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Nueva Germania - Das gescheiterte „Arier-Experiment“ im Urwald

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Eine Zuflucht für die "arische Rasse": Das sollte Nueva Germania sein, als deutsche Auswanderer den Ort 1886 in Paraguay gründen. Das Projekt scheitert nach wenigen Jahren. Doch der Ort existiert bis heute. Archäologen suchen nun mit Zeitzeugen nach Spuren der einstigen Arier-Kolonie. Autor: Sebastian Kirschner

Credits
Autor dieser Folge: Sebastian Kirschner
Regie: Anja Scheifinger
Es sprachen: Stefan Merki, Christopher Mann, Rahel Comtesse, Hemma Michel
Technik: Ursula Kirstein
Redaktion: Thomas Morawetz

Im Interview:
Prof. Dr. Natascha Mehler, Archäologin (Universität Tübingen);
Attila Dészi, Archäologe (Universität Tübingen);
Klaus Neumann, geboren und aufgewachsen in Nueva Germania;
Dr. Daniela Kraus, Historikerin und Journalistin (Wien);
Ruth Alison Benitez, Cheftechnikerin der Abteilung für Archäologie des Nationalen Kultursekretariats in Paraguay

Diese hörenswerte Folge von radioWissen könnte Sie auch interessieren:

Bayern zwischen den Kriegen - Von der Boheme zu Barbarei
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Literaturtipps:

Ben Macintyre: „Vergessenes Vaterland. Auf den Spuren der Elisabeth Nietzsche“. Reclam Leipzig 1994.

Daniela Kraus: „Bernhard und Elisabeth Försters Nueva Germania in Paraguay. Eine antisemitische Utopie“. Doktorarbeit. Universität Wien, 1999.

Julius Klingbeil: „Enthüllungen über die Dr. Bernhard Förster'sche Ansiedelung Neu-Germanien in Paraguay“. Leipzig 1889 (antiquarisch).

Elisabeth Förster-Nietzsche: „Dr. Bernhard Försters Kolonie Neu-Germania in Paraguay“. Berlin 1891 (antiquarisch).

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

ATMO Plaza früh

SPRECHER

Ein abgelegener Ort in den Weiten Südamerikas. Es ist nur wenig los auf den Straßen. Vereinzelt ziehen Rinder über die Wege, rot leuchtet der sandige Boden. Schon um neun Uhr morgens brennt die Sonne vom Himmel über Paraguay. Ein Tag wie jeder andere für Don Alfonso – wäre da nicht die Ausgrabung auf seinem Grundstück. Kritisch blickt er jeden Tag hinüber zu den Archäologen. Die Forscher wissen, er will das Ganze endlich hinter sich haben. Es geht ihm nicht nur um sein Gemüse, das dort wächst. Es ist die Vergangenheit, die dem Ort mit dem eigentümlichen Namen zu schaffen macht: Nueva Germania [sprich: Nueva Chermania]. Seine Bewohner wollen nicht länger als Nazis gelten, nur weil etliche von ihnen deutsche Vorfahren haben. Der 72-jährige Klaus Neumann etwa.

ZUSP_01

Uns, die hier geboren sind, von deutscher Abstammung, es wird uns immer wieder gefragt über Nazis. Ich habe als Kind nie, nie eine Hakenkreuzfahne gesehen. Ich glaube, ich bin nicht der einzige aus Nueva Germania. Meiner Ansicht nach ist es gewissermaßen ungerecht.

SPRECHER

Einst gedacht als Zuflucht für eine sogenannte Arische Rasse, hat Nueva Germania den Menschen dort den Ruf von Urwaldgermanen eingebracht. Verschlägt es Besucher hierher, dann oft genau deshalb. Und auch weil es irgendwie kurios ist, so abgelegen auf deutsche Sprache zu stoßen, in einem Land, wo sonst ohne Spanisch rein gar nichts geht. Und nun sind auch noch Archäologen da und spüren dieser Vergangenheit nach.

TRENNER (ab hier Musik düster)

SPRECHER

Nueva Germania 1886, also lange bevor es in Deutschland Nationalsozialisten gab: In diesem Jahr gründet Bernhard Förster die sehr spezielle Siedlung gründet. Zusammen mit seiner Frau Elisabeth Förster-Nietzsche, der Schwester von Philosoph Friedrich Nietzsche. In einer zeitgenössischen Werbeschrift lässt das Ehepaar wissen:

ZITATOR 1

Wir werden eine arische Herrenrasse züchten, hier in den Wäldern Südamerikas. Unser Neu-Germanien wird ewig dauern.

SPRECHER

Schon drei Jahre zuvor hat der glühende Antisemit Förster dafür Paraguay erkundet. Dass er nach einer passenden Gegend für ihre Pläne sucht, hatte man sogar in England registriert. Im Februar 1883 heißt es in der Zeitung „The Times“:

ZITATOR 1

Herr Doktor Förster, einer der Anführer der antisemitischen Bewegung in Deutschland, schüttelte den Staub eines undankbaren Landes von seinen Füßen und verließ mit einer kleinen, aber ergebenen Gruppe von Anhängern Berlin, um sich nach Paraguay einzuschiffen, wo sie ein „neues Deutschland“ gründen wollen, unbeschmutzt von irgendwelchen Nachkommen Abrahams.

SPRECHER

Die österreichische Historikerin und Journalistin Daniela Kraus hat sich intensiv mit Nueva Germania und ihren Gründern beschäftigt. Die Wurzeln für Försters krude Ideen sieht sie in seiner Biographie:

ZUSP_02

Bernhard Förster war ein Gymnasiallehrer, der sich zunehmend radikalisiert hat und hat handgreifliche Streitigkeiten angefangen auch gegen jüdische Mitbürger, was dazu geführt hat, dass er seinen Schuldienst quittieren musste. Das heißt, der war ein bisschen eine gescheiterte Existenz.

SPRECHER

Gleichzeitig kennt und verehrt Förster den Komponisten Richard Wagner – und lernt so auch seine spätere Frau Elisabeth Nietzsche kennen. Die war über ihren innig geliebten Bruder Friedrich, einen engen Freund des Komponisten, in den Kreis der Wagners gerückt:

ZUSP_03

Elisabeth führte ihrem Bruder den Haushalt und ging mit ihm mit, hat den Wagners in Bayreuth eine Zeit lang den Haushalt geführt und hat damit einen gewissen gesellschaftlichen Aufstieg durchgemacht. Und dann begegnet sie diesem ein bisschen versponnenen Bernhard Förster, der mit seinen Ideen und seinen Idealen ihr offensichtlich gefallen hat.

