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Jakob Wassermann - Der fast vergessene „Weltstar des Romans“
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Mit Romanen wie "Caspar Hauser" oder "Der Fall Mauritius" schuf Jakob Wassermann internationale Bestseller. Der deutsche Erzähler jüdischer Herkunft war einer der populärsten Autoren seiner Zeit. Doch dann verbrannten die Nazis seine Bücher. Von Dirk Kruse (BR 2023)
Credits
Autor dieser Folge: Dirk Kruse
Regie: Christiane Klenz
Es sprachen: Annette Wunsch, Heiko Ruprecht, Florian Schwarz, Jenny Güzel
Technik: Fabian Zweck
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Professor Dr. Gunnar Och (Literaturwissenschaftler, Nürnberg);
Dr. Alexander Mayer (ehemaliger Stadtheimatpfleger, Fürth);
Dr. Dierk Rodewald (Literaturwissenschaftler, Berlin)
Literaturtipps:
Beatrix Müller-Kampel, „Jakob Wassermann. Eine biographische Collage“ – Der Grundstein für die noch zu schreibende große literaturwissenschaftliche Wassermann-Biographie mit vielen Zitaten aus Wassermanns Umfeld.
Dierk Niefanger, Gunnar Och und Daniela F. Eisenstein, „Jakob Wassermann. Deutscher, Jude, Literat“ – reich bebilderte Sammlung mit Aufsätzen und Essays zu Leben und Werk Wassermanns.
Jakob Wassermann, „Mein Weg als Deutscher und Jude“ – die noch erhältliche Ausgabe im Jüdischen Verlag hat ein kluges Nachwort von Marcel Reich-Ranicki. Wassermann maßgebliches autobiographisches Werk.
Jakob Wassermann, „Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens“ – dieser schöne Roman, der auch historische Quellen auswertet, die aber im Wassermann-Erzählton präsentiert werden, ist noch im Cadolzburger Ars Vivendi Verlag erhältlich mit einem erhellenden Nachwort von Gunnar och lieferbar.
Jakob Wassermann, „Der Fall Maurizius“ – Wassermanns größter Erfolg von 1928. Die Geschichte eines Justizirrtums, die sich spannend wie ein Krimi liest.
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Wild Wild Web - Geschichten aus dem Internet
Wild Wild Web erzählt Geschichten aus dem Internet. Mal Wissenschaft, mal Tech, mal Investigativ-Recherche und mal Tier-Doku.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Zitator
Jakob Wassermann ist der Romancier von Geblüt. Hätte es vor ihm den Roman nicht gegeben, er wäre der Mann gewesen, ihn zu erfinden…
Sprecherin
Diese Eloge veröffentlichte Heinrich Mann anlässlich des 60. Geburtstags von Jakob Wassermann am 10. März 1933 in der „Neuen Rundschau“.
Zitator
… Für seinesgleichen setzt das Leben sich in Bewegung, um wunderbare Verwicklungen hervorzubringen. Der Roman behauptet bei ihm seinen volkstümlichen Sinn, Spannung, Geheimnis, Enthüllung, großer Aufbau, die Befriedigung durch deutliche Handlungen…
Sprecherin
Auch die Freunde und Kollegen Thomas Mann, Stefan Zweig, Hermann Hesse und Alfred Döblin gratulierten dort feierlich.
Zitator
… - und in dem allen schlägt fortwährend ein Herz, wacht immer ein menschlich bemühter Geist und offenbart sich ein herrlicher Dichter.
Sprecherin
Nur zwei Monate später wurden die Bücher Jakob Wassermanns, und die der meisten Glückwünschenden, von den Nationalsozialisten auf öffentlichen Scheiterhaufen verbrannt. Doch während viele der damals verfemten und verfolgten Autoren heute immer noch gelesen werden, ist das Werk Jakob Wassermanns trotz einiger Wiederbelebungsversuche kaum noch präsent. Dabei war Wassermann im ausgehenden Kaiserreich und in der Weimarer Republik einer der meistgelesenen, deutschsprachigen Erzähler. Ein internationaler Bestsellerautor, der unterhaltsam schrieb, ohne ein Unterhaltungsschriftsteller zu sein. Mit dem Schlachtruf "Der neue Wassermann ist eingetroffen!" stürzten die Leser damals in die Buchhandlungen und schnappten sich den neusten Roman des fränkischen Autors gegenseitig aus den Händen, versicherte ein Rezensent 1931. Sein Freund Thomas Mann bezeichnete ihn sogar als „Weltstar des Romans“.
Wer war dieser Autor, der sich in die Herzen seiner Leserinnen und Leser schrieb, und der heute nur noch wenigen etwas sagt?
MUSIK 2 ( Fiona Brice: And You Know I Care 0‘55)
Sprecherin
Jakob Wassermann wird am 10. März 1873 in Fürth geboren.
Zitator Wassermann
Erstickend in ihrer Engigkeit und Öde die gartenlose Stadt, Stadt des Rußes, der tausend Schlöte, des Maschinen- und Hammergestampfes, der Bierwirtschaften, der verbissenen Betriebs- und Erwerbsgier, des Dichtbeieinander kleiner und kleinlicher Leute, der Luft der Armut und Lieblosigkeit im väterlichen Haus.
(Jakob Wassermann: Mein Weg als Deutscher und Jude)
Sprecherin
Wassermann wächst in kleinbürgerlichen, ärmlichen Verhältnissen auf. Sein kühler Vater, ein jüdischer Kurzwarenhändler, hat geschäftlich Pech, so dass die Familie innerhalb Fürths mehrfach die Wohnung wechseln muss. Am längsten lebt der kleine Jakob in der Theaterstraße 17, in der jetzt der ehemalige Fürther Stadtheimatpfleger Alexander Mayer wohnt. Heute ein schmuckes Gründerzeithaus mit renovierter Sandsteinfassade. Damals steht es inmitten rußgeschwärzter Häuser im Herzen der fränkischen Industrie- und Handwerksstadt, so Mayer.
O-Ton 1 Alexander Mayer
Er hat über Fürth ja meistens sehr negativ geredet. Fürth war die „Stadt der tausend Schlöte“, so wie er es beschrieben hat. In jedem Hinterhof war ein Schlot. Hier war ein Gehämmer und Gestampfe und die Häuser waren schwarz. Das war für ihn nichts als sensiblen Jungen, vor allem auch, weil hier in der Wohnung seine Mutter mit 32 Jahren an Mittelohreiterung tragisch starb. Und er beschreibt auch den Leichenzug rüber zum jüdischen Friedhof, wie also die Goldschläger und Messingschläger vor die Tür treten und den Leichenzug begleitet haben mit Tränen in den Augen. Das beschreibt er in seinem Roman „Engelbert Rathgeber“ und in seiner ersten Novelle „Schläfst du Mutter?“.
