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Wunsch und wünschen - Ansporn oder Realitätsflucht?

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O, wär' ich doch, ach, hätt ich bloß! Wir wünschen, was das Zeug hält. Wir wünschen uns reich, schön, geliebt; wir wünschen den einen Glück und den andern die Pest an den Hals. Wir sind wahre Wunschmaschinen, weil uns das Wünschen guttut, weil wir es brauchen, weil es zu uns gehört und das Leben erträglicher macht. Autor: Simon Demmelhuber

Credits
Autor/in dieser Folge: Simon Demmelhuber
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Thomas Birnstiel, Hemma Michel, Johannes Hitzelberger
Technik: Daniela Röder
Redaktion: Bernhard Kastner

Im Interview:
Prof. Dr. Brigitte Boothe, Professorin em. für Klinische Psychologie, Psychotherapie und Psychoanalyse am Psychologischen Institut der Universität Zürich, Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin
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Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 radioWissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnah nimmt Euch „Wie wir ticken“ mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek.
ZUM PODCAST

Mia Insomnia
Was ist das Hörspiel "Insomnia"? Und warum ist Podcasterin Mia die einzige Person auf der Welt, die sich an diese Hörspiel-Kassette aus ihrer Kindheit erinnert? Die Suche nach Antworten führt sie zu einer unheimlichen Erkenntnis: Entweder ihre Erinnerungen sind nicht echt - oder die Welt um sie herum. Mit ihrem Aufnahmegerät nimmt uns Mia auf ihre Suche mit. Was als scheinbar harmlose Reise beginnt, entwickelt sich zu einer großen Verschwörung. "Mia Insomnia" ist die Mystery-Hörspiel-Serie für Podcast-Fans und alle, die mit Detektivhörspielen aufgewachsen sind und eine Portion Horror nicht missen wollen.
ZUM PODCAST

Literaturtipps:

Brigitte Boothe (Hg.): Wenn doch nur – ach hätt ich bloß. Die Anatomie des Wunsches. Zürich [rüffer & rub Sachbuchverlag] 2013.

Brigitte Boothe (Hg.): Verlangen, Begehren, Wünschen. Einstieg ins aktive Schaffen oder in die Lethargie. seelisches und poetisches Phänomen wird erkundet. Göttingen [Vandenhoeck & Ruprecht] 1999.

Brigitte Boothe, Res Wepfer, Agnes von Wyl (Hg.): Über das Wünschen. Ein seelisches und poetisches Phänomen wird erkundet. Göttingen [Vandenhoeck & Ruprecht] 1998.

Brigitte Boothe, (Hg.): Wie kommt man ans Ziel seiner Wünsche? Modelle des Glücks in Märchentexten. [Psychosozial Verlag] 2002.

Barbara Gobrecht, Harlinda Lox, Thomas Brücksteeh (Hg.): Der Wunsch im Märchen. Kreuzlingen/München [Heinrich Hugendubel Verlag] 2003.

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | RadioWissen
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

ATMO: Altarschellen (als Satztrenner)

ZITATOR (seufzend)

Ach, wär' ich bloß!

O, hätt' ich doch!

Ach, könnt' ich nur!

Musik: Z8035449105 Life goes on 0‘40

SPRECHER

Wir tun es dauernd; wir tun es bei jeder Gelegenheit: Wir wünschen, was das Zeug hält. Wir wünschen uns Liebe, den Traumjob, den Lottosechser oder auch nur, dass am Wochenende die Sonne scheint. Wir wünschen einander Glück oder die Pest an den Hals.

ERZÄHLERIN

Es passiert einfach. Wenn die Dinge nicht so laufen, wie wir wollen. Wenn etwas oder jemand fehlt, wenn uns Ungewissheiten, Zweifel, Ängste oder Entbehrungen plagen.

SPRECHER

Die Misere beginnt früh.

ATMO: Ein Baby weint

ERZÄHLERIN

Ein Baby weint. Es will trinken. Jetzt! Sofort! Aber es muss warten. Der Blutzuckerspiegel fällt, Stresshormone fluten, das Kind schreit sich in Rage.

ATMO: Das Weinen lässt nach

ERZÄHLERIN

Dann geschieht etwas Seltsames: Das Baby leckt sich die Lippen, als würde es schmatzend an einer Brust oder Milchflasche saugen und beruhigt sich allmählich.

SPRECHER

Kein Wunder, meint die Psychologieprofessorin Brigitte Boothe. Das Baby hat soeben zwei wichtige Erfahrungen gemacht: Es hat die Not des Wartens und die Kraft des Wünschens entdeckt.

01 O-TON BOOTHE (ca. 020 Sekunden)

Die Fähigkeit, wünschen zu können, entsteht in der Säuglingszeit, in der Individuen in ihrer Abhängigkeit von Pflegeinstanzen darauf angewiesen sind, in ihrem Überleben gesichert zu werden. In dieser Wartesituation schaffen sie sich etwas Tröstendes.

SPRECHER

Das trockene Nuckeln des Babys hat offensichtlich den Hormonalarm gedämpft. Die Milch kommt keinen Augenblick früher, aber irgendwie wird das Warten leichter.

Musik: Z8035049119 Lake views 0‘20

ERZÄHLERIN

Einen bewussten Wunsch hat der Säugling natürlich weder gedacht noch ausgesprochen. Aber sein vegetatives Nervensystem hat Erinnerungen an früher erlebte Sättigungswonnen aktiviert und dadurch ein beruhigendes Gefühl, eine Art körperlicher Vorfreude ausgelöst.

SPRECHER

Sein Gehirn wird diese Erfahrung nie verlernen. Es wird sie ein Leben lang nutzen, um Mängel auszugleichen, Unrast zu mildern und Sorgen abzuwehren.

ZITATOR

O, nichts wünsch ich mir mehr!

Wenn ich mir was wünschen dürfte!

Ach, wenn es doch immer so bliebe!

02 O-TON BOOTHE (ca.020 Sekunden)

Das Wünschen ist ein Lückenfüller. In Situationen, in denen ich selbst bedürftig bin, aber nicht handeln kann, kann das Wünschen als imaginatives Verfahren eingesetzt werden, um zu einer vorübergehenden Befriedung zu führen, um die Zeit auszufüllen, bis dann die Situation eintritt, in der das, worum es mir geht, genossen, konsumiert, erfahren werden kann.

