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Die Erfindung des Rads - Als die Welt ins Rollen kam

23:49
 
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Es gilt als eine der bedeutendensten Erfindung in der Menschheits-geschichte - das Rad. Als Transportmittel öffnete es den Handel zwischen Kulturen, als Streitwagen führte es zur Bildung von mächtigen Großreichen, als Idee führte es zu Zahnrädern und Uhren und langfristig zur globalen Mobilität. Lange Zeit ging man davon aus, dass die Welt im altorientalischen Mesopotamien ins Rollen kam. Heute gilt die alteuropäische Tipolye-Kultur auf dem Gebiet der heutigen Ukraine vor 6.000 Jahren als wahrscheinlicher Ursprungsort des Fahrens. Autor: Geseko von Lüpke

Credits
Autor/in dieser Folge: Geseko v. Lüpke
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Berenike Beschle, Andreas Neumann, Benjamin Stedler
Technik: Wolfgang Lösch
Redaktion: Thomas Morawetz

Im Interview:
Stefan Burmeister, Archäologe, Frühgeschichtler;
Asko Parpola, Finnischer Paläo-Linguist und Historiker;
Elke Kaiser, Prof. für Frühgeschichte an der FU Berlin;
Harald Haarmann, Linguist, Historiker, Autor
Carola Metzner-Nebelsick, Historikerin, LMU München;
Norbert Oberschmidt, Rad-Entwickler, Autor

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Und noch eine besondere Podcast-Empfehlung der Redaktion:

Das Tagebuch der jungen Undercover-Journalistin Paula Schlier gibt uns heute, 100 Jahre später, einen seltenen Einblick in die Anfänge des Nationalsozialismus in München. Aber wer war diese Frau, was hat sie motiviert, war sie überhaupt eine Heldin? Die BR-Reporterin Paula Lochte begibt sich auf Spurensuche.
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Literaturtipps:

Burmeister, Stefan: Der Mensch lernt fahren – zur Frühgeschichte des Wagens, Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien (MAGW), Band 142, 2012, S. 81-100

Burmeister Stefan: Die drei großen W: Waren – Wagen – Wege. Überlegungen zum Überlandverkehr in prähistorischer Zeit, mit besonderem Blick auf Nordwestdeutschland, aus: Bartelheim, Martin( Hrsg.): RessourcenKulturen, Band 8, Tübingen University Press

Haarmann, Harald: Die Erfindung des Rades. Als die Weltgeschichte ins Rollen kam. Beck-Verlag, München 2023

Kaiser, Elke: Die frühen Räderfahrzeuge im nordpontischen Raum. Die archäologische Überlieferung und das protoindoeuropäische Wagenvokabular. Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte 43, 2022, 13–25

Kaiser, Elke: Räderfahrzeuge in der frühen Bronzezeit Osteuropas. In: B. Nessel, D. Neumann, M. Bartelheim (Hrsg.), Bronzezeitlicher Transport. Akteure, Mittel und Wege. Ressourcenkultur 8 (Tübingen 2018) 139–165.

Metzner-Nebelsick, Carola: Charriots and Horses in the Carpathian Lands during the Bronze Age, Published in: B. Baragli, A. Dietz, Zs. J. Földi, P. Heindl, P. Lohmann and S. P. Schlüter (eds.), Distant Worlds and Beyond. Distant Worlds Journal Special Issue 3, Heidelberg, Propylaeum 2021, 111–131. DOI: https://doi.org/10.11588/propylaeum.886.c11954

Parpola, Asko: Proto-Indo-European Speakers of the Late Tripolye Culture as the Inventors of Wheeled Vehicles: Linguistic and archaeological considerations of the PIE homeland problem. Pp. 1-59 in: Karlene Jones-Bley (eds.), Proceedings of the Nineteenth Annual UCLA Indo-European Conference, November 2-3, 2007. (Journal of Indo-European Studies Monograph 54.) Washington, D.C.: Institute for the Study of Man, 2008

Oberschmidt, Norbert: Das Rad. Eine bewegte Geschichte; ifu-verlag für regionalkultur, Heidelberg 2015

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

SPRECHER

Lang, lang, ist‘s her. Ungefähr zu jener Zeit, als der ‚Mann vom Tisenjock‘, ein dunkelhäutiger jungsteinzeitlicher Wanderer mit dem modernen Namen ‚Ötzi‘ die Alpen überqueren wollte; und 3.356 Jahre vor unserer Zeitrechnung von einem Pfeil getroffen in eine Gletscherspalte stürzte. Runde 5.380 Jahre. Der glatzköpfige Mann, der weit nach seiner Zeit als ‚Mumie von Similaun‘ weltberühmt werden sollte, mag das Geräusch schon gekannt haben: Das Knarzen der sich drehenden Holzräder, das harte Rumpeln der archaischen Achsen, die sich ächzend reibenden Holzbohlen des klobigen vierrädrigen Wagens.

Musik 2

Titel 08 - Album: The Garden of Mirrors - Komponist und Ausführender:

Stephan Micus - Länge 0'41

SPRECHERIN

Und der Eindruck wird sich tief in sein steinzeitliches Bewusstsein eingeprägt haben. Denn die Erfindung von Rad und Wagen – das wissen wir heute – war eine höchst ungewöhnliche und bis heute täglich wirksame Erfindung. In dem Zeitalter, das wir gewöhnlich die ‚Graue Vorzeit‘ nennen – dem Neolithikum oder der Jungsteinzeit, in dem sich der Übergang von Jäger- und Sammlerkulturen zu Hirten- und Bauernkulturen vollzog. Über Jahrzehntausende war der Mensch zu Fuß gelaufen. Und plötzlich begann er zu fahren! Der Archäologe Stefan Burmeister versucht sich auszumalen, wie groß damals das Staunen gewesen sein mag.

ZUSPIELUNG Wort 1 (Stefan Burmeister)

Man muss sich vorstellen, wie der Mensch sich bis dahin selbst fortbewegt hat. Also eben immer nur auf seinen eigenen Füßen. Mit dem Wagen taucht plötzlich eine ganz andere Art von Fortbewegung auf. Man sitzt oder steht über den Dingen und schwebt, auch wenn es vielleicht ein bisschen ruckelig ist. Aber man gleitet ja im Grunde so dahin und muss sich selbst nicht mehr bewegen. Das ist natürlich eine ganz andere Form der Automobilität, die ja schon eher sowas von ‚Erscheinen‘ hat, als von Gehen oder sich fortbewegen.

