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ARKTIS - Die Legende vom Sannikow-Land

22:32
 
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Über 100 Jahre lang prangt das Sannikowland auf den Arktis-Karten - obwohl es nie gefunden wird. Einige lassen bei der Suche nach diesem Land ihr Leben, doch keine der Expeditionen kann die Existenz einer warmen Insel im Eis bestätigen. Bis die technische Entwicklung nach und nach die Wahrheit über das Sannikowland ans Licht bringt. Von Fiona Rachel Fischer (BR 2023)

Credits
Autorin: Fiona Rachel Fischer
Regie: Frank Halbach
Es sprachen: Laura Maire, Christian Baumann, Sven Hussock
Technik: Josef Angloher
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Prof. Andreas Renner

Linktipps:
Deutschlandfunk (2020): Expeditionen ins Eis – gestern und heute
Wie fühlt es sich an, bei klirrender Kälte, vom Eis umschlossen in tiefster Dunkelheit festzusitzen? Was treibt Polarforscher an, die unwirtlichen Regionen am Nord- und Südpol zu erkunden? Welche Eindrücke und Erkenntnisgewinne wiegen die enormen Risiken ihrer Abenteuer auf? Drei aktuelle Sachbücher liefern Antworten. JETZT ANHÖREN

NDR (2024): Geister der Arktis
Die preisgekrönte Extremtaucherin Christina Karliczek Skoglund begibt sich auf eine Expedition in die eisigen Tiefen der Arktis, um die geheimnisvollen Eishaie zu filmen. Die Tierfilmerin möchte nicht nur mit einem der "Methusalems der Meere" tauchen, sondern mit führenden Eishaiforschern über bahnbrechende neue Entdeckungen diskutieren. In Folge zwei stößt Christina immer weiter ins nördliche Grönland vor, um die "Einhörner des Meeres" zu finden. Die bedrohten Narwale leben das ganze Jahr über in Packeisnähe und sind durch den Klimawandel extrem bedroht. Ein mitreißender Doku-Zweiteiler. JETZT ANSEHEN

Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:

Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte

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Timecodes (TC) zu dieser Folge:

TC 00:15 – Intro
TC 03:55 – Ein Kaufmann auf Expedition
TC 05:54 – Der Arktis Hype des 19. Jahrhundert
TC 08:45 – Auf der Suche bis in den Tod
TC 11:40 – Stoff für einen Science-Fiction-Roman
TC 17:20 – Ewiger wissenschaftlicher Mythos
TC 21:55 – Outro
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
TC 00:15 – Intro

MUSIK & ATMO Geschrei von Wildgänsen, Eisiger Wind, Eisberggeräusche

SPRECHERIN 1:
Folgt man den sibirischen Wildgänsen gen Norden in das ewige Eis, so entdeckt man bald hinter der Kotelny-Insel einen bläulichen Schimmer am Horizont. Beim Näherkommen wird er dunkler und dunkler, bis er sich zu einer schroffen Bergkette verfestigt.

SPRECHER 2:
In der unerbittlichen arktischen Kälte ist der Aufstieg an den steilen Berghängen mühsam. Doch zieht man sich an der letzten Kante hoch, wird man Wunderbares erblicken: Das satte Grün der Wiesen und Bäume. Heiße Geysire, die aus der fruchtbaren Erde sprudeln. Die wilden Mammuts, die durch die urzeitliche Flora streifen, und die blau tätowierten Gesichter eines verschollenen Indigenenstamms.

SPRECHERIN 1:
Das Sannikowland. Eine mystische Arktisinsel mit Atlantis-Charakter. Gefunden wurde dieser wundersame Ort schließlich nie.

ZITATOR 1:
Hat dieses Land überhaupt existiert? Ich bin überzeugt, daß es existiert hat.

SPRECHER 2:
So der Geologe und Autor Wladimir Afanasjewitsch Obrutschew in seinem Roman „Sannikowland“. Zitiert mit freundlicher Genehmigung des Verlags Neues Leben in der Eulenspiegel Verlagsgruppe Berlin.

SPRECHERIN 1:
Die Existenz des Sannikowlands ist eine von vielen Mythen, die sich im Zarenreich des 18. und 19. Jahrhunderts um die Arktis spinnen.

SPRECHER 2:
Zu dieser Zeit ist die Arktis ein weißer, also ein unausgestalteter Fleck auf der Landkarte. Im faszinierenden Unbekannten des ewigen Eises wird eine Nordostpassage entlang der eurasischen Nordküste vermutet, dass der Nordpol möglicherweise eisfrei sei, und irgendwo im Eismeer soll der achte Kontinent Arctica zu finden sein. Auf unentdeckten Inseln sollen große Reichtümer schlummern.

MUSIK ENDE

O-TON:
Es gibt ja diese Insel-Mythen in der Kulturgeschichte zuhauf, dass man vermutet, irgendwo im Ozean hat sich eine Insel gehalten mit glücklichen Menschen. Also diese Insel-Utopien gehen bis in die Antike zurück. Denken Sie an Atlantis oder konkreter für die Arktis haben Sie die Hyperboreer, also diese Vorstellung, dass es irgendwo fernab der Zivilisation glückliche Menschen gibt, die warum auch immer, mal abgeschieden wurden. […] Und dann projiziert man einfach diese Vorstellung, die es schon gibt, auf diese Insel.

