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Bayerns SPD in Königreich und Republik - Aufbruch in die Moderne

23:03
 
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Mit Reformen statt mit Revolution wollte die SPD im Königreich Bayern eine demokratische Gesellschaft durchsetzen. Der Erste Weltkrieg führte zur Zerreißprobe. Von Renate Eichmeier

Credits

Autorin dieser Folge: Renate Eichmeier
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Rahel Comtesse, Christian Baumann, Peter Weiß
Technik: Matthieu Belohradsky
Redaktion: Thomas Morawetz

Im Interview:
Prof. Dr. Marita Krauss, Professorin i. R.
Europäische Regionalgeschichte Universität Augsburg

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Bayerische Volkspartei, BVP - Die Extrawurst kommt auf den Grill Ein Freistaat Bayern ohne CSU? Den gab es! Vor dem zweiten Weltkrieg hieß die dominierende Kraft im Land "Bayerische Volkspartei". Sie darf als Vorgänger der CSU gesehen werden, doch es ist ein Erbe mit Licht und Schatten.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

ZITATOR:

Die Bayrische Republik wird hierdurch proklamiert. Die oberste Behörde ist der von der Bevölkerung gewählte Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat, der provisorisch eingesetzt ist, bis eine endgültige Volksvertretung geschaffen werden wird. (…) Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt. Hoch die Republik!

ERZÄHLERIN:

Rote Plakate informierten am Morgen des 8. November 1918 die Menschen in München, dass über Nacht die Monarchie abgeschafft worden war und sie ab sofort in einer Republik lebten. Am Tag vorher hatte eine Gruppe von Revolutionären um Kurt Eisner, den führenden Kopf der sozialdemokratischen Linken, den Landtag besetzt und das Ende der Wittelsbacher Herrschaft erklärt. Es war die Geburtsstunde des Freistaates Bayern. Innerhalb von gut zweieinhalb Jahrzehnten hatte sich die bayerische SPD von der neugegründeten Partei der Arbeiterbewegung zur Wegbereiterin eines demokratischen Bayern entwickelt.

O1 KRAUSS:

Die SPD ist im 19. Jahrhundert entstanden, eigentlich aus dem großen Bedürfnis heraus, die arbeitenden Klassen in irgendeiner Form einzubinden in Politikprozesse, sie rauszuholen aus dem Bereich der Wohlfahrt, mit reinzunehmen in Politikgestaltung.

MUSIK: Detailed look (reduced) 0‘22

ERZÄHLER:

Industrielle Revolution und demokratische Ideen bereiteten im 19. Jahrhundert den Boden für die Moderne. Die Industrialisierung sorgte für radikale Umbrüche und eine neue gesellschaftliche Schicht: Massen von Arbeitern und Arbeiterinnen, die sich zu organisieren begannen und nach politischer Teilhabe strebten. Die Arbeiterbewegung formierte sich auch im Königreich Bayern als soziale und politische Kraft, aus der schließlich die SPD als Partei hervorging. Die Historikerin Marita Krauss war bis zu ihrer Emeritierung Professorin für Europäische Regionalgeschichte an der Universität Augsburg und hat sich intensiv mit der Geschichte der bayerischen SPD beschäftigt.

O2 KRAUSS:

Da entstanden eben zunächst Arbeitervereine, die sich um Belange der Arbeiter gekümmert haben, und es entstanden dann aber auch natürlich die ersten Gewerkschaften, und diese ganzen Bemühungen stehen im Kontext dieser ersten großen sozialen Bewegungen, die eben auch vor allem dann die zweite Jahrhunderthälfte geprägt haben. Wir haben Arbeiterbewegung, dann Frauenbewegung, Friedensbewegung, alles das ist bereits in der zweiten Jahrhunderthälfte des Neunzehnten Jahrhunderts da, natürlich auch die Lebensreform, und zusammen mit diesen Bewegungen ist auch der Erfolg der SPD natürlich zu sehen.

ERZÄHLERIN:

Staatlicherseits wurde der wachsende Einfluss der Arbeiterbewegung mit Misstrauen beobachtet. 1878 setzte Otto von Bismarck die sogenannten "Sozialistengesetze" durch. Sie dienten auch in der bayerischen Monarchie der staatlichen Sozialistenverfolgung.

Musik: In der Finsternis 0‘34

ERZÄHLER:.

Diese Gesetze richteten sich gegen –

ZITATOR:

die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie

ERZÄHLER:

– und boten dem Staat die Möglichkeit, sozialistische Parteien, Versammlungen und Zeitungen zu verbieten.

ERZÄHLERIN:

Zwölf Jahre waren die Sozialistengesetze in Kraft. In dieser Zeit wurden Tausende von Menschen verhaftet oder in die Emigration getrieben. Nach der Entlassung Bismarcks wurden 1890 die Sozialistengesetze schließlich aufgehoben. Die hatten ohnehin wenig gebracht. Denn trotz der Repressionen war der Einfluss der Sozialdemokratie gestiegen – reichsweit und auch im Königreich Bayern. Der kaiserliche Kurswechsel wurde in der Parteizentrale in Berlin anders aufgenommen als bei den bayerischen Sozialdemokraten. Im Juni 1891 hielt der Parteivorsitzende Georg von Vollmar im Münchner Lokal "El Dorado" zwei Reden, mit denen er sich zum Ende der Sozialistengesetze und zum Kurswechsel der kaiserlichen Regierung positionierte und für eine Zusammenarbeit mit den herrschenden Kreisen eintrat.

O3a KRAUSS:

Für Bayern ist dabei sehr spannend, dass die bayerische SPD sich vor allem im Süden Bayerns sehr stark an einem reformistischen Konzept orientiert hat, das gesagt hat, wir wollen nicht die bestehende Gesellschaftsordnung umwälzen, sondern wir wollen innerhalb der Gesellschaft Reformen voranbringen.

