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Die Lederhose - eine erfundene Tradition?

22:56
 
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Presse-/Podcast-Text Die Lederhose gilt als das Kleidungsstück, das am passendsten das Wesen des Bayern ausdrückt. Doch das hirschlederne Beinkleid war ursprünglich "nur" eine Arbeitshose - die Herrscher wie Bewohner von Königreich wie Freistaat indes stets mit der von ihnen gewünschten Bedeutung aufzuladen wussten. Von Lukas Grasberger

Credits
Autor dieser Folge: Lukas Grasberger
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Julia Fischer, Johannes Hitzelberger
Redaktion: Karin Becker

Im Interview:
Stefan Dettl, Sänger und Trompeter von LaBrassBanda, Truchtlaching;
Simone Egger, Junior-Professorin für Kulturanthropologie, Universität des Saarlandes, Saarbrücken; Michael Thalhammer, Lederhosen-Manufaktur „Brandner und Kneißl“, Sauerlach;
Alexander Wandinger, Trachteninformationszentrum des Bezirks Oberbayern; Benediktbeuern
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

Sprecher

Sie sitzt wie eine zweite Haut...

Musik Tuba-Ton, hoch

Sie schützt vor Hitze, wie vor Kälte...

Musik Tuba-Ton, tiefer

Sie ist bereit, mit ihrem Träger durch Dick und Dünn zu gehen.

Musik Tuba-Ton tief

Sprecherin

Die Rede soll heute sein von der Lederhose. Strapazierfähig und in zeitlosem chic ist sie für manchen Bewohner des Freistaats ein lebenslanger Begleiter – weshalb ihr Träger zuweilen zur Lederhose ein anderes emotionales Verhältnis entwickelt, als zu einem x-beliebigen, austauschbaren Kleidungsstück.

O-Ton 1 Stefan Dettl, Sänger und Trompeter von LaBrassBanda

„Die Lederhose ist ein Lebensgefühl, das seit früher Jugend dabei ist…“

Sprecherin

...sagt der Sänger und Trompeter der bayerischen Funk-Brass-Band LaBrassBanda, Stefan Dettl.

O-Ton 1 Dettl weiter

Es gibt so den Mythos, wenn du eine schöne Lederhose hast, dann ist die dein Leben lang da….“

Sprecher

Doch beginnen wir im Allgemeinen: Hosen aus Leder sind und waren zu allen Zeiten zuerst einmal eines: Wunderbar praktisch. Schon Menschen der Steinzeit nutzten von erlegtem Wild nicht nur das Fleisch, sondern auch das Fell, aus dem sie Hemden und Blusen, Lendenschurze – aber auch bald Hosen machten. Die Samen im Norden Skandinaviens fertigten bis zur frühen Neuzeit ihre gesamte Kleidung aus Leder – knöchellange Lederhosen inklusive. Im Hochland von Ecuador schützen sich die Ureinwohner bis heute mit Hosen aus Fellen und Leder von Ziege, Lama oder Ozelot. Über Jahrhunderte war Leder auch hierzulande das naheliegende Material der Wahl - für Kleidung, die vor allem zweckmäßig sein musste, sagt die Kulturanthropologin Simone Egger. Sie hat den wissenschaftlichen Aufsatz „Dirndl und Lederhosen. Zur Kostümgeschichte der modernen Tracht“ verfasst.

O-Ton 2 Simone Egger, Junior-Professorin für Kulturanthropologie, Universität des Saarlandes

„Im Grunde war die Lederhose tatsächlich das Gleiche wie die Jeans: von Anfang an ein Arbeitsgewand, eine Arbeitshose. Es gab die geschnürten Lederhosen, die unterm Knie geschnürt wurden, und es gab die kurzen Lederhosen….und das hat natürlich auch immer was damit zu tun gehabt, was man auch damit arbeitet Wenn ich jetzt im Wald arbeite, brauche ich etwas, was meine Knie mitgeschützt, wenn die Holzstämme bewege oder so etwas hat es dann tatsächlich. Die Funktion ist da das zentrale Merkmal zuerst…“

Sprecher

Die Lederhose: Sie hat sich über die Jahrhunderte nicht nur für die Arbeit „im Holz“ und auf dem Feld bewährt. Sie tut ihren Dienst als Arbeitshose auch heute noch – und besteht ihre Bewährungsprobe nicht nur im dunklen Wald, sondern auch im hellen Rampenlicht.

O-Ton 3 Stefan Dettl Teil 1

„Die Lederhosn hat sich bei uns auf der Bühne herausgestellt als das praktischste Bühnenoutfit.“

Sprecher

...sagt LaBrassBanda-Frontmann Stefan Dettl.

O-Ton 3 Dettl weiter

„Wenn man sich vorstellt; Auf der Bühne machen wir quasi Sport. Wir spielen zwei Stunden, springen, hupfen, singen...also man schwitzt da ganz brutal. Und ich sag jetzt mal so: A Jeanshosn dad des gar ned mitmachn. Wenn wir zehn Tage auf Tour sind, denn bräuchte ich ja sechs Jeanshosen. Und wenn man in a Jeanshosn einischwitzt...und wenn man die am nächsten Tag wieder anhat, dann is des koa guads Gfui. Und bei der Lederhosn is des ned so. Da kannst einischwitzen, die lebt mit dir mit, die macht alles mit. Und am nächsten Tag duasd as kurz an die frische Luft hängen – und zackbum, gehts scho wieder weida. Die Lederhosn is für uns des oanzige Bühnenoutfit, das geht.“

Info an Regie: Wenn untenstehender Abschnitt in (( )) gekürzt werden muss, bitte dies einsetzen: - vom Erjagen des Materials übers monatelange Gerben bis zum Nähen und Besticken.

Sprecherin

Damit eine Lederhose so haltbar wird und auch noch fesch ausschaut: Dafür muss sie einen aufwendigen Herstellungsprozess durchlaufen. (( Doch zuerst einmal muss das Ausgangsmaterial für die Lederhosen besorgt - oder besser, erjagt – werden, weiß Michael Thalhammer: Er gestaltet und verkauft aus Hirschleder gefertigte Hosen in Sauerlach bei München.

