngeren Generationen, leben das total, weil für sie die Medienrealität halt auch einfach so ist, wie sie ist. Ich würde sagen, die stellen sich diese Frage einfach gar nicht mehr. Die Kategorien, in denen wir hier sprechen: Hat das noch eine Perspektive oder nicht? Müssen wir den Leuten das noch beibringen?

Dennis Horn: Diese Frage wird dann einfach obsolet.

Katharina Köth: Ja. Die Frage ist eher: Wie schaffen wir es in den Redaktionen, die noch nicht so stark danach leben oder die sehr, sehr dicht und sehr eng sind, diese Gedanken reinzubringen? Ohne da ein konkretes Projekt im Hinterkopf zu haben: Ich denke auch außerhalb meiner Arbeitszeit über diese Fragen nach, und ein großes Thema für mich – gerade bei den Öffentlich-Rechtlichen – ist das Kulturthema: Was ist überhaupt Kultur? Für wen ist Kultur gemacht? Öffentlich-rechtliche Kultur – ist das Hochkultur? Oder darf da auch Pop mit rein? Oder auch Gesellschaftsthemen, so wie das Deutschlandfunk Kultur macht? Darf da Pop gespielt werden, oder muss es immer eine große Sinfonie sein? Sich allein schon diese Fragen zu stellen, zu überlegen: Welche Typen von Kulturinteressierten gibt es überhaupt? Wen von den Menschen möchte man bedienen oder auch nicht? Das ist schon eine Frage, die sehr wohltuend wirken kann. Gar nicht nur, um zu sagen, ihr müsst jetzt anders arbeiten. Sondern auch, um zu sagen: Guckt mal, welche Möglichkeiten es noch gibt, für die wir gerade noch gar kein Angebot haben.

Dennis Horn: Ich finde einen ganz wichtigen Punkt, wenn wir über Innovation in Medienhäusern sprechen, die Frage: Wie kommuniziert man das? Ich würde mit dir gerne auch über diesen Punkt einmal sprechen, über die Kommunikation für Innovationsthemen. Vielleicht bringe ich erst einmal meine Erfahrung da rein.

Katharina Köth: Sehr gerne.

Dennis Horn: Ich habe in der Kommunikation als Teil des WDR Innovation Hub auch viel zu der Frage gelernt: Wie kommunizieren wir das intern in die Anstalt? Das ist deswegen interessant, weil Journalistinnen und Journalisten eine Sorte von Mensch sind, die auf bestimmte Begriffe sehr schnell allergisch reagieren – und zwar immer dann, wenn es zu businesskasperhaft wird oder es englische Begriffe sind. Und die Innovationslandschaft ist eine, die in beidem sehr gut ist. Begriffe wie „agil“, vielleicht auch schon ansatzweise Begriffe wie „Nutzer:innenorientierung“, Begriffe wie „Sprint“, „Scrum“, „Design Thinking“, aber auch Begriffe für Trendthemen – da kann man bei Journalistinnen und Journalisten sehr schnell auf Glatteis laufen. Wir haben gelernt, dass wir sehr viel übersetzen und an den Begriffen arbeiten müssen. Wir haben gerade einen Zukunftsreport zu künstlich erzeugten Medien rausgegeben. Der Innovationsbegriff dafür, unter dem auch die gesamte Debatte läuft,lautet „Synthetic Media“. Und wir haben uns nicht getraut, diesen Begriff zu nutzen, weil wir den Zugang zu den Leuten auch im Haus haben möchten. Also nennen wir das Ding jetzt „Synthetische Medien“. Wenn du aber danach googlest, findest du es nicht.

Katharina Köth: Aber euch findet man hoffentlich!

Dennis Horn: Ja, jetzt ja. Aber ich finde an diesem Beispiel ganz interessant, wie sehr wir über Übersetzungsleistungen und Kommunikation sprechen müssen. Im Grunde machen wir da schon das, was du gerade als Nutzer:innenorientierung nach innen beschreibst. Aber mich würden noch mal auch konkret deine Gedanken zum Thema interessieren: Wie kommuniziert man Innovation?

Katharina Köth: Gute Frage. Es ist schwierig. Auch genau aus den Gründen, die du nennst: Gerade im Medienkontext hast du schnell Reaktanzen auf die englischen Begriffe – generell auch auf Dinge, die aus Amerika kommen. Da steckt eine gewisse Amerikakritik drin: Da kommt etwas aus dem Silicon Valley, das wird uns übergestülpt. Ich glaube, das bekommt man aus den Leuten nicht raus. Sie hatten jetzt 20 Jahre lang die Chance, das Digitale zu akzeptieren und zu sagen, dass das Internet bleibt – und nicht, dass es wieder weg geht. Jetzt kommen halt andere Methoden, die mit einer viel stärkeren Wirtschaftskraft einfach reingedrückt werden. Und ich verstehe, dass das dazu führt. Was ich immer versuche – sowohl in einem Uni-Kurs, den ich gebe, als auch, wenn ich in Firmen bin – ist, einfach nochmal herzuleiten, wie wir da hingekommen sind, also einfach die Entwicklung der Massenkommunikation aufzuzeigen. Ich versuche, den Leuten das schlechte Gewissen und die Scham zu nehmen, die sie vielleicht entwickelt haben, weil sie wissen, dass sie die letzten fünf Jahre blockiert haben und deswegen jetzt nicht da sind, wo sie sein könnten. Das beginnt auch manchmal einfach mit der Akzeptanz, dass in den Tausenden Jahren der Menschheitshochkulturgeschichte, die wir haben, wir mit dem Radio gerade erst mal seit 100 Jahren eine Echtzeit-Massenkommunikation haben. Im großen Bild betrachtet ist das für uns Menschen natürlich auch eine riesige Herausforderung, damit umzugehen. Dass wir gleichzeitig eine Wirtschaftsentwicklung haben, die eine Individualisierung von Massengütern ermöglicht – und dann noch das Internet kam und das auch noch mal eine individuelle Massenkommunikation ermöglicht, die auch noch gleichzeitig stattfindet, auf der ganzen Welt, komplett entgrenzt. Ich versuche, den Leuten damit auch immer ein bisschen die Angst aus der „Verhinderer-Rolle“ rauszunehmen, die sie hatten oder einnehmen können. Aber um das noch einmal einzuordnen: In der gesamten Menschheitsgeschichte sind wir jetzt gerade in diesem halben Millimeter. Ein ganz, ganz, ganz kleiner Zeitpunkt, einen Husten in der Menschheitsgeschichte haben wir das jetzt – und wir haben jetzt die Chance, diesen Raum, diese neue parallele Realität, die wir haben, mitzugestalten. Ich versuche, sie auch so ein bisschen in den Wissenssprung mitzunehmen, den sie vielleicht nicht gemacht haben. Denn ich glaube schon, dass wir auch mit den ganzen englischen Diskursen häufig dazu neigen, an einem Diskurs international teilgenommen zu haben – und dann unsere Erkenntnisse direkt auf die Menschen zu übertragen und sie damit fast schon zu erschlagen, weil sie selbst daran gar nicht teilgenommen haben. Aber für uns war es ein Denkprozess, der zwei, drei Jahre läuft – und ich glaube, dass es sinnvoll ist, wieder Druck rauszunehmen, auch Erwartungsdruck rauszunehmen. Das steckt ja auch in diesen Sprints: In fünf Tagen muss was rauskommen. Und du setzt immer wieder Menschen in eine Situation, in der sie auch scheitern können.

Dennis Horn: Du plädierst also dafür, sich selbst mal die Position bewusst zu machen, in der man ist, in der gerade Innovationshandwerkerinnen und -handwerker sind, die ja eigentlich sagen könnten: Ich sage euch das seit zehn Jahren.

Katharina Köth: Genau. Und das passiert ja auch.

Dennis Horn: Absolut. Und das ist kontraproduktiv, denn sie waren einfach immer sehr viel weiter in der Debatte, in der Normalos gar nicht stecken. Ich fand gerade die Figur interessant, die du gezeichnet hast: einer Person, die sich der Tatsache bewusst wird, dass sie in den vergangenen Jahren die Verhinderer-Position eingenommen hat, die jetzt mit einer gewissen Scham darauf blickt. Im Grunde sprechen wir gerade über Psychologie. Wie nimmt man diese Leute dann noch weiter mit auf dem Weg?

