Gehen Sie mit der App Player FM offline!
Franziska zu Reventlow - Schriftstellerin, Rebellin und Freigeist
Manage episode 446546308 series 1833401
Franziska zu Reventlow - sie war Mythos und Skandal zugleich: Die Schriftstellerin, Malerin und Übersetzerin wurde Mittelpunkt der Schwabinger Künstlerkreise um 1900, galt als Verkörperung erotischer Rebellion und bohèmehaften Lebens. Empörend und vorbildhaft: als frühe Inkarnation weiblichen Selbstbewusstseins. Von Frank Halbach
Credits
Autor und Regie dieser Folge: Frank Halbach
Es sprachen: Christiane Roßbach, Stefan Merki, Ines Hollinger
Technik: Simon Lobenhofer
Redaktion: Susanne Poelchau
Im Interview:
Ulla Egbringhoff, Publizistin und Reventlow-Biographin
Diese hörenswerten Folgen von Radiowissen könnten Sie auch interessieren:
Karl Wolfskehl - Der Zeus von Schwabing muss ins Exil HIER
Bayern zwischen den Kriegen - Von der Boheme zu Barbarei HIER
Die Geierwally - Von der Malerin zum Mythos HIER
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Noch mehr Interesse an Geschichte? Dann empfehlen wir:
ALLES GESCHICHTE - HISTORY VON RADIOWISSEN
Literatur:
Ulla Egbringhoff: Franziska zu Reventlow. Reinbek bei Hamburg 2000.
Kerstin Decker: Franziska zu Reventlow. Eine Biografie. Berlin 2018.
Franziska zu Reventlow: Herrn Dames Aufzeichnungen. Begebenheiten von einem merkwürdigen Stadtteil. München 1913.
Franziska zu Reventlow: Der Geldkomplex. Meinen Gläubigern zugeeignet. München 1916.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Radiowissen
JETZT ENTDECKEN
Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ZITATORIN
Das Gefühl von Glück und Fülle ist ganz unabhängig von wirklichem Erleben? Aber in welcher Sphäre liegt es dann, und warum ist es manchmal in uns und manchmal wieder unerreichbar?
ERZÄHLERIN
Franziska zu Reventlow: „Ein Leben, das eins von denen ist, die erzählt werden müssen, dass man es vor allem den jungen Mädchen und jungen Männern erzählen muss, die das Leben anfangen wollen und nicht wissen wie.“, meinte der Lyriker Rainer Maria Rilke.
ZITATORIN (ernsthaft)
Ich darf nur lieben, aber niemals jemanden gehören!
SPRECHER (sensationslüstern)
Die Skandalgräfin von Schwabing war eine Virtuosin der freien Liebe!
MUSIK ENDE
MUSIK Z8022611 128 „Alphaville“; ZEIT: 01:00
ERZÄHLERIN
Franziska zu Reventlow war alleinerziehende Mutter, Symbolfigur der sexuellen Revolution, Vorbotin des intellektuellen Prekariats und lange Zeit eine viel zu wenig beachtete Schriftstellerin.
ZITATORIN (erfüllt)
Vielleicht brächte ich es soweit, in Glanz zu leben, aber ich hätte dann alles andere nicht, meine absolute Freiheit und mein Leben für mich.
ERZÄHLERIN
Sie setzte Maßstäbe eines ungebundenen Lebens, brach mit den Konventionen des Kaiserreiches und mit ihrer Familie. Sie empörte - und begeisterte als Verkörperung eines neuen weiblichen Selbstbewusstseins. „Vielleicht die erste Frau von heute“, meinte die Kolumnistin und Kritikerin Kerstin Decker.
ZITATORIN (heiter)
Eigentlich ist jeder Tag wie eine große Schlacht mit vielen Lichtblicken.
MUSIK ENDE
O-Ton 1 Egbringhoff (01:54)
Franziska zu Reventlow war schon in ihrer Jugend sehr auf Freiheit bedacht.
ERZÄHLERIN
Erläutert die Autorin , Ulla Egbringhoff, die mehrfach zu Autorinnen der Jahrhundertwende veröffentlicht und eine Monographie zu Franziska zu Reventlow für den Rowohlt-Verlag geschrieben hat.
O-Ton 2 Egbringhoff (02:10)
Sie ist dann ins Internat gekommenen, ein Mädchenstift, damit sie sich bessert. Auch dort war sie schon von Anfang an renitent und hat einmal in ihrem Kleiderschrank geschrieben:
MUSIK privat Track 014 „Das Gedicht“; Album: Oktoberfest 1900; Label: 2Lane Records; Interpret: Michael Klaukien; Komponist: Michael Klaukien; ZEIT: 00:12
ZITATORIN (unbeirrbar, zu sich)
Ich habe nie das Knie gebogen – den stolzen Nacken nie gebeugt.
MUSIK ENDE
O-Ton 3 Egbringhoff (02:40)
Dieser Widerstand gegen Restriktionen und Eingrenzungen hat durchaus ihr Leben bestimmt. Und das war in ihrer Familie nicht gern gesehen. Und selbst in ihrer Familie wurde sie zum Skandal. Als sie dann in jungen Jahren nach München ging und in die Münchner Bohème ging, da fiel sie auch sehr auf mit ihrem Freiheitsdrang, der sich darin ausdrückte, dass sie als geschiedene Frau, als ledige Mutter ein Kind bekommen hat. Sie hat immer verheimlicht, wer der Vater des Kindes war, und das war natürlich skandalös.
MUSIK privat Track 014 „Das Gedicht“; Album: Oktoberfest 1900; Label: 2Lane Records; Interpret: Michael Klaukien; Komponist: Michael Klaukien; ZEIT: 01:47
ERZÄHLERIN
Geboren am 18. Mai 1871 in Husum wird sie getauft auf den Namen:
Fanny Liane Wilhelmine Sophie Adrienne Auguste Comtesse zu Reventlow. Die Mutter versucht ihre Tochter gemäß des Frauenbilds des 19. Jahrhunderts zu erziehen. Das bedeutet: Anpassung bis zur Selbstverleugnung und das Unterdrücken jeglichen eigenmächtigen kreativen Ausdruckswillens. Um das durchzusetzen sind Schläge an der Tagesordnung.
ZITATORIN (verletzt, sarkastisch)
Nicht einmal die Hunde bekamen so viele Prügel. – Mama hatte die Hunde wohl auch viel lieber.
ERZÄHLERIN
Die Prügel haben nicht den gewünschten Erfolg. Und der Aufenthalt im Internat, im Freiadeligen Magdalenenstift in Altenburg auch nicht. Die Stiftpröbstin macht in Fanny einen schädlichen Einfluss auf die Mädchen aus.
ZITATORIN
Die Sünde ist unter euch wie ein fressender Eiter.
SPRECHER
Nach dem Rauswurf aus dem Internat verbrachte Fanny viel Zeit bei ihrer Tante Liane von Qualen, der jüngeren Schwester ihrer Mutter, in Wulfshagen, im Kreis Eckernförde.
