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Pflicht zur Hilfsbereitschaft? - Eine Philosophie des Füreinander

23:02
 
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Über fünf Milliarden Euro werden jedes Jahr in Deutschland gespendet. Helfen scheint ein menschliches Grundbedürfnis zu sein. Doch Helfen ist nicht immer altruistisch, es gibt auch genügend egoistische Motive. Von Karin Lamsfuß (BR 2019)

Credits
Autorin dieser Folge: Karin Lamsfuß
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Beate Himmelstoß, Burchard Dabinnus, Jerzy May
Technik: Helge Schwarz
Redaktion: Bernhard Kastner

Im Interview:
Dr. Gerhard Kruip, Professor für christliche Anthropologie und Sozialethik an der Uni Mainz; Dr. Martin Booms, Philosoph, Bonn; Sylvia Wetzel, buddhistische Lehrerin; Christoph Letzel, sozialpolitischer Referent der Caritas

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

MUSIK

Zitator:

Acht Uhr morgens. Ein Gemeindezentrum in einer deutschen Großstadt. Kleidung, Spielsachen und Hausrat stapeln sich bis unter die Decke. Wenige Tage zuvor war ein Mehrfamilienhaus in Flammen aufgegangen. Zehn Menschen wurden obdachlos. Sofort brach eine Welle der Hilfsbereitschaft aus.

MUSIK: „ Bose-Einstein Condensation“ K: Biosphere Album: Shenzhou

Sprecherin:

Über fünf Milliarden Euro werden jedes Jahr in Deutschland gespendet. Beinahe jeder Zweite über 14 ist ehrenamtlich engagiert.

Junge besuchen alte Menschen im Pflegeheim, Senioren unterrichten benachteiligte Schüler. Andere arbeiten bei der Tafel, im Hospizdienst oder kochen Mittagessen für sozialschwache Kinder. Insgesamt macht das 4,6 Milliarden Arbeitsstunden pro Jahr. Nicht mitgezählt die unzähligen kleinen Gesten der Hilfsbereitschaft im Alltag. Helfen scheint irgendwie ein menschliches Grundbedürfnis zu sein.

MUSIK: Gris Gris K: John Zorn Album: From Silence to Sorcery A: John Zorn

SPRECHERIN:

Ist es das wirklich? Oder setzt sich eher durch, wer nach der Devise verfährt:

Zitator:

Jeder gegen jeden!

Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner!

Jeder ist sich selbst der nächste!

Sprecherin:

Manche rümpfen nur die Nase beim Wort Ehrenamt – und frönen den Verlockungen der Spaßgesellschaft. Und argumentieren:

Zitator:

Was geht mich das Leid der anderen an? Mein Motto ist: „Me first!“

01 - O-Ton Martin Booms:

Das ist ja eine anthropologische Grundfrage, über die seit Anbeginn des Philosophierens gestritten wird: Ist der Mensch von Natur aus gut? (…) Da wäre etwa eine Position zu nennen wie die von Aristoteles, der gesagt hat: Der Mensch ist ein Zoon Politicon, das heißt also ein Wesen, das bezogen ist auf andere, das gar nicht als singuläres Wesen überhaupt existieren könnte.

Sprecherin:

Dr. Martin Booms, Philosoph und Leiter der Akademie für Sozialethik und Öffentliche Kultur in Bonn.

Auch der römische Philosoph Seneca hat die Bedeutung der Hilfsbereitschaft im gesellschaftlichen Zusammenleben immer wieder betont:

Zitator:

Die höchste Stufe des Gewährens ist die Güte“.

„Sei deines Wohltuens froh, auch wenn es keine Früchte trägt!“

Sprecherin:

Die heutige Gesellschaft scheint sich in zwei Hälften aufzuteilen: Einerseits die, die auch die anderen im Blick haben, und andererseits die, die nur sich selbst und ihren eigenen Vorteil sehen. Die Gründe für diesen Egoismus sind vielfältig, meint Gerhard Kruip, Professor für christliche Anthropologie und Sozialethik an der Uni Mainz:

02 - O-Ton Gerhard Kruip:

Naja, weil die Menschen eben nicht immer nur moralisch sind. Sondern weil sie egoistisch sind, weil sie sehr kurzfristig denken, weil sie vielleicht auch manchmal Situationen falsch verstehen, oder weil ihnen Empathie fehlt, also, dass sie gar nicht merken, dass es anderen schlecht geht, … ja, Menschen sind unvollkommen!

MUSIK: „ Bose-Einstein Condensation“ K: Biosphere Album: Shenzhou

Sprecherin:

Trotz aller menschlichen Unvollkommenheit: Hilfsbereitschaft ist – zumindest in der Theorie – ein Wert, der in der Gesellschaft einen ganz breiten Konsens hat. Teilen, helfen füreinander da sein: diese Ideale sind in allen großen Religionen zu finden. Wie weit sie tatsächlich gelebt werden, das steht auf einem ganz anderen Blatt.

MUSIK: „ Fallen“ K: Teho Teardo Album: Diaz (Un film di Daniele Vicari) [feat. Il balanescu quartet]

Sprecherin:

Die Frage ist: Sind uns Hilfsbereitschaft, Altruismus, Nächstenliebe in die Wiege gelegt? Und wenn ja, wann, wo und warum bleiben sie auf der Strecke?

Zahlreiche Studien kommen jedenfalls zu dem Ergebnis: Egoismus ist nicht angeboren. Der Mensch erlernt das eigennützige Handeln erst im Laufe seines Lebens.

03 - O-Ton Sylvia Wetzel:

Mein Menschenbild ist: Der Mensch ist von Natur aus gut, aber oft ist dieses grundlegende Gut-Sein überschattet von Selbstbildern, von Ansprüchen, von Ängsten, von emotionalen Blockaden, von rigiden Vorstellung und dergleichen. Ich glaube an das Gute im Menschen, aber es ist oft verdeckt.

Sprecherin:

Sylvia Wetzel ist buddhistische Lehrerin. Achtsamkeit, Mitgefühl und Hilfsbereitschaft sind zentrale Werte - auch in der buddhistischen Ethik. Alles Handeln soll danach ausgerichtet sein, das Leid anderer zu verringern.

04 - O-Ton Sylvia Wetzel:

In Gesten, in Handlungen, im Materiellen, in Trost, in Rat, in Unterstützung. Denn dann findet es Ausdruck und ich glaube, das ist ansteckend. Also ich denke, Gut-Sein ist ansteckend!

MUSIK: „Habitación verde“ K: Pascal Gaigne Album: „Los mundos sutiles

Zitator:

Egoismus versus Altruismus

Selbstsucht versus Hilfsbereitschaft

Sprecherin:

In diesem Spannungsfeld bewegt sich der Mensch. Das spiegelt sich auch deutlich in einer Forsa-Umfrage über die wichtigsten Ziele bei der Kindererziehung:

Zitator:

Platz 1: Hilfsbereitschaft. Platz 2: Durchsetzungsfähigkeit.

Sprecherin:

Das wirkt zunächst wie ein Widerspruch. Altruismus versus Egoismus. Zwei menschliche Impulse, die offenbar pausenlos im Clinch miteinander liegen. Wer gerade siegt und wer verliert, hängt von vielen Faktoren ab.