ERZÄHLER:

Die bayerische SPD war kompromissbereiter als die Parteizentrale in Berlin. Sie stand –

O3b KRAUSS:

immer im scharfen Gegensatz zu dem mehr zentralistischen und auch sehr viel stärker revolutionsorientierten Zweig der SPD, die jetzt also das Reich auch dominierte. Wir haben da Namen wie eben dann Bebel und andere, die eben dann im Reich eine sehr stark auf Revolution auch noch ausgerichtete Politik voranbrachten.

ERZÄHLERIN:

Diese kritisierten die Politik ihrer bayerischen Genossen als "kleinbürgerlichen Reformismus", was die Bayern aber nicht daran hinderte, ihren eigenen Weg zu gehen. Der erste Landesparteitag der bayerischen Sozialdemokraten fand 1892 in Reinhausen statt, einem damals kleinen Vorort von Regensburg. Dieser Parteitag gilt als Gründungsdatum der bayerischen SPD. Siebzig Delegierte nahmen teil, darunter auch Georg von Vollmar. Sie stellten Kandidaten für die bevorstehenden Landtagswahlen auf und verabschiedeten ein Wahlprogramm, dessen Forderungen im Großen und Ganzen die nächsten zwei Jahrzehnte bestehen blieben.

Musik: Still waiting red 0‘35

ERZÄHLER:

Die wichtigste Forderung war die Einführung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts für Männer und Frauen. Bislang galt nämlich, dass Frauen nicht wählen durften, sondern nur Männer, die Steuern bezahlten. Die Wahl erfolgte indirekt, das heißt die Wahlberechtigten wählten Wahlmänner, die dann ihrerseits die Abgeordneten wählten. Und die Wahl war nicht geheim, sondern der Wahlzettel wurde unterschrieben und offen abgegeben.

Außerdem forderten die Sozialdemokraten: mehr Rechte für das Parlament und für die kommunale Selbstverwaltung, Trennung von Staat und Kirche, Reformen im Schulwesen und bei den Arbeiterversicherungen …

ERZÄHLERIN:

Ein Jahr nach dem ersten Landesparteitag gewannen die Sozialdemokraten bei den Landtagswahlen 1893 fünf Mandate. Der Landtag bestand damals aus zwei rechtlich gleichgestellten Kammern: der Kammer der Reichsräte, in der adelige und geistliche Würdenträger saßen, die per Verfassung bestimmt oder vom König berufen waren. Und es gab die Kammer der Abgeordneten, die von den Wahlberechtigten gewählt wurde. Die stärkste Kraft dort war die katholisch orientierte Bayerische Zentrumspartei. Unter ihren Abgeordneten fanden sich katholische Geistliche. Sie vertrat in erster Linie die Interessen der mittelständischen Bevölkerung und machte sich für den politischen Katholizismus stark, den kirchlichen Einfluss in der Politik. Ihr Gegenspieler waren die Liberalen, die den kirchlichen Einfluss zurückdrängen und eine Trennung von Staat und Kirche wollten – ebenso wie die SPD und der Bayerische Bauernbund, die beide 1893 erstmals in den Landtag einzogen. Der Bauernbund war antiklerikal und sah sich als Verfechter kleinbäuerlicher Interessen. Und die SPD war die erste Partei, die sich als Interessensvertreterin der Massen von Arbeitern und Arbeiterinnen verstand. Mit den ersten fünf Landtagsmandaten begann der Aufstieg der SPD zu einer politischen Kraft im Königreich Bayern.

Musik: Aufbruch 0‘23

ERZÄHLER:

In diesen Jahren stand Prinzregent Luitpold für seinen psychisch kranken Neffen Otto II. an der Spitze der bayerischen Monarchie. Nach seinem Tod machte es eine Verfassungsänderung möglich, dass ab 1913 sein Sohn als König Ludwig III. regieren konnte. Bayern war eine konstitutionelle Monarchie, das heißt die Macht des Monarchen wurde verfassungsmäßig definiert. Zwar stand der König beziehungsweise der Prinzregent als sein Stellvertreter über allen. Er alleine bestimmte die Regierung, also den Ministerpräsidenten und das Kabinett – unabhängig vom Landtag, den einzuberufen und aufzulösen er berechtigt war. Aber auch der bayerische Landtag hatte Rechte, etwa die Prüfung des Staatshaushaltes und die Bewilligung der Steuern. Und diese Rechte nutzte die SPD, um ihre politischen und sozialen Reformen voranzutreiben. Ein großer Schritt war die Wahlrechtsreform von 1906, die sie gemeinsam mit dem Zentrum durchsetzte.

ERZÄHLERIN:

Die Landtagswahl wurde nun als direkte Mehrheitswahl durchgeführt. Das heißt: Die Wahlmänner wurden abgeschafft, die Abgeordneten direkt und auch geheim gewählt. Der Kandidat mit den meisten Stimmen in seinem Wahlkreis durfte in den Landtag. Allerdings blieb das Wahlrecht auf steuerzahlende Männer ab 25 Jahren beschränkt.

ERZÄHLER:

Ein weiteres Problem, das den Sozialdemokraten unter den Nägeln brannte, war die Absicherung der Arbeiterschaft, so die Historikerin Marita Krauss.

O5 KRAUSS:

Die Idee war, über Tarif-Reformen es zu schaffen, dass die Arbeiter eine andere Form der Sicherheit hatten in Bezug auf Lohn, Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen, auch in Bezug auf erste Formen von Urlaub, von gesichertem Urlaub.

ERZÄHLERIN:

Viele Unternehmen zeigten sich offen für den Vorschlag, Arbeitsverhältnisse tariflich zu ordnen. Bis 1907 waren etwa 75 Prozent der bayerischen Arbeiterschaft im gewerblichen Bereich mittels Tarifverträgen abgesichert.

Bezüglich der Rechte der Frauen gab es vorerst keine wegweisenden Verbesserungen. Für die Sozialdemokraten, so die Historikerin Maria Krauss, war das Thema Frauenrechte eher schwierig.