ERZÄHLERIN
Ganz im Gegensatz zu ihrer Schwester ist Tante Liane sehr interessiert an Kunst und Literatur. In Fanny wächst der Wunsch Malerin zu werden und sie erhält Unterricht von Fräulein Heine, die zu Fannys Vorbild wird.
SPRECHER
Doch 1888 soll Fanny wieder nach Hause kommen – der Vater hat beschlossen mit der Familie nach Lübeck zu ziehen.
ERZÄHLERIN
Doch der Same ist gesät: Kunst ist für Fanny gleichbedeutend geworden mit:
ZITATORIN
Leben! Ein Traum von immerwährender Glückseligkeit
MUSIK ENDE
O-Ton 4 Egbringhoff (05:23)
Das war ihr ganz großes Ziel, schon sehr früh, Künstlerin zu werden. Als sie dann in Lübeck gewesen ist, war sie dann verlobt mit einem Juristen. Und der Jurist, Herr Lübke, hatte ihr dann auch ermöglicht, Unterricht zu nehmen in München.
MUSIK Z8042026 113 „Goldstein“; ZEIT: 02:02
SPRECHER
Ende des 19. Jahrhunderts war München zu einer der bedeutendsten Kunstmetropolen Europas aufgestiegen. München leuchtete:
ERZÄHLERIN
Die bayerische Hauptstadt lockte Malerinnen und die, die es werden wollten, an die Isar.
SPRECHER
Ein Studium an einer staatlich und künstlerisch anerkannten Akademie war Frauen damals freilich verboten. Die vielen Künstler Münchens aber boten gerne privaten Unterricht an.
ZITATORIN (glücklich)
Das Arbeiten in unserem großen kühlen Atelier, und dann wieder in die Sonne hinaus, den ganzen Tag sein eigner Herr sein, keinen Moment des Tages sich nach anderen richten zu müssen! So habe ich mir’s geträumt, das ist endlich die Luft, in der ich leben kann. Mein Gott, und jetzt muss ich arbeiten, arbeiten bis aufs Blut und dann fasst mich der Jammer an um all die verlorene Zeit, was für Jahre hätte ich schon arbeiten können.
SPRECHER
Klagt die 22-jährige Fanny. In der Malschule von Anton Ažbé in der Georgenstraße, wo auch so prominente Künstler wie Wassily Kandinsky und Alexej von Jawlensky ausgebildet wurden, beginnt Fanny ihr Bohème-Leben. Zunächst noch recht sorglos, finanziert von ihrem Mann Walter von Lübke.
Fotos aus der Zeit zeigen eine kleine, zierliche hübsche junge Frau.
ERZÄHLERIN
„Ihr Äußeres von strahlendem Reiz und das Herz erfüllt von der Schönheit des Lebens und von der Sehnsucht nach einer schönen freien Menschenwelt.“, wird Erich Mühsam später schreiben. Und Annette Kolb meinte: „Ihre Augen waren wunderschön. Ihr Zynismus kannte keine Grenzen, doch immer alles mit Grazie.“
SPRECHER
Ihre materiellen Mittel sind bescheiden – nicht nur weil die Schulgebühren und die Malutensilien teuer sind, sondern wohl auch weil sie mit Geld recht unbekümmert umgeht. Ulla Engbringhoff:
MUSIK ENDE
O-Ton 5 Egbringhoff (07:36)
Sie hat Unterricht genommen, sie hat gemalt, aber sie musste immer wieder feststellen, dass ihr Talent doch nicht so groß war. So hat sie es auch selber immer wieder geschrieben, in ihren Tagebüchern: Ach, ich habe schon wieder gepatzt et cetera. Es sind leider auch nur sehr wenige Bilder von ihr erhalten, sodass wir uns kein richtig gutes Bild machen können, wie erfolgreich sie als Künstlerin vielleicht hätte werden können.
MUSIK Z8042026 212 „Goldstein Reprise“; ZEIT: 01:44
ZITATORIN (drängend)
Es gibt so vieles, was man gerne künstlerisch gestalten möchte und es wenigstens doch in der Malerei nicht ausdrücken kann. Da drängt es mich mächtig dazu, es zu schreiben.
SPRECHER
Tatsächlich verfasst Fanny bald kleinere literarische Texte, die in den „Husumer Nachrichten“ veröffentlicht werden.
ERZÄHLERIN
Die Künstlerin Fanny zu Reventlow sucht Nähe zu anderen Künstlern, die sie in den Künstlerkreisen der Schwabinger Bohème findet.
ERZÄHLERIN
Die Freiheit, die sie hier kennenlernt, wird Fanny fortan nicht mehr aufgeben.
SPRECHER
Ihre Ehe mit dem Gerichtsassessor Walter Lübke wird wegen fortgesetzten Ehebruchs Franziskas geschieden.
ERZÄHLERIN
Sie führt ein Bohèmeleben.
SPRECHER
Geprägt von Geldnot, von Krankheit und mehreren Fehlgeburten.
ZITATORIN (überzeugt)
Und doch ist dieses Künstler-Bohèmeleben das Beste von meinem ganzen bisherigen Leben gewesen: Es ist wenigstens frei, ganz frei!
ERZÄHLERIN
Fanny lehnt Bürokratie, Aristokratie, den geld- und fortschritts-gläubigen, nationalistischen, militaristisch wilhelminischen Gründergeist und die Erziehung junger Frauen zu „höheren Töchtern“ kategorisch ab.
SPRECHER
Am 1. September 1897 wird ihr Sohn Rolf geboren.
ZITATORIN (erfüllt, doch ungläubig)
Mein Kind, endlich mein Kind, o mein Gott, mein Kind. Alles hängt an ihm, all meine Liebe und all mein Leben, und die Welt ist wieder herrlich für mich geworden, wieder Götter und Tempel und der blaue Himmel darüber.
MUSIK ENDE
SPRECHER
Den Namen des Vaters verschweigt die Reventlow zeitlebens.
ZITATORIN
„Bubi“, „Maus“, „Göttertier!“
ERZÄHLERIN
Franziskas Tagebuch ist voll von rührenden mütterlichen Glücksbekundungen. Sie begegnet ihrem Sohn mit solcher Liebe, als müsse sie all die Verbrechen gutmachen, die an ihr als Kind begangen wurden. Rolf Reventlow schreibt später in seiner Autobiografie:
SPRECHER
Das Fehlen eines Vaters bedeutete keine Lücke in meiner Kindheit, in diesem recht ungeordneten, aber von mütterlicher Liebe durchglühten Kinderleben.
ERZÄHLERIN
Ihren Unterhalt verdient Franziska mit literarischen Übersetzungen und kleineren schriftstellerischen Arbeiten für Zeitschriften und Tageszeitungen wie den „Simplicissimus“, die „Neue Deutsche Rundschau“ oder die „Münchner Neueste Nachrichten“. Außerdem tritt sie nach etwas Schauspielunterricht 1898 eine Zeit lang am Theater am Gärtnerplatz sowie im Akademisch-Dramatischen Verein des jungen Otto Falckenberg auf.