ZUSPIELUNG Atmo 2 Mischung: (Hupen eines Oldtimers, Stampfen einer Dampf-Lokomotive, Quietschende Reifen eines Sportwagens)

SPRECHER

‚Auto-Mobilität‘ – wer sich das Wort auf der Zunge zergehen lässt, erahnt die Jahrtausende der Kulturentwicklung, die von den rustikalen Konstruktionen der Jungsteinzeit, über elegante Streitwägen der Ägypter und Griechen, herrschaftlich kaiserliche Prunkkarossen, Planwägen im Wilden Westen, verspielte Hochzeitskutschen, erste Automobile, mächtige Lokomotiven bis hin zum hochgezüchteten Formel-Eins-Rennwagen reichen. Erfindungen, die die Welt zum Dorf machten, den globalen Handel begründeten, Geschwindigkeit und Zeitmessung nach sich zogen – und zu dem führten, was heute als privater PKW oder mächtiger 40-Tonner unseren Alltag im 21. Jahrhundert prägt. Doch wie begann das alles? Wo und wann kam die Weltgeschichte ins Rollen?

Musik 3

Titel: "Jd021" - Album: Derrida - Komponist und Ausführender: Ryuichi Sakamoto - Länge: 0'50

SPRECHERIN

Der Blick zum Himmel – zum Rund von Sonne und Mond – hatte den Menschen wohl schon immer gezeigt, dass es mit den über den Himmel ziehenden Kreisen etwas Besonderes auf sich hatte. Auch als mythisches Symbol für den Lauf der Jahreszeiten war der Kreis schon lange ein Begriff, nicht jedoch als bewegliches Rund. Lange Zeit gingen die Historiker davon aus, dass die Idee zum Rad zum ersten Mal in den legendären Reichen im Urstromland aufblitzte, die als Wiege der Zivilisationen galten. Denn im sumerischen ‚Uruk‘ auf dem Gebiet des heutigen Irak hatte man im Grab eines Königs alte Schrifttafeln gefunden, deren Zeichen und Piktogramme bereits 3.400 vor Christus vierrädrige Wagen zeigten – also stolze 5.400 Jahre alt sind. Doch der finnische Paläo-Linguist und Historiker Asko Parpola vermutet einen noch älteren und ganz anderen Ursprungsort des Rades:

ZUSPIELUNG Wort 2 (Asko Parpola /männl. Overvoice)

It has been an accepted theory for a long time that the Sumerians invented wheeled Lange Zeit galten die Sumerer als Erfinder von Rad und Wagen rund 3.400 vor Christus. Aber in den letzten zwei Jahrzehnten hat man in Europa mehr und mehr Funde gemacht, die aus ungefähr der gleichen Zeit stammen. Deshalb wird die ‚sumerische Theorie‘ heute in Frage gestellt. Ich glaube, dass Rad und Wagen im Gebiet der zentralen Ukraine erfunden wurden, nahe der heutigen Stadt Kiew, rund 3.600 Jahre vor Christus oder etwa zu der Zeit. …. in that time scale.

Musik 4

Titel 08 - Album: The Garden of Mirrors - Komponist und Ausführender:

Stephan Micus - Länge 0'46

SPRECHER

Denn in Ost-Europa hat die Archäologie erstaunliches zu Tage befördert: Spuren sogenannter ‚Mega-Sites‘ – riesiger stadtähnlicher Strukturen mit zigtausend Einwohnern, Tausenden von Häusern und Werkstätten schon aus dem fünften vorchristlichen Jahrtausend: Jungsteinzeitliche Großstädte der sogenannten ‚Tripolye-Kultur‘, in denen wunderschön verzierte Terrakotta-Vasen gefunden wurden, für die schon das Töpferrad erfunden worden sein musste - bei der das erste Mal das Prinzip der Drehung angewendet wurde. Zeugnisse einer noch umstrittenen ‚alt-europäischen Hochkultur‘, in denen man zwar noch keine Wägen, aber entsprechende tönerne Spielzeuge gefunden hat, erzählt Elke Kaiser, Professorin für Archäologie an der Freien Universität Berlin:

ZUSPIELUNG Wort 3 (Elke Kaiser, 0:40)

Und dort haben wir schon Mitte des vierten Jahrtausends vor Christi Geburt Hinweise in Form von so kleinen Tierchen aus Ton, die durchlochte Beine haben. In der Nähe sind dann auch Ton-Räder gefunden worden. Und man nimmt an eben, dass in diesen horizontal durchlochten Beinen dieser Tierfiguren dann wahrscheinlich ein Hölzchen gesteckt hat, quasi wie eine Achse und auf beiden Seiten dann Räder befestigt waren. Das sind keine richtigen Wagen, aber spielzeug-ähnliche Figuren, die von den Menschen damals irgendwie bei irgendwelchen Ritualen benutzt worden sind.

SPRECHERIN

Spielzeuge, die natürlich darauf schließen lassen, dass solche Dinge schon im praktischen Gebrauch waren, bevor Kinder damit symbolisch hantierten. Richtige Räder und Wägen fand man aber nicht. Solche großen archäologischen Fundstücke gibt es erst aus osteuropäischen Gräbern, die ein paar Hundert Jahre später datieren, rund 3.100 vor Christus. Und jüngste Ausgrabungen haben aus etwa der gleichen Zeit Rad- und Spurenfunde aus ganz verschiedenen Regionen und Kulturen von der Nordsee bis zum Hindukush zu Tage gebracht.

Musik 5

"Part 1 - Resonating Stone, Shakuhachi" - Album: Music Of Stones - Komponist und Ausführender: Stephan Micus - Länge: 1`18

SPRECHER

So fanden sich in Norddeutschland 3.450 Jahre alte Räderspuren aus der bäuerlichen ‚Trichterbecher‘-Kultur, an Schweizer Bergseen zerbrochene Vollholz-Räder, deren Gebrauch der ‚Ötzi‘ erlebt haben mag, etwas später ganze Holzwägen als Grabbeilagen im Ural und am Schwarzen Meer, sowie Wagenreste am Persischen Golf und im Gebiet des heutigen Pakistan. Archäologen standen vor einem Rätsel, wieso scheinbar fast gleichzeitig an so weit voneinander entfernten Orten in völlig unterschiedlichen Kulturen die gleiche Innovation auftauchte. Waren es gleichzeitige Entdeckungen, waren es frühe Handelskontakte, oder gab es Ideenexport durch wandernde Handwerker? Wie in einem Puzzle versuchen heute die Altertums-Forscher den Ort und die Verbreitung der Erfindung zu rekonstruieren. Theorien gibt es so manche, Beweise wenige.