MUSIK: MUSIK: Öldurót K: Ólafur Arnalds, Atli Örvarsson & SinfoniaNord Album: Island Songs Ólafur Arnalds

Sprecherin:

Ein Motiv für Hilfsbereitschaft könnte sein …:

Zitator:

Das eigene Pflichtbewusstsein.

05 - O-Ton Martin Booms:

Ich glaube, dass es eine Pflicht gibt, und zwar eine moralische Pflicht gibt zu helfen. Und das hängt damit zusammen, dass wir einen Bezug zum anderen Menschen haben, ein Interesse am anderen Menschen haben und deswegen auch ein Interesse am Wohlergehen anderer Menschen.

Zitator:

Ich habe euch in allem gezeigt, dass man so arbeiten und sich der Schwachen annehmen muss im Gedenken an das Wort des Herrn Jesus, der selbst gesagt hat: Geben ist seliger als nehmen.

Sprecherin:

Heißt es in der Apostelgeschichte des Lukas.

MUSIK: Öldurót K: Ólafur Arnalds, Atli Örvarsson & SinfoniaNord Album: Island Songs Ólafur Arnalds

Sprecherin:

Ein zweites Motiv, sich hilfsbereit zu zeigen, wäre also:

Zitator:

Helfen wertet auf. Verschafft ein gutes Gefühl.

Sprecherin:

Doch auch das kann ein Motiv für aktives Helfen sein:

Zitator:

Spekulation auf Hilfe, wenn es einem selbst mal schlecht geht.

Sprecherin:

Ein Tauschhandel? Vielleicht. Doch das Prinzip …

Zitator:

Gibst du mir, so gebe ich dir!

Sprecherin:

… durchzieht die gesamte Menschheitsgeschichte. Der amerikanische Evolutionsbiologe Robert Trivers prägte den Begriff des …

Zitator:

… reziproken Altruismus …

Sprecherin:

Und ist, gemeinsam mit vielen anderen, der Meinung, dass in den vergangenen fünf Millionen Jahren eine scharfe Selektion zugunsten der Entwicklung reziprok altruistischer Verhaltensweisen stattgefunden hat. Stämme, die besser kooperierten, setzten sich langfristig durch.

MUSIK: „ Bose-Einstein Condensation“ K: Biosphere Album: Shenzhou

Sprecherin:

Wenn Hilfsbereitschaft der Kitt ist, der Gesellschaften zusammenhält, wenn Gesellschaften langfristig erfolgreicher sind, wenn sich zumindest einige ihrer Mitglieder altruistisch zeigen: Was heißt das für das Individuum? Muss jeder wirklich jedem Bedürftigen helfen, der seinen Weg kreuzt? Darf man auswählen? Und wenn ja, wie? Stichwort: Straßenbettler.

Atmo Straße

Zitator:

„Ich habe Hunger!“

Sprecherin:

Geschätzt 860.000 Menschen sind in Deutschland ohne festen Wohnsitz. Der Umgang mit ihnen zeigt vielleicht am deutlichsten, wie schwer das mit der Hilfsbereitschaft ist:

06 - O-Ton Passantin 1

Was ich öfter mache, ist, dass ich zum Bäcker gehe (..), was zu essen hole und ihnen in die Hand drücke, weil ich das sinnvoller finde als wenn sie das Geld dann doch wieder in Schnaps investieren. Ich möchte eigentlich nicht für die Sucht anderer Leute verantwortlich bzw. unterstützend tätig sein.

Sprecherin:

Menschen, die völlig anders leben, die sich den bürgerlichen Idealen entziehen, bringen Hilfsbereite durchaus an ihre Grenzen: die Grenzen ihrer eigenen Ideale!

Die nämlich besagen oft: Das Butterbrot ist gut, der Alkohol ist schlecht.

Somit wird der einsichtige, entwicklungsfähige Obdachlose unterstützt, der süchtige hingegen nicht – auch, wenn er die Hilfe womöglich am nötigsten bräuchte. Ist diese Selektion ethisch korrekt? Der Philosoph Martin Booms sagt: Ja, Menschen dürfen sich je nach Situation für oder gegen Hilfsbereitschaft entscheiden:

08 - O-Ton Martin Booms:

Wenn man in die Ethik schaut, ist das durchaus differenziert: Da spricht man z.B. von so genannten „vollkommenen Pflichten“ und „unvollkommenen Pflichten, die wir gegenüber anderen Menschen haben. Eine vollkommene Pflicht wäre eine solche, wo sich gar nicht die Frage stellt, ob ich helfen „muss“. (…) Also wenn ein anderer Mensch in einer lebensbedrohlichen Situation ist, dann habe ich eine unbedingte Pflicht, eine vollkommene Pflicht, hier zu helfen.

Sprecherin:

Diese Pflicht ist sogar in unser Rechtssystem eingegangen, und ein Verstoß dagegen ist strafbar: die unterlassene Hilfeleistung. Daneben aber gibt es die unvollkommenen Pflichten:

09 - O-Ton Martin Booms:

Ich habe ich da selber mal gefragt und mein eigenes Verhalten analysiert und dabei festgestellt: Ich bin völlig inkonsequent. Also mal geb ich was, mal was mehr, was weniger, und häufig auch gar nichts. Und habe mich dann selber gefragt: Ist das eigentlich zu rechtfertigen? Beruhigenderweise bin ich zu dem Schluss gekommen: Ja! (…) Warum? Weil das eigentlich ein Beispiel wäre für eine unvollkommene Pflicht. Natürlich wenn ich die Mittel habe, bin ich grundsätzlich verpflichtet, Menschen, die in Not sind, zu helfen. Das heißt aber nicht, dass genau diese Person, genau, wenn ich da vorbeikomme, einen Anspruch genau an mich hat, dass ich ihm helfe!

Sprecherin:

Selektion muss also sein, weil niemand die ganze Welt retten kann. Ob sie immer fair ist, ist eine ganz andere Frage. Denn schnell können die, bei denen die Not am größten ist, aus dem Blickfeld verschwinden. Aus verschiedenen Gründen.

MUSIK: Öldurót K: Ólafur Arnalds, Atli Örvarsson & SinfoniaNord Album: Island Songs Ólafur Arnalds

Sprecherin:

Bisher steht also aus philosophischer Sicht nur fest: Jeder muss helfen in einer lebensbedrohlichen Situation. Das gehört zu den vollkommenen Pflichten. In allen anderen Fällen ist die Pflicht unvollkommen. Jemand kann einem bestimmten Lebewesen in einer bestimmten Situation helfen, er muss es aber nicht.

Eine gute Orientierung gibt immer das eigene Empfinden.

Zitator:

Handle nur nach derjenigen Maxime, von der du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.