SPRECHER
Ihre anderen Jobs: Hilfsköchin, Glasmalerin, Messehostess, Prostituierte und das Schnorren…
ERZÄHLERIN
…die Spenden ihrer männlichen Bekanntschaften.
SPRECHER
Von denen sie in der Münchner Künstlerszene reichlich hatte. Sie verkehrte mit Theodor Lessing, Friedrich Huch, Erich Mühsam, Oskar Panizza, Frank Wedekind, Rainer Maria Rilke…
ERZÄHLERIN
Vor allem aber dem sogenannten Kosmiker-Kreis um Karl Wolfskehl, Ludwig Klages und Alfred Schuler…,
SPRECHER
…die die Reventlow wegen ihrer erotischen Freizügigkeit und ihres unehelichen Kindes zur „heidnischen Madonna“ und „Wiedergeburt der antiken Hetäre“ stilisieren. Fanny gelang es im Gegenzug, Klages zu überreden, die Vormundschaft für Rolf zu übernehmen, da das Gesetz einen gesetzlichen Vormund verlangte.
ERZÄHLERIN
Der Vorname „Fanny“ ist in Bayern die gängige Abkürzung für Franziska. Was dazu führt, dass Rilke und Klages Fanny in Briefen zur „Francisca“ veredeln.
ZITATORIN (heiter)
Die kleine Fanny aus Husum und die große Franziska in München.
ERZÄHLERIN
Ihre Erlebnisse in der Münchner Künstlerszene destilliert Franziska in ihrem humoristischen Schlüsselroman „Herrn Dames Aufzeichnungen“, der in „Wahnmoching“ spielt.
O-Ton 6 Egbringhoff (12:56)
Dieser Roman ist 1913 erschienen. Er erzählt aber von Ereignissen, die so um 1903, 1904 geschehen sind. Und der Titel Wahnmoching - man assoziiert vielleicht Wahnfried, das wäre aber zu wagnerisch gewesen - und Moching, das ist natürlich den Münchnern und Münchnerinnen eher bekannt als den Norddeutschen. Dass es eben Ortschaften gibt wie Feldmoching und so weiter. Und es heißt, so hat Rolf Reventlow, ihr Sohn, es später erzählt, dass er auf diese Kombination gekommen sei. Wahnmoching als Bezeichnung für diesen Stadtteil Schwabing. In Schwabing, in Wahnmoching spielt diese Geschichte von „Herrn Dames Aufzeichnungen“. Einfacher Plot: Ein junger Mann unbedarft, kommt nach Wahnmoching, um fürs Leben zu lernen, und staunt dann sehr ausführlich und mit großen Augen, was da so geschieht, denn er kommt dieser junge Mann, Herr Dame, in den Kreis, in dem sich auch Franziska zu Reventlow bewegt hat: in den Kreis der Kosmiker und in den Kreis, wo auch Stefan George sich zeitweilig aufhielt.
SPRECHER
Stefan George, der sich „Meister“ nennen lässt. Als Lyriker war George zunächst vor allem dem Symbolismus verpflichtet, und predigte „kunst für die kunst“, geriert sich aber immer mehr zum Mittelpunkt des nach ihm benannten George-Kreises.
ERZÄHLERIN
Der Kosmiker-Kreis, in dem zeitweise auch der Meister Stefan George auftaucht, ist eine parareligiöse Intellektuellengruppe.
O-Ton 7 Egbringhoff (16:04)
Die Kosmiker waren Männer in erster Linie, die ich würde sagen, sehr reaktionäre Vorstellungen hatten. Die haben sich auf ein wichtiges Buch bezogen, „Das Mutterrecht“ von Herrn Bachofen, wo es heißt, vor den patriarchalen Zeiten habe das Mutterrecht regiert. Also, es habe ein Matriarchat gegeben.
ERZÄHLERIN
Avantgarde, Größenwahn, Hedonismus, ekstatische Rituale, Zionismus, Antisemitismus, Nietzsche-Epigonen, Homoerotik und alle möglichen und unmöglichen „Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil“ schildert Franziska zu Reventlow in einer Satire über Aberglauben, Magie und freie Liebe.
O-Ton 8 Egbringhoff (17:55)
Es gab ein wichtiges Fest im Februar 1903, an dem auch Stefan George teilgenommen hat. Und es kann man sich so vorstellen, dass die alle verkleidet werden. Alfred Schuler, der hatte sich sowieso als Römer immer imaginiert, lief dort in Verkleidung eines alten Römers daher. Die hatten lange Gewänder an und haben das Dionysische gefeiert. Und Reventlow mittenmang einfach, weil sie Lust zum Feiern hatte, und hatte Spaß auch an der Verkleidung und so weiter. Sie hat das natürlich gar nicht so ernst genommen wie die Herren, die auch wirklich daran geglaubt haben, dass sie das Heidnische wieder zum Leben erwecken können. Völlig abstrus. Naja. Und davon erzählt der Roman „Herrn Dames Aufzeichnungen“.
ERZÄHLERIN
Der Schlüsselroman der Schwabinger Bohéme. Am Ende herrscht Katerstimmung, der kollektive Rausch ist vorbei, alle sind erschöpft und die Mitglieder des Kreises völlig zerstritten.
O-Ton 9 Egbringhoff (20:33)
Da hat die Franziska zu Reventlow in diesem Roman mit einer großen Gabe an Ironie und Humor - heute würde man vielleicht auch von verschwörungstheoretischen Vorstellungen sprechen - sehr schön aufs Korn genommen. Das war ihr aber dann eben erst möglich zehn Jahre später.
MUSIK privat Track 014 „Das Gedicht“; Album: Oktoberfest 1900; Label: 2Lane Records; Interpret: Michael Klaukien; Komponist: Michael Klaukien; ZEIT: 00:24
ERZÄHLERIN
Franziska feiert zahllose Feste…
SPRECHER
…und liebt unzählige Männer.
ZITATORIN
Ich habe nie das Verlange gehabt, einen Menschen ganz zu „besitzen“ oder ihn über Gebühr festzuhalten. Dazu ist das Leben zu kurz. Und wer mich festhalten wollte – es kam hier und da vor – ist niemals zufrieden mit dem Erfolg gewesen.