Musik 6

Titel 08 - Album: The Garden of Mirrors - Komponist und Ausführender:

Stephan Micus - Länge 0'33

SPRECHERIN

Doch so manches spricht dafür, dass tatsächlich im Zusammentreffen der mehr als 6.000 Jahre alten und handwerklich wohl hochentwickelten ukrainischen Tripolye-Kultur und migrierenden Steppen-Nomaden aus dem Osten sich der kreative Impuls formte, mit dem Wagen etwas ganz Neues zu probieren. Denn dafür bestand vielerlei Bedarf: In den frühen osteuropäischen Städten für den Transport von Getreide und Material, bei den Steppen-Nomaden und Viehhirten für Handelsgüter und Material-Transport. Der Linguist und Historiker Harald Haarmann ist aber davon überzeugt, dass es eine Kultur des Friedens und der Kooperation brauchte, um eine so weltverändernde Innovation erst möglich zu machen.

ZUSPIELUNG Wort 4 (Harald Haarmann)

In Europa sind die Funde deutlich älter. Das Töpfer-Rad ist erfunden worden vor Rad und Wagen. Also die primäre, die Verwirklichung der Idee des Rades für praktische Zwecke hängt zusammen mit der Arbeit in der Töpfer-Werkstatt und das war das Töpferrad. Und dann sekundär kam man natürlich schnell drauf nachzudenken, wie man das umsetzen kann für Transportmöglichkeiten. Das technische Know How und die Möglichkeiten, da weiterzukommen, die lagen bei den Alt-Europäern. Die ‚Tripolya-Kultur‘ oder ‚Tripoli‘, wie man sie Russisch auch nennt, war der östliche Ausläufer dieses Komplexes Alt-Europas oder der ‚Donau Zivilisation‘. Und diese Großstädte waren für die Hirten-Nomaden weiter im Osten interessant, denn mit diesen Leuten standen sie in regen Handelsbeziehungen. Rad und Wagen sind erfunden worden, so wie ich das sehe, in friedlicher Kooperation: In interkultureller Kooperation unter Einbringung von Ressourcen und Know-How von beiden Seiten - da konnte es gelingen, so eine wichtige Erfindung zu machen.

SPRECHERIN

Von der wohl matriarchalen und sehr egalitären - Donau-Kultur wird angenommen, dass sie 6 bis 4.000 vor Christus gut zwei Jahrtausende ohne Krieg und soziale Hierachien auskam – perfekte Voraussetzung für Kreativität und neue Ideen, glaubt Harald Haarmann. Zur Erfindung des Rades kam es, als die kreativen Siedler auf Nomaden stießen, die Hartholz als Ressource mitbrachten. Er ist überzeugt, dass die bahnbrechende Erfindung sich von dort durch wandernde Handwerker und Händler schnell in alle Richtungen verbreitete. Vielleicht nicht mit den klobigen, ohne bewegliche Vorderachse auf Wanderpfaden kaum lenkbaren Wägen. Dafür waren die ersten leicht brechbaren Vollholz-Räder nicht geschaffen. Aber zu Fuß als wandernde Handwerker und Ideenträger der Rad-Erfindung. Und so mag es kaum 100 oder 200 Jahre gedauert haben, bis die Idee des Wagens bis nach Sibirien und Mesopotamien, nach Persien, Pakistan und China reichte.

Musik 7

Titel o3 - Album: The Garden of Mirrors - Komponist und Ausführender:

Stephan Micus - Länge: 1'02

SPRECHER

Vor Ort mögen die einfachen Kastenwägen vielerlei Funktionen erfüllt haben: Als lokales Transportmittel für Laubheu und Ernten, als Planwagen für Nomaden und Viehzüchter, als sakrales und rituelles Symbol – viel später auch als Kriegsgerät. Vielleicht auch mal als archaischer LKW für den Handel mit begehrten Metallen in der beginnenden Kupferzeit. Aber immer wieder zunächst auch als Prestige-Objekt und Prunkwagen mächtiger lokaler Herrscher oder reicher Händler. Denn das Fahrzeug als Statussymbol ist keine neue Idee. Der Mythos der Mobilität reichte sogar über das Leben hinaus. Bedeutende Persönlichkeiten wurden ab 3.100 vor unserer Zeitrechnung mit ganzen Wägen begraben. Das war, als wenn man heute seinen Porsche mit ins Grab nähme, bemerkt lächelnd der finnische Historiker und Linguist Asko Perpola.

ZUSPIELUNG Wort 5 (Asko Perpola, // engl. mit männl. OV)

Usually the graves exhibit the status of the dead person. So if he was a Das Grab spiegelte den Status des Toten. War er ein mächtiger Mann, wurde er reich begraben. Und da das Gefährt ein Zeichen von Macht und Wohlstand war, kam es mit ins Grab. Und dazu kam die symbolische Bedeutung. Besonders 1000 Jahre später, als der Streitwagen erfunden wurde. Da mag man sich vorgestellt haben, dass der Tote vielleicht auf dem Wagen zu den Himmels-Göttern fuhr. Dann hätte er ihn für die Reise in die Anderswelt schon mal dabei! …. he would have it.

SPRECHERIN

Weil außer den Grabfunden und vereinzelten zerbrochenen Rädern wenig der meist hölzernen Gefährte der heutigen Archäologie erhalten blieben, sind die materiellen Belege für die erste Erfindung des Wagens und seine folgende Verbreitung nur dünn gesät. In der Erforschung der frühen Vergangenheit etablierte sich aber eine ganz eigene Richtung – die historische Paläo-Linguistik. Sie untersucht die Wortstämme von Sprachen und kann so ermitteln, wie sich Begriffe und Worte in früheren Zeiten verbreitet haben.

SPRECHER

Weil die Erfinder eines Gegenstands ihm oft auch einen Namen geben, und dieser Begriff in der Regel von Nachahmern übernommen wird, kann man an der Verwendung des Ursprungs-Wortes oft erkennen, wo der Gegenstand originär herstammt. In vielen Kulturen werden bis heute indo-europäische Worte für Wägen und ihre Bauteile benutzt. Diese entstammen einer Sprache, die sich vor 5.000 Jahren in der HEUTIGEN Ukraine durchsetzte, als die indo-europäischen Normaden mit den friedlichen alt-europäischen Kulturen kooperierten. Für den Linguisten Harald Haarmann ein weiterer Beleg, wo der Wagen ursprünglich herkam. Und der Sprach-Archäologe zeigt an einem skurrilen Beispiel, dass sich über die linguistische Spurensuche sogar Erkenntnisse über die ursprünglich ausschließlich friedliche Nutzung der frühen Gefährte gewinnen lassen.