SPRECHER

Ideen, die sich auch aus antisemitischen Gedanken von Wagner speisen. Etwa, dass man das reine Deutschland eigentlich nur irgendwo im Urwald wieder herstellen könne. Förster nimmt das wörtlich: Er und seine Frau locken mit der Aussicht auf paradiesische Zustände in Paraguay. In den Bayreuther Blättern schreibt Elisabeth:

ZITATORIN

Dann sitzen wir im Garten; vor dem Haus und blicken ins Weite. Wiesen von der Abendsonne röthlich vergoldet an beiden Seiten des Flüsschen, von brüllenden Rinderheerden durchzogen, welche zögernd der Viehhürde zuschreiten. Welch friedliches, glückliches Bild bietet das Ganze dar, nichts Fremdartiges, nein, alles deutsch und heimathlich!

SPRECHER

Diese Aussichten fallen in Deutschland auf fruchtbaren Boden.

ZUSP_04

Es gab 1873 den Börsenkrach, es gab Leute, die insgesamt mit der politischen und sozialen Situation unzufrieden waren. Leute, die verarmt waren, die keine ökonomischen Perspektiven in Deutschland sahen und die sich dazu verleiten ließen, Scharlatanen zu glauben, die ihnen dann ein besseres Leben andernorts versprachen.

SPRECHER

Dass das ausgerechnet in Paraguay warten sollte, hatte seinen Grund. Das Land hatte gerade sechs Jahre blutige Kämpfe gegen seine Nachbarn Argentinien, Brasilien und Uruguay hinter sich und stand vor einem Desaster. Paraguay hatte den sogenannten Triple-Allianz-Krieg verloren, und im Zuge dessen mehr als die Hälfte seiner Bevölkerung.

ZUSP_05

Danach war die Idee, man braucht wieder Leute, man braucht Einwanderer. Deswegen hat Paraguay sehr stark gefördert, die Einwanderung einerseits durch Anwerbungen in Europa und sehr stark auch in Deutschland. und andererseits auch durch den Verkauf von günstigem Land und verschiedene steuerliche Begünstigungen.

SPRECHER

Die Werbung wirkt. Auch deshalb können die Försters schließlich rund 200 deutsche Auswanderer für ihre antisemitischen Kolonialträume mobilisieren.

ZUSP_06

Das waren schon Leute, die diese Ideologie zumindest sympathisch fanden, die auch Aussteiger waren, die Arbeiter waren und Arbeitsplätze verloren haben durch die Industrialisierung. Und die gesagt haben, wir müssen ein neues Leben führen, dass man zurück zum Ursprung muss. Dieser Ursprung impliziert eine völkische Reinheit. Diese Mischung dürfte auf manche Leute sehr attraktiv gewirkt haben.

SPRECHER

Das Problem: Keiner von ihnen kennt sich damit aus, eine solche Kolonie aufzubauen. Kaum einer versteht etwas von Landwirtschaft. Schnell holt die Kolonisten die Realität ein. Ihr neues Zuhause Nueva Germania entpuppt sich als ein von tropischen Krankheiten und Hunger geplagtes Dorf, beschwerliche acht Tagesreisen mit dem Boot flussaufwärts von Asuncion, der Hauptstadt von Paraguay.

ZUSP_07

Dort war im Prinzip Urwald. Das heißt, die mussten dort wirklich das Land urbar machen, die ganze Infrastruktur herstellen. Es war das Klima nicht gut. Es waren wahnsinnig viele Moskitos. Es gab Sandflöhe, es gab Ungeziefer, das die Ernten zerstört hat. Es gab nicht ausreichend sauberes Trinkwasser. Das heißt, die Leute wurden relativ schnell krank. Es war wahnsinnig schwierig.

SPRECHER

Den Försters fällt es zunehmend schwerer, die desaströsen Zustände in Nueva Germania zu verheimlichen – vor neuen Interessenten und ebenso vor Geldgebern. Einer ihrer lautesten Kritiker ist Julius Klingbeil, der 1888 selbst als Auswanderer nach Nueva Germania gekommen ist. Ein Jahr später macht er seinem Ärger über die Zustände vor Ort Luft. Er veröffentlicht ein Buch, das andere warnen soll:

ZITATOR 1

Mögen sich Förster und Genossen noch so sehr abmühen, das Klima Paraguays als ein überaus herrliches zu preisen, jeder redliche Mensch wird mit mir bekennen, dass derartige Behauptungen nur Unwahrheiten und Mittel zum Zwecke sind. Der Doctor Förster führt mit seinen Genossen in Paraguay ein recht bequemes Leben. Seine Arbeit besteht im Nichtsthun, im Abfangen von einwandernden Deutschen in Asuncion und darin, daß er zündende Berichte für Vertrauensselige verfasst.

SPRECHER

Die Folge: Schon nach sieben Jahren, im Jahr 1893, ist das antisemitische Projekt wieder zu Ende: Förster hat längst Selbstmord begangen, seine Frau flieht zurück nach Deutschland.

TRENNER

SPRECHER

Man könnte das Geschichte sein lassen, ein kurzes dunkles Kapitel deutscher Auswanderer. Nur: Der Ort existiert bis heute; und er hadert mit seinen Wurzeln. Ein Ort, wo Menschen wie Don Alfonso die Vergangenheit von Nueva Germania endlich hinter sich lassen wollen. Und wo zugleich die Farben Schwarz-Rot-Gold selbst Mülltonnen und T-Shirts zieren. Warum ist das Dorf damals nicht schnell wieder verschwunden? Ein Ort, dessen kleine Gemeinschaft einst ideologisch darauf basiert hat, sich abzuschotten. Genau das interessiert auch ein Team von Archäologen aus Deutschland, Argentinien und Paraguay.

ZUSP_08

Wieso wandert da jemand im späten 19. Jahrhundert aus nach Paraguay, ohne wirklich da mal gewesen zu sein und ohne wirklich zu wissen, was sie erwartet? Man denkt natürlich immer gleich mal an Überlebensstrategien und Siedlungsbewegungen vor Ort, und das hat mich alles unheimlich fasziniert.

SPRECHER

sagt Projektleiterin Natascha Mehler von der Universität Tübingen.

Bereits 2022 hat sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen dafür anhand alter Pläne die Lage vor Ort sondiert. Ausschau gehalten nach Resten vom angeblich recht herrschaftlichen Hof der Försters:

ZUSP_09

Da gab es in diesem Plan eine klare Fläche, die da eingezeichnet war, und als wir dort vor Ort waren auf diesem großen Grundstück sind wir ihn erst mal abgelaufen. Und haben aber überhaupt nichts davon entdeckt. Und es hat uns doch sehr verwundert, weil die Zeit ist ja noch nicht so weit fortgeschritten zwischen Aufgabe dieses Hofs und heute, also vielleicht 100 Jahre. Und man müsste eigentlich doch noch irgendetwas finden.