MUSIK ENDE
O-Ton 10 Egbringhoff (22:33)
Die Kehrseite, die ist lange nicht - zumindest bei den Zeitgenossen nicht immer wahrgenommen worden - dass diese Kompromisslosigkeit, die sie in ihrem Leben hatte, auch dazu führte, dass sie mental auch immer auf eine andere Schiene gekommen ist. Sie war zwischendurch immer wieder sehr krank, also Krankheit bestimmte auch ihr Leben. Und sie hatte da vielleicht auch bedingt durch die Krankheiten, auch immer
wieder sehr schwere depressive Phasen gehabt, in denen sie, ja eben nicht fröhlich gefeiert hat, sondern sehr lethargisch war und unter den Belastungen sehr gelitten hat. Denn sie hatte wirklich viele Gläubiger, hatte immer finanzielle Probleme. Sie hat das gemacht, was man eigentlich auch kurios findet. Wenn sie denn mal Geld hatte, hat sie dann gerne mal ein bisschen Geld in der Wohnung versteckt, damit sie, wenn sie in Notzeiten ist, in ihrer eigenen Wohnung suchen kann und vielleicht doch noch ein paar Groschen finden kann.
ERZÄHLERIN
Ihr widerständiges Leben, das alle herrschenden gesellschaftlichen Regeln und Zwänge ihrer Zeit sprengt, ihr unbändiges Streben nach Freiheit, hat dazu geführt, dass man sie später zu einer Ikone der Frauenemanzipation stilisierte.
SPRECHER
Doch eine Kämpferin für Frauenrechte, eine Feministin, war sie nicht.
ERZÄHLERIN
Franziska zu Reventlow ist zwar mit Frauenrechtlerinnen wie der Autorin Helene Böhlau oder der Juristin Anita Augspurg befreundet. Doch eine gleichberechtigte Berufstätigkeit der Frau interessiert sie nicht.
ZITATORIN
Wir sind dazu da, es gut zu haben und uns nicht beklagen zu müssen.
O-Ton 11 Egbringhoff (10:53)
Das ist wiederum zu lesen vor dem Hintergrund, dass sie selber immer wieder in die Bredouille kam, ihren Lebensunterhalt irgendwie finanziert zu bekommen, was sehr schwierig war. Und deswegen ist ein bisschen verständlich, dass sie dann eher sagt: Nein, wir Frauen sollen nicht die gleichen Rechte haben, dann müssen wir ja arbeiten. Nein, das findet sie ganz und gar nicht.
ERZÄHLERIN
Doch Franziska fordert:
MUSIK Z8042026 113 „Goldstein“; ZEIT: 00:46
ZITATORIN
Volle geschlechtliche Freiheit, das ist freie Verfügung über seinen Körper, die uns das Hetärentum wiederbringt.
SPRECHER
Fanny kritisiert an der Frauenbewegung die Vermännlichung der Frau und die Feindschaft gegenüber jeglicher erotischer Kultur.
ERZÄHLERIN
Und denkt zugleich Erotik und Mutterschaft außerhalb der Gesellschaftsform Ehe.
ZITATORIN
Die Hetären des Altertums waren freie, hochgebildete und geachtete Frauen, denen es niemand übel nahm, wenn sie ihre Liebe und ihren Körper verschenkten, an wen sie wollten und so oft sie wollten und die gleichzeitig am geistigen Leben der Männer teilnahmen.
MUSIK ENDE
ERZÄHLERIN
1910 mit 39 Jahren verlässt Franziska zu Reventlow München und geht mit ihrem Sohn nach Ascona am Lago Maggiore.
SPRECHER
Die Künstlerkolonie am Monte Verità.
O-Ton 12 Egbringhoff (25:25)
Der Monte Verità, man könnte ja auch fast sagen, dass es das Schwabing von Schwabing gewesen ist. Also eine Ansammlung von Menschen, die nach alternativen Lebensformen gesucht haben. Also Vegetarier fanden sich dort ein, nacktbadende Menschen, die ja auch wiederum letztendlich ein freies Leben führen wollten. Aber Franziska zu Reventlow ist eigentlich weniger aufgrund dieser anderen alternativen Lebensformen nach Ascona gereist.
SPRECHER
Sondern weil sie einen Tipp bekommen hat. Erich Mühsam empfahl seiner Freundin Fanny die Bekanntschaft mit dem baltischen Baron Alexander von Rechenburg-Linten, der in Ascona lebt. Dem droht die Enterbung durch den alten Vater, der von seinem Sohn einen angemessenen Lebenswandel erwartet.
ERZÄHLERIN
Heißt: Eine Ehefrau von edlem Geblüt. Franziska schließt 1911 eine Scheinehe. Und hat endlich ausgesorgt.
SPRECHER
Bis sie ihr Vermögen durch einen Bankenkrach 1914 wieder verliert.
O-Ton 13 Egbringhoff (31:07)
Und diese Geschichte nimmt sie auch auf, in einem ihrer anderen, sehr schönen Romane, der mir sehr gut gefällt: Der Geldkomplex. Da erzählt sie ihre eigenen Erfahrungen und kombiniert das mit den Theorien Sigmund Freuds über die Psychoanalyse. Denn die Protagonistinnen gehen in ein Sanatorium, auch aus Geldnot hat sie die Möglichkeit, dort einen Platz zu erhalten. Und sie sagt dann naja, also in der Psychoanalyse heißt es ja das alles Leid, nur durch die Verdrängung des Erotischen erfolge.
ZITATORIN
Dass ich in der Verdrängung der „Erotik“ Erhebliches geleistet habe, kann ich nun wirklich beim besten Willen nicht behaupten.
ERZÄHLERIN
Als ihr geliebter Sohn Rolf 1914 in den Ersten Weltkrieg eingezogen wird, kann Franziska nicht tatenlos zusehen. Mit ihrer kosmopolitischen Einstellung hat sie keinerlei Verständnis für die taumelnde nationalistische Kriegsbegeisterung. Sie verhilft Rolf zur Flucht über den Bodensee in die Schweiz - diese Fluchthilfe geht durch alle europäischen Zeitungen.
SPRECHER
Der Neffe des bekannten alldeutschen Kriegshetzers Graf Ernst Reventlow desertierte in abenteuerlicher Weise aus der Armee.
ERZÄHLERIN
Titelt zum Beispiel die „Westschweizer Presse“. In Deutschland braucht sich Franziska bis auf Weiteres nicht mehr blicken lassen.
ZITATORIN (in stillen Triumph)
Ich hatte dem Kaiser meinen Sohn weggenommen.
MUSIK privat Track 014 „Das Gedicht“; Album: Oktoberfest 1900; Label: 2Lane Records; Interpret: Michael Klaukien; Komponist: Michael Klaukien; ZEIT: 00:44
SPRECHER
Im Juni 1918 stürzt Fanny zu Reventlow mit dem Fahrrad.
Während einer Notoperation stirbt sie im Alter von nur 47 Jahren an Herzversagen.
ERZÄHLERIN
Ihr damals als so unerhört abgestempeltes Leben, scheint heute wegweisend: als das einer Vorreiterin eines neuen weiblichen Selbstbewusstseins.
ZITATORIN
Ich kann nicht brechen das ist eben das Schlimme. Ich zerbreche nie, bin der prädestinierte Phönix.
