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#34 – Der erste Rauswurf von Günter "Jimmy" Hoge
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Günter "Jimmy" Hoge erhielt 1970 de facto Berufsverbot als Fußballspieler. Doch das Ende seiner Zeit beim 1. FC Union Berlin war nicht sein erster Rauswurf. Der kam bereits 1961 beim Armeesportklub Vorwärts Berlin.
Quellen:
- “Immer weiter, ganz nach vorn”, Matthias Koch, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2013
- Vorwärts: Armee-Fußball im DDR-Sozialismus (Aufstieg und Fall des ASK/FC Vorwärts Leipzig/Berlin/Frankfurt, Hanns Leske, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2009
- “Mentzel: Bei Union-Sieg breche ich zusammen”, BZ vom 10. Februar 2013
- “Unser Mitarbeiter Lothar Meyer stellt den neuen Meister vor”, Berliner Zeitung vom 21. November 1960
- “Gute erste Halbzeit sicherte 4:2-Sieg”, Neues Deutschland vom 10. August 1961
- “DDR-Elf unterlag mit 1:3 Toren”, Neues Deutschland vom 23. Oktober 1961
- “Stürmt jetzt für Dynamo”, Berliner Zeitung vom 3. Januar 1962
- “Spielerische Linie gab Ausschlag”, Berliner Zeitung vom 3. Mai 1964
- “Unsere dritte Oberliga-Elf”, Berliner Zeitung vom 6. Juni 1966
- „Ich habe geheult wie ein Schlosshund“, Berliner Zeitung vom 11. Oktober 2015
Sendungs-Skript
Jimmy Hoges Rauswurf beim 1. FC Union Berlin kennen wir. Gesperrt wurde er am 5. August 1970 für 6 Jahre für die Oberliga, 2 Jahre für die Liga und 1 Jahr für die Bezirksliga. Das war gleichbedeutend mit Berufsverbot.
Jimmy Hoge sagte dazu: “Mein ehemaliger Trainer Werner Schwenzfeier, mein damaliger Mitspieler Günter Klausch und ich haben am 17. Juni 1970 in Ahrenshoop das in einer Gaststätte das WM-Halbfinale zwischen Deutschland und Italien im Fernsehen gesehen. Ich soll das Deutschlandlied gesungen haben. Zeugin war eine am Tresen stehende Tochter eines ehemaligen Schiedsrichters.”
Günter Mielis, damals Vereinsvorsitzender des 1. FC Union, sagte darüber: “Die Sache hatte eine große Tragik. Jimmy ist denunziert worden, als er mit seinem Ex-Trainer Werner Schwenzfeier und Mitspieler Günter Klausch in Ahrenshoop im Urlaub in der Öffentlichkeit vielleicht ein paar Bier zu viel getrunken hatte. Einen Ausschluss vom Leistungssport konnten wir nicht mehr verhindern. Bei Günter Hoge hatte es in der Vergangenheit ja schon ähnliche Vorfälle gegeben.”
Damit bezieht er sich nicht nur auf die Sperre von Oktober 1968 bis Ende Mai 1969 weil er angeblich unter Alkoholkonsum Mitspieler beleidigt haben soll, sondern auch auf einen Vorfall der sehr viel länger zurück liegt. Sein Rauswurf beim ASK Vorwärts im Dezember 1961.
Der Rauswurf beim ASK Vorwärts
Der 1940 geborene Jimmy Hoge spielte in den Jugendmannschaften von Lichtenberg 47. Mit 18 Jahren wechselte er zum Armeesportklub Vorwärts Berlin. Dort wurde er gleich Juniorenmeister im Jahr 1959 und gab mit einer Einwechslung am 27. März 1960 sein Debüt beim 3:1-Sieg bei Einheit Dresden. Sechs Mal kam er zum Einsatz in der Saison. Nicht viel, aber er war trotzdem DDR-Meister. Denn Vorwärts gewann mit 9 Punkten vor Dynamo Berlin den Titel.