MUSIK: Z8028906109 The awakening 0‘32

SPRECHER

Stopp! Langsam! Das würde ja bedeuten, dass der Wunsch nicht nur etwas herbeisehnt, sondern zugleich auch Vorstellungen und Gefühle produziert, die ein akutes Bedürfnis befriedigen?

ERZÄHLERIN

Ja! Genau das bringt die Sache auf den Punkt, erklärt Brigitte Boothe, die das Wünschen als Professorin für Klinische Psychologie an der Uni Zürich und als Fachautorin intensiv erforscht hat:

03-TON BOOTHE (ca. 018 Sekunden)

Das Wünschen ist in einer Situation der Erwartungsspannung, die sich noch nicht gelöst hat, ein Surrogat für das reale Geschehen. Und dieses Surrogat ereignet sich in der Phantasie, in der Imagination, durchaus aber auch mit körperlichen Aspekten.

SPRECHER

Reines Kopfkino also! Nichts ist passiert, nichts hat sich verändert. Trotzdem sind wir gelassener und haben ein kleines, versonnenes Lächeln auf den Lippen. Wie geht das zu?

Musik: Z8028906117 Childhood 0‘50

ERZÄHLERIN

Es gelingt, weil jeder Wunsch seine Erfüllung halluziniert. Es gelingt, weil ein mentales Bild das Gehirn erfolgreich austrickst und dazu bringt, das Fantasiegebilde vorübergehend als real zu akzeptieren. Dass reine Vorstellungen tatsächlich Emotionen und körperliche Reaktionen auslösen, belegen mittlerweile zahlreiche Studien. Fantasien stimulieren dieselben Zentren, nutzen dieselben neuronalen Verbindungen wie Sinneswahrnehmungen und wirkliche Ereignisse.

Sie muten täuschend echt an, deshalb kann das Gehirn zumindest kurzzeitig ein tatsächliches Geschehen von einer imaginären Wunscherfüllung kaum unterscheiden.

SPRECHER

Wünschen wirkt! Wenn auch nur, weil wir uns erfolgreich etwas vormachen. Der fantasierte Zauber verfliegt zwar rasch, aber zuvor schenkt er uns einen zufriedenen, erfüllten Moment.

ERZÄHLERIN

Auf diese Wirkung kommt es an. Sie ist ein Spezifikum des Wunsches, ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Genau das unterscheidet ihn vom Wollen, vom Begehren, Erhoffen, Verlangen und ähnlichen Zuständen, die eine Absicht, eine Forderung oder ein Erstreben ausdrücken.

SPRECHER

Aber wollen, begehren, wünschen – sind das nicht einfach verschiedene Wörter für ein und dieselbe Sache?

ERZÄHLERIN

Nein! Auch wenn es die Alltagssprache nicht so genau nimmt, und das Wort "wünschen!" oft nichts anderes als fordern, begehren oder ersehnen ausdrückt – beliebig austauschbar sind die Begriffe nicht. Es stimmt zwar, dass auch im Wünschen stets ein ungestilltes Verlangen steckt. Doch das ist lediglich der Auslöser. Was der Wunsch bewirkt, das macht den Unterschied.

SPRECHER

Nur der Wunsch hat die Kraft, akute Versorgungs- und Wohlfühllücken durch den imaginierten Genuss des Entbehrten zu füllen. Das ist seine Essenz, sein eigentlicher Markenkern. Das macht ihm kein Wollen, kein Gelüsten oder Erstreben nach.

Musik: Z8034755101 Bright ideas 0‘30

ERZÄHLERIN

Wer begehrt, verlangt, ersehnt, erhofft, steht im Soll: Was fehlt, muss noch geliefert, geleistet, beigebracht werden. Es ist noch nichts getan, die Gegenwart ist unverändert defizitär, alles liegt in der Zukunft. Der Wunsch ist anders gestrickt: Er schöpft aus dem Vollen und schafft das Vermisste, das Erhoffte und Ersehnte mühelos im Nu herbei.

04 O-TON BOOTHE (ca. 010 Sekunden)

Das Wollen will meine Aktivität zur Veränderung der Welt. Das will der Wunsch noch nicht. Der Wunsch macht mich passiv und friedlich.

Musik: Z8026958106 Nature existence 0‘20

SPRECHER

Wünsche müssen nichts erreichen, alles ist schon da. Sie spendieren großzügig kurze Glücksmomente, die wir ohne Realisierungsdruck, ohne Rücksicht auf den Ernst des Lebens einfach nur wohlig seufzend genießen.

ZITATOR

Ach ja!

SPRECHER

Wünsche lindern leidvolle Erfahrungen mit Hilfe imaginierter Gegenwirklichkeiten. Dieses Potenzial, diese ganz besondere Wunschenergie hat sich auch kultur-, ideen- und geistesgeschichtlich als fruchtbar erwiesen.

ATMO: Altarschellen

ZITATOR

Gib, was mein Herz begehrt!

O, stille meine Not!

Steh mir bei, erhöre mich!

ERZÄHLERIN

Die Frage, wie sehr das Wunschdenken die geistige Wirklichkeit des Menschen formt, treibt Mitte des 19. Jahrhunderts den Philosophen und Anthropologen Ludwig Feuerbach um. Seine furchtlosen Überlegungen münden in einer These, die im Wünschen den innersten Antrieb religiöser Phänomene ausmacht:

C1616750111 Minimal Sphere A 0‘38

ZITATOR

Der Ursprung, ja das eigentliche Wesen der Religion ist der Wunsch. Hätte der Mensch keine Wünsche, so hätte er auch keine Götter.

ERZÄHLERIN

Angesichts einer übermächtigen Natur, eines sicheren Todes, seiner unklaren Bestimmung und seiner zutiefst ungewissen Essenz erlebt sich der Mensch als ausgeliefert, machtlos und verängstigt. Auf unsicheren Grund gestellt, wünscht er herbei, was ihm fehlt: Schutz, spirituelle Geborgenheit, Unsterblichkeit, Herrschaft über Schicksal und Natur.