Katharina Köth: Das heißt natürlich nicht, dass jede Person so ist. Aber gerade im letzten Jahr, wo alle remote gearbeitet haben, man dann plötzlich in Miro unterwegs war … Ich war in digitalen Workshops, in denen dann auch zum Teil Führungskräfte waren, die sich mit einem Miro-Board einfach nicht wohlgefühlt haben, die damit nicht gut umgehen konnten, die immer daneben geklickt haben, wenn sie ein Post-it schreiben wollten. Da merkst du, dass es eine riesige Hürde ist, im Umgang mit dem Medium. Vielleicht wollen sie gar nicht wirklich nur Fernsehen oder Radio machen. Vielleicht trauen sie sich auch einfach nicht, sich einzugestehen, dass da gerade ganz viel fehlt. Da können wir offen reingehen, die Tür aufmachen, es in einem Workshop auch direkt einplanen: Wir machen jetzt erst mal fünf Minuten Orientierung in dem Tool; ich zeige euch, wie alles funktioniert; hier sind zwei, drei Beispielaufgaben. So setzten wir das den Leuten nicht vor und sagen, du musst das jetzt können. Das sind dann die Feinheiten, mit denen man auch da in einen Dialog miteinander kommt, die Leute mitnimmt und ein bisschen heranführt. Meine Grundeinstellung mit den Menschen ist schon eine sehr positive. Ich glaube, eigentlich wollen wir alle einen guten Job machen, gut durch unser Leben kommen und ein guter Mensch sein. Ein paar Menschen vielleicht nicht. Aber manchmal kommen im Leben halt auch Dinge und Blockaden, die einen daran hindern. Und dann muss man versuchen, diese Blockaden zu überwinden.

Dennis Horn: Mir fällt gerade ein, was wir im WDR Innovation Hub noch machen: Wenn wir kommunizieren, achten wir in unserer Bildauswahl darauf, dass wir nicht die Serverräume oder die Geräte zeigen. Sondern wir zeigen menschliche Situationen, in denen die Geräte auch eine Rolle spielen. Das sind Nuancen, aber darauf achten wir, um Innovation anschlussfähig zu machen. Lass uns das, was wir über die Nutzer:innenorientierung besprochen haben, mal wieder von innen auf außen übertragen. Wenn wir sie jetzt als Gespräch verstehen, Empathie einsetzen, zuhören, einen UX-Designer im Team haben, dann schaffen wir das intern, aber extern genauso, weil uns eine solche dauerhafte Betrachtung dann einfach hilft. Aber ich würde gerne doch noch mal über das Modell der Personas mit dir sprechen. Was ist eigentlich da das Zukunftsfähige? Im Grunde zeichnen wir da ein Klischeebild. Aber eine UX-Designerin, ein UX-Designer kann ja nicht nur auf diese einzelnen Personas setzen. Was ist da das Gegenmodell?

Katharina Köth: Man muss für die Persona und diese Sprint-Prozesse verstehen, dass sie eigentlich Präsentations- und Kommunikationstools sind. Sie sind dazu da, Leute an etwas heranzuführen, vielleicht auch einer Führungskraft eine Möglichkeit zu bieten, sich in eine Situation hineinzufühlen, die sie so noch nicht kannte. UX-Designer und -Researcher entwickeln gerade eigentlich eine ganz neue Ebene an Tools und Methoden, mit denen sie versuchen, noch einmal in die Tiefe zu gehen. Wenn du versuchst, zu hinterfragen, wie Wissen entsteht – dann sammelst du erst Wissen, dann entwickeln sich Muster, die Muster abstrahierst du, und dann kannst du sie kommunizieren. Mit Personas und Sprints befindest du dich aber eigentlich nur auf diesen oberflächlichen Ebenen zwischen Kommunikation und Abstraktion. Die Frage ist aber: Wie kommst du an das Wissen, um das so zuspitzen zu können? In den Workshops greifen wir einfach auf unser Erfahrungswissen zurück. Das hilft uns aber nicht, um neue Dinge zu erschließen oder unsere blinden Flecken zu übersetzen. Aktuell entwickelt sich etwas, wovon ich großer Fan bin, und ich stecke gerade auch darin, das verreglementieren und reproduzierbar zu machen, nämlich mehr in Spektren zu denken. Das ist auch nicht überraschend, wenn wir gucken, wohin sich unsere Gesellschaft entwickelt, mit Gender Fluidity, also der Aufhebung von Geschlechterrollen, oder Black Lives Matter im vergangenen Jahr. Der Anspruch von Menschen wächst, nicht mehr nur in einer gewissen Rolle gesehen zu werden. Das passiert natürlich bei den Personas schnell, weil wir Menschen als ihre Rollen begreifen. Was wir jetzt viel häufiger versuchen, sind Spektren aus Interessen, Motivationen, Erwartungen, Erfahrung aufzuziehen, um daraus eine Art Spannungsfeld abzustecken, in dem sich eine potenzielle Zielgruppe befindet. Um das einmal konkret zu machen: Ich habe im vergangenen Jahr für eine Stiftung gearbeitet, die einem Promi gehört. Da war die Frage: Wie gelingt es uns, Zielgruppen zu erschließen, die nicht nur Fans sind? Was wir angelegt haben, habe ich damals „Motivationspektrum“: Aus welchen Gründen spenden Menschen? Sind sie egoistisch oder altruistisch? Spenden sie für einen Zweck oder für eine konkrete Stiftung oder ein Anliegen? Sind sie selbst betroffen von dem Stiftungszweck oder nicht? Daraus ergeben sich unterschiedliche Pole. Und dann haben uns gefragt: Wie setzen in diesem Spektrum die Fans ab? Dann hat man eine Grundlinie, an der man ablesen kann, welche Potenziale sich ergeben. Wir werden zum Beispiel keine Spender:innen gewinnen, die diese Person und diese Personality-Marke nicht mögen, da müssen wir gar nicht erst anfangen, weil wir auch den Gründer nicht aus der Stiftung rausschneiden wollen. Aber daraus ergibt sich ein ganz neuer Rahmen: Aus welchen Gründen könnten sich Menschen für unser Anliegen und für unser Versprechen interessieren? Wo erreichen wir sie? Welche Themen interessieren sie? Was treibt sie um? Wir fragen uns nicht mehr: Ist das jetzt eine bestimmte soziodemografische Eigenschaft? Sondern: Welches Mindset ist das, welche Haltung gegenüber einem Thema? Ich sehe darin gerade wahnsinnig viel Potenzial. Es gibt noch ein zweites Beispiel, das Microsoft vor einigen Jahren in seinem Inclusion Guide vorgestellt hat. Da geht es darum, wie man auch Beeinträchtigungen und Behinderungen einfach als Spektrum begreifen kann. Darauf gibt es situative, temporäre und dauerhafte Beeinträchtigungen. Und so kommt man dann an den Punkt, zu überlegen: Was für Situationen kann es mit meinem Produkt geben? Ich glaube, auch für Medienhäuser ist immer die große Frage: Investieren wir in Untertitel oder nicht? Die Menschengruppe, die Untertitel braucht, ist relativ klein – wollen wir das Geld dafür wirklich ausgeben? Das ist an manchen Stellen ja auch eine sehr ökonomische Frage. Gleichzeitig gibt es diese Situation: Ich habe meine Kopfhörer nicht an und bin auf Instagram und gucke ein Video. Also lohnen sich auch Untertitel. Auch da ist es der Versuch, aufrichtig und respektvoll mit den Menschen und den unterschiedlichen Situationen umzugehen, in denen sie sich befinden, und da mehr Varianz zuzulassen.

Dennis Horn: Ich stelle mir vor, dass jemand, der für die Nutzer:innenorientierung zuständig ist, die Spektren möglich macht, weil er eine ständig verfügbare gute Datenbasis hat und zuhört und darauf achtet, all das zur Verfügung stehende Wissen zusammenzutragen. Und die Personas kommen dann ins Spiel, wenn er dieses Spektrum möglicherweise jemandem kommunizieren muss, der sich das so besser vorstellen kann.