Sprecherin
Der Tod der geliebten Mutter bedeutet für den Neunjährigen das Ende der behüteten Kindheit. Der Vater heiratet schnell wieder, doch Jakobs Stiefmutter benimmt sich ähnlich böse wie die im Märchen.
Zitator Wassermann
Die zweite Frau meines Vaters war uns Kindern aus erster Ehe nicht wohlgesinnt und ließ uns ihre Abneigung auf jede Weise spüren. Abgesehen von ungerechten und überharten Züchtigungen, steten Klagen, die sie vor dem Vater führte, schränkte sie die Nahrung aufs äußerste ein, versah die Brotlaibe mit Zeichen, so dass sie erkennen konnte, wenn einer von uns sich zu Unrecht ein Stück abgeschnitten hatte, und trug Sorge, dass das Vergehen schwer bestraft wurde.
(Jakob Wassermann: Mein Weg als Deutscher und Jude)
Sprecherin
Der phantasiebegabte Junge erzählt und schreibt gerne Geschichten. Doch statt ihn zu fördern, wird sein Talent mit Gewalt unterdrückt.
O-Ton 2 Alexander Mayer
Er ging ja um die Ecke in die Schule, in die Königliche Realschule, später Hardenberg-Gymnasium. Da hat er ja sein erstes literarisches Werk in einer Zeitung veröffentlicht. Dafür hat er aber gleich Karzer bekommen, weil das für einen Schüler ungehörig war. Und auch der Vater war, wie Wassermann schreibt, im ersten Moment stolz auf ihn und dann zuckt er und sagt das ist ungehörig. Und ab da gab es nur Ärger. Und er hat immer Angst gehabt, dass eine Stiefmutter ihm seine Manuskripte verbrennt. Angeblich hat er deshalb so klein geschrieben, damit er sie gut verstecken kann überall.
MUSIK 3 (Fie Schouten: Press Release 0‘50)
Sprecherin
Mit 17 Jahren entflieht Jakob Wassermann seiner Heimatstadt Fürth, bricht eine Kaufmannslehre in Wien ab und träumt davon Schriftsteller zu werden. Er erlebt üblen Antisemitismus beim Militärdienst in Würzburg und vagabundiert, verstoßen von der Familie, in Hunger und Armut als Bohemien durch Süddeutschland, bis er schließlich Sekretär des Münchener Autors Ernst von Wolzogen wird. Dem legt er schließlich schüchtern das Manuskript eines Romans zur Begutachtung vor.
Zitator
Ein echter Dichter sprach daraus. Merken Sie sich den Namen: Jakob Wassermann! Er wird berühmt. Und ist er es, dann denken Sie daran, dass ich es Ihnen heute sagte.
Sprecherin
Ernst von Wolzogen fördert den Jungautor und stellt ihn seinem Verleger Albert Langen vor, wo 1896 Wassermanns erster, noch unbedeutender Roman „Melusine“ erscheint. Aber Wassermann hat Talent, so der Nürnberger Germanist Gunnar Och.
O-Ton 3 Gunnar Och
Er ist ein Erzähler von Geblüt. Das sagt auch Thomas Mann. Er ist tatsächlich einer, sagt Thomas Mann, der könnte auf dem Markt sitzen und die Leute würden ihm zuhören. Da liegt sein Talent. Er selber sagt ja, er hätte schon seinen Geschwistern die Ängste vertrieben. Da wäre das Scheherazade-Motiv. Er hat immer aufgehört und am nächsten Tag weitererzählt. Er ist schon einer, der gerne fabuliert.
MUSIK 4 ( Gustav Mahler / Chimaera Trio: Ablösung im Sommer 1‘10)
Sprecherin
Wassermann veröffentlicht Novellen, Theaterstücke und mit „Die Juden von Zirndorf“ einen beeindruckenden zweiten Roman. Wegen einer unglücklichen Liebegeschichte verlässt er München und geht nach Wien. Dort stößt er in die Literatenkreise vor und befreundet sich eng mit Hugo von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler. Über die neuen Freunde lernt er Samuel Fischer, den berühmtesten und erfolgreichsten Verleger der damaligen Zeit kennen. Natürlich hat Wassermann ein fertiges Manuskript dabei, wie sich die Verlegergattin Hedwig Fischer erinnert.
Zitatorin
Der dunkle Jüngling, der aussah wie ein Savoyardenknabe, war ein Franke aus Fürth. Seine früh verstorbene Mutter muss eine besondere Schönheit gewesen sein, und sicher hatte Wassermann seine funkelnden schwarzen Augen und sein zigeunerhaftes Wesen von ihr. Das Buch gefiel uns so gut wie sein Autor, mein Mann nahm das Werk an, und das bedeutete bei ihm immer die Gesamtveröffentlichung des Verfassers. Jakob Wassermann wurde einer unserer erfolgreichsten Schriftsteller.
Sprecherin
Dieser erste Roman bei S. Fischer „Die Geschichte der jungen Renate Fuchs“ erscheint 1901 und wird ein schöner Verkaufserfolg. Endlich geht es für den ewig klammen Autor auch finanziell bergauf, was mehr noch an der stattlichen Mitgift liegt, die Fabrikantentochter Julie Speyer mit in die Ehe bringt. Doch mit Geld umgehen können beide nicht. Sie leben über ihre Verhältnisse und werfen sich gegenseitig Verschwendung vor, so der Literaturwissenschaftler Dierk Rodewald, der seit Jahren an einer kommentierten Edition der Tagebücher Wassermanns arbeitet.
O-Ton 4 Dierk Rodewald
Wenn Wassermann wandern ging, was er sehr gerne tat, weil er dann die Romane, wie er immer wieder betonte, träumte, dann bemisst sie das Reisegeld. Und er muss dann Rechenschaft ablegen, dass er die teure Fahrkarte genommen hat. Nein, schreibt er, er habe die billige Fahrkarte genommen. Und dass er ganz karg lebt. Also sie hält ihn kurz. Sie ist der Finanzminister.
Sprecherin
Es ist keine einfache Ehe mit der fordernden und kontrollwütigen Julie. Doch ist sie nicht ohne Grund misstrauisch. Der sensible Autor mit dem melancholischen Blick wird von Leserinnen umschwärmt.
O-Ton 5 Dierk Rodewald
Er verliebte sich dauernd. Und die Frauen verliebten sich in ihn. Und die sind auch alle irgendwie in einem Roman vorgekommen. Er hatte ziemlich viele Beziehungen zu Frauen nebenher neben der Ehe. Dass hat seine Ehefrau Julie aber gefördert, damit er bei ihr bleibe. Sie hat damit sogar angegeben hin und wieder. Gegenüber Schnitzler hat sie mal gesagt: Und er hat jetzt sogar eine Gräfin.