ZUSPIELUNG Wort 6 (Harald Haarmann)

Der Wortschatz für den Wagenbau, der hat sich auch im Alt-Europäischen entwickelt, da sind Lehnwörter im Altgriechischen erhalten. ‚Satty Mai‘ ist der Ausdruck für einen zweirädrigen Wagen speziell für Frauen. Mit dem Wagen wurde die Braut zum Ort der Hochzeit gefahren: Friedlicher kann man es nicht kaum vorstellen. Und die Griechen in der Antike haben das dann auch aufgegriffen: Die Hochzeits-Kutsche! Die Idee ist uralt und die Erfindung ist uralt. Also mindestens seit über 5000 Jahren gibt es eine Hochzeits-Kutsche.

SPRECHERIN

Tatsächlich scheinen in den frühen Kulturen der Kupfer-, Bronze- und Eisenzeit die einfachen, schwer lenkbaren Kastenwägen den Ansprüchen lange genügt zu haben. Ständige kleine Innovationen, wie die Erfindung des Speichenrads, machten die großen vierrädrigen doppelachsigen Wägen immer stabiler und belastbarer. Doch es sollte noch weitere 1.000 Jahre dauern, bis – wohl ebenfalls fast zeitgleich in Ost-Europa, in den Steppenkulturen am Ural und in Mesopotamien – nach der Domestizierung des Pferdes der beweglich, lenkbare und für damals unglaublich schnelle zweirädrige Streitwagen erfunden wurde. Dann hatte es mit der friedlichen Nutzung der Erfindung bald ein Ende.

Musik 8

"The Blinding Sun" - Album: Babel - Komponist: Gustavo Santaolalla - Länge: 0'58

SPRECHER

Der Streitwagen sollte ab 2.100 vor Christus – wahrscheinlich ausgehend von der Sintaschta-Kultur am Ural – eine völlig andere Kriegsführung etablieren, die sich schnell verbreitete. Er wird zum Fahrzeug der Krieger-Eliten, Herrschaft wird militarisiert. Streitwagen-Armeen wurden aufgestellt, fahrbares Kriegsgerät in großer Menge produziert. In Indien rekrutierte man Söldner-Truppen mit Streitwägen aus Vorderasien, die sich bald auf dem Subkontinent festsetzten und eigene Reiche bildeten. In China führte der Besitz des neuen Kriegsgeräts zum Dynastie-Wechsel. Lokal begann so etwas wie ein früher Rüstungswettlauf. Im Nahen Osten entstanden und vergingen Großreiche. Und in gigantischen Schlachten stießen erstmals mächtige Armeen hochgerüstet aufeinander, erzählt der Historiker und Linguist Harald Haarmann.

ZUSPIELUNG Wort 7 (Harald Haarmann)

Der Streitwagen hat eine entsprechende Revolution in der Waffentechnik ausgelöst. Die frühen Gruppen, die den Streitwagen verwendet haben und eingesetzt haben, haben wohl erkannt, dass wenn sie die einsetzen können, dann haben Sie Vorteile. Und das waren die Mitanni, Indo-Europäer im Nahen Osten, und die haben sich im Nu ein regionales Reich aufgebaut. Und das waren dann die Indo-Europäer in Kleinasien und diejenigen, die nach Nordwest-Indien eingewandert sind. Genauso im Nahem Osten wurde das bald aufgegriffen. Und dann waren die Ägypter in der Lage, Krieg zu führen mit den Hethitern. Das waren ja Großmächte. Bei der Schlacht von Kadesch 1274 vor unserer Zeitrechnung, da müssen zwischen vier- und fünftausend Streitwagen im Einsatz gewesen sein. Also richtig eine Armada, die dann bei Kämpfen direkt aufeinandergetroffen sind. Das war also die erste große Schlacht.

SPRECHER

Der frühe Rüstungswahn auf Rädern nahm dann teils skurrile Züge an. So wurde das legendäre Trojanische Pferd mit verborgenen Kämpfern in seinem Bauch auf Rädern in die jahrelang belagerte Stadt gerollt und besiegelte den Untergang Trojas. Ebenso sollten in den antiken Kriegen riesige Rammböcke auf Rädern Stadttore brechen. Und gigantische bis zu 40 Meter hohe Belagerungstürme auf Rädern halfen Angreifern städtische Schutzmauern zu überwinden. Das Rad war zum unverzichtbaren Werkzeug der Kriegsführung geworden. Um seine Nutzung rankten sich Heldengeschichten und Mythen.

Musik 9

"Titel 07" - Komponist: Ernst Reijseger - Album: Gazing point - Länge: 0'12

SPRECHERIN

Die immense mythische und sakrale Bedeutung des Wagens drückte sich auch darin aus, dass das Gefährt – vom griechischen Gott Dyonisos an den Himmel gehoben – zum Sternbild wurde.

Musik 9

"Shabaka" - Album: Music of Ancient Egypt - Komponist: Michael Atherton - Länge: 0'38

SPRECHERIN

Die Faszination des drehenden Runds aber reichte noch weiter zurück. In der chinesischen Tradition gab es die Vorstellung des Weltenrads schon lange bevor im Reich der Mitte Wägen fuhren. In Europas Norden entstand 1.400 vor Christus der ‚Sonnenwagen von Trundholm‘ – einer bronzenen Scheibe, die von zwei Pferden über den Himmel gezogen wurde. So wurde das Rätsel des leuchtenden Sonnen-Sterns erklärt, der täglich über das Fundament zog. Bei den alten Griechen war Helios als Sonnengott der Wagenlenker. Auch andere Weltreligionen kannten das Bild seit Urzeiten, berichtet die Prähistorikerin Carola Metzner-Nebelsick von der Universität München … (LMU)

ZUSPIELUNG Wort 8 (Carola Metzner-Nebelsick)

Also ich denke da an den vedischen Hinduismus, das Epos des Rigveda. Dort wissen wir beispielsweise, dass die Sonne durch den Gott Suriya symbolisiert wurde, und der wird auf einem Streitwagen fahrend, von mehreren Pferden gezogen, visualisiert. Auch der griechische Gott Helios, der Sonnen-Gott fährt mit einem von 4 Pferden gezogenen Wagen über das Firmament. Rad-Symbole sind gleichermaßen auch religiöse Symbole, das geht so ein bisschen einher auch mit der Symbolik der Sonne, die man zumindest hier in Mitteleuropa durch Räder symbolisiert begreift.

Musik 10

Titel 08 - Album: The Garden of Mirrors - Komponist und Ausführender:

Stephan Micus - Länge 0'33

SPRECHERIN

Es ist ein komplexes Gebilde aus Gedanken, Geschichten und Objekten, dass sich seit vielleicht siebentausend Jahren um das Rad und den Wagen rankt. Kaum eine andere Erfindung in der Geschichte der Menschheit hat eine so lange Geschichte fortlaufender Innovationen und Folgen. Denn aus dem Rad entstand über die Zeiten nicht nur eine Millionen Kilometer umfassende Infrastruktur aus Straßen und Gleisen, sondern auch globaler Verkehr und Handel, Kulturaustausch und globales Reisen.