SPRECHER

Erfüllung finden diese existenziellen Wünsche im Glauben an allmächtige, ewige Götter, mit denen der Mensch in kultische Beziehung tritt. Es sind Götter, die er nach seinem Ebenbild formt und zur Beschwichtigung seiner Nöte an den Himmel projiziert.

ZITATOR

Was der Mensch sein möchte, aber nicht ist, dazu macht er seinen Gott. Wo der Mensch nichts mehr vermag, da kann er wenigstens noch beten, noch wünschen.

ERZÄHLERIN

Auch Sigmund Freud, der dem Wunsch sechs Jahrzehnte später eine Schlüsselrolle im Seelen- und Traumleben zumisst, teilt die von Feuerbach entwickelte Idee einer aus schierer Wunschenergie geformten Gottesgewissheit:

ZITATOR

Religiöse Vorstellungen sind Illusionen, Erfüllungen der ältesten, dringendsten Wünsche der Menschheit. Sie entspringen den Wünschen nach Schutz, Gerechtigkeit und Verlängerung der Existenz.

SPRECHER

Ob man Feuerbach und Freud zustimmt, ist Ansichtssache. Kaum übersehbar ist freilich, was Wunsch und Glaube funktional betrachtet äußerst eng verbindet: Beide gleichen Mangelerfahrungen aus, und beide tun es, indem sie das Fehlende als bereits erhalten oder zumindest glaubwürdig zugesichert imaginieren.

ERZÄHLERIN

Vom Triumph über eine ungerechte, grausame, kränkende Welt erzählen auch besondere Wunschgeschichten, wie sie alle Volkskulturen hervorgebracht haben.

MUSIK: CD 447320W01 1. Satz 0‘47

Rimsky Korsakow, Sheherazade (Beginn)

ZITATOR (träumerisch, mit Musik unterlegt)

Es war einmal …

in einem weit entfernten Land …,

in einer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat ...

ERZÄHLERIN

Alles ist möglich. Die Regeln, Gesetze und Schranken der Wirklichkeit sind aufgehoben. Tiere sprechen, Gott und seine Heiligen wandeln auf Erden, was zerbrochen war, egal ob Dinge, Herzen oder Leben, kann wieder heilen.

SPRECHER

Der Bettler wird König, der Kater Minister, das Gute wird belohnt, das Böse bestraft, die Not hat ein Ende, das Glück währt ewig.

ZITATOR

Ach ja!

ERZÄHLERIN

Wir wissen, dass die Dinge in Wirklichkeit anders laufen. Aber es tut gut, sich eine Welt herbei zu fabulieren, die uns reich, kräftig, sorgenfrei, pappsatt, geliebt und glücklich macht. Das Kunststück gelingt, weil das Märchen über ganz besondere Ressourcen verfügt:

ZITATOR (Hall)

Zauberei! Wunschmagie!

ERZÄHLERIN

Im Märchen haben Wünsche Zauberkraft. Sie bringen Engel, Heilige und gute Geister dazu, im Namen Gottes fromme Bitten zu erhören und Segen zu wirken. Ins Dunkle gewendet, zwingen sie den Teufel, Dämonen und böse Geister, das Verlangte herbeizuschaffen und Verwünschungen zu vollstrecken.

SPRECHER

Magie? Zauberkräfte? Fluch und Segen? Das riecht schon stark nach Mittelalter, nach Aberglauben, nach Vorstellungen, die wir schon längst überwunden und abgelegt haben.

ERZÄHLERIN

Vielleicht aber auch nicht! Vielleicht hat der Glaube an magisch wirksame Wunschenergien ja doch, wenn auch unbewusst, bis in die Gegenwart überdauert!

Musik: C1589890115 Healing process 0‘20

ZITATOR

Ich wünsch dir

Glück,

Erfolg,

Gesundheit,

alles Gute!

SPRECHER

Aber das sind doch nur dahin geplapperte Allerweltsfloskeln?! Was man halt so sagt, um nicht unhöflich zu erscheinen und weil es alle tun.

ERZÄHLERIN

Keineswegs, meint Brigitte Boothe. Wir gebrauchen diese Formeln, nicht nur aus Gewohnheit. Wir verwenden sie auch, weil wir dem Wünschen unbewusst und unterschwellig noch immer eine segnende, letztendlich magische Wirkung zuschreiben.

ERZÄHLERIN

Wie ungebrochen magisches Denken noch immer nachwirkt, belegt auch ein Esoteriktrend, der dem Wunsch ganz besondere Kräfte zugesteht.

MUSIK: Z8037020109 Nexus of life 1‘50

ZITATOR

Wünschen 3.0: Bestellen beim kosmischen Vollversorger!

ERZÄHLERIN

Wünschen ist in. Eine Flut von Ratgebern, Coachingangeboten, Apps, Off- und Online-Seminaren vermarktet die Kraft des Wünschens als himmlischen Lieferdienst für Reichtum, Schönheit, Liebesglück oder Karriere. Zahllose Webseiten dienen sich als Allroundsortimenter für ein perfektes Wunschmanagement und den reibungslosen Bestellservice beim Universum an. Besonders hochwertige Gesamtpakete umfassen neben der Hilfestellung zur korrekten Wunschfindung, Wunschformulierung und Wunschgestaltung auch den optimalen Wunschversand bis hin zur Darstellung der persönlichen Wunsch-Erfüllungs-Statistik.

ZITATOR

Mit unserer einzigartigen Infrastruktur verschickst Du Deinen Wunsch ans Universum online. Du lädst Deine persönlichen Nachrichten in Form von Texten, Bildern, Videos oder Audiodateien hoch, wir senden sie als elektromagnetische Impulse ins All.

ERZÄHLERIN

Um das eigene Leben via Wunschenergie endlich aufs Erfolgsgleis zu setzen, braucht es nicht viel: Es genügt, etwas tief im Herzen zu wünschen und so realistisch zu visualisieren, als hätte es sich schon erfüllt. Den Rest liefert das Universum frei Haus.

ZITATOR

Bäumchen, Bäumchen schüttle dich,

wirf Gold und Silber über mich!

SPRECHER

O ja! Einfach nur dasitzen, die Augen schließen, ganz fest wünschen und auf die kosmische Gewinnausschüttung warten, schön wär's!