Katharina Köth: Genau. Idealerweise würdest du in einem Zwischenschritt aus dem Spektrum erst mal Segmente ableiten, die sich vielleicht ein bisschen gröber clustern und gruppieren lassen, nach gemeinsamen Eigenschaften. Und dann kannst du es nochmal ganz kommunizierbar machen, in eine Persona übertragen, die dann wirklich so lebendig wird, dass du sie fast filmen kannst.

Dennis Horn: Wie visualisiert man das Spektrum? Mit Listen, Wortwolken – solchen Dingen?

Katharina Köth: Ich arbeite tatsächlich mit Polaritätsskalen, ganz einfach.

Dennis Horn: Also wie das Links-Rechts-Spektrum aus der Politik?

Katharina Köth: Genau. Oder manchmal Radialdiagramme, so dass man sieht, wie bestimmte Dinge ausgeprägt sind. Aber ich will eigentlich nicht die Wertung drin haben, die in Ausprägungen steckt, also: wenig ausgeprägt, stark ausgeprägt – darum geht es mir nicht. Das soll einfach nur sagen: Das ist eine Zielgruppe, die sich ergibt. Ob das jetzt gut ist, dass sie super digitalaffin ist oder eben nicht – das ist überhaupt nicht Teil der Frage.

(Hinweis: Ich habe das Gespräch aus dem Podcast zur besseren Lesbarkeit leicht geglättet.)


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Katharina Köth arbeitet als Experience Director. Mit ihr spreche ich über UX Design, Kommunikation von Innovation und die Kritik an Design Thinking, Sprints und Personas.

Design Thinking, Sprints und Personas – all das sind Mittel, mit denen Medienhäuser gerade versuchen, sich an ihren Nutzer:innen zu orientieren. Tatsächlich entstehen darüber reihenweise neue Ideen. Redaktionen kommen ins Arbeiten und lernen neue Methoden, die sie nach vorne bringen.

Aber wie viel sind diese Schritte wert, wenn sie nur einmal geschehen? Wenn die Beteiligten im Anschluss in die Redaktion zurückkehren und es dann doch wieder recht bauchgefühlig zur Sache geht – und Nutzer:innenorientierung nur punktuell, aber nicht als Prozess geschieht?

Katharina Köth hat viele Jahre für Jung von Matt gearbeitet und dort Kunden wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung, aber auch Mercedes-Benz, 1&1 und Roland Berger bei der Entwicklung und Gestaltung komplexer Plattformen und Produkte betreut. Mittlerweile ist sie selbstständig, arbeitet als Experience Director und hat das Unternehmen Creative Complexity gegründet.

Ihre Perspektive ist eine andere als die vieler Menschen, die bisher zu Gast im Innovationstheater waren, nämlich keine einer Journalistin, sondern die einer Dienstleisterin. Ihre Arbeit war damit schon immer nutzer:innenorientiert – ein Dialog mit ihrer eigenen Zielgruppe.

Das Gespräch mit Katharina Köth in Textform

Dennis Horn: Wir haben uns vor ein paar Wochen in einem Gespräch über Nutzer:innenorientierung verloren – und darüber, wie Medienhäuser sie heute leben. Ich möchte nicht sagen, wir haben gelästert, aber wir haben ein paar so Phänomene kritisch betrachtet, nicht wahr?

Katharina Köth: Das kann man so sagen, ja. Lästern … kann man auch schon sagen. Wir sind ja hier unter uns Medienmacher:innen.

Dennis Horn: Absolut, wir sind unter uns. Auf jeden Fall war es der Zünder dafür, dass ich dich unbedingt in diesem Podcast dabei haben wollte, denn ich würde mit dir gern die Nutzer:innenorientierung noch etwas näher ausleuchten – diesen Begriff vielleicht auch noch etwas weiten, um ihn für Innovation nutzbarer zu machen. Bevor wir damit anfangen, möchte ich mit dir erst mal klären, wie Nutzer:innenorientierung in Medienhäusern zurzeit gelebt wird – wenn sie gelebt wird. Ich hatte Dirk von Gehlen ja in der letzten Ausgabe hier im Innovationstheater zu Gast. Der hat mir ins Heft geschrieben, dass Innovation in vielen Häusern schon Thema ist, dass viele Redaktionen da ihre Schritte gehen. Das ist auch meine Wahrnehmung. Da kommen Dinge zum Zug wie Personas, Design Thinking, Sprints. Ich glaube nicht, dass diese Begriffe völlig unbekannt sind. Aber ich bin mir auch nicht sicher, wie viele Menschen, die diesen Podcast hören, diese Dinge schon einmal durchlaufen und erlebt haben. Also lass uns doch bitte erst einmal diese Begriffe klären: Personas, Sprints, Design Thinking – auf welchen hast du zuerst Lust?

Katharina Köth: Eigentlich fast „Nutzer:innenzentrierung“ …

Dennis Horn: Oh. Ja, dann bitte, dann fangen wir damit an.

Katharina Köth: Ich glaube, dass der Begriff „Nutzer:innenzentrierung“ ja schon bei vielen so ein Trendbegriff ist, ein Hype, von dem sie schon gehört haben, mit dem sie vielleicht auch Design Thinking, Personas und so weiter verbinden, aber von dem sie vielleicht auch gar nicht wissen, was es eigentlich genau ist und was damit gemeint ist. So, wie ich es erlebe und in meine Arbeit einfließen lasse, ist es einfach ein Selbstverständnis, ein Blickwechsel, der die digitale Antwort ist auf das, was früher in Kommunikationsagenturen und Medienhäusern gelebt wurde, nämlich der Gegensatz zur Autorenschaft, der Wahrnehmung, dass der Redakteur, die Redakteurin der Kreativdirektor – wer auch immer – die Person ist, die weiß, was die Menschen da draußen wollen; die weiß, was die Personen bekommen sollten. Durch die Digitalisierung und die Fragmentierung von Kanälen und so weiter verlieren wir immer mehr Menschen, weil wir es halt vielleicht auch nicht wissen. Und weil wir uns nicht auf die Menschen einlassen. Insofern hat sich da eine Art Gegenschule zu dem Autoren- und Geniekult gebildet, die wiederum fast auch kultisch Nutzerinnen und Konsumentinnen in den Mittelpunkt stellt.

Dennis Horn: Es war nur vorgeblich so, dass die auch immer wirklich alles über ihr Publikum gewusst haben. Das kann ja auch gar nicht sein.

Katharina Köth: Genau. Wenn man nicht fragt, dann weiß man es nicht.

Dennis Horn: Und jetzt geht das Pendel in die andere Richtung. Wir werten aus – alles, was wir haben. Oder fragen, fragen, fragen. Und da ist dann auch wieder so eine überzogene Nummer draus geworden.

Katharina Köth: Genau, und die spiegelt sich in den Formaten, die du gerade genannt hast. Einerseits in der Methode der Personas. Das heißt, entweder leiten wir aus Research – das können Fokusgruppengespräche, Interviews, Beobachtungen, Studien sein – Protopersonen ab und oft auch einfach Stereotypen. Das heißt, wir versuchen, aus vielen unterschiedlichen Datenpunkten und Aspekten von Mediennutzungsverhalten, Soziodemografie, Motivation, eine Person abzuleiten, um sie möglichst greifbar zu machen, um dann in die Situation oder in die Gelegenheit zu kommen, uns empathisch in sie hineindenken zu können und dadurch zu antizipieren, was sie wohl gerne hätte und wie sie dazu kommt und sich mit der Medienlandschaft beschäftigt.

Dennis Horn: Ich habe mich schon mehrfach mit solchen Prozessen beschäftigt – das hat immer großen Spaß gemacht.

Katharina Köth: Das glaube ich.

Dennis Horn: Irgendwann findet man sich wirklich in diesen Personen wieder und weiß dann aber auch wirklich, was sie tun. Wobei ich auch sagen würde, das hat etwas Persiflagenhaftes.

Katharina Köth: Ja, ja, ich finde es immer sehr stereotypisch. Sehr, sehr persiflagenhaft. Man ist dann doch häufig in Sprints und Design-Thinking-Workshops, die nicht lange dauern, und muss auf sein bestehendes Wissen zurückgreifen. Dann wird es halt häufig Thomas, der Geschäftsführer, Mitte 50, hat anderthalb Kinder, wohnt im Speckgürtel, hat einen Hund, eine Frau …

Dennis Horn: … und noch nicht die richtige Ahnung vom Digitalen.