Sprecherin:

Der Kategorische Imperativ ist das Grundprinzip der Ethik des Philosophen Immanuel Kant. Zwar hat er seine Schriften zu Ende des 18. Jahrhunderts veröffentlicht, doch auch im 21. Jahrhundert ist dem eigentlich nichts hinzuzufügen. Einen Schritt weiter geht der US-amerikanische Philosoph John Rawls, der ein interessantes Gedankenexperiment angeregt hat:

10 - O-Ton Gerhard Kruip:

(…) Der schlägt vor, dass wir uns vorstellen sollen, (…) wir wären in einem Urzustand versammelt und würden die Regeln für die zukünftige Gesellschaft gemeinsam festlegen in diesem Urzustand, ohne allerdings zu wissen, wer wir

nachher in dieser späteren Gesellschaft sein würden. (…) Und das erzwingt dann Regeln, die die am schlechtesten Gestellten so gut wie möglich stellen.

Differenzprinzip‘ nennt Rawls das. Und da würde man eben auch sagen: Niemand weiß, ob er in so eine Notlage hineingerät, also wird er im Urzustand unter dem Schleier des Nichtwissens für Regeln sorgen, die auch Menschen in solchen Notlagen noch eine Hilfe sein können. Eine Unterstützung anbieten.

Sprecherin:

In einer Welt, in der alle dem Rawl`sche Gedankenexperiment folgten, gäbe es womöglich fast paradiesische Zustände: Eine Welt des Miteinanders, eine Welt, in der Menschen Empathie für alle Lebewesen empfänden. Einer Welt voller Nächstenliebe. Das aber führt automatisch zu der Frage:

Zitator:

Wer ist eigentlich der „Nächste“?

Sprecherin:

An dem Punkt wird es richtig schwierig: Wo fängt man an? Und wo hört man auf in diesem endlosen Meer aus Leid?

Zitator:

Ein Übel, das erwartungsgemäß auch uns selbst oder einen der Unsrigen treffen könnte (…) Ferner haben wir Mitleid mit denen, die uns bezüglich Alter, Charakter, Gewohnheiten, sozialer Stellung und Herkunft ähnlich sind.

Sprecherin:

Schrieb schon Aristoteles in seiner Rhetorik und war damit der Erste, der den Versuch machte, Mitleid als eine ganz zentrale Voraussetzung für Hilfsbereitschaft zu definieren. Viele sprechen heute eher vom Mitgefühl. Wer mit Lebewesen mitfühlt, wird den Impuls verspüren, zu helfen, etwas gegen diese Not zu tun.

MUSIK: Öldurót K: Ólafur Arnalds, Atli Örvarsson & SinfoniaNord Album: Island Songs Ólafur Arnalds

Sprecherin:

So kann also auch dies ein Motiv sein zu helfen:

Zitator:

Helfen aus dem Impuls des Berührtseins heraus.

Sprecherin:

Menschen helfen am ehesten dort, wo sie sich zugehörig fühlen: in der Familie, im Freundeskreis, am Wohnort. Alles, was ‚fern‘, ‚ganz weit weg …‘ ist, gehört eher nicht dazu. Hier kann viel einfacher die Maschinerie aus Abwehr und Ignoranz angeworfen werden:

Zitator:

Was geht mich das an? Viel zu weit weg!

Sprecherin:

Der Sozialethiker Gerhard Kruip findet, dass das aus ethischer Sicht zu kurz gedacht ist:

11 - O-Ton Gerhard Kruip:

Unter Philosophen ist das allerdings umstritten. Also Peter Singer z.B. der sagt, dass die räumliche Distanz eigentlich keinen Unterschied machen darf,

wenn wir also erfahren, dass es große Not in anderen Ländern gibt, und wir können etwas gegen diese Not tun, z.B. indem wir Geld spenden, dann sind wir verpflichtet, das zu tun.

Sprecherin:

Helfen, wo die Not am größten ist. Laut dieser Maxime wären Menschen in Syrien, dem Jemen oder der Sahelzone die „Nächsten“, die die Hilfe am nötigsten hätten. Ihnen aber fühlen sich viele kaum verbunden.

Zitator:

Das Wenige, das du tun kannst, ist viel – wenn du nur irgendwo Schmerz und Weh und Angst von einem Wesen nimmst, sei es Mensch, sei es irgendeine Kreatur. Leben erhalten ist das einzige Glück.

Sprecherin:

Albert Schweitzer, Theologe und Kulturphilosoph.

Hilfsbereitschaft für nicht-menschliche Kreaturen ist weitaus seltener.

Ein Blick in die Spendenstatistik 2017 des Statistischen Bundesamtes zeigt: Menschen helfen vor allem Menschen.

Zitator:

Knapp 78 Prozent wurden für humanitäre Zwecke gespendet, hingegen nur 2,7 Prozent für den Naturschutz

MUSIK: Öldurót K: Ólafur Arnalds, Atli Örvarsson & SinfoniaNord Album: Island Songs Ólafur Arnalds

Sprecherin:

Neben Pflichtgefühl, Verantwortungsbewusstsein oder Mitgefühl gibt es aber noch ein weiteres Motiv zu helfen:

Zitator:

Helfen macht Spaß!

Sprecherin:

Ist daran etwas verkehrt? Nein, sagt die buddhistische Lehrerin Sylvia Wetzel. Einzig kontraproduktiv ist Helfen aus dem reinen Gefühl der Verpflichtung und der Selbstaufwertung:

12 - O-Ton Sylvia Wetzel

Wenn es uns schwerfällt, dann stimmt es nicht! Dann ist es vermutlich so, dass wir uns selber eher was Gutes tun, wenn wir Gutes tun. Dass wir unser eigenes Selbstbild damit stärken „Ja, ich bin ein guter Mensch! Ich spende immer Geld!“ Dann spende ich zwar Geld und tue vielleicht auch etwas Gutes für eine andere Person aber in erster Linie blase ich meine Selbstbild auf.

Sprecherin:

Schmälert also die Hilfsbereitschaft mit Hintergedanken das gute Ergebnis?

In der Philosophie, so Martin Booms, wird die Frage kontrovers diskutiert:

13 - O-Ton Martin Booms:

„Ist doch egal, was ich mir denke, Hauptsache, es kommt an bei den Bedürftigen!“ Das wäre eine utilitaristische Position, d.h. eine ethische Position, die sagt: Wenn wir bewerten wollen, was gut und was schlecht ist, dann müssen wir immer auf die Effekte, auf das Ergebnis unserer Handlungen schauen. Die andere große ethische Schule, die deontologische Schule (…), die würde eher sagen: Nein, es kommt darauf an, dass ich eine Haltung habe, die auf das Gute abzielt, (…) auch wenn der Effekt vielleicht gar nicht so eingetreten ist.

Sprecherin:

Helfen ohne Hintergedanken – ein edles Ziel. Aber keinesfalls ein realistisches.

Ganz oft steckt auch dieses Motiv hinter dem Altruismus:

Zitator:

Dank und Anerkennung.

MUSIK: „Baud“

14 - O-Ton Sylvia Wetzel

Ja die Frage ist: Wenn ich etwas Gutes tue und dafür einen Dank erwarte, dann wäre das in meiner Definition nicht wirklich etwas Gutes tun, das wäre ein Handel: „Ich gebe Dir Geld und Du gibst mir Dankbarkeit und Wertschätzung!“ Das ist ein Handel!