SPRECHERIN 1:
Professor Andreas Renner vom Lehrstuhl für Russland-Asien-Studien an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

SPRECHER 2:
Es sind die Indigenen der sibirischen Küste, die bereits seit Jahrhunderten mit ihren flachen Booten das Eismeer befahren. Im 17. Jahrhundert gibt es erste Erkundungsfahrten von russischer Seite und es sind zunächst Entdecker und Eroberer, die von einer Flussmündung über das Meer zum nächsten großen Fluss fahren. Hierbei entstehen die ersten Karten dieser Region. Sie sind allerdings nur zum Navigieren gedacht und nicht einmal mit Längen- und Breitengraden versehen.

SPRECHERIN 1:
Wissenschaftliche Fahrten beginnen in den 1730er Jahren mit der Großen Nordischen Expedition, angestoßen von Marineoffizier Vitus Bering und beauftragt von Zarin Anna Iwanowna. Ganze 10 Jahre dauert sie. Die Karten, die die Forscher entwickeln, bleiben jedoch unvollständig.

ZITATOR 1:
Man wollte es kennenlernen, die Tiefe und die Temperatur der verschiedenen Wasserschichten messen und die Zusammensetzung des Wassers sowie die darin lebenden Tiere und Pflanzen, den Meeresgrund, die Richtung der Strömungen usw. erforschen.
TC 03:55 – Ein Kaufmann auf Expedition

SPRECHER 2:
Doch es gibt noch eine weitere Gruppe, die Interesse an den arktischen Gewässern hat: Kaufleute, die mit Pelzen und Elfenbein handeln.

MUSIK

SPRECHERIN 1:
Ein solcher Händler ist auch der Namensgeber und „Entdecker“ des Sannikowlands. Jakov Sannikow aus Jakutsk sammelt die Stoßzähne von Walrössern oder lässt sie erlegen, um das Elfenbein teuer zu verkaufen. Doch dann findet er eine noch lukrativere Einnahmequelle im ewigen Eis:

O-TON:
Mammutelfenbein. Also er hatte entweder Glück oder Gespür für. Es gibt auf den nordsibirischen Inseln sehr viele Mammutkadaver. Es hält sich in Nordostsibirien ungefähr bis 1500 oder 2000 vor der Zeitrechnung, also das letzte Refugium des Mammuts, und sie können dort nicht weg, sondern sie sterben dann tatsächlich zu Hunderten auf diesen Inseln mit dem Anstieg des Meeresspiegels. Und Sannikow ist einer der ersten, der systematisch diese Mammute sucht und ihnen die Stoßzähne wegnimmt und sie dann teuer verkauft. Also ein sehr erfolgreiches Business, und er ist tatsächlich dann wegen seiner Ortskenntnisse an einer wissenschaftlichen Expedition im Jahr 1809 beteiligt, die diese Neusibirischen Inseln vermessen soll.

SPRECHER 2:
Mit Mattias Hedenström, einem verbannten Beamten aus Riga, bricht Sannikow im Namen des Zaren zu der Mission auf.

ATMO SCHIFF
SPRECHERIN 1:
Das Leben auf einer solchen Expedition ist hart: Die flachen Schiffe mit niedrigem Tiefgang, mit denen man im Eismeer navigieren kann, haben oft keine Kajütenaufbauten. Es ist dort eng, kalt und nass. Viele Menschen, die sich in die Arktis wagen, sterben an Erschöpfung, Hunger, Kälte oder Skorbut.

MUSIK

SPRECHER 2:
Doch wer erfolgreich zurückkommt, den erwarten oft Ruhm oder Reichtum. So auch Sannikow, der nicht nur eine neue Insel entdeckt, sondern gleich noch eine zweite – wie er denkt.
TC 05:54 – Der Arktis Hype des 19. Jahrhundert

SPRECHERIN 1:
Im Jahr 1811 erblickt der Händler nordwestlich der Kotelny-Insel eine unbekannte Landmasse. Diese ist für die Expedition allerdings unerreichbar. Hedenström trägt die gesichtete Insel dennoch in die Karte ein – unter dem Namen Sannikowland.

SPRECHER 2:
Damit setzt er ihrem Entdecker ein Denkmal, doch eine Sensation ist es noch lange nicht. Denn schließlich sind viele Inseln zu dieser Zeit unerreicht. Zehn Jahre später schickt die zarische Admiralität eine neue Expedition los, um die Karten weiter auszuarbeiten.

MUSIK ENDE

ZITATOR 2:
[S]päter schien es, als seien die Angaben Sannikows widerlegt worden: Leutnant Anjou, der vom Marineministerium den Auftrag erhalten hatte, die von Sannikow gesehenen Länder aufzusuchen, kehrte 1824 mit der vollen Überzeugung zurück, daß die angeblich in Norden von den Neusibirischen Inseln gelegenen Landmassen wohl nur auf einer Täuschung beruhten.

SPRECHER 2:
– schreibt Arktisforscher Baron Eduard von Toll später über diese Expedition.

O-TON:
Das ist auf jeden Fall eine Arktis-Expedition, die kreuz und quer um den Archipel und am Archipel entlangfährt, aber dieses Sannikowland nicht findet. Also man geht systematisch auch an die Stellen zurück, von denen die gesichtet wurde, und kann diese Entdeckung nicht bestätigen, lässt die Insel aber trotzdem auf den Karten stehen, weil es ja weder bestätigt noch widerlegt ist.

