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Das Paradies - Auf der Suche nach dem Guten

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Sehnsuchtsort Paradies - Die Religionen beschreiben das Paradies als einen Ort, wo Überfluss und Reichtum herrschen und es keine Gewalt gibt. Das Paradies ist ein Gegenentwurf zum Leben im Hier und Jetzt. (BR 2020)

Autor/in dieser Folge: Barbara Schneider
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Katja Amberger, Christian Baumann, Andreas Neumann
Technik: Michael Krogmann
Redaktion: Bernhard Kastner

Im Interview:

Bernhard Lang, Theologe und Religionswissenschaftler
Daria Pezzoli-Olgiati, Professorin für Religionswissenschaften

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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

Zitator

Die Menschen „lebten wie Götter und hatten das Herz ohne Kummer, ohne Plagen und Jammer. Sogar das klägliche Alter nahte nicht, sondern immer an Füßen und Händen sich gleichend, freuten sie sich am üppigen Mahl und kannten kein Unheil. Wie vom Schlaf überwältigt, starben sie; alles Erwünschte war ihnen eigen.“ (Hesiod)

MUSIK kurz hoch

Sprecherin

Rund 700 Jahre vor Christus skizziert der Dichter Hesiod, der als Bauer in Griechenland gelebt hat, den Mythos einer vollkommenen, glücklichen Zeit.

In seinem Lehrgedicht „Werke und Tage“ nennt er diese Zeit das ‚Goldene Zeitalter‘ und meint damit eine perfekte Urwelt, die er ganz zu Anfang der Menschheitsgeschichte verortet. Diesen idealen Urzustand gibt es nicht mehr.

MUSIK 2: James Horner: „Betrayed“

Nach und nach hat sich die Welt vom Guten zum Schlechten gewandelt, auf das Goldene Zeitalter folgten weitere Zeitalter, in denen das Leben für die Menschen immer mühsamer wird und nach und nach Gewalt und Krieg in die Welt kommen. Nunmehr, so sieht es Hesiod, lebt der Mensch im ‚eisernen Zeitalter‘, wo Gewalt herrscht, Recht gebrochen wird, die Menschen körperlich schwer arbeiten müssen und der Alltag von Sorgen begleitet ist. Den Menschen bleibt nur die Hoffnung, dass irgendwann das Goldene Zeitalter zurückkehrt.

Sprecher

Der Mythos vom Goldenen Zeitalter, wie ihn Hesiod aufschrieb, findet weite Verbreitung in der Antike. Andere Schriftsteller greifen diese Vorstellung auf. Aber nicht nur in der antiken Mythologie gibt es die Idee einer vollkommenen, glücklichen, ja paradiesischen Zeit, sagt der katholische Theologe und Religionswissenschaftler Bernhard Lang:

1 OT Bernhard Lang

Eigentlich findet man in sehr vielen Kulturen Vorstellungen von einer idealen Urzeit, von einem goldenen Zeitalter auf das dann ein langsamer Abfall folgt, der dann schließlich in der Gegenwart, im eisernen Zeitalter, endet, also in unserer relativ schlechten Zeit. Und man sehnt sich auf eine große Zeitenwende, die die ganze Geschichte wieder an den Anfang, in das Goldene Zeitalter zurückführt.

Sprecher

Die Weltliteratur kennt zahlreiche und unterschiedliche Geschichten von einer idealen Urzeit. Von Orten, an denen Frieden und Harmonie zwischen Gott beziehungsweise Göttern und den Menschen herrscht. Die wohl berühmteste Erzählung findet sich am Anfang der Bibel.

MUSIK 3 Marcus H. Rosenmüller: „Amrita und... aus: Sommer in Orange“ + ATMOS Vogelgezwitscher, Löwe, Affe, Gewitter

Sprecherin

‚Garten Eden‘ nennt die Bibel den Ort, den Gott geschaffen hat. Hier kümmert sich Gott um den Menschen. Er pflanzt Bäume an, von deren Früchten sich der Mensch ernährt. Eine Quelle bewässert das Paradies und sorgt dafür, dass in dem Garten alles wächst und gedeiht. Hier lebt der Mensch in einem Urzustand, in dem es keinen Tod gibt.