Sprecherin
Doch nicht die Frauen, sondern das Schreiben hat für Wassermann höchste Priorität. Mit einem Bein im 19. Jahrhundert stehend, aber die literarische Moderne begierig aufsaugend, sucht er seinen Erzählton.
Zitator Wassermann
Kunst machen heißt: verzehrt werden. All mein Geschaffenes der letzten Jahre müsste verbrannt werden, - doch wer kann auf den Berg kommen, ohne von unten angefangen zu haben! Ich will erschüttert sein und Andere erschüttern!
MUSIK 5 (Django Reinhardt Trio: I’ll See You In My Dreams 1‘15)
Sprecherin
Literarisch ambitionierte Romane wie „Der Moloch“ oder „Alexander in Babylon“ floppen beim Publikum und Wassermann sorgt sich nicht zu Unrecht um seine Finanzen. Doch dann findet er in seiner fränkischen Heimat den Stoff zu einem neuen Erfolgsroman. Er recherchiert über das wohl berühmteste Findelkind Europas und schreibt 1908 mit „Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens“ einen echten Longseller. Spätestens mit dem Nürnberger Künstlerroman „Das Gänsemännchen“ von 1915 kommt die Wassermannsche Bestsellerproduktion dann so richtig in Fahrt. Dabei hilft ihm auch, dass er zu seiner eigenen großen Enttäuschung wehruntauglich ist. Die Jahre des Ersten Weltkriegs erlebt er nicht an der Front. Stattdessen publiziert Wassermann unermüdlich im Jahrestakt und schreibt einen gut verkauften Roman nach dem anderen: „Christian Wahnschaffe“, „Faber oder die verlorenen Jahre“, „Laudin und die Seinen“ bis hin zum größten seiner Erfolge „Der Fall Maurizius“ im Jahr 1928. Bücher, die auch heute noch zur Lektüre taugen, so Dierk Rodewald.
O-Ton 6 Dierk Rodewald
Weil er gut erzählen kann. Es ist so interessant, wenn ein Roman von Wassermann anfängt, dann fängt der mit etwas scheinbar ganz Nebensächlichem an, das aber direkt in die Mitte des Problems führt. Das ist technisch großartig gemacht. Und außerdem, das ist ja ein billiges Vergnügen von mir, sind die Sachen spannend. Und dann hat mich immer interessiert, dass er schriftstellerisch und stilistisch so wandelbar war. Der hat nicht einen eigenen Ton entwickelt. Er hat mit jedem neuen Buch eine neue Erzählform gefunden.
Sprecherin
Mit dem großen Erfolg kommt der Neid der Kollegen. Auch die Freunde sind nicht ganz frei davon. Selbst Thomas Mann schielte mitunter neidisch auf Wassermanns hohe Auflagen und witterte Konkurrenz, weiß der Germanist Gunnar Och.
O-Ton 7 Gunnar Och
Als der „Christian Wahnschaffe“ entstanden war, ist das ganz spannend in den Thomas Mann‘schen Tagebüchern nachzulesen. Thomas Mann arbeitet am Zauberberg und sieht dann den „Christian Wahnschaffe“ erscheinen und hat wirklich Angst, dass ihm jetzt das Wasser abgegraben wird. Das kommt einem völlig absurd vor, weil „Wahnschaffe“ kein guter Roman ist. Aber es sind verwandte Bestrebungen erkennbar. Und auf den ersten Seiten ist Thomas Mann ganz betroffen. Dann liest er weiter und steigert er sich rein: das taugt nichts. Am Schluss sagt er: was für ein Mist. Aber am Anfang ist die Angst groß, dass ihm da einer die Show stiehlt.
MUSIK 6 (Fiona Brice: Retreat 1‘10)
Sprecherin
Die Literatenfreunde nehmen den sozialen Aufsteiger aus der bayerischen Provinz nicht immer ganz für voll. Man mokiert sich über seine fränkische Aussprache, die Seitensprünge und Ehekräche, das ständige Notizenmachen auf der Suche nach neuen Erzählstoffen, die ewigen Geldsorgen. Im Grunde genommen bleibt Wassermann ein Außenseiter. Auch unterschwelliger Antisemitismus spielt da womöglich eine Rolle. Wassermann hat sensible Antennen dafür. In seinem autobiographischen Essay „Mein Weg als Deutscher und Jude“, seinem heute vielleicht wichtigsten Buch, beschreibt er schon Anfang der 20er Jahre sehr hellsichtig den täglichen Judenhass und die Unmöglichkeit trotz aller Integrationsanstrengungen als Deutscher akzeptiert zu werden.
Zitator Wassermann
Am Rand der Gesellschaft stehend, haarbreit neben dem Abgrund, galt ihr meine Sehnsucht. Das Verlangen, von ihr aufgenommen und anerkannt zu werden, als Gleicher unter Gleichen, überwog jedes andere.
Sprecherin
„Mein Weg als Deutscher und Jude“ ist ein ergreifendes Zeitdokument. Eine Anklage an die Gesellschaft und bekenntnishaft, weil der Autor sich selbst nicht schont.
O-Ton 8 Gunnar Och
Was ihn immer interessiert hat, ist die Psychologie des Antisemitismus, vor allem in der Rückwirkung auf Juden. Und dieses Thema schildert er an der eigenen Person. Wie es ihn etwa gekränkt hat als er in Würzburg beim Militär mit dem Antisemitismus der einfachen Leute in Kontakt gekommen ist. Oder im literarisch-kulturellen Bereich mit dem Antisemitismus der Literaturkritik konfrontiert wurde. Und dann hinterfragt er, was das für die eigene Psyche und Identität bedeutet. Und da fällt der schöne Ausdruck, das alles sind „Engramme des Leidens“. Dadurch ist buchstäblich etwas in den Körper eingeschrieben und er sieht da auch eine seelische Verkrüppelung.
Zitator Wassermann
Es ist vergeblich, das Volk der Dichter und Denker im Namen seiner Dichter und Denker zu beschwören, Jedes Vorurteil, das man abgetan glaubt, bringt, wie Aas die Würmer, tausend neue zutage.
Es ist vergeblich, in das tobsüchtige Geschrei Worte der Vernunft zu werfen. Sie sagen: was, er wagt es aufzumucken? Stopft ihm das Maul.
Es ist vergeblich, unter ihnen zu gehen und ihnen die Hand zu bieten. Sie sagen: was nimmt er sich heraus mit seiner jüdischen Aufdringlichkeit?
Es ist vergeblich, das Gift zu entgiften. Sie brauen frisches.
Es ist vergeblich für sie zu leben und für sie zu sterben. Sie sagen: er ist ein Jude.
Sprecherin
Thomas Mann findet diesen Klageschrei seines Freundes aus dem Jahr 1921 übersensibel und hypochondrisch und hält den Antisemitismus für ein schwaches Pflänzchen ohne tiefe Verwurzelung. Ein Irrtum, den er zwölf Jahre später, als die Nationalsozialisten die Macht ergreifen, beschämt eingesteht. „Mein Weg als Deutscher und Jude“ ist noch heute, hundert Jahre später, von einiger Aktualität.