SPRECHERIN 1:
Diese Expedition soll die arktischen Inseln kartografieren, aber auch nach einer Landverbindung zu dem Kontinent Arctica suchen – den es freilich gar nicht gibt. Aber die Entdecker tragen immerhin eine neue Insel auf ihrer Karte ein: die Wrangelinsel, die erst knappe 100 Jahre später wirklich entdeckt und erforscht wird.

SPRECHER 2:
Auch jetzt ist die Küstenlinie nur bruchstückhaft kartografiert, denn der Eisgang verhindert das Durchkommen. Und das Sannikowland, das nordwestlich der Kotelny-Insel auf der Karte eingezeichnet ist, bleibt eine bloße Vermutung.

MUSIK & ATMO Geschrei von Wildgänsen
SPRECHERIN 1:
Solche weißen Flecken auf der Karte, wie unentdeckte Inseln und der bisher unerreichte Nordpol reizen aber auch die westlichen Staaten, ihre Überlegenheit zu demonstrieren.

MUSIK ENDE

O-TON:
Es gibt so einen, heute würde man sagen, so einen Arktis-Hype oder so ein Pole-Hype. Das hat einerseits einfach mit der technischen Entwicklung zu tun. Im neunzehnten Jahrhundert kann man eigentlich alle paar Jahre bessere Expeditionsschiffe bauen und dann kommen dampfgetriebene Schiffe. Die Schiffe werden stärker und eigentlich alle größeren europäischen Staaten beginnen Arktisexpeditionen, auch Deutschland, auch Österreich. Und das hat viel auch mit diesem kulturellen Wettkampf zwischen den europäischen Nationen zu tun. Es ist Prestigedenken, dann geht es gar nicht mehr so darum, Land im Besitz zu nehmen, sondern als Erster dort zu sein.
TC 08:45 – Auf der Suche bis in den Tod

MUSIK

ZITATOR 2:
An klaren Sommertagen sieht man von der Nordspitze der Insel Kotelny unter 76° n. Br. vier Berge, die sich kaum über den nördlichen Horizont emporheben — das ist das Sannikow-Land, ein noch nie betretenes Gebiet.

SPRECHER 2:
Es ist der 18. August 1886. Der deutsch-baltische Arktisforscher Eduard Gustav von Toll erblickt bei einem Aufenthalt auf der Kotelny-Insel am Horizont vier Berge am Horizont.

ZITATOR 2:
Die Berge des Sannikow-Landes erinnern in ihrer Form lebhaft an die abgestumpften Basaltkegel des Swätoi Noß, wie sie dem Auge von der Südküste der Gr. Ljächow-Jnsel erscheinen.

SPRECHERIN 1:
Und das an genau derselben Stelle, wie Sannikow 75 Jahre zuvor.

SPRECHER 2:
Meint Toll. Aber es ist eben nicht genau dieselbe Stelle. Doch Toll ist davon überzeugt, das Sannikow-Land gesichtet zu haben. Er stellt einen Antrag an die Russische Akademie der Wissenschaften mit der Bitte, eine Expedition auszurüsten und ihn auf die Suche nach der unerreichten Insel zu schicken.

ATMO Geschrei von Wildgänsen & Musik ENDE

SPRECHERIN 1:
Im Jahr 1899 bewilligt die Akademie 180 000 Rubel für die Expedition. Im Juni des darauffolgenden Jahres sticht Eduard von Toll mit dem Motorschiff Sarja, der Morgenröte, von Kronstadt aus in See.

MUSIK

SPRECHER 2:
Doch die Expedition verläuft nicht wie geplant. Das Eis verhindert, dass die Sarja nahe genug an die mutmaßliche Lage des Sannikowlands herankommt. Schließlich friert das Schiff auch noch nahe der Kotelny-Insel im Packeis ein. Im Juni 1902 beschließen Toll und einige andere schließlich, die Sarja zurückzulassen. Auf Hundeschlitten machen sie sich auf in Richtung Nordosten, um das Eiland auf eigene Faust zu suchen.

SPRECHERIN 1:
Sie werden nicht wieder zurückkehren. Ein Suchtrupp findet 1903 Tolls Tagebuch, doch die Arktisforscher bleiben verschollen.

SPRECHER 2:
Das dramatische Ende dieser Expedition bedeutet die endgültige Mythisierung des Sannikowlands.

MUSIK ENDE

O-Ton:
Weil er das Unglück hat, von seiner Reise nicht zurückzukehren. Also man startet in Kronstadt und fährt dann durch Arktisschmelze eine sehr, sehr schwierige Route. Toll ist tatsächlich erst der dritte, dem es überhaupt gelingt, hier diese Passage von Europa bis ins ostsibirische Meer zu machen. […] Aber gerade weil er so verschwunden ist und es auch nicht eine gewisse Prominenz hat als Arktis Forscher, dann fängt es eben an, dass man ihn mit diesem Sannikowland verbindet, also die Suche nach dieser Insel.
TC 11:40 – Stoff für einen Science-Fiction-Roman

SPRECHERIN 1:
Dieser abenteuerliche Stoff inspiriert schließlich den Science-Fiction-Autor Wladimir Obrutschew zu seinem Roman „Sannikowland“, der 1926 erscheint. In erster Linie ist Obrutschew jedoch Geologe: Sowohl im Zarenreich als auch später in der Sowjetunion forscht er zur Geologie Sibiriens, zu Gletscherbildung, Permafrost und Vulkanismus. Dafür wird er mit vielen Ehrentiteln ausgezeichnet und erhält fünf der renommierten Leninpreise.