Zitator:

Gabe und Gegengabe

Sprecherin:

Der französische Soziologe und Philosoph Marcel Mauss (sprich: Moos) hat herausgefunden, dass dieses ökonomische Prinzip in allen Gesellschaften vorhanden ist. Die rein selbstlose Tat ohne jegliche Erwartung ist die Ausnahme.

Auch viele Unternehmen meinen, dass ihnen Altruismus gut zu Gesichte stünde: Kaum ein Betrieb, der nicht mindestens ein soziales Projekt am Start hat. Der Philosoph Martin Booms berät Unternehmen und warnt: Diese Aktionen gehen oft nach hinten los:

15 - O-Ton Martin Booms:

Da gibt es ganz viele Unternehmen, die etwas machen, „Corporate Responsibility“, also Unternehmensverantwortung, (…) also die kümmern sich um Umweltprobleme in der Stratosphäre, um den Regenwald, die bekämpfen den Hunger in Afrika… (…) aber das Erste, worauf ein Unternehmen achten müsste, wäre zu schauen: Welche schädlichen Effekte oder bedrohlichen Effekte gehen denn von meinem unmittelbaren unternehmerischen Handeln aus?

Sprecherin:

Egal ob Kinderarbeit, Umweltverbrechen oder Anlegerbetrug: Gutes Tun heißt auch: Schlechtes zu unterlassen!

16 - O-Ton Martin Booms:

Und wenn Unternehmen dahin kämen, zunächst einmal sich ganz zu fokussieren auf die Bereiche, die tatsächlich in einer unmittelbaren moralischen Verantwortung sind, wäre die Welt eine viel Bessere, im Vergleich zu einer Welt, wo alle (…) diese philanthropischen Aktionen machen, wo man gerne Verantwortung wahrnimmt, aber immer woanders!

Sprecherin:

Martin Booms hält wenig von glanzvollen Wohltätigkeits-Events – auch wenn am Ende dabei sehr viel Geld für einen guten Zweck zusammenkommt:

17 - O-Ton Martin Booms:

Wir brauchen gar nicht so sehr diese großen spektakulären Charity-Aktionen. Das hat dann wieder was von Glanz und Reputation und von Image, und alle fühlen sich gut …! Nein, es geht darum, im Alltag, in den ganz kleinen Dingen, die in der Summe aber riesig sind, ein Bewusstsein zu entwickeln.

Sprecherin:

Andererseits sind es aber vor allem die großen Charity-Aktionen, die Millionen für den guten Zweck einspielen. Zahlreiche humanitäre Projekte sind abhängig von diesen großen Finanzspritzen. Warum sollten sich die edlen Spender nicht auch ein bisschen gut dabei fühlen?

MUSIK: „ Bose-Einstein Condensation“ K: Biosphere Album: Shenzhou

Sprecherin:

Trotzdem: Hilfsbereitschaft ist viel mehr als ein einmaliges ‚tolles Erlebnis‘! Es ist nicht weniger als eine Haltung. Eine, die sich durch das gesamte Leben zieht.

Wirklich hilfsbereite und mitfühlende Menschen gehen mit offenem Blick durch die Straßen. Sie schauen hin. Und fragen:

Zitator:

Was brauchst du wirklich? Wie kann ich dich unterstützen – und zwar ohne dich zu beschämen?

Sprecherin:

Alexander Letzel, sozialpolitischer Referent bei der Caritas, fordert einen Richtungswechsel im Umgang mit Bedürftigen. Helfen heißt sehr viel mehr als einem Straßenbettler einen Euro zu geben: nämlich genau hinschauen und genau hinhören:

18 - O-Ton Alexander Letztel:

Das geht durch Gespräche! Also wenn Sie sich wirklich die Zeit nehmen, auf die Bedürfnisse, auf die Situation einzugehen des Menschen, mit dem Sie da konfrontiert sind, dann werden Sie auch feststellen, dass viele auch dankbar sind für menschliche Spende sozusagen.

Das heißt für Nähe, für ein Gespräch, für ein paar nette Worte, es geht nicht immer nur um Geld, sondern die Isolation und die Einsamkeit ist auch ein großes Thema, da hilft dann menschliche Wärme.

Sprecherin:

Alexander Letzel will ermutigen, die Scheuklappen abzulegen. Sich einzulassen, Fragen zu stellen – um dann am Ende eine gute Entscheidung zu treffen. Ganz gleich wie die aussieht:

19 - O-Ton Alexander Letzel:

Das ist sehr anstrengend! Das ist uns auch bewusst! Das ist jedem selbst überlassen, wie er hilft, uns ist wichtig hinzugucken. Und den Leuten tatsächlich zu begegnen. Und auch anzunehmen, dass es solche Situationen gibt und das eben aus dem Halbdunkel herauszuholen.

Sprecherin:

Das erfordert aber auch, aus der eigenen Starre herauszukommen, aus dem Automatismus, mit dem Leid schnell und effektiv abgewehrt wird.

Wer sein eigenes Leid anerkennt – wird auch durchlässiger für das Leid anderer. Das erfordert ein hohes Maß an Empathie auf der einen und Stärke auf der anderen Seite. Es heißt: den eigenen Horizont verlassen, das Herz für andere Menschen, andere Lebewesen zu öffnen.

MUSIK: „ Fallen“ K: Teho Teardo Album: Diaz (Un film di Daniele Vicari) [feat. Il balanescu quartet]

Zitator:

Beim Anblick des Leidens eines anderen, auch eines Tieres, identifizieren wir uns derart, dass wir im fremden Leid unser eigenes Leiden fühlen und erkennen. Ein bedeutsamer Schritt darüber hinaus und eine Erweiterung des Mitleids besteht darin, im angeschauten Leid das Leiden der ganzen Welt zu erkennen. …

Sprecherin:

Arthur Schopenhauer

Sprecherin:

Menschen, die ihre Fähigkeiten für das Gemeinwohl einsetzen, merken plötzlich, dass ihr Tun einen Unterschied macht. In dem Moment entdecken sie womöglich das, wonach sie ihr Leben lang gesucht haben: das Gefühl von Sinn. Einen größeren Gewinn gibt es kaum.

MUSIK: „ Bose-Einstein Condensation“ K: Biosphere Album: Shenzhou

Sprecherin:

Und damit verschwimmen die Grenzen zwischen Geben und Nehmen. Es geht nicht mehr um geben müssen, sondern um geben dürfen.

Für den Philosophen Martin Booms ist die Frage nach der Hilfsbereitschaft am Ende ganz eng verknüpft mit nichts Geringerem als der Frage nach der menschlichen Würde:

20 - O-Ton Martin Booms:

Ich glaube, dass das für die Frage, die ja ein jeder für sich spätestens am Ende des Lebens einmal zu beantworten haben wird: „Habe ich richtig gelebt?“ eine ganz entscheidende sein wird. Denn die materiellen Vorteile oder auch eine Machtposition, die ich mir durch Übervorteilung anderer erarbeitet habe, die wird am Ende dahinschmelzen. Insofern kann man diese Trennung zwischen anderen und mir selber, möglicherweise gar nicht machen. Die Integrität, die ich anderen zukommen lasse, ist eine Integrität, die ich in mir selber habe. Und das ist für ein gelungenes, würdevolles Leben eine ganz entscheidende Voraussetzung.

