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Trauerkultur - Der Tod und die Digitalisierung
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Die Digitalisierung transformiert unser Leben - und unser Ableben. Mit unserem Tod hinterlassen wir digitale Spuren, Daten und Vermächtnisse. Zudem ist es möglich geworden, an digitalen Orten zu trauern und den Verstorbenen zu gedenken. Von Konstantin Schönfelder
Credits
Autor dieser Folge: Konstantin Schönfelder
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprach: Katja Amberger
Technik: Wolfgang Lösch
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Lilli Berger, Bestatterin und „Death Care Gründerin“ von „VYVYT“
Matthias Meitzler, Thanatologe von der Universität Tübingen;
Lorenz Widmaier, Soziologe mit Doktorarbeit zu digitalem Erbe und Trauer
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Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Die Entscheidung
Politische Entscheidungen verändern unser Leben. Mal ist uns das sofort klar. Mal verstehen wir es erst hinterher. Im Podcast "Die Entscheidung" nehmen sich die Hosts Christine Auerbach und Jasmin Brock jeden Monat eine solche Entscheidung vor und fragen: Was ist damals passiert? Wie prägt diese Entscheidung unser Leben bis heute? Sie suchen die Geschichten hinter den Entscheidungen, befragen Menschen, die man noch nicht so oft dazu gehört hat. HIER ENTDECKEN
Linktipps:
Digitaler Erinnerungsraum von VYVYT HIER
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN:
Wir müssen alle sterben. Doch wie wir sterben, unterliegt dem Wandel, so wie das Leben auch, das sich permanent verändert. „Tritt also der Tod den Menschen an:”, heißt es in einem klassischen Text der Philosophie, in Platons Phaidon, „so stirbt, wie es scheint, das Sterbliche an ihm, / das Unsterbliche aber und Unvergängliche zieht wohlbehalten ab, / dem Tode aus dem Wege.” Fragen wir uns also, was das Sterbliche ist, und was das Unsterbliche. Und fragen wir uns, ob es Wege gibt, die Grenze zwischen beidem zu verschieben. Ob technische Fortschritte passieren, die uns vielleicht nicht unsterblich machen. Aber doch, immerhin, als Tote ganz anders anwesend unter den Lebenden als bisher. Fangen wir dafür am Anfang an, mit unserem Ende – dem Tod.
O1 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Der Moment, in dem jemand stirbt, das ist immer plötzlich, auch wenn man darauf vorbereitet ist, auch wenn eine Krankheit davor war. Da steht man erstmal unter Schock. Und der Trauerprozess beginnt dann erst.
SPRECHERIN
Sagt Lilli Berger, Bestatterin. Mit 13 ist ihr bei einem Berufsinformationstag in der Schule dieser doch nicht sehr gewöhnliche Beruf vorgeschlagen worden – und als sie erwachsen war, hat sie ihn tatsächlich ergriffen.
O2 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Das Familiensystem bricht in dem Moment plötzlich auf. Jeder hat ja eine Rolle in der Familie. Und wenn der Mensch dann wegfällt in der Rolle, wird das erst mal neu justiert und neu orientiert und neu zusammengesetzt und in dem Moment ist der Bestatter oder die Bestatterin da und versucht, alle Bedürfnisse miteinander zu verweben.
SPRECHERIN:
Sie findet, dass Deutschland eine lange und gute Tradition der Bestattungskultur auszeichnet.
O3 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Wir haben eine ganz lebendige Erinnerungskultur. Wir schätzen alte Häuser, wir reden viel auch über den Zweiten Weltkrieg zum Beispiel. Als Gesellschaft sind wir sehr mit der Erinnerungskultur verbunden. Und das sehe ich auch in unserer Bestattungskultur. Es sind Familienbetriebe, die die Bestattungen durchführen. Wir haben keinen großen Marktanteil an Konzernen, an Bestattungskonzernen zum Beispiel, sondern wir haben wirklich kleine Familienbetriebe, die Familien teilweise auch schon über Jahre, über Generationen hinweg begleiten.
SPRECHERIN:
Doch die Bestattungsbranche sei durch ihre große Tradition relativ träge, Veränderungen seien immer langsam gekommen. Aber in den letzten Jahren hat sich vieles in der Welt verändert. Auch in ihrer Branche, und im Sprechen über den Tod.
O4 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Ich habe vor zehn Jahren die Ausbildung gemacht und in diesen zehn Jahren gab es eine ganz, ganz tolle Entwicklung, ganz viele neue Initiativen, viel mehr offenes Sprechen darüber. In den Medien wird das Thema Tod und Trauer viel öfter aufgegriffen.
SPRECHERIN:
Ein Grund dafür: Die Digitalisierung unserer Lebenswelt – und der des Sterbens. In diesem Bereich, den Lilli Berger auch "death care" nennt – die nun eben auch digitale Arbeit mit dem Tod und der Trauer – ist sie eines der prägendsten Gesichter des Wandels.
MUSIK: Coldplay, 42 [Those, who are dead, are not dead, they are living in my head …] 0’27
SPRECHERIN:
Mit der Digitalisierung ist zunächst erst mal vieles, was früher physisch hinterlassen wurde, digital geworden. Einer der ersten, die das empirisch untersucht haben, ist Lorenz Widmaier – was ist ein digitales Erbe und wie konkret gehen die Hinterbliebenen mit diesem um? Erst seit kurzem sei das wirklich wichtig geworden, weil digitale Nachlässe natürlich erst in den letzten Jahren so richtig anzufallen beginnen. Zum digitalen Nachlass gehören alle Spuren, die wir zu Lebzeiten digital hinterlassen: Verträge, Passwörter, Zugänge zu bestimmten Accounts, aber auch Suchverläufe oder Aktivitäten auf Webseiten.
O5 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung - LORENZ WIDMAIER:
Zum Beispiel das, was wir auf Facebook oder in anderen sozialen Medien machen. Ganz wichtig sind dann auch Messenger, so was wie WhatsApp, wo zum Beispiel eine Beziehungsgeschichte oder die Geschichte mit seinem Kind sehr detailliert dokumentiert ist, den Alltag mit Sprachnachrichten, Fotos, Videos und sowas, was es eigentlich früher nie gab in der Detailliertheit. Zum digitalen Nachlass gehören nicht nur die Daten des Verstorbenen, sondern auch meine eigenen Daten, die ich über den Verstorbenen habe. Also gerade so was wie WhatsApp Verläufe.
Musik: Future questions 0‘25
SPRECHERIN:
Mit Hinterbliebenen hat er sich mehr als 30 dieser „digitalen Nachlässe“ angeschaut, ausgewertet und gefragt, was sie mit diesen Daten machen und was sie ihnen bedeuten. Widmaier erinnert sich an eine Mutter, die ihre Tochter verloren hat und über deren digitales Erbe zu Antworten gefunden hat.