SPRECHER 2:
Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse verarbeitet Obrutschew in insgesamt drei utopisch-phantastischen Romanen. Damit trifft er genau den Zeitgeist, denn die optimistische Aufbruchsstimmung der jungen UdSSR zeigt sich auch in einem allgemeinen Enthusiasmus für Wissenschaft. Die Bevölkerung soll gebildet, das wirtschaftliche Potential der Bodenschätze mithilfe der Wissenschaft maximiert werden. Dazu dient Science-Fiction-Literatur wie die von Obrutschew. Ihre Aufgabe ist es, ein breites Interesse an der Wissenschaft zu wecken und Forscher zu neuen Versuchen und Funden zu inspirieren – wie die Entdeckung von neuen Inseln im Eismeer!

SPRECHERIN 1:
Denn auch in den 1920ern gibt es noch genug Raum für Spekulationen, genug unerreichte Inseln. Es ist das letzte Jahrzehnt, in dem die Arktis als Raum des Abenteuers und des Entdeckertums gilt. Als die Wrangelinsel endlich erforscht wird, ist es eine Sensation. Eine große Inspiration für Obrutschew:

MUSIK

ZITATOR 1:
Das ist ein Traumland!

SPRECHERIN 1:
In Obrutschews Roman machen sich drei verbannte Studenten zusammen mit zwei sibirischen Händlern auf den Weg. Im Auftrag eines Mitglieds der Akademie der Wissenschaften reisen sie zum Sannikowland.

ZITATOR 1:
Dieses geheimnisvolle Land zog die beiden nicht minder an als unsere drei Freunde, und sie waren froh, daß ihnen das glückliche Los zugefallen war, es als erste aufzusuchen.

ATMO Geschrei von Wildgänsen

SPRECHERIN 1:
Den Zug der Wildgänse gen Norden sehen sie als Beweis für die Existenz einer warmen Insel im Eismeer.

ZITATOR 1:
Wohin sollten dann aber diese dummen und lebensmüden Vögel fliegen?

SPRECHER 2:
Zum Sannikowland!

MUSIK ENDE

SPRECHERIN 1:
Wohin die fünf Abenteurer den Wildgänsen folgen. Sie finden die lang gesuchte Insel ohne Probleme und staunen nicht schlecht, als sie entdecken, dass das Sannikowland ein riesiger Vulkankrater ist, in dessen Wärme urzeitliche Flora und Fauna gedeihen.

ZITATOR 1:
Aber wer konnte ahnen, daß das Sannikowland ein zoologischer, oder richtiger – ein paläontologischer Garten ist!

SPRECHERIN 1:
Auch dem verschollenen –

SPRECHER 2:
– natürlich fiktiven –

SPRECHERIN 1:
Indigenenstamm der Onkilonen begegnen die Forschungsreisenden dort. Sie werden gastfreundschaftlich aufgenommen und erforschen eine Weile ungestört das Sannikowland.

O-TON:
Warum das funktioniert, das ist tatsächlich, glaube ich, die größte Caldera, die er da mal locker ins Polarmeer setzt, um halt eben zu erklären, dass es dort heiße Quellen gibt und Vegetation. Und dass diese Tiere, die woanders schon ausgestorben sind, also Mammute, Wollnashörner, sich eben auf Sannikow Land gehalten haben.

SPRECHER 2:
Obrutschew betont selbst im Vorwort, dass die fiktionale Schilderung auf dem wissenschaftlichen Forschungsstand seiner Zeit fuße. Im Roman finden sich lateinische Gattungsbezeichnungen, wissenschaftliche Daten werden dargelegt und die Forschungsreisenden diskutieren ihre Beobachtungen und Messungen ausführlich.

ZITATOR 1:
Ist der Talkessel der verschüttete Krater eines Vulkans, dann ist auch die üppige Vegetation unter diesem Breitengrad erklärt. […] Doch wollen wir uns vorläufig noch nicht festlegen, sondern abwarten, was weiter geschieht.

SPRECHERIN 1:
Diese Wissenschaftlichkeit verbindet der Autor mit der mythologischen Vorstellung einer warmen Insel im Eis, wo Menschen abgeschnitten vom Rest der Welt ein glückliches Leben führen.
SPRECHER 2:
Doch kaum sind im Roman die Forschungsreisenden auf der Insel angekommen, erfahren sie, dass das Glück der Onkilonen in Gefahr ist.

ZITATOR 1:
Die Geister des Himmels haben dem Schamanen verkündet, daß dem Volk der Onkilonen große Nöte bevorstehen.

MUSIK

ZITATOR 1:
So weit das Auge reichte – überall stand Wasser, sämtliche Wiesen hatten sich zu Seen verwandelt, die Wälder hoben sich als schwarze Inseln oder Landzungen im weiten Rund des Wasserspiegels ab. Im Lichte der aufgehenden Sonne schimmerte das Wasser wie funkelndes Silber.

SPRECHER 2:
Das System der Insel gerät aus dem Gleichgewicht. Die Temperatur sinkt, das Wasser verschwindet zunächst aus dem heiligen See der Onkilonen, nur um den gesamten Talkessel zu überschwemmen.

ZITATOR 1:
Aus der Erde schossen feurige Kugeln bis in das hohe Rauchdach, Funkelgarben sprühten nach allen Seiten.

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Über 100 Jahre lang prangt das Sannikowland auf den Arktis-Karten - obwohl es nie gefunden wird. Einige lassen bei der Suche nach diesem Land ihr Leben, doch keine der Expeditionen kann die Existenz einer warmen Insel im Eis bestätigen. Bis die technische Entwicklung nach und nach die Wahrheit über das Sannikowland ans Licht bringt. Von Fiona Rachel Fischer (BR 2023)

Credits
Autorin: Fiona Rachel Fischer
Regie: Frank Halbach
Es sprachen: Laura Maire, Christian Baumann, Sven Hussock
Technik: Josef Angloher
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Prof. Andreas Renner

Linktipps:
Deutschlandfunk (2020): Expeditionen ins Eis – gestern und heute
Wie fühlt es sich an, bei klirrender Kälte, vom Eis umschlossen in tiefster Dunkelheit festzusitzen? Was treibt Polarforscher an, die unwirtlichen Regionen am Nord- und Südpol zu erkunden? Welche Eindrücke und Erkenntnisgewinne wiegen die enormen Risiken ihrer Abenteuer auf? Drei aktuelle Sachbücher liefern Antworten. JETZT ANHÖREN

NDR (2024): Geister der Arktis
Die preisgekrönte Extremtaucherin Christina Karliczek Skoglund begibt sich auf eine Expedition in die eisigen Tiefen der Arktis, um die geheimnisvollen Eishaie zu filmen. Die Tierfilmerin möchte nicht nur mit einem der "Methusalems der Meere" tauchen, sondern mit führenden Eishaiforschern über bahnbrechende neue Entdeckungen diskutieren. In Folge zwei stößt Christina immer weiter ins nördliche Grönland vor, um die "Einhörner des Meeres" zu finden. Die bedrohten Narwale leben das ganze Jahr über in Packeisnähe und sind durch den Klimawandel extrem bedroht. Ein mitreißender Doku-Zweiteiler. JETZT ANSEHEN

Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:

Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
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TC 00:15 – Intro
TC 03:55 – Ein Kaufmann auf Expedition
TC 05:54 – Der Arktis Hype des 19. Jahrhundert
TC 08:45 – Auf der Suche bis in den Tod
TC 11:40 – Stoff für einen Science-Fiction-Roman
TC 17:20 – Ewiger wissenschaftlicher Mythos
TC 21:55 – Outro
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
TC 00:15 – Intro

MUSIK & ATMO Geschrei von Wildgänsen, Eisiger Wind, Eisberggeräusche

SPRECHERIN 1:
Folgt man den sibirischen Wildgänsen gen Norden in das ewige Eis, so entdeckt man bald hinter der Kotelny-Insel einen bläulichen Schimmer am Horizont. Beim Näherkommen wird er dunkler und dunkler, bis er sich zu einer schroffen Bergkette verfestigt.

SPRECHER 2:
In der unerbittlichen arktischen Kälte ist der Aufstieg an den steilen Berghängen mühsam. Doch zieht man sich an der letzten Kante hoch, wird man Wunderbares erblicken: Das satte Grün der Wiesen und Bäume. Heiße Geysire, die aus der fruchtbaren Erde sprudeln. Die wilden Mammuts, die durch die urzeitliche Flora streifen, und die blau tätowierten Gesichter eines verschollenen Indigenenstamms.

SPRECHERIN 1:
Das Sannikowland. Eine mystische Arktisinsel mit Atlantis-Charakter. Gefunden wurde dieser wundersame Ort schließlich nie.

ZITATOR 1:
Hat dieses Land überhaupt existiert? Ich bin überzeugt, daß es existiert hat.

SPRECHER 2:
So der Geologe und Autor Wladimir Afanasjewitsch Obrutschew in seinem Roman „Sannikowland“. Zitiert mit freundlicher Genehmigung des Verlags Neues Leben in der Eulenspiegel Verlagsgruppe Berlin.

SPRECHERIN 1:
Die Existenz des Sannikowlands ist eine von vielen Mythen, die sich im Zarenreich des 18. und 19. Jahrhunderts um die Arktis spinnen.

SPRECHER 2:
Zu dieser Zeit ist die Arktis ein weißer, also ein unausgestalteter Fleck auf der Landkarte. Im faszinierenden Unbekannten des ewigen Eises wird eine Nordostpassage entlang der eurasischen Nordküste vermutet, dass der Nordpol möglicherweise eisfrei sei, und irgendwo im Eismeer soll der achte Kontinent Arctica zu finden sein. Auf unentdeckten Inseln sollen große Reichtümer schlummern.

MUSIK ENDE

O-TON:
Es gibt ja diese Insel-Mythen in der Kulturgeschichte zuhauf, dass man vermutet, irgendwo im Ozean hat sich eine Insel gehalten mit glücklichen Menschen. Also diese Insel-Utopien gehen bis in die Antike zurück. Denken Sie an Atlantis oder konkreter für die Arktis haben Sie die Hyperboreer, also diese Vorstellung, dass es irgendwo fernab der Zivilisation glückliche Menschen gibt, die warum auch immer, mal abgeschieden wurden. […] Und dann projiziert man einfach diese Vorstellung, die es schon gibt, auf diese Insel.