Stopp

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Über fünf Milliarden Euro werden jedes Jahr in Deutschland gespendet. Helfen scheint ein menschliches Grundbedürfnis zu sein. Doch Helfen ist nicht immer altruistisch, es gibt auch genügend egoistische Motive. Von Karin Lamsfuß (BR 2019)

Credits
Autorin dieser Folge: Karin Lamsfuß
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Beate Himmelstoß, Burchard Dabinnus, Jerzy May
Technik: Helge Schwarz
Redaktion: Bernhard Kastner

Im Interview:
Dr. Gerhard Kruip, Professor für christliche Anthropologie und Sozialethik an der Uni Mainz; Dr. Martin Booms, Philosoph, Bonn; Sylvia Wetzel, buddhistische Lehrerin; Christoph Letzel, sozialpolitischer Referent der Caritas

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MUSIK

Zitator:

Acht Uhr morgens. Ein Gemeindezentrum in einer deutschen Großstadt. Kleidung, Spielsachen und Hausrat stapeln sich bis unter die Decke. Wenige Tage zuvor war ein Mehrfamilienhaus in Flammen aufgegangen. Zehn Menschen wurden obdachlos. Sofort brach eine Welle der Hilfsbereitschaft aus.

MUSIK: „ Bose-Einstein Condensation“ K: Biosphere Album: Shenzhou

Sprecherin:

Über fünf Milliarden Euro werden jedes Jahr in Deutschland gespendet. Beinahe jeder Zweite über 14 ist ehrenamtlich engagiert.

Junge besuchen alte Menschen im Pflegeheim, Senioren unterrichten benachteiligte Schüler. Andere arbeiten bei der Tafel, im Hospizdienst oder kochen Mittagessen für sozialschwache Kinder. Insgesamt macht das 4,6 Milliarden Arbeitsstunden pro Jahr. Nicht mitgezählt die unzähligen kleinen Gesten der Hilfsbereitschaft im Alltag. Helfen scheint irgendwie ein menschliches Grundbedürfnis zu sein.

MUSIK: Gris Gris K: John Zorn Album: From Silence to Sorcery A: John Zorn

SPRECHERIN:

Ist es das wirklich? Oder setzt sich eher durch, wer nach der Devise verfährt:

Zitator:

Jeder gegen jeden!

Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner!

Jeder ist sich selbst der nächste!

Sprecherin:

Manche rümpfen nur die Nase beim Wort Ehrenamt – und frönen den Verlockungen der Spaßgesellschaft. Und argumentieren:

Zitator:

Was geht mich das Leid der anderen an? Mein Motto ist: „Me first!“

01 - O-Ton Martin Booms:

Das ist ja eine anthropologische Grundfrage, über die seit Anbeginn des Philosophierens gestritten wird: Ist der Mensch von Natur aus gut? (…) Da wäre etwa eine Position zu nennen wie die von Aristoteles, der gesagt hat: Der Mensch ist ein Zoon Politicon, das heißt also ein Wesen, das bezogen ist auf andere, das gar nicht als singuläres Wesen überhaupt existieren könnte.

Sprecherin:

Dr. Martin Booms, Philosoph und Leiter der Akademie für Sozialethik und Öffentliche Kultur in Bonn.

Auch der römische Philosoph Seneca hat die Bedeutung der Hilfsbereitschaft im gesellschaftlichen Zusammenleben immer wieder betont:

Zitator:

Die höchste Stufe des Gewährens ist die Güte“.

„Sei deines Wohltuens froh, auch wenn es keine Früchte trägt!“

Sprecherin:

Die heutige Gesellschaft scheint sich in zwei Hälften aufzuteilen: Einerseits die, die auch die anderen im Blick haben, und andererseits die, die nur sich selbst und ihren eigenen Vorteil sehen. Die Gründe für diesen Egoismus sind vielfältig, meint Gerhard Kruip, Professor für christliche Anthropologie und Sozialethik an der Uni Mainz:

02 - O-Ton Gerhard Kruip:

Naja, weil die Menschen eben nicht immer nur moralisch sind. Sondern weil sie egoistisch sind, weil sie sehr kurzfristig denken, weil sie vielleicht auch manchmal Situationen falsch verstehen, oder weil ihnen Empathie fehlt, also, dass sie gar nicht merken, dass es anderen schlecht geht, … ja, Menschen sind unvollkommen!

MUSIK: „ Bose-Einstein Condensation“ K: Biosphere Album: Shenzhou

Sprecherin:

Trotz aller menschlichen Unvollkommenheit: Hilfsbereitschaft ist – zumindest in der Theorie – ein Wert, der in der Gesellschaft einen ganz breiten Konsens hat. Teilen, helfen füreinander da sein: diese Ideale sind in allen großen Religionen zu finden. Wie weit sie tatsächlich gelebt werden, das steht auf einem ganz anderen Blatt.

MUSIK: „ Fallen“ K: Teho Teardo Album: Diaz (Un film di Daniele Vicari) [feat. Il balanescu quartet]

Sprecherin:

Die Frage ist: Sind uns Hilfsbereitschaft, Altruismus, Nächstenliebe in die Wiege gelegt? Und wenn ja, wann, wo und warum bleiben sie auf der Strecke?

Zahlreiche Studien kommen jedenfalls zu dem Ergebnis: Egoismus ist nicht angeboren. Der Mensch erlernt das eigennützige Handeln erst im Laufe seines Lebens.

03 - O-Ton Sylvia Wetzel:

Mein Menschenbild ist: Der Mensch ist von Natur aus gut, aber oft ist dieses grundlegende Gut-Sein überschattet von Selbstbildern, von Ansprüchen, von Ängsten, von emotionalen Blockaden, von rigiden Vorstellung und dergleichen. Ich glaube an das Gute im Menschen, aber es ist oft verdeckt.

Sprecherin:

Sylvia Wetzel ist buddhistische Lehrerin. Achtsamkeit, Mitgefühl und Hilfsbereitschaft sind zentrale Werte - auch in der buddhistischen Ethik. Alles Handeln soll danach ausgerichtet sein, das Leid anderer zu verringern.

04 - O-Ton Sylvia Wetzel:

In Gesten, in Handlungen, im Materiellen, in Trost, in Rat, in Unterstützung. Denn dann findet es Ausdruck und ich glaube, das ist ansteckend. Also ich denke, Gut-Sein ist ansteckend!

MUSIK: „Habitación verde“ K: Pascal Gaigne Album: „Los mundos sutiles

Zitator:

Egoismus versus Altruismus

Selbstsucht versus Hilfsbereitschaft

Sprecherin:

In diesem Spannungsfeld bewegt sich der Mensch. Das spiegelt sich auch deutlich in einer Forsa-Umfrage über die wichtigsten Ziele bei der Kindererziehung:

Zitator:

Platz 1: Hilfsbereitschaft. Platz 2: Durchsetzungsfähigkeit.

Sprecherin:

Das wirkt zunächst wie ein Widerspruch. Altruismus versus Egoismus. Zwei menschliche Impulse, die offenbar pausenlos im Clinch miteinander liegen. Wer gerade siegt und wer verliert, hängt von vielen Faktoren ab.