O-Ton 4 Michael Thalhammer, Lederhosen-Manufaktur „Brandner und Kneißl“, Sauerlach

„Ich hab wirklich ganze Hirschen da. Also ned Hirschen, sondern Hirschleder. Weil du brauchst für eine Hose der Größe 50 brauchst du 22 Quadratfuß. Was umgerechnet 2,04 Quadratmeter san. Du brauchst immer zwoa Hirschen. Und die werden immer im Pärchen gefärbt. (...)Wir haben fünf Lederfarben zur Auswahl...und über die Gerbemethode der sämischen Gerbkunst, also des is, runtergebrochen, die Umwandlung von verwesbaren Eiweiß in nicht-verwesbares Eiweiß. Wir gerben mit einem Fischöl, und dieses Fischöl wandelt dieses verwesbare Eiweiß um. Dann haben wir, nach einem sehr langwierigen Prozess, der zwischen 12 und 18 Monate dauert je nach Witterung, haben wir zuerst einmal das Leder. Und dann wird die Hose gebaut...also genäht.“

Sprecherin

Auch ohne Naht und kunstvollem Stick, mit dem ein Säckler die Hose später versehen wird – )) das weiche, edel und teuer anmutende Material Leder wirke und wirkte - stets schon für sich, sagt Alexander Wandinger, Leiter des Trachten-Informationszentrums des Bezirks Oberbayern. Ein Grund, warum sich Menschen im Laufe der Jahrhunderte an lederner Mode unterschiedlichsten Schnitts versuchten. So tauchte die französische culotte, eine ursprünglich bis zum Knie reichende Stoffhose, bald auch in Süddeutschland auf: Aber eben in einer Leder-Version, die das Modische mit den praktischen Anforderungen der bayerischen Landbevölkerung verband.

O-Ton 5 Alexander Wandinger, Leiter des Trachten-Informationszentrums des Bezirks Oberbayern, Benediktbeuren

Vom Schnitt her gibt es verschieden Typen bei den Lederhosen...Die Kniebundhose aus dem 18. Jahrhundert, die´s ja bis heute gibt. Dann gibt es noch die kurze Lederhose, die sich aus der Kniebundhose entwickelt hat. Deswegen sind seitlich am Bein immer noch Bänder und Knöpfe! Das heißt: Die kurze Lederhose ist eigentlich eine verkürzte Kniebundhose.“

Musiktrenner

Sprecher

Dass die Lederhose schließlich so viel mehr werden sollte als „nur“ eine modisch geschnittene Hose aus Leder: Das hat zunächst einmal mit politischen Entwicklungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu tun. 1806 entstand - nach Auflösung des Heiligen Römischen Reiches - das eigenständige „Königreich Bayern“. Die Wittelsbacher herrschten auf einmal über so unterschiedliche Stämme wie die Franken, Schwaben, Pfälzer und die Bayern – und suchten nach einem Weg, dem neu entstandenen Volk eine gemeinsame Identität zu verleihen. Alexander Wandinger:

O-Ton 6 Wandinger

„Aus einem Vielvölkerstaat heraus braucht das Volk natürlich auch ein Wissen darum, wo es hingehört und braucht ein Nationalgefühl. Und das haben die Wittelsbacher sehr bald erkannt. Max, der erste Josef da ist es noch nicht so stark, aber seine Nachfolger, die haben ja Leute aufs Land geschickt, die sogar aufgenommen haben. Was haben die Menschen für Bräuche? Wie ziehen Sie sich an? Was essen Sie? Was trinken Sie? Wie sprechen Sie und so weiter? Das heißt, der Mensch auf dem Land wird entdeckt Anfang des neunzehnten Jahrhunderts...“

Sprecher

Auch selbst in Lederhosen gekleidet, wollten die bayerischen Herrscher fortan Volksnähe demonstrieren. Auch wenn die vorgeblich ländliche Alltagskleidung, die König Maximilian II. Joseph „zur Hebung des bayerischen Nationalgefühls“ auserkoren hatte - lederne Hose und Filz-Joppe - weniger einer Bauernkleidung als dem alpinen Jägergewand ihrer adeligen Jagdgefährten entsprach. Die Bevölkerung aber griff ihrerseits das Begehr der Wittelsbacher-Könige gerne auf, die ihre Alltagskleidung nun als typisch bayerische „Tracht“ fördern wollten.

O-Ton 7 Wandinger

„Im 18. Jahrhundert ist der Mensch auf dem Land einfach Leibeigener. Oder ist Steuerzahler, wie auch immer. In dem Augenblick, in dem die Menschen auf dem Land sozusagen entdeckt werden, nach 1800, Anfang des 19. Jahrhunderts, bemerken die Menschen in der Kleidung, die wir heute als „Tracht“ bezeichnen, natürlich auch, dass sie angesehen werden und bewundert. Dann wächst auch das Selbstbewusstsein der Landbevölkerung, die werden ja bejubelt, die werden angesehen.“

Sprecher

Dabei war die Lederhose für die Menschen auf dem Land in Sachen „Tracht“ zunächst nicht einmal erste Wahl. Statt in Leder kleideten sie sich oft lieber in Loden.

Sprecherin

Es war ein Lehrer namens Josef Vogl, der trotzdem bereits Ende des 19. Jahrhunderts das schleichende Verschwinden der Lederhose beklagte – und beschloss, dagegen anzukämpfen. Vogl gründete dafür 1883 den „Verein zur Erhaltung der Volkstracht im Leitzachthal“, den Vorläufer des bald wirkmächtigen Trachtenvereins Miesbach.

(( O-Ton 8 Wandinger

„Diese frühen Trachtenvereine: die waren ja auch revolutionär in ihrer Art...“

Sprecherin

...sagt der Trachtenforscher Alexander Wandinger. )) Die Mitglieder der ersten Trachtenerhaltungsvereine waren keine Bürger oder Bauern, die Grund besaßen – sie entstammten vor allem einem sozialdemokratisch gesinnten nicht-bürgerlichen Milieu, das mit der katholischen Kirche tief verbunden war - in gegenseitiger Ablehnung: Das erzbischöfliche Ordinariat München etwa erklärte die „Kurzhosenvereine“ für sittenwidrig. In die Kirche mit der Lederhose? Ein Tabu! Die frühen Trachtler indes wahren ihrerseits eher antiklerikal, und dem Revolutionären zugeneigt. Und dies nicht nur in ihrer politischen Haltung – sondern auch in ihrem Verhalten.