SPRECHERIN 1:
Professor Andreas Renner vom Lehrstuhl für Russland-Asien-Studien an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

SPRECHER 2:
Es sind die Indigenen der sibirischen Küste, die bereits seit Jahrhunderten mit ihren flachen Booten das Eismeer befahren. Im 17. Jahrhundert gibt es erste Erkundungsfahrten von russischer Seite und es sind zunächst Entdecker und Eroberer, die von einer Flussmündung über das Meer zum nächsten großen Fluss fahren. Hierbei entstehen die ersten Karten dieser Region. Sie sind allerdings nur zum Navigieren gedacht und nicht einmal mit Längen- und Breitengraden versehen.

SPRECHERIN 1:
Wissenschaftliche Fahrten beginnen in den 1730er Jahren mit der Großen Nordischen Expedition, angestoßen von Marineoffizier Vitus Bering und beauftragt von Zarin Anna Iwanowna. Ganze 10 Jahre dauert sie. Die Karten, die die Forscher entwickeln, bleiben jedoch unvollständig.

ZITATOR 1:
Man wollte es kennenlernen, die Tiefe und die Temperatur der verschiedenen Wasserschichten messen und die Zusammensetzung des Wassers sowie die darin lebenden Tiere und Pflanzen, den Meeresgrund, die Richtung der Strömungen usw. erforschen.
TC 03:55 – Ein Kaufmann auf Expedition

SPRECHER 2:
Doch es gibt noch eine weitere Gruppe, die Interesse an den arktischen Gewässern hat: Kaufleute, die mit Pelzen und Elfenbein handeln.

MUSIK

SPRECHERIN 1:
Ein solcher Händler ist auch der Namensgeber und „Entdecker“ des Sannikowlands. Jakov Sannikow aus Jakutsk sammelt die Stoßzähne von Walrössern oder lässt sie erlegen, um das Elfenbein teuer zu verkaufen. Doch dann findet er eine noch lukrativere Einnahmequelle im ewigen Eis:

O-TON:
Mammutelfenbein. Also er hatte entweder Glück oder Gespür für. Es gibt auf den nordsibirischen Inseln sehr viele Mammutkadaver. Es hält sich in Nordostsibirien ungefähr bis 1500 oder 2000 vor der Zeitrechnung, also das letzte Refugium des Mammuts, und sie können dort nicht weg, sondern sie sterben dann tatsächlich zu Hunderten auf diesen Inseln mit dem Anstieg des Meeresspiegels. Und Sannikow ist einer der ersten, der systematisch diese Mammute sucht und ihnen die Stoßzähne wegnimmt und sie dann teuer verkauft. Also ein sehr erfolgreiches Business, und er ist tatsächlich dann wegen seiner Ortskenntnisse an einer wissenschaftlichen Expedition im Jahr 1809 beteiligt, die diese Neusibirischen Inseln vermessen soll.

SPRECHER 2:
Mit Mattias Hedenström, einem verbannten Beamten aus Riga, bricht Sannikow im Namen des Zaren zu der Mission auf.

ATMO SCHIFF
SPRECHERIN 1:
Das Leben auf einer solchen Expedition ist hart: Die flachen Schiffe mit niedrigem Tiefgang, mit denen man im Eismeer navigieren kann, haben oft keine Kajütenaufbauten. Es ist dort eng, kalt und nass. Viele Menschen, die sich in die Arktis wagen, sterben an Erschöpfung, Hunger, Kälte oder Skorbut.

MUSIK

SPRECHER 2:
Doch wer erfolgreich zurückkommt, den erwarten oft Ruhm oder Reichtum. So auch Sannikow, der nicht nur eine neue Insel entdeckt, sondern gleich noch eine zweite – wie er denkt.
TC 05:54 – Der Arktis Hype des 19. Jahrhundert

SPRECHERIN 1:
Im Jahr 1811 erblickt der Händler nordwestlich der Kotelny-Insel eine unbekannte Landmasse. Diese ist für die Expedition allerdings unerreichbar. Hedenström trägt die gesichtete Insel dennoch in die Karte ein – unter dem Namen Sannikowland.

SPRECHER 2:
Damit setzt er ihrem Entdecker ein Denkmal, doch eine Sensation ist es noch lange nicht. Denn schließlich sind viele Inseln zu dieser Zeit unerreicht. Zehn Jahre später schickt die zarische Admiralität eine neue Expedition los, um die Karten weiter auszuarbeiten.

MUSIK ENDE

ZITATOR 2:
[S]päter schien es, als seien die Angaben Sannikows widerlegt worden: Leutnant Anjou, der vom Marineministerium den Auftrag erhalten hatte, die von Sannikow gesehenen Länder aufzusuchen, kehrte 1824 mit der vollen Überzeugung zurück, daß die angeblich in Norden von den Neusibirischen Inseln gelegenen Landmassen wohl nur auf einer Täuschung beruhten.

SPRECHER 2:
– schreibt Arktisforscher Baron Eduard von Toll später über diese Expedition.

O-TON:
Das ist auf jeden Fall eine Arktis-Expedition, die kreuz und quer um den Archipel und am Archipel entlangfährt, aber dieses Sannikowland nicht findet. Also man geht systematisch auch an die Stellen zurück, von denen die gesichtet wurde, und kann diese Entdeckung nicht bestätigen, lässt die Insel aber trotzdem auf den Karten stehen, weil es ja weder bestätigt noch widerlegt ist.