So beschrieb Lothar “Lulu” Meyer seinen Mitspieler in der Berliner Zeitung, als die Meister-Mannschaft vorgestellt wurde: “Günter Hoge (19). Unteroffizier, hat ausgesprochenes Stürmerblut in den Adern. Wenn „Jimmy“ spielt, fehlen nie: Vater Hoge und Günters sympathische Fußballbraut Karla. Günter schließt bald die Lehrzeit als Maschinenschlosser ab. Seine Steckenpferde: Billard und Tischtennis.”
Übrigens, den Spitznamen Jimmy hat Günter Hoge aus dieser Zeit: “Den habe ich beim ASK Vorwärts verpasst gekriegt. Ich war der Einzige im Armeesportverein mit längeren Haaren. Ich konnte mich lange Zeit vor dem Friseur drücken bis mich eines Tages Major Knöfler zusammenpfiff und sagte: „Genosse Hoge – auch für Sie gilt militärischer Kurzhaarschnitt.“ Dann musste ich wohl oder übel. Meine Mannschaftskameraden haben schon auf mich gewartet und meinten: „Jetzt siehst du auch aus wie ein Jimmy.“
Major Kurt Knöfler war damals der ASK-Mannschaftsleiter.
Exkurs: Die Mammut-Saison 1961/62
1961 gab es zwar Meisterschaftsspiele, aber keinen Meister. Der Grund ist kurios aus heutiger Sicht. Denn in dieser Spielzeit gab es nicht nur Hin- und Rückrunde in der Oberliga, sondern auch noch eine dritte Runde. Die fand auf neutralem Platz statt. Grund war die erneute Umstellung des Saison-Rhythmus’ vom Kalenderjahr, also Frühjahr bis Herbst auf den gewohnten Rhytmus Herbst/Frühjahr.
1955 hatte die DDR von der Sowjetunion den Kalenderjahr-Rhythmus übernommen. Während er dort wegen des kontinentalen Klimas (langer Sommer und langer Winter) Sinn ergab, waren die klimatischen Gründe in der DDR nicht gegeben. Dazu kam, dass es nicht mit dem Europapokalrhythmus zusammenpasste. Wenn man dort weiterkam, musste man also quasi in der wettkampffreien Zeit die europäischen Spiele absolvieren. Deshalb wurde nach 1960 diese Entscheidung zurückgenommen. Die Spiele auf neutralem Platz fanden übrigens nicht in der dritten Runde statt, sondern wurden dazwischen eingestreut.
Das jähe Ende einer vielversprechenden Karriere
1961 und 1962 stand also statt einer Saison mit den üblichen 26 Spielen eine Spielzeit mit 39 Partien an. Und eins kann ich schon sagen, Jimmy Hoge wird ihr Ende nicht miterleben. Aber er kommt auf 24 Spiele und schießt 6 Tore. Er wird also eine wichtige Kraft in der Mannschaft. Und außerdem wird er erstmals zur Nationalmannschaft berufen, spielt gegen Marokko und Ungarn, aber auch ein Testspiel mit der Nationalmannschaft gegen Ferencvaros Budapest, das im August 1961 mit 4:2 gewonnen werden konnte.
Über diesen Einsatz schrieb das Neue Deutschland am 10. August: “Hoge vom ASK Vorwärts, gewitzt spielend, schien uns besser zu sein als Roland Ducke. Ihm fehlt es lediglich an Erfahrung. Er wird unter der Anleitung Karoly Soos seinen Weg machen.”
Eine Position dort war jedenfalls frei, denn es gab keine Stammkraft, wie nach dem 1:3 gegen Polen, bei dem Hoge nicht mitspielte, klar wurde. Dazu schreibt das Neue Deutschland am 23. Oktober: “Auf der Rechtsaußenposition gibt es eigentlich gar keine Nummer eins. Hoge wäre bei fleißiger Arbeit an sich selbst vielleicht der Mann.”