MUSIK 7 (Philip Glass: The Cockney Brothers 1‘10)
Sprecherin
Jakob Wassermann ist Ende der 20er Jahre auf dem Höhepunkt seines Ruhms, geht auf ausverkaufte Vortragsreisen nach Schweden, Holland und in die USA, doch innerlich fühlt er sich müde und verbraucht. Julie, von der er sich nach langen Jahren des zermürbenden Rosenkriegs endlich hat scheiden lassen, überzieht ihn auch danach mit überhöhten Geldforderungen und einer Flut von gerichtlichen Klagen. Sie akzeptiert Wassermanns zweite Ehe mit der Autorin Marta Karlweis nicht und verschleißt über 20 Rechtanwälte, die ihr Exmann ironischerweise auch noch zahlen muss. Trotz hoher Einkünfte bricht Wassermann unter der Last, die eigene Villa in Aussee und die seiner Exfrau Julie in Wien zu finanzieren, fast zusammen.
Zitator Wassermann
Marta will unser Leben auf eine schmalere Basis stellen. Aber wie? Leute entlassen, die dann brotlos werden? Sie spricht sogar vom Verkauf des Hauses. Unvorstellbarer Gedanke.
Sprecherin
Wassermann reibt sich auf vor lauter Schreibarbeit, um Geld ranzuschaffen. Seine Gesundheit ist zerrüttet, er hat Diabetes, ein Nieren- und ein Herzleiden und benötigt kostspielige Krankenhaus- und Kuraufenthalte. Dazu kommt die zunehmende Vereinsamung. Nacheinander sterben die Freunde, zuerst sein Lektor Moritz Heimann, dann Hugo von Hofmannsthal, schließlich Arthur Schnitzler. Und die politische Lage verdüstert sich zusehends. Der Aufstieg der Nationalsozialisten scheint unaufhaltsam.
MUSIK 8 (Owen Devlin: Transcendence 1’00)
Als Hitler am 30. Januar 1933 Reichskanzler wird, und Deutschland binnen Monaten in eine Diktatur verwandelt, wird es finster für den Autor. Doch sein Verleger beschwichtigt Wassermann, obwohl der Absatz seiner Bücher drastisch zurückgeht und eine Lesereise durch Deutschland abgesagt wird.
Zitator Wassermann
Deine Mahnung, ich soll Ruhe bewahren, kommt mir so vor, wie wenn Du jemand, dessen Haus in Brand steht, zurufen würdest, er solle sich zunächst ins Bett legen und abwarten. Du schreibst, Du teilst nicht meine Besorgnis, dass durch neue Gesetze und dergleichen eine Beeinträchtigung der Vertragserfüllung erfolgen könnte. Ich wiederum kann hierin Deinen Optimismus nicht teilen.
Sprecherin
Natürlich hat Wassermann recht. Als jüdischer Autor werden seine Bücher in Deutschland verboten, aus den öffentlichen Bibliotheken entfernt und verbrannt. Ende November 1933 lässt S. Fischer seinen einstigen Bestsellerautor dann sang und klanglos fallen. Die Einkünfte versiegen, während gleichzeitig Exehefrau Julie die Wassermannsche Villa pfänden lassen will. Ausgelaugt und zutiefst deprimiert stirbt Jakob Wassermann in der Nacht zum 1. Januar 1934 an einem Herzanfall.
MUSIK 9 (Ryuichi Sakamoto: disintegration 0’55)
Zitator
Wassermanns Tod ist ein Schreck und eine Trauer. Merkwürdigerweise ist das Erschreckende diesmal gerade, dass man es so deutlich kommen sah und so grausam voraussagte, er machte die letzten Male ja einen betrüblichen Eindruck. Schauerlich ist der sogenannte Lebensabend, den dieser Mann hatte, der sich mit seinem enormen Ehrgeiz sehr hoch heraufgearbeitet hatte, um schließlich wieder auf die gemeinste Art zu stürzen und wieder ganz arm zu sein – durch die Schuld einer verrückten Frau und eines verrückten Diktators.
Sprecherin
Das schreibt Klaus Mann dem Kollegen Hermann Kesten. Beide Schriftsteller waren da schon im Exil. Wenigstens das bleibt Jakob Wassermann durch seinen frühen Tod erspart. Den Mord an Millionen deutscher und europäischer Juden muss er nicht mehr erleben. Posthum erscheint 1934 noch der letzte große Roman „Joseph Kerkhovens dritte Existenz“ im Exilverlag Querido in Amsterdam, dann wird es still um Jakob Wassermann.
O-Ton 10 Gunnar Och
Es gab eine große Ungerechtigkeit nach 1945. Da sind viele andere allmählich wieder aufgetaucht, Feuchtwanger, Zweig, Werfel, Schnitzler und andere. Und das ist zunächst an Wassermann vorbeigegangen. Da hat wohl auch die Familie Anteil. Der Sohn hat die Rechte relativ billig an Buchclubs verramscht. Da gabs dann keine Kontinuität in der Veröffentlichung. Man hat auch nichts mehr aus dem Nachlass publiziert, was auch möglich gewesen wäre. Also, es ist kein Autor der ersten Reihe. Das muss man deutlich sagen. Aber ein sehr respektabler Autor der zweiten Reihe, der mit einzelnen Texten auf jeden Fall nochmal gelesen zu werden verdient.
Sprecherin
An die Qualität von Schnitzler, Hofmannsthal, Rilke oder Thomas Mann reicht Wassermann nicht heran. Dazu hat sich zu viel Staub auf seiner Prosa abgesetzt. Aber mit Feuchtwanger, Werfel, Zweig oder Heinrich Mann kann er es durchaus aufnehmen. Alle Bemühungen Wassermann ab den 70er Jahren wieder für ein Lesepublikum zugänglich zu machen sind bislang gescheitert.
MUSIK 10 (Hannes Hugo: Tramonto 0‘50)
Derzeit sind fast alle Bücher nur noch antiquarisch oder als Print-on-Demand in schlechten Druckfassungen erhältlich. Dabei lohnt sich eine Lektüre. „Caspar Hauser“, „Der Fall Maurizius“ und „Mein Weg als Deutscher und Jude“ sollte man unbedingt gelesen haben. Die Bedeutung Wassermanns, so Dierk Rodewald, liegt…
O-Ton 11 Dierk Rodewald
In der gekonnten Praktizierung der Lust, den Menschen etwas zu erzählen, was nicht ohne humanen Sinn ist. Er wollte schon, dass die Menschen etwas davon haben, wenn sie seine Romane lesen. Also dass es sie bereichert in irgendeiner Weise. Wobei er niemals wollte, dass man ihn als moralischen Autor betrachtet. Das ganz gewiss nicht.