Atmo Ende

Sprecherin

Der Religionswissenschaftler Bernhard Lang beschreibt das biblische Paradies als ‚Wildpark‘. Dabei verweist er auf die Herkunft des Wortes „Paradies“ aus dem Persischen. In der griechischen Übersetzung der biblischen Paradieserzählung wird dieses Wort zum ersten Mal gebraucht. ‚Paradies‘, sagt der Theologe, bezeichnet einen umfriedeten Park, einen Wildpark, wie man ihn in der Antike im persischen Raum fand. So verwendet es der griechische Schriftsteller Xenophon, der als Heerführer im Dienst des persischen Königs Kyros stand:

2 OT Bernhard Lang

Paradies als Stichwort ist ein persisches Wort, von dort ins Griechische gekommen. Um das Jahr 400 vor Christus hat Xenophon einen solchen Wildpark kurz beschrieben. Er gehört dem König Kyros … dort gibt es große Bäume und vor allem wilde Tiere, die der Herrscher erlegt. Also eine Vorstellung, die mit dem Königtum zu tun hat und die besagt, der König bändigt die Natur. Dieser Wildpark ist gebändigte Wildnis und genau das haben wir in der biblischen Paradies-Erzählung als erste fast unsichtbare Grundlage. Das sehen Sie sehr leicht, wenn Sie bedenken, dass Adam, kaum ist er geschaffen, den Tieren vorgestellt wird oder die Tiere ihm und er Namen gibt.… Die ursprüngliche Gestalt der Paradieserzählung machte Adam zu einem Tierpfleger oder Aufseher eben dieses Jagdparks.

Sprecher

Dieser Park ist ein Ort, an dem der Mensch alles hat, was er zum Überleben braucht.

Sprecherin

Gleichzeitig ist der Urzustand als Wildpark allerdings nur eine Dimension dessen, wie die Bibel das Paradies beschreibt. Denn, sagt der Professor für Altes Testament und Religionswissenschaft, Bernhard Lang, die alte Paradieserzählung wurde durch einen Textzusatz erweitert und damit zu einer Erzählung über einen Liebesgarten umgearbeitet:

3 OT Bernhard Lang

Den Ursprung eines Liebesgartens kennen wir nicht. Woher die Idee eigentlich kommt, wissen wir nicht. Aber der Liebesbaum in der Mitte des Paradieses ist bekannt: Baum der Erkenntnis, der Baum der Liebe, Baum des Liebesspiels. Und gedacht ist hier an eine Pflanze, die die Liebeslust des Paares befördert. Im Hohelied Salomons in der Bibel kommt auch das Wort Paradies, hebräisch Pardes, vor, also ein Fremdwort im Hebräischen. Und dort wird der Körper der Geliebten als ein Paradiesgarten geschildert: „Ein verschlossener Garten ist meine Schwester Braut ein verschlossener Born, ein versiegelter Quell an deinen

Wasserrinnen, ein Granatapfel-Paradies mit köstlichen Früchten, Henna-Dolden samt Narden-Blüten, Narden, Krokus, Gewürze und Zimt“. Alle Weihrauchbäume, also alle Wohlgerüche des Orients sind hier in diesem Garten, der mit dem Leib der Geliebten gleichgesetzt wird, versammelt.

Sprecher

Über die Jahrhunderte hinweg hat diese Erzählung den Theologen Rätsel aufgegeben. Exegeten und Interpreten der Bibel stritten heftig darüber, ob Adam und Eva im Paradies miteinander geschlafen hatten.