O6 KRAUSS:

Das war eben doch eine kleinbürgerliche Partei, die sehr wohl dachte, dass die Frauen bestimmten Rollen folgen. Andererseits gab es ganz großartige Einzelpersönlichkeiten. Also wir haben natürlich auf der Reichsebene Clara Zetkin und solche Vorkämpferinnen der Frauenbewegung. In München ist es zum Beispiel Dr. Hope Bridges Adams Lehmann, eine sozialdemokratische Ärztin englischer Herkunft, die sehr intensiv vor allem im Gesundheitsbereich die Politik der SPD mitgeprägt hat.

Musik: War is coming 0‘38

ZITATOR:

Der Weltkrieg droht! Die herrschenden Klassen, die euch in Frieden knechten, verachten, ausnutzen, wollen euch als Kanonenfutter missbrauchen. Überall muss den Machthabern in den Ohren klingen: Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit dem Kriege! Es lebe die internationale Völkerverbrüderung!

ERZÄHLER:

So der Berliner Parteivorstand der SPD am 25. Juli 1914 in der Parteizeitung "Vorwärts". Etwa einen Monat vorher waren der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau in Sarajewo erschossen worden. Krieg lag in der Luft. Hunderttausende folgten dem sozialdemokratischen Aufruf und kamen zu Friedenskundgebungen in zahlreichen deutschen Städten – auch in München.

Musik: Political efforts red 0‘23

Nur ein paar Tage später verkündeten Kaiser Wilhelm II. in Berlin und König Ludwig III. in München die Mobilmachung – und brachten auch die Sozialdemokraten sehr schnell auf Kriegskurs.

ZITATOR:

Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche! Zum Zeichen dessen, dass Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschied, ohne Stammesunterschied, ohne Konfessionsunterschied durchzuhalten mit mir durch dick und dünn, durch Not und Tod zu gehen, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir das in die Hand zu geloben.

ERZÄHLERIN:

Diese berühmten Worte stammen aus einer Rede, die Wilhelm II. am 4. August 1914 im Reichstag hielt. Mit der Beschwörung der nationalen Einheit wollte er die Sozialdemokraten auf Linie bringen – und schaffte das auch. Die SPD stellte die stärkste Reichstagsfraktion. Und die kaiserliche Regierung brauchte den Reichstag für die Bewilligung der Kredite, mit denen der Krieg finanziert werden sollte. Und tatsächlich stimmte die SPD an diesem 4. August für die Kriegskredite. Sogar Karl Liebknecht vom linken Flügel ordnete sich der Parteidisziplin unter.

ERZÄHLER:

Wie kam es zu dieser Kehrtwende der SPD innerhalb weniger Tage?

ERZÄHLERIN:

Der Aufruf zu den Friedensdemonstrationen kam aus den links-intellektuellen Führungskreisen der Sozialdemokraten. In der Reichstagsfraktion der SPD waren aber auch viele Gewerkschaftsfunktionäre, die praktische politische Arbeit leisteten wie das Aushandeln von Tarifverträgen, sich nicht prinzipiell in weltanschaulicher Gegnerschaft zum Wilhelminismus sahen, sondern die konkreten Interessen der Arbeiterschaft im Blick hatten – auch wenn damit eine Unterstützung der deutschen Großmachtpolitik verbunden war.

ERZÄHLER:

So wurden zum Beispiel Flottenbau und Kolonialpolitik unter dem Aspekt der Schaffung von Arbeitsplätzen gesehen.

Musik: Foreboding of war 0‘43

ERZÄHLERIN:

Dass dann die gesamte Reichstagsfraktion der SPD geschlossen für die Kriegskredite stimmte, hatte mit der Wirksamkeit der kaiserlichen Propaganda zu tun, wonach das russische Zarenreich der Kriegstreiber war, der Krieg ergo ein Angriffskrieg, gegen den sich das Deutsche Kaiserreich verteidigen musste. Nun wollten die Sozialdemokraten keinesfalls als national unzuverlässig gelten, als sogenannte "Landesverräter", die einen Verteidigungskrieg boykottierten. Zudem stieß die Version vom russischen Aggressor auf offenen Ohren innerhalb der SPD. Denn dort waren antizaristische Ressentiments weit verbreitet.

ERZÄHLER:

Schon im Vorfeld des Krieges hatte der Münchner Journalist und SPD-Politiker Kurt Eisner in einer Rede dem russischen Zarenreich die Kriegsschuld zugeschoben – ganz im Sinne der kaiserlichen Regierungspropaganda. Eisner bezeichnete Russland als "Kriegsfurie", forderte, dass der Zarismus gebändigt werden müsse, wolle man den Frieden in Europa erhalten. Seine antizaristische Haltung war typisch für die Sozialdemokraten, die im russischen Zarenreich ein Überbleibsel des Absolutismus sahen: rückständig, despotisch, reaktionär.

MUSIK: Constant fear 0‘39

ERZÄHLERIN:

Nicht nur Kurt Eisner, sondern die bayerische SPD insgesamt sprach sich für den Kurs der Berliner Reichstagsfraktion aus, also für die Bewilligung der Kriegskredite – auf Reichsebene. In Bayern dagegen stellten sie sich quer, wo auch Ludwig III. noch Geld brauchte für den Krieg. Der Landtag in München bewilligte eine zusätzliche Kreditaufnahme. Allerdings ohne die Stimmen der SPD. Die war nämlich wegen anderer Fragen gerade in erbitterte Streitigkeiten mit der bayerischen Regierung verwickelt – betonte aber ihre vaterländische Gesinnung und ihre Bereitschaft zu kämpfen.

ZITATOR:

Jetzt wird stramm exerziert und die alten Soldatentugenden wieder geweckt. Lieber Vollmar! Dessen dürfen Sie sicher sein; wohin wir auch kommen, meine Pflichten erfülle ich. Dieser Dienst wird der Partei und dem Vaterlande mit Freuden erwiesen.