O-Ton 9 Wandinger

„In ihrer Art und Weise, sich zu zeigen: Die kurzen Lederhosen waren natürlich ein Zeichen von: Ich ziehe an, was mir passt. Am Sonntag nicht in die Kirche zu gehen, sondern vielleicht auf Gaufest zu fahren. Ich gehöre zu einer Gruppe, die sich einfach traut, was anders zu machen. (…) Junge Frauen, junge Männer zusammen im Trachtenheim, unbeaufsichtigt. Das war ja alles vollkommen neu. Es war provokativ und war eigentlich auch nicht geduldet….Dieses ostentative zur Schau stellen von uns geht's gut, wir machen, was wir wollen.“

Sprecherin

Diese „Trachtenbewegung von unten“ wuchs und gedieh. In zahlreichen bayerischen Regionen entstanden Trachtenvereine. „Über den Umweg der Miesbacher Tracht haben viele Gegenden Bayerns wieder zu ihrem eigenständigen Volkstum gefunden“, heißt es stolz in einer Festschrift des Miesbacher Trachtenvereins. Doch obwohl sich viele der neuen Vereinigungen als „Trachtenerhaltungsvereine“ bezeichneten, entwickelten diese oft die althergebrachte bäuerliche Kleidung weiter – oder erfanden sie gar neu.

O-Ton 10 Egger

„Natürlich wird hier nicht eine Lederhose eins zu eins übernommen, sondern es wird schon begonnen zu übersetzen und zu designen. Und das ist eigentlich ein ganz wichtiger Faktor. Diese wichtigste, bekannteste Lederhose, die wir heute kennen, also die dunkle Lederhose mit der grünen Paspelierung: Das ist eine im Design tatsächlich von Trachten-Jäger in Miesbach. Und da hat eben der Bruder an der Akademie studiert, hat verschiedene Entwürfe gehabt, und der, der sich durchgesetzt hat, hat sich wirklich durchgesetzt. Oder: das ist sicherlich die erfolgreichste Lederhose überhaupt.“

Sprecher

Die „Miesbacher Gebirgstracht“ sollte weltweit Anklang finden, doch steht sie keineswegs für eine jahrhundertealte Tradition. Simone Egger:

O-Ton 11 Egger

„´n klassischer Fall von „Invention of Tradition, wie man das so schön nennt. Eric Hobsbawm, der er britische Historiker spricht, eben von der ,Einführung einer Tradition’…“

Sprecher

Dass eine Hose Sinn und Identität zu stiften vermag, indem sie für die gemeinsame, vermeintlich lange andauernde Vergangenheit eines Volks steht: Dies funktionierte mit dieser dunklen, grün bestickten Lederhose letztendlich so gut, dass die Eigenheiten anderer regionaler Hosen und Dirndln dahinter zurückstehen mussten, ja, sogar verdrängt wurden. Der Trachtenforscher Alexander Wandinger verweist darauf, dass es jahrhundertelang ohnehin praktische Anforderungen wie soziale Gegebenheiten waren, die bestimmten, was man trug – und nicht Verbundenheit mit einer Tradition, mit einer Region oder gar „Heimatliebe“.

O-Ton 12 Wandinger

„Was wir heute als typische Tracht bezeichnen und vielleicht auch noch als „echt“ erklären, war einfach einmal Mode einer bestimmten Zeit, einer bestimmten sozialen Schicht – und das aber auch nur immer 20, 30 Jahre lang, bis halt die nächste Modewelle alles wieder verändert hat. Dass sich so etwas wie die kurze Lederhose dann über 100, fast 200, 220 Jahre hält – das ist ein Phänomen.“

Sprecher

Die nunmehr mit einer urbayerischen Identität aufgeladene Lederhose entwickelte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Strahlkraft bis weit über das bayerische Königreich hinaus. In Bayern selbst trug die ehemalige Arbeitshose der Gebirgler bald auch das städtische Bürgertum. Die Trachtenvereine ihrerseits reagierten auf diese soziale Aufwertung damit, dass sie eine Schautracht für Festtage entwickelten – die Lederhose, besonders der Latz, wurde üppig mit Ornamenten verziert. Die „Hebung des Nationalgefühls, insbesondere der Landestrachten“, die Maximilian II. 1853 verordnet hatte – sie schien binnen weniger Jahrzehnte gelungen. Dem neuen, vom König verordneten Zeitgeist folgend, begannen mehr und mehr Adelige und wohlhabende Städter, sich für Land und Leute zu interessieren, und in der Folge das Oberland und die Alpen zu bereisen.

Sprecherin

Es waren die Anfänge des alpenländischen Tourismus, der bald – als „Sommerfrische“ – zu einem Massenphänomen wurde. Dort, im Ferienort, dürstete es die Urlauber nach Unterhaltung – und die Einheimischen lieferten. Sie begannen, Tracht und Bräuche – vom Schuhplatteln bis zum Watschentanz - als Show zu inszenieren.

O-Ton 13 Egger

„Der Fremdenverkehr spielt eine ganz große Rolle, weil in dem Moment, indem Menschen von außen auf des blicken, was vielleicht vorher selbstverständlich ist. Oder ganz gewöhnlich, muss ich mir überlegen okay, was setze ich in Szene? Was sind vielleicht Bilder, die für meine Region stehen...und das sind dann wieder die Bilder, die gut funktionieren, die eingängig sind: die schöne Alpensilhouette, aber eben auch Dirndl und Lederhosen.“

Sprecherin

Besonders das Bauerntheater verbreitete dieses Abzieh-Bild eines Bayern, das vor allem die alpenländischen Bewohner entworfen hatten: Lederbehoste Lackl´n oder Schlitzohren, auf jeden Fall aber urwüchsige Natur-Burschen, die stets ein wenig zur Handgreiflichkeit neigten; die Fingerhakelten und Schuhplattelten – und bei feschen Madln fensterlnten (zum Fensterln gingen). Das stand bald für ganz Bayern.

O-Ton 14 Wandinger

„Natürlich ist die Lederhose konnotiert immer mit einer Vorstellung von Männlichkeit. Von Schneid, dieses Wilderer-Flair, dieses Jägerische, Almerische. Das schwingt bis heute mit. Und der Draufgänger, ein bisschen Draufgängertum...Ich kann machen, was ich will.“

Sprecherin

Oft dürfte dieses Bayern-Bild weniger Realität, als die Sehnsucht von städtischen Urlaubern widergespiegelt haben. (( Städtern – oft selber ländlicher Herkunft – die hofften, mit den Unterhaltungsdarbietungen an der urwüchsigen Kraft und Naturverbundenheit der Einheimischen teilhaben zu können. Stadtbewohner, die glaubten, sich wieder zum echten, erdverbundenen Mannsbild rück-verwandeln zu können, sobald sie die Lederhose überstreiften.))