Musik 11

Titel: "Futile Arad Search" - Ausführender: Muslimgauze - Album: Blue Mosque - Komponist: Bryn Jones - Länge: 0'43

SPRECHER

Die Erfindung führte auch zu ganzen Zeitaltern, die von rad- und zahnrad-betriebenen Maschinen geprägt waren, zur Energiegewinnung mit Wind- und Wasserrädern, zur Taktung der Zeit über Zahnräder in Uhren. Und ließen – gerade in den letzten hundert Jahren – aus einer urzeitlichen Erfindung eine hoch-industrialisierte Weltgesellschaft entstehen, deren zentrales Merkmal eine nie dagewesene Mobilität ist und bleibt, so der Radforscher, Autorad-Entwickler und Autor Norbert Oberschmidt …

ZUSPIELUNG Wort 9 (Norbert Oberschmidt)

Alles, was rollbar gemacht werden wollte, hat man rollbar gemacht. Die Bedeutung des Rates ist unbestritten einer der wichtigsten Erfindungen der Menschheit. Was muss das für ein Gefühl gewesen sein, dieses Ziehen und Reiben durch einen Rollen ersetzen zu können? Und dieser Effekt, der ist wohl der markante für das Rad überhaupt: Reibung ist ja immer eine unschöne Sache. Rollen ist eine ‚runde Sache‘. So wie das Rad eben rund ist!

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Burmeister, Stefan: Der Mensch lernt fahren – zur Frühgeschichte des Wagens, Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien (MAGW), Band 142, 2012, S. 81-100

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Kaiser, Elke: Die frühen Räderfahrzeuge im nordpontischen Raum. Die archäologische Überlieferung und das protoindoeuropäische Wagenvokabular. Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte 43, 2022, 13–25

Kaiser, Elke: Räderfahrzeuge in der frühen Bronzezeit Osteuropas. In: B. Nessel, D. Neumann, M. Bartelheim (Hrsg.), Bronzezeitlicher Transport. Akteure, Mittel und Wege. Ressourcenkultur 8 (Tübingen 2018) 139–165.

Metzner-Nebelsick, Carola: Charriots and Horses in the Carpathian Lands during the Bronze Age, Published in: B. Baragli, A. Dietz, Zs. J. Földi, P. Heindl, P. Lohmann and S. P. Schlüter (eds.), Distant Worlds and Beyond. Distant Worlds Journal Special Issue 3, Heidelberg, Propylaeum 2021, 111–131. DOI: https://doi.org/10.11588/propylaeum.886.c11954

Parpola, Asko: Proto-Indo-European Speakers of the Late Tripolye Culture as the Inventors of Wheeled Vehicles: Linguistic and archaeological considerations of the PIE homeland problem. Pp. 1-59 in: Karlene Jones-Bley (eds.), Proceedings of the Nineteenth Annual UCLA Indo-European Conference, November 2-3, 2007. (Journal of Indo-European Studies Monograph 54.) Washington, D.C.: Institute for the Study of Man, 2008

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Und der Eindruck wird sich tief in sein steinzeitliches Bewusstsein eingeprägt haben. Denn die Erfindung von Rad und Wagen – das wissen wir heute – war eine höchst ungewöhnliche und bis heute täglich wirksame Erfindung. In dem Zeitalter, das wir gewöhnlich die ‚Graue Vorzeit‘ nennen – dem Neolithikum oder der Jungsteinzeit, in dem sich der Übergang von Jäger- und Sammlerkulturen zu Hirten- und Bauernkulturen vollzog. Über Jahrzehntausende war der Mensch zu Fuß gelaufen. Und plötzlich begann er zu fahren! Der Archäologe Stefan Burmeister versucht sich auszumalen, wie groß damals das Staunen gewesen sein mag.

ZUSPIELUNG Wort 1 (Stefan Burmeister)

Man muss sich vorstellen, wie der Mensch sich bis dahin selbst fortbewegt hat. Also eben immer nur auf seinen eigenen Füßen. Mit dem Wagen taucht plötzlich eine ganz andere Art von Fortbewegung auf. Man sitzt oder steht über den Dingen und schwebt, auch wenn es vielleicht ein bisschen ruckelig ist. Aber man gleitet ja im Grunde so dahin und muss sich selbst nicht mehr bewegen. Das ist natürlich eine ganz andere Form der Automobilität, die ja schon eher sowas von ‚Erscheinen‘ hat, als von Gehen oder sich fortbewegen.

ZUSPIELUNG Atmo 2 Mischung: (Hupen eines Oldtimers, Stampfen einer Dampf-Lokomotive, Quietschende Reifen eines Sportwagens)

SPRECHER

‚Auto-Mobilität‘ – wer sich das Wort auf der Zunge zergehen lässt, erahnt die Jahrtausende der Kulturentwicklung, die von den rustikalen Konstruktionen der Jungsteinzeit, über elegante Streitwägen der Ägypter und Griechen, herrschaftlich kaiserliche Prunkkarossen, Planwägen im Wilden Westen, verspielte Hochzeitskutschen, erste Automobile, mächtige Lokomotiven bis hin zum hochgezüchteten Formel-Eins-Rennwagen reichen. Erfindungen, die die Welt zum Dorf machten, den globalen Handel begründeten, Geschwindigkeit und Zeitmessung nach sich zogen – und zu dem führten, was heute als privater PKW oder mächtiger 40-Tonner unseren Alltag im 21. Jahrhundert prägt. Doch wie begann das alles? Wo und wann kam die Weltgeschichte ins Rollen?