Sie entwarfen wilde Theorien davon, wie eine Fortpflanzung ohne Sexualität im Paradies möglich gewesen sein könnte. Für den Theologen Bernhard Lang ist klar: In der Erzählung verbietet Gott den Beischlaf. Dahinter steckt seiner Auffassung nach ein altes mythisches Gedankengut, nach dem die Götter das Geheimnis der Fortpflanzung für sich behalten wollen.

MUSIK 4

Sergio Assad: “L'Alba” aus: Yesterday's Tomorrow M0052797101 (26 Sekunden)

Sprecherin

Adam und Eva ist es strikt verboten, von dem Baum der Erkenntnis zu essen. Dass sich das erste Menschenpaar nicht an dieses Verbot hält und sich vom Widersacher Gottes verführen lässt, hat Konsequenzen. Die Menschen entdecken die sexuelle Lust, gleichzeitig setzt die Übertretung des göttlichen Gesetzes, nicht von dem Baum zu essen, dem Aufenthalt im Paradies ein jähes Ende. Gott wirft das erste Menschenpaar aus dem Paradies.

MUSIK 5 Philip Glass: I. In the summer house

Sprecher

Das Paradies, wie es die Bibel beschreibt, gibt es nicht mehr. Was bleibt ist die Erzählung von einem idealtypischen Ort. Der Garten Eden wird zum perfekten Ort, der im Gegensatz zur Lebenswelt der Menschen steht: Wo die Menschen hart arbeiten müssen, um sich und ihre Sippen zu ernähren. Wo Hungersnot und Dürre den Alltag bestimmen. Und wo sie mit Kriminalität und Gewalt konfrontiert sind.

Das Paradies, wie es beispielsweise die Bibel beschreibt, ist ein perfekter Gegenentwurf zur realen Welt und zu den Erfahrungen des Alltags. Religionswissenschaftler haben für diese Vorstellungen den Begriff ‚Gegenwelten‘ geprägt:

4 OT Pezzoli-Olgiati

Das sind Welten, die man nur durch religiöse Erzählungen oder religiöse Bilder kennenlernen kann, weil sie nicht zur Verfügung stehen für die menschliche Erfahrung. Und ich denke, die Paradiesvorstellungen gehören zu diesen Gegenwelten. Das sind so Entwürfe von Welten, die vermittelt werden, in Religionen durch verschiedene Medien.

Sprecher

Diese Gegenwelten haben eine Funktion. Sie wollen erklären, warum die Welt so ist, wie sie ist, sagt Daria Pezzoli-Olgiati, Professorin für Religionswissenschaften an der LMU München. So gesehen steckt hinter den Gegenweltsentwürfen ein je eigenes Welt-Erklärungsmodell - bei dem ein religiöses Weltbild zum Ausdruck kommt, in dem aber auch die jeweiligen religiösen Grunderfahrungen reflektiert werden:

5 OT Pezzoli-Olgiati

Die Idee: früher war der Menschen in einer ganz anderen Situation, einer idyllischen Situation, im Paradies vor unsere Schöpfung fast. Und da mussten die Menschen gar nichts tun, einfach nur genießen und da sein. Aber aus dem Gründen, die wir meist kennen: Versuchung, Lust mehr zu wissen, Lust mehr zu können, verschwand dieser Zustand und die Menschen lebten dann so, wie wir es kennen. Also diese Mythologien tendieren dazu den Zustand zu erklären als eine

Entwicklung einer irrealistischen und stabilen Zeit zu unserer Zeit, und ich denke, Paradies-Mythologien gehören auch dazu. Sie zeigen auf, dass das Leben, dass das Leben, das wir haben, eigentlich fragil, nicht ganz beherrschbar ist und versuchen, das zu kontrastieren mit Welten, die ganz stabil und wunderbar sind.

Sprecher

Die Welt, in der wir leben, ist fragil und verwundbar. Das ist, wenn man so will, eine menschliche Grunderfahrung mit der sich religiöse Weltbilder auseinandersetzen. Dabei entwerfen sie nicht nur Idealbilder davon, wie die Welt einmal gewesen sein könnte. Viele Kulturen kennen die Zukunftssehnsucht und Hoffnung auf ein Paradies als Ziel- und Endpunkt des Lebens.