Sprecher

Angekommen im 20. Jahrhundert, zeigt sich unsere schon etwas speckige Lederhose von zwei Seiten. Je nach Blickwinkel verkörpert sie den wenn nicht revolutionären, so doch zumindest den rebellisch-anarchischer Charakter des Bayern – oder, andererseits, dessen konservative Beharrungskraft: Das Festhalten an einer Gruppen-Identität, vertrauend auf die Gemeinschaft stiftende Macht der Tracht.

Musiktrenner

Sprecher

Zwei Seiten der Lederhose, die im vergangenen Jahrhundert wohl niemand so ausdrucksstark verkörperte wie der Schriftsteller Oskar Maria Graf. Der ließ sich seine „Krachlederne“ auch von den Nazis nicht nehmen: Die Nationalsozialisten propagierten die Lederhose als „geerbte Vätertracht“, und wollten diese als gesamtdeutsches Kleidungsstück – bereinigt von regionalen Eigenheiten - etablieren. Graf dagegen machte die Lederhose zum Symbol für Heimatliebe wie für Dissidenz – indem er sie sogar im New Yorker Exil selbstbewusst trug. Damit sollte der 1967 verstorbene Autor Vorreiter werden für einen Umgang mit der Lederhose, wie er sich eigentlich erst in den letzten Jahrzehnten durchsetzte.

Sprecherin

Doch zunächst einmal verschwand diese gegen Ende der 1960er-Jahre weitgehend aus der Öffentlichkeit. Die Mehrheit hatte genug von der als miefig empfundenen Enge traditioneller Tracht: eine Haltung, zu der die in der Nachkriegszeit populären Heimatfilme nicht unwesentlich beigetragen hatten. Dies änderte sich mit den 90er-Jahren. Die Professorin für Kulturanthropologie, Simone Egger:

O-Ton 16 Egger

„ ….da kommt jetzt plötzlich eine junge Generation, die nicht mehr das Problem hat, sich so massiv von einer Elterngeneration absetzen zu müssen. Und man konnte jetzt diese Dinge auch neu entdecken oder neu erfinden. Und so nach und nach hat sich da so ein neues Interesse tatsächlich entwickelt an Tracht, an Volkskultur, auch an einer Auseinandersetzung irgendwie mit dem: Was ist dieses Bayern eigentlich?“

O-Ton 17 Dettl

„ Im Jugendalter, 16, 17 furtgehn, und dann auch nach den Konzerten mit der Blasmusik furtgehn - und dann hat man halt die Lederhosn angehabt. Wenn du in den Reggae und Punkclub gegangen bist, dann war das irgendwie ok….Und das hat hat ein bisschen damit zu tun, dass ich auch heute keine Berührungsängste hab. Wenn ich die Lederhose anhab, gehe ich auch auf Punkkonzerte. Oder in total elitäre Szene-Clubs geh ich auch selbstbewusst mit der Lederhosn eini.“

Sprecher

Es sind Prominente wie der LaBrassBanda-Frontman und Trompeter Stefan Dettl, die der Lederhose eine neue Sichtbarkeit verliehen haben – indem sie diese auch außerhalb des erlaubten und erwünschten Rahmens von Blaskapelle und Trachtenverein tragen. Eine andere Strategie, die Lederhose quasi neu zu interpretieren, liegt in der Umgestaltung des Kleidungsstücks selbst. Dem „Lederhosen-Rebellen“ Michael Thalhammer etwa reichte es bald nicht mehr, seine Krachlederne mit Turnschuhen oder Badelatschen zu kombinieren, wenn er sie auf der Bühne mit seiner Wiesn-Band, den „Wuidara Pistols“, trug. Zwar trug er seine Lederhose ohnehin nicht am Bauchnabel sitzend, sondern lässig unter der Hüfte hängend. Aber irgendwie noch immer nicht cool genug.

O-Ton 18 Thalhammer

„Und ich wollte die halt dann zu was besonderem machen: (...) Und hab halt dann bei einem Trachtengeschäft meines Vertrauens in Egling unser Bandlogo drauf sticken lassen. Und ich werde nie den Blick der Seniorchefin vergessen, wo ich gesagt habe, was ich drauf haben will. Weil die Wuidara Pistols haben als Logo einen Totenkopf mit einem Gamsbarthut gehabt. Zwar einen freundlichen Totenkopf, aber es ist ein bleibt der Totenkopf, die hat wirklich gschaut: „WOS, Wos wollen Sie da draufhaben? An Totenkopf?!“ Und dann haben mir die den dann auch mit viel Diskussionen und nicht unbedingt wohlwollend draufgestickt.

Sprecher

Der flächig gestickte Totenkopf scheuerte aber beim Tragen der Hose. Thalhammer überlegte - und erinnerte sich an seinen Opa, der hobbymäßig Motive in Holz brannte. Könnte diese Technik nicht auch auf Leder funktionieren? Michael Thalhammer probierte es aus – es klappte. Und Thalhammer machte das Lederhosen-Branding zu einem Business namens Brandner und Kneißl. Eine Lederhose mit individuellem Motiv – das treffe einen Nerv bei Einheimischen, wie bei Kunden aus Übersee. Ein Pilot trage „seine“ Lederhose mit dem Bild eines Flugzeugs; ein junger Surfer ließ sich eine Palme ins Leder brennen; und ein Mexikaner nahm aus Sauerlach eine Lederhose mit einer calavera, einem mexikanischen Totenkopf, mit nach Hause. Seinen Kunden, sagt der „Lederhosen-Rebell“ Thalhammer, gehe es um Individualität und um Zugehörigkeit gleichzeitig.

Musikakzent

Sprecherin

Er sei keine „Lederhosenpolizei“, betont Alexander Wandinger vom „Zentrum für Tracht“ des Bezirks Oberbayern. Wandinger freut sich vielmehr über Vielfalt – und eine neu erwachte Freude an der Tracht: die neue Selbstverständlichkeit mit der die einen sie als Partykleidung nutzten, andere indes die Besonderheiten regionaler Volkskleidung bewahrten. Wobei eine „echte“ Tracht schon seit jeher eine Illusion sei.

O-Ton 20 Wandinger

„Ich würde wirklich sagen: anything goes bei der kurzen Lederhose. Ich persönlich würde immer natürliche Materialien bevorzugen...dass es vielleicht von einem regionalen Säckler oder einer Säcklerin kommt,. Dass man sich einfach was kauft, was man lang hat. Das hat auch was mit Nachhaltigkeit zu tun. Dass man sämisch gegerbtes Hirschleder nimmt...womit man sich nicht vergiftet, wie mit billigem chromgegerbten Ledern. Das ist wichtig. Ansonsten kann man die kurze Lederhose natürlich ganz unterschiedlich anziehen. Ich hab selber zwei Söhne: der eine, der würde die kurze Lederhose nur ganz traditionell anziehen, der andere mit langen Haaren und Bart, der Trick zu kurzen Lederhose oder T-Shirt. Beides sieht überraschenderweise gut aus.“


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Die Lederhose - eine erfundene Tradition?