ERZÄHLER:

Schrieb Erhard Auer, später erster sozialdemokratischer Innenminister Bayerns, an den SPD-Vorsitzenden Georg von Vollmar. Doch die nationale Euphorie erlosch schnell im ganzen Reich und ebenso schnell bröckelte die nationale Einheit. Bereits im Dezember verweigerte Karl Liebknecht im Reichstag seine Zustimmung für weitere Kriegskredite. Und auch Kurt Eisner rückte in München von seiner anfänglichen Unterstützung des Kriegskurses ab.

ERZÄHLERIN:

Für ihn war wie für den gesamten linken Flügel der SPD jetzt klar: Der Krieg diente nicht der Verteidigung, sondern der Eroberung und musste so schnell wie möglich beendet werden.

Musik: Wake keeping- 0‘37

ERZÄHLER:

Die Mehrheit der Sozialdemokraten blieb allerdings auf monarchischem Kriegskurs. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Partei, die 1917 zur Spaltung führten. Der linke Flügel gründete die Unabhängige Sozialdemokratische Partei, kurz USPD, die sich in München zu einem Sammelbecken für revolutionäre Kräfte entwickelte. Die hungernde Bevölkerung wollte Frieden – und zeigte das im Januar 1918 mit reichsweiten Massenstreiks. In München nahm Kurt Eisner eine führende Rolle in der USPD ein, hielt Anti-Kriegsreden, war maßgeblich an der Organisation eines Streiks von Munitionsarbeitern beteiligt und wanderte dafür ins Gefängnis. Währenddessen versuchten Mitglieder der weiterhin regierungskonformen MSPD, der Mehrheitssozialdemokratischen Partei, eine Verfassungsreform im Landtag durchzusetzen.

O7 KRAUSS:

Das ist der berühmte Auer-Süßheim-Antrag. Auer ist Erhard Auer, der dann 1918 den Vollmar ablöst als Führer der bayerischen Sozialdemokratie, eigentlich ein großer Reform-Antrag, der die konstitutionelle bayerische Monarchie in eine parlamentarische Monarchie verwandelt hätte, verändert hätte. Und der König hat aber gezögert, und es wurde alles eben im Grunde genommen immer wieder vertagt. Und das war noch auf der Landtags-Tagesordnung gestanden Anfang November. Aber da war es dann zu spät.

Musik: Dark wood 0‘50

ERZÄHLERIN:

Nach seiner Haftentlassung im Oktober 1918 nahm Kurt Eisner seine agitatorische Rednertätigkeit wieder auf – vor Massen von kriegs- und monarchie-müden Menschen. Außerdem besuchte er die Brüder Gandorfer in Niederbayern, um die Landbevölkerung in den revolutionären Prozess einzubinden. Karl Gandorfer war führender Kopf des linken Flügels des Bauernbundes, und sein blinder Bruder Ludwig Mitglied der USPD. Letzterer war mit Kurt Eisner am 7. November auf der Theresienwiese, wo sich Zehntausende zu Friedenskundgebungen versammelt hatten. Auch die MSPD unter Erhard Auer war vor Ort, beendete aber die Kundgebung vorschriftsmäßig. Die Gruppe um Kurt Eisner und Ludwig Gandorfer dagegen beschloss spontan, zu den Kasernen zu marschieren. Dazu Marita Krauss:

O8 KRAUSS:

Und in den Kasernen waren die vielen unzufriedenen Soldaten in der Heimat, die eben eh schon dachten, jetzt muss der Krieg unbedingt aus sein, und die sich dann diesen Revolutionären anschlossen. Und so fand dann eben eine unblutige Revolution statt. Der König floh aus München. Und am nächsten Tag wachten die Bayern auf, und es gab eine neue Regierung.

ERZÄHLER:

Provisorischer Ministerpräsident war Kurt Eisner. Bei der Zusammensetzung seines Kabinetts musste er – auch mangels politisch versierter Männer in der USPD – mehrheitlich Politiker der MSPD zulassen. Erhard Auer bekam das Innenministerium.

ERZÄHLERIN:

Zwischen Kurt Eisner, der USPD, insgesamt der revolutionären Linken und den Mehrheitssozialdemokraten um Erhard Auer gab es ideologische Unstimmigkeiten. Während die Linken ein basisdemokratisches Rätesystem favorisierten, wollte die MSPD eine parlamentarische Demokratie.

ERZÄHLER:

Innerhalb kurzer Zeit führte die Regierung Eisner die Arbeitslosenversicherung ein, den Achtstundentag und das Frauenwahlrecht. Die ersten demokratischen Wahlen in Bayern fanden im Januar 1919 statt – und endeten mit einem Wahlsieg der MSPD.

Musik:Schicksal 0‘42

Für die USPD war die Niederlage desaströs. Als Eisner seinen Rücktritt bekanntgeben wollte, wurde er auf dem Weg in den Landtag von einem Rechtsextremisten erschossen. Die junge bayerische Republik stürzte in eine tiefe Krise: Der Landtag wählte den MSPD-Politiker Johannes Hoffmann zum Ministerpräsidenten, doch die Linken riefen in München die Räterepublik aus. Daraufhin floh Hoffmann mit seiner Regierung nach Bamberg. Schließlich schlugen rechte Freikorps und Reichswehreinheiten die Münchner Räterepublik blutig nieder. Das politische Klima kippte nach rechts.

O9 KRAUSS:

Unter dem Gustav von Kahr, der dann den Johannes Hoffmann nach dem Kapp-Putsch beerbt, haben wir eben diese Ordnungszelle Bayern, die sich dann gründet, die eben alles, was links und jüdisch ist, eben verteufelt.

ERZÄHLERIN:

Als Revolutionäre und Gründer der Bayerischen Republik hatten die Sozialdemokraten in den folgenden Jahren der Weimarer Republik einen schweren Stand gegen die immer stärker werdenden rechtsextremen Kräfte.