Sprecherin

In der Mythologie spielt der perfekte Ort im Jenseits immer wieder eine Rolle. In der griechischen Mythologie stellt man sich das Paradies als einen Ort vor, der fernab von der empirisch erfahrbaren Alltagswelt liegt, sagt Bernhard Lang:

6 OT Bernhard Lang

Das ist die Idee des Elysiums der altägyptischen und griechischen Mythologie, also ein idealer Ort ewigen Frühlings und Sommers, manchmal auch in die Unterwelt verlegt, so in der Aeneis des Vergils, manchmal als ferne Inseln aufgefasst, als Aufenthaltsort der Seligen auch der Toten.

MUSIK 6 James Horner: „First Recognition“ (42 Sek.)

Sprecherin

Die Literaturgeschichte kennt zahlreiche Werke, die diese mythologischen Erzählungen aufgreifen. Wohl das bekannteste Beispiel ist der italienische Dichter Dante Alighieri. Er wählt im Mittelalter, um 1300 nach Christus, Vergils „Aeneis“ als Vorlage für seine „Göttliche Komödie“. In dem Epos durchwandert Dante als Ich-Erzähler zusammen mit seinem Jenseitsführer Vergil die Hölle, er erklimmt den Berg der Läuterung, wo er selbst Buße tun muss, ehe er endlich die Spitze des Berges und den Eingang zum irdischen Paradies erreicht.

.

7 OT Bernhard Lang

Wer dort anlangt, der betritt das irdische Paradies, das dem Elysium der griechischen Mythologie entspricht. Dort wird der Wanderer, das ist Dante selbst und sein Führer Vergil von der Freundin oder Geliebten Dantes empfangen. Hier kommt es also zu einer großen emotionalen Begegnung. Diese Idee des Wiedersehens im Jenseits in einer paradiesischen Landschaft kommt aus der antiken Welt und ist bis heute eben sehr weit verbreitet.


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Autor/in dieser Folge: Barbara Schneider
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Katja Amberger, Christian Baumann, Andreas Neumann
Technik: Michael Krogmann
Redaktion: Bernhard Kastner

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Bernhard Lang, Theologe und Religionswissenschaftler
Daria Pezzoli-Olgiati, Professorin für Religionswissenschaften

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Zitator

Die Menschen „lebten wie Götter und hatten das Herz ohne Kummer, ohne Plagen und Jammer. Sogar das klägliche Alter nahte nicht, sondern immer an Füßen und Händen sich gleichend, freuten sie sich am üppigen Mahl und kannten kein Unheil. Wie vom Schlaf überwältigt, starben sie; alles Erwünschte war ihnen eigen.“ (Hesiod)

MUSIK kurz hoch

Sprecherin

Rund 700 Jahre vor Christus skizziert der Dichter Hesiod, der als Bauer in Griechenland gelebt hat, den Mythos einer vollkommenen, glücklichen Zeit.

In seinem Lehrgedicht „Werke und Tage“ nennt er diese Zeit das ‚Goldene Zeitalter‘ und meint damit eine perfekte Urwelt, die er ganz zu Anfang der Menschheitsgeschichte verortet. Diesen idealen Urzustand gibt es nicht mehr.

MUSIK 2: James Horner: „Betrayed“

Nach und nach hat sich die Welt vom Guten zum Schlechten gewandelt, auf das Goldene Zeitalter folgten weitere Zeitalter, in denen das Leben für die Menschen immer mühsamer wird und nach und nach Gewalt und Krieg in die Welt kommen. Nunmehr, so sieht es Hesiod, lebt der Mensch im ‚eisernen Zeitalter‘, wo Gewalt herrscht, Recht gebrochen wird, die Menschen körperlich schwer arbeiten müssen und der Alltag von Sorgen begleitet ist. Den Menschen bleibt nur die Hoffnung, dass irgendwann das Goldene Zeitalter zurückkehrt.