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Credits
Autor dieser Folge: Lukas Grasberger
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Julia Fischer, Johannes Hitzelberger
Redaktion: Karin Becker

Im Interview:
Stefan Dettl, Sänger und Trompeter von LaBrassBanda, Truchtlaching;
Simone Egger, Junior-Professorin für Kulturanthropologie, Universität des Saarlandes, Saarbrücken; Michael Thalhammer, Lederhosen-Manufaktur „Brandner und Kneißl“, Sauerlach;
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Sprecher

Sie sitzt wie eine zweite Haut...

Musik Tuba-Ton, hoch

Sie schützt vor Hitze, wie vor Kälte...

Musik Tuba-Ton, tiefer

Sie ist bereit, mit ihrem Träger durch Dick und Dünn zu gehen.

Musik Tuba-Ton tief

Sprecherin

Die Rede soll heute sein von der Lederhose. Strapazierfähig und in zeitlosem chic ist sie für manchen Bewohner des Freistaats ein lebenslanger Begleiter – weshalb ihr Träger zuweilen zur Lederhose ein anderes emotionales Verhältnis entwickelt, als zu einem x-beliebigen, austauschbaren Kleidungsstück.

O-Ton 1 Stefan Dettl, Sänger und Trompeter von LaBrassBanda

„Die Lederhose ist ein Lebensgefühl, das seit früher Jugend dabei ist…“

Sprecherin

...sagt der Sänger und Trompeter der bayerischen Funk-Brass-Band LaBrassBanda, Stefan Dettl.

O-Ton 1 Dettl weiter

Es gibt so den Mythos, wenn du eine schöne Lederhose hast, dann ist die dein Leben lang da….“

Sprecher

Doch beginnen wir im Allgemeinen: Hosen aus Leder sind und waren zu allen Zeiten zuerst einmal eines: Wunderbar praktisch. Schon Menschen der Steinzeit nutzten von erlegtem Wild nicht nur das Fleisch, sondern auch das Fell, aus dem sie Hemden und Blusen, Lendenschurze – aber auch bald Hosen machten. Die Samen im Norden Skandinaviens fertigten bis zur frühen Neuzeit ihre gesamte Kleidung aus Leder – knöchellange Lederhosen inklusive. Im Hochland von Ecuador schützen sich die Ureinwohner bis heute mit Hosen aus Fellen und Leder von Ziege, Lama oder Ozelot. Über Jahrhunderte war Leder auch hierzulande das naheliegende Material der Wahl - für Kleidung, die vor allem zweckmäßig sein musste, sagt die Kulturanthropologin Simone Egger. Sie hat den wissenschaftlichen Aufsatz „Dirndl und Lederhosen. Zur Kostümgeschichte der modernen Tracht“ verfasst.

O-Ton 2 Simone Egger, Junior-Professorin für Kulturanthropologie, Universität des Saarlandes

„Im Grunde war die Lederhose tatsächlich das Gleiche wie die Jeans: von Anfang an ein Arbeitsgewand, eine Arbeitshose. Es gab die geschnürten Lederhosen, die unterm Knie geschnürt wurden, und es gab die kurzen Lederhosen….und das hat natürlich auch immer was damit zu tun gehabt, was man auch damit arbeitet Wenn ich jetzt im Wald arbeite, brauche ich etwas, was meine Knie mitgeschützt, wenn die Holzstämme bewege oder so etwas hat es dann tatsächlich. Die Funktion ist da das zentrale Merkmal zuerst…“

Sprecher

Die Lederhose: Sie hat sich über die Jahrhunderte nicht nur für die Arbeit „im Holz“ und auf dem Feld bewährt. Sie tut ihren Dienst als Arbeitshose auch heute noch – und besteht ihre Bewährungsprobe nicht nur im dunklen Wald, sondern auch im hellen Rampenlicht.

O-Ton 3 Stefan Dettl Teil 1

„Die Lederhosn hat sich bei uns auf der Bühne herausgestellt als das praktischste Bühnenoutfit.“

Sprecher

...sagt LaBrassBanda-Frontmann Stefan Dettl.

O-Ton 3 Dettl weiter

„Wenn man sich vorstellt; Auf der Bühne machen wir quasi Sport. Wir spielen zwei Stunden, springen, hupfen, singen...also man schwitzt da ganz brutal. Und ich sag jetzt mal so: A Jeanshosn dad des gar ned mitmachn. Wenn wir zehn Tage auf Tour sind, denn bräuchte ich ja sechs Jeanshosen. Und wenn man in a Jeanshosn einischwitzt...und wenn man die am nächsten Tag wieder anhat, dann is des koa guads Gfui. Und bei der Lederhosn is des ned so. Da kannst einischwitzen, die lebt mit dir mit, die macht alles mit. Und am nächsten Tag duasd as kurz an die frische Luft hängen – und zackbum, gehts scho wieder weida. Die Lederhosn is für uns des oanzige Bühnenoutfit, das geht.“

Info an Regie: Wenn untenstehender Abschnitt in (( )) gekürzt werden muss, bitte dies einsetzen: - vom Erjagen des Materials übers monatelange Gerben bis zum Nähen und Besticken.

Sprecherin

Damit eine Lederhose so haltbar wird und auch noch fesch ausschaut: Dafür muss sie einen aufwendigen Herstellungsprozess durchlaufen. (( Doch zuerst einmal muss das Ausgangsmaterial für die Lederhosen besorgt - oder besser, erjagt – werden, weiß Michael Thalhammer: Er gestaltet und verkauft aus Hirschleder gefertigte Hosen in Sauerlach bei München.