Als es zum Ende des Jahres um Beförderungen geht, wird Jimmy Hoge nicht berücksichtigt. Und das obwohl er zweifellos ein Leistungsträger geworden ist.
In der Zeitschrift Libero – spezial deutsch von 1995 wird der Vorgang wie folgt zitiert: “Die SED-Fürsten im Armeerock fanden ihn nicht sozialistisch genug und beförderten ihn nicht. so dass er als einer der besten Spieler weiter das niedrigste Spielergehalt bezog, da nach dem Dienstgrad entlohnt wurde.”
Dass die Bezahlung in der DDR nicht zwangsläufig mit dem fußballerischen Wert eines Spielers zu tun hatte, darüber haben wir bereits in der Episode 33 gesprochen, als es um die Besonderheiten des Fußballs in der DDR ging.
Despektierliche Bemerkungen von Jimmy Hoge zu dieser Nichtbeförderung sollen dazu geführt haben, dass er aus der Nationalen Volksarmee ausgeschlossen und vom Armeesportklub wegdelegiert. Um es wirklich als Bestrafung wirken zu lassen, kommt er nicht zu einem Oberligisten und auch nicht zu einem Club in der zweitklassigen DDR-Liga. Er wird tatsächlich in die 3. Liga zu Motor Köpenick abgeschoben.
Die letzte Meldung über ihn als ASK-Spieler lesen wir am 3. Januar 1962 in der Berliner Zeitung in einer kurzen Nachricht: “Wertvolle Verstärkung für den Angriff erhielt die II. DDR-Ligamann- schaft Motor Köpenick, der sich nach beendeter Dienstzeit in den Reihen der Nationalen Volksarmee Gunter Hoge vom ASK Vorwärts anschloss.” Dort muss er bis 1964 spielen, bevor er zum TSC Berlin wechseln darf, dessen Fußballabteilung ab 1966 zum 1. FC Union Berlin wird.
Jimmy Hoge sagte zu dem Vorfall selbst im Buch von Matze Koch “Immer weiter – ganz nach vorn”: “Es ging nicht unbedingt um mehr Geld. Ich hätte mich länger für die NVA verpflichten müssen. Es handelte sich um den Zeitraum von 3,4 Jahren. Die Armee war aber nicht meine Welt. Ich wollte immer zu einem zivilen Club. Ich habe aber nicht damit gerechnet, dass sie mich zu Motor Köpenick abschieben.”
Die Verpflichtung für mehr Jahre bei der Armee hätte zwar auch mehr Geld bedeutet, aber gleichzeitig ihm eine Zukunft in einem zivilen Club verbaut. Die Abneigung gegen die Armee und die Dienstverpflichtung, wenn man dort spielen wollte, hatte mir auch mal Achim Mentzel erzählt, der nach eigener Aussage in der U18 in der Berliner Auswahl gespielt hat und in der Jugend bei Vorwärts war. Aber er wollte sich nicht verpflichten. “Ich war ein Rock’n’Roller”, hatte er mir gesagt. “Als ich 18 war, kamen die Vereinsbosse zu uns nach Hause. Ich sollte in die Armee eintreten. Das wollte ich nicht.” Achim Mentzel war 6 Jahre jünger als Jimmy Hoge.
Deshalb passt auch die Einschätzung, die er 2015 in einem Interview in der Berliner Zeitung erzählte: “Der ASK war ein Armeeklub und das war einfach nicht mein Ding. Zwar durfte man mit Zivilklamotten rumlaufen, aber das war schon alles sehr angestrengt. Ich war nur einer von zwei Spielern, die in Berlin wohnten. Der Rest war draußen in der Kaserne in Strausberg. Warum ich dann zu Motor Köpenick strafversetzt wurde, kann ich aber nicht sagen.”