O6 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung - LORENZ WIDMAIER:
Die hat dann Screenshots gefunden, die ihre Tochter von der Zugverbindung gemacht hat, die sie für ihren Suizid verwendet hat. Und diese Screenshots waren einige Wochen davor gemacht. Das heißt, sie wusste dann, „Okay, den Gedanken gab es schon einige Wochen. Das war keine Affekthandlung, die plötzlich passiert ist.“
SPRECHERIN:
Zu Lebzeiten ihrer Tochter war es für sie unbemerkt geblieben. Im Spiegel der zusammengesetzten Daten konnte sie posthum nachvollziehen, wie sich der Zustand ihrer Tochter verschlechtert hat.
O7 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung - LORENZ WIDMAIER:
Sie haben dann zum Beispiel Instagram-Posts angeschaut, wo es dann ganz klar Hinweise darauf gab: Man hat mehr nachdenkliche, traurige Selfies zum Beispiel gesehen. Aber auch die Hashtags haben dann auf bestimmte Musik verwiesen, wo es um Suizid ging. Auch die kurzen Kommentare haben sich so deuten lassen. Und so konnte man einfach ein bisschen Biographiearbeit machen und versuchen, so die Gefühlslage der Verstorbenen zu verstehen. Und das war dann auch so ein Weg. Wo man seinen Frieden in gewisser Weise damit finden konnte, dass man eine gewisse Erklärung hatte.
SPRECHERIN:
Nicht immer sind die Daten vorhanden oder zugänglich. Manchmal sind genau die Daten, die fehlen, das wichtigste Puzzlestück im Nachlass. So erging es einer Mutter, die ihre Tochter ebenfalls durch einen Suizid verloren hat.
O8 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung - LORENZ WIDMAIER:
Der Mutter war es dann wichtig, die privaten Nachrichten zu lesen, die ihre Tochter an Freunde usw. geschrieben hat.
SPRECHERIN:
Das Problem: Sie hatte den Zugang nicht. Also wendete sich die Frau direkt an Facebook
O9 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung - LORENZ WIDMAIER:
und erklärt, „meine Tochter hat sich das Leben genommen, ich brauche Zugriff auf die privaten Nachrichten, ich will das verstehen usw." Und dann hat Facebook aber gesehen, dass die Tochter in den Nachlass-Einstellungen eingestellt hat – „Facebook Account nach meinem Tod löschen.“ Und jetzt war es so: Die Mutter wendet sich an Facebook, Facebook sieht, da steht drin „nach meinem Tod löschen“ und hat den Facebook-Account gelöscht.
Musik: Bouncing radicals 0‘32
SPRECHERIN:
Was zählt mehr, die Wünsche des Verstorbenen oder die Bedürfnisse und Nöte des Hinterbliebenen?
1O Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung - LORENZ WIDMAIER:
Das ist eine moralische Frage, ist eine rechtliche Frage, die auch in verschiedenen Ländern anders bewertet wird. Es gibt Länder, da hätte die Mutter trotzdem das Recht drauf.
SPRECHERIN:
Das digitale Leben ist wie eine weitere Schicht zu unserer Existenz hinzugekommen. Und wir sollten auch darüber verfügen, wie mit diesem Teil unserer Identität umgegangen werden soll, wenn wir nicht mehr da sind.
11 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung - LORENZ WIDMAIER:
Und wenn man dann vielleicht noch zu manchen Dingen die Wünsche vermerkt, zum Beispiel WhatsApp, bitte alle Nachrichten löschen, die zwischen uns geschrieben worden sind. Das hilft Hinterbliebenen enorm zu wissen: Was darf ich eigentlich? Niemand will gerne rumkramen in den Sachen von den Verstorbenen. Die meisten brauchen aber Erinnerung.
Musik: Virtual land 0‘40
SPRECHERIN:
Die Digitalisierung hat einerseits dazu geführt, dass manche Dinge, die früher analog existierten, nun eine andere Form angenommen haben. Doch sie hat auch ganz neue, zuvor undenkbare Möglichkeiten geschaffen. Etwa mit der Art und Weise, wie wir Kontakt zu den Verstorbenen halten. Auf Facebook gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, das Profil eines Verstorbenen in einen „Gedenkstatus" zu versetzen. So lässt sich dort trauern, erinnern, im Gespräch bleiben. Dieser Wunsch, die Verbindungen mit den Verstorbenen über den Tod hinauszuhalten, trägt in der Psychologie den Namen „continuing bonds“.
12 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung - LORENZ WIDMAIER:
Man spricht die verstorbene Person direkt an in diesen Posts nach dem Tod. Das ist ähnlich zu Briefen, die man früher an verstorbene Personen geschrieben hat, aber man macht das jetzt in einer kleinen Öffentlichkeit zusammen mit anderen und dann reagieren andere auf diese Posts, sei es nur mit einem kleinen Herz oder mit einem kurzen Kommentar. Und so ist diese Trauer und diese „continuing bond“ eben sichtbarer und vielleicht auch ein bisschen akzeptierter.
SPRECHERIN:
Und die analoge Welt? Die bleibt ja.
13 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung - LORENZ WIDMAIER:
Es wird auch genauso wichtig sein, das Grab zu besuchen. Wenn ich nicht zum Begräbnis kommen kann, aus irgendeinem Grund, kann ich vielleicht über einen Facebook-Livestream trotzdem dazu kommen. Aber es wird trotzdem auch das Begräbnis vor Ort geben und das wird die gleiche Relevanz behalten. Aber natürlich, ein Pullover vom Verstorbenen, der hat denselben Stellenwert, die Möbel vom Verstorbenen. Das verliert jetzt nicht an Wert.
Musik: Unbiased opinion 0‘28
SPRECHERIN:
An diesem digitalen Zusatz arbeitet auch Lilli Berger, die Bestatterin, die außerdem Film und digitales Leadership studiert hat. Auch deswegen konnte sie 2020 das Unternehmen VYVYT [Aussprache: vivit] mit zwei Kollegen gründen: In Deutschland hat sie die erste virtuelle Möglichkeit geschaffen, zeit- und ortsunabhängig Abschied zu nehmen oder Gedenkfeiern zu veranstalten.
14 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Man kann es zum ersten Todestag machen, zum zehnten Todestag, zum Geburtstag des Verstorbenen. Es gibt einem Raum, wo man, egal wo man gerade auf der Welt ist, für eine Stunde einfach vorbeikommt und dieser Person nochmal gedenkt, sich Erinnerungen austauscht und in dem Moment werden Erinnerungen ja wieder lebendig.
SPRECHERIN:
Dieser Raum ist im Grunde einer Gedenkseite gar nicht unähnlich. Es ist nur – wirklich ein Raum. Er ist dreidimensional, die Erfahrung intensiver, und dadurch vielleicht bleibender.