O-Ton 4 Michael Thalhammer, Lederhosen-Manufaktur „Brandner und Kneißl“, Sauerlach

„Ich hab wirklich ganze Hirschen da. Also ned Hirschen, sondern Hirschleder. Weil du brauchst für eine Hose der Größe 50 brauchst du 22 Quadratfuß. Was umgerechnet 2,04 Quadratmeter san. Du brauchst immer zwoa Hirschen. Und die werden immer im Pärchen gefärbt. (...)Wir haben fünf Lederfarben zur Auswahl...und über die Gerbemethode der sämischen Gerbkunst, also des is, runtergebrochen, die Umwandlung von verwesbaren Eiweiß in nicht-verwesbares Eiweiß. Wir gerben mit einem Fischöl, und dieses Fischöl wandelt dieses verwesbare Eiweiß um. Dann haben wir, nach einem sehr langwierigen Prozess, der zwischen 12 und 18 Monate dauert je nach Witterung, haben wir zuerst einmal das Leder. Und dann wird die Hose gebaut...also genäht.“

Sprecherin

Auch ohne Naht und kunstvollem Stick, mit dem ein Säckler die Hose später versehen wird – )) das weiche, edel und teuer anmutende Material Leder wirke und wirkte - stets schon für sich, sagt Alexander Wandinger, Leiter des Trachten-Informationszentrums des Bezirks Oberbayern. Ein Grund, warum sich Menschen im Laufe der Jahrhunderte an lederner Mode unterschiedlichsten Schnitts versuchten. So tauchte die französische culotte, eine ursprünglich bis zum Knie reichende Stoffhose, bald auch in Süddeutschland auf: Aber eben in einer Leder-Version, die das Modische mit den praktischen Anforderungen der bayerischen Landbevölkerung verband.

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Vom Schnitt her gibt es verschieden Typen bei den Lederhosen...Die Kniebundhose aus dem 18. Jahrhundert, die´s ja bis heute gibt. Dann gibt es noch die kurze Lederhose, die sich aus der Kniebundhose entwickelt hat. Deswegen sind seitlich am Bein immer noch Bänder und Knöpfe! Das heißt: Die kurze Lederhose ist eigentlich eine verkürzte Kniebundhose.“

Musiktrenner

Sprecher

Dass die Lederhose schließlich so viel mehr werden sollte als „nur“ eine modisch geschnittene Hose aus Leder: Das hat zunächst einmal mit politischen Entwicklungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu tun. 1806 entstand - nach Auflösung des Heiligen Römischen Reiches - das eigenständige „Königreich Bayern“. Die Wittelsbacher herrschten auf einmal über so unterschiedliche Stämme wie die Franken, Schwaben, Pfälzer und die Bayern – und suchten nach einem Weg, dem neu entstandenen Volk eine gemeinsame Identität zu verleihen. Alexander Wandinger:

O-Ton 6 Wandinger

„Aus einem Vielvölkerstaat heraus braucht das Volk natürlich auch ein Wissen darum, wo es hingehört und braucht ein Nationalgefühl. Und das haben die Wittelsbacher sehr bald erkannt. Max, der erste Josef da ist es noch nicht so stark, aber seine Nachfolger, die haben ja Leute aufs Land geschickt, die sogar aufgenommen haben. Was haben die Menschen für Bräuche? Wie ziehen Sie sich an? Was essen Sie? Was trinken Sie? Wie sprechen Sie und so weiter? Das heißt, der Mensch auf dem Land wird entdeckt Anfang des neunzehnten Jahrhunderts...“

Sprecher

Auch selbst in Lederhosen gekleidet, wollten die bayerischen Herrscher fortan Volksnähe demonstrieren. Auch wenn die vorgeblich ländliche Alltagskleidung, die König Maximilian II. Joseph „zur Hebung des bayerischen Nationalgefühls“ auserkoren hatte - lederne Hose und Filz-Joppe - weniger einer Bauernkleidung als dem alpinen Jägergewand ihrer adeligen Jagdgefährten entsprach. Die Bevölkerung aber griff ihrerseits das Begehr der Wittelsbacher-Könige gerne auf, die ihre Alltagskleidung nun als typisch bayerische „Tracht“ fördern wollten.

O-Ton 7 Wandinger

„Im 18. Jahrhundert ist der Mensch auf dem Land einfach Leibeigener. Oder ist Steuerzahler, wie auch immer. In dem Augenblick, in dem die Menschen auf dem Land sozusagen entdeckt werden, nach 1800, Anfang des 19. Jahrhunderts, bemerken die Menschen in der Kleidung, die wir heute als „Tracht“ bezeichnen, natürlich auch, dass sie angesehen werden und bewundert. Dann wächst auch das Selbstbewusstsein der Landbevölkerung, die werden ja bejubelt, die werden angesehen.“

Sprecher

Dabei war die Lederhose für die Menschen auf dem Land in Sachen „Tracht“ zunächst nicht einmal erste Wahl. Statt in Leder kleideten sie sich oft lieber in Loden.

Sprecherin

Es war ein Lehrer namens Josef Vogl, der trotzdem bereits Ende des 19. Jahrhunderts das schleichende Verschwinden der Lederhose beklagte – und beschloss, dagegen anzukämpfen. Vogl gründete dafür 1883 den „Verein zur Erhaltung der Volkstracht im Leitzachthal“, den Vorläufer des bald wirkmächtigen Trachtenvereins Miesbach.

(( O-Ton 8 Wandinger

„Diese frühen Trachtenvereine: die waren ja auch revolutionär in ihrer Art...“

Sprecherin

...sagt der Trachtenforscher Alexander Wandinger. )) Die Mitglieder der ersten Trachtenerhaltungsvereine waren keine Bürger oder Bauern, die Grund besaßen – sie entstammten vor allem einem sozialdemokratisch gesinnten nicht-bürgerlichen Milieu, das mit der katholischen Kirche tief verbunden war - in gegenseitiger Ablehnung: Das erzbischöfliche Ordinariat München etwa erklärte die „Kurzhosenvereine“ für sittenwidrig. In die Kirche mit der Lederhose? Ein Tabu! Die frühen Trachtler indes wahren ihrerseits eher antiklerikal, und dem Revolutionären zugeneigt. Und dies nicht nur in ihrer politischen Haltung – sondern auch in ihrem Verhalten.

O-Ton 9 Wandinger

„In ihrer Art und Weise, sich zu zeigen: Die kurzen Lederhosen waren natürlich ein Zeichen von: Ich ziehe an, was mir passt. Am Sonntag nicht in die Kirche zu gehen, sondern vielleicht auf Gaufest zu fahren. Ich gehöre zu einer Gruppe, die sich einfach traut, was anders zu machen. (…) Junge Frauen, junge Männer zusammen im Trachtenheim, unbeaufsichtigt. Das war ja alles vollkommen neu. Es war provokativ und war eigentlich auch nicht geduldet….Dieses ostentative zur Schau stellen von uns geht's gut, wir machen, was wir wollen.“

Sprecherin

Diese „Trachtenbewegung von unten“ wuchs und gedieh. In zahlreichen bayerischen Regionen entstanden Trachtenvereine. „Über den Umweg der Miesbacher Tracht haben viele Gegenden Bayerns wieder zu ihrem eigenständigen Volkstum gefunden“, heißt es stolz in einer Festschrift des Miesbacher Trachtenvereins. Doch obwohl sich viele der neuen Vereinigungen als „Trachtenerhaltungsvereine“ bezeichneten, entwickelten diese oft die althergebrachte bäuerliche Kleidung weiter – oder erfanden sie gar neu.