Und:
“Beim ASK Vorwärts bekamen wir Bananen und Apfelsinen zugeteilt, was ein ausgesprochenes Privileg war. Ich bin trotzdem lieber Bockwurst und Brötchen essen gegangen, was viele nicht gerne gesehen haben.”
Die nächste Erwähnung in der Berliner Zeitung jenseits von Mannschaftsaufstellungen erfährt Jimmy Hoge erst am 3. Mai 1964 wieder, als über das 1:0 von Dynamo Hohenschönhausen gegen Motor Köpenick geschrieben wird.
Nach dem Aufstieg in die Oberliga 1966 sagte Günter Hoge selbst in der Berliner Zeitung: “Nach einigen Jahren der Unterbrechung atme ich nun wieder Oberligaluft. Ich wünsche mir dafür selbstverständlich eine gute Form und verspreche, daß ich versuchen werde, mannschaftsdienlicher zu spielen. Selbstverständlich habe ich auch die Hoffnung, daß ich durch die Spiele in der höchsten Klasse wieder etwas mehr in den Blickpunkt unserer Auswahltrainer rücke und ich vielleicht doch mal wieder eine Chance bekomme, als Auswahlspieler eingesetzt zu werden.”
Etwas traurig war ich, als ich die letzten Sätze im Interview von 2015 noch einmal las: “Wenn mir jemand bei Union versprechen könnte, dass sie innerhalb der nächsten fünf Jahre in die Bundesliga aufsteigen würden, würde ich noch die fünf Jahre an die 75 dranhängen.”
On Air:
Die Musik wurde von David erstellt und die Logos von Steffi entworfen. Der Podcast beruht auf dem Konzept des famosen Geschichts-Podcasts Zeitsprung von Daniel Meßner und Richard Hemmer. Danke für alles!Bewertet unseren Podcast oder schreibt Rezensionen bei iTunes oder auf Panoptikum.io. Ihr könnt "Und niemals vergessen" auch bei Spotify oder Deezer hören und abonnieren.
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1. Intro (00:00:00)
2. Rückblick auf die letzte Sendung (00:00:54)
3. Jimmy Hoges erster Rauswurf (00:02:32)
4. Exkurs: Die Mammutsaison 1961/62 (00:09:04)
5. Hinweis-Block (00:30:53)
6. Outro (00:32:39)
42 Episoden
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Günter "Jimmy" Hoge erhielt 1970 de facto Berufsverbot als Fußballspieler. Doch das Ende seiner Zeit beim 1. FC Union Berlin war nicht sein erster Rauswurf. Der kam bereits 1961 beim Armeesportklub Vorwärts Berlin.
Quellen:
- “Immer weiter, ganz nach vorn”, Matthias Koch, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2013
- Vorwärts: Armee-Fußball im DDR-Sozialismus (Aufstieg und Fall des ASK/FC Vorwärts Leipzig/Berlin/Frankfurt, Hanns Leske, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2009
- “Mentzel: Bei Union-Sieg breche ich zusammen”, BZ vom 10. Februar 2013
- “Unser Mitarbeiter Lothar Meyer stellt den neuen Meister vor”, Berliner Zeitung vom 21. November 1960
- “Gute erste Halbzeit sicherte 4:2-Sieg”, Neues Deutschland vom 10. August 1961
- “DDR-Elf unterlag mit 1:3 Toren”, Neues Deutschland vom 23. Oktober 1961
- “Stürmt jetzt für Dynamo”, Berliner Zeitung vom 3. Januar 1962
- “Spielerische Linie gab Ausschlag”, Berliner Zeitung vom 3. Mai 1964
- “Unsere dritte Oberliga-Elf”, Berliner Zeitung vom 6. Juni 1966
- „Ich habe geheult wie ein Schlosshund“, Berliner Zeitung vom 11. Oktober 2015
Sendungs-Skript
Jimmy Hoges Rauswurf beim 1. FC Union Berlin kennen wir. Gesperrt wurde er am 5. August 1970 für 6 Jahre für die Oberliga, 2 Jahre für die Liga und 1 Jahr für die Bezirksliga. Das war gleichbedeutend mit Berufsverbot.