ERZÄHLERIN

Aber so läuft das nicht, warnt die Psychologin Brigitte Boothe. Wünsche fühlen sich rundum gut an, sie malen uns ihre Erfüllung in heitersten Farben aus und nehmen mühelos jede Hürde. Das ist ein sehr verlockendes Angebot, das bisweilen eine verfängliche Frage aufwirft:

SPRECHER

Warum noch schuften, wenn man so schön schwelgen kann?

ERZÄHLERIN

Und genau hier sitzt der Haken, meint Brigitte Boothe:

06 O-TON BOOTHE (ca. 030 Sekunden)

Die Gefährlichkeit besteht darin, dass man das Handeln versäumen kann und das man in so was wie ein Phlegma versinkt. Es kann dann mit vielen Selbsttäuschungsaspekten verbunden sein: Hätte man mich nur gelassen, dann wäre ich ein ganz toller Violinist geworden. Aber das ist ja leider nicht gegangen. Und dann träumt man von diesen Dingen und legt sich die Welt und das eigene Schicksal eher träumerisch zurecht. Also nicht ganz der Realität entsprechend.

Musik: C1512220017 Scraps and pieces 0‘40

ERZÄHLERIN

Ein entspannendes, süßes Wunschkonfekt hin und wieder ist ausgesprochen bekömmlich und keineswegs schädlich. Trotzdem: Wünsche sind und bleiben Kopfgeburten. Sie funktionieren im Kopf, aber die Realität braucht Taten. Sie braucht das Wollen, das Planen, es braucht die Bereitschaft, sich aufzuraffen, sich einzusetzen und anzupacken. In der bequemen Passivität des Wünschens zu verharren, macht aus einem harmlosen Vergnügen langfristig ein gefährliches Konzept.

SPRECHER

Damit steht ein schwerer Vorwurf im Raum: Wünsche machen faul und lebensuntüchtig. Sie verleiten zu Tagträumerei und Trägheit, sind Ausdruck einer unreifen Wirklichkeitsverweigerung, sie lassen uns in Scheinwelten abdriften und führen letztlich dazu, dass wir in einer irrealen Komfortzone stagnieren, statt das Leben aktiv, gezielt und planvoll anzugehen.

Musik: Z8033909110 Dream 0‘25

ERZÄHLERIN

Das ist die eine Seite. Die Seite der Wunschskeptiker. Zahllose Motivationspsychologen und Vertreter der Coachingszene sind allerdings vom Gegenteil überzeugt. Ihnen gilt das Wünschen als unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass wir Vorsätze fassen, Pläne entwickeln, Projekte angreifen und in die Gänge kommen.

SPRECHER

Was stimmt? Wer hat recht? Macht uns erst das Wünschen strebsam, ehrgeizig, mutig, tatendurstig, weil es uns Ziele vorgibt? Brauchen wir die fantasierte Anschubhilfe? Oder lässt uns das Wünschen schlaff, antriebslos und wirklichkeitsfremd mit dem Sofa verwachsen?

ERZÄHLERIN

Weder noch, sagt Brigitte Boothe. Solche konträren Zuspitzungen sind wertlos, weil Wunsch und Tat auf jeweils unterschiedliche Anforderungen mit je eigenen Strategien und Wirkungen antworten.

07 O-TON BOOTHE (ca. 040 Sekunden)

Wir können sagen, dass unser geistiges Leben, unser mentales Leben gespeist wird einerseits aus der Kraft der Wünsche, und dann gestalten wir eine Welt, in der es um uns und unser Menschenleben geht. Das ist eine kreative Leistung der Situations- und Weltgestaltung, die uns dient. Das andere ist der Blick auf die Welt, in der wir Dinge verstehen wollen, in denen wir schauen wollen, indem wir mit Mitteln der Rationalität, des Explorierens auf die Welt zugehen, um sie zu verstehen. Wenn wir das Phänomen Klimaveränderung begreifen wollen, geht es darum, dass wir unser Können, unser Wissen, unsere Beobachtungsgabe, unser wissenschaftliches Können einsetzen, um zu verlässlichen Einschätzungen der Realität zu kommen. Da hilft uns das Wünschen nichts.

SPRECHER

Ansporn oder Realitätsflucht, der Wunsch kann beides sein. Oder nichts davon. Es kommt einzig und allein darauf an, wie wir diese Fähigkeit einsetzen. Der Wunsch selbst liefert nur ein autosuggestives Placebo, eine angenehme Fantasie. Und dabei hält er sich weder an Vernunft, noch Regeln oder Verbote. Er schenkt einfach, was momentan am meisten fehlt.

Musik: Z8030262105 Introspection (b) 0‘27

ERZÄHLERIN

Wünsche verändern die Wirklichkeit nicht aus eigener Kraft, nicht unmittelbar und schon gar nicht magisch. Aber sie tun gut. Und sie vermögen sogar noch ein bisschen mehr. Sie helfen zu klären, was in unserem Leben zählt, was eher Beiwerk und was tatsächlich wichtig ist:

09 O-TON BOOTHE (ca. 20 Sekunden)

Wir erfahren über uns etwas, wenn wir unsere Herzenswünsche genauer kennenlernen und damit umgehen. Wenn dann beispielsweise die Situation eintritt, auf die wir uns lange gefreut haben, die wir uns gewünscht haben, dann erlaubt uns die Fähigkeit zu wünschen, das Eingetretene auch tatsächlich wertzuschätzen und zu genießen.

MUSIK: Z8019017121 Time traveller red. 0‘30

SPRECHER

Wir sind wünschende Wesen! Kein Zweifel. Das macht uns gesünder, ausdauernder, geduldiger. Aber auch anfälliger für Versuche, diese Fähigkeit auszubeuten. Denn unsere Wünsche machen uns manipulierbar. Je besser wir unsere Sehnsüchte, Anliegen und Wünsche kennen, je mehr wir unsere Verführbarkeit durchschauen, desto stärker werden unsere Abwehrkräfte gegen Missbrauchs- und Manipulationsversuche! Und diese Immunisierung ist nötiger denn je.