Sprecher

Der Mythos vom Goldenen Zeitalter, wie ihn Hesiod aufschrieb, findet weite Verbreitung in der Antike. Andere Schriftsteller greifen diese Vorstellung auf. Aber nicht nur in der antiken Mythologie gibt es die Idee einer vollkommenen, glücklichen, ja paradiesischen Zeit, sagt der katholische Theologe und Religionswissenschaftler Bernhard Lang:

1 OT Bernhard Lang

Eigentlich findet man in sehr vielen Kulturen Vorstellungen von einer idealen Urzeit, von einem goldenen Zeitalter auf das dann ein langsamer Abfall folgt, der dann schließlich in der Gegenwart, im eisernen Zeitalter, endet, also in unserer relativ schlechten Zeit. Und man sehnt sich auf eine große Zeitenwende, die die ganze Geschichte wieder an den Anfang, in das Goldene Zeitalter zurückführt.

Sprecher

Die Weltliteratur kennt zahlreiche und unterschiedliche Geschichten von einer idealen Urzeit. Von Orten, an denen Frieden und Harmonie zwischen Gott beziehungsweise Göttern und den Menschen herrscht. Die wohl berühmteste Erzählung findet sich am Anfang der Bibel.

MUSIK 3 Marcus H. Rosenmüller: „Amrita und... aus: Sommer in Orange“ + ATMOS Vogelgezwitscher, Löwe, Affe, Gewitter

Sprecherin

‚Garten Eden‘ nennt die Bibel den Ort, den Gott geschaffen hat. Hier kümmert sich Gott um den Menschen. Er pflanzt Bäume an, von deren Früchten sich der Mensch ernährt. Eine Quelle bewässert das Paradies und sorgt dafür, dass in dem Garten alles wächst und gedeiht. Hier lebt der Mensch in einem Urzustand, in dem es keinen Tod gibt.

Atmo Ende

Sprecherin

Der Religionswissenschaftler Bernhard Lang beschreibt das biblische Paradies als ‚Wildpark‘. Dabei verweist er auf die Herkunft des Wortes „Paradies“ aus dem Persischen. In der griechischen Übersetzung der biblischen Paradieserzählung wird dieses Wort zum ersten Mal gebraucht. ‚Paradies‘, sagt der Theologe, bezeichnet einen umfriedeten Park, einen Wildpark, wie man ihn in der Antike im persischen Raum fand. So verwendet es der griechische Schriftsteller Xenophon, der als Heerführer im Dienst des persischen Königs Kyros stand:

2 OT Bernhard Lang

Paradies als Stichwort ist ein persisches Wort, von dort ins Griechische gekommen. Um das Jahr 400 vor Christus hat Xenophon einen solchen Wildpark kurz beschrieben. Er gehört dem König Kyros … dort gibt es große Bäume und vor allem wilde Tiere, die der Herrscher erlegt. Also eine Vorstellung, die mit dem Königtum zu tun hat und die besagt, der König bändigt die Natur. Dieser Wildpark ist gebändigte Wildnis und genau das haben wir in der biblischen Paradies-Erzählung als erste fast unsichtbare Grundlage. Das sehen Sie sehr leicht, wenn Sie bedenken, dass Adam, kaum ist er geschaffen, den Tieren vorgestellt wird oder die Tiere ihm und er Namen gibt.… Die ursprüngliche Gestalt der Paradieserzählung machte Adam zu einem Tierpfleger oder Aufseher eben dieses Jagdparks.

Sprecher

Dieser Park ist ein Ort, an dem der Mensch alles hat, was er zum Überleben braucht.