Jimmy Hoge sagte dazu: “Mein ehemaliger Trainer Werner Schwenzfeier, mein damaliger Mitspieler Günter Klausch und ich haben am 17. Juni 1970 in Ahrenshoop das in einer Gaststätte das WM-Halbfinale zwischen Deutschland und Italien im Fernsehen gesehen. Ich soll das Deutschlandlied gesungen haben. Zeugin war eine am Tresen stehende Tochter eines ehemaligen Schiedsrichters.”
Günter Mielis, damals Vereinsvorsitzender des 1. FC Union, sagte darüber: “Die Sache hatte eine große Tragik. Jimmy ist denunziert worden, als er mit seinem Ex-Trainer Werner Schwenzfeier und Mitspieler Günter Klausch in Ahrenshoop im Urlaub in der Öffentlichkeit vielleicht ein paar Bier zu viel getrunken hatte. Einen Ausschluss vom Leistungssport konnten wir nicht mehr verhindern. Bei Günter Hoge hatte es in der Vergangenheit ja schon ähnliche Vorfälle gegeben.”
Damit bezieht er sich nicht nur auf die Sperre von Oktober 1968 bis Ende Mai 1969 weil er angeblich unter Alkoholkonsum Mitspieler beleidigt haben soll, sondern auch auf einen Vorfall der sehr viel länger zurück liegt. Sein Rauswurf beim ASK Vorwärts im Dezember 1961.
Der Rauswurf beim ASK Vorwärts
Der 1940 geborene Jimmy Hoge spielte in den Jugendmannschaften von Lichtenberg 47. Mit 18 Jahren wechselte er zum Armeesportklub Vorwärts Berlin. Dort wurde er gleich Juniorenmeister im Jahr 1959 und gab mit einer Einwechslung am 27. März 1960 sein Debüt beim 3:1-Sieg bei Einheit Dresden. Sechs Mal kam er zum Einsatz in der Saison. Nicht viel, aber er war trotzdem DDR-Meister. Denn Vorwärts gewann mit 9 Punkten vor Dynamo Berlin den Titel.
So beschrieb Lothar “Lulu” Meyer seinen Mitspieler in der Berliner Zeitung, als die Meister-Mannschaft vorgestellt wurde: “Günter Hoge (19). Unteroffizier, hat ausgesprochenes Stürmerblut in den Adern. Wenn „Jimmy“ spielt, fehlen nie: Vater Hoge und Günters sympathische Fußballbraut Karla. Günter schließt bald die Lehrzeit als Maschinenschlosser ab. Seine Steckenpferde: Billard und Tischtennis.”
Übrigens, den Spitznamen Jimmy hat Günter Hoge aus dieser Zeit: “Den habe ich beim ASK Vorwärts verpasst gekriegt. Ich war der Einzige im Armeesportverein mit längeren Haaren. Ich konnte mich lange Zeit vor dem Friseur drücken bis mich eines Tages Major Knöfler zusammenpfiff und sagte: „Genosse Hoge – auch für Sie gilt militärischer Kurzhaarschnitt.“ Dann musste ich wohl oder übel. Meine Mannschaftskameraden haben schon auf mich gewartet und meinten: „Jetzt siehst du auch aus wie ein Jimmy.“
Major Kurt Knöfler war damals der ASK-Mannschaftsleiter.