15 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Es gibt ein Vorne, ein Hinten, es können Gruppen sich bilden. Es gibt rechts, links, es gibt ein 3D-Audio. Das heißt, du hast auch wirklich das Gefühl, jemand spricht links oder jemand spricht rechts. Und wenn mir eine Geschichte erzählt wird, sehe ich vor mir zum Beispiel einen virtuellen Baum. Und in dem Moment speichert mein Gehirn das Erzählte als Erinnerung im dreidimensionalen Raum ab und das kann mein Gehirn später wieder abrufen. Und dadurch entstehen in diesem virtuellen Raum Erinnerungen, sie werden sozusagen auf einer lebendigen Art und Weise weitergegeben, dass ich mich langfristig dran erinnern kann.
Musik: Finding a way out 0‘31
SPRECHERIN:
Auf der Seite steuert man durch den Raum mit den Pfeiltasten am Computer und der Maus. Man kann in diesem digitalen Raum umherlaufen, stehen bleiben, die Bilder an den Wänden anschauen oder selbst welche in leere Bilderrahmen hochladen. Man kann mit den anderen ins Gespräch kommen, oder für sich bleiben. Der virtuelle Erinnerungsraum hat den Vorteil, dass er uns Freiheiten bietet, die uns im Leben häufig verwehrt sind.
16 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Es gibt erst mal keine Rituale, die wir in der physischen Welt ja schon haben, wie zum Beispiel, man gibt Blumenblätter oder Erde mit ins Grab oder man zündet eine Kerze an. Wir können den virtuellen Raum neu besetzen. Die Frage ist, ob wir das wollen oder ob wir vielleicht auch einfach Analoges nehmen und ins Digitale übersetzen. Das ist genauso möglich. Aber es ist ein Ort, den wir erst mal noch erobern dürfen mit unserer eigenen Trauerkultur.
SPRECHERIN:
Gerade für die heranwachsende Generation ist das eine Chance. Denn sie wächst mit dem Internet auf.
17 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Sie können für sich neue Traditionen, neue Rituale entwickeln. Und wir sind auch frei in der Art und Weise, wie wir den Raum gestalten. Also zum Beispiel finde ich total schön, wenn der Raum an etwas erinnert, was wir mit der verstorbenen Person erinnern, zum Beispiel Omas Garten.
Musik: Confused images 0‘27
SPRECHERIN:
Diese jüngere Generation ist ein wichtiger Teil der Nutzenden des virtuellen Gedenkraumes. Und unter ihnen insbesondere jene "early adopters", die offen sind, mit neuen technischen Innovationen herumzuexperimentieren. Und auch jene, die einen ungewöhnlichen, frühen oder tragischen Tod verarbeiten müssen, greifen auf das Angebot zurück.
18 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Also zum Beispiel hatten wir Meves, der war 14, als sein Vater im Sterben lag, und er hat die Stammkneipe nachgebaut vom Vater. Und ein halbes Jahr, nachdem der Vater gestorben ist, gab es eine große Geburtstagsparty für den Vater in dieser Stammkneipe und es war für den Sohn so ein schöner Moment, weil er konnte seinem Vater noch mal was geben und er hat sein Vater noch mal aus ganz verschiedenen Perspektiven kennengelernt. Ein halbes Jahr nach der Beerdigung – und das tat ihm total gut. Er hat jetzt wieder angefragt und möchte gerne jetzt zum Jahrestag wieder eine virtuelle Trauerfeier veranstalten zur Erinnerungsfeier.
SPRECHERIN:
In Zukunft wird es für das Unternehmen dahin gehen, öfter reale Räume nachzubauen. Das alte Elternhaus vielleicht? Oder den Ort der letzten gemeinsamen Reise? Das exakte Nachbauen realer Räume ist momentan noch sehr kostspielig und wird deshalb eher selten gemacht. Aber das Aufkommen generativer Künstlicher Intelligenz erleichtert es enorm. Und überhaupt: verändert Künstliche Intelligenz vieles, auch in der Trauerkultur. Bereits jetzt, und vor allem in der Zukunft.
19 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Du baust eine Verbindung zu der verstorbenen Person auf. Das ist nicht notwendig, dass der Chatbot dir diese Beziehung suggeriert. Die passiert in dir, die passiert in deinem Herzen. Sie passiert in deinem Kopf. Die passiert psychologisch in Erinnerung. Wie auch immer. Und da möchte ich gerne hinkommen, dass der Chatbot das unterstützt,
Musik: Learning process 0‘26
SPRECHERIN:
Gerade experimentiert sie mit einem KI-Chatbot, einem Computerprogramm, das menschliche Gespräche mit einem anderen Nutzer simuliert. Sie füttert ihn mit Daten von und über sich selbst.
20 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Und der wächst jetzt gerade mit all meinen Erinnerungen und persönlichen Beziehungen. Das heißt, ich baue das selber und bin richtig, richtig neugierig, wohin das geht. Und es ist ehrlich gesagt super faszinierend.
SPRECHERIN:
Aber das hat seine Grenzen, sie ist damit sehr vorsichtig.
21 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Gleichzeitig sehe ich aber auch die Gefahr, dass wenn man damit alleine gelassen wird, dass das problematisch werden kann. Es gibt einfach viel Unausgesprochenes. Und es gibt viele Fragen, die offen bleiben nach dem Tod. Und der Chatbot kann diese Fragen nicht beantworten.
MUSIK 0’35
Sasha Alex Sloan, Dancing with your Ghost
[I put the record on, wait 'til I hear our song, Every night, I'm dancing with your ghost]
SPRECHERIN:
2020 hatte ein Video aus Südkorea Schlagzeilen gemacht: Eine Frau begegnet dem Avatar ihrer kleinen Tochter in einer Virtual Reality wieder. Das Mädchen ist nur wenige Jahre alt geworden. Die Beziehung abrupt geendet. Der Avatar fragt: „Mama, wo bist du gewesen? Hast du an mich gedacht?“
22 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung: MATTHIAS MEITZLER:
Ein virtuelles Gegenüber, dass man eben nicht nur betrachten kann, sondern mit dem man gewissermaßen auch in einen Dialog treten kann. Also ein KI-System, das auf meinen Input adäquat reagiert.
SPRECHERIN:
Das ist Matthias Meitzler von der Uni Tübingen. Er hat sich als Thanatologe viel mit dem Lebensende beschäftigt, war in Hospizen, Pathologien, hat über 1.200 Friedhöfe besucht und ein Buch darüber geschrieben. Zuletzt hat er zum digitalen Weiterleben von Verstorbenen anhand KI-basierter Technologien geforscht. Das Feld verändert sich gerade rapide. Und grundlegend.