O-Ton 10 Egger

„Natürlich wird hier nicht eine Lederhose eins zu eins übernommen, sondern es wird schon begonnen zu übersetzen und zu designen. Und das ist eigentlich ein ganz wichtiger Faktor. Diese wichtigste, bekannteste Lederhose, die wir heute kennen, also die dunkle Lederhose mit der grünen Paspelierung: Das ist eine im Design tatsächlich von Trachten-Jäger in Miesbach. Und da hat eben der Bruder an der Akademie studiert, hat verschiedene Entwürfe gehabt, und der, der sich durchgesetzt hat, hat sich wirklich durchgesetzt. Oder: das ist sicherlich die erfolgreichste Lederhose überhaupt.“

Sprecher

Die „Miesbacher Gebirgstracht“ sollte weltweit Anklang finden, doch steht sie keineswegs für eine jahrhundertealte Tradition. Simone Egger:

O-Ton 11 Egger

„´n klassischer Fall von „Invention of Tradition, wie man das so schön nennt. Eric Hobsbawm, der er britische Historiker spricht, eben von der ,Einführung einer Tradition’…“

Sprecher

Dass eine Hose Sinn und Identität zu stiften vermag, indem sie für die gemeinsame, vermeintlich lange andauernde Vergangenheit eines Volks steht: Dies funktionierte mit dieser dunklen, grün bestickten Lederhose letztendlich so gut, dass die Eigenheiten anderer regionaler Hosen und Dirndln dahinter zurückstehen mussten, ja, sogar verdrängt wurden. Der Trachtenforscher Alexander Wandinger verweist darauf, dass es jahrhundertelang ohnehin praktische Anforderungen wie soziale Gegebenheiten waren, die bestimmten, was man trug – und nicht Verbundenheit mit einer Tradition, mit einer Region oder gar „Heimatliebe“.

O-Ton 12 Wandinger

„Was wir heute als typische Tracht bezeichnen und vielleicht auch noch als „echt“ erklären, war einfach einmal Mode einer bestimmten Zeit, einer bestimmten sozialen Schicht – und das aber auch nur immer 20, 30 Jahre lang, bis halt die nächste Modewelle alles wieder verändert hat. Dass sich so etwas wie die kurze Lederhose dann über 100, fast 200, 220 Jahre hält – das ist ein Phänomen.“

Sprecher

Die nunmehr mit einer urbayerischen Identität aufgeladene Lederhose entwickelte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Strahlkraft bis weit über das bayerische Königreich hinaus. In Bayern selbst trug die ehemalige Arbeitshose der Gebirgler bald auch das städtische Bürgertum. Die Trachtenvereine ihrerseits reagierten auf diese soziale Aufwertung damit, dass sie eine Schautracht für Festtage entwickelten – die Lederhose, besonders der Latz, wurde üppig mit Ornamenten verziert. Die „Hebung des Nationalgefühls, insbesondere der Landestrachten“, die Maximilian II. 1853 verordnet hatte – sie schien binnen weniger Jahrzehnte gelungen. Dem neuen, vom König verordneten Zeitgeist folgend, begannen mehr und mehr Adelige und wohlhabende Städter, sich für Land und Leute zu interessieren, und in der Folge das Oberland und die Alpen zu bereisen.

Sprecherin

Es waren die Anfänge des alpenländischen Tourismus, der bald – als „Sommerfrische“ – zu einem Massenphänomen wurde. Dort, im Ferienort, dürstete es die Urlauber nach Unterhaltung – und die Einheimischen lieferten. Sie begannen, Tracht und Bräuche – vom Schuhplatteln bis zum Watschentanz - als Show zu inszenieren.

O-Ton 13 Egger

„Der Fremdenverkehr spielt eine ganz große Rolle, weil in dem Moment, indem Menschen von außen auf des blicken, was vielleicht vorher selbstverständlich ist. Oder ganz gewöhnlich, muss ich mir überlegen okay, was setze ich in Szene? Was sind vielleicht Bilder, die für meine Region stehen...und das sind dann wieder die Bilder, die gut funktionieren, die eingängig sind: die schöne Alpensilhouette, aber eben auch Dirndl und Lederhosen.“

Sprecherin

Besonders das Bauerntheater verbreitete dieses Abzieh-Bild eines Bayern, das vor allem die alpenländischen Bewohner entworfen hatten: Lederbehoste Lackl´n oder Schlitzohren, auf jeden Fall aber urwüchsige Natur-Burschen, die stets ein wenig zur Handgreiflichkeit neigten; die Fingerhakelten und Schuhplattelten – und bei feschen Madln fensterlnten (zum Fensterln gingen). Das stand bald für ganz Bayern.

O-Ton 14 Wandinger

„Natürlich ist die Lederhose konnotiert immer mit einer Vorstellung von Männlichkeit. Von Schneid, dieses Wilderer-Flair, dieses Jägerische, Almerische. Das schwingt bis heute mit. Und der Draufgänger, ein bisschen Draufgängertum...Ich kann machen, was ich will.“

Sprecherin

Oft dürfte dieses Bayern-Bild weniger Realität, als die Sehnsucht von städtischen Urlaubern widergespiegelt haben. (( Städtern – oft selber ländlicher Herkunft – die hofften, mit den Unterhaltungsdarbietungen an der urwüchsigen Kraft und Naturverbundenheit der Einheimischen teilhaben zu können. Stadtbewohner, die glaubten, sich wieder zum echten, erdverbundenen Mannsbild rück-verwandeln zu können, sobald sie die Lederhose überstreiften.))

Sprecher

Angekommen im 20. Jahrhundert, zeigt sich unsere schon etwas speckige Lederhose von zwei Seiten. Je nach Blickwinkel verkörpert sie den wenn nicht revolutionären, so doch zumindest den rebellisch-anarchischer Charakter des Bayern – oder, andererseits, dessen konservative Beharrungskraft: Das Festhalten an einer Gruppen-Identität, vertrauend auf die Gemeinschaft stiftende Macht der Tracht.