4355 Episoden
Manage episode 446546308 series 1833401
Franziska zu Reventlow - sie war Mythos und Skandal zugleich: Die Schriftstellerin, Malerin und Übersetzerin wurde Mittelpunkt der Schwabinger Künstlerkreise um 1900, galt als Verkörperung erotischer Rebellion und bohèmehaften Lebens. Empörend und vorbildhaft: als frühe Inkarnation weiblichen Selbstbewusstseins. Von Frank Halbach
Credits
Autor und Regie dieser Folge: Frank Halbach
Es sprachen: Christiane Roßbach, Stefan Merki, Ines Hollinger
Technik: Simon Lobenhofer
Redaktion: Susanne Poelchau
Im Interview:
Ulla Egbringhoff, Publizistin und Reventlow-Biographin
Diese hörenswerten Folgen von Radiowissen könnten Sie auch interessieren:
Karl Wolfskehl - Der Zeus von Schwabing muss ins Exil HIER
Bayern zwischen den Kriegen - Von der Boheme zu Barbarei HIER
Die Geierwally - Von der Malerin zum Mythos HIER
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Noch mehr Interesse an Geschichte? Dann empfehlen wir:
ALLES GESCHICHTE - HISTORY VON RADIOWISSEN
Literatur:
Ulla Egbringhoff: Franziska zu Reventlow. Reinbek bei Hamburg 2000.
Kerstin Decker: Franziska zu Reventlow. Eine Biografie. Berlin 2018.
Franziska zu Reventlow: Herrn Dames Aufzeichnungen. Begebenheiten von einem merkwürdigen Stadtteil. München 1913.
Franziska zu Reventlow: Der Geldkomplex. Meinen Gläubigern zugeeignet. München 1916.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Radiowissen
JETZT ENTDECKEN
Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ZITATORIN
Das Gefühl von Glück und Fülle ist ganz unabhängig von wirklichem Erleben? Aber in welcher Sphäre liegt es dann, und warum ist es manchmal in uns und manchmal wieder unerreichbar?
ERZÄHLERIN
Franziska zu Reventlow: „Ein Leben, das eins von denen ist, die erzählt werden müssen, dass man es vor allem den jungen Mädchen und jungen Männern erzählen muss, die das Leben anfangen wollen und nicht wissen wie.“, meinte der Lyriker Rainer Maria Rilke.
ZITATORIN (ernsthaft)
Ich darf nur lieben, aber niemals jemanden gehören!
SPRECHER (sensationslüstern)
Die Skandalgräfin von Schwabing war eine Virtuosin der freien Liebe!
MUSIK ENDE
MUSIK Z8022611 128 „Alphaville“; ZEIT: 01:00
ERZÄHLERIN
Franziska zu Reventlow war alleinerziehende Mutter, Symbolfigur der sexuellen Revolution, Vorbotin des intellektuellen Prekariats und lange Zeit eine viel zu wenig beachtete Schriftstellerin.
ZITATORIN (erfüllt)
Vielleicht brächte ich es soweit, in Glanz zu leben, aber ich hätte dann alles andere nicht, meine absolute Freiheit und mein Leben für mich.
ERZÄHLERIN
Sie setzte Maßstäbe eines ungebundenen Lebens, brach mit den Konventionen des Kaiserreiches und mit ihrer Familie. Sie empörte - und begeisterte als Verkörperung eines neuen weiblichen Selbstbewusstseins. „Vielleicht die erste Frau von heute“, meinte die Kolumnistin und Kritikerin Kerstin Decker.
ZITATORIN (heiter)
Eigentlich ist jeder Tag wie eine große Schlacht mit vielen Lichtblicken.
MUSIK ENDE
O-Ton 1 Egbringhoff (01:54)
Franziska zu Reventlow war schon in ihrer Jugend sehr auf Freiheit bedacht.
ERZÄHLERIN
Erläutert die Autorin , Ulla Egbringhoff, die mehrfach zu Autorinnen der Jahrhundertwende veröffentlicht und eine Monographie zu Franziska zu Reventlow für den Rowohlt-Verlag geschrieben hat.
O-Ton 2 Egbringhoff (02:10)
Sie ist dann ins Internat gekommenen, ein Mädchenstift, damit sie sich bessert. Auch dort war sie schon von Anfang an renitent und hat einmal in ihrem Kleiderschrank geschrieben:
MUSIK privat Track 014 „Das Gedicht“; Album: Oktoberfest 1900; Label: 2Lane Records; Interpret: Michael Klaukien; Komponist: Michael Klaukien; ZEIT: 00:12
ZITATORIN (unbeirrbar, zu sich)
Ich habe nie das Knie gebogen – den stolzen Nacken nie gebeugt.
MUSIK ENDE
O-Ton 3 Egbringhoff (02:40)
Dieser Widerstand gegen Restriktionen und Eingrenzungen hat durchaus ihr Leben bestimmt. Und das war in ihrer Familie nicht gern gesehen. Und selbst in ihrer Familie wurde sie zum Skandal. Als sie dann in jungen Jahren nach München ging und in die Münchner Bohème ging, da fiel sie auch sehr auf mit ihrem Freiheitsdrang, der sich darin ausdrückte, dass sie als geschiedene Frau, als ledige Mutter ein Kind bekommen hat. Sie hat immer verheimlicht, wer der Vater des Kindes war, und das war natürlich skandalös.
MUSIK privat Track 014 „Das Gedicht“; Album: Oktoberfest 1900; Label: 2Lane Records; Interpret: Michael Klaukien; Komponist: Michael Klaukien; ZEIT: 01:47
ERZÄHLERIN
Geboren am 18. Mai 1871 in Husum wird sie getauft auf den Namen:
Fanny Liane Wilhelmine Sophie Adrienne Auguste Comtesse zu Reventlow. Die Mutter versucht ihre Tochter gemäß des Frauenbilds des 19. Jahrhunderts zu erziehen. Das bedeutet: Anpassung bis zur Selbstverleugnung und das Unterdrücken jeglichen eigenmächtigen kreativen Ausdruckswillens. Um das durchzusetzen sind Schläge an der Tagesordnung.
ZITATORIN (verletzt, sarkastisch)
Nicht einmal die Hunde bekamen so viele Prügel. – Mama hatte die Hunde wohl auch viel lieber.
ERZÄHLERIN
Die Prügel haben nicht den gewünschten Erfolg. Und der Aufenthalt im Internat, im Freiadeligen Magdalenenstift in Altenburg auch nicht. Die Stiftpröbstin macht in Fanny einen schädlichen Einfluss auf die Mädchen aus.
ZITATORIN
Die Sünde ist unter euch wie ein fressender Eiter.
SPRECHER
Nach dem Rauswurf aus dem Internat verbrachte Fanny viel Zeit bei ihrer Tante Liane von Qualen, der jüngeren Schwester ihrer Mutter, in Wulfshagen, im Kreis Eckernförde.