MUSIK: MUSIK: Öldurót K: Ólafur Arnalds, Atli Örvarsson & SinfoniaNord Album: Island Songs Ólafur Arnalds

Sprecherin:

Ein Motiv für Hilfsbereitschaft könnte sein …:

Zitator:

Das eigene Pflichtbewusstsein.

05 - O-Ton Martin Booms:

Ich glaube, dass es eine Pflicht gibt, und zwar eine moralische Pflicht gibt zu helfen. Und das hängt damit zusammen, dass wir einen Bezug zum anderen Menschen haben, ein Interesse am anderen Menschen haben und deswegen auch ein Interesse am Wohlergehen anderer Menschen.

Zitator:

Ich habe euch in allem gezeigt, dass man so arbeiten und sich der Schwachen annehmen muss im Gedenken an das Wort des Herrn Jesus, der selbst gesagt hat: Geben ist seliger als nehmen.

Sprecherin:

Heißt es in der Apostelgeschichte des Lukas.

MUSIK: Öldurót K: Ólafur Arnalds, Atli Örvarsson & SinfoniaNord Album: Island Songs Ólafur Arnalds

Sprecherin:

Ein zweites Motiv, sich hilfsbereit zu zeigen, wäre also:

Zitator:

Helfen wertet auf. Verschafft ein gutes Gefühl.

Sprecherin:

Doch auch das kann ein Motiv für aktives Helfen sein:

Zitator:

Spekulation auf Hilfe, wenn es einem selbst mal schlecht geht.

Sprecherin:

Ein Tauschhandel? Vielleicht. Doch das Prinzip …

Zitator:

Gibst du mir, so gebe ich dir!

Sprecherin:

… durchzieht die gesamte Menschheitsgeschichte. Der amerikanische Evolutionsbiologe Robert Trivers prägte den Begriff des …

Zitator:

… reziproken Altruismus …

Sprecherin:

Und ist, gemeinsam mit vielen anderen, der Meinung, dass in den vergangenen fünf Millionen Jahren eine scharfe Selektion zugunsten der Entwicklung reziprok altruistischer Verhaltensweisen stattgefunden hat. Stämme, die besser kooperierten, setzten sich langfristig durch.

MUSIK: „ Bose-Einstein Condensation“ K: Biosphere Album: Shenzhou

Sprecherin:

Wenn Hilfsbereitschaft der Kitt ist, der Gesellschaften zusammenhält, wenn Gesellschaften langfristig erfolgreicher sind, wenn sich zumindest einige ihrer Mitglieder altruistisch zeigen: Was heißt das für das Individuum? Muss jeder wirklich jedem Bedürftigen helfen, der seinen Weg kreuzt? Darf man auswählen? Und wenn ja, wie? Stichwort: Straßenbettler.

Atmo Straße

Zitator:

„Ich habe Hunger!“

Sprecherin:

Geschätzt 860.000 Menschen sind in Deutschland ohne festen Wohnsitz. Der Umgang mit ihnen zeigt vielleicht am deutlichsten, wie schwer das mit der Hilfsbereitschaft ist:

06 - O-Ton Passantin 1

Was ich öfter mache, ist, dass ich zum Bäcker gehe (..), was zu essen hole und ihnen in die Hand drücke, weil ich das sinnvoller finde als wenn sie das Geld dann doch wieder in Schnaps investieren. Ich möchte eigentlich nicht für die Sucht anderer Leute verantwortlich bzw. unterstützend tätig sein.

Sprecherin:

Menschen, die völlig anders leben, die sich den bürgerlichen Idealen entziehen, bringen Hilfsbereite durchaus an ihre Grenzen: die Grenzen ihrer eigenen Ideale!

Die nämlich besagen oft: Das Butterbrot ist gut, der Alkohol ist schlecht.

Somit wird der einsichtige, entwicklungsfähige Obdachlose unterstützt, der süchtige hingegen nicht – auch, wenn er die Hilfe womöglich am nötigsten bräuchte. Ist diese Selektion ethisch korrekt? Der Philosoph Martin Booms sagt: Ja, Menschen dürfen sich je nach Situation für oder gegen Hilfsbereitschaft entscheiden:

08 - O-Ton Martin Booms:

Wenn man in die Ethik schaut, ist das durchaus differenziert: Da spricht man z.B. von so genannten „vollkommenen Pflichten“ und „unvollkommenen Pflichten, die wir gegenüber anderen Menschen haben. Eine vollkommene Pflicht wäre eine solche, wo sich gar nicht die Frage stellt, ob ich helfen „muss“. (…) Also wenn ein anderer Mensch in einer lebensbedrohlichen Situation ist, dann habe ich eine unbedingte Pflicht, eine vollkommene Pflicht, hier zu helfen.

Sprecherin:

Diese Pflicht ist sogar in unser Rechtssystem eingegangen, und ein Verstoß dagegen ist strafbar: die unterlassene Hilfeleistung. Daneben aber gibt es die unvollkommenen Pflichten:

09 - O-Ton Martin Booms:

Ich habe ich da selber mal gefragt und mein eigenes Verhalten analysiert und dabei festgestellt: Ich bin völlig inkonsequent. Also mal geb ich was, mal was mehr, was weniger, und häufig auch gar nichts. Und habe mich dann selber gefragt: Ist das eigentlich zu rechtfertigen? Beruhigenderweise bin ich zu dem Schluss gekommen: Ja! (…) Warum? Weil das eigentlich ein Beispiel wäre für eine unvollkommene Pflicht. Natürlich wenn ich die Mittel habe, bin ich grundsätzlich verpflichtet, Menschen, die in Not sind, zu helfen. Das heißt aber nicht, dass genau diese Person, genau, wenn ich da vorbeikomme, einen Anspruch genau an mich hat, dass ich ihm helfe!

Sprecherin:

Selektion muss also sein, weil niemand die ganze Welt retten kann. Ob sie immer fair ist, ist eine ganz andere Frage. Denn schnell können die, bei denen die Not am größten ist, aus dem Blickfeld verschwinden. Aus verschiedenen Gründen.

MUSIK: Öldurót K: Ólafur Arnalds, Atli Örvarsson & SinfoniaNord Album: Island Songs Ólafur Arnalds

Sprecherin:

Bisher steht also aus philosophischer Sicht nur fest: Jeder muss helfen in einer lebensbedrohlichen Situation. Das gehört zu den vollkommenen Pflichten. In allen anderen Fällen ist die Pflicht unvollkommen. Jemand kann einem bestimmten Lebewesen in einer bestimmten Situation helfen, er muss es aber nicht.

Eine gute Orientierung gibt immer das eigene Empfinden.

Zitator:

Handle nur nach derjenigen Maxime, von der du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.

Sprecherin:

Der Kategorische Imperativ ist das Grundprinzip der Ethik des Philosophen Immanuel Kant. Zwar hat er seine Schriften zu Ende des 18. Jahrhunderts veröffentlicht, doch auch im 21. Jahrhundert ist dem eigentlich nichts hinzuzufügen. Einen Schritt weiter geht der US-amerikanische Philosoph John Rawls, der ein interessantes Gedankenexperiment angeregt hat:

10 - O-Ton Gerhard Kruip:

(…) Der schlägt vor, dass wir uns vorstellen sollen, (…) wir wären in einem Urzustand versammelt und würden die Regeln für die zukünftige Gesellschaft gemeinsam festlegen in diesem Urzustand, ohne allerdings zu wissen, wer wir

nachher in dieser späteren Gesellschaft sein würden. (…) Und das erzwingt dann Regeln, die die am schlechtesten Gestellten so gut wie möglich stellen.

Differenzprinzip‘ nennt Rawls das. Und da würde man eben auch sagen: Niemand weiß, ob er in so eine Notlage hineingerät, also wird er im Urzustand unter dem Schleier des Nichtwissens für Regeln sorgen, die auch Menschen in solchen Notlagen noch eine Hilfe sein können. Eine Unterstützung anbieten.

Sprecherin:

In einer Welt, in der alle dem Rawl`sche Gedankenexperiment folgten, gäbe es womöglich fast paradiesische Zustände: Eine Welt des Miteinanders, eine Welt, in der Menschen Empathie für alle Lebewesen empfänden. Einer Welt voller Nächstenliebe. Das aber führt automatisch zu der Frage:

Zitator:

Wer ist eigentlich der „Nächste“?

Sprecherin:

An dem Punkt wird es richtig schwierig: Wo fängt man an? Und wo hört man auf in diesem endlosen Meer aus Leid?

Zitator:

Ein Übel, das erwartungsgemäß auch uns selbst oder einen der Unsrigen treffen könnte (…) Ferner haben wir Mitleid mit denen, die uns bezüglich Alter, Charakter, Gewohnheiten, sozialer Stellung und Herkunft ähnlich sind.

Sprecherin:

Schrieb schon Aristoteles in seiner Rhetorik und war damit der Erste, der den Versuch machte, Mitleid als eine ganz zentrale Voraussetzung für Hilfsbereitschaft zu definieren. Viele sprechen heute eher vom Mitgefühl. Wer mit Lebewesen mitfühlt, wird den Impuls verspüren, zu helfen, etwas gegen diese Not zu tun.

MUSIK: Öldurót K: Ólafur Arnalds, Atli Örvarsson & SinfoniaNord Album: Island Songs Ólafur Arnalds

Sprecherin:

So kann also auch dies ein Motiv sein zu helfen:

Zitator:

Helfen aus dem Impuls des Berührtseins heraus.

Sprecherin:

Menschen helfen am ehesten dort, wo sie sich zugehörig fühlen: in der Familie, im Freundeskreis, am Wohnort. Alles, was ‚fern‘, ‚ganz weit weg …‘ ist, gehört eher nicht dazu. Hier kann viel einfacher die Maschinerie aus Abwehr und Ignoranz angeworfen werden:

Zitator:

Was geht mich das an? Viel zu weit weg!

Sprecherin:

Der Sozialethiker Gerhard Kruip findet, dass das aus ethischer Sicht zu kurz gedacht ist:

11 - O-Ton Gerhard Kruip:

Unter Philosophen ist das allerdings umstritten. Also Peter Singer z.B. der sagt, dass die räumliche Distanz eigentlich keinen Unterschied machen darf,

wenn wir also erfahren, dass es große Not in anderen Ländern gibt, und wir können etwas gegen diese Not tun, z.B. indem wir Geld spenden, dann sind wir verpflichtet, das zu tun.

Sprecherin:

Helfen, wo die Not am größten ist. Laut dieser Maxime wären Menschen in Syrien, dem Jemen oder der Sahelzone die „Nächsten“, die die Hilfe am nötigsten hätten. Ihnen aber fühlen sich viele kaum verbunden.

Zitator:

Das Wenige, das du tun kannst, ist viel – wenn du nur irgendwo Schmerz und Weh und Angst von einem Wesen nimmst, sei es Mensch, sei es irgendeine Kreatur. Leben erhalten ist das einzige Glück.

Sprecherin:

Albert Schweitzer, Theologe und Kulturphilosoph.

Hilfsbereitschaft für nicht-menschliche Kreaturen ist weitaus seltener.

Ein Blick in die Spendenstatistik 2017 des Statistischen Bundesamtes zeigt: Menschen helfen vor allem Menschen.

Zitator:

Knapp 78 Prozent wurden für humanitäre Zwecke gespendet, hingegen nur 2,7 Prozent für den Naturschutz

MUSIK: Öldurót K: Ólafur Arnalds, Atli Örvarsson & SinfoniaNord Album: Island Songs Ólafur Arnalds

Sprecherin:

Neben Pflichtgefühl, Verantwortungsbewusstsein oder Mitgefühl gibt es aber noch ein weiteres Motiv zu helfen:

Zitator:

Helfen macht Spaß!

Sprecherin:

Ist daran etwas verkehrt? Nein, sagt die buddhistische Lehrerin Sylvia Wetzel. Einzig kontraproduktiv ist Helfen aus dem reinen Gefühl der Verpflichtung und der Selbstaufwertung:

12 - O-Ton Sylvia Wetzel

Wenn es uns schwerfällt, dann stimmt es nicht! Dann ist es vermutlich so, dass wir uns selber eher was Gutes tun, wenn wir Gutes tun. Dass wir unser eigenes Selbstbild damit stärken „Ja, ich bin ein guter Mensch! Ich spende immer Geld!“ Dann spende ich zwar Geld und tue vielleicht auch etwas Gutes für eine andere Person aber in erster Linie blase ich meine Selbstbild auf.

Sprecherin:

Schmälert also die Hilfsbereitschaft mit Hintergedanken das gute Ergebnis?

In der Philosophie, so Martin Booms, wird die Frage kontrovers diskutiert:

13 - O-Ton Martin Booms:

„Ist doch egal, was ich mir denke, Hauptsache, es kommt an bei den Bedürftigen!“ Das wäre eine utilitaristische Position, d.h. eine ethische Position, die sagt: Wenn wir bewerten wollen, was gut und was schlecht ist, dann müssen wir immer auf die Effekte, auf das Ergebnis unserer Handlungen schauen. Die andere große ethische Schule, die deontologische Schule (…), die würde eher sagen: Nein, es kommt darauf an, dass ich eine Haltung habe, die auf das Gute abzielt, (…) auch wenn der Effekt vielleicht gar nicht so eingetreten ist.

Sprecherin:

Helfen ohne Hintergedanken – ein edles Ziel. Aber keinesfalls ein realistisches.

Ganz oft steckt auch dieses Motiv hinter dem Altruismus:

Zitator:

Dank und Anerkennung.

MUSIK: „Baud“

14 - O-Ton Sylvia Wetzel

Ja die Frage ist: Wenn ich etwas Gutes tue und dafür einen Dank erwarte, dann wäre das in meiner Definition nicht wirklich etwas Gutes tun, das wäre ein Handel: „Ich gebe Dir Geld und Du gibst mir Dankbarkeit und Wertschätzung!“ Das ist ein Handel!

Zitator:

Gabe und Gegengabe

Sprecherin:

Der französische Soziologe und Philosoph Marcel Mauss (sprich: Moos) hat herausgefunden, dass dieses ökonomische Prinzip in allen Gesellschaften vorhanden ist. Die rein selbstlose Tat ohne jegliche Erwartung ist die Ausnahme.