Musiktrenner

Sprecher

Zwei Seiten der Lederhose, die im vergangenen Jahrhundert wohl niemand so ausdrucksstark verkörperte wie der Schriftsteller Oskar Maria Graf. Der ließ sich seine „Krachlederne“ auch von den Nazis nicht nehmen: Die Nationalsozialisten propagierten die Lederhose als „geerbte Vätertracht“, und wollten diese als gesamtdeutsches Kleidungsstück – bereinigt von regionalen Eigenheiten - etablieren. Graf dagegen machte die Lederhose zum Symbol für Heimatliebe wie für Dissidenz – indem er sie sogar im New Yorker Exil selbstbewusst trug. Damit sollte der 1967 verstorbene Autor Vorreiter werden für einen Umgang mit der Lederhose, wie er sich eigentlich erst in den letzten Jahrzehnten durchsetzte.

Sprecherin

Doch zunächst einmal verschwand diese gegen Ende der 1960er-Jahre weitgehend aus der Öffentlichkeit. Die Mehrheit hatte genug von der als miefig empfundenen Enge traditioneller Tracht: eine Haltung, zu der die in der Nachkriegszeit populären Heimatfilme nicht unwesentlich beigetragen hatten. Dies änderte sich mit den 90er-Jahren. Die Professorin für Kulturanthropologie, Simone Egger:

O-Ton 16 Egger

„ ….da kommt jetzt plötzlich eine junge Generation, die nicht mehr das Problem hat, sich so massiv von einer Elterngeneration absetzen zu müssen. Und man konnte jetzt diese Dinge auch neu entdecken oder neu erfinden. Und so nach und nach hat sich da so ein neues Interesse tatsächlich entwickelt an Tracht, an Volkskultur, auch an einer Auseinandersetzung irgendwie mit dem: Was ist dieses Bayern eigentlich?“

O-Ton 17 Dettl

„ Im Jugendalter, 16, 17 furtgehn, und dann auch nach den Konzerten mit der Blasmusik furtgehn - und dann hat man halt die Lederhosn angehabt. Wenn du in den Reggae und Punkclub gegangen bist, dann war das irgendwie ok….Und das hat hat ein bisschen damit zu tun, dass ich auch heute keine Berührungsängste hab. Wenn ich die Lederhose anhab, gehe ich auch auf Punkkonzerte. Oder in total elitäre Szene-Clubs geh ich auch selbstbewusst mit der Lederhosn eini.“

Sprecher

Es sind Prominente wie der LaBrassBanda-Frontman und Trompeter Stefan Dettl, die der Lederhose eine neue Sichtbarkeit verliehen haben – indem sie diese auch außerhalb des erlaubten und erwünschten Rahmens von Blaskapelle und Trachtenverein tragen. Eine andere Strategie, die Lederhose quasi neu zu interpretieren, liegt in der Umgestaltung des Kleidungsstücks selbst. Dem „Lederhosen-Rebellen“ Michael Thalhammer etwa reichte es bald nicht mehr, seine Krachlederne mit Turnschuhen oder Badelatschen zu kombinieren, wenn er sie auf der Bühne mit seiner Wiesn-Band, den „Wuidara Pistols“, trug. Zwar trug er seine Lederhose ohnehin nicht am Bauchnabel sitzend, sondern lässig unter der Hüfte hängend. Aber irgendwie noch immer nicht cool genug.

O-Ton 18 Thalhammer

„Und ich wollte die halt dann zu was besonderem machen: (...) Und hab halt dann bei einem Trachtengeschäft meines Vertrauens in Egling unser Bandlogo drauf sticken lassen. Und ich werde nie den Blick der Seniorchefin vergessen, wo ich gesagt habe, was ich drauf haben will. Weil die Wuidara Pistols haben als Logo einen Totenkopf mit einem Gamsbarthut gehabt. Zwar einen freundlichen Totenkopf, aber es ist ein bleibt der Totenkopf, die hat wirklich gschaut: „WOS, Wos wollen Sie da draufhaben? An Totenkopf?!“ Und dann haben mir die den dann auch mit viel Diskussionen und nicht unbedingt wohlwollend draufgestickt.

Sprecher

Der flächig gestickte Totenkopf scheuerte aber beim Tragen der Hose. Thalhammer überlegte - und erinnerte sich an seinen Opa, der hobbymäßig Motive in Holz brannte. Könnte diese Technik nicht auch auf Leder funktionieren? Michael Thalhammer probierte es aus – es klappte. Und Thalhammer machte das Lederhosen-Branding zu einem Business namens Brandner und Kneißl. Eine Lederhose mit individuellem Motiv – das treffe einen Nerv bei Einheimischen, wie bei Kunden aus Übersee. Ein Pilot trage „seine“ Lederhose mit dem Bild eines Flugzeugs; ein junger Surfer ließ sich eine Palme ins Leder brennen; und ein Mexikaner nahm aus Sauerlach eine Lederhose mit einer calavera, einem mexikanischen Totenkopf, mit nach Hause. Seinen Kunden, sagt der „Lederhosen-Rebell“ Thalhammer, gehe es um Individualität und um Zugehörigkeit gleichzeitig.

Musikakzent

Sprecherin

Er sei keine „Lederhosenpolizei“, betont Alexander Wandinger vom „Zentrum für Tracht“ des Bezirks Oberbayern. Wandinger freut sich vielmehr über Vielfalt – und eine neu erwachte Freude an der Tracht: die neue Selbstverständlichkeit mit der die einen sie als Partykleidung nutzten, andere indes die Besonderheiten regionaler Volkskleidung bewahrten. Wobei eine „echte“ Tracht schon seit jeher eine Illusion sei.

O-Ton 20 Wandinger

„Ich würde wirklich sagen: anything goes bei der kurzen Lederhose. Ich persönlich würde immer natürliche Materialien bevorzugen...dass es vielleicht von einem regionalen Säckler oder einer Säcklerin kommt,. Dass man sich einfach was kauft, was man lang hat. Das hat auch was mit Nachhaltigkeit zu tun. Dass man sämisch gegerbtes Hirschleder nimmt...womit man sich nicht vergiftet, wie mit billigem chromgegerbten Ledern. Das ist wichtig. Ansonsten kann man die kurze Lederhose natürlich ganz unterschiedlich anziehen. Ich hab selber zwei Söhne: der eine, der würde die kurze Lederhose nur ganz traditionell anziehen, der andere mit langen Haaren und Bart, der Trick zu kurzen Lederhose oder T-Shirt. Beides sieht überraschenderweise gut aus.“


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