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Pflanzenjäger auf Abenteuerreise - Wie man früher seltene Arten aufspürte

23:02
 
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Pflanzenjäger - kein scherzhafter Begriff, sondern ein uralter Beruf! Ob im Auftrag eines Königs oder der Forschung, an Deck eines Schiffs oder mitten im Dschungel - lebensgefährlich war die Pflanzenjagd immer. Von Anja Mösing (BR 2019)

Credits
Autorin dieser Folge: Anja Mösing
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Beate Himmelstoß, Andreas Neumann
Technik: Ursula Kirstein
Redaktion: Iska Schreglmann

Im Interview:
Niels Köster (Dr.; Biologe und Kustos für tropische und subtropische Pflanzen am Botanischen Garten, Berlin)

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

MUSIK

ATMO Dschungel

ERZÄHLER

Es sind 24 Kanus. Die Männer darin haben Musketen. Den ganzen Tag schon beschießen sich die beiden verfeindeten Gruppen. Sie sind kriegerisch, die Papua auf Neuguinea. Und es heißt sogar, dass sie die Köpfe ihrer besiegten Feinde sammeln, als Trophäen! Trotzdem: Wilhelm Micholitz braucht ihre Unterstützung. Er sitzt zwischen ihnen, in einem der Kanus. Und er hofft, dass sie bald weiterfahren können. Nur haben die Männer in Kriegsbemalung momentan ganz anderes im Sinn.

Micholitz lässt sich von den paar Musketenschüssen nicht beeindrucken. Auch nicht von der tropischen Hitze und Feuchtigkeit. Micholitz hat einen neuen Auftrag. Nur der interessiert ihn: Für seinen Chef in London soll er wieder Orchideen finden. Dieses Mal die mit den zartlilafarbenen Blütenblättern: „Dendrobium phaleanopsis“. Von denen gibt es in ganz Europa Ende der 1880er Jahre nur drei Exemplare.

Diese Pflanzen sind eine Rarität! Und Micholitz Chef will damit bei den Orchideen-Verrückten Sammlern in Europa einen großen Coup landen. Er [gemeint ist der Chef] hat alte Aufzeichnungen entdeckt und ist sicher, dass sie irgendwo hier wachsen müssen, bei den Kopfjägern in Neuguinea.

MUSIK

ERZÄHLERIN

Auftraggeber von Wilhelm Micholitz ist der Unternehmer Friedrich Sander. Aus dem Briefwechsel zwischen den beiden weiß man heute viel über den sogenannten „Orchideenkrieg“ im 19. Jahrhundert: ein Wettlauf europäischer Gärtnereien um exotische Pflanzen. – Der unrühmliche Höhepunkt einer jahrhundertelangen Entwicklung.

ERZÄHLER

Sander war als junger Gärtner aus Bremen nach London gekommen und wurde dort mit seiner Orchideengärtnerei weltberühmt. Um die sensationshungrige, meist adelige Kundschaft zufrieden zu stellen, beschäftigte der ungekrönte „Orchideenkönig“ Jäger – Pflanzenjäger!

O-TON 1 Köster

Der Begriff "plant hunter" bezog sich ursprünglich auf die Leute, die hauptberuflich durch bisher unbekannte Gegenden gezogen sind und neue Pflanzen nach Europa gebracht haben.

ERZÄHLERIN

Niels Köster ist promovierter Biologe am Botanischen Garten von Berlin. Für den Verband Botanischer Gärten hat er eine große Wanderausstellung über Forscher, Sammler und Pflanzenjäger kuratiert. Pflanzenjäger? Das klingt seltsam!

MUSIK aus

O-TON 2 Köster

Das waren normalerweise Auftragsjäger für größere Handelsgärtnereien. Also „Sanders“ oder „Veitch“ in Großbritannien. Die Briten als klassisches Gartenvolk hatten natürlich größere Gärtnereien, die ja extrem viele Pflanzen umgesetzt haben. Und einige von diesen Gärtnereien hatten bis zu 20 Leute gleichzeitig überall auf der Welt unterwegs, die für sie Pflanzen gesammelt haben.

ERZÄHLER

Im Ausland Pflanzen tausendfach einsammeln? Das ging im 19. Jahrhundert. Einer Zeit, in der sich manche Männer in Frack und Zylinder so benahmen, als seien fremde Kontinente große Schatztruhen und Europäer hätten die Lizenz, alle nach Belieben zu plündern.