4417 Episoden
Manage episode 381317475 series 1833401
Mit Romanen wie "Caspar Hauser" oder "Der Fall Mauritius" schuf Jakob Wassermann internationale Bestseller. Der deutsche Erzähler jüdischer Herkunft war einer der populärsten Autoren seiner Zeit. Doch dann verbrannten die Nazis seine Bücher. Von Dirk Kruse (BR 2023)
Credits
Autor dieser Folge: Dirk Kruse
Regie: Christiane Klenz
Es sprachen: Annette Wunsch, Heiko Ruprecht, Florian Schwarz, Jenny Güzel
Technik: Fabian Zweck
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Professor Dr. Gunnar Och (Literaturwissenschaftler, Nürnberg);
Dr. Alexander Mayer (ehemaliger Stadtheimatpfleger, Fürth);
Dr. Dierk Rodewald (Literaturwissenschaftler, Berlin)
Literaturtipps:
Beatrix Müller-Kampel, „Jakob Wassermann. Eine biographische Collage“ – Der Grundstein für die noch zu schreibende große literaturwissenschaftliche Wassermann-Biographie mit vielen Zitaten aus Wassermanns Umfeld.
Dierk Niefanger, Gunnar Och und Daniela F. Eisenstein, „Jakob Wassermann. Deutscher, Jude, Literat“ – reich bebilderte Sammlung mit Aufsätzen und Essays zu Leben und Werk Wassermanns.
Jakob Wassermann, „Mein Weg als Deutscher und Jude“ – die noch erhältliche Ausgabe im Jüdischen Verlag hat ein kluges Nachwort von Marcel Reich-Ranicki. Wassermann maßgebliches autobiographisches Werk.
Jakob Wassermann, „Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens“ – dieser schöne Roman, der auch historische Quellen auswertet, die aber im Wassermann-Erzählton präsentiert werden, ist noch im Cadolzburger Ars Vivendi Verlag erhältlich mit einem erhellenden Nachwort von Gunnar och lieferbar.
Jakob Wassermann, „Der Fall Maurizius“ – Wassermanns größter Erfolg von 1928. Die Geschichte eines Justizirrtums, die sich spannend wie ein Krimi liest.
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
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Zitator
Jakob Wassermann ist der Romancier von Geblüt. Hätte es vor ihm den Roman nicht gegeben, er wäre der Mann gewesen, ihn zu erfinden…
Sprecherin
Diese Eloge veröffentlichte Heinrich Mann anlässlich des 60. Geburtstags von Jakob Wassermann am 10. März 1933 in der „Neuen Rundschau“.
Zitator
… Für seinesgleichen setzt das Leben sich in Bewegung, um wunderbare Verwicklungen hervorzubringen. Der Roman behauptet bei ihm seinen volkstümlichen Sinn, Spannung, Geheimnis, Enthüllung, großer Aufbau, die Befriedigung durch deutliche Handlungen…
Sprecherin
Auch die Freunde und Kollegen Thomas Mann, Stefan Zweig, Hermann Hesse und Alfred Döblin gratulierten dort feierlich.
Zitator
… - und in dem allen schlägt fortwährend ein Herz, wacht immer ein menschlich bemühter Geist und offenbart sich ein herrlicher Dichter.
Sprecherin
Nur zwei Monate später wurden die Bücher Jakob Wassermanns, und die der meisten Glückwünschenden, von den Nationalsozialisten auf öffentlichen Scheiterhaufen verbrannt. Doch während viele der damals verfemten und verfolgten Autoren heute immer noch gelesen werden, ist das Werk Jakob Wassermanns trotz einiger Wiederbelebungsversuche kaum noch präsent. Dabei war Wassermann im ausgehenden Kaiserreich und in der Weimarer Republik einer der meistgelesenen, deutschsprachigen Erzähler. Ein internationaler Bestsellerautor, der unterhaltsam schrieb, ohne ein Unterhaltungsschriftsteller zu sein. Mit dem Schlachtruf "Der neue Wassermann ist eingetroffen!" stürzten die Leser damals in die Buchhandlungen und schnappten sich den neusten Roman des fränkischen Autors gegenseitig aus den Händen, versicherte ein Rezensent 1931. Sein Freund Thomas Mann bezeichnete ihn sogar als „Weltstar des Romans“.
Wer war dieser Autor, der sich in die Herzen seiner Leserinnen und Leser schrieb, und der heute nur noch wenigen etwas sagt?
MUSIK 2 ( Fiona Brice: And You Know I Care 0‘55)
Sprecherin
Jakob Wassermann wird am 10. März 1873 in Fürth geboren.
Zitator Wassermann
Erstickend in ihrer Engigkeit und Öde die gartenlose Stadt, Stadt des Rußes, der tausend Schlöte, des Maschinen- und Hammergestampfes, der Bierwirtschaften, der verbissenen Betriebs- und Erwerbsgier, des Dichtbeieinander kleiner und kleinlicher Leute, der Luft der Armut und Lieblosigkeit im väterlichen Haus.
(Jakob Wassermann: Mein Weg als Deutscher und Jude)
Sprecherin
Wassermann wächst in kleinbürgerlichen, ärmlichen Verhältnissen auf. Sein kühler Vater, ein jüdischer Kurzwarenhändler, hat geschäftlich Pech, so dass die Familie innerhalb Fürths mehrfach die Wohnung wechseln muss. Am längsten lebt der kleine Jakob in der Theaterstraße 17, in der jetzt der ehemalige Fürther Stadtheimatpfleger Alexander Mayer wohnt. Heute ein schmuckes Gründerzeithaus mit renovierter Sandsteinfassade. Damals steht es inmitten rußgeschwärzter Häuser im Herzen der fränkischen Industrie- und Handwerksstadt, so Mayer.
O-Ton 1 Alexander Mayer
Er hat über Fürth ja meistens sehr negativ geredet. Fürth war die „Stadt der tausend Schlöte“, so wie er es beschrieben hat. In jedem Hinterhof war ein Schlot. Hier war ein Gehämmer und Gestampfe und die Häuser waren schwarz. Das war für ihn nichts als sensiblen Jungen, vor allem auch, weil hier in der Wohnung seine Mutter mit 32 Jahren an Mittelohreiterung tragisch starb. Und er beschreibt auch den Leichenzug rüber zum jüdischen Friedhof, wie also die Goldschläger und Messingschläger vor die Tür treten und den Leichenzug begleitet haben mit Tränen in den Augen. Das beschreibt er in seinem Roman „Engelbert Rathgeber“ und in seiner ersten Novelle „Schläfst du Mutter?“.