SPRECHER

Eine Senke im Terrain, einen Brunnen, einen Ziegelhaufen vielleicht. Hat das Haus der Försters vielleicht doch auf einer ganz anderen Fläche gestanden? Zum Beispiel im alten Ortskern von Nueva Germania, an der sogenannten Plaza?

ZUSP_10

Die Bewohner von Nueva Germania, die erzählen uns, dass hier der Försterhof war, also die sagen es ganz anders, als auf der Karte eingezeichnet ist. Und da gibt es tatsächlich eine Bauruine, da kann man noch Brunnenreste sehen.

TRENNER

ATMO Ausgrabung + Urwald

SPRECHER

Frühjahr 2023. Pinsel legen rote und weiße Fußbodenfliesen frei. Maurerkellen kratzen an Erdprofilen im roten Boden von Paraguay. Die Archäologen ringen sie seit Wochen mühsam der Vegetation und den Moskitoschwärmen ab. Doch sie müssen sich beeilen. Es ist neun Uhr, und die Sonne drückt. Ab Mittag wird es zu heiß sein – oder plötzlich wie aus Eimern regnen. Es herrscht Regenzeit. Und nicht nur das macht den Forschern zu schaffen:

ZUSP_11

Wir müssen die Grabungsmethode anpassen vor Ort, zum einen an die Vorgaben des Grundstücksbesitzers. Er möchte nicht, dass wir seine Ernte hier gefährden. Dann haben wir keine große Technik dabei, weil das mit dem Zoll sich wirklich zu schwierig gestaltet hätte.

SPRECHER

Kein Hightech mit Tachymeter und Laserscan. Stattdessen Ausgraben wie vor Jahrzehnten, mit Nivelliergerät, Maßband und Zeichenblock. Und immer den wachsamen Blick Don Alfonsos im Rücken. Dennoch sind die Wissenschaftler weit gekommen.

ZUSP_12

Wir hatten keine Ahnung, wie groß das wird. Und jetzt stehen wir vor knapp 30 Metern Gebäude mit mehreren Adaptionen und Ergänzungen. Das ist deutlich mehr, als wir erwartet haben von der Größe her.

SPRECHER

sagt Attila Dészi [sprich: Deeschi (sch stimmlos)] von der Universität Tübingen über das, was von dem einstigen Haus noch erhalten ist. Er schwärmt, auch wenn neben ihm ein tiefes Loch in der Erde klafft, das nicht von den Archäologen stammt.

ZUSP_13

Leute denken, dass es hier Gold gäbe, weil einige vermuten, das sei das Haus vom Försterhof gewesen und waren reich natürlich. Entsprechend sieht es aus. Ich weiß nicht, wie groß das ist. Drei Meter?

SPRECHER

Das Haus der Försters? Bislang haben die Archäologen nichts gefunden, was diesen Verdacht weiter erhärtet. Gerade verschafft sich Natascha Mehler einen Überblick über die Fortschritte:

ZUSP_14

Das ist das Haus von einem Herrn Freitag, den wir in den Schriftquellen gut fassen können, der auch eine wichtige Position innehatte hier im Ort. Das sieht man im Prinzip ja auch, dass es ein stattliches Haus ist, mitten an der Plaza.

SPRECHER

Georg Freitag kümmert sich damals um die Küche. Er versorgt Neuankömmlinge in ihren ersten Tagen in der Siedlung. Er ist eine der ersten Anlaufstellen für all die, die ihr Glück fortan in Nueva Germania suchen. Genau das macht die Arbeit hier für Attila Deszi so spannend:

ZUSP_15

Wir wissen ja gar nicht, ob alle, die da mitgekommen sind, das Ganze auch ideologisch unterstützt haben oder einfach gesehen haben, einen neuen Anfang auf der anderen Seite der Welt zu starten.

ZUSP_16

VOICEOVER

Ziel des Projekts ist es, die erste Generation von Menschen aus Deutschland zu verstehen; wie sie sich an den Ort anpassten, die Beziehung zu den Menschen hier in Paraguay

SPRECHER

sagt Ruth Alison Benitez [Aussprache-wav in Digas]. Sie ist archäologische Cheftechnikerin des Nationalen Kultursekretariats in Paraguay. Wie stark haben sich die ersten Siedler an den Ort, die lokale Bevölkerung angepasst? Wie abgegrenzt, oder das gepflegt, was sie für besonders deutsch hielten? So etwas soll die Ausgrabung zeigen. Doch um die erste Siedlungsphase zu erkennen, braucht es Funde, die diese Zeit bestätigen. Bisher haben die Archäologen fast nur Reste späterer Zeit gefunden: Patronenhülsen, Bonbonfolie, Schuhsohlen aus Kunststoff, ein Bild von Papst Johannes Paul II. Entmutigen lassen sich die Wissenschaftler davon aber nicht. Denn verglichen mit Vorgeschichtsforschern haben sie einen Vorteil: Sie erforschen Zeiten, in denen sie ihre Ausgrabung mit Schriftquellen abgleichen und ergänzen können. Und nicht nur das:

ZUSP_17

Jetzt sind wir im späten 19. Jahrhundert, frühen 20. Jahrhundert. Und da haben wir die Chance, dass wir mit der 3., 4. Generation besprechen können, was hier passiert, und das ist auch ein wichtiger Teil der historischen Archäologie.

SPRECHER

Historische Archäologie bezieht Zeitzeugen mit ein. Eine Quelle, von der andere Archäologen in der Regel nur träumen können. Vor einigen Tagen etwa hat eine ältere Dame die Ausgrabung besucht. Sie kannte das einstige Gebäude noch aus ihrer Kindheit, als Georg Freitag hier nicht mehr gewohnt hat, sagt Attila Deszi:

ZUSP_18

Außerhalb ihres Zimmers und des Hauses war ein Gebäude vorgelagert, wo die Tiere geschlachtet worden sind. Und das sei ein Backsteinboden gewesen in diesem Schlachtraum. Und das hat sie sehr verstört, diese Tiere zu hören, wie die geschlachtet werden, direkt neben ihr. Daran hat sie sich sehr, sehr gut erinnert. Auf der anderen Seite vom Haus war das Zimmer von ihrem Vater, da durfte sie nicht rein. Aber sie hat ein paar Mal gesehen, dass der andere Fliesen hatte, nämlich die sechseckigen Fliesen. Und das passt ganz gut zu dem, was wir haben.