MUSIK

ERZÄHLERIN

Dabei klingt „Pflanzensammeln“ erst mal nach einer harmlosen Tätigkeit. Tatsächlich brauchte es dazu Draufgängertum und Leidensfähigkeit, meint Niels Köster:

O-TON 3 Köster

Wenn sie sich überlegen, um allein schon, von Europa nach Amerika zu kommen: Wochenlange Seereisen zu extrem vielen Leuten an Bord. Wasserknappheit, es brechen Krankheiten aus wie Typhus. Es war nicht selten, dass gut die Hälfte der Leute, die an Bord gegangen sind, letztendlich unterwegs gestorben ist. Also das war relativ normal. Dann natürlich auch vor Ort oftmals monatelange Bootsreisen, Flüsse entlang, zu Fuß ganz viel, tropische Krankheiten verschiedenster Art, letztendlich das Klima verträgt auch weiß Gott nicht jeder, die große Hitze teilweise. Also schon kein leichtes Leben.

MUSIK aus und neu

ERZÄHLER

Leicht sicher nicht, aber eines voller Freiheit und Abenteuer mit Aussicht auf märchenhaften Erfolg! Darum hatte die Jagd nach seltenen oder in Europa noch völlig unbekannten Pflanzen schon immer eine ungeheure Anziehungskraft.

ERZÄHLERIN

Renate Hücking und Kej Hielscher beschreiben in ihrem packenden Buch „Pflanzenjäger“ Männer und Frauen, die alle Sicherheiten des europäischen Lebens hinter sich gelassen haben, auch ihre Familien und oft ihr Leben auf Spiel setzten, um diesem Beruf nach zu gehen.

ATMO

ERZÄHLER

Amalie Dietrichs war eine von ihnen. Sie stammte aus einfachen Verhältnissen im sächsischen Siebenlehen und arbeitete Mitte des 19. Jahrhunderts ganze zehn Jahre als Pflanzenjägerin in Australien. Sie durchwanderte die Küstengebiete, sammelte Holzproben australischer Bäume, presste Moose, Farne und Gräser, sogar Algen und Pilze und schickte alles exklusiv an den reichen hanseatischen Kaufmann Godeffroy. So konnte sie den Lebensunterhalt und die Schule ihrer Tochter in Deutschland finanziern. Ein neuer Vollzeitberuf im 19. Jahrhundert.

MUSIK

O-TON 4 Köster

Letztendlich ist dieses Suchen nach Pflanzen aber sehr-sehr alt. Die ersten konkreten Belege kann man sich am Totentempel der Hatschepsut, einer Pharaonin in Ägypten, so um 1.500 vor Christi Geburt, anschauen. Da hat sie nämlich darstellen lassen, wie sie eine Expedition nach Punt, das war dieses sagenumwobene Land, irgendwo am Horn von Afrika, ausgesandt hat, um Weihrauch-Bäume und vor allem auch Myrrhe-Bäume nach Ägypten zu bringen. Die sie dann wirklich als ganze Bäume mit riesigen Wurzelballen hat herbringen lassen: über See, über Land. Und die wurden dann am Eingang ihres Tempels eingepflanzt, in riesige Kübel.

ERZÄHLERIN

Schon bei dieser ersten belegten Pflanzenjagd der Geschichte ging es keineswegs darum, mit den erbeuteten Pflanzen leere Vorratskammern zu füllen.

O-TON 5 Köster

Da ging es natürlich auch schon drum: Schaut her was ich kann! Von tausenden von Kilometern entfernt Pflanzen hierherbringen lassen! Und die hier kultivieren lassen! Das war natürlich, ja, extrem spektakulär. Das ging damals schon los.

ERZÄHLER

Etwas Exotisches zu besitzen war schon immer eine starke Triebfeder für menschliche Unternehmungen. Überall auf der Welt!

MUSIK

ERZÄHLERIN

Im Europa nördlich der Alpen wurde das Bedürfnis nach Exotik noch durch einen gewissen Mangel befeuert. Einen Mangel, den man heute leicht vergisst, bei all der bunten Fülle an fremdländischen Pflanzen und Bäumen, die hier inzwischen heimisch gemacht wurden; all den Geranien, Pfingstrosen, Lupinen, Clematis, Blauregen, Goldregen, Akazien, Douglasien, den Rosskastanien undundund.

MUSIK

ERZÄHLER

Tatsächlich war Europa nördlich der Alpen über Jahrtausende hinweg relativ arm an Pflanzenarten.