Sprecherin

Gleichzeitig ist der Urzustand als Wildpark allerdings nur eine Dimension dessen, wie die Bibel das Paradies beschreibt. Denn, sagt der Professor für Altes Testament und Religionswissenschaft, Bernhard Lang, die alte Paradieserzählung wurde durch einen Textzusatz erweitert und damit zu einer Erzählung über einen Liebesgarten umgearbeitet:

3 OT Bernhard Lang

Den Ursprung eines Liebesgartens kennen wir nicht. Woher die Idee eigentlich kommt, wissen wir nicht. Aber der Liebesbaum in der Mitte des Paradieses ist bekannt: Baum der Erkenntnis, der Baum der Liebe, Baum des Liebesspiels. Und gedacht ist hier an eine Pflanze, die die Liebeslust des Paares befördert. Im Hohelied Salomons in der Bibel kommt auch das Wort Paradies, hebräisch Pardes, vor, also ein Fremdwort im Hebräischen. Und dort wird der Körper der Geliebten als ein Paradiesgarten geschildert: „Ein verschlossener Garten ist meine Schwester Braut ein verschlossener Born, ein versiegelter Quell an deinen

Wasserrinnen, ein Granatapfel-Paradies mit köstlichen Früchten, Henna-Dolden samt Narden-Blüten, Narden, Krokus, Gewürze und Zimt“. Alle Weihrauchbäume, also alle Wohlgerüche des Orients sind hier in diesem Garten, der mit dem Leib der Geliebten gleichgesetzt wird, versammelt.

Sprecher

Über die Jahrhunderte hinweg hat diese Erzählung den Theologen Rätsel aufgegeben. Exegeten und Interpreten der Bibel stritten heftig darüber, ob Adam und Eva im Paradies miteinander geschlafen hatten.

Sie entwarfen wilde Theorien davon, wie eine Fortpflanzung ohne Sexualität im Paradies möglich gewesen sein könnte. Für den Theologen Bernhard Lang ist klar: In der Erzählung verbietet Gott den Beischlaf. Dahinter steckt seiner Auffassung nach ein altes mythisches Gedankengut, nach dem die Götter das Geheimnis der Fortpflanzung für sich behalten wollen.

MUSIK 4

Sergio Assad: “L'Alba” aus: Yesterday's Tomorrow M0052797101 (26 Sekunden)

Sprecherin

Adam und Eva ist es strikt verboten, von dem Baum der Erkenntnis zu essen. Dass sich das erste Menschenpaar nicht an dieses Verbot hält und sich vom Widersacher Gottes verführen lässt, hat Konsequenzen. Die Menschen entdecken die sexuelle Lust, gleichzeitig setzt die Übertretung des göttlichen Gesetzes, nicht von dem Baum zu essen, dem Aufenthalt im Paradies ein jähes Ende. Gott wirft das erste Menschenpaar aus dem Paradies.

MUSIK 5 Philip Glass: I. In the summer house

Sprecher

Das Paradies, wie es die Bibel beschreibt, gibt es nicht mehr. Was bleibt ist die Erzählung von einem idealtypischen Ort. Der Garten Eden wird zum perfekten Ort, der im Gegensatz zur Lebenswelt der Menschen steht: Wo die Menschen hart arbeiten müssen, um sich und ihre Sippen zu ernähren. Wo Hungersnot und Dürre den Alltag bestimmen. Und wo sie mit Kriminalität und Gewalt konfrontiert sind.

Das Paradies, wie es beispielsweise die Bibel beschreibt, ist ein perfekter Gegenentwurf zur realen Welt und zu den Erfahrungen des Alltags. Religionswissenschaftler haben für diese Vorstellungen den Begriff ‚Gegenwelten‘ geprägt:

4 OT Pezzoli-Olgiati

Das sind Welten, die man nur durch religiöse Erzählungen oder religiöse Bilder kennenlernen kann, weil sie nicht zur Verfügung stehen für die menschliche Erfahrung. Und ich denke, die Paradiesvorstellungen gehören zu diesen Gegenwelten. Das sind so Entwürfe von Welten, die vermittelt werden, in Religionen durch verschiedene Medien.