Musik 3

Titel: "Jd021" - Album: Derrida - Komponist und Ausführender: Ryuichi Sakamoto - Länge: 0'50

SPRECHERIN

Der Blick zum Himmel – zum Rund von Sonne und Mond – hatte den Menschen wohl schon immer gezeigt, dass es mit den über den Himmel ziehenden Kreisen etwas Besonderes auf sich hatte. Auch als mythisches Symbol für den Lauf der Jahreszeiten war der Kreis schon lange ein Begriff, nicht jedoch als bewegliches Rund. Lange Zeit gingen die Historiker davon aus, dass die Idee zum Rad zum ersten Mal in den legendären Reichen im Urstromland aufblitzte, die als Wiege der Zivilisationen galten. Denn im sumerischen ‚Uruk‘ auf dem Gebiet des heutigen Irak hatte man im Grab eines Königs alte Schrifttafeln gefunden, deren Zeichen und Piktogramme bereits 3.400 vor Christus vierrädrige Wagen zeigten – also stolze 5.400 Jahre alt sind. Doch der finnische Paläo-Linguist und Historiker Asko Parpola vermutet einen noch älteren und ganz anderen Ursprungsort des Rades:

ZUSPIELUNG Wort 2 (Asko Parpola /männl. Overvoice)

It has been an accepted theory for a long time that the Sumerians invented wheeled Lange Zeit galten die Sumerer als Erfinder von Rad und Wagen rund 3.400 vor Christus. Aber in den letzten zwei Jahrzehnten hat man in Europa mehr und mehr Funde gemacht, die aus ungefähr der gleichen Zeit stammen. Deshalb wird die ‚sumerische Theorie‘ heute in Frage gestellt. Ich glaube, dass Rad und Wagen im Gebiet der zentralen Ukraine erfunden wurden, nahe der heutigen Stadt Kiew, rund 3.600 Jahre vor Christus oder etwa zu der Zeit. …. in that time scale.

Musik 4

Titel 08 - Album: The Garden of Mirrors - Komponist und Ausführender:

Stephan Micus - Länge 0'46

SPRECHER

Denn in Ost-Europa hat die Archäologie erstaunliches zu Tage befördert: Spuren sogenannter ‚Mega-Sites‘ – riesiger stadtähnlicher Strukturen mit zigtausend Einwohnern, Tausenden von Häusern und Werkstätten schon aus dem fünften vorchristlichen Jahrtausend: Jungsteinzeitliche Großstädte der sogenannten ‚Tripolye-Kultur‘, in denen wunderschön verzierte Terrakotta-Vasen gefunden wurden, für die schon das Töpferrad erfunden worden sein musste - bei der das erste Mal das Prinzip der Drehung angewendet wurde. Zeugnisse einer noch umstrittenen ‚alt-europäischen Hochkultur‘, in denen man zwar noch keine Wägen, aber entsprechende tönerne Spielzeuge gefunden hat, erzählt Elke Kaiser, Professorin für Archäologie an der Freien Universität Berlin:

ZUSPIELUNG Wort 3 (Elke Kaiser, 0:40)

Und dort haben wir schon Mitte des vierten Jahrtausends vor Christi Geburt Hinweise in Form von so kleinen Tierchen aus Ton, die durchlochte Beine haben. In der Nähe sind dann auch Ton-Räder gefunden worden. Und man nimmt an eben, dass in diesen horizontal durchlochten Beinen dieser Tierfiguren dann wahrscheinlich ein Hölzchen gesteckt hat, quasi wie eine Achse und auf beiden Seiten dann Räder befestigt waren. Das sind keine richtigen Wagen, aber spielzeug-ähnliche Figuren, die von den Menschen damals irgendwie bei irgendwelchen Ritualen benutzt worden sind.

SPRECHERIN

Spielzeuge, die natürlich darauf schließen lassen, dass solche Dinge schon im praktischen Gebrauch waren, bevor Kinder damit symbolisch hantierten. Richtige Räder und Wägen fand man aber nicht. Solche großen archäologischen Fundstücke gibt es erst aus osteuropäischen Gräbern, die ein paar Hundert Jahre später datieren, rund 3.100 vor Christus. Und jüngste Ausgrabungen haben aus etwa der gleichen Zeit Rad- und Spurenfunde aus ganz verschiedenen Regionen und Kulturen von der Nordsee bis zum Hindukush zu Tage gebracht.

Musik 5

"Part 1 - Resonating Stone, Shakuhachi" - Album: Music Of Stones - Komponist und Ausführender: Stephan Micus - Länge: 1`18

SPRECHER

So fanden sich in Norddeutschland 3.450 Jahre alte Räderspuren aus der bäuerlichen ‚Trichterbecher‘-Kultur, an Schweizer Bergseen zerbrochene Vollholz-Räder, deren Gebrauch der ‚Ötzi‘ erlebt haben mag, etwas später ganze Holzwägen als Grabbeilagen im Ural und am Schwarzen Meer, sowie Wagenreste am Persischen Golf und im Gebiet des heutigen Pakistan. Archäologen standen vor einem Rätsel, wieso scheinbar fast gleichzeitig an so weit voneinander entfernten Orten in völlig unterschiedlichen Kulturen die gleiche Innovation auftauchte. Waren es gleichzeitige Entdeckungen, waren es frühe Handelskontakte, oder gab es Ideenexport durch wandernde Handwerker? Wie in einem Puzzle versuchen heute die Altertums-Forscher den Ort und die Verbreitung der Erfindung zu rekonstruieren. Theorien gibt es so manche, Beweise wenige.

Musik 6

Titel 08 - Album: The Garden of Mirrors - Komponist und Ausführender:

Stephan Micus - Länge 0'33

SPRECHERIN

Doch so manches spricht dafür, dass tatsächlich im Zusammentreffen der mehr als 6.000 Jahre alten und handwerklich wohl hochentwickelten ukrainischen Tripolye-Kultur und migrierenden Steppen-Nomaden aus dem Osten sich der kreative Impuls formte, mit dem Wagen etwas ganz Neues zu probieren. Denn dafür bestand vielerlei Bedarf: In den frühen osteuropäischen Städten für den Transport von Getreide und Material, bei den Steppen-Nomaden und Viehhirten für Handelsgüter und Material-Transport. Der Linguist und Historiker Harald Haarmann ist aber davon überzeugt, dass es eine Kultur des Friedens und der Kooperation brauchte, um eine so weltverändernde Innovation erst möglich zu machen.

ZUSPIELUNG Wort 4 (Harald Haarmann)

In Europa sind die Funde deutlich älter. Das Töpfer-Rad ist erfunden worden vor Rad und Wagen. Also die primäre, die Verwirklichung der Idee des Rades für praktische Zwecke hängt zusammen mit der Arbeit in der Töpfer-Werkstatt und das war das Töpferrad. Und dann sekundär kam man natürlich schnell drauf nachzudenken, wie man das umsetzen kann für Transportmöglichkeiten. Das technische Know How und die Möglichkeiten, da weiterzukommen, die lagen bei den Alt-Europäern. Die ‚Tripolya-Kultur‘ oder ‚Tripoli‘, wie man sie Russisch auch nennt, war der östliche Ausläufer dieses Komplexes Alt-Europas oder der ‚Donau Zivilisation‘. Und diese Großstädte waren für die Hirten-Nomaden weiter im Osten interessant, denn mit diesen Leuten standen sie in regen Handelsbeziehungen. Rad und Wagen sind erfunden worden, so wie ich das sehe, in friedlicher Kooperation: In interkultureller Kooperation unter Einbringung von Ressourcen und Know-How von beiden Seiten - da konnte es gelingen, so eine wichtige Erfindung zu machen.