Musik: Dark operation 0‘28

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurden SPD-Mitglieder politisch verfolgt, viele in KZs ermordet – wenn sie es nicht ins Exil schafften, wie etwa der Jurist Wilhelm Hoegner, der nach dem Zweiten Weltkrieg dann Bayerischer Ministerpräsident wurde.


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Mit Reformen statt mit Revolution wollte die SPD im Königreich Bayern eine demokratische Gesellschaft durchsetzen. Der Erste Weltkrieg führte zur Zerreißprobe. Von Renate Eichmeier

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Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Rahel Comtesse, Christian Baumann, Peter Weiß
Technik: Matthieu Belohradsky
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Bayerische Volkspartei, BVP - Die Extrawurst kommt auf den Grill Ein Freistaat Bayern ohne CSU? Den gab es! Vor dem zweiten Weltkrieg hieß die dominierende Kraft im Land "Bayerische Volkspartei". Sie darf als Vorgänger der CSU gesehen werden, doch es ist ein Erbe mit Licht und Schatten.
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ZITATOR:

Die Bayrische Republik wird hierdurch proklamiert. Die oberste Behörde ist der von der Bevölkerung gewählte Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat, der provisorisch eingesetzt ist, bis eine endgültige Volksvertretung geschaffen werden wird. (…) Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt. Hoch die Republik!

ERZÄHLERIN:

Rote Plakate informierten am Morgen des 8. November 1918 die Menschen in München, dass über Nacht die Monarchie abgeschafft worden war und sie ab sofort in einer Republik lebten. Am Tag vorher hatte eine Gruppe von Revolutionären um Kurt Eisner, den führenden Kopf der sozialdemokratischen Linken, den Landtag besetzt und das Ende der Wittelsbacher Herrschaft erklärt. Es war die Geburtsstunde des Freistaates Bayern. Innerhalb von gut zweieinhalb Jahrzehnten hatte sich die bayerische SPD von der neugegründeten Partei der Arbeiterbewegung zur Wegbereiterin eines demokratischen Bayern entwickelt.

O1 KRAUSS:

Die SPD ist im 19. Jahrhundert entstanden, eigentlich aus dem großen Bedürfnis heraus, die arbeitenden Klassen in irgendeiner Form einzubinden in Politikprozesse, sie rauszuholen aus dem Bereich der Wohlfahrt, mit reinzunehmen in Politikgestaltung.

MUSIK: Detailed look (reduced) 0‘22

ERZÄHLER:

Industrielle Revolution und demokratische Ideen bereiteten im 19. Jahrhundert den Boden für die Moderne. Die Industrialisierung sorgte für radikale Umbrüche und eine neue gesellschaftliche Schicht: Massen von Arbeitern und Arbeiterinnen, die sich zu organisieren begannen und nach politischer Teilhabe strebten. Die Arbeiterbewegung formierte sich auch im Königreich Bayern als soziale und politische Kraft, aus der schließlich die SPD als Partei hervorging. Die Historikerin Marita Krauss war bis zu ihrer Emeritierung Professorin für Europäische Regionalgeschichte an der Universität Augsburg und hat sich intensiv mit der Geschichte der bayerischen SPD beschäftigt.

O2 KRAUSS:

Da entstanden eben zunächst Arbeitervereine, die sich um Belange der Arbeiter gekümmert haben, und es entstanden dann aber auch natürlich die ersten Gewerkschaften, und diese ganzen Bemühungen stehen im Kontext dieser ersten großen sozialen Bewegungen, die eben auch vor allem dann die zweite Jahrhunderthälfte geprägt haben. Wir haben Arbeiterbewegung, dann Frauenbewegung, Friedensbewegung, alles das ist bereits in der zweiten Jahrhunderthälfte des Neunzehnten Jahrhunderts da, natürlich auch die Lebensreform, und zusammen mit diesen Bewegungen ist auch der Erfolg der SPD natürlich zu sehen.

ERZÄHLERIN:

Staatlicherseits wurde der wachsende Einfluss der Arbeiterbewegung mit Misstrauen beobachtet. 1878 setzte Otto von Bismarck die sogenannten "Sozialistengesetze" durch. Sie dienten auch in der bayerischen Monarchie der staatlichen Sozialistenverfolgung.

Musik: In der Finsternis 0‘34

ERZÄHLER:.

Diese Gesetze richteten sich gegen –

ZITATOR:

die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie

ERZÄHLER:

– und boten dem Staat die Möglichkeit, sozialistische Parteien, Versammlungen und Zeitungen zu verbieten.

ERZÄHLERIN:

Zwölf Jahre waren die Sozialistengesetze in Kraft. In dieser Zeit wurden Tausende von Menschen verhaftet oder in die Emigration getrieben. Nach der Entlassung Bismarcks wurden 1890 die Sozialistengesetze schließlich aufgehoben. Die hatten ohnehin wenig gebracht. Denn trotz der Repressionen war der Einfluss der Sozialdemokratie gestiegen – reichsweit und auch im Königreich Bayern. Der kaiserliche Kurswechsel wurde in der Parteizentrale in Berlin anders aufgenommen als bei den bayerischen Sozialdemokraten. Im Juni 1891 hielt der Parteivorsitzende Georg von Vollmar im Münchner Lokal "El Dorado" zwei Reden, mit denen er sich zum Ende der Sozialistengesetze und zum Kurswechsel der kaiserlichen Regierung positionierte und für eine Zusammenarbeit mit den herrschenden Kreisen eintrat.

O3a KRAUSS:

Für Bayern ist dabei sehr spannend, dass die bayerische SPD sich vor allem im Süden Bayerns sehr stark an einem reformistischen Konzept orientiert hat, das gesagt hat, wir wollen nicht die bestehende Gesellschaftsordnung umwälzen, sondern wir wollen innerhalb der Gesellschaft Reformen voranbringen.

ERZÄHLER:

Die bayerische SPD war kompromissbereiter als die Parteizentrale in Berlin. Sie stand –

O3b KRAUSS:

immer im scharfen Gegensatz zu dem mehr zentralistischen und auch sehr viel stärker revolutionsorientierten Zweig der SPD, die jetzt also das Reich auch dominierte. Wir haben da Namen wie eben dann Bebel und andere, die eben dann im Reich eine sehr stark auf Revolution auch noch ausgerichtete Politik voranbrachten.