Katharina Köth: Genau. Und man hat so ein Bild vor Augen, wie er aussieht, wie er lebt. Er fährt wahrscheinlich einen Mercedes oder einen BMW oder einen Audi und hat eine nach außen scheinend ideale Familie und Beziehung …

Dennis Horn: … einen leichten Bierbauch, gendert noch nicht …

Katharina Köth: … ja, er tut sich mit dem Gendern schwer, aber weiß aus der Arbeit heraus, dass es langsam Zeit wird. Und er will sich auch nicht jedes Mal mit den Frauen streiten.

Dennis Horn: Siehst du, und schon sind wir in den Stereotypen.

Katharina Köth: Total. Und ich habe tatsächlich auch erst vor kurzem in einem Vortrag genau diese Person, die wir gerade fast ein bisschen ad hoc entworfen haben, ähnlich aufgezeigt. Aber am Beispiel ehemaliger Chefs, die ich hatte, wo dann aber dieser Durchschnitts-Thomas, den wir aus den Geschäftsführungen kennen, auf der einen Seite Heavy Metaler war, auf der anderen Seite obskure Jazzplatten aus den Sechzigern gesammelt hat. Die Kritik, die wir teilen, ist, dass man in diesen Workshop-Prozessen im gemeinsamen Denken sehr schnell ins Spinnen kommt. Es macht total viel Spaß, sich auch ein bisschen ironisch mit den Leuten zu beschäftigen. Und dann verliert man sich in dieser Workshop-Methode aber fast mehr als darüber nachzudenken: Was hilft mir das jetzt in meiner Produktentwicklung?

Dennis Horn: Lass uns mal bei diesen Workshops bleiben. Ein Sprint ist ein Workshop-Format über mehrere Tage, und Design Thinking ist das Set an Methoden, die ich in einem solchen Workshop einsetzen kann, richtig?

Katharina Köth: Jein. Es ist sogar ein bisschen andersrum. Design Thinking war zuerst da, also bestimmt schon seit 10 Jahren sehr etabliert, aber seit 20 bis 30 Jahren hat sich das schon geformt, und der Sprint ist fast wie eine Art komprimierte Variante eines Design-Thinking-Prozesses, der ja auch locker mal sechs, acht Wochen, ein halbes Jahr oder sogar noch länger dauern kann. Der Sprint ist die radikale Effizienzoptimierung auf fünf Tage.

Dennis Horn: Das hat mir immer Schwierigkeiten gemacht, weil ich in diesen Sprints den Eindruck hatte, da muss jetzt erst einmal auf Masse nachgedacht werden, es müssen Ideen generiert werden, dann wird die Schere wieder geschlossen, und dabei bleiben lauter Sägespäne an guten Ideen liegen. Und ich hatte immer das Gefühl, dieser Workshop wird zu einem Freiflug, weil ich immer noch an die Idee von vor drei Schritten denken musste – und die eigentlich die bessere fand.

Katharina Köth: Das kann ich komplett teilen. Vielleicht auch noch einmal zur Einordnung für die Leute, die noch keinem Sprint beigewohnt haben: Es ist relativ hart durchstrukturiert, wie diese fünf Tage stattzufinden haben. Es beginnt an Tag eins mit dem Kennenlernen und der Definition des Problems. An Tag zwei sammelt man Ideen. Das ist das, wo du gerade schon deine Sägespäne findest. An Tag drei werden die Ideen geschärft. An Tag vier wird daraus ein Prototyp entwickelt. Und an Tag fünf wird mit idealerweise echten Nutzer:innen geprobt, ob das dann auch funktioniert. Das Phänomen, das du beschreibst, finde ich persönlich auch am faszinierendsten. Ich bin ja häufig als Dienstleisterin von extern in den Teams. Da muss man sich erst einmal kennenlernen, da muss man erst mal verstehen: Wie tickst du? Wie ticke ich? Welche Erwartungen haben wir an so ein Thema? Welche Vorerfahrung und welches Wissen bringen wir mit, um das Thema und das Problem ein bisschen abzustecken? Und dann, an Tag zwei, soll man direkt kreativ werden. Da soll man direkt schon Vertrauen aufgebaut haben, direkt schon ins Machen kommen und direkt schon eine Problemlösung finden. Da ist für mich schon ein Spannungspunkt drin. Habe ich nach einem halben Tag ein Problem überhaupt schon gut genug verstanden, um es lösen zu können? Und: Was du beschreibst, in sehr hart getakteten und getimeboxten Aktionen und Abläufen, die auch schon relativ klar sind, weil gerade im Sprint die Methoden noch strikter als im Design Thinking zugespitzt sind, bleibt nicht die Zeit, um darüber nachzudenken, weil man dann schon bei der nächsten Methode ist. Was ultimativ passiert: dass du an Tag zwei am Vormittag zum Beispiel ein Set aus 20 Ideen hast, von denen sind drei so, dass sie spannend sind und man sie weiterentwickeln möchte. Aber aus diesen drei Ideen kann schon am letzten Tag der Prototyp werden und – wie ich es manchmal auch in Wirtschaftsprojekten außerhalb der Medienbranche erlebe – ganze Innovationsinitiativen, die mehrere Jahre einnehmen. Dann frage ich mich schon: Wie viel Verantwortung und wie viel Verbindlichkeit kann in fünf Tagen „Wir schließen uns mal in einem Raum zusammen und denken über etwas nach“ tatsächlich liegen?

Dennis Horn: … für einen sechsstelligen Betrag, der da reingeht – wenn nicht siebenstellig. Wenn ich das richtig verstehe, kritisierst du bei diesen Methoden und Frameworks ein gewisses Schablonendenken.

Katharina Köth: Ich habe lange Zeit meiner Karriere in einer Kreativagentur gearbeitet, die interessanterweise genau das Gegenteil von einer Innovationsagentur ist, weil in der Kreativagentur sehr lange Raum geschaffen wird, um frei zu denken, um freizuspielen, um sich Räume zu schaffen und Dinge auszuprobieren. Und in diesen sehr schablonenhaften Vorgängen versucht man einfach, Ergebnisse zu reproduzieren. Das ist zum Teil auch gar nicht schlimm, weil viele Leute, die in den Workshops sitzen, haben vorher noch nie gemacht. So haben sie einmal die Möglichkeit, relativ strukturiert durch so einen Prozess durchgeführt zu werden.

Dennis Horn: Ich habe zumindest das Gefühl, dass viele Redaktionen damit überhaupt erst mal ins Arbeiten kommen, dass ihnen das einen gewissen Push gibt und sie dadurch kennenlernen, wie es auch geht.

Katharina Köth: Ja, da bin ich ganz bei dir. Das erlebe ich auch in einigen Redaktionen, mit denen ich Format-Workshops und Ähnliches gemacht habe: dass man überhaupt erst mal einen Rahmen schaffen kann, in dem man sich orientieren kann in dieser neuen, digitalen Welt. Was nur manchmal auf der Strecke bleibt, ist tatsächlich kreativ zu werden. Gerade, wenn man Teams hat, die das zum ersten Mal machen, sind diese Workshops total gut, um Leute in die Methode einzuführen, um diesen Denkbruch zu schaffen, um sie aus dem Alltag rauszuholen. Aber die Frage, die ich mir stelle: Wie hoch kann die Erwartung an ein umsetzbares Ergebnis daraus schon sein? Oder ist es nicht einfach eine Art Vorkosten, wie der große Prozess sein könnte?

Dennis Horn: Das heißt, man wendet es an, um sich im nächsten Schritt anderen Methoden zu widmen, um weiterzukommen. Und solche Modelle können immer nur ein Baustein sein, den ich mir als Methode für einen Moment auswähle, wo sie passen. Aber sie sind nicht der Schlüssel für alles.