Sprecherin
Der Tod der geliebten Mutter bedeutet für den Neunjährigen das Ende der behüteten Kindheit. Der Vater heiratet schnell wieder, doch Jakobs Stiefmutter benimmt sich ähnlich böse wie die im Märchen.
Zitator Wassermann
Die zweite Frau meines Vaters war uns Kindern aus erster Ehe nicht wohlgesinnt und ließ uns ihre Abneigung auf jede Weise spüren. Abgesehen von ungerechten und überharten Züchtigungen, steten Klagen, die sie vor dem Vater führte, schränkte sie die Nahrung aufs äußerste ein, versah die Brotlaibe mit Zeichen, so dass sie erkennen konnte, wenn einer von uns sich zu Unrecht ein Stück abgeschnitten hatte, und trug Sorge, dass das Vergehen schwer bestraft wurde.
(Jakob Wassermann: Mein Weg als Deutscher und Jude)
Sprecherin
Der phantasiebegabte Junge erzählt und schreibt gerne Geschichten. Doch statt ihn zu fördern, wird sein Talent mit Gewalt unterdrückt.
O-Ton 2 Alexander Mayer
Er ging ja um die Ecke in die Schule, in die Königliche Realschule, später Hardenberg-Gymnasium. Da hat er ja sein erstes literarisches Werk in einer Zeitung veröffentlicht. Dafür hat er aber gleich Karzer bekommen, weil das für einen Schüler ungehörig war. Und auch der Vater war, wie Wassermann schreibt, im ersten Moment stolz auf ihn und dann zuckt er und sagt das ist ungehörig. Und ab da gab es nur Ärger. Und er hat immer Angst gehabt, dass eine Stiefmutter ihm seine Manuskripte verbrennt. Angeblich hat er deshalb so klein geschrieben, damit er sie gut verstecken kann überall.
MUSIK 3 (Fie Schouten: Press Release 0‘50)
Sprecherin
Mit 17 Jahren entflieht Jakob Wassermann seiner Heimatstadt Fürth, bricht eine Kaufmannslehre in Wien ab und träumt davon Schriftsteller zu werden. Er erlebt üblen Antisemitismus beim Militärdienst in Würzburg und vagabundiert, verstoßen von der Familie, in Hunger und Armut als Bohemien durch Süddeutschland, bis er schließlich Sekretär des Münchener Autors Ernst von Wolzogen wird. Dem legt er schließlich schüchtern das Manuskript eines Romans zur Begutachtung vor.
Zitator
Ein echter Dichter sprach daraus. Merken Sie sich den Namen: Jakob Wassermann! Er wird berühmt. Und ist er es, dann denken Sie daran, dass ich es Ihnen heute sagte.
Sprecherin
Ernst von Wolzogen fördert den Jungautor und stellt ihn seinem Verleger Albert Langen vor, wo 1896 Wassermanns erster, noch unbedeutender Roman „Melusine“ erscheint. Aber Wassermann hat Talent, so der Nürnberger Germanist Gunnar Och.
O-Ton 3 Gunnar Och
Er ist ein Erzähler von Geblüt. Das sagt auch Thomas Mann. Er ist tatsächlich einer, sagt Thomas Mann, der könnte auf dem Markt sitzen und die Leute würden ihm zuhören. Da liegt sein Talent. Er selber sagt ja, er hätte schon seinen Geschwistern die Ängste vertrieben. Da wäre das Scheherazade-Motiv. Er hat immer aufgehört und am nächsten Tag weitererzählt. Er ist schon einer, der gerne fabuliert.
MUSIK 4 ( Gustav Mahler / Chimaera Trio: Ablösung im Sommer 1‘10)
Sprecherin
Wassermann veröffentlicht Novellen, Theaterstücke und mit „Die Juden von Zirndorf“ einen beeindruckenden zweiten Roman. Wegen einer unglücklichen Liebegeschichte verlässt er München und geht nach Wien. Dort stößt er in die Literatenkreise vor und befreundet sich eng mit Hugo von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler. Über die neuen Freunde lernt er Samuel Fischer, den berühmtesten und erfolgreichsten Verleger der damaligen Zeit kennen. Natürlich hat Wassermann ein fertiges Manuskript dabei, wie sich die Verlegergattin Hedwig Fischer erinnert.
Zitatorin
Der dunkle Jüngling, der aussah wie ein Savoyardenknabe, war ein Franke aus Fürth. Seine früh verstorbene Mutter muss eine besondere Schönheit gewesen sein, und sicher hatte Wassermann seine funkelnden schwarzen Augen und sein zigeunerhaftes Wesen von ihr. Das Buch gefiel uns so gut wie sein Autor, mein Mann nahm das Werk an, und das bedeutete bei ihm immer die Gesamtveröffentlichung des Verfassers. Jakob Wassermann wurde einer unserer erfolgreichsten Schriftsteller.
Sprecherin
Dieser erste Roman bei S. Fischer „Die Geschichte der jungen Renate Fuchs“ erscheint 1901 und wird ein schöner Verkaufserfolg. Endlich geht es für den ewig klammen Autor auch finanziell bergauf, was mehr noch an der stattlichen Mitgift liegt, die Fabrikantentochter Julie Speyer mit in die Ehe bringt. Doch mit Geld umgehen können beide nicht. Sie leben über ihre Verhältnisse und werfen sich gegenseitig Verschwendung vor, so der Literaturwissenschaftler Dierk Rodewald, der seit Jahren an einer kommentierten Edition der Tagebücher Wassermanns arbeitet.
O-Ton 4 Dierk Rodewald
Wenn Wassermann wandern ging, was er sehr gerne tat, weil er dann die Romane, wie er immer wieder betonte, träumte, dann bemisst sie das Reisegeld. Und er muss dann Rechenschaft ablegen, dass er die teure Fahrkarte genommen hat. Nein, schreibt er, er habe die billige Fahrkarte genommen. Und dass er ganz karg lebt. Also sie hält ihn kurz. Sie ist der Finanzminister.
Sprecherin
Es ist keine einfache Ehe mit der fordernden und kontrollwütigen Julie. Doch ist sie nicht ohne Grund misstrauisch. Der sensible Autor mit dem melancholischen Blick wird von Leserinnen umschwärmt.
O-Ton 5 Dierk Rodewald
Er verliebte sich dauernd. Und die Frauen verliebten sich in ihn. Und die sind auch alle irgendwie in einem Roman vorgekommen. Er hatte ziemlich viele Beziehungen zu Frauen nebenher neben der Ehe. Dass hat seine Ehefrau Julie aber gefördert, damit er bei ihr bleibe. Sie hat damit sogar angegeben hin und wieder. Gegenüber Schnitzler hat sie mal gesagt: Und er hat jetzt sogar eine Gräfin.
Sprecherin
Doch nicht die Frauen, sondern das Schreiben hat für Wassermann höchste Priorität. Mit einem Bein im 19. Jahrhundert stehend, aber die literarische Moderne begierig aufsaugend, sucht er seinen Erzählton.