ERZÄHLERIN

Moderne Wachstumsgesellschaften leben zu großen Teilen von der Erzeugung, Formulierung und Kanalisierung immer neuer Wünsche. Wer keine Wünsche hat, konsumiert wenig, wer viele Wünsche hat, konsumiert viel. Erfolgreich ist, wer es schafft, uns ständig Neues wünschen zu lassen. Erfolgreich ist, wer es schafft, Wunschenergien zu entfesseln und seine Produkte als Versprechen der Wunscherfüllung zu inszenieren. Denselben Mechanismus greifen politische und spirituelle Heilsversprecher ab, um unsere Emotionen zu steuern, um uns zu manipulieren und vor den eigenen Karren zu spannen.

SPRECHER

Trotzdem: All das rechtfertigt nicht, das Wünschen als eine unserer wesentlichen kreativen Fähigkeiten infrage zu stellen. Was diese geistige Kapazität so einzigartig, unersetzlich und kostbar macht, hat Brigitte Boothe in einem ihrer Bücher so formuliert:

Musik: Z8032981120 Slow proressions 0‘40

ZITATOR

Die Fähigkeit, mit wunscherfüllenden Vorstellungen das Befinden zu regulieren, ist mindestens so nützlich wie das stimmungshebende Jogging oder der Genuss von Schokolade. Sie hat aber den Vorteil, wirksam zu sein auch dann, wenn die Schokolade ausgegangen und wenn man schlecht zu Fuß ist.

SPRECHER

Damit ist eigentlich alles gesagt. Bleibt nur noch eins zu tun: uns selbst, einander und der ganzen Welt von Herzen alles erdenklich Gute zu wünschen!

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Ach, wär' ich bloß!

O, hätt' ich doch!

Ach, könnt' ich nur!

Musik: Z8035449105 Life goes on 0‘40

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Wir tun es dauernd; wir tun es bei jeder Gelegenheit: Wir wünschen, was das Zeug hält. Wir wünschen uns Liebe, den Traumjob, den Lottosechser oder auch nur, dass am Wochenende die Sonne scheint. Wir wünschen einander Glück oder die Pest an den Hals.

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Es passiert einfach. Wenn die Dinge nicht so laufen, wie wir wollen. Wenn etwas oder jemand fehlt, wenn uns Ungewissheiten, Zweifel, Ängste oder Entbehrungen plagen.

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Die Misere beginnt früh.

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Ein Baby weint. Es will trinken. Jetzt! Sofort! Aber es muss warten. Der Blutzuckerspiegel fällt, Stresshormone fluten, das Kind schreit sich in Rage.

ATMO: Das Weinen lässt nach

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Dann geschieht etwas Seltsames: Das Baby leckt sich die Lippen, als würde es schmatzend an einer Brust oder Milchflasche saugen und beruhigt sich allmählich.

SPRECHER

Kein Wunder, meint die Psychologieprofessorin Brigitte Boothe. Das Baby hat soeben zwei wichtige Erfahrungen gemacht: Es hat die Not des Wartens und die Kraft des Wünschens entdeckt.

01 O-TON BOOTHE (ca. 020 Sekunden)

Die Fähigkeit, wünschen zu können, entsteht in der Säuglingszeit, in der Individuen in ihrer Abhängigkeit von Pflegeinstanzen darauf angewiesen sind, in ihrem Überleben gesichert zu werden. In dieser Wartesituation schaffen sie sich etwas Tröstendes.

SPRECHER

Das trockene Nuckeln des Babys hat offensichtlich den Hormonalarm gedämpft. Die Milch kommt keinen Augenblick früher, aber irgendwie wird das Warten leichter.

Musik: Z8035049119 Lake views 0‘20

ERZÄHLERIN

Einen bewussten Wunsch hat der Säugling natürlich weder gedacht noch ausgesprochen. Aber sein vegetatives Nervensystem hat Erinnerungen an früher erlebte Sättigungswonnen aktiviert und dadurch ein beruhigendes Gefühl, eine Art körperlicher Vorfreude ausgelöst.

SPRECHER

Sein Gehirn wird diese Erfahrung nie verlernen. Es wird sie ein Leben lang nutzen, um Mängel auszugleichen, Unrast zu mildern und Sorgen abzuwehren.

ZITATOR

O, nichts wünsch ich mir mehr!

Wenn ich mir was wünschen dürfte!

Ach, wenn es doch immer so bliebe!

02 O-TON BOOTHE (ca.020 Sekunden)

Das Wünschen ist ein Lückenfüller. In Situationen, in denen ich selbst bedürftig bin, aber nicht handeln kann, kann das Wünschen als imaginatives Verfahren eingesetzt werden, um zu einer vorübergehenden Befriedung zu führen, um die Zeit auszufüllen, bis dann die Situation eintritt, in der das, worum es mir geht, genossen, konsumiert, erfahren werden kann.

MUSIK: Z8028906109 The awakening 0‘32

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Stopp! Langsam! Das würde ja bedeuten, dass der Wunsch nicht nur etwas herbeisehnt, sondern zugleich auch Vorstellungen und Gefühle produziert, die ein akutes Bedürfnis befriedigen?

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Ja! Genau das bringt die Sache auf den Punkt, erklärt Brigitte Boothe, die das Wünschen als Professorin für Klinische Psychologie an der Uni Zürich und als Fachautorin intensiv erforscht hat:

03-TON BOOTHE (ca. 018 Sekunden)

Das Wünschen ist in einer Situation der Erwartungsspannung, die sich noch nicht gelöst hat, ein Surrogat für das reale Geschehen. Und dieses Surrogat ereignet sich in der Phantasie, in der Imagination, durchaus aber auch mit körperlichen Aspekten.

SPRECHER

Reines Kopfkino also! Nichts ist passiert, nichts hat sich verändert. Trotzdem sind wir gelassener und haben ein kleines, versonnenes Lächeln auf den Lippen. Wie geht das zu?

Musik: Z8028906117 Childhood 0‘50

ERZÄHLERIN

Es gelingt, weil jeder Wunsch seine Erfüllung halluziniert. Es gelingt, weil ein mentales Bild das Gehirn erfolgreich austrickst und dazu bringt, das Fantasiegebilde vorübergehend als real zu akzeptieren. Dass reine Vorstellungen tatsächlich Emotionen und körperliche Reaktionen auslösen, belegen mittlerweile zahlreiche Studien. Fantasien stimulieren dieselben Zentren, nutzen dieselben neuronalen Verbindungen wie Sinneswahrnehmungen und wirkliche Ereignisse.