ERZÄHLERIN:

Diese kritisierten die Politik ihrer bayerischen Genossen als "kleinbürgerlichen Reformismus", was die Bayern aber nicht daran hinderte, ihren eigenen Weg zu gehen. Der erste Landesparteitag der bayerischen Sozialdemokraten fand 1892 in Reinhausen statt, einem damals kleinen Vorort von Regensburg. Dieser Parteitag gilt als Gründungsdatum der bayerischen SPD. Siebzig Delegierte nahmen teil, darunter auch Georg von Vollmar. Sie stellten Kandidaten für die bevorstehenden Landtagswahlen auf und verabschiedeten ein Wahlprogramm, dessen Forderungen im Großen und Ganzen die nächsten zwei Jahrzehnte bestehen blieben.

Musik: Still waiting red 0‘35

ERZÄHLER:

Die wichtigste Forderung war die Einführung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts für Männer und Frauen. Bislang galt nämlich, dass Frauen nicht wählen durften, sondern nur Männer, die Steuern bezahlten. Die Wahl erfolgte indirekt, das heißt die Wahlberechtigten wählten Wahlmänner, die dann ihrerseits die Abgeordneten wählten. Und die Wahl war nicht geheim, sondern der Wahlzettel wurde unterschrieben und offen abgegeben.

Außerdem forderten die Sozialdemokraten: mehr Rechte für das Parlament und für die kommunale Selbstverwaltung, Trennung von Staat und Kirche, Reformen im Schulwesen und bei den Arbeiterversicherungen …

ERZÄHLERIN:

Ein Jahr nach dem ersten Landesparteitag gewannen die Sozialdemokraten bei den Landtagswahlen 1893 fünf Mandate. Der Landtag bestand damals aus zwei rechtlich gleichgestellten Kammern: der Kammer der Reichsräte, in der adelige und geistliche Würdenträger saßen, die per Verfassung bestimmt oder vom König berufen waren. Und es gab die Kammer der Abgeordneten, die von den Wahlberechtigten gewählt wurde. Die stärkste Kraft dort war die katholisch orientierte Bayerische Zentrumspartei. Unter ihren Abgeordneten fanden sich katholische Geistliche. Sie vertrat in erster Linie die Interessen der mittelständischen Bevölkerung und machte sich für den politischen Katholizismus stark, den kirchlichen Einfluss in der Politik. Ihr Gegenspieler waren die Liberalen, die den kirchlichen Einfluss zurückdrängen und eine Trennung von Staat und Kirche wollten – ebenso wie die SPD und der Bayerische Bauernbund, die beide 1893 erstmals in den Landtag einzogen. Der Bauernbund war antiklerikal und sah sich als Verfechter kleinbäuerlicher Interessen. Und die SPD war die erste Partei, die sich als Interessensvertreterin der Massen von Arbeitern und Arbeiterinnen verstand. Mit den ersten fünf Landtagsmandaten begann der Aufstieg der SPD zu einer politischen Kraft im Königreich Bayern.

Musik: Aufbruch 0‘23

ERZÄHLER:

In diesen Jahren stand Prinzregent Luitpold für seinen psychisch kranken Neffen Otto II. an der Spitze der bayerischen Monarchie. Nach seinem Tod machte es eine Verfassungsänderung möglich, dass ab 1913 sein Sohn als König Ludwig III. regieren konnte. Bayern war eine konstitutionelle Monarchie, das heißt die Macht des Monarchen wurde verfassungsmäßig definiert. Zwar stand der König beziehungsweise der Prinzregent als sein Stellvertreter über allen. Er alleine bestimmte die Regierung, also den Ministerpräsidenten und das Kabinett – unabhängig vom Landtag, den einzuberufen und aufzulösen er berechtigt war. Aber auch der bayerische Landtag hatte Rechte, etwa die Prüfung des Staatshaushaltes und die Bewilligung der Steuern. Und diese Rechte nutzte die SPD, um ihre politischen und sozialen Reformen voranzutreiben. Ein großer Schritt war die Wahlrechtsreform von 1906, die sie gemeinsam mit dem Zentrum durchsetzte.

ERZÄHLERIN:

Die Landtagswahl wurde nun als direkte Mehrheitswahl durchgeführt. Das heißt: Die Wahlmänner wurden abgeschafft, die Abgeordneten direkt und auch geheim gewählt. Der Kandidat mit den meisten Stimmen in seinem Wahlkreis durfte in den Landtag. Allerdings blieb das Wahlrecht auf steuerzahlende Männer ab 25 Jahren beschränkt.

ERZÄHLER:

Ein weiteres Problem, das den Sozialdemokraten unter den Nägeln brannte, war die Absicherung der Arbeiterschaft, so die Historikerin Marita Krauss.

O5 KRAUSS:

Die Idee war, über Tarif-Reformen es zu schaffen, dass die Arbeiter eine andere Form der Sicherheit hatten in Bezug auf Lohn, Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen, auch in Bezug auf erste Formen von Urlaub, von gesichertem Urlaub.

ERZÄHLERIN:

Viele Unternehmen zeigten sich offen für den Vorschlag, Arbeitsverhältnisse tariflich zu ordnen. Bis 1907 waren etwa 75 Prozent der bayerischen Arbeiterschaft im gewerblichen Bereich mittels Tarifverträgen abgesichert.

Bezüglich der Rechte der Frauen gab es vorerst keine wegweisenden Verbesserungen. Für die Sozialdemokraten, so die Historikerin Maria Krauss, war das Thema Frauenrechte eher schwierig.