SPRECHERIN

Von der wohl matriarchalen und sehr egalitären - Donau-Kultur wird angenommen, dass sie 6 bis 4.000 vor Christus gut zwei Jahrtausende ohne Krieg und soziale Hierachien auskam – perfekte Voraussetzung für Kreativität und neue Ideen, glaubt Harald Haarmann. Zur Erfindung des Rades kam es, als die kreativen Siedler auf Nomaden stießen, die Hartholz als Ressource mitbrachten. Er ist überzeugt, dass die bahnbrechende Erfindung sich von dort durch wandernde Handwerker und Händler schnell in alle Richtungen verbreitete. Vielleicht nicht mit den klobigen, ohne bewegliche Vorderachse auf Wanderpfaden kaum lenkbaren Wägen. Dafür waren die ersten leicht brechbaren Vollholz-Räder nicht geschaffen. Aber zu Fuß als wandernde Handwerker und Ideenträger der Rad-Erfindung. Und so mag es kaum 100 oder 200 Jahre gedauert haben, bis die Idee des Wagens bis nach Sibirien und Mesopotamien, nach Persien, Pakistan und China reichte.

Musik 7

Titel o3 - Album: The Garden of Mirrors - Komponist und Ausführender:

Stephan Micus - Länge: 1'02

SPRECHER

Vor Ort mögen die einfachen Kastenwägen vielerlei Funktionen erfüllt haben: Als lokales Transportmittel für Laubheu und Ernten, als Planwagen für Nomaden und Viehzüchter, als sakrales und rituelles Symbol – viel später auch als Kriegsgerät. Vielleicht auch mal als archaischer LKW für den Handel mit begehrten Metallen in der beginnenden Kupferzeit. Aber immer wieder zunächst auch als Prestige-Objekt und Prunkwagen mächtiger lokaler Herrscher oder reicher Händler. Denn das Fahrzeug als Statussymbol ist keine neue Idee. Der Mythos der Mobilität reichte sogar über das Leben hinaus. Bedeutende Persönlichkeiten wurden ab 3.100 vor unserer Zeitrechnung mit ganzen Wägen begraben. Das war, als wenn man heute seinen Porsche mit ins Grab nähme, bemerkt lächelnd der finnische Historiker und Linguist Asko Perpola.

ZUSPIELUNG Wort 5 (Asko Perpola, // engl. mit männl. OV)

Usually the graves exhibit the status of the dead person. So if he was a Das Grab spiegelte den Status des Toten. War er ein mächtiger Mann, wurde er reich begraben. Und da das Gefährt ein Zeichen von Macht und Wohlstand war, kam es mit ins Grab. Und dazu kam die symbolische Bedeutung. Besonders 1000 Jahre später, als der Streitwagen erfunden wurde. Da mag man sich vorgestellt haben, dass der Tote vielleicht auf dem Wagen zu den Himmels-Göttern fuhr. Dann hätte er ihn für die Reise in die Anderswelt schon mal dabei! …. he would have it.

SPRECHERIN

Weil außer den Grabfunden und vereinzelten zerbrochenen Rädern wenig der meist hölzernen Gefährte der heutigen Archäologie erhalten blieben, sind die materiellen Belege für die erste Erfindung des Wagens und seine folgende Verbreitung nur dünn gesät. In der Erforschung der frühen Vergangenheit etablierte sich aber eine ganz eigene Richtung – die historische Paläo-Linguistik. Sie untersucht die Wortstämme von Sprachen und kann so ermitteln, wie sich Begriffe und Worte in früheren Zeiten verbreitet haben.

SPRECHER

Weil die Erfinder eines Gegenstands ihm oft auch einen Namen geben, und dieser Begriff in der Regel von Nachahmern übernommen wird, kann man an der Verwendung des Ursprungs-Wortes oft erkennen, wo der Gegenstand originär herstammt. In vielen Kulturen werden bis heute indo-europäische Worte für Wägen und ihre Bauteile benutzt. Diese entstammen einer Sprache, die sich vor 5.000 Jahren in der HEUTIGEN Ukraine durchsetzte, als die indo-europäischen Normaden mit den friedlichen alt-europäischen Kulturen kooperierten. Für den Linguisten Harald Haarmann ein weiterer Beleg, wo der Wagen ursprünglich herkam. Und der Sprach-Archäologe zeigt an einem skurrilen Beispiel, dass sich über die linguistische Spurensuche sogar Erkenntnisse über die ursprünglich ausschließlich friedliche Nutzung der frühen Gefährte gewinnen lassen.

ZUSPIELUNG Wort 6 (Harald Haarmann)

Der Wortschatz für den Wagenbau, der hat sich auch im Alt-Europäischen entwickelt, da sind Lehnwörter im Altgriechischen erhalten. ‚Satty Mai‘ ist der Ausdruck für einen zweirädrigen Wagen speziell für Frauen. Mit dem Wagen wurde die Braut zum Ort der Hochzeit gefahren: Friedlicher kann man es nicht kaum vorstellen. Und die Griechen in der Antike haben das dann auch aufgegriffen: Die Hochzeits-Kutsche! Die Idee ist uralt und die Erfindung ist uralt. Also mindestens seit über 5000 Jahren gibt es eine Hochzeits-Kutsche.

SPRECHERIN

Tatsächlich scheinen in den frühen Kulturen der Kupfer-, Bronze- und Eisenzeit die einfachen, schwer lenkbaren Kastenwägen den Ansprüchen lange genügt zu haben. Ständige kleine Innovationen, wie die Erfindung des Speichenrads, machten die großen vierrädrigen doppelachsigen Wägen immer stabiler und belastbarer. Doch es sollte noch weitere 1.000 Jahre dauern, bis – wohl ebenfalls fast zeitgleich in Ost-Europa, in den Steppenkulturen am Ural und in Mesopotamien – nach der Domestizierung des Pferdes der beweglich, lenkbare und für damals unglaublich schnelle zweirädrige Streitwagen erfunden wurde. Dann hatte es mit der friedlichen Nutzung der Erfindung bald ein Ende.