SPRECHER

Es sind Details aus dem Alltag, über die die Archäologen sonst nur mutmaßen können. Details, die den Forschern auch helfen, ihre Grabungsflächen gezielter anzulegen. Aber die Arbeit mit Zeitzeugen bringt auch Probleme mit sich. Zum einen sind sie häufig sehr alt, ihre Erinnerung verblasst. Zum anderen müssen sie sich hier einer Vorgeschichte stellen, die ihnen bisweilen den Ruf als Erben von Försters Arier-Fantasien beschert hat, mit Büchern auf denen Hakenkreuze prangen. Etliche der Deutschstämmigen in Nueva Germania reagieren daher freundlich-zurückhaltend. Wollen die Ausgrabung besuchen, und kommen dann doch nie. Einzelne sind aber auch neugierig und erzählen. So der 72-jährige Klaus Neumann:

ZUSP_19

An dieser Plaza gab es früher keine Kirche. Dieses Haus, das war eigentlich das größte Haus hier in einem Stadtplatz und etwas weiter da wohnte die Familie Wolf und daneben die Küchenmeisters. Das waren die Familien hier am Stadtplatz.

SPRECHER

Klaus Neumann wohnt nicht mehr im Ort. Er ist aber hier geboren und aufgewachsen. Sein Urgroßvater war einer der ersten Siedler hier. Was er aus seiner Kindheit erzählt, weist darauf hin, dass vielleicht nicht alle, die mit dem Gründer-Ehepaar ausgewandert sind, ihre Ideologie teilten – oder sie zumindest vor Ort weniger wichtig war, als die Försters in Europa glauben machen wollten:

ZUSP_20

Dass es antisemitische Stimmung gab in Nueva Germania ist Blödsinn. Die erste Heirat in Nueva Germania war zwischen Fanny Schubert und Max Stern, und Max war Jude.

SPRECHER

Ein wichtiges Puzzlestück in der Geschichte des Ortes und für das Verhältnis seiner heutigen Einwohner zu ihr. Und vielleicht hilft Klaus Neumanns Erinnerung ja auch, dem Försterhof auf die Spur zu kommen?

ZUSP_22

Wir wissen ja leider nicht, von wann diese Karte ist und ob das nur ein eine Planskizze ist oder ob das wirklich so jemals gebaut wurde. Und Förster hat hier oben ein großes Grundstück, ein großes Gebäude und hier unten, hier in der Stadt auch noch ein Grundstück. Und wir sind hier, Freitag, wir haben hier die Plaza. Und ich habe mich gewundert, dass jemand wie Doktor Bernhard Förster, wenn er sozusagen Gründer der Kolonie ist, sich nicht ein Haus an der Plaza baut, sondern doch etwas weiter weg. - No, no, ich glaube, dieser Platz ist korrekt. Dieser Brunnen ist unheimlich groß und stabil. Ich habe so einen Brunnen woanders hier nicht gesehen.

SPRECHER

Ein neuer Hinweis, der Natascha Mehler noch einmal Hoffnung macht. Doch immer noch fehlen Funde, die die Theorie bestätigen. Schlimmer noch: Auch unabhängig vom Försterhof tun sich die Forscher schwer, die erste Siedlungsphase zu erkennen. Nur eine einzige Verfärbung im Boden, die auf ein älteres Gebäude hinweist. Entsprechendes Fundmaterial? Bisher Fehlanzeige, sagt Attila Deszi:

ZUSP_24

Wir haben sehr, sehr wenig Funde und materielle Kultur von den allerersten Siedlern. Das einzige, was wir bisher hatten, war ein Knopf der Produktionstechnik 1850er bis 1880er und Murmeln.

SPRECHER

Murmeln und ein einzelner Knopf. Und das auch noch aus dem Gang einer alten Baumwurzel – zum Datieren unbrauchbar. Graben die Archäologen an der falschen Stelle? Lässt sich der Wandel der Kolonie vielleicht doch nicht archäologisch fassen? Es wird noch bis kurz vor Ende der Ausgrabungen dauern, bis das Team schließlich auf eine weitere markante Struktur im Boden stößt – und eine Glasperle darin eine frühe Siedlungsphase bestätigt. Für Natascha Mehler endlich ein archäologisches Indiz, dass die ersten Siedler früh Kontakt zur lokalen Bevölkerung gesucht haben:

ZUSP_25

Wir können das ganz gut sehen, denke ich in diesem ersten frühen Pfostenbau, den wir ja jetzt noch am Ende der Kampagne entdeckt haben. Diese Pfostenlöcher, die unter dem späteren größeren Haus liegen, das sind die Reste von einer recht einfachen Unterkunft, aber in einer Bauweise konstruiert, die wir von den Guarani kennen. Also die haben ganz schnell eine provisorische Unterkunft gebaut, die im Prinzip den Baustil der Guarani entspricht.

SPRECHER

Der Grund, warum Nueva Germania seine kritische Anfangsphase überlebt hat? Die Forscherin glaubt, weil ideologische Gedanken der Auswanderer pragmatischen Entscheidungen weichen mussten:

ZUSP_26

Die haben sicherlich früh schmerzhaft erfahren, dass das nicht umsetzbar ist, was die sich ursprünglich vorgenommen hatten, sondern dass sie sich ganz schnell auch anpassen mussten an die Gegebenheiten vor Ort.

SPRECHER

Das heißt: Im Fall von Nueva Germania ist die Ideologie also offenbar gescheitert. Und so wie Ruth Alison einen wesentlichen Teil der Forschungen hier zusammenfasst, sogar ziemlich gründlich:

ZUSP_28

VOICEOVER

Wir haben festgestellt, dass viele Menschen hier in Nueva Germania nichts über diese entfernteren, älteren Aspekte dessen wussten, was wirklich hier war, über die Bedeutung dieser ersten deutschen Gemeinschaft, die hier war, warum sie Nachkommen von Deutschen sind, warum sie diesen Nachnamen haben, woher sie kommen.

SPRECHER

Gerade deshalb findet Klaus Neumann die Ausgrabung in seinem Heimatort wichtig. Er hofft, dass sie hilft, den Blick auf Nueva Germania und seine Geschichte zu verändern. Auch er ist überzeugt: Ohne gute Kontakte zur lokalen Bevölkerung hätte die Kolonie nie überlebt. Die Archäologen möchten noch tiefer graben. Weiter nach Strukturen und Funden suchen, die zeigen, ob das Arier-Projekt vor Ort überhaupt jemals einer gelebten Wirklichkeit entsprach.

ZUSP_29

Ich hoffe, dass die Arbeit jetzt zumindest auch hier ein bisschen Interesse an dieser eigenen Vergangenheit generiert und nicht nur so eine Ablehnungshaltung, vielleicht auch ne Art von Wertschätzung dazu kommt für die Leute hier vor Ort.