O6 KRAUSS:

Das war eben doch eine kleinbürgerliche Partei, die sehr wohl dachte, dass die Frauen bestimmten Rollen folgen. Andererseits gab es ganz großartige Einzelpersönlichkeiten. Also wir haben natürlich auf der Reichsebene Clara Zetkin und solche Vorkämpferinnen der Frauenbewegung. In München ist es zum Beispiel Dr. Hope Bridges Adams Lehmann, eine sozialdemokratische Ärztin englischer Herkunft, die sehr intensiv vor allem im Gesundheitsbereich die Politik der SPD mitgeprägt hat.

Musik: War is coming 0‘38

ZITATOR:

Der Weltkrieg droht! Die herrschenden Klassen, die euch in Frieden knechten, verachten, ausnutzen, wollen euch als Kanonenfutter missbrauchen. Überall muss den Machthabern in den Ohren klingen: Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit dem Kriege! Es lebe die internationale Völkerverbrüderung!

ERZÄHLER:

So der Berliner Parteivorstand der SPD am 25. Juli 1914 in der Parteizeitung "Vorwärts". Etwa einen Monat vorher waren der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau in Sarajewo erschossen worden. Krieg lag in der Luft. Hunderttausende folgten dem sozialdemokratischen Aufruf und kamen zu Friedenskundgebungen in zahlreichen deutschen Städten – auch in München.

Musik: Political efforts red 0‘23

Nur ein paar Tage später verkündeten Kaiser Wilhelm II. in Berlin und König Ludwig III. in München die Mobilmachung – und brachten auch die Sozialdemokraten sehr schnell auf Kriegskurs.

ZITATOR:

Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche! Zum Zeichen dessen, dass Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschied, ohne Stammesunterschied, ohne Konfessionsunterschied durchzuhalten mit mir durch dick und dünn, durch Not und Tod zu gehen, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir das in die Hand zu geloben.

ERZÄHLERIN:

Diese berühmten Worte stammen aus einer Rede, die Wilhelm II. am 4. August 1914 im Reichstag hielt. Mit der Beschwörung der nationalen Einheit wollte er die Sozialdemokraten auf Linie bringen – und schaffte das auch. Die SPD stellte die stärkste Reichstagsfraktion. Und die kaiserliche Regierung brauchte den Reichstag für die Bewilligung der Kredite, mit denen der Krieg finanziert werden sollte. Und tatsächlich stimmte die SPD an diesem 4. August für die Kriegskredite. Sogar Karl Liebknecht vom linken Flügel ordnete sich der Parteidisziplin unter.

ERZÄHLER:

Wie kam es zu dieser Kehrtwende der SPD innerhalb weniger Tage?

ERZÄHLERIN:

Der Aufruf zu den Friedensdemonstrationen kam aus den links-intellektuellen Führungskreisen der Sozialdemokraten. In der Reichstagsfraktion der SPD waren aber auch viele Gewerkschaftsfunktionäre, die praktische politische Arbeit leisteten wie das Aushandeln von Tarifverträgen, sich nicht prinzipiell in weltanschaulicher Gegnerschaft zum Wilhelminismus sahen, sondern die konkreten Interessen der Arbeiterschaft im Blick hatten – auch wenn damit eine Unterstützung der deutschen Großmachtpolitik verbunden war.

ERZÄHLER:

So wurden zum Beispiel Flottenbau und Kolonialpolitik unter dem Aspekt der Schaffung von Arbeitsplätzen gesehen.

Musik: Foreboding of war 0‘43

ERZÄHLERIN:

Dass dann die gesamte Reichstagsfraktion der SPD geschlossen für die Kriegskredite stimmte, hatte mit der Wirksamkeit der kaiserlichen Propaganda zu tun, wonach das russische Zarenreich der Kriegstreiber war, der Krieg ergo ein Angriffskrieg, gegen den sich das Deutsche Kaiserreich verteidigen musste. Nun wollten die Sozialdemokraten keinesfalls als national unzuverlässig gelten, als sogenannte "Landesverräter", die einen Verteidigungskrieg boykottierten. Zudem stieß die Version vom russischen Aggressor auf offenen Ohren innerhalb der SPD. Denn dort waren antizaristische Ressentiments weit verbreitet.

ERZÄHLER:

Schon im Vorfeld des Krieges hatte der Münchner Journalist und SPD-Politiker Kurt Eisner in einer Rede dem russischen Zarenreich die Kriegsschuld zugeschoben – ganz im Sinne der kaiserlichen Regierungspropaganda. Eisner bezeichnete Russland als "Kriegsfurie", forderte, dass der Zarismus gebändigt werden müsse, wolle man den Frieden in Europa erhalten. Seine antizaristische Haltung war typisch für die Sozialdemokraten, die im russischen Zarenreich ein Überbleibsel des Absolutismus sahen: rückständig, despotisch, reaktionär.

MUSIK: Constant fear 0‘39

ERZÄHLERIN:

Nicht nur Kurt Eisner, sondern die bayerische SPD insgesamt sprach sich für den Kurs der Berliner Reichstagsfraktion aus, also für die Bewilligung der Kriegskredite – auf Reichsebene. In Bayern dagegen stellten sie sich quer, wo auch Ludwig III. noch Geld brauchte für den Krieg. Der Landtag in München bewilligte eine zusätzliche Kreditaufnahme. Allerdings ohne die Stimmen der SPD. Die war nämlich wegen anderer Fragen gerade in erbitterte Streitigkeiten mit der bayerischen Regierung verwickelt – betonte aber ihre vaterländische Gesinnung und ihre Bereitschaft zu kämpfen.

ZITATOR:

Jetzt wird stramm exerziert und die alten Soldatentugenden wieder geweckt. Lieber Vollmar! Dessen dürfen Sie sicher sein; wohin wir auch kommen, meine Pflichten erfülle ich. Dieser Dienst wird der Partei und dem Vaterlande mit Freuden erwiesen.