23 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung: MATTHIAS MEITZLER:
Und dann ist es eben nicht mehr so, wenn ich jetzt diese Anwendung etwas frage, dass dann einfach irgendwas schon Aufgenommenes einfach nur abgespielt wird, sondern dieser Avatar in dem Fall kann dann antworten und kann dann etwas sagen, was diese Person zu Lebzeiten gesagt haben könnte, aber sehr wahrscheinlich gar nicht so gesagt hat. Und sie kann das beispielsweise auch in der Stimmlage dieser Person tun. Man kann mittlerweile auch Stimmen schon sehr realistisch simulieren und reproduzieren und da nähert sich dieses digitale Andere sehr stark einem vermeintlich lebendigen Menschen an.
SPRECHERIN:
Wird der Tod durch die lebensechten, kreativen Avatare der Verstorbenen relativiert?
24 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung: MATTHIAS MEITZLER:
Der Tod ist zunächst etwas Körperliches. Aber es gibt ja doch in vielen Fällen so was wie ein soziales Weiterleben. Dann kann durch Digitalisierung natürlich vieles verwirklicht werden, was man früher vielleicht nicht für möglich gehalten hat.
SPRECHERIN:
In den USA hat sich in den letzten Jahren eine noch kleine Industrie gebildet. Für Meitzler verschärft das die grundsätzlichen Fragen, die wir uns mit dem Tod stellen.
25 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung: MATTHIAS MEITZLER:
Menschliche Persönlichkeit ist ja auf den ersten Blick schon was Stabiles, was irgendwie über längere Jahre erhalten bleibt. Aber auf der anderen Seite sind Menschen ja auch immer in Entwicklung. Also ich spreche jetzt mit Ende 30 anders als ich mit Anfang 20 gesprochen habe. Und wahrscheinlich werde ich in ein paar Jahrzehnten noch mal anders sprechen, ich werde Dinge anders bewerten, vieles vielleicht auch einfach anders sehen, mich auch an meine Vergangenheit anders erinnern. Und jetzt kann man natürlich durchaus kritisch fragen: „Na ja, wenn wir jetzt so ein Avatar kreieren, welche Version von mir soll das eigentlich dann sein?“
Musik: KI 0‘37
SPRECHERIN:
Mit welchen Daten soll meine KI trainiert werden bzw. wie werden die Daten, die sich womöglich widersprechen, gewichtet? Das berührt die Frage der Identität – wer bin ich? Und zu wem werde ich, wenn ich die Form des Avatars annehme?
26 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung: MATTHIAS MEITZLER:
Sollen das jetzt Daten sein, die ganz aktuell sind? Wenn jetzt ein Mensch stirbt, sollen es Daten sein, die er erst vor kurzem produziert hat? Oder sollen es Daten sein, die vielleicht schon Jahre oder vielleicht auch irgendwann mal Jahrzehnte alt sind? Was ist, wenn es da Konflikte gibt?
SPRECHERIN:
Und ganz wichtig die Frage: Wer entscheidet das eigentlich?
27 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung: MATTHIAS MEITZLER:
Sind das dann immer die jeweils Verstorbenen, die zu Lebzeiten schon festlegen, ob sie überhaupt ein Avatar haben wollen und wenn ja, wie dieser aussehen soll und welche Daten da überhaupt verwendet werden sollen? Sollen überhaupt alle Daten verwendet werden? Oder gibt es nicht bestimmte Inhalte, wo man vielleicht aus guten Gründen sagt: „Um Gottes willen, bitte nicht nach meinem Tod das noch irgendwie bewahren?" Oder sind es am Ende vielleicht auch die Hinterbliebenen, die das dann entscheiden, wenn sich die verstorbene Person da vielleicht auch gar nicht verbindlich geäußert hat? Das ist natürlich dann im Zweifel auch problematisch, gerade dann, wenn es mehrere Hinterbliebene gibt, die auch noch mal unterschiedliche Interessen haben.
SPRECHERIN:
Hinzu kommt das Problem, dass die Anbieter private Unternehmen sind, die ihrerseits wiederum ökonomische Interessen verfolgen und die vulnerable Situation von Trauernden ausnutzen könnten. Meitzler hat da ganz konkrete Szenarien vor Augen.
28 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung: MATTHIAS MEITZLER:
Der Avatar sagt kurz vor Ablauf des Abos: „Bitte verlängert doch dieses Abo, zahlt doch bitte mal nach, lasst mich kein zweites Mal sterben.“ Also im Prinzip den Hinterbliebenen auch ein schlechtes Gewissen einredet. Es ist ja durchaus denkbar, dass es da vielleicht auch subtilere Formen gibt, bis hin zu Produktplatzierungen etc. Also was ist denn, noch mal ein plakatives Beispiel, wenn die verstorbene Großmutter als Avatar dann ihrer Enkelin rät, doch dieses oder jenes T-Shirt zu kaufen und auch gleich den Bestelllink schon mitliefert.
Musik: Secret proofs red. 0‘30
SPRECHERIN:
Und trotz der Schreckensszenarien: Der Forscher glaubt, dass sich digitale Praktiken künftig in unsere Trauerkultur integrieren werden. Sie reflektieren das Bedürfnis nach Individualität, sagt Meitzler:
29 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung: MATTHIAS MEITZLER:
Damit meine ich auf der einen Seite Säkularisierung, also dass Menschen Sinn und Erklärung für bestimmte Dinge eben nicht mehr an erster Stelle in der Religion suchen, dass wir uns weniger als Teil eines großen Kollektivs verstehen, sondern eher danach schauen: Was ist denn ein bestimmter Mensch gewesen, was war seine Persönlichkeit? Und ich denke, da lässt sich auch diese Entwicklung hin zum digitalen Weiterleben ganz gut einordnen.
MUSIK: Virtual land 0’33
SPRECHERIN:
Wie alles Neue finden einige die Vorstellung befremdlich oder gefährlich gar. Plötzlich mit digitalen Avataren zu kommunizieren, die an unsere liebsten Menschen erinnern sollen, die wir verloren haben? Für andere mag es Trost spenden. Lilli Berger hat eine konkrete Vorstellung:
Musik: Aufbruch (reduced 2) 0‘44
30 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Also ich wünsche mir von der Zukunft, dass wir alle so einen digitalen Ort haben, an dem wir an Verstorbene erinnern. In meinem Fall zum Beispiel wäre das eine virtuelle Insel. Und da wären dann all die Menschen, die ich dann verloren haben werde. Also mein Vater bekäme dann digitale Berge, meine Mutter würde einen Platz an dem Meer haben und ich könnte mir vorstellen, dass man dann regelmäßiger solche Orte besucht und einander austauscht, um so ein bisschen die Erinnerungen zu teilen und weiterzugeben, sie wieder lebendig werden zu lassen.