ATMO Ausgrabung und Urwald

SPRECHER

Immerhin: Mit der Zeit kommen mehr Menschen aus dem Ort, wollen sich die Ausgrabung zeigen und erklären lassen. Trotzdem haben die Forscher noch Arbeit vor sich: Don Alfonso, der Grundstücksbesitzer ist nach wie vor froh, wenn er die Grabungsfläche bald umpflügen und mit Gemüse bebauen kann.

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Eine Zuflucht für die "arische Rasse": Das sollte Nueva Germania sein, als deutsche Auswanderer den Ort 1886 in Paraguay gründen. Das Projekt scheitert nach wenigen Jahren. Doch der Ort existiert bis heute. Archäologen suchen nun mit Zeitzeugen nach Spuren der einstigen Arier-Kolonie. Autor: Sebastian Kirschner

Credits
Autor dieser Folge: Sebastian Kirschner
Regie: Anja Scheifinger
Es sprachen: Stefan Merki, Christopher Mann, Rahel Comtesse, Hemma Michel
Technik: Ursula Kirstein
Redaktion: Thomas Morawetz

Im Interview:
Prof. Dr. Natascha Mehler, Archäologin (Universität Tübingen);
Attila Dészi, Archäologe (Universität Tübingen);
Klaus Neumann, geboren und aufgewachsen in Nueva Germania;
Dr. Daniela Kraus, Historikerin und Journalistin (Wien);
Ruth Alison Benitez, Cheftechnikerin der Abteilung für Archäologie des Nationalen Kultursekretariats in Paraguay

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Ben Macintyre: „Vergessenes Vaterland. Auf den Spuren der Elisabeth Nietzsche“. Reclam Leipzig 1994.

Daniela Kraus: „Bernhard und Elisabeth Försters Nueva Germania in Paraguay. Eine antisemitische Utopie“. Doktorarbeit. Universität Wien, 1999.

Julius Klingbeil: „Enthüllungen über die Dr. Bernhard Förster'sche Ansiedelung Neu-Germanien in Paraguay“. Leipzig 1889 (antiquarisch).

Elisabeth Förster-Nietzsche: „Dr. Bernhard Försters Kolonie Neu-Germania in Paraguay“. Berlin 1891 (antiquarisch).

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ATMO Plaza früh

SPRECHER

Ein abgelegener Ort in den Weiten Südamerikas. Es ist nur wenig los auf den Straßen. Vereinzelt ziehen Rinder über die Wege, rot leuchtet der sandige Boden. Schon um neun Uhr morgens brennt die Sonne vom Himmel über Paraguay. Ein Tag wie jeder andere für Don Alfonso – wäre da nicht die Ausgrabung auf seinem Grundstück. Kritisch blickt er jeden Tag hinüber zu den Archäologen. Die Forscher wissen, er will das Ganze endlich hinter sich haben. Es geht ihm nicht nur um sein Gemüse, das dort wächst. Es ist die Vergangenheit, die dem Ort mit dem eigentümlichen Namen zu schaffen macht: Nueva Germania [sprich: Nueva Chermania]. Seine Bewohner wollen nicht länger als Nazis gelten, nur weil etliche von ihnen deutsche Vorfahren haben. Der 72-jährige Klaus Neumann etwa.

ZUSP_01

Uns, die hier geboren sind, von deutscher Abstammung, es wird uns immer wieder gefragt über Nazis. Ich habe als Kind nie, nie eine Hakenkreuzfahne gesehen. Ich glaube, ich bin nicht der einzige aus Nueva Germania. Meiner Ansicht nach ist es gewissermaßen ungerecht.

SPRECHER

Einst gedacht als Zuflucht für eine sogenannte Arische Rasse, hat Nueva Germania den Menschen dort den Ruf von Urwaldgermanen eingebracht. Verschlägt es Besucher hierher, dann oft genau deshalb. Und auch weil es irgendwie kurios ist, so abgelegen auf deutsche Sprache zu stoßen, in einem Land, wo sonst ohne Spanisch rein gar nichts geht. Und nun sind auch noch Archäologen da und spüren dieser Vergangenheit nach.

TRENNER (ab hier Musik düster)

SPRECHER

Nueva Germania 1886, also lange bevor es in Deutschland Nationalsozialisten gab: In diesem Jahr gründet Bernhard Förster die sehr spezielle Siedlung gründet. Zusammen mit seiner Frau Elisabeth Förster-Nietzsche, der Schwester von Philosoph Friedrich Nietzsche. In einer zeitgenössischen Werbeschrift lässt das Ehepaar wissen:

ZITATOR 1

Wir werden eine arische Herrenrasse züchten, hier in den Wäldern Südamerikas. Unser Neu-Germanien wird ewig dauern.

SPRECHER

Schon drei Jahre zuvor hat der glühende Antisemit Förster dafür Paraguay erkundet. Dass er nach einer passenden Gegend für ihre Pläne sucht, hatte man sogar in England registriert. Im Februar 1883 heißt es in der Zeitung „The Times“:

ZITATOR 1

Herr Doktor Förster, einer der Anführer der antisemitischen Bewegung in Deutschland, schüttelte den Staub eines undankbaren Landes von seinen Füßen und verließ mit einer kleinen, aber ergebenen Gruppe von Anhängern Berlin, um sich nach Paraguay einzuschiffen, wo sie ein „neues Deutschland“ gründen wollen, unbeschmutzt von irgendwelchen Nachkommen Abrahams.

SPRECHER

Die österreichische Historikerin und Journalistin Daniela Kraus hat sich intensiv mit Nueva Germania und ihren Gründern beschäftigt. Die Wurzeln für Försters krude Ideen sieht sie in seiner Biographie:

ZUSP_02

Bernhard Förster war ein Gymnasiallehrer, der sich zunehmend radikalisiert hat und hat handgreifliche Streitigkeiten angefangen auch gegen jüdische Mitbürger, was dazu geführt hat, dass er seinen Schuldienst quittieren musste. Das heißt, der war ein bisschen eine gescheiterte Existenz.

SPRECHER

Gleichzeitig kennt und verehrt Förster den Komponisten Richard Wagner – und lernt so auch seine spätere Frau Elisabeth Nietzsche kennen. Die war über ihren innig geliebten Bruder Friedrich, einen engen Freund des Komponisten, in den Kreis der Wagners gerückt:

ZUSP_03

Elisabeth führte ihrem Bruder den Haushalt und ging mit ihm mit, hat den Wagners in Bayreuth eine Zeit lang den Haushalt geführt und hat damit einen gewissen gesellschaftlichen Aufstieg durchgemacht. Und dann begegnet sie diesem ein bisschen versponnenen Bernhard Förster, der mit seinen Ideen und seinen Idealen ihr offensichtlich gefallen hat.

SPRECHER

Ideen, die sich auch aus antisemitischen Gedanken von Wagner speisen. Etwa, dass man das reine Deutschland eigentlich nur irgendwo im Urwald wieder herstellen könne. Förster nimmt das wörtlich: Er und seine Frau locken mit der Aussicht auf paradiesische Zustände in Paraguay. In den Bayreuther Blättern schreibt Elisabeth:

ZITATORIN

Dann sitzen wir im Garten; vor dem Haus und blicken ins Weite. Wiesen von der Abendsonne röthlich vergoldet an beiden Seiten des Flüsschen, von brüllenden Rinderheerden durchzogen, welche zögernd der Viehhürde zuschreiten. Welch friedliches, glückliches Bild bietet das Ganze dar, nichts Fremdartiges, nein, alles deutsch und heimathlich!

SPRECHER

Diese Aussichten fallen in Deutschland auf fruchtbaren Boden.

ZUSP_04

Es gab 1873 den Börsenkrach, es gab Leute, die insgesamt mit der politischen und sozialen Situation unzufrieden waren. Leute, die verarmt waren, die keine ökonomischen Perspektiven in Deutschland sahen und die sich dazu verleiten ließen, Scharlatanen zu glauben, die ihnen dann ein besseres Leben andernorts versprachen.

SPRECHER

Dass das ausgerechnet in Paraguay warten sollte, hatte seinen Grund. Das Land hatte gerade sechs Jahre blutige Kämpfe gegen seine Nachbarn Argentinien, Brasilien und Uruguay hinter sich und stand vor einem Desaster. Paraguay hatte den sogenannten Triple-Allianz-Krieg verloren, und im Zuge dessen mehr als die Hälfte seiner Bevölkerung.

ZUSP_05

Danach war die Idee, man braucht wieder Leute, man braucht Einwanderer. Deswegen hat Paraguay sehr stark gefördert, die Einwanderung einerseits durch Anwerbungen in Europa und sehr stark auch in Deutschland. und andererseits auch durch den Verkauf von günstigem Land und verschiedene steuerliche Begünstigungen.

SPRECHER

Die Werbung wirkt. Auch deshalb können die Försters schließlich rund 200 deutsche Auswanderer für ihre antisemitischen Kolonialträume mobilisieren.

ZUSP_06

Das waren schon Leute, die diese Ideologie zumindest sympathisch fanden, die auch Aussteiger waren, die Arbeiter waren und Arbeitsplätze verloren haben durch die Industrialisierung. Und die gesagt haben, wir müssen ein neues Leben führen, dass man zurück zum Ursprung muss. Dieser Ursprung impliziert eine völkische Reinheit. Diese Mischung dürfte auf manche Leute sehr attraktiv gewirkt haben.

SPRECHER

Das Problem: Keiner von ihnen kennt sich damit aus, eine solche Kolonie aufzubauen. Kaum einer versteht etwas von Landwirtschaft. Schnell holt die Kolonisten die Realität ein. Ihr neues Zuhause Nueva Germania entpuppt sich als ein von tropischen Krankheiten und Hunger geplagtes Dorf, beschwerliche acht Tagesreisen mit dem Boot flussaufwärts von Asuncion, der Hauptstadt von Paraguay.

ZUSP_07

Dort war im Prinzip Urwald. Das heißt, die mussten dort wirklich das Land urbar machen, die ganze Infrastruktur herstellen. Es war das Klima nicht gut. Es waren wahnsinnig viele Moskitos. Es gab Sandflöhe, es gab Ungeziefer, das die Ernten zerstört hat. Es gab nicht ausreichend sauberes Trinkwasser. Das heißt, die Leute wurden relativ schnell krank. Es war wahnsinnig schwierig.

SPRECHER

Den Försters fällt es zunehmend schwerer, die desaströsen Zustände in Nueva Germania zu verheimlichen – vor neuen Interessenten und ebenso vor Geldgebern. Einer ihrer lautesten Kritiker ist Julius Klingbeil, der 1888 selbst als Auswanderer nach Nueva Germania gekommen ist. Ein Jahr später macht er seinem Ärger über die Zustände vor Ort Luft. Er veröffentlicht ein Buch, das andere warnen soll:

ZITATOR 1

Mögen sich Förster und Genossen noch so sehr abmühen, das Klima Paraguays als ein überaus herrliches zu preisen, jeder redliche Mensch wird mit mir bekennen, dass derartige Behauptungen nur Unwahrheiten und Mittel zum Zwecke sind. Der Doctor Förster führt mit seinen Genossen in Paraguay ein recht bequemes Leben. Seine Arbeit besteht im Nichtsthun, im Abfangen von einwandernden Deutschen in Asuncion und darin, daß er zündende Berichte für Vertrauensselige verfasst.

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Die Folge: Schon nach sieben Jahren, im Jahr 1893, ist das antisemitische Projekt wieder zu Ende: Förster hat längst Selbstmord begangen, seine Frau flieht zurück nach Deutschland.

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Man könnte das Geschichte sein lassen, ein kurzes dunkles Kapitel deutscher Auswanderer. Nur: Der Ort existiert bis heute; und er hadert mit seinen Wurzeln. Ein Ort, wo Menschen wie Don Alfonso die Vergangenheit von Nueva Germania endlich hinter sich lassen wollen. Und wo zugleich die Farben Schwarz-Rot-Gold selbst Mülltonnen und T-Shirts zieren. Warum ist das Dorf damals nicht schnell wieder verschwunden? Ein Ort, dessen kleine Gemeinschaft einst ideologisch darauf basiert hat, sich abzuschotten. Genau das interessiert auch ein Team von Archäologen aus Deutschland, Argentinien und Paraguay.

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Wieso wandert da jemand im späten 19. Jahrhundert aus nach Paraguay, ohne wirklich da mal gewesen zu sein und ohne wirklich zu wissen, was sie erwartet? Man denkt natürlich immer gleich mal an Überlebensstrategien und Siedlungsbewegungen vor Ort, und das hat mich alles unheimlich fasziniert.

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sagt Projektleiterin Natascha Mehler von der Universität Tübingen.

Bereits 2022 hat sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen dafür anhand alter Pläne die Lage vor Ort sondiert. Ausschau gehalten nach Resten vom angeblich recht herrschaftlichen Hof der Försters:

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Da gab es in diesem Plan eine klare Fläche, die da eingezeichnet war, und als wir dort vor Ort waren auf diesem großen Grundstück sind wir ihn erst mal abgelaufen. Und haben aber überhaupt nichts davon entdeckt. Und es hat uns doch sehr verwundert, weil die Zeit ist ja noch nicht so weit fortgeschritten zwischen Aufgabe dieses Hofs und heute, also vielleicht 100 Jahre. Und man müsste eigentlich doch noch irgendetwas finden.