ERZÄHLERIN
Ganz im Gegensatz zu ihrer Schwester ist Tante Liane sehr interessiert an Kunst und Literatur. In Fanny wächst der Wunsch Malerin zu werden und sie erhält Unterricht von Fräulein Heine, die zu Fannys Vorbild wird.
SPRECHER
Doch 1888 soll Fanny wieder nach Hause kommen – der Vater hat beschlossen mit der Familie nach Lübeck zu ziehen.
ERZÄHLERIN
Doch der Same ist gesät: Kunst ist für Fanny gleichbedeutend geworden mit:
ZITATORIN
Leben! Ein Traum von immerwährender Glückseligkeit
MUSIK ENDE
O-Ton 4 Egbringhoff (05:23)
Das war ihr ganz großes Ziel, schon sehr früh, Künstlerin zu werden. Als sie dann in Lübeck gewesen ist, war sie dann verlobt mit einem Juristen. Und der Jurist, Herr Lübke, hatte ihr dann auch ermöglicht, Unterricht zu nehmen in München.
MUSIK Z8042026 113 „Goldstein“; ZEIT: 02:02
SPRECHER
Ende des 19. Jahrhunderts war München zu einer der bedeutendsten Kunstmetropolen Europas aufgestiegen. München leuchtete:
ERZÄHLERIN
Die bayerische Hauptstadt lockte Malerinnen und die, die es werden wollten, an die Isar.
SPRECHER
Ein Studium an einer staatlich und künstlerisch anerkannten Akademie war Frauen damals freilich verboten. Die vielen Künstler Münchens aber boten gerne privaten Unterricht an.
ZITATORIN (glücklich)
Das Arbeiten in unserem großen kühlen Atelier, und dann wieder in die Sonne hinaus, den ganzen Tag sein eigner Herr sein, keinen Moment des Tages sich nach anderen richten zu müssen! So habe ich mir’s geträumt, das ist endlich die Luft, in der ich leben kann. Mein Gott, und jetzt muss ich arbeiten, arbeiten bis aufs Blut und dann fasst mich der Jammer an um all die verlorene Zeit, was für Jahre hätte ich schon arbeiten können.
SPRECHER
Klagt die 22-jährige Fanny. In der Malschule von Anton Ažbé in der Georgenstraße, wo auch so prominente Künstler wie Wassily Kandinsky und Alexej von Jawlensky ausgebildet wurden, beginnt Fanny ihr Bohème-Leben. Zunächst noch recht sorglos, finanziert von ihrem Mann Walter von Lübke.
Fotos aus der Zeit zeigen eine kleine, zierliche hübsche junge Frau.
ERZÄHLERIN
„Ihr Äußeres von strahlendem Reiz und das Herz erfüllt von der Schönheit des Lebens und von der Sehnsucht nach einer schönen freien Menschenwelt.“, wird Erich Mühsam später schreiben. Und Annette Kolb meinte: „Ihre Augen waren wunderschön. Ihr Zynismus kannte keine Grenzen, doch immer alles mit Grazie.“
SPRECHER
Ihre materiellen Mittel sind bescheiden – nicht nur weil die Schulgebühren und die Malutensilien teuer sind, sondern wohl auch weil sie mit Geld recht unbekümmert umgeht. Ulla Engbringhoff:
MUSIK ENDE
O-Ton 5 Egbringhoff (07:36)
Sie hat Unterricht genommen, sie hat gemalt, aber sie musste immer wieder feststellen, dass ihr Talent doch nicht so groß war. So hat sie es auch selber immer wieder geschrieben, in ihren Tagebüchern: Ach, ich habe schon wieder gepatzt et cetera. Es sind leider auch nur sehr wenige Bilder von ihr erhalten, sodass wir uns kein richtig gutes Bild machen können, wie erfolgreich sie als Künstlerin vielleicht hätte werden können.
MUSIK Z8042026 212 „Goldstein Reprise“; ZEIT: 01:44
ZITATORIN (drängend)
Es gibt so vieles, was man gerne künstlerisch gestalten möchte und es wenigstens doch in der Malerei nicht ausdrücken kann. Da drängt es mich mächtig dazu, es zu schreiben.
SPRECHER
Tatsächlich verfasst Fanny bald kleinere literarische Texte, die in den „Husumer Nachrichten“ veröffentlicht werden.
ERZÄHLERIN
Die Künstlerin Fanny zu Reventlow sucht Nähe zu anderen Künstlern, die sie in den Künstlerkreisen der Schwabinger Bohème findet.
ERZÄHLERIN
Die Freiheit, die sie hier kennenlernt, wird Fanny fortan nicht mehr aufgeben.
SPRECHER
Ihre Ehe mit dem Gerichtsassessor Walter Lübke wird wegen fortgesetzten Ehebruchs Franziskas geschieden.
ERZÄHLERIN
Sie führt ein Bohèmeleben.
SPRECHER
Geprägt von Geldnot, von Krankheit und mehreren Fehlgeburten.
ZITATORIN (überzeugt)
Und doch ist dieses Künstler-Bohèmeleben das Beste von meinem ganzen bisherigen Leben gewesen: Es ist wenigstens frei, ganz frei!
ERZÄHLERIN
Fanny lehnt Bürokratie, Aristokratie, den geld- und fortschritts-gläubigen, nationalistischen, militaristisch wilhelminischen Gründergeist und die Erziehung junger Frauen zu „höheren Töchtern“ kategorisch ab.
SPRECHER
Am 1. September 1897 wird ihr Sohn Rolf geboren.
ZITATORIN (erfüllt, doch ungläubig)
Mein Kind, endlich mein Kind, o mein Gott, mein Kind. Alles hängt an ihm, all meine Liebe und all mein Leben, und die Welt ist wieder herrlich für mich geworden, wieder Götter und Tempel und der blaue Himmel darüber.
MUSIK ENDE
SPRECHER
Den Namen des Vaters verschweigt die Reventlow zeitlebens.
ZITATORIN
„Bubi“, „Maus“, „Göttertier!“
ERZÄHLERIN
Franziskas Tagebuch ist voll von rührenden mütterlichen Glücksbekundungen. Sie begegnet ihrem Sohn mit solcher Liebe, als müsse sie all die Verbrechen gutmachen, die an ihr als Kind begangen wurden. Rolf Reventlow schreibt später in seiner Autobiografie:
SPRECHER
Das Fehlen eines Vaters bedeutete keine Lücke in meiner Kindheit, in diesem recht ungeordneten, aber von mütterlicher Liebe durchglühten Kinderleben.
ERZÄHLERIN
Ihren Unterhalt verdient Franziska mit literarischen Übersetzungen und kleineren schriftstellerischen Arbeiten für Zeitschriften und Tageszeitungen wie den „Simplicissimus“, die „Neue Deutsche Rundschau“ oder die „Münchner Neueste Nachrichten“. Außerdem tritt sie nach etwas Schauspielunterricht 1898 eine Zeit lang am Theater am Gärtnerplatz sowie im Akademisch-Dramatischen Verein des jungen Otto Falckenberg auf.