Sie muten täuschend echt an, deshalb kann das Gehirn zumindest kurzzeitig ein tatsächliches Geschehen von einer imaginären Wunscherfüllung kaum unterscheiden.

SPRECHER

Wünschen wirkt! Wenn auch nur, weil wir uns erfolgreich etwas vormachen. Der fantasierte Zauber verfliegt zwar rasch, aber zuvor schenkt er uns einen zufriedenen, erfüllten Moment.

ERZÄHLERIN

Auf diese Wirkung kommt es an. Sie ist ein Spezifikum des Wunsches, ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Genau das unterscheidet ihn vom Wollen, vom Begehren, Erhoffen, Verlangen und ähnlichen Zuständen, die eine Absicht, eine Forderung oder ein Erstreben ausdrücken.

SPRECHER

Aber wollen, begehren, wünschen – sind das nicht einfach verschiedene Wörter für ein und dieselbe Sache?

ERZÄHLERIN

Nein! Auch wenn es die Alltagssprache nicht so genau nimmt, und das Wort "wünschen!" oft nichts anderes als fordern, begehren oder ersehnen ausdrückt – beliebig austauschbar sind die Begriffe nicht. Es stimmt zwar, dass auch im Wünschen stets ein ungestilltes Verlangen steckt. Doch das ist lediglich der Auslöser. Was der Wunsch bewirkt, das macht den Unterschied.

SPRECHER

Nur der Wunsch hat die Kraft, akute Versorgungs- und Wohlfühllücken durch den imaginierten Genuss des Entbehrten zu füllen. Das ist seine Essenz, sein eigentlicher Markenkern. Das macht ihm kein Wollen, kein Gelüsten oder Erstreben nach.

Musik: Z8034755101 Bright ideas 0‘30

ERZÄHLERIN

Wer begehrt, verlangt, ersehnt, erhofft, steht im Soll: Was fehlt, muss noch geliefert, geleistet, beigebracht werden. Es ist noch nichts getan, die Gegenwart ist unverändert defizitär, alles liegt in der Zukunft. Der Wunsch ist anders gestrickt: Er schöpft aus dem Vollen und schafft das Vermisste, das Erhoffte und Ersehnte mühelos im Nu herbei.

04 O-TON BOOTHE (ca. 010 Sekunden)

Das Wollen will meine Aktivität zur Veränderung der Welt. Das will der Wunsch noch nicht. Der Wunsch macht mich passiv und friedlich.

Musik: Z8026958106 Nature existence 0‘20

SPRECHER

Wünsche müssen nichts erreichen, alles ist schon da. Sie spendieren großzügig kurze Glücksmomente, die wir ohne Realisierungsdruck, ohne Rücksicht auf den Ernst des Lebens einfach nur wohlig seufzend genießen.

ZITATOR

Ach ja!

SPRECHER

Wünsche lindern leidvolle Erfahrungen mit Hilfe imaginierter Gegenwirklichkeiten. Dieses Potenzial, diese ganz besondere Wunschenergie hat sich auch kultur-, ideen- und geistesgeschichtlich als fruchtbar erwiesen.

ATMO: Altarschellen

ZITATOR

Gib, was mein Herz begehrt!

O, stille meine Not!

Steh mir bei, erhöre mich!

ERZÄHLERIN

Die Frage, wie sehr das Wunschdenken die geistige Wirklichkeit des Menschen formt, treibt Mitte des 19. Jahrhunderts den Philosophen und Anthropologen Ludwig Feuerbach um. Seine furchtlosen Überlegungen münden in einer These, die im Wünschen den innersten Antrieb religiöser Phänomene ausmacht:

C1616750111 Minimal Sphere A 0‘38

ZITATOR

Der Ursprung, ja das eigentliche Wesen der Religion ist der Wunsch. Hätte der Mensch keine Wünsche, so hätte er auch keine Götter.

ERZÄHLERIN

Angesichts einer übermächtigen Natur, eines sicheren Todes, seiner unklaren Bestimmung und seiner zutiefst ungewissen Essenz erlebt sich der Mensch als ausgeliefert, machtlos und verängstigt. Auf unsicheren Grund gestellt, wünscht er herbei, was ihm fehlt: Schutz, spirituelle Geborgenheit, Unsterblichkeit, Herrschaft über Schicksal und Natur.

SPRECHER

Erfüllung finden diese existenziellen Wünsche im Glauben an allmächtige, ewige Götter, mit denen der Mensch in kultische Beziehung tritt. Es sind Götter, die er nach seinem Ebenbild formt und zur Beschwichtigung seiner Nöte an den Himmel projiziert.

ZITATOR

Was der Mensch sein möchte, aber nicht ist, dazu macht er seinen Gott. Wo der Mensch nichts mehr vermag, da kann er wenigstens noch beten, noch wünschen.

ERZÄHLERIN

Auch Sigmund Freud, der dem Wunsch sechs Jahrzehnte später eine Schlüsselrolle im Seelen- und Traumleben zumisst, teilt die von Feuerbach entwickelte Idee einer aus schierer Wunschenergie geformten Gottesgewissheit:

ZITATOR

Religiöse Vorstellungen sind Illusionen, Erfüllungen der ältesten, dringendsten Wünsche der Menschheit. Sie entspringen den Wünschen nach Schutz, Gerechtigkeit und Verlängerung der Existenz.

SPRECHER

Ob man Feuerbach und Freud zustimmt, ist Ansichtssache. Kaum übersehbar ist freilich, was Wunsch und Glaube funktional betrachtet äußerst eng verbindet: Beide gleichen Mangelerfahrungen aus, und beide tun es, indem sie das Fehlende als bereits erhalten oder zumindest glaubwürdig zugesichert imaginieren.

ERZÄHLERIN

Vom Triumph über eine ungerechte, grausame, kränkende Welt erzählen auch besondere Wunschgeschichten, wie sie alle Volkskulturen hervorgebracht haben.