Musik 8

"The Blinding Sun" - Album: Babel - Komponist: Gustavo Santaolalla - Länge: 0'58

SPRECHER

Der Streitwagen sollte ab 2.100 vor Christus – wahrscheinlich ausgehend von der Sintaschta-Kultur am Ural – eine völlig andere Kriegsführung etablieren, die sich schnell verbreitete. Er wird zum Fahrzeug der Krieger-Eliten, Herrschaft wird militarisiert. Streitwagen-Armeen wurden aufgestellt, fahrbares Kriegsgerät in großer Menge produziert. In Indien rekrutierte man Söldner-Truppen mit Streitwägen aus Vorderasien, die sich bald auf dem Subkontinent festsetzten und eigene Reiche bildeten. In China führte der Besitz des neuen Kriegsgeräts zum Dynastie-Wechsel. Lokal begann so etwas wie ein früher Rüstungswettlauf. Im Nahen Osten entstanden und vergingen Großreiche. Und in gigantischen Schlachten stießen erstmals mächtige Armeen hochgerüstet aufeinander, erzählt der Historiker und Linguist Harald Haarmann.

ZUSPIELUNG Wort 7 (Harald Haarmann)

Der Streitwagen hat eine entsprechende Revolution in der Waffentechnik ausgelöst. Die frühen Gruppen, die den Streitwagen verwendet haben und eingesetzt haben, haben wohl erkannt, dass wenn sie die einsetzen können, dann haben Sie Vorteile. Und das waren die Mitanni, Indo-Europäer im Nahen Osten, und die haben sich im Nu ein regionales Reich aufgebaut. Und das waren dann die Indo-Europäer in Kleinasien und diejenigen, die nach Nordwest-Indien eingewandert sind. Genauso im Nahem Osten wurde das bald aufgegriffen. Und dann waren die Ägypter in der Lage, Krieg zu führen mit den Hethitern. Das waren ja Großmächte. Bei der Schlacht von Kadesch 1274 vor unserer Zeitrechnung, da müssen zwischen vier- und fünftausend Streitwagen im Einsatz gewesen sein. Also richtig eine Armada, die dann bei Kämpfen direkt aufeinandergetroffen sind. Das war also die erste große Schlacht.

SPRECHER

Der frühe Rüstungswahn auf Rädern nahm dann teils skurrile Züge an. So wurde das legendäre Trojanische Pferd mit verborgenen Kämpfern in seinem Bauch auf Rädern in die jahrelang belagerte Stadt gerollt und besiegelte den Untergang Trojas. Ebenso sollten in den antiken Kriegen riesige Rammböcke auf Rädern Stadttore brechen. Und gigantische bis zu 40 Meter hohe Belagerungstürme auf Rädern halfen Angreifern städtische Schutzmauern zu überwinden. Das Rad war zum unverzichtbaren Werkzeug der Kriegsführung geworden. Um seine Nutzung rankten sich Heldengeschichten und Mythen.

Musik 9

"Titel 07" - Komponist: Ernst Reijseger - Album: Gazing point - Länge: 0'12

SPRECHERIN

Die immense mythische und sakrale Bedeutung des Wagens drückte sich auch darin aus, dass das Gefährt – vom griechischen Gott Dyonisos an den Himmel gehoben – zum Sternbild wurde.

Musik 9

"Shabaka" - Album: Music of Ancient Egypt - Komponist: Michael Atherton - Länge: 0'38

SPRECHERIN

Die Faszination des drehenden Runds aber reichte noch weiter zurück. In der chinesischen Tradition gab es die Vorstellung des Weltenrads schon lange bevor im Reich der Mitte Wägen fuhren. In Europas Norden entstand 1.400 vor Christus der ‚Sonnenwagen von Trundholm‘ – einer bronzenen Scheibe, die von zwei Pferden über den Himmel gezogen wurde. So wurde das Rätsel des leuchtenden Sonnen-Sterns erklärt, der täglich über das Fundament zog. Bei den alten Griechen war Helios als Sonnengott der Wagenlenker. Auch andere Weltreligionen kannten das Bild seit Urzeiten, berichtet die Prähistorikerin Carola Metzner-Nebelsick von der Universität München … (LMU)

ZUSPIELUNG Wort 8 (Carola Metzner-Nebelsick)

Also ich denke da an den vedischen Hinduismus, das Epos des Rigveda. Dort wissen wir beispielsweise, dass die Sonne durch den Gott Suriya symbolisiert wurde, und der wird auf einem Streitwagen fahrend, von mehreren Pferden gezogen, visualisiert. Auch der griechische Gott Helios, der Sonnen-Gott fährt mit einem von 4 Pferden gezogenen Wagen über das Firmament. Rad-Symbole sind gleichermaßen auch religiöse Symbole, das geht so ein bisschen einher auch mit der Symbolik der Sonne, die man zumindest hier in Mitteleuropa durch Räder symbolisiert begreift.

Musik 10

Titel 08 - Album: The Garden of Mirrors - Komponist und Ausführender:

Stephan Micus - Länge 0'33

SPRECHERIN

Es ist ein komplexes Gebilde aus Gedanken, Geschichten und Objekten, dass sich seit vielleicht siebentausend Jahren um das Rad und den Wagen rankt. Kaum eine andere Erfindung in der Geschichte der Menschheit hat eine so lange Geschichte fortlaufender Innovationen und Folgen. Denn aus dem Rad entstand über die Zeiten nicht nur eine Millionen Kilometer umfassende Infrastruktur aus Straßen und Gleisen, sondern auch globaler Verkehr und Handel, Kulturaustausch und globales Reisen.

Musik 11

Titel: "Futile Arad Search" - Ausführender: Muslimgauze - Album: Blue Mosque - Komponist: Bryn Jones - Länge: 0'43

SPRECHER

Die Erfindung führte auch zu ganzen Zeitaltern, die von rad- und zahnrad-betriebenen Maschinen geprägt waren, zur Energiegewinnung mit Wind- und Wasserrädern, zur Taktung der Zeit über Zahnräder in Uhren. Und ließen – gerade in den letzten hundert Jahren – aus einer urzeitlichen Erfindung eine hoch-industrialisierte Weltgesellschaft entstehen, deren zentrales Merkmal eine nie dagewesene Mobilität ist und bleibt, so der Radforscher, Autorad-Entwickler und Autor Norbert Oberschmidt …

ZUSPIELUNG Wort 9 (Norbert Oberschmidt)

Alles, was rollbar gemacht werden wollte, hat man rollbar gemacht. Die Bedeutung des Rates ist unbestritten einer der wichtigsten Erfindungen der Menschheit. Was muss das für ein Gefühl gewesen sein, dieses Ziehen und Reiben durch einen Rollen ersetzen zu können? Und dieser Effekt, der ist wohl der markante für das Rad überhaupt: Reibung ist ja immer eine unschöne Sache. Rollen ist eine ‚runde Sache‘. So wie das Rad eben rund ist!

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