Zitator Wassermann
Kunst machen heißt: verzehrt werden. All mein Geschaffenes der letzten Jahre müsste verbrannt werden, - doch wer kann auf den Berg kommen, ohne von unten angefangen zu haben! Ich will erschüttert sein und Andere erschüttern!
MUSIK 5 (Django Reinhardt Trio: I’ll See You In My Dreams 1‘15)
Sprecherin
Literarisch ambitionierte Romane wie „Der Moloch“ oder „Alexander in Babylon“ floppen beim Publikum und Wassermann sorgt sich nicht zu Unrecht um seine Finanzen. Doch dann findet er in seiner fränkischen Heimat den Stoff zu einem neuen Erfolgsroman. Er recherchiert über das wohl berühmteste Findelkind Europas und schreibt 1908 mit „Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens“ einen echten Longseller. Spätestens mit dem Nürnberger Künstlerroman „Das Gänsemännchen“ von 1915 kommt die Wassermannsche Bestsellerproduktion dann so richtig in Fahrt. Dabei hilft ihm auch, dass er zu seiner eigenen großen Enttäuschung wehruntauglich ist. Die Jahre des Ersten Weltkriegs erlebt er nicht an der Front. Stattdessen publiziert Wassermann unermüdlich im Jahrestakt und schreibt einen gut verkauften Roman nach dem anderen: „Christian Wahnschaffe“, „Faber oder die verlorenen Jahre“, „Laudin und die Seinen“ bis hin zum größten seiner Erfolge „Der Fall Maurizius“ im Jahr 1928. Bücher, die auch heute noch zur Lektüre taugen, so Dierk Rodewald.
O-Ton 6 Dierk Rodewald
Weil er gut erzählen kann. Es ist so interessant, wenn ein Roman von Wassermann anfängt, dann fängt der mit etwas scheinbar ganz Nebensächlichem an, das aber direkt in die Mitte des Problems führt. Das ist technisch großartig gemacht. Und außerdem, das ist ja ein billiges Vergnügen von mir, sind die Sachen spannend. Und dann hat mich immer interessiert, dass er schriftstellerisch und stilistisch so wandelbar war. Der hat nicht einen eigenen Ton entwickelt. Er hat mit jedem neuen Buch eine neue Erzählform gefunden.
Sprecherin
Mit dem großen Erfolg kommt der Neid der Kollegen. Auch die Freunde sind nicht ganz frei davon. Selbst Thomas Mann schielte mitunter neidisch auf Wassermanns hohe Auflagen und witterte Konkurrenz, weiß der Germanist Gunnar Och.
O-Ton 7 Gunnar Och
Als der „Christian Wahnschaffe“ entstanden war, ist das ganz spannend in den Thomas Mann‘schen Tagebüchern nachzulesen. Thomas Mann arbeitet am Zauberberg und sieht dann den „Christian Wahnschaffe“ erscheinen und hat wirklich Angst, dass ihm jetzt das Wasser abgegraben wird. Das kommt einem völlig absurd vor, weil „Wahnschaffe“ kein guter Roman ist. Aber es sind verwandte Bestrebungen erkennbar. Und auf den ersten Seiten ist Thomas Mann ganz betroffen. Dann liest er weiter und steigert er sich rein: das taugt nichts. Am Schluss sagt er: was für ein Mist. Aber am Anfang ist die Angst groß, dass ihm da einer die Show stiehlt.
MUSIK 6 (Fiona Brice: Retreat 1‘10)
Sprecherin
Die Literatenfreunde nehmen den sozialen Aufsteiger aus der bayerischen Provinz nicht immer ganz für voll. Man mokiert sich über seine fränkische Aussprache, die Seitensprünge und Ehekräche, das ständige Notizenmachen auf der Suche nach neuen Erzählstoffen, die ewigen Geldsorgen. Im Grunde genommen bleibt Wassermann ein Außenseiter. Auch unterschwelliger Antisemitismus spielt da womöglich eine Rolle. Wassermann hat sensible Antennen dafür. In seinem autobiographischen Essay „Mein Weg als Deutscher und Jude“, seinem heute vielleicht wichtigsten Buch, beschreibt er schon Anfang der 20er Jahre sehr hellsichtig den täglichen Judenhass und die Unmöglichkeit trotz aller Integrationsanstrengungen als Deutscher akzeptiert zu werden.
Zitator Wassermann
Am Rand der Gesellschaft stehend, haarbreit neben dem Abgrund, galt ihr meine Sehnsucht. Das Verlangen, von ihr aufgenommen und anerkannt zu werden, als Gleicher unter Gleichen, überwog jedes andere.
Sprecherin
„Mein Weg als Deutscher und Jude“ ist ein ergreifendes Zeitdokument. Eine Anklage an die Gesellschaft und bekenntnishaft, weil der Autor sich selbst nicht schont.
O-Ton 8 Gunnar Och
Was ihn immer interessiert hat, ist die Psychologie des Antisemitismus, vor allem in der Rückwirkung auf Juden. Und dieses Thema schildert er an der eigenen Person. Wie es ihn etwa gekränkt hat als er in Würzburg beim Militär mit dem Antisemitismus der einfachen Leute in Kontakt gekommen ist. Oder im literarisch-kulturellen Bereich mit dem Antisemitismus der Literaturkritik konfrontiert wurde. Und dann hinterfragt er, was das für die eigene Psyche und Identität bedeutet. Und da fällt der schöne Ausdruck, das alles sind „Engramme des Leidens“. Dadurch ist buchstäblich etwas in den Körper eingeschrieben und er sieht da auch eine seelische Verkrüppelung.
Zitator Wassermann
Es ist vergeblich, das Volk der Dichter und Denker im Namen seiner Dichter und Denker zu beschwören, Jedes Vorurteil, das man abgetan glaubt, bringt, wie Aas die Würmer, tausend neue zutage.
Es ist vergeblich, in das tobsüchtige Geschrei Worte der Vernunft zu werfen. Sie sagen: was, er wagt es aufzumucken? Stopft ihm das Maul.
Es ist vergeblich, unter ihnen zu gehen und ihnen die Hand zu bieten. Sie sagen: was nimmt er sich heraus mit seiner jüdischen Aufdringlichkeit?
Es ist vergeblich, das Gift zu entgiften. Sie brauen frisches.
Es ist vergeblich für sie zu leben und für sie zu sterben. Sie sagen: er ist ein Jude.
Sprecherin
Thomas Mann findet diesen Klageschrei seines Freundes aus dem Jahr 1921 übersensibel und hypochondrisch und hält den Antisemitismus für ein schwaches Pflänzchen ohne tiefe Verwurzelung. Ein Irrtum, den er zwölf Jahre später, als die Nationalsozialisten die Macht ergreifen, beschämt eingesteht. „Mein Weg als Deutscher und Jude“ ist noch heute, hundert Jahre später, von einiger Aktualität.