Sprecher

Diese Gegenwelten haben eine Funktion. Sie wollen erklären, warum die Welt so ist, wie sie ist, sagt Daria Pezzoli-Olgiati, Professorin für Religionswissenschaften an der LMU München. So gesehen steckt hinter den Gegenweltsentwürfen ein je eigenes Welt-Erklärungsmodell - bei dem ein religiöses Weltbild zum Ausdruck kommt, in dem aber auch die jeweiligen religiösen Grunderfahrungen reflektiert werden:

5 OT Pezzoli-Olgiati

Die Idee: früher war der Menschen in einer ganz anderen Situation, einer idyllischen Situation, im Paradies vor unsere Schöpfung fast. Und da mussten die Menschen gar nichts tun, einfach nur genießen und da sein. Aber aus dem Gründen, die wir meist kennen: Versuchung, Lust mehr zu wissen, Lust mehr zu können, verschwand dieser Zustand und die Menschen lebten dann so, wie wir es kennen. Also diese Mythologien tendieren dazu den Zustand zu erklären als eine

Entwicklung einer irrealistischen und stabilen Zeit zu unserer Zeit, und ich denke, Paradies-Mythologien gehören auch dazu. Sie zeigen auf, dass das Leben, dass das Leben, das wir haben, eigentlich fragil, nicht ganz beherrschbar ist und versuchen, das zu kontrastieren mit Welten, die ganz stabil und wunderbar sind.

Sprecher

Die Welt, in der wir leben, ist fragil und verwundbar. Das ist, wenn man so will, eine menschliche Grunderfahrung mit der sich religiöse Weltbilder auseinandersetzen. Dabei entwerfen sie nicht nur Idealbilder davon, wie die Welt einmal gewesen sein könnte. Viele Kulturen kennen die Zukunftssehnsucht und Hoffnung auf ein Paradies als Ziel- und Endpunkt des Lebens.

Sprecherin

In der Mythologie spielt der perfekte Ort im Jenseits immer wieder eine Rolle. In der griechischen Mythologie stellt man sich das Paradies als einen Ort vor, der fernab von der empirisch erfahrbaren Alltagswelt liegt, sagt Bernhard Lang:

6 OT Bernhard Lang

Das ist die Idee des Elysiums der altägyptischen und griechischen Mythologie, also ein idealer Ort ewigen Frühlings und Sommers, manchmal auch in die Unterwelt verlegt, so in der Aeneis des Vergils, manchmal als ferne Inseln aufgefasst, als Aufenthaltsort der Seligen auch der Toten.

MUSIK 6 James Horner: „First Recognition“ (42 Sek.)

Sprecherin

Die Literaturgeschichte kennt zahlreiche Werke, die diese mythologischen Erzählungen aufgreifen. Wohl das bekannteste Beispiel ist der italienische Dichter Dante Alighieri. Er wählt im Mittelalter, um 1300 nach Christus, Vergils „Aeneis“ als Vorlage für seine „Göttliche Komödie“. In dem Epos durchwandert Dante als Ich-Erzähler zusammen mit seinem Jenseitsführer Vergil die Hölle, er erklimmt den Berg der Läuterung, wo er selbst Buße tun muss, ehe er endlich die Spitze des Berges und den Eingang zum irdischen Paradies erreicht.

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7 OT Bernhard Lang

Wer dort anlangt, der betritt das irdische Paradies, das dem Elysium der griechischen Mythologie entspricht. Dort wird der Wanderer, das ist Dante selbst und sein Führer Vergil von der Freundin oder Geliebten Dantes empfangen. Hier kommt es also zu einer großen emotionalen Begegnung. Diese Idee des Wiedersehens im Jenseits in einer paradiesischen Landschaft kommt aus der antiken Welt und ist bis heute eben sehr weit verbreitet.


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