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Eine Senke im Terrain, einen Brunnen, einen Ziegelhaufen vielleicht. Hat das Haus der Försters vielleicht doch auf einer ganz anderen Fläche gestanden? Zum Beispiel im alten Ortskern von Nueva Germania, an der sogenannten Plaza?

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Die Bewohner von Nueva Germania, die erzählen uns, dass hier der Försterhof war, also die sagen es ganz anders, als auf der Karte eingezeichnet ist. Und da gibt es tatsächlich eine Bauruine, da kann man noch Brunnenreste sehen.

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ATMO Ausgrabung + Urwald

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Frühjahr 2023. Pinsel legen rote und weiße Fußbodenfliesen frei. Maurerkellen kratzen an Erdprofilen im roten Boden von Paraguay. Die Archäologen ringen sie seit Wochen mühsam der Vegetation und den Moskitoschwärmen ab. Doch sie müssen sich beeilen. Es ist neun Uhr, und die Sonne drückt. Ab Mittag wird es zu heiß sein – oder plötzlich wie aus Eimern regnen. Es herrscht Regenzeit. Und nicht nur das macht den Forschern zu schaffen:

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Wir müssen die Grabungsmethode anpassen vor Ort, zum einen an die Vorgaben des Grundstücksbesitzers. Er möchte nicht, dass wir seine Ernte hier gefährden. Dann haben wir keine große Technik dabei, weil das mit dem Zoll sich wirklich zu schwierig gestaltet hätte.

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Kein Hightech mit Tachymeter und Laserscan. Stattdessen Ausgraben wie vor Jahrzehnten, mit Nivelliergerät, Maßband und Zeichenblock. Und immer den wachsamen Blick Don Alfonsos im Rücken. Dennoch sind die Wissenschaftler weit gekommen.

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Wir hatten keine Ahnung, wie groß das wird. Und jetzt stehen wir vor knapp 30 Metern Gebäude mit mehreren Adaptionen und Ergänzungen. Das ist deutlich mehr, als wir erwartet haben von der Größe her.

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sagt Attila Dészi [sprich: Deeschi (sch stimmlos)] von der Universität Tübingen über das, was von dem einstigen Haus noch erhalten ist. Er schwärmt, auch wenn neben ihm ein tiefes Loch in der Erde klafft, das nicht von den Archäologen stammt.

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Leute denken, dass es hier Gold gäbe, weil einige vermuten, das sei das Haus vom Försterhof gewesen und waren reich natürlich. Entsprechend sieht es aus. Ich weiß nicht, wie groß das ist. Drei Meter?

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Das Haus der Försters? Bislang haben die Archäologen nichts gefunden, was diesen Verdacht weiter erhärtet. Gerade verschafft sich Natascha Mehler einen Überblick über die Fortschritte:

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Das ist das Haus von einem Herrn Freitag, den wir in den Schriftquellen gut fassen können, der auch eine wichtige Position innehatte hier im Ort. Das sieht man im Prinzip ja auch, dass es ein stattliches Haus ist, mitten an der Plaza.

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Georg Freitag kümmert sich damals um die Küche. Er versorgt Neuankömmlinge in ihren ersten Tagen in der Siedlung. Er ist eine der ersten Anlaufstellen für all die, die ihr Glück fortan in Nueva Germania suchen. Genau das macht die Arbeit hier für Attila Deszi so spannend:

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Wir wissen ja gar nicht, ob alle, die da mitgekommen sind, das Ganze auch ideologisch unterstützt haben oder einfach gesehen haben, einen neuen Anfang auf der anderen Seite der Welt zu starten.

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Ziel des Projekts ist es, die erste Generation von Menschen aus Deutschland zu verstehen; wie sie sich an den Ort anpassten, die Beziehung zu den Menschen hier in Paraguay

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sagt Ruth Alison Benitez [Aussprache-wav in Digas]. Sie ist archäologische Cheftechnikerin des Nationalen Kultursekretariats in Paraguay. Wie stark haben sich die ersten Siedler an den Ort, die lokale Bevölkerung angepasst? Wie abgegrenzt, oder das gepflegt, was sie für besonders deutsch hielten? So etwas soll die Ausgrabung zeigen. Doch um die erste Siedlungsphase zu erkennen, braucht es Funde, die diese Zeit bestätigen. Bisher haben die Archäologen fast nur Reste späterer Zeit gefunden: Patronenhülsen, Bonbonfolie, Schuhsohlen aus Kunststoff, ein Bild von Papst Johannes Paul II. Entmutigen lassen sich die Wissenschaftler davon aber nicht. Denn verglichen mit Vorgeschichtsforschern haben sie einen Vorteil: Sie erforschen Zeiten, in denen sie ihre Ausgrabung mit Schriftquellen abgleichen und ergänzen können. Und nicht nur das:

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Jetzt sind wir im späten 19. Jahrhundert, frühen 20. Jahrhundert. Und da haben wir die Chance, dass wir mit der 3., 4. Generation besprechen können, was hier passiert, und das ist auch ein wichtiger Teil der historischen Archäologie.

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Historische Archäologie bezieht Zeitzeugen mit ein. Eine Quelle, von der andere Archäologen in der Regel nur träumen können. Vor einigen Tagen etwa hat eine ältere Dame die Ausgrabung besucht. Sie kannte das einstige Gebäude noch aus ihrer Kindheit, als Georg Freitag hier nicht mehr gewohnt hat, sagt Attila Deszi:

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Außerhalb ihres Zimmers und des Hauses war ein Gebäude vorgelagert, wo die Tiere geschlachtet worden sind. Und das sei ein Backsteinboden gewesen in diesem Schlachtraum. Und das hat sie sehr verstört, diese Tiere zu hören, wie die geschlachtet werden, direkt neben ihr. Daran hat sie sich sehr, sehr gut erinnert. Auf der anderen Seite vom Haus war das Zimmer von ihrem Vater, da durfte sie nicht rein. Aber sie hat ein paar Mal gesehen, dass der andere Fliesen hatte, nämlich die sechseckigen Fliesen. Und das passt ganz gut zu dem, was wir haben.