2235 Episoden
Manage episode 450950047 series 2558490
Die Digitalisierung transformiert unser Leben - und unser Ableben. Mit unserem Tod hinterlassen wir digitale Spuren, Daten und Vermächtnisse. Zudem ist es möglich geworden, an digitalen Orten zu trauern und den Verstorbenen zu gedenken. Von Konstantin Schönfelder
Credits
Autor dieser Folge: Konstantin Schönfelder
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprach: Katja Amberger
Technik: Wolfgang Lösch
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Lilli Berger, Bestatterin und „Death Care Gründerin“ von „VYVYT“
Matthias Meitzler, Thanatologe von der Universität Tübingen;
Lorenz Widmaier, Soziologe mit Doktorarbeit zu digitalem Erbe und Trauer
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Die Entscheidung
Politische Entscheidungen verändern unser Leben. Mal ist uns das sofort klar. Mal verstehen wir es erst hinterher. Im Podcast "Die Entscheidung" nehmen sich die Hosts Christine Auerbach und Jasmin Brock jeden Monat eine solche Entscheidung vor und fragen: Was ist damals passiert? Wie prägt diese Entscheidung unser Leben bis heute? Sie suchen die Geschichten hinter den Entscheidungen, befragen Menschen, die man noch nicht so oft dazu gehört hat. HIER ENTDECKEN
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SPRECHERIN:
Wir müssen alle sterben. Doch wie wir sterben, unterliegt dem Wandel, so wie das Leben auch, das sich permanent verändert. „Tritt also der Tod den Menschen an:”, heißt es in einem klassischen Text der Philosophie, in Platons Phaidon, „so stirbt, wie es scheint, das Sterbliche an ihm, / das Unsterbliche aber und Unvergängliche zieht wohlbehalten ab, / dem Tode aus dem Wege.” Fragen wir uns also, was das Sterbliche ist, und was das Unsterbliche. Und fragen wir uns, ob es Wege gibt, die Grenze zwischen beidem zu verschieben. Ob technische Fortschritte passieren, die uns vielleicht nicht unsterblich machen. Aber doch, immerhin, als Tote ganz anders anwesend unter den Lebenden als bisher. Fangen wir dafür am Anfang an, mit unserem Ende – dem Tod.
O1 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Der Moment, in dem jemand stirbt, das ist immer plötzlich, auch wenn man darauf vorbereitet ist, auch wenn eine Krankheit davor war. Da steht man erstmal unter Schock. Und der Trauerprozess beginnt dann erst.
SPRECHERIN
Sagt Lilli Berger, Bestatterin. Mit 13 ist ihr bei einem Berufsinformationstag in der Schule dieser doch nicht sehr gewöhnliche Beruf vorgeschlagen worden – und als sie erwachsen war, hat sie ihn tatsächlich ergriffen.
O2 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Das Familiensystem bricht in dem Moment plötzlich auf. Jeder hat ja eine Rolle in der Familie. Und wenn der Mensch dann wegfällt in der Rolle, wird das erst mal neu justiert und neu orientiert und neu zusammengesetzt und in dem Moment ist der Bestatter oder die Bestatterin da und versucht, alle Bedürfnisse miteinander zu verweben.
SPRECHERIN:
Sie findet, dass Deutschland eine lange und gute Tradition der Bestattungskultur auszeichnet.
O3 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Wir haben eine ganz lebendige Erinnerungskultur. Wir schätzen alte Häuser, wir reden viel auch über den Zweiten Weltkrieg zum Beispiel. Als Gesellschaft sind wir sehr mit der Erinnerungskultur verbunden. Und das sehe ich auch in unserer Bestattungskultur. Es sind Familienbetriebe, die die Bestattungen durchführen. Wir haben keinen großen Marktanteil an Konzernen, an Bestattungskonzernen zum Beispiel, sondern wir haben wirklich kleine Familienbetriebe, die Familien teilweise auch schon über Jahre, über Generationen hinweg begleiten.
SPRECHERIN:
Doch die Bestattungsbranche sei durch ihre große Tradition relativ träge, Veränderungen seien immer langsam gekommen. Aber in den letzten Jahren hat sich vieles in der Welt verändert. Auch in ihrer Branche, und im Sprechen über den Tod.
O4 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Ich habe vor zehn Jahren die Ausbildung gemacht und in diesen zehn Jahren gab es eine ganz, ganz tolle Entwicklung, ganz viele neue Initiativen, viel mehr offenes Sprechen darüber. In den Medien wird das Thema Tod und Trauer viel öfter aufgegriffen.
SPRECHERIN:
Ein Grund dafür: Die Digitalisierung unserer Lebenswelt – und der des Sterbens. In diesem Bereich, den Lilli Berger auch "death care" nennt – die nun eben auch digitale Arbeit mit dem Tod und der Trauer – ist sie eines der prägendsten Gesichter des Wandels.
MUSIK: Coldplay, 42 [Those, who are dead, are not dead, they are living in my head …] 0’27
SPRECHERIN:
Mit der Digitalisierung ist zunächst erst mal vieles, was früher physisch hinterlassen wurde, digital geworden. Einer der ersten, die das empirisch untersucht haben, ist Lorenz Widmaier – was ist ein digitales Erbe und wie konkret gehen die Hinterbliebenen mit diesem um? Erst seit kurzem sei das wirklich wichtig geworden, weil digitale Nachlässe natürlich erst in den letzten Jahren so richtig anzufallen beginnen. Zum digitalen Nachlass gehören alle Spuren, die wir zu Lebzeiten digital hinterlassen: Verträge, Passwörter, Zugänge zu bestimmten Accounts, aber auch Suchverläufe oder Aktivitäten auf Webseiten.
O5 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung - LORENZ WIDMAIER:
Zum Beispiel das, was wir auf Facebook oder in anderen sozialen Medien machen. Ganz wichtig sind dann auch Messenger, so was wie WhatsApp, wo zum Beispiel eine Beziehungsgeschichte oder die Geschichte mit seinem Kind sehr detailliert dokumentiert ist, den Alltag mit Sprachnachrichten, Fotos, Videos und sowas, was es eigentlich früher nie gab in der Detailliertheit. Zum digitalen Nachlass gehören nicht nur die Daten des Verstorbenen, sondern auch meine eigenen Daten, die ich über den Verstorbenen habe. Also gerade so was wie WhatsApp Verläufe.
Musik: Future questions 0‘25
SPRECHERIN:
Mit Hinterbliebenen hat er sich mehr als 30 dieser „digitalen Nachlässe“ angeschaut, ausgewertet und gefragt, was sie mit diesen Daten machen und was sie ihnen bedeuten. Widmaier erinnert sich an eine Mutter, die ihre Tochter verloren hat und über deren digitales Erbe zu Antworten gefunden hat.