MUSIK: CD 447320W01 1. Satz 0‘47

Rimsky Korsakow, Sheherazade (Beginn)

ZITATOR (träumerisch, mit Musik unterlegt)

Es war einmal …

in einem weit entfernten Land …,

in einer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat ...

ERZÄHLERIN

Alles ist möglich. Die Regeln, Gesetze und Schranken der Wirklichkeit sind aufgehoben. Tiere sprechen, Gott und seine Heiligen wandeln auf Erden, was zerbrochen war, egal ob Dinge, Herzen oder Leben, kann wieder heilen.

SPRECHER

Der Bettler wird König, der Kater Minister, das Gute wird belohnt, das Böse bestraft, die Not hat ein Ende, das Glück währt ewig.

ZITATOR

Ach ja!

ERZÄHLERIN

Wir wissen, dass die Dinge in Wirklichkeit anders laufen. Aber es tut gut, sich eine Welt herbei zu fabulieren, die uns reich, kräftig, sorgenfrei, pappsatt, geliebt und glücklich macht. Das Kunststück gelingt, weil das Märchen über ganz besondere Ressourcen verfügt:

ZITATOR (Hall)

Zauberei! Wunschmagie!

ERZÄHLERIN

Im Märchen haben Wünsche Zauberkraft. Sie bringen Engel, Heilige und gute Geister dazu, im Namen Gottes fromme Bitten zu erhören und Segen zu wirken. Ins Dunkle gewendet, zwingen sie den Teufel, Dämonen und böse Geister, das Verlangte herbeizuschaffen und Verwünschungen zu vollstrecken.

SPRECHER

Magie? Zauberkräfte? Fluch und Segen? Das riecht schon stark nach Mittelalter, nach Aberglauben, nach Vorstellungen, die wir schon längst überwunden und abgelegt haben.

ERZÄHLERIN

Vielleicht aber auch nicht! Vielleicht hat der Glaube an magisch wirksame Wunschenergien ja doch, wenn auch unbewusst, bis in die Gegenwart überdauert!

Musik: C1589890115 Healing process 0‘20

ZITATOR

Ich wünsch dir

Glück,

Erfolg,

Gesundheit,

alles Gute!

SPRECHER

Aber das sind doch nur dahin geplapperte Allerweltsfloskeln?! Was man halt so sagt, um nicht unhöflich zu erscheinen und weil es alle tun.

ERZÄHLERIN

Keineswegs, meint Brigitte Boothe. Wir gebrauchen diese Formeln, nicht nur aus Gewohnheit. Wir verwenden sie auch, weil wir dem Wünschen unbewusst und unterschwellig noch immer eine segnende, letztendlich magische Wirkung zuschreiben.

ERZÄHLERIN

Wie ungebrochen magisches Denken noch immer nachwirkt, belegt auch ein Esoteriktrend, der dem Wunsch ganz besondere Kräfte zugesteht.

MUSIK: Z8037020109 Nexus of life 1‘50

ZITATOR

Wünschen 3.0: Bestellen beim kosmischen Vollversorger!

ERZÄHLERIN

Wünschen ist in. Eine Flut von Ratgebern, Coachingangeboten, Apps, Off- und Online-Seminaren vermarktet die Kraft des Wünschens als himmlischen Lieferdienst für Reichtum, Schönheit, Liebesglück oder Karriere. Zahllose Webseiten dienen sich als Allroundsortimenter für ein perfektes Wunschmanagement und den reibungslosen Bestellservice beim Universum an. Besonders hochwertige Gesamtpakete umfassen neben der Hilfestellung zur korrekten Wunschfindung, Wunschformulierung und Wunschgestaltung auch den optimalen Wunschversand bis hin zur Darstellung der persönlichen Wunsch-Erfüllungs-Statistik.

ZITATOR

Mit unserer einzigartigen Infrastruktur verschickst Du Deinen Wunsch ans Universum online. Du lädst Deine persönlichen Nachrichten in Form von Texten, Bildern, Videos oder Audiodateien hoch, wir senden sie als elektromagnetische Impulse ins All.

ERZÄHLERIN

Um das eigene Leben via Wunschenergie endlich aufs Erfolgsgleis zu setzen, braucht es nicht viel: Es genügt, etwas tief im Herzen zu wünschen und so realistisch zu visualisieren, als hätte es sich schon erfüllt. Den Rest liefert das Universum frei Haus.

ZITATOR

Bäumchen, Bäumchen schüttle dich,

wirf Gold und Silber über mich!

SPRECHER

O ja! Einfach nur dasitzen, die Augen schließen, ganz fest wünschen und auf die kosmische Gewinnausschüttung warten, schön wär's!

ERZÄHLERIN

Aber so läuft das nicht, warnt die Psychologin Brigitte Boothe. Wünsche fühlen sich rundum gut an, sie malen uns ihre Erfüllung in heitersten Farben aus und nehmen mühelos jede Hürde. Das ist ein sehr verlockendes Angebot, das bisweilen eine verfängliche Frage aufwirft:

SPRECHER

Warum noch schuften, wenn man so schön schwelgen kann?

ERZÄHLERIN

Und genau hier sitzt der Haken, meint Brigitte Boothe:

06 O-TON BOOTHE (ca. 030 Sekunden)

Die Gefährlichkeit besteht darin, dass man das Handeln versäumen kann und das man in so was wie ein Phlegma versinkt. Es kann dann mit vielen Selbsttäuschungsaspekten verbunden sein: Hätte man mich nur gelassen, dann wäre ich ein ganz toller Violinist geworden. Aber das ist ja leider nicht gegangen. Und dann träumt man von diesen Dingen und legt sich die Welt und das eigene Schicksal eher träumerisch zurecht. Also nicht ganz der Realität entsprechend.

Musik: C1512220017 Scraps and pieces 0‘40

ERZÄHLERIN

Ein entspannendes, süßes Wunschkonfekt hin und wieder ist ausgesprochen bekömmlich und keineswegs schädlich. Trotzdem: Wünsche sind und bleiben Kopfgeburten. Sie funktionieren im Kopf, aber die Realität braucht Taten. Sie braucht das Wollen, das Planen, es braucht die Bereitschaft, sich aufzuraffen, sich einzusetzen und anzupacken. In der bequemen Passivität des Wünschens zu verharren, macht aus einem harmlosen Vergnügen langfristig ein gefährliches Konzept.