Katharina Köth: Genau. Was auf der Strecke bleibt, gerade wenn Leute diese Abläufe sehr schablonenhaft vorgelebt bekommen, ist der Blick hinter die Kulissen – und wozu diese Methoden eigentlich da sind. Ein Großteil meiner Kritik geht immer dahin, dass die Leute nicht befähigt werden, zu verstehen, was da eigentlich gerade passiert, um dann daraus Ableitungen für sich selbst zu ziehen. Sondern sie verharren in diesem: „Das ist der 5-Tage-Sprint. So geht das, so macht man das.“ Aber das passt ja auch nicht in jede Kultur und in jedes Team und in jede Aufgabenstellung. Ihnen fehlen dadurch, dass es so strikt ist, die Möglichkeiten und Spielräume, sich einfach ein bisschen auszutoben und mehr zu erschließen. Um kurz bei den kreativen Prozessen zu bleiben: Jeder Mensch denkt anders kreativ. Ich bin zum Beispiel jemand, der sehr abstrakt ist und sehr textlich denkt. Mir fällt es sehr leicht, einen Gedanken, den ich habe, in ein Wort zu fassen oder in eine Wortgruppe. Was mir fast gar nicht gelingt, auch mit Übung – und ich habe da einige Trainings zu gemacht – sind Scribbles. Ich kann einfach nicht gut visuell denken. Mir fällt es sehr, sehr schwer, einen Gedanken selbst in ein schlechtes Scribble zu packen. Ich habe sieben Jahre lang auch für Mercedes-Benz gearbeitet, und ich kann immer noch kein Scribble von einem Mercedes machen. Aber ich glaube auch da: Es gibt einen ganzen Prozess, wie Leute herausfinden können, unter welchen Fragestellungen, unter welchen Herangehensweisen sie kreativ sind und sie viele neue Gedanken haben. Es gibt Leute, die funktionieren gut in einem Pingpong. Es gibt Leute, die müssen erst ganz viel Informationen in sich reinsaugen, drei Nächte drüber schlafen und kommen dann mit den Ideen raus. Und indem man die Menschen immer wieder in diesen gleichen Prozess steckt, versagt man ihnen, richtig gut darin werden zu können und für sich Methoden und Herangehensweisen zu finden, die für sie auch besser oder schlechter funktionieren.

Dennis Horn: Woher kommt das eigentlich, dass dieser Prozess des Design Thinkings, oder in der radikalen Kurzform des Sprints, jetzt so durchschlagend ist? Ist das ein Hype? Wird so viel Geld dafür ausgegeben, dass man sich nicht traut, zuzugeben, dass man es zum Teil versenkt? Ich komme ja ein bisschen rum, und ich sehe es im Moment überall. Alles, was an neuen digitalen Produkten entwickelt wird, in allen möglichen Redaktionen – Sprint, Personas. Warum zieht sich das so durch, diese eine Lösung?

Katharina Köth: Wenn ich es ganz spitz mache: Der Sprint ist ein Produkt, das ideal für den Einkauf entwickelt wurde. Teams haben Vorgaben, innovativ zu sein, bestimmte Dinge zu machen. So ein Sprint dauert fünf Tage. Das kann man sehr gut kalkulieren. Und am Schluss hast du sogar noch einen Prototyp, den du rumzeigen kannst. Ich glaube, so wie das Produkt definiert und geschnitten ist, ist es einfach zu verführerisch, um es nicht zu nutzen.

Dennis Horn: Diese Antwort wurde Ihnen präsentiert von der Beschaffung.

Katharina Köth: Genau. (lacht) Aber es ist natürlich ein spannender Aspekt: Wer profitiert davon? Warum ist es ein Prozess, der sich so durchsetzt? Und – um ein bisschen die Polemik rauszunehmen – es hat natürlich auch ganz viel mit Sicherheit zu tun. Einen bestimmten Betrag auszugeben, und dann hat man im schlimmsten Fall fünf Tage versenkt, weil nichts Gutes bei rausgekommen ist. Aber man hat sich wenigstens mit dem Thema beschäftigt. Man hat einen neuen Arbeitsprozess etabliert, und dann ist trotzdem was dabei rumgekommen. Aus meiner Perspektive ist es schon sehr schwer, da wieder rauszukommen, als jemand, der das schon seit 14, 15 Jahren macht – und nicht gerade zum ersten Mal.

Dennis Horn: Wir wollen uns noch mal der Nutzer:innenzentrierung zuwenden. Ich finde noch eine These von dir interessant: dass diese Methoden und Frameworks zwar für die Nutzer:innenorientierung angewendet werden – die aber nicht gelebt wird. Was meinst du damit?

Katharina Köth: Ich habe ja schon gesagt, dass diese Nutzer:innenzentrierung für mich fast eine Art von Selbstverständnis ist. Seitdem ich arbeite – und schon im Studium – wurde mir immer beigebracht, dass Marken und Menschen, sozusagen Autoren und Rezipienten, eine Einheit bilden. Und dass immer jeder Erfolg an einer Form von Dialog hängt. Das ist ein Grundverständnis. Und das war noch, bevor es das iPhone gab – so alt bin ich dann auch schon. Und jetzt werden diese Werte wie Agilität, Nutzer.innenzentrierung und so weiter häufig in Strategiehefte geschrieben, in Zielbeschreibungen und Visionen, aber den Menschen dadurch auch ein bisschen übergestülpt, sowohl den Redakteurinnen und Redakteuren, als auch den Teams, die die Innovationsteams leiten. Was auch vollkommen okay ist – da die auch meistens schon an einem Punkt sind, dass es ein Selbstverständnis ist. Interessanterweise erlebe ich aber an vielen Stellen, dass diese Nutzer:innenzentrierung immer Endkonsumenten-gewandt ist und nicht nach innen gerichtet. Man versucht nicht, einen Workshop zu planen, der besser aufgreift, dass Kolleginnen und Kollegen noch keine Erfahrung mit Kreativprozessen haben, sondern sagt einfach: Du machst das jetzt so. Man versucht bei der Endkonsumenten-Nutzerzentrierung ja immer wieder, sich in die Person reinzuversetzen: Was sind die Ängste? Was sind die Motivationen? Warum macht jemand was? Nach innen machen wir das aber nicht so häufig. Das ist ein Punkt, den ich häufig beobachte: dass diese Nutzer:innenzentrierung sehr, sehr, sehr spitz gelebt wird auf die Endkonsumenten, auf „Was wollen die jetzt?“ – und die bekommen dann auch genau das. Aber nach innen wird sie fast nicht mehr ausgeübt – oder es wird fast vergessen, dass man auch mit den gleichen Prinzipien an die Kolleginnen herantreten könnte.

Dennis Horn: Das ist interessant. Eigentlich reden wir da doch über interne Kommunikation, oder?

Katharina Köth: Ja, ich glaube, jeder nutzerzentrierte Prozess ist eigentlich nur ein Dialog, und ein Zuhören und wirklich versuchen, zu verstehen, welche Hürden es da gibt. Natürlich ist nicht jeder Konflikt dadurch lösbar. Das will ich damit gar nicht behaupten. Aber ich glaube, es würde noch einmal andere Zugänge schaffen, gerade von denen, die sich auf die Fahne schreiben, so empathisch miteinander zu sein.

Dennis Horn: Wir betrachten also nicht mehr nur das Publikum als Nutzerinnen, Nutzer, sondern wir sagen: Auch die andere Abteilung, auch die Kolleg:innen, die Stakeholder werden zu Nutzerinnen und Nutzern von dem, was ich so mache, intern. Das finde ich schon mal den den ersten neuen Blickwinkel. Der andere neue Blickwinkel ist, dass du sagst, das muss im Dialog geschehen. Wir haben gerade zwar Methoden und Schablonen gegeißelt. Aber ich habe ja schon gesagt, die können auch ein gutes Mittel sein, überhaupt erst mal ins Arbeiten zu kommen und sich auf diesen Weg zu begeben. Wenn du jetzt sagst, statt dieser punktuellen und schablonenhaften Nutzer:innenorientierung müsste man immer im Gespräch miteinander bleiben mit den Menschen intern: Wie mache ich das denn? Was sind denn die Methoden dafür? Wenn ich keine Personas erstelle – was intern ja besonders leicht fällt, weil man die Leute ja tatsächlich kennt – was heißt Dialog? Wie setzt man das um – praktisch?