O6 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung - LORENZ WIDMAIER:
Die hat dann Screenshots gefunden, die ihre Tochter von der Zugverbindung gemacht hat, die sie für ihren Suizid verwendet hat. Und diese Screenshots waren einige Wochen davor gemacht. Das heißt, sie wusste dann, „Okay, den Gedanken gab es schon einige Wochen. Das war keine Affekthandlung, die plötzlich passiert ist.“
SPRECHERIN:
Zu Lebzeiten ihrer Tochter war es für sie unbemerkt geblieben. Im Spiegel der zusammengesetzten Daten konnte sie posthum nachvollziehen, wie sich der Zustand ihrer Tochter verschlechtert hat.
O7 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung - LORENZ WIDMAIER:
Sie haben dann zum Beispiel Instagram-Posts angeschaut, wo es dann ganz klar Hinweise darauf gab: Man hat mehr nachdenkliche, traurige Selfies zum Beispiel gesehen. Aber auch die Hashtags haben dann auf bestimmte Musik verwiesen, wo es um Suizid ging. Auch die kurzen Kommentare haben sich so deuten lassen. Und so konnte man einfach ein bisschen Biographiearbeit machen und versuchen, so die Gefühlslage der Verstorbenen zu verstehen. Und das war dann auch so ein Weg. Wo man seinen Frieden in gewisser Weise damit finden konnte, dass man eine gewisse Erklärung hatte.
SPRECHERIN:
Nicht immer sind die Daten vorhanden oder zugänglich. Manchmal sind genau die Daten, die fehlen, das wichtigste Puzzlestück im Nachlass. So erging es einer Mutter, die ihre Tochter ebenfalls durch einen Suizid verloren hat.
O8 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung - LORENZ WIDMAIER:
Der Mutter war es dann wichtig, die privaten Nachrichten zu lesen, die ihre Tochter an Freunde usw. geschrieben hat.
SPRECHERIN:
Das Problem: Sie hatte den Zugang nicht. Also wendete sich die Frau direkt an Facebook
O9 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung - LORENZ WIDMAIER:
und erklärt, „meine Tochter hat sich das Leben genommen, ich brauche Zugriff auf die privaten Nachrichten, ich will das verstehen usw." Und dann hat Facebook aber gesehen, dass die Tochter in den Nachlass-Einstellungen eingestellt hat – „Facebook Account nach meinem Tod löschen.“ Und jetzt war es so: Die Mutter wendet sich an Facebook, Facebook sieht, da steht drin „nach meinem Tod löschen“ und hat den Facebook-Account gelöscht.
Musik: Bouncing radicals 0‘32
SPRECHERIN:
Was zählt mehr, die Wünsche des Verstorbenen oder die Bedürfnisse und Nöte des Hinterbliebenen?
1O Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung - LORENZ WIDMAIER:
Das ist eine moralische Frage, ist eine rechtliche Frage, die auch in verschiedenen Ländern anders bewertet wird. Es gibt Länder, da hätte die Mutter trotzdem das Recht drauf.
SPRECHERIN:
Das digitale Leben ist wie eine weitere Schicht zu unserer Existenz hinzugekommen. Und wir sollten auch darüber verfügen, wie mit diesem Teil unserer Identität umgegangen werden soll, wenn wir nicht mehr da sind.
11 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung - LORENZ WIDMAIER:
Und wenn man dann vielleicht noch zu manchen Dingen die Wünsche vermerkt, zum Beispiel WhatsApp, bitte alle Nachrichten löschen, die zwischen uns geschrieben worden sind. Das hilft Hinterbliebenen enorm zu wissen: Was darf ich eigentlich? Niemand will gerne rumkramen in den Sachen von den Verstorbenen. Die meisten brauchen aber Erinnerung.
Musik: Virtual land 0‘40
SPRECHERIN:
Die Digitalisierung hat einerseits dazu geführt, dass manche Dinge, die früher analog existierten, nun eine andere Form angenommen haben. Doch sie hat auch ganz neue, zuvor undenkbare Möglichkeiten geschaffen. Etwa mit der Art und Weise, wie wir Kontakt zu den Verstorbenen halten. Auf Facebook gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, das Profil eines Verstorbenen in einen „Gedenkstatus" zu versetzen. So lässt sich dort trauern, erinnern, im Gespräch bleiben. Dieser Wunsch, die Verbindungen mit den Verstorbenen über den Tod hinauszuhalten, trägt in der Psychologie den Namen „continuing bonds“.
12 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung - LORENZ WIDMAIER:
Man spricht die verstorbene Person direkt an in diesen Posts nach dem Tod. Das ist ähnlich zu Briefen, die man früher an verstorbene Personen geschrieben hat, aber man macht das jetzt in einer kleinen Öffentlichkeit zusammen mit anderen und dann reagieren andere auf diese Posts, sei es nur mit einem kleinen Herz oder mit einem kurzen Kommentar. Und so ist diese Trauer und diese „continuing bond“ eben sichtbarer und vielleicht auch ein bisschen akzeptierter.
SPRECHERIN:
Und die analoge Welt? Die bleibt ja.
13 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung - LORENZ WIDMAIER:
Es wird auch genauso wichtig sein, das Grab zu besuchen. Wenn ich nicht zum Begräbnis kommen kann, aus irgendeinem Grund, kann ich vielleicht über einen Facebook-Livestream trotzdem dazu kommen. Aber es wird trotzdem auch das Begräbnis vor Ort geben und das wird die gleiche Relevanz behalten. Aber natürlich, ein Pullover vom Verstorbenen, der hat denselben Stellenwert, die Möbel vom Verstorbenen. Das verliert jetzt nicht an Wert.
Musik: Unbiased opinion 0‘28
SPRECHERIN:
An diesem digitalen Zusatz arbeitet auch Lilli Berger, die Bestatterin, die außerdem Film und digitales Leadership studiert hat. Auch deswegen konnte sie 2020 das Unternehmen VYVYT [Aussprache: vivit] mit zwei Kollegen gründen: In Deutschland hat sie die erste virtuelle Möglichkeit geschaffen, zeit- und ortsunabhängig Abschied zu nehmen oder Gedenkfeiern zu veranstalten.
14 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Man kann es zum ersten Todestag machen, zum zehnten Todestag, zum Geburtstag des Verstorbenen. Es gibt einem Raum, wo man, egal wo man gerade auf der Welt ist, für eine Stunde einfach vorbeikommt und dieser Person nochmal gedenkt, sich Erinnerungen austauscht und in dem Moment werden Erinnerungen ja wieder lebendig.
SPRECHERIN:
Dieser Raum ist im Grunde einer Gedenkseite gar nicht unähnlich. Es ist nur – wirklich ein Raum. Er ist dreidimensional, die Erfahrung intensiver, und dadurch vielleicht bleibender.