ERZÄHLER:

Schrieb Erhard Auer, später erster sozialdemokratischer Innenminister Bayerns, an den SPD-Vorsitzenden Georg von Vollmar. Doch die nationale Euphorie erlosch schnell im ganzen Reich und ebenso schnell bröckelte die nationale Einheit. Bereits im Dezember verweigerte Karl Liebknecht im Reichstag seine Zustimmung für weitere Kriegskredite. Und auch Kurt Eisner rückte in München von seiner anfänglichen Unterstützung des Kriegskurses ab.

ERZÄHLERIN:

Für ihn war wie für den gesamten linken Flügel der SPD jetzt klar: Der Krieg diente nicht der Verteidigung, sondern der Eroberung und musste so schnell wie möglich beendet werden.

Musik: Wake keeping- 0‘37

ERZÄHLER:

Die Mehrheit der Sozialdemokraten blieb allerdings auf monarchischem Kriegskurs. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Partei, die 1917 zur Spaltung führten. Der linke Flügel gründete die Unabhängige Sozialdemokratische Partei, kurz USPD, die sich in München zu einem Sammelbecken für revolutionäre Kräfte entwickelte. Die hungernde Bevölkerung wollte Frieden – und zeigte das im Januar 1918 mit reichsweiten Massenstreiks. In München nahm Kurt Eisner eine führende Rolle in der USPD ein, hielt Anti-Kriegsreden, war maßgeblich an der Organisation eines Streiks von Munitionsarbeitern beteiligt und wanderte dafür ins Gefängnis. Währenddessen versuchten Mitglieder der weiterhin regierungskonformen MSPD, der Mehrheitssozialdemokratischen Partei, eine Verfassungsreform im Landtag durchzusetzen.

O7 KRAUSS:

Das ist der berühmte Auer-Süßheim-Antrag. Auer ist Erhard Auer, der dann 1918 den Vollmar ablöst als Führer der bayerischen Sozialdemokratie, eigentlich ein großer Reform-Antrag, der die konstitutionelle bayerische Monarchie in eine parlamentarische Monarchie verwandelt hätte, verändert hätte. Und der König hat aber gezögert, und es wurde alles eben im Grunde genommen immer wieder vertagt. Und das war noch auf der Landtags-Tagesordnung gestanden Anfang November. Aber da war es dann zu spät.

Musik: Dark wood 0‘50

ERZÄHLERIN:

Nach seiner Haftentlassung im Oktober 1918 nahm Kurt Eisner seine agitatorische Rednertätigkeit wieder auf – vor Massen von kriegs- und monarchie-müden Menschen. Außerdem besuchte er die Brüder Gandorfer in Niederbayern, um die Landbevölkerung in den revolutionären Prozess einzubinden. Karl Gandorfer war führender Kopf des linken Flügels des Bauernbundes, und sein blinder Bruder Ludwig Mitglied der USPD. Letzterer war mit Kurt Eisner am 7. November auf der Theresienwiese, wo sich Zehntausende zu Friedenskundgebungen versammelt hatten. Auch die MSPD unter Erhard Auer war vor Ort, beendete aber die Kundgebung vorschriftsmäßig. Die Gruppe um Kurt Eisner und Ludwig Gandorfer dagegen beschloss spontan, zu den Kasernen zu marschieren. Dazu Marita Krauss:

O8 KRAUSS:

Und in den Kasernen waren die vielen unzufriedenen Soldaten in der Heimat, die eben eh schon dachten, jetzt muss der Krieg unbedingt aus sein, und die sich dann diesen Revolutionären anschlossen. Und so fand dann eben eine unblutige Revolution statt. Der König floh aus München. Und am nächsten Tag wachten die Bayern auf, und es gab eine neue Regierung.

ERZÄHLER:

Provisorischer Ministerpräsident war Kurt Eisner. Bei der Zusammensetzung seines Kabinetts musste er – auch mangels politisch versierter Männer in der USPD – mehrheitlich Politiker der MSPD zulassen. Erhard Auer bekam das Innenministerium.

ERZÄHLERIN:

Zwischen Kurt Eisner, der USPD, insgesamt der revolutionären Linken und den Mehrheitssozialdemokraten um Erhard Auer gab es ideologische Unstimmigkeiten. Während die Linken ein basisdemokratisches Rätesystem favorisierten, wollte die MSPD eine parlamentarische Demokratie.

ERZÄHLER:

Innerhalb kurzer Zeit führte die Regierung Eisner die Arbeitslosenversicherung ein, den Achtstundentag und das Frauenwahlrecht. Die ersten demokratischen Wahlen in Bayern fanden im Januar 1919 statt – und endeten mit einem Wahlsieg der MSPD.

Musik:Schicksal 0‘42

Für die USPD war die Niederlage desaströs. Als Eisner seinen Rücktritt bekanntgeben wollte, wurde er auf dem Weg in den Landtag von einem Rechtsextremisten erschossen. Die junge bayerische Republik stürzte in eine tiefe Krise: Der Landtag wählte den MSPD-Politiker Johannes Hoffmann zum Ministerpräsidenten, doch die Linken riefen in München die Räterepublik aus. Daraufhin floh Hoffmann mit seiner Regierung nach Bamberg. Schließlich schlugen rechte Freikorps und Reichswehreinheiten die Münchner Räterepublik blutig nieder. Das politische Klima kippte nach rechts.

O9 KRAUSS:

Unter dem Gustav von Kahr, der dann den Johannes Hoffmann nach dem Kapp-Putsch beerbt, haben wir eben diese Ordnungszelle Bayern, die sich dann gründet, die eben alles, was links und jüdisch ist, eben verteufelt.

ERZÄHLERIN:

Als Revolutionäre und Gründer der Bayerischen Republik hatten die Sozialdemokraten in den folgenden Jahren der Weimarer Republik einen schweren Stand gegen die immer stärker werdenden rechtsextremen Kräfte.

Musik: Dark operation 0‘28

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurden SPD-Mitglieder politisch verfolgt, viele in KZs ermordet – wenn sie es nicht ins Exil schafften, wie etwa der Jurist Wilhelm Hoegner, der nach dem Zweiten Weltkrieg dann Bayerischer Ministerpräsident wurde.


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