Katharina Köth: Ich glaube, ein großes strukturelles Problem – das sich jetzt auch nicht durch unseren Podcast lösen lässt – ist, dass zu viel Verantwortung in der Nutzer:innenzentrierung auf Redakteur:innen gelegt wird. Ich glaube fast, dass es einfacher wäre und auch vielleicht zielführender – die New York Times arbeitet zum Beispiel so – dass es UX-Designer für jedes Redaktionsteam gibt, die immer wieder auch für diese Perspektive sorgen.

Dennis Horn: Kannst du kurz erklären, was das heißt, UX-Designer?

Katharina Köth: „UX-Designer“ ist quasi die personifizierte Nutzerzentrierung. Das ist der Jobbegriff, der sich in der Digitalwirtschaft daraus ableitet. Früher war das der Informationsarchitekt oder der Digitalkonzepter, die Digitalkonzepterin. Die Aufgabe ist tatsächlich, Konzepte zu entwickeln, die die Nutzerperspektive berücksichtigen, aber natürlich auch die Marken und die Markenbedürfnisse, und das in den Ausgleich zu bringen und daraus Konzepte, Wireframes für Apps für Websites, für alles Mögliche zu entwickeln.

Dennis Horn: Ich versuche es jetzt mal grob zu beschreiben: Wenn das in die Hand der Redakteurinnen und Redakteure gelegt wird, dann haben die wenig Zeit dafür, weil sie ja eigentlich noch einen inhaltlichen Job haben.

Katharina Köth: Genau.

Dennis Horn: Die können sich dann einmal im Jahr einen Sprint leisten und da Nutzer:innenzentrierung machen, und den Rest des Jahres muss das aber laufen, damit sie eben auch die Inhalte machen können. Und ein UX-Designer im Team stellt sicher, dass eine Nutzer:innenorientierung eben dauerhaft stattfindet, richtig?

Katharina Köth: Genau. Er würde auch die funktionalen Überlegungen übernehmen. Es gibt da auch noch UX-Strategists und UX-Researcher und so, aber ich würde es einmal kurz auf diesen Designbegriff fokussieren, damit wir da nicht noch in die Branche ausbrechen. Aber das wäre dann jemand, der oder die sich darum kümmert, zu überlegen: Welcher Kanal ist überhaupt richtig? Passt die Erzählweise zu einer bestimmten Rezeptionsart? Gerade, wenn wir über Querverwertung von Formaten sprechen: Wenn wir einen Podcast haben und den Kanal auf YouTube ausspielen wollen, wie müsste der dann anders anmoderiert, angeschnitten werden, damit das besser in ein digitales Mediennutzungsverhalten passt, weil der Inhalt vielleicht sowohl für Podcasts auf Apple als auch auf YouTube interessant ist? Und so weiter. Da gibt es ja viele – auch aus der Medienproduktion heraus – Überlegungen, die überhaupt nicht inhaltlicher Natur sind. Und das ist vielleicht auch noch mal ein interessanter Aspekt an der Nutzer:innenzentrierung: Es geht nicht mehr um das Publikum, sondern um jemanden, der oder die etwas verwendet. Es geht plötzlich um ein Ziel. Das wäre jemand, der diese Perspektive im Blick behält und auch im Kontext von medienrezeptiven Entwicklungen anpasst, ins Team trägt und sich gegebenenfalls auch wirklich damit auseinandersetzt, welche Interessen, welche Themen es gibt, Social-Media-Listening betreibt und so weiter.

Dennis Horn: Wir sprechen hier also nicht über einen echten Dialog, sondern wir sprechen darüber, dass das, was in so einem Sprint oder bei der Entwicklung von Personas punktuell geschieht – und auf einer Datenbasis, die auch manchmal schnell zusammengeklaubt ist, damit man das machen kann -, sondern du sprichst über eine Verstetigung dessen?

Katharina Köth: Genau. Und um ein respektvolles Grundverständnis dieser Personen. Wenn ich Dinge wie eine Startseite konzipiere, führe ich tatsächlich fast eher einen Dialog mit mir selbst: „Hey, Zielgruppe xy! Schön, dass du da bist! Hier, das habe ich dir anzubieten.“ So gehe ich in meinen Konzeptionsprozessen für wirklich digitale „Gefäßprodukte“ tatsächlich vor.

Dennis Horn: Da beginnst du, mit dir selbst zu sprechen?

Katharina Köth: Ja, aber schon auch unter Berücksichtigung dessen, was ich über die Zielgruppe weiß, in welchen Tonalitäten sie spricht. Das zeigt auch gleichzeitig wieder die Grenzen auf, weil es natürlich Personengruppen oder Bereiche gibt, in denen ich mich nicht wohlfühle oder nicht gut auskenne. Und dann merkt man wieder: Wie gut kann eine einzelne Person sein, die aus bestimmten Lebensverhältnissen kommt?

Dennis Horn: Jetzt notiere ich mir: Wir brauchen UX-Designer im Team.

Katharina Köth: Ja, schön, oder?

Dennis Horn: Wenn der dann sagt, so muss die Ansprechhaltung bei YouTube sein und darauf musst du in den ersten drei Sekunden deines Facebook-Videos achten und das hier ist wichtig für die Hashtags bei TikTok …

Katharina Köth: … und dann noch SEO.

Dennis Horn: Ja! Das ist doch dann trotzdem Wissen, das die Redakteurinnen und Redakteure im Doing auch brauchen, oder? Ist diese Person oder diese Rolle dann auch dafür zuständig, die Redaktion zu schulen? Oder wie trennt sich das ab?

Katharina Köth: Genau. Idealerweise, wäre diese Personen einfach Teil des Teams – gleichberechtigt – um schon Einfluss nehmen zu können und gehört zu werden, wenn man sich Themen überlegt. Das kann natürlich mit Blick auf den Konflikt zwischen Autoren-Brille und Nutzer:innen-Brille auch wieder zu einem Ungleichgewicht führen, das ist auf jeden Fall klar. Ich frage mich immer: Ist es tatsächlich machbar, alle Redakteurinnen und Redakteure auf Nutzer:innenzentriertheit zu schulen? Was ist mit Menschen, die sich dafür einfach nicht interessieren, die einfach nur das erzählen, was sie wollen? Das gibt es ja auch immer.

Dennis Horn: Irgendwer hat mich mal gefragt, warum ich Radio mache. Ich habe dann geantwortet, dass ich Radio für ein super Medium halten würde – wenn das Publikum nicht wäre. Ich habe das immer gemacht, weil ich im Kopf die perfekten Vorstellung einer Radiosendung hatte. Und der wollte ich immer nur möglichst nahe kommen. Das war also eher so ein künstlerisches Ding. Menschen, die nicht nutzer:innenzentriert arbeiten wollen – hätten die dann noch eine Perspektive in der Medienlandschaft, wenn UX-Designer dazu kommen?

Katharina Köth: Mein Eindruck ist – und ich weiß nicht, ob du den teilst – in den Medienhäusern, mit denen ich in den letzten sieben Jahren gearbeitet habe … Ich will jetzt nicht sagen, das erledigt sich von selbst. Aber die meisten Personen, die ich kennengelernt habe, aus den jüngeren Generationen, leben das total, weil für sie die Medienrealität halt auch einfach so ist, wie sie ist. Ich würde sagen, die stellen sich diese Frage einfach gar nicht mehr. Die Kategorien, in denen wir hier sprechen: Hat das noch eine Perspektive oder nicht? Müssen wir den Leuten das noch beibringen?

Dennis Horn: Diese Frage wird dann einfach obsolet.

Katharina Köth: Ja. Die Frage ist eher: Wie schaffen wir es in den Redaktionen, die noch nicht so stark danach leben oder die sehr, sehr dicht und sehr eng sind, diese Gedanken reinzubringen? Ohne da ein konkretes Projekt im Hinterkopf zu haben: Ich denke auch außerhalb meiner Arbeitszeit über diese Fragen nach, und ein großes Thema für mich – gerade bei den Öffentlich-Rechtlichen – ist das Kulturthema: Was ist überhaupt Kultur? Für wen ist Kultur gemacht? Öffentlich-rechtliche Kultur – ist das Hochkultur? Oder darf da auch Pop mit rein? Oder auch Gesellschaftsthemen, so wie das Deutschlandfunk Kultur macht? Darf da Pop gespielt werden, oder muss es immer eine große Sinfonie sein? Sich allein schon diese Fragen zu stellen, zu überlegen: Welche Typen von Kulturinteressierten gibt es überhaupt? Wen von den Menschen möchte man bedienen oder auch nicht? Das ist schon eine Frage, die sehr wohltuend wirken kann. Gar nicht nur, um zu sagen, ihr müsst jetzt anders arbeiten. Sondern auch, um zu sagen: Guckt mal, welche Möglichkeiten es noch gibt, für die wir gerade noch gar kein Angebot haben.