SPRECHER
Ihre anderen Jobs: Hilfsköchin, Glasmalerin, Messehostess, Prostituierte und das Schnorren…
ERZÄHLERIN
…die Spenden ihrer männlichen Bekanntschaften.
SPRECHER
Von denen sie in der Münchner Künstlerszene reichlich hatte. Sie verkehrte mit Theodor Lessing, Friedrich Huch, Erich Mühsam, Oskar Panizza, Frank Wedekind, Rainer Maria Rilke…
ERZÄHLERIN
Vor allem aber dem sogenannten Kosmiker-Kreis um Karl Wolfskehl, Ludwig Klages und Alfred Schuler…,
SPRECHER
…die die Reventlow wegen ihrer erotischen Freizügigkeit und ihres unehelichen Kindes zur „heidnischen Madonna“ und „Wiedergeburt der antiken Hetäre“ stilisieren. Fanny gelang es im Gegenzug, Klages zu überreden, die Vormundschaft für Rolf zu übernehmen, da das Gesetz einen gesetzlichen Vormund verlangte.
ERZÄHLERIN
Der Vorname „Fanny“ ist in Bayern die gängige Abkürzung für Franziska. Was dazu führt, dass Rilke und Klages Fanny in Briefen zur „Francisca“ veredeln.
ZITATORIN (heiter)
Die kleine Fanny aus Husum und die große Franziska in München.
ERZÄHLERIN
Ihre Erlebnisse in der Münchner Künstlerszene destilliert Franziska in ihrem humoristischen Schlüsselroman „Herrn Dames Aufzeichnungen“, der in „Wahnmoching“ spielt.
O-Ton 6 Egbringhoff (12:56)
Dieser Roman ist 1913 erschienen. Er erzählt aber von Ereignissen, die so um 1903, 1904 geschehen sind. Und der Titel Wahnmoching - man assoziiert vielleicht Wahnfried, das wäre aber zu wagnerisch gewesen - und Moching, das ist natürlich den Münchnern und Münchnerinnen eher bekannt als den Norddeutschen. Dass es eben Ortschaften gibt wie Feldmoching und so weiter. Und es heißt, so hat Rolf Reventlow, ihr Sohn, es später erzählt, dass er auf diese Kombination gekommen sei. Wahnmoching als Bezeichnung für diesen Stadtteil Schwabing. In Schwabing, in Wahnmoching spielt diese Geschichte von „Herrn Dames Aufzeichnungen“. Einfacher Plot: Ein junger Mann unbedarft, kommt nach Wahnmoching, um fürs Leben zu lernen, und staunt dann sehr ausführlich und mit großen Augen, was da so geschieht, denn er kommt dieser junge Mann, Herr Dame, in den Kreis, in dem sich auch Franziska zu Reventlow bewegt hat: in den Kreis der Kosmiker und in den Kreis, wo auch Stefan George sich zeitweilig aufhielt.
SPRECHER
Stefan George, der sich „Meister“ nennen lässt. Als Lyriker war George zunächst vor allem dem Symbolismus verpflichtet, und predigte „kunst für die kunst“, geriert sich aber immer mehr zum Mittelpunkt des nach ihm benannten George-Kreises.
ERZÄHLERIN
Der Kosmiker-Kreis, in dem zeitweise auch der Meister Stefan George auftaucht, ist eine parareligiöse Intellektuellengruppe.
O-Ton 7 Egbringhoff (16:04)
Die Kosmiker waren Männer in erster Linie, die ich würde sagen, sehr reaktionäre Vorstellungen hatten. Die haben sich auf ein wichtiges Buch bezogen, „Das Mutterrecht“ von Herrn Bachofen, wo es heißt, vor den patriarchalen Zeiten habe das Mutterrecht regiert. Also, es habe ein Matriarchat gegeben.
ERZÄHLERIN
Avantgarde, Größenwahn, Hedonismus, ekstatische Rituale, Zionismus, Antisemitismus, Nietzsche-Epigonen, Homoerotik und alle möglichen und unmöglichen „Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil“ schildert Franziska zu Reventlow in einer Satire über Aberglauben, Magie und freie Liebe.
O-Ton 8 Egbringhoff (17:55)
Es gab ein wichtiges Fest im Februar 1903, an dem auch Stefan George teilgenommen hat. Und es kann man sich so vorstellen, dass die alle verkleidet werden. Alfred Schuler, der hatte sich sowieso als Römer immer imaginiert, lief dort in Verkleidung eines alten Römers daher. Die hatten lange Gewänder an und haben das Dionysische gefeiert. Und Reventlow mittenmang einfach, weil sie Lust zum Feiern hatte, und hatte Spaß auch an der Verkleidung und so weiter. Sie hat das natürlich gar nicht so ernst genommen wie die Herren, die auch wirklich daran geglaubt haben, dass sie das Heidnische wieder zum Leben erwecken können. Völlig abstrus. Naja. Und davon erzählt der Roman „Herrn Dames Aufzeichnungen“.
ERZÄHLERIN
Der Schlüsselroman der Schwabinger Bohéme. Am Ende herrscht Katerstimmung, der kollektive Rausch ist vorbei, alle sind erschöpft und die Mitglieder des Kreises völlig zerstritten.
O-Ton 9 Egbringhoff (20:33)
Da hat die Franziska zu Reventlow in diesem Roman mit einer großen Gabe an Ironie und Humor - heute würde man vielleicht auch von verschwörungstheoretischen Vorstellungen sprechen - sehr schön aufs Korn genommen. Das war ihr aber dann eben erst möglich zehn Jahre später.
MUSIK privat Track 014 „Das Gedicht“; Album: Oktoberfest 1900; Label: 2Lane Records; Interpret: Michael Klaukien; Komponist: Michael Klaukien; ZEIT: 00:24
ERZÄHLERIN
Franziska feiert zahllose Feste…
SPRECHER
…und liebt unzählige Männer.
ZITATORIN
Ich habe nie das Verlange gehabt, einen Menschen ganz zu „besitzen“ oder ihn über Gebühr festzuhalten. Dazu ist das Leben zu kurz. Und wer mich festhalten wollte – es kam hier und da vor – ist niemals zufrieden mit dem Erfolg gewesen.
MUSIK ENDE
O-Ton 10 Egbringhoff (22:33)
Die Kehrseite, die ist lange nicht - zumindest bei den Zeitgenossen nicht immer wahrgenommen worden - dass diese Kompromisslosigkeit, die sie in ihrem Leben hatte, auch dazu führte, dass sie mental auch immer auf eine andere Schiene gekommen ist. Sie war zwischendurch immer wieder sehr krank, also Krankheit bestimmte auch ihr Leben. Und sie hatte da vielleicht auch bedingt durch die Krankheiten, auch immer
wieder sehr schwere depressive Phasen gehabt, in denen sie, ja eben nicht fröhlich gefeiert hat, sondern sehr lethargisch war und unter den Belastungen sehr gelitten hat. Denn sie hatte wirklich viele Gläubiger, hatte immer finanzielle Probleme. Sie hat das gemacht, was man eigentlich auch kurios findet. Wenn sie denn mal Geld hatte, hat sie dann gerne mal ein bisschen Geld in der Wohnung versteckt, damit sie, wenn sie in Notzeiten ist, in ihrer eigenen Wohnung suchen kann und vielleicht doch noch ein paar Groschen finden kann.