Exkurs: Die Mammut-Saison 1961/62
1961 gab es zwar Meisterschaftsspiele, aber keinen Meister. Der Grund ist kurios aus heutiger Sicht. Denn in dieser Spielzeit gab es nicht nur Hin- und Rückrunde in der Oberliga, sondern auch noch eine dritte Runde. Die fand auf neutralem Platz statt. Grund war die erneute Umstellung des Saison-Rhythmus’ vom Kalenderjahr, also Frühjahr bis Herbst auf den gewohnten Rhytmus Herbst/Frühjahr.
1955 hatte die DDR von der Sowjetunion den Kalenderjahr-Rhythmus übernommen. Während er dort wegen des kontinentalen Klimas (langer Sommer und langer Winter) Sinn ergab, waren die klimatischen Gründe in der DDR nicht gegeben. Dazu kam, dass es nicht mit dem Europapokalrhythmus zusammenpasste. Wenn man dort weiterkam, musste man also quasi in der wettkampffreien Zeit die europäischen Spiele absolvieren. Deshalb wurde nach 1960 diese Entscheidung zurückgenommen. Die Spiele auf neutralem Platz fanden übrigens nicht in der dritten Runde statt, sondern wurden dazwischen eingestreut.
Das jähe Ende einer vielversprechenden Karriere
1961 und 1962 stand also statt einer Saison mit den üblichen 26 Spielen eine Spielzeit mit 39 Partien an. Und eins kann ich schon sagen, Jimmy Hoge wird ihr Ende nicht miterleben. Aber er kommt auf 24 Spiele und schießt 6 Tore. Er wird also eine wichtige Kraft in der Mannschaft. Und außerdem wird er erstmals zur Nationalmannschaft berufen, spielt gegen Marokko und Ungarn, aber auch ein Testspiel mit der Nationalmannschaft gegen Ferencvaros Budapest, das im August 1961 mit 4:2 gewonnen werden konnte.
Über diesen Einsatz schrieb das Neue Deutschland am 10. August: “Hoge vom ASK Vorwärts, gewitzt spielend, schien uns besser zu sein als Roland Ducke. Ihm fehlt es lediglich an Erfahrung. Er wird unter der Anleitung Karoly Soos seinen Weg machen.”
Eine Position dort war jedenfalls frei, denn es gab keine Stammkraft, wie nach dem 1:3 gegen Polen, bei dem Hoge nicht mitspielte, klar wurde. Dazu schreibt das Neue Deutschland am 23. Oktober: “Auf der Rechtsaußenposition gibt es eigentlich gar keine Nummer eins. Hoge wäre bei fleißiger Arbeit an sich selbst vielleicht der Mann.”
Als es zum Ende des Jahres um Beförderungen geht, wird Jimmy Hoge nicht berücksichtigt. Und das obwohl er zweifellos ein Leistungsträger geworden ist.
In der Zeitschrift Libero – spezial deutsch von 1995 wird der Vorgang wie folgt zitiert: “Die SED-Fürsten im Armeerock fanden ihn nicht sozialistisch genug und beförderten ihn nicht. so dass er als einer der besten Spieler weiter das niedrigste Spielergehalt bezog, da nach dem Dienstgrad entlohnt wurde.”
Dass die Bezahlung in der DDR nicht zwangsläufig mit dem fußballerischen Wert eines Spielers zu tun hatte, darüber haben wir bereits in der Episode 33 gesprochen, als es um die Besonderheiten des Fußballs in der DDR ging.
Despektierliche Bemerkungen von Jimmy Hoge zu dieser Nichtbeförderung sollen dazu geführt haben, dass er aus der Nationalen Volksarmee ausgeschlossen und vom Armeesportklub wegdelegiert. Um es wirklich als Bestrafung wirken zu lassen, kommt er nicht zu einem Oberligisten und auch nicht zu einem Club in der zweitklassigen DDR-Liga. Er wird tatsächlich in die 3. Liga zu Motor Köpenick abgeschoben.