Dennis Horn: Ich finde einen ganz wichtigen Punkt, wenn wir über Innovation in Medienhäusern sprechen, die Frage: Wie kommuniziert man das? Ich würde mit dir gerne auch über diesen Punkt einmal sprechen, über die Kommunikation für Innovationsthemen. Vielleicht bringe ich erst einmal meine Erfahrung da rein.

Katharina Köth: Sehr gerne.

Dennis Horn: Ich habe in der Kommunikation als Teil des WDR Innovation Hub auch viel zu der Frage gelernt: Wie kommunizieren wir das intern in die Anstalt? Das ist deswegen interessant, weil Journalistinnen und Journalisten eine Sorte von Mensch sind, die auf bestimmte Begriffe sehr schnell allergisch reagieren – und zwar immer dann, wenn es zu businesskasperhaft wird oder es englische Begriffe sind. Und die Innovationslandschaft ist eine, die in beidem sehr gut ist. Begriffe wie „agil“, vielleicht auch schon ansatzweise Begriffe wie „Nutzer:innenorientierung“, Begriffe wie „Sprint“, „Scrum“, „Design Thinking“, aber auch Begriffe für Trendthemen – da kann man bei Journalistinnen und Journalisten sehr schnell auf Glatteis laufen. Wir haben gelernt, dass wir sehr viel übersetzen und an den Begriffen arbeiten müssen. Wir haben gerade einen Zukunftsreport zu künstlich erzeugten Medien rausgegeben. Der Innovationsbegriff dafür, unter dem auch die gesamte Debatte läuft,lautet „Synthetic Media“. Und wir haben uns nicht getraut, diesen Begriff zu nutzen, weil wir den Zugang zu den Leuten auch im Haus haben möchten. Also nennen wir das Ding jetzt „Synthetische Medien“. Wenn du aber danach googlest, findest du es nicht.

Katharina Köth: Aber euch findet man hoffentlich!

Dennis Horn: Ja, jetzt ja. Aber ich finde an diesem Beispiel ganz interessant, wie sehr wir über Übersetzungsleistungen und Kommunikation sprechen müssen. Im Grunde machen wir da schon das, was du gerade als Nutzer:innenorientierung nach innen beschreibst. Aber mich würden noch mal auch konkret deine Gedanken zum Thema interessieren: Wie kommuniziert man Innovation?

Katharina Köth: Gute Frage. Es ist schwierig. Auch genau aus den Gründen, die du nennst: Gerade im Medienkontext hast du schnell Reaktanzen auf die englischen Begriffe – generell auch auf Dinge, die aus Amerika kommen. Da steckt eine gewisse Amerikakritik drin: Da kommt etwas aus dem Silicon Valley, das wird uns übergestülpt. Ich glaube, das bekommt man aus den Leuten nicht raus. Sie hatten jetzt 20 Jahre lang die Chance, das Digitale zu akzeptieren und zu sagen, dass das Internet bleibt – und nicht, dass es wieder weg geht. Jetzt kommen halt andere Methoden, die mit einer viel stärkeren Wirtschaftskraft einfach reingedrückt werden. Und ich verstehe, dass das dazu führt. Was ich immer versuche – sowohl in einem Uni-Kurs, den ich gebe, als auch, wenn ich in Firmen bin – ist, einfach nochmal herzuleiten, wie wir da hingekommen sind, also einfach die Entwicklung der Massenkommunikation aufzuzeigen. Ich versuche, den Leuten das schlechte Gewissen und die Scham zu nehmen, die sie vielleicht entwickelt haben, weil sie wissen, dass sie die letzten fünf Jahre blockiert haben und deswegen jetzt nicht da sind, wo sie sein könnten. Das beginnt auch manchmal einfach mit der Akzeptanz, dass in den Tausenden Jahren der Menschheitshochkulturgeschichte, die wir haben, wir mit dem Radio gerade erst mal seit 100 Jahren eine Echtzeit-Massenkommunikation haben. Im großen Bild betrachtet ist das für uns Menschen natürlich auch eine riesige Herausforderung, damit umzugehen. Dass wir gleichzeitig eine Wirtschaftsentwicklung haben, die eine Individualisierung von Massengütern ermöglicht – und dann noch das Internet kam und das auch noch mal eine individuelle Massenkommunikation ermöglicht, die auch noch gleichzeitig stattfindet, auf der ganzen Welt, komplett entgrenzt. Ich versuche, den Leuten damit auch immer ein bisschen die Angst aus der „Verhinderer-Rolle“ rauszunehmen, die sie hatten oder einnehmen können. Aber um das noch einmal einzuordnen: In der gesamten Menschheitsgeschichte sind wir jetzt gerade in diesem halben Millimeter. Ein ganz, ganz, ganz kleiner Zeitpunkt, einen Husten in der Menschheitsgeschichte haben wir das jetzt – und wir haben jetzt die Chance, diesen Raum, diese neue parallele Realität, die wir haben, mitzugestalten. Ich versuche, sie auch so ein bisschen in den Wissenssprung mitzunehmen, den sie vielleicht nicht gemacht haben. Denn ich glaube schon, dass wir auch mit den ganzen englischen Diskursen häufig dazu neigen, an einem Diskurs international teilgenommen zu haben – und dann unsere Erkenntnisse direkt auf die Menschen zu übertragen und sie damit fast schon zu erschlagen, weil sie selbst daran gar nicht teilgenommen haben. Aber für uns war es ein Denkprozess, der zwei, drei Jahre läuft – und ich glaube, dass es sinnvoll ist, wieder Druck rauszunehmen, auch Erwartungsdruck rauszunehmen. Das steckt ja auch in diesen Sprints: In fünf Tagen muss was rauskommen. Und du setzt immer wieder Menschen in eine Situation, in der sie auch scheitern können.

Dennis Horn: Du plädierst also dafür, sich selbst mal die Position bewusst zu machen, in der man ist, in der gerade Innovationshandwerkerinnen und -handwerker sind, die ja eigentlich sagen könnten: Ich sage euch das seit zehn Jahren.

Katharina Köth: Genau. Und das passiert ja auch.

Dennis Horn: Absolut. Und das ist kontraproduktiv, denn sie waren einfach immer sehr viel weiter in der Debatte, in der Normalos gar nicht stecken. Ich fand gerade die Figur interessant, die du gezeichnet hast: einer Person, die sich der Tatsache bewusst wird, dass sie in den vergangenen Jahren die Verhinderer-Position eingenommen hat, die jetzt mit einer gewissen Scham darauf blickt. Im Grunde sprechen wir gerade über Psychologie. Wie nimmt man diese Leute dann noch weiter mit auf dem Weg?

Katharina Köth: Das heißt natürlich nicht, dass jede Person so ist. Aber gerade im letzten Jahr, wo alle remote gearbeitet haben, man dann plötzlich in Miro unterwegs war … Ich war in digitalen Workshops, in denen dann auch zum Teil Führungskräfte waren, die sich mit einem Miro-Board einfach nicht wohlgefühlt haben, die damit nicht gut umgehen konnten, die immer daneben geklickt haben, wenn sie ein Post-it schreiben wollten. Da merkst du, dass es eine riesige Hürde ist, im Umgang mit dem Medium. Vielleicht wollen sie gar nicht wirklich nur Fernsehen oder Radio machen. Vielleicht trauen sie sich auch einfach nicht, sich einzugestehen, dass da gerade ganz viel fehlt. Da können wir offen reingehen, die Tür aufmachen, es in einem Workshop auch direkt einplanen: Wir machen jetzt erst mal fünf Minuten Orientierung in dem Tool; ich zeige euch, wie alles funktioniert; hier sind zwei, drei Beispielaufgaben. So setzten wir das den Leuten nicht vor und sagen, du musst das jetzt können. Das sind dann die Feinheiten, mit denen man auch da in einen Dialog miteinander kommt, die Leute mitnimmt und ein bisschen heranführt. Meine Grundeinstellung mit den Menschen ist schon eine sehr positive. Ich glaube, eigentlich wollen wir alle einen guten Job machen, gut durch unser Leben kommen und ein guter Mensch sein. Ein paar Menschen vielleicht nicht. Aber manchmal kommen im Leben halt auch Dinge und Blockaden, die einen daran hindern. Und dann muss man versuchen, diese Blockaden zu überwinden.