SPRECHERIN 1:
Diese Expedition soll die arktischen Inseln kartografieren, aber auch nach einer Landverbindung zu dem Kontinent Arctica suchen – den es freilich gar nicht gibt. Aber die Entdecker tragen immerhin eine neue Insel auf ihrer Karte ein: die Wrangelinsel, die erst knappe 100 Jahre später wirklich entdeckt und erforscht wird.

SPRECHER 2:
Auch jetzt ist die Küstenlinie nur bruchstückhaft kartografiert, denn der Eisgang verhindert das Durchkommen. Und das Sannikowland, das nordwestlich der Kotelny-Insel auf der Karte eingezeichnet ist, bleibt eine bloße Vermutung.

MUSIK & ATMO Geschrei von Wildgänsen
SPRECHERIN 1:
Solche weißen Flecken auf der Karte, wie unentdeckte Inseln und der bisher unerreichte Nordpol reizen aber auch die westlichen Staaten, ihre Überlegenheit zu demonstrieren.

MUSIK ENDE

O-TON:
Es gibt so einen, heute würde man sagen, so einen Arktis-Hype oder so ein Pole-Hype. Das hat einerseits einfach mit der technischen Entwicklung zu tun. Im neunzehnten Jahrhundert kann man eigentlich alle paar Jahre bessere Expeditionsschiffe bauen und dann kommen dampfgetriebene Schiffe. Die Schiffe werden stärker und eigentlich alle größeren europäischen Staaten beginnen Arktisexpeditionen, auch Deutschland, auch Österreich. Und das hat viel auch mit diesem kulturellen Wettkampf zwischen den europäischen Nationen zu tun. Es ist Prestigedenken, dann geht es gar nicht mehr so darum, Land im Besitz zu nehmen, sondern als Erster dort zu sein.
TC 08:45 – Auf der Suche bis in den Tod

MUSIK

ZITATOR 2:
An klaren Sommertagen sieht man von der Nordspitze der Insel Kotelny unter 76° n. Br. vier Berge, die sich kaum über den nördlichen Horizont emporheben — das ist das Sannikow-Land, ein noch nie betretenes Gebiet.

SPRECHER 2:
Es ist der 18. August 1886. Der deutsch-baltische Arktisforscher Eduard Gustav von Toll erblickt bei einem Aufenthalt auf der Kotelny-Insel am Horizont vier Berge am Horizont.

ZITATOR 2:
Die Berge des Sannikow-Landes erinnern in ihrer Form lebhaft an die abgestumpften Basaltkegel des Swätoi Noß, wie sie dem Auge von der Südküste der Gr. Ljächow-Jnsel erscheinen.

SPRECHERIN 1:
Und das an genau derselben Stelle, wie Sannikow 75 Jahre zuvor.

SPRECHER 2:
Meint Toll. Aber es ist eben nicht genau dieselbe Stelle. Doch Toll ist davon überzeugt, das Sannikow-Land gesichtet zu haben. Er stellt einen Antrag an die Russische Akademie der Wissenschaften mit der Bitte, eine Expedition auszurüsten und ihn auf die Suche nach der unerreichten Insel zu schicken.

ATMO Geschrei von Wildgänsen & Musik ENDE

SPRECHERIN 1:
Im Jahr 1899 bewilligt die Akademie 180 000 Rubel für die Expedition. Im Juni des darauffolgenden Jahres sticht Eduard von Toll mit dem Motorschiff Sarja, der Morgenröte, von Kronstadt aus in See.

MUSIK

SPRECHER 2:
Doch die Expedition verläuft nicht wie geplant. Das Eis verhindert, dass die Sarja nahe genug an die mutmaßliche Lage des Sannikowlands herankommt. Schließlich friert das Schiff auch noch nahe der Kotelny-Insel im Packeis ein. Im Juni 1902 beschließen Toll und einige andere schließlich, die Sarja zurückzulassen. Auf Hundeschlitten machen sie sich auf in Richtung Nordosten, um das Eiland auf eigene Faust zu suchen.

SPRECHERIN 1:
Sie werden nicht wieder zurückkehren. Ein Suchtrupp findet 1903 Tolls Tagebuch, doch die Arktisforscher bleiben verschollen.

SPRECHER 2:
Das dramatische Ende dieser Expedition bedeutet die endgültige Mythisierung des Sannikowlands.

MUSIK ENDE

O-Ton:
Weil er das Unglück hat, von seiner Reise nicht zurückzukehren. Also man startet in Kronstadt und fährt dann durch Arktisschmelze eine sehr, sehr schwierige Route. Toll ist tatsächlich erst der dritte, dem es überhaupt gelingt, hier diese Passage von Europa bis ins ostsibirische Meer zu machen. […] Aber gerade weil er so verschwunden ist und es auch nicht eine gewisse Prominenz hat als Arktis Forscher, dann fängt es eben an, dass man ihn mit diesem Sannikowland verbindet, also die Suche nach dieser Insel.
TC 11:40 – Stoff für einen Science-Fiction-Roman

SPRECHERIN 1:
Dieser abenteuerliche Stoff inspiriert schließlich den Science-Fiction-Autor Wladimir Obrutschew zu seinem Roman „Sannikowland“, der 1926 erscheint. In erster Linie ist Obrutschew jedoch Geologe: Sowohl im Zarenreich als auch später in der Sowjetunion forscht er zur Geologie Sibiriens, zu Gletscherbildung, Permafrost und Vulkanismus. Dafür wird er mit vielen Ehrentiteln ausgezeichnet und erhält fünf der renommierten Leninpreise.