SPRECHER

Damit steht ein schwerer Vorwurf im Raum: Wünsche machen faul und lebensuntüchtig. Sie verleiten zu Tagträumerei und Trägheit, sind Ausdruck einer unreifen Wirklichkeitsverweigerung, sie lassen uns in Scheinwelten abdriften und führen letztlich dazu, dass wir in einer irrealen Komfortzone stagnieren, statt das Leben aktiv, gezielt und planvoll anzugehen.

Musik: Z8033909110 Dream 0‘25

ERZÄHLERIN

Das ist die eine Seite. Die Seite der Wunschskeptiker. Zahllose Motivationspsychologen und Vertreter der Coachingszene sind allerdings vom Gegenteil überzeugt. Ihnen gilt das Wünschen als unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass wir Vorsätze fassen, Pläne entwickeln, Projekte angreifen und in die Gänge kommen.

SPRECHER

Was stimmt? Wer hat recht? Macht uns erst das Wünschen strebsam, ehrgeizig, mutig, tatendurstig, weil es uns Ziele vorgibt? Brauchen wir die fantasierte Anschubhilfe? Oder lässt uns das Wünschen schlaff, antriebslos und wirklichkeitsfremd mit dem Sofa verwachsen?

ERZÄHLERIN

Weder noch, sagt Brigitte Boothe. Solche konträren Zuspitzungen sind wertlos, weil Wunsch und Tat auf jeweils unterschiedliche Anforderungen mit je eigenen Strategien und Wirkungen antworten.

07 O-TON BOOTHE (ca. 040 Sekunden)

Wir können sagen, dass unser geistiges Leben, unser mentales Leben gespeist wird einerseits aus der Kraft der Wünsche, und dann gestalten wir eine Welt, in der es um uns und unser Menschenleben geht. Das ist eine kreative Leistung der Situations- und Weltgestaltung, die uns dient. Das andere ist der Blick auf die Welt, in der wir Dinge verstehen wollen, in denen wir schauen wollen, indem wir mit Mitteln der Rationalität, des Explorierens auf die Welt zugehen, um sie zu verstehen. Wenn wir das Phänomen Klimaveränderung begreifen wollen, geht es darum, dass wir unser Können, unser Wissen, unsere Beobachtungsgabe, unser wissenschaftliches Können einsetzen, um zu verlässlichen Einschätzungen der Realität zu kommen. Da hilft uns das Wünschen nichts.

SPRECHER

Ansporn oder Realitätsflucht, der Wunsch kann beides sein. Oder nichts davon. Es kommt einzig und allein darauf an, wie wir diese Fähigkeit einsetzen. Der Wunsch selbst liefert nur ein autosuggestives Placebo, eine angenehme Fantasie. Und dabei hält er sich weder an Vernunft, noch Regeln oder Verbote. Er schenkt einfach, was momentan am meisten fehlt.

Musik: Z8030262105 Introspection (b) 0‘27

ERZÄHLERIN

Wünsche verändern die Wirklichkeit nicht aus eigener Kraft, nicht unmittelbar und schon gar nicht magisch. Aber sie tun gut. Und sie vermögen sogar noch ein bisschen mehr. Sie helfen zu klären, was in unserem Leben zählt, was eher Beiwerk und was tatsächlich wichtig ist:

09 O-TON BOOTHE (ca. 20 Sekunden)

Wir erfahren über uns etwas, wenn wir unsere Herzenswünsche genauer kennenlernen und damit umgehen. Wenn dann beispielsweise die Situation eintritt, auf die wir uns lange gefreut haben, die wir uns gewünscht haben, dann erlaubt uns die Fähigkeit zu wünschen, das Eingetretene auch tatsächlich wertzuschätzen und zu genießen.

MUSIK: Z8019017121 Time traveller red. 0‘30

SPRECHER

Wir sind wünschende Wesen! Kein Zweifel. Das macht uns gesünder, ausdauernder, geduldiger. Aber auch anfälliger für Versuche, diese Fähigkeit auszubeuten. Denn unsere Wünsche machen uns manipulierbar. Je besser wir unsere Sehnsüchte, Anliegen und Wünsche kennen, je mehr wir unsere Verführbarkeit durchschauen, desto stärker werden unsere Abwehrkräfte gegen Missbrauchs- und Manipulationsversuche! Und diese Immunisierung ist nötiger denn je.

ERZÄHLERIN

Moderne Wachstumsgesellschaften leben zu großen Teilen von der Erzeugung, Formulierung und Kanalisierung immer neuer Wünsche. Wer keine Wünsche hat, konsumiert wenig, wer viele Wünsche hat, konsumiert viel. Erfolgreich ist, wer es schafft, uns ständig Neues wünschen zu lassen. Erfolgreich ist, wer es schafft, Wunschenergien zu entfesseln und seine Produkte als Versprechen der Wunscherfüllung zu inszenieren. Denselben Mechanismus greifen politische und spirituelle Heilsversprecher ab, um unsere Emotionen zu steuern, um uns zu manipulieren und vor den eigenen Karren zu spannen.

SPRECHER

Trotzdem: All das rechtfertigt nicht, das Wünschen als eine unserer wesentlichen kreativen Fähigkeiten infrage zu stellen. Was diese geistige Kapazität so einzigartig, unersetzlich und kostbar macht, hat Brigitte Boothe in einem ihrer Bücher so formuliert:

Musik: Z8032981120 Slow proressions 0‘40

ZITATOR

Die Fähigkeit, mit wunscherfüllenden Vorstellungen das Befinden zu regulieren, ist mindestens so nützlich wie das stimmungshebende Jogging oder der Genuss von Schokolade. Sie hat aber den Vorteil, wirksam zu sein auch dann, wenn die Schokolade ausgegangen und wenn man schlecht zu Fuß ist.

SPRECHER

Damit ist eigentlich alles gesagt. Bleibt nur noch eins zu tun: uns selbst, einander und der ganzen Welt von Herzen alles erdenklich Gute zu wünschen!

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