ERZÄHLERIN
Ihr widerständiges Leben, das alle herrschenden gesellschaftlichen Regeln und Zwänge ihrer Zeit sprengt, ihr unbändiges Streben nach Freiheit, hat dazu geführt, dass man sie später zu einer Ikone der Frauenemanzipation stilisierte.
SPRECHER
Doch eine Kämpferin für Frauenrechte, eine Feministin, war sie nicht.
ERZÄHLERIN
Franziska zu Reventlow ist zwar mit Frauenrechtlerinnen wie der Autorin Helene Böhlau oder der Juristin Anita Augspurg befreundet. Doch eine gleichberechtigte Berufstätigkeit der Frau interessiert sie nicht.
ZITATORIN
Wir sind dazu da, es gut zu haben und uns nicht beklagen zu müssen.
O-Ton 11 Egbringhoff (10:53)
Das ist wiederum zu lesen vor dem Hintergrund, dass sie selber immer wieder in die Bredouille kam, ihren Lebensunterhalt irgendwie finanziert zu bekommen, was sehr schwierig war. Und deswegen ist ein bisschen verständlich, dass sie dann eher sagt: Nein, wir Frauen sollen nicht die gleichen Rechte haben, dann müssen wir ja arbeiten. Nein, das findet sie ganz und gar nicht.
ERZÄHLERIN
Doch Franziska fordert:
MUSIK Z8042026 113 „Goldstein“; ZEIT: 00:46
ZITATORIN
Volle geschlechtliche Freiheit, das ist freie Verfügung über seinen Körper, die uns das Hetärentum wiederbringt.
SPRECHER
Fanny kritisiert an der Frauenbewegung die Vermännlichung der Frau und die Feindschaft gegenüber jeglicher erotischer Kultur.
ERZÄHLERIN
Und denkt zugleich Erotik und Mutterschaft außerhalb der Gesellschaftsform Ehe.
ZITATORIN
Die Hetären des Altertums waren freie, hochgebildete und geachtete Frauen, denen es niemand übel nahm, wenn sie ihre Liebe und ihren Körper verschenkten, an wen sie wollten und so oft sie wollten und die gleichzeitig am geistigen Leben der Männer teilnahmen.
MUSIK ENDE
ERZÄHLERIN
1910 mit 39 Jahren verlässt Franziska zu Reventlow München und geht mit ihrem Sohn nach Ascona am Lago Maggiore.
SPRECHER
Die Künstlerkolonie am Monte Verità.
O-Ton 12 Egbringhoff (25:25)
Der Monte Verità, man könnte ja auch fast sagen, dass es das Schwabing von Schwabing gewesen ist. Also eine Ansammlung von Menschen, die nach alternativen Lebensformen gesucht haben. Also Vegetarier fanden sich dort ein, nacktbadende Menschen, die ja auch wiederum letztendlich ein freies Leben führen wollten. Aber Franziska zu Reventlow ist eigentlich weniger aufgrund dieser anderen alternativen Lebensformen nach Ascona gereist.
SPRECHER
Sondern weil sie einen Tipp bekommen hat. Erich Mühsam empfahl seiner Freundin Fanny die Bekanntschaft mit dem baltischen Baron Alexander von Rechenburg-Linten, der in Ascona lebt. Dem droht die Enterbung durch den alten Vater, der von seinem Sohn einen angemessenen Lebenswandel erwartet.
ERZÄHLERIN
Heißt: Eine Ehefrau von edlem Geblüt. Franziska schließt 1911 eine Scheinehe. Und hat endlich ausgesorgt.
SPRECHER
Bis sie ihr Vermögen durch einen Bankenkrach 1914 wieder verliert.
O-Ton 13 Egbringhoff (31:07)
Und diese Geschichte nimmt sie auch auf, in einem ihrer anderen, sehr schönen Romane, der mir sehr gut gefällt: Der Geldkomplex. Da erzählt sie ihre eigenen Erfahrungen und kombiniert das mit den Theorien Sigmund Freuds über die Psychoanalyse. Denn die Protagonistinnen gehen in ein Sanatorium, auch aus Geldnot hat sie die Möglichkeit, dort einen Platz zu erhalten. Und sie sagt dann naja, also in der Psychoanalyse heißt es ja das alles Leid, nur durch die Verdrängung des Erotischen erfolge.
ZITATORIN
Dass ich in der Verdrängung der „Erotik“ Erhebliches geleistet habe, kann ich nun wirklich beim besten Willen nicht behaupten.
ERZÄHLERIN
Als ihr geliebter Sohn Rolf 1914 in den Ersten Weltkrieg eingezogen wird, kann Franziska nicht tatenlos zusehen. Mit ihrer kosmopolitischen Einstellung hat sie keinerlei Verständnis für die taumelnde nationalistische Kriegsbegeisterung. Sie verhilft Rolf zur Flucht über den Bodensee in die Schweiz - diese Fluchthilfe geht durch alle europäischen Zeitungen.
SPRECHER
Der Neffe des bekannten alldeutschen Kriegshetzers Graf Ernst Reventlow desertierte in abenteuerlicher Weise aus der Armee.
ERZÄHLERIN
Titelt zum Beispiel die „Westschweizer Presse“. In Deutschland braucht sich Franziska bis auf Weiteres nicht mehr blicken lassen.
ZITATORIN (in stillen Triumph)
Ich hatte dem Kaiser meinen Sohn weggenommen.
MUSIK privat Track 014 „Das Gedicht“; Album: Oktoberfest 1900; Label: 2Lane Records; Interpret: Michael Klaukien; Komponist: Michael Klaukien; ZEIT: 00:44
SPRECHER
Im Juni 1918 stürzt Fanny zu Reventlow mit dem Fahrrad.
Während einer Notoperation stirbt sie im Alter von nur 47 Jahren an Herzversagen.
ERZÄHLERIN
Ihr damals als so unerhört abgestempeltes Leben, scheint heute wegweisend: als das einer Vorreiterin eines neuen weiblichen Selbstbewusstseins.
ZITATORIN
Ich kann nicht brechen das ist eben das Schlimme. Ich zerbreche nie, bin der prädestinierte Phönix.
4355 Episoden
Alle Folgen
×Willkommen auf Player FM!
Player FM scannt gerade das Web nach Podcasts mit hoher Qualität, die du genießen kannst. Es ist die beste Podcast-App und funktioniert auf Android, iPhone und im Web. Melde dich an, um Abos geräteübergreifend zu synchronisieren.