Auch viele Unternehmen meinen, dass ihnen Altruismus gut zu Gesichte stünde: Kaum ein Betrieb, der nicht mindestens ein soziales Projekt am Start hat. Der Philosoph Martin Booms berät Unternehmen und warnt: Diese Aktionen gehen oft nach hinten los:

15 - O-Ton Martin Booms:

Da gibt es ganz viele Unternehmen, die etwas machen, „Corporate Responsibility“, also Unternehmensverantwortung, (…) also die kümmern sich um Umweltprobleme in der Stratosphäre, um den Regenwald, die bekämpfen den Hunger in Afrika… (…) aber das Erste, worauf ein Unternehmen achten müsste, wäre zu schauen: Welche schädlichen Effekte oder bedrohlichen Effekte gehen denn von meinem unmittelbaren unternehmerischen Handeln aus?

Sprecherin:

Egal ob Kinderarbeit, Umweltverbrechen oder Anlegerbetrug: Gutes Tun heißt auch: Schlechtes zu unterlassen!

16 - O-Ton Martin Booms:

Und wenn Unternehmen dahin kämen, zunächst einmal sich ganz zu fokussieren auf die Bereiche, die tatsächlich in einer unmittelbaren moralischen Verantwortung sind, wäre die Welt eine viel Bessere, im Vergleich zu einer Welt, wo alle (…) diese philanthropischen Aktionen machen, wo man gerne Verantwortung wahrnimmt, aber immer woanders!

Sprecherin:

Martin Booms hält wenig von glanzvollen Wohltätigkeits-Events – auch wenn am Ende dabei sehr viel Geld für einen guten Zweck zusammenkommt:

17 - O-Ton Martin Booms:

Wir brauchen gar nicht so sehr diese großen spektakulären Charity-Aktionen. Das hat dann wieder was von Glanz und Reputation und von Image, und alle fühlen sich gut …! Nein, es geht darum, im Alltag, in den ganz kleinen Dingen, die in der Summe aber riesig sind, ein Bewusstsein zu entwickeln.

Sprecherin:

Andererseits sind es aber vor allem die großen Charity-Aktionen, die Millionen für den guten Zweck einspielen. Zahlreiche humanitäre Projekte sind abhängig von diesen großen Finanzspritzen. Warum sollten sich die edlen Spender nicht auch ein bisschen gut dabei fühlen?

MUSIK: „ Bose-Einstein Condensation“ K: Biosphere Album: Shenzhou

Sprecherin:

Trotzdem: Hilfsbereitschaft ist viel mehr als ein einmaliges ‚tolles Erlebnis‘! Es ist nicht weniger als eine Haltung. Eine, die sich durch das gesamte Leben zieht.

Wirklich hilfsbereite und mitfühlende Menschen gehen mit offenem Blick durch die Straßen. Sie schauen hin. Und fragen:

Zitator:

Was brauchst du wirklich? Wie kann ich dich unterstützen – und zwar ohne dich zu beschämen?

Sprecherin:

Alexander Letzel, sozialpolitischer Referent bei der Caritas, fordert einen Richtungswechsel im Umgang mit Bedürftigen. Helfen heißt sehr viel mehr als einem Straßenbettler einen Euro zu geben: nämlich genau hinschauen und genau hinhören:

18 - O-Ton Alexander Letztel:

Das geht durch Gespräche! Also wenn Sie sich wirklich die Zeit nehmen, auf die Bedürfnisse, auf die Situation einzugehen des Menschen, mit dem Sie da konfrontiert sind, dann werden Sie auch feststellen, dass viele auch dankbar sind für menschliche Spende sozusagen.

Das heißt für Nähe, für ein Gespräch, für ein paar nette Worte, es geht nicht immer nur um Geld, sondern die Isolation und die Einsamkeit ist auch ein großes Thema, da hilft dann menschliche Wärme.

Sprecherin:

Alexander Letzel will ermutigen, die Scheuklappen abzulegen. Sich einzulassen, Fragen zu stellen – um dann am Ende eine gute Entscheidung zu treffen. Ganz gleich wie die aussieht:

19 - O-Ton Alexander Letzel:

Das ist sehr anstrengend! Das ist uns auch bewusst! Das ist jedem selbst überlassen, wie er hilft, uns ist wichtig hinzugucken. Und den Leuten tatsächlich zu begegnen. Und auch anzunehmen, dass es solche Situationen gibt und das eben aus dem Halbdunkel herauszuholen.

Sprecherin:

Das erfordert aber auch, aus der eigenen Starre herauszukommen, aus dem Automatismus, mit dem Leid schnell und effektiv abgewehrt wird.

Wer sein eigenes Leid anerkennt – wird auch durchlässiger für das Leid anderer. Das erfordert ein hohes Maß an Empathie auf der einen und Stärke auf der anderen Seite. Es heißt: den eigenen Horizont verlassen, das Herz für andere Menschen, andere Lebewesen zu öffnen.

MUSIK: „ Fallen“ K: Teho Teardo Album: Diaz (Un film di Daniele Vicari) [feat. Il balanescu quartet]

Zitator:

Beim Anblick des Leidens eines anderen, auch eines Tieres, identifizieren wir uns derart, dass wir im fremden Leid unser eigenes Leiden fühlen und erkennen. Ein bedeutsamer Schritt darüber hinaus und eine Erweiterung des Mitleids besteht darin, im angeschauten Leid das Leiden der ganzen Welt zu erkennen. …

Sprecherin:

Arthur Schopenhauer

Sprecherin:

Menschen, die ihre Fähigkeiten für das Gemeinwohl einsetzen, merken plötzlich, dass ihr Tun einen Unterschied macht. In dem Moment entdecken sie womöglich das, wonach sie ihr Leben lang gesucht haben: das Gefühl von Sinn. Einen größeren Gewinn gibt es kaum.

MUSIK: „ Bose-Einstein Condensation“ K: Biosphere Album: Shenzhou

Sprecherin:

Und damit verschwimmen die Grenzen zwischen Geben und Nehmen. Es geht nicht mehr um geben müssen, sondern um geben dürfen.

Für den Philosophen Martin Booms ist die Frage nach der Hilfsbereitschaft am Ende ganz eng verknüpft mit nichts Geringerem als der Frage nach der menschlichen Würde:

20 - O-Ton Martin Booms:

Ich glaube, dass das für die Frage, die ja ein jeder für sich spätestens am Ende des Lebens einmal zu beantworten haben wird: „Habe ich richtig gelebt?“ eine ganz entscheidende sein wird. Denn die materiellen Vorteile oder auch eine Machtposition, die ich mir durch Übervorteilung anderer erarbeitet habe, die wird am Ende dahinschmelzen. Insofern kann man diese Trennung zwischen anderen und mir selber, möglicherweise gar nicht machen. Die Integrität, die ich anderen zukommen lasse, ist eine Integrität, die ich in mir selber habe. Und das ist für ein gelungenes, würdevolles Leben eine ganz entscheidende Voraussetzung.

Stopp

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