Die letzte Meldung über ihn als ASK-Spieler lesen wir am 3. Januar 1962 in der Berliner Zeitung in einer kurzen Nachricht: “Wertvolle Verstärkung für den Angriff erhielt die II. DDR-Ligamann- schaft Motor Köpenick, der sich nach beendeter Dienstzeit in den Reihen der Nationalen Volksarmee Gunter Hoge vom ASK Vorwärts anschloss.” Dort muss er bis 1964 spielen, bevor er zum TSC Berlin wechseln darf, dessen Fußballabteilung ab 1966 zum 1. FC Union Berlin wird.
Jimmy Hoge sagte zu dem Vorfall selbst im Buch von Matze Koch “Immer weiter – ganz nach vorn”: “Es ging nicht unbedingt um mehr Geld. Ich hätte mich länger für die NVA verpflichten müssen. Es handelte sich um den Zeitraum von 3,4 Jahren. Die Armee war aber nicht meine Welt. Ich wollte immer zu einem zivilen Club. Ich habe aber nicht damit gerechnet, dass sie mich zu Motor Köpenick abschieben.”
Die Verpflichtung für mehr Jahre bei der Armee hätte zwar auch mehr Geld bedeutet, aber gleichzeitig ihm eine Zukunft in einem zivilen Club verbaut. Die Abneigung gegen die Armee und die Dienstverpflichtung, wenn man dort spielen wollte, hatte mir auch mal Achim Mentzel erzählt, der nach eigener Aussage in der U18 in der Berliner Auswahl gespielt hat und in der Jugend bei Vorwärts war. Aber er wollte sich nicht verpflichten. “Ich war ein Rock’n’Roller”, hatte er mir gesagt. “Als ich 18 war, kamen die Vereinsbosse zu uns nach Hause. Ich sollte in die Armee eintreten. Das wollte ich nicht.” Achim Mentzel war 6 Jahre jünger als Jimmy Hoge.
Deshalb passt auch die Einschätzung, die er 2015 in einem Interview in der Berliner Zeitung erzählte: “Der ASK war ein Armeeklub und das war einfach nicht mein Ding. Zwar durfte man mit Zivilklamotten rumlaufen, aber das war schon alles sehr angestrengt. Ich war nur einer von zwei Spielern, die in Berlin wohnten. Der Rest war draußen in der Kaserne in Strausberg. Warum ich dann zu Motor Köpenick strafversetzt wurde, kann ich aber nicht sagen.”
Und:
“Beim ASK Vorwärts bekamen wir Bananen und Apfelsinen zugeteilt, was ein ausgesprochenes Privileg war. Ich bin trotzdem lieber Bockwurst und Brötchen essen gegangen, was viele nicht gerne gesehen haben.”
Die nächste Erwähnung in der Berliner Zeitung jenseits von Mannschaftsaufstellungen erfährt Jimmy Hoge erst am 3. Mai 1964 wieder, als über das 1:0 von Dynamo Hohenschönhausen gegen Motor Köpenick geschrieben wird.
Nach dem Aufstieg in die Oberliga 1966 sagte Günter Hoge selbst in der Berliner Zeitung: “Nach einigen Jahren der Unterbrechung atme ich nun wieder Oberligaluft. Ich wünsche mir dafür selbstverständlich eine gute Form und verspreche, daß ich versuchen werde, mannschaftsdienlicher zu spielen. Selbstverständlich habe ich auch die Hoffnung, daß ich durch die Spiele in der höchsten Klasse wieder etwas mehr in den Blickpunkt unserer Auswahltrainer rücke und ich vielleicht doch mal wieder eine Chance bekomme, als Auswahlspieler eingesetzt zu werden.”
Etwas traurig war ich, als ich die letzten Sätze im Interview von 2015 noch einmal las: “Wenn mir jemand bei Union versprechen könnte, dass sie innerhalb der nächsten fünf Jahre in die Bundesliga aufsteigen würden, würde ich noch die fünf Jahre an die 75 dranhängen.”
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