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Es sind Details aus dem Alltag, über die die Archäologen sonst nur mutmaßen können. Details, die den Forschern auch helfen, ihre Grabungsflächen gezielter anzulegen. Aber die Arbeit mit Zeitzeugen bringt auch Probleme mit sich. Zum einen sind sie häufig sehr alt, ihre Erinnerung verblasst. Zum anderen müssen sie sich hier einer Vorgeschichte stellen, die ihnen bisweilen den Ruf als Erben von Försters Arier-Fantasien beschert hat, mit Büchern auf denen Hakenkreuze prangen. Etliche der Deutschstämmigen in Nueva Germania reagieren daher freundlich-zurückhaltend. Wollen die Ausgrabung besuchen, und kommen dann doch nie. Einzelne sind aber auch neugierig und erzählen. So der 72-jährige Klaus Neumann:

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An dieser Plaza gab es früher keine Kirche. Dieses Haus, das war eigentlich das größte Haus hier in einem Stadtplatz und etwas weiter da wohnte die Familie Wolf und daneben die Küchenmeisters. Das waren die Familien hier am Stadtplatz.

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Klaus Neumann wohnt nicht mehr im Ort. Er ist aber hier geboren und aufgewachsen. Sein Urgroßvater war einer der ersten Siedler hier. Was er aus seiner Kindheit erzählt, weist darauf hin, dass vielleicht nicht alle, die mit dem Gründer-Ehepaar ausgewandert sind, ihre Ideologie teilten – oder sie zumindest vor Ort weniger wichtig war, als die Försters in Europa glauben machen wollten:

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Dass es antisemitische Stimmung gab in Nueva Germania ist Blödsinn. Die erste Heirat in Nueva Germania war zwischen Fanny Schubert und Max Stern, und Max war Jude.

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Ein wichtiges Puzzlestück in der Geschichte des Ortes und für das Verhältnis seiner heutigen Einwohner zu ihr. Und vielleicht hilft Klaus Neumanns Erinnerung ja auch, dem Försterhof auf die Spur zu kommen?

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Wir wissen ja leider nicht, von wann diese Karte ist und ob das nur ein eine Planskizze ist oder ob das wirklich so jemals gebaut wurde. Und Förster hat hier oben ein großes Grundstück, ein großes Gebäude und hier unten, hier in der Stadt auch noch ein Grundstück. Und wir sind hier, Freitag, wir haben hier die Plaza. Und ich habe mich gewundert, dass jemand wie Doktor Bernhard Förster, wenn er sozusagen Gründer der Kolonie ist, sich nicht ein Haus an der Plaza baut, sondern doch etwas weiter weg. - No, no, ich glaube, dieser Platz ist korrekt. Dieser Brunnen ist unheimlich groß und stabil. Ich habe so einen Brunnen woanders hier nicht gesehen.

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Ein neuer Hinweis, der Natascha Mehler noch einmal Hoffnung macht. Doch immer noch fehlen Funde, die die Theorie bestätigen. Schlimmer noch: Auch unabhängig vom Försterhof tun sich die Forscher schwer, die erste Siedlungsphase zu erkennen. Nur eine einzige Verfärbung im Boden, die auf ein älteres Gebäude hinweist. Entsprechendes Fundmaterial? Bisher Fehlanzeige, sagt Attila Deszi:

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Wir haben sehr, sehr wenig Funde und materielle Kultur von den allerersten Siedlern. Das einzige, was wir bisher hatten, war ein Knopf der Produktionstechnik 1850er bis 1880er und Murmeln.

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Murmeln und ein einzelner Knopf. Und das auch noch aus dem Gang einer alten Baumwurzel – zum Datieren unbrauchbar. Graben die Archäologen an der falschen Stelle? Lässt sich der Wandel der Kolonie vielleicht doch nicht archäologisch fassen? Es wird noch bis kurz vor Ende der Ausgrabungen dauern, bis das Team schließlich auf eine weitere markante Struktur im Boden stößt – und eine Glasperle darin eine frühe Siedlungsphase bestätigt. Für Natascha Mehler endlich ein archäologisches Indiz, dass die ersten Siedler früh Kontakt zur lokalen Bevölkerung gesucht haben:

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Wir können das ganz gut sehen, denke ich in diesem ersten frühen Pfostenbau, den wir ja jetzt noch am Ende der Kampagne entdeckt haben. Diese Pfostenlöcher, die unter dem späteren größeren Haus liegen, das sind die Reste von einer recht einfachen Unterkunft, aber in einer Bauweise konstruiert, die wir von den Guarani kennen. Also die haben ganz schnell eine provisorische Unterkunft gebaut, die im Prinzip den Baustil der Guarani entspricht.

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Der Grund, warum Nueva Germania seine kritische Anfangsphase überlebt hat? Die Forscherin glaubt, weil ideologische Gedanken der Auswanderer pragmatischen Entscheidungen weichen mussten:

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Die haben sicherlich früh schmerzhaft erfahren, dass das nicht umsetzbar ist, was die sich ursprünglich vorgenommen hatten, sondern dass sie sich ganz schnell auch anpassen mussten an die Gegebenheiten vor Ort.

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Das heißt: Im Fall von Nueva Germania ist die Ideologie also offenbar gescheitert. Und so wie Ruth Alison einen wesentlichen Teil der Forschungen hier zusammenfasst, sogar ziemlich gründlich:

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Wir haben festgestellt, dass viele Menschen hier in Nueva Germania nichts über diese entfernteren, älteren Aspekte dessen wussten, was wirklich hier war, über die Bedeutung dieser ersten deutschen Gemeinschaft, die hier war, warum sie Nachkommen von Deutschen sind, warum sie diesen Nachnamen haben, woher sie kommen.

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Gerade deshalb findet Klaus Neumann die Ausgrabung in seinem Heimatort wichtig. Er hofft, dass sie hilft, den Blick auf Nueva Germania und seine Geschichte zu verändern. Auch er ist überzeugt: Ohne gute Kontakte zur lokalen Bevölkerung hätte die Kolonie nie überlebt. Die Archäologen möchten noch tiefer graben. Weiter nach Strukturen und Funden suchen, die zeigen, ob das Arier-Projekt vor Ort überhaupt jemals einer gelebten Wirklichkeit entsprach.

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Ich hoffe, dass die Arbeit jetzt zumindest auch hier ein bisschen Interesse an dieser eigenen Vergangenheit generiert und nicht nur so eine Ablehnungshaltung, vielleicht auch ne Art von Wertschätzung dazu kommt für die Leute hier vor Ort.

ATMO Ausgrabung und Urwald

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Immerhin: Mit der Zeit kommen mehr Menschen aus dem Ort, wollen sich die Ausgrabung zeigen und erklären lassen. Trotzdem haben die Forscher noch Arbeit vor sich: Don Alfonso, der Grundstücksbesitzer ist nach wie vor froh, wenn er die Grabungsfläche bald umpflügen und mit Gemüse bebauen kann.

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