15 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Es gibt ein Vorne, ein Hinten, es können Gruppen sich bilden. Es gibt rechts, links, es gibt ein 3D-Audio. Das heißt, du hast auch wirklich das Gefühl, jemand spricht links oder jemand spricht rechts. Und wenn mir eine Geschichte erzählt wird, sehe ich vor mir zum Beispiel einen virtuellen Baum. Und in dem Moment speichert mein Gehirn das Erzählte als Erinnerung im dreidimensionalen Raum ab und das kann mein Gehirn später wieder abrufen. Und dadurch entstehen in diesem virtuellen Raum Erinnerungen, sie werden sozusagen auf einer lebendigen Art und Weise weitergegeben, dass ich mich langfristig dran erinnern kann.
Musik: Finding a way out 0‘31
SPRECHERIN:
Auf der Seite steuert man durch den Raum mit den Pfeiltasten am Computer und der Maus. Man kann in diesem digitalen Raum umherlaufen, stehen bleiben, die Bilder an den Wänden anschauen oder selbst welche in leere Bilderrahmen hochladen. Man kann mit den anderen ins Gespräch kommen, oder für sich bleiben. Der virtuelle Erinnerungsraum hat den Vorteil, dass er uns Freiheiten bietet, die uns im Leben häufig verwehrt sind.
16 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Es gibt erst mal keine Rituale, die wir in der physischen Welt ja schon haben, wie zum Beispiel, man gibt Blumenblätter oder Erde mit ins Grab oder man zündet eine Kerze an. Wir können den virtuellen Raum neu besetzen. Die Frage ist, ob wir das wollen oder ob wir vielleicht auch einfach Analoges nehmen und ins Digitale übersetzen. Das ist genauso möglich. Aber es ist ein Ort, den wir erst mal noch erobern dürfen mit unserer eigenen Trauerkultur.
SPRECHERIN:
Gerade für die heranwachsende Generation ist das eine Chance. Denn sie wächst mit dem Internet auf.
17 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Sie können für sich neue Traditionen, neue Rituale entwickeln. Und wir sind auch frei in der Art und Weise, wie wir den Raum gestalten. Also zum Beispiel finde ich total schön, wenn der Raum an etwas erinnert, was wir mit der verstorbenen Person erinnern, zum Beispiel Omas Garten.
Musik: Confused images 0‘27
SPRECHERIN:
Diese jüngere Generation ist ein wichtiger Teil der Nutzenden des virtuellen Gedenkraumes. Und unter ihnen insbesondere jene "early adopters", die offen sind, mit neuen technischen Innovationen herumzuexperimentieren. Und auch jene, die einen ungewöhnlichen, frühen oder tragischen Tod verarbeiten müssen, greifen auf das Angebot zurück.
18 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Also zum Beispiel hatten wir Meves, der war 14, als sein Vater im Sterben lag, und er hat die Stammkneipe nachgebaut vom Vater. Und ein halbes Jahr, nachdem der Vater gestorben ist, gab es eine große Geburtstagsparty für den Vater in dieser Stammkneipe und es war für den Sohn so ein schöner Moment, weil er konnte seinem Vater noch mal was geben und er hat sein Vater noch mal aus ganz verschiedenen Perspektiven kennengelernt. Ein halbes Jahr nach der Beerdigung – und das tat ihm total gut. Er hat jetzt wieder angefragt und möchte gerne jetzt zum Jahrestag wieder eine virtuelle Trauerfeier veranstalten zur Erinnerungsfeier.
SPRECHERIN:
In Zukunft wird es für das Unternehmen dahin gehen, öfter reale Räume nachzubauen. Das alte Elternhaus vielleicht? Oder den Ort der letzten gemeinsamen Reise? Das exakte Nachbauen realer Räume ist momentan noch sehr kostspielig und wird deshalb eher selten gemacht. Aber das Aufkommen generativer Künstlicher Intelligenz erleichtert es enorm. Und überhaupt: verändert Künstliche Intelligenz vieles, auch in der Trauerkultur. Bereits jetzt, und vor allem in der Zukunft.
19 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Du baust eine Verbindung zu der verstorbenen Person auf. Das ist nicht notwendig, dass der Chatbot dir diese Beziehung suggeriert. Die passiert in dir, die passiert in deinem Herzen. Sie passiert in deinem Kopf. Die passiert psychologisch in Erinnerung. Wie auch immer. Und da möchte ich gerne hinkommen, dass der Chatbot das unterstützt,
Musik: Learning process 0‘26
SPRECHERIN:
Gerade experimentiert sie mit einem KI-Chatbot, einem Computerprogramm, das menschliche Gespräche mit einem anderen Nutzer simuliert. Sie füttert ihn mit Daten von und über sich selbst.
20 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Und der wächst jetzt gerade mit all meinen Erinnerungen und persönlichen Beziehungen. Das heißt, ich baue das selber und bin richtig, richtig neugierig, wohin das geht. Und es ist ehrlich gesagt super faszinierend.
SPRECHERIN:
Aber das hat seine Grenzen, sie ist damit sehr vorsichtig.
21 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Gleichzeitig sehe ich aber auch die Gefahr, dass wenn man damit alleine gelassen wird, dass das problematisch werden kann. Es gibt einfach viel Unausgesprochenes. Und es gibt viele Fragen, die offen bleiben nach dem Tod. Und der Chatbot kann diese Fragen nicht beantworten.
MUSIK 0’35
Sasha Alex Sloan, Dancing with your Ghost
[I put the record on, wait 'til I hear our song, Every night, I'm dancing with your ghost]
SPRECHERIN:
2020 hatte ein Video aus Südkorea Schlagzeilen gemacht: Eine Frau begegnet dem Avatar ihrer kleinen Tochter in einer Virtual Reality wieder. Das Mädchen ist nur wenige Jahre alt geworden. Die Beziehung abrupt geendet. Der Avatar fragt: „Mama, wo bist du gewesen? Hast du an mich gedacht?“
22 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung: MATTHIAS MEITZLER:
Ein virtuelles Gegenüber, dass man eben nicht nur betrachten kann, sondern mit dem man gewissermaßen auch in einen Dialog treten kann. Also ein KI-System, das auf meinen Input adäquat reagiert.
SPRECHERIN:
Das ist Matthias Meitzler von der Uni Tübingen. Er hat sich als Thanatologe viel mit dem Lebensende beschäftigt, war in Hospizen, Pathologien, hat über 1.200 Friedhöfe besucht und ein Buch darüber geschrieben. Zuletzt hat er zum digitalen Weiterleben von Verstorbenen anhand KI-basierter Technologien geforscht. Das Feld verändert sich gerade rapide. Und grundlegend.