MUSIK 7 (Philip Glass: The Cockney Brothers 1‘10)
Sprecherin
Jakob Wassermann ist Ende der 20er Jahre auf dem Höhepunkt seines Ruhms, geht auf ausverkaufte Vortragsreisen nach Schweden, Holland und in die USA, doch innerlich fühlt er sich müde und verbraucht. Julie, von der er sich nach langen Jahren des zermürbenden Rosenkriegs endlich hat scheiden lassen, überzieht ihn auch danach mit überhöhten Geldforderungen und einer Flut von gerichtlichen Klagen. Sie akzeptiert Wassermanns zweite Ehe mit der Autorin Marta Karlweis nicht und verschleißt über 20 Rechtanwälte, die ihr Exmann ironischerweise auch noch zahlen muss. Trotz hoher Einkünfte bricht Wassermann unter der Last, die eigene Villa in Aussee und die seiner Exfrau Julie in Wien zu finanzieren, fast zusammen.
Zitator Wassermann
Marta will unser Leben auf eine schmalere Basis stellen. Aber wie? Leute entlassen, die dann brotlos werden? Sie spricht sogar vom Verkauf des Hauses. Unvorstellbarer Gedanke.
Sprecherin
Wassermann reibt sich auf vor lauter Schreibarbeit, um Geld ranzuschaffen. Seine Gesundheit ist zerrüttet, er hat Diabetes, ein Nieren- und ein Herzleiden und benötigt kostspielige Krankenhaus- und Kuraufenthalte. Dazu kommt die zunehmende Vereinsamung. Nacheinander sterben die Freunde, zuerst sein Lektor Moritz Heimann, dann Hugo von Hofmannsthal, schließlich Arthur Schnitzler. Und die politische Lage verdüstert sich zusehends. Der Aufstieg der Nationalsozialisten scheint unaufhaltsam.
MUSIK 8 (Owen Devlin: Transcendence 1’00)
Als Hitler am 30. Januar 1933 Reichskanzler wird, und Deutschland binnen Monaten in eine Diktatur verwandelt, wird es finster für den Autor. Doch sein Verleger beschwichtigt Wassermann, obwohl der Absatz seiner Bücher drastisch zurückgeht und eine Lesereise durch Deutschland abgesagt wird.
Zitator Wassermann
Deine Mahnung, ich soll Ruhe bewahren, kommt mir so vor, wie wenn Du jemand, dessen Haus in Brand steht, zurufen würdest, er solle sich zunächst ins Bett legen und abwarten. Du schreibst, Du teilst nicht meine Besorgnis, dass durch neue Gesetze und dergleichen eine Beeinträchtigung der Vertragserfüllung erfolgen könnte. Ich wiederum kann hierin Deinen Optimismus nicht teilen.
Sprecherin
Natürlich hat Wassermann recht. Als jüdischer Autor werden seine Bücher in Deutschland verboten, aus den öffentlichen Bibliotheken entfernt und verbrannt. Ende November 1933 lässt S. Fischer seinen einstigen Bestsellerautor dann sang und klanglos fallen. Die Einkünfte versiegen, während gleichzeitig Exehefrau Julie die Wassermannsche Villa pfänden lassen will. Ausgelaugt und zutiefst deprimiert stirbt Jakob Wassermann in der Nacht zum 1. Januar 1934 an einem Herzanfall.
MUSIK 9 (Ryuichi Sakamoto: disintegration 0’55)
Zitator
Wassermanns Tod ist ein Schreck und eine Trauer. Merkwürdigerweise ist das Erschreckende diesmal gerade, dass man es so deutlich kommen sah und so grausam voraussagte, er machte die letzten Male ja einen betrüblichen Eindruck. Schauerlich ist der sogenannte Lebensabend, den dieser Mann hatte, der sich mit seinem enormen Ehrgeiz sehr hoch heraufgearbeitet hatte, um schließlich wieder auf die gemeinste Art zu stürzen und wieder ganz arm zu sein – durch die Schuld einer verrückten Frau und eines verrückten Diktators.
Sprecherin
Das schreibt Klaus Mann dem Kollegen Hermann Kesten. Beide Schriftsteller waren da schon im Exil. Wenigstens das bleibt Jakob Wassermann durch seinen frühen Tod erspart. Den Mord an Millionen deutscher und europäischer Juden muss er nicht mehr erleben. Posthum erscheint 1934 noch der letzte große Roman „Joseph Kerkhovens dritte Existenz“ im Exilverlag Querido in Amsterdam, dann wird es still um Jakob Wassermann.
O-Ton 10 Gunnar Och
Es gab eine große Ungerechtigkeit nach 1945. Da sind viele andere allmählich wieder aufgetaucht, Feuchtwanger, Zweig, Werfel, Schnitzler und andere. Und das ist zunächst an Wassermann vorbeigegangen. Da hat wohl auch die Familie Anteil. Der Sohn hat die Rechte relativ billig an Buchclubs verramscht. Da gabs dann keine Kontinuität in der Veröffentlichung. Man hat auch nichts mehr aus dem Nachlass publiziert, was auch möglich gewesen wäre. Also, es ist kein Autor der ersten Reihe. Das muss man deutlich sagen. Aber ein sehr respektabler Autor der zweiten Reihe, der mit einzelnen Texten auf jeden Fall nochmal gelesen zu werden verdient.
Sprecherin
An die Qualität von Schnitzler, Hofmannsthal, Rilke oder Thomas Mann reicht Wassermann nicht heran. Dazu hat sich zu viel Staub auf seiner Prosa abgesetzt. Aber mit Feuchtwanger, Werfel, Zweig oder Heinrich Mann kann er es durchaus aufnehmen. Alle Bemühungen Wassermann ab den 70er Jahren wieder für ein Lesepublikum zugänglich zu machen sind bislang gescheitert.
MUSIK 10 (Hannes Hugo: Tramonto 0‘50)
Derzeit sind fast alle Bücher nur noch antiquarisch oder als Print-on-Demand in schlechten Druckfassungen erhältlich. Dabei lohnt sich eine Lektüre. „Caspar Hauser“, „Der Fall Maurizius“ und „Mein Weg als Deutscher und Jude“ sollte man unbedingt gelesen haben. Die Bedeutung Wassermanns, so Dierk Rodewald, liegt…
O-Ton 11 Dierk Rodewald
In der gekonnten Praktizierung der Lust, den Menschen etwas zu erzählen, was nicht ohne humanen Sinn ist. Er wollte schon, dass die Menschen etwas davon haben, wenn sie seine Romane lesen. Also dass es sie bereichert in irgendeiner Weise. Wobei er niemals wollte, dass man ihn als moralischen Autor betrachtet. Das ganz gewiss nicht.
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