SPRECHER 2:
Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse verarbeitet Obrutschew in insgesamt drei utopisch-phantastischen Romanen. Damit trifft er genau den Zeitgeist, denn die optimistische Aufbruchsstimmung der jungen UdSSR zeigt sich auch in einem allgemeinen Enthusiasmus für Wissenschaft. Die Bevölkerung soll gebildet, das wirtschaftliche Potential der Bodenschätze mithilfe der Wissenschaft maximiert werden. Dazu dient Science-Fiction-Literatur wie die von Obrutschew. Ihre Aufgabe ist es, ein breites Interesse an der Wissenschaft zu wecken und Forscher zu neuen Versuchen und Funden zu inspirieren – wie die Entdeckung von neuen Inseln im Eismeer!

SPRECHERIN 1:
Denn auch in den 1920ern gibt es noch genug Raum für Spekulationen, genug unerreichte Inseln. Es ist das letzte Jahrzehnt, in dem die Arktis als Raum des Abenteuers und des Entdeckertums gilt. Als die Wrangelinsel endlich erforscht wird, ist es eine Sensation. Eine große Inspiration für Obrutschew:

MUSIK

ZITATOR 1:
Das ist ein Traumland!

SPRECHERIN 1:
In Obrutschews Roman machen sich drei verbannte Studenten zusammen mit zwei sibirischen Händlern auf den Weg. Im Auftrag eines Mitglieds der Akademie der Wissenschaften reisen sie zum Sannikowland.

ZITATOR 1:
Dieses geheimnisvolle Land zog die beiden nicht minder an als unsere drei Freunde, und sie waren froh, daß ihnen das glückliche Los zugefallen war, es als erste aufzusuchen.

ATMO Geschrei von Wildgänsen

SPRECHERIN 1:
Den Zug der Wildgänse gen Norden sehen sie als Beweis für die Existenz einer warmen Insel im Eismeer.

ZITATOR 1:
Wohin sollten dann aber diese dummen und lebensmüden Vögel fliegen?

SPRECHER 2:
Zum Sannikowland!

MUSIK ENDE

SPRECHERIN 1:
Wohin die fünf Abenteurer den Wildgänsen folgen. Sie finden die lang gesuchte Insel ohne Probleme und staunen nicht schlecht, als sie entdecken, dass das Sannikowland ein riesiger Vulkankrater ist, in dessen Wärme urzeitliche Flora und Fauna gedeihen.

ZITATOR 1:
Aber wer konnte ahnen, daß das Sannikowland ein zoologischer, oder richtiger – ein paläontologischer Garten ist!

SPRECHERIN 1:
Auch dem verschollenen –

SPRECHER 2:
– natürlich fiktiven –

SPRECHERIN 1:
Indigenenstamm der Onkilonen begegnen die Forschungsreisenden dort. Sie werden gastfreundschaftlich aufgenommen und erforschen eine Weile ungestört das Sannikowland.

O-TON:
Warum das funktioniert, das ist tatsächlich, glaube ich, die größte Caldera, die er da mal locker ins Polarmeer setzt, um halt eben zu erklären, dass es dort heiße Quellen gibt und Vegetation. Und dass diese Tiere, die woanders schon ausgestorben sind, also Mammute, Wollnashörner, sich eben auf Sannikow Land gehalten haben.

SPRECHER 2:
Obrutschew betont selbst im Vorwort, dass die fiktionale Schilderung auf dem wissenschaftlichen Forschungsstand seiner Zeit fuße. Im Roman finden sich lateinische Gattungsbezeichnungen, wissenschaftliche Daten werden dargelegt und die Forschungsreisenden diskutieren ihre Beobachtungen und Messungen ausführlich.

ZITATOR 1:
Ist der Talkessel der verschüttete Krater eines Vulkans, dann ist auch die üppige Vegetation unter diesem Breitengrad erklärt. […] Doch wollen wir uns vorläufig noch nicht festlegen, sondern abwarten, was weiter geschieht.

SPRECHERIN 1:
Diese Wissenschaftlichkeit verbindet der Autor mit der mythologischen Vorstellung einer warmen Insel im Eis, wo Menschen abgeschnitten vom Rest der Welt ein glückliches Leben führen.
SPRECHER 2:
Doch kaum sind im Roman die Forschungsreisenden auf der Insel angekommen, erfahren sie, dass das Glück der Onkilonen in Gefahr ist.

ZITATOR 1:
Die Geister des Himmels haben dem Schamanen verkündet, daß dem Volk der Onkilonen große Nöte bevorstehen.

MUSIK

ZITATOR 1:
So weit das Auge reichte – überall stand Wasser, sämtliche Wiesen hatten sich zu Seen verwandelt, die Wälder hoben sich als schwarze Inseln oder Landzungen im weiten Rund des Wasserspiegels ab. Im Lichte der aufgehenden Sonne schimmerte das Wasser wie funkelndes Silber.

SPRECHER 2:
Das System der Insel gerät aus dem Gleichgewicht. Die Temperatur sinkt, das Wasser verschwindet zunächst aus dem heiligen See der Onkilonen, nur um den gesamten Talkessel zu überschwemmen.

ZITATOR 1:
Aus der Erde schossen feurige Kugeln bis in das hohe Rauchdach, Funkelgarben sprühten nach allen Seiten.

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