23 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung: MATTHIAS MEITZLER:
Und dann ist es eben nicht mehr so, wenn ich jetzt diese Anwendung etwas frage, dass dann einfach irgendwas schon Aufgenommenes einfach nur abgespielt wird, sondern dieser Avatar in dem Fall kann dann antworten und kann dann etwas sagen, was diese Person zu Lebzeiten gesagt haben könnte, aber sehr wahrscheinlich gar nicht so gesagt hat. Und sie kann das beispielsweise auch in der Stimmlage dieser Person tun. Man kann mittlerweile auch Stimmen schon sehr realistisch simulieren und reproduzieren und da nähert sich dieses digitale Andere sehr stark einem vermeintlich lebendigen Menschen an.
SPRECHERIN:
Wird der Tod durch die lebensechten, kreativen Avatare der Verstorbenen relativiert?
24 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung: MATTHIAS MEITZLER:
Der Tod ist zunächst etwas Körperliches. Aber es gibt ja doch in vielen Fällen so was wie ein soziales Weiterleben. Dann kann durch Digitalisierung natürlich vieles verwirklicht werden, was man früher vielleicht nicht für möglich gehalten hat.
SPRECHERIN:
In den USA hat sich in den letzten Jahren eine noch kleine Industrie gebildet. Für Meitzler verschärft das die grundsätzlichen Fragen, die wir uns mit dem Tod stellen.
25 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung: MATTHIAS MEITZLER:
Menschliche Persönlichkeit ist ja auf den ersten Blick schon was Stabiles, was irgendwie über längere Jahre erhalten bleibt. Aber auf der anderen Seite sind Menschen ja auch immer in Entwicklung. Also ich spreche jetzt mit Ende 30 anders als ich mit Anfang 20 gesprochen habe. Und wahrscheinlich werde ich in ein paar Jahrzehnten noch mal anders sprechen, ich werde Dinge anders bewerten, vieles vielleicht auch einfach anders sehen, mich auch an meine Vergangenheit anders erinnern. Und jetzt kann man natürlich durchaus kritisch fragen: „Na ja, wenn wir jetzt so ein Avatar kreieren, welche Version von mir soll das eigentlich dann sein?“
Musik: KI 0‘37
SPRECHERIN:
Mit welchen Daten soll meine KI trainiert werden bzw. wie werden die Daten, die sich womöglich widersprechen, gewichtet? Das berührt die Frage der Identität – wer bin ich? Und zu wem werde ich, wenn ich die Form des Avatars annehme?
26 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung: MATTHIAS MEITZLER:
Sollen das jetzt Daten sein, die ganz aktuell sind? Wenn jetzt ein Mensch stirbt, sollen es Daten sein, die er erst vor kurzem produziert hat? Oder sollen es Daten sein, die vielleicht schon Jahre oder vielleicht auch irgendwann mal Jahrzehnte alt sind? Was ist, wenn es da Konflikte gibt?
SPRECHERIN:
Und ganz wichtig die Frage: Wer entscheidet das eigentlich?
27 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung: MATTHIAS MEITZLER:
Sind das dann immer die jeweils Verstorbenen, die zu Lebzeiten schon festlegen, ob sie überhaupt ein Avatar haben wollen und wenn ja, wie dieser aussehen soll und welche Daten da überhaupt verwendet werden sollen? Sollen überhaupt alle Daten verwendet werden? Oder gibt es nicht bestimmte Inhalte, wo man vielleicht aus guten Gründen sagt: „Um Gottes willen, bitte nicht nach meinem Tod das noch irgendwie bewahren?" Oder sind es am Ende vielleicht auch die Hinterbliebenen, die das dann entscheiden, wenn sich die verstorbene Person da vielleicht auch gar nicht verbindlich geäußert hat? Das ist natürlich dann im Zweifel auch problematisch, gerade dann, wenn es mehrere Hinterbliebene gibt, die auch noch mal unterschiedliche Interessen haben.
SPRECHERIN:
Hinzu kommt das Problem, dass die Anbieter private Unternehmen sind, die ihrerseits wiederum ökonomische Interessen verfolgen und die vulnerable Situation von Trauernden ausnutzen könnten. Meitzler hat da ganz konkrete Szenarien vor Augen.
28 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung: MATTHIAS MEITZLER:
Der Avatar sagt kurz vor Ablauf des Abos: „Bitte verlängert doch dieses Abo, zahlt doch bitte mal nach, lasst mich kein zweites Mal sterben.“ Also im Prinzip den Hinterbliebenen auch ein schlechtes Gewissen einredet. Es ist ja durchaus denkbar, dass es da vielleicht auch subtilere Formen gibt, bis hin zu Produktplatzierungen etc. Also was ist denn, noch mal ein plakatives Beispiel, wenn die verstorbene Großmutter als Avatar dann ihrer Enkelin rät, doch dieses oder jenes T-Shirt zu kaufen und auch gleich den Bestelllink schon mitliefert.
Musik: Secret proofs red. 0‘30
SPRECHERIN:
Und trotz der Schreckensszenarien: Der Forscher glaubt, dass sich digitale Praktiken künftig in unsere Trauerkultur integrieren werden. Sie reflektieren das Bedürfnis nach Individualität, sagt Meitzler:
29 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung: MATTHIAS MEITZLER:
Damit meine ich auf der einen Seite Säkularisierung, also dass Menschen Sinn und Erklärung für bestimmte Dinge eben nicht mehr an erster Stelle in der Religion suchen, dass wir uns weniger als Teil eines großen Kollektivs verstehen, sondern eher danach schauen: Was ist denn ein bestimmter Mensch gewesen, was war seine Persönlichkeit? Und ich denke, da lässt sich auch diese Entwicklung hin zum digitalen Weiterleben ganz gut einordnen.
MUSIK: Virtual land 0’33
SPRECHERIN:
Wie alles Neue finden einige die Vorstellung befremdlich oder gefährlich gar. Plötzlich mit digitalen Avataren zu kommunizieren, die an unsere liebsten Menschen erinnern sollen, die wir verloren haben? Für andere mag es Trost spenden. Lilli Berger hat eine konkrete Vorstellung:
Musik: Aufbruch (reduced 2) 0‘44
30 Zsp Trauerkultur-Der Tod und die Digitalisierung LILLI BERGER:
Also ich wünsche mir von der Zukunft, dass wir alle so einen digitalen Ort haben, an dem wir an Verstorbene erinnern. In meinem Fall zum Beispiel wäre das eine virtuelle Insel. Und da wären dann all die Menschen, die ich dann verloren haben werde. Also mein Vater bekäme dann digitale Berge, meine Mutter würde einen Platz an dem Meer haben und ich könnte mir vorstellen, dass man dann regelmäßiger solche Orte besucht und einander austauscht, um so ein bisschen die Erinnerungen zu teilen und weiterzugeben, sie wieder lebendig werden zu lassen.
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