Dennis Horn: Mir fällt gerade ein, was wir im WDR Innovation Hub noch machen: Wenn wir kommunizieren, achten wir in unserer Bildauswahl darauf, dass wir nicht die Serverräume oder die Geräte zeigen. Sondern wir zeigen menschliche Situationen, in denen die Geräte auch eine Rolle spielen. Das sind Nuancen, aber darauf achten wir, um Innovation anschlussfähig zu machen. Lass uns das, was wir über die Nutzer:innenorientierung besprochen haben, mal wieder von innen auf außen übertragen. Wenn wir sie jetzt als Gespräch verstehen, Empathie einsetzen, zuhören, einen UX-Designer im Team haben, dann schaffen wir das intern, aber extern genauso, weil uns eine solche dauerhafte Betrachtung dann einfach hilft. Aber ich würde gerne doch noch mal über das Modell der Personas mit dir sprechen. Was ist eigentlich da das Zukunftsfähige? Im Grunde zeichnen wir da ein Klischeebild. Aber eine UX-Designerin, ein UX-Designer kann ja nicht nur auf diese einzelnen Personas setzen. Was ist da das Gegenmodell?

Katharina Köth: Man muss für die Persona und diese Sprint-Prozesse verstehen, dass sie eigentlich Präsentations- und Kommunikationstools sind. Sie sind dazu da, Leute an etwas heranzuführen, vielleicht auch einer Führungskraft eine Möglichkeit zu bieten, sich in eine Situation hineinzufühlen, die sie so noch nicht kannte. UX-Designer und -Researcher entwickeln gerade eigentlich eine ganz neue Ebene an Tools und Methoden, mit denen sie versuchen, noch einmal in die Tiefe zu gehen. Wenn du versuchst, zu hinterfragen, wie Wissen entsteht – dann sammelst du erst Wissen, dann entwickeln sich Muster, die Muster abstrahierst du, und dann kannst du sie kommunizieren. Mit Personas und Sprints befindest du dich aber eigentlich nur auf diesen oberflächlichen Ebenen zwischen Kommunikation und Abstraktion. Die Frage ist aber: Wie kommst du an das Wissen, um das so zuspitzen zu können? In den Workshops greifen wir einfach auf unser Erfahrungswissen zurück. Das hilft uns aber nicht, um neue Dinge zu erschließen oder unsere blinden Flecken zu übersetzen. Aktuell entwickelt sich etwas, wovon ich großer Fan bin, und ich stecke gerade auch darin, das verreglementieren und reproduzierbar zu machen, nämlich mehr in Spektren zu denken. Das ist auch nicht überraschend, wenn wir gucken, wohin sich unsere Gesellschaft entwickelt, mit Gender Fluidity, also der Aufhebung von Geschlechterrollen, oder Black Lives Matter im vergangenen Jahr. Der Anspruch von Menschen wächst, nicht mehr nur in einer gewissen Rolle gesehen zu werden. Das passiert natürlich bei den Personas schnell, weil wir Menschen als ihre Rollen begreifen. Was wir jetzt viel häufiger versuchen, sind Spektren aus Interessen, Motivationen, Erwartungen, Erfahrung aufzuziehen, um daraus eine Art Spannungsfeld abzustecken, in dem sich eine potenzielle Zielgruppe befindet. Um das einmal konkret zu machen: Ich habe im vergangenen Jahr für eine Stiftung gearbeitet, die einem Promi gehört. Da war die Frage: Wie gelingt es uns, Zielgruppen zu erschließen, die nicht nur Fans sind? Was wir angelegt haben, habe ich damals „Motivationspektrum“: Aus welchen Gründen spenden Menschen? Sind sie egoistisch oder altruistisch? Spenden sie für einen Zweck oder für eine konkrete Stiftung oder ein Anliegen? Sind sie selbst betroffen von dem Stiftungszweck oder nicht? Daraus ergeben sich unterschiedliche Pole. Und dann haben uns gefragt: Wie setzen in diesem Spektrum die Fans ab? Dann hat man eine Grundlinie, an der man ablesen kann, welche Potenziale sich ergeben. Wir werden zum Beispiel keine Spender:innen gewinnen, die diese Person und diese Personality-Marke nicht mögen, da müssen wir gar nicht erst anfangen, weil wir auch den Gründer nicht aus der Stiftung rausschneiden wollen. Aber daraus ergibt sich ein ganz neuer Rahmen: Aus welchen Gründen könnten sich Menschen für unser Anliegen und für unser Versprechen interessieren? Wo erreichen wir sie? Welche Themen interessieren sie? Was treibt sie um? Wir fragen uns nicht mehr: Ist das jetzt eine bestimmte soziodemografische Eigenschaft? Sondern: Welches Mindset ist das, welche Haltung gegenüber einem Thema? Ich sehe darin gerade wahnsinnig viel Potenzial. Es gibt noch ein zweites Beispiel, das Microsoft vor einigen Jahren in seinem Inclusion Guide vorgestellt hat. Da geht es darum, wie man auch Beeinträchtigungen und Behinderungen einfach als Spektrum begreifen kann. Darauf gibt es situative, temporäre und dauerhafte Beeinträchtigungen. Und so kommt man dann an den Punkt, zu überlegen: Was für Situationen kann es mit meinem Produkt geben? Ich glaube, auch für Medienhäuser ist immer die große Frage: Investieren wir in Untertitel oder nicht? Die Menschengruppe, die Untertitel braucht, ist relativ klein – wollen wir das Geld dafür wirklich ausgeben? Das ist an manchen Stellen ja auch eine sehr ökonomische Frage. Gleichzeitig gibt es diese Situation: Ich habe meine Kopfhörer nicht an und bin auf Instagram und gucke ein Video. Also lohnen sich auch Untertitel. Auch da ist es der Versuch, aufrichtig und respektvoll mit den Menschen und den unterschiedlichen Situationen umzugehen, in denen sie sich befinden, und da mehr Varianz zuzulassen.

Dennis Horn: Ich stelle mir vor, dass jemand, der für die Nutzer:innenorientierung zuständig ist, die Spektren möglich macht, weil er eine ständig verfügbare gute Datenbasis hat und zuhört und darauf achtet, all das zur Verfügung stehende Wissen zusammenzutragen. Und die Personas kommen dann ins Spiel, wenn er dieses Spektrum möglicherweise jemandem kommunizieren muss, der sich das so besser vorstellen kann.

Katharina Köth: Genau. Idealerweise würdest du in einem Zwischenschritt aus dem Spektrum erst mal Segmente ableiten, die sich vielleicht ein bisschen gröber clustern und gruppieren lassen, nach gemeinsamen Eigenschaften. Und dann kannst du es nochmal ganz kommunizierbar machen, in eine Persona übertragen, die dann wirklich so lebendig wird, dass du sie fast filmen kannst.

Dennis Horn: Wie visualisiert man das Spektrum? Mit Listen, Wortwolken – solchen Dingen?

Katharina Köth: Ich arbeite tatsächlich mit Polaritätsskalen, ganz einfach.

Dennis Horn: Also wie das Links-Rechts-Spektrum aus der Politik?

Katharina Köth: Genau. Oder manchmal Radialdiagramme, so dass man sieht, wie bestimmte Dinge ausgeprägt sind. Aber ich will eigentlich nicht die Wertung drin haben, die in Ausprägungen steckt, also: wenig ausgeprägt, stark ausgeprägt – darum geht es mir nicht. Das soll einfach nur sagen: Das ist eine Zielgruppe, die sich ergibt. Ob das jetzt gut ist, dass sie super digitalaffin ist oder eben nicht – das ist überhaupt nicht Teil der Frage.

(Hinweis: Ich habe das Gespräch aus dem Podcast zur besseren Lesbarkeit leicht geglättet.)


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