O-TON 6 Köster

Richtung Äquator nimmt die Artenzahl zu. Das ist generell so. In Europa haben wir aber den Spezialfall, dass wir die Eiszeiten hatten, die ja erst vor 10.000 Jahren, die letzte, aufhörte. Und die haben dazu geführt, dass ganz-ganz viele Arten ausgestorben sind, die es vorher in Europa auch gab. Wenn Sie heute in der rheinischen Braunkohle buddeln, finden sie ganz-ganz viele Gattungen, die es in Nordamerika und in Ostasien noch gibt. Die in Europa aber damals in den Eiszeiten ausgestorben sind.

ERZÄHLER

Natürlich fanden die eisigen Perioden auch auf den anderen Kontinenten statt. Nur konnten die Pflanzenarten dort durch langsame Samenausbreitung wieder zurückwandern. Bei uns waren da die Alpen im Weg, erklärt Niels Köster:

O-TON 7 Köster

Wenn Sie sich ne Landkarte anschauen, in Europa verlaufen ja die Gebirge, die Pyrenäen, die Alpen, von Ost nach West. Als es kälter wurde, sich die Eisschilde über Skandinavien bildeten, die Arten nach Süden abgedrängt wurden, irgendwann standen die sozusagen vor den Alpen und konnten nicht weiter! Denn die waren schon vergletschert. Und sind dann letztendlich ausgestorben. Und das ist in Nordamerika und Ostasien nicht passiert. Denn in Nordamerika zum Beispiel die Rocky Mountains, die Appalachen, die verlaufen ja von Nord nach Süden. Da konnten also die Arten nach Süden wandern. Und später, als es wieder wärmer wurde, wieder nach Norden zurückwandern. Deswegen haben wir, gerade wenn wir Baumarten vergleichen, viel-viel mehr Arten in Nordamerika und Ostasien als in Europa.

MUSIK

ERZÄHLERIN

Nachdem die Menschen nördlich der Alpen vor rund 12.000 Jahren von Jägern und Sammlern langsam zu Ackerbauern wurden, kam auch der Tauschhandel bald in Schwung. In unseren Breiten wurden schon um 5000 vor Christus weit mehr als Feuersteinknollen und Keramiken getauscht. Immer wieder kamen auf diese Art wichtige neue Pflanzenarten hinzu: wie der Flachs für Bekleidung, die Erbsen als Nahrungsmittel oder Kräuter für Zeremonien.

ERZÄHLER

Kaufleute, Seefahrer, auch Söldner und Eroberer, sie alle brachten neue Gewächse wie die weiße Lilie, auch Samen oder Wurzelstöcke, aber immer nur in sehr kleiner Stückzahl, von Ort zu Ort. Als Andenken, als Kuriosum, oder weil sie, wie die Römer, ihre Ernährungsgewohnheiten auch in den eroberten Gebieten beibehalten wollten. Darum bauten sie auch in Germanien ihre heimischen Weinstöcke an und in Britannien ihre römischen Rettiche und Gurken.

Zu den ersten „Nebenerwerbs-Pflanzenjägern“ gehörten vor allem Mönche und Nonnen. In ihren Klostergärten sammelten und kultivierten sie Heilkräuter als Arzneimittel und gaben sie auch von Kloster zu Kloster weiter.

MUSIK aus

und ATMO

ERZÄHLER

Erst mit dem Zeitalter der Entdeckungsfahrten im 15. Und 16. Jahrhundert kam Schwung in die Pflanzenjagd. Der Gewürzhandel war damals eine mächtige Triebfeder. Portugiesische, spanische, italienische und englische Seeleute spielten eine große Rolle. Aber auch die niederländischen Kaufleute der „Oostindien Kompagnie“ brachten mit ihren Segelschiffen nie dagewesene Pflanzen nach Europa. Allzu oft hatten knallharte Handelsinteressen Vorrang vor naturkundlichem Wissendurst. Das bekamen Pflanzensammler Ende des 16. Jahrhunderts immer wieder unangenehm zu spüren:

MUSIK

O-TON 8 Köster

Ein Beispiel wäre Georg Rumpf, den man vor allem unter seinem latinisierten Namen „Rumphius“ kennt. Der war Offizier bei der niederländischen Ostindien Compagnie und ist mit denen auf die Molukken gereist und ist da jahrzehntelang auf der Insel Ambon gewesen. Das war eine der Herkunftsinseln, wo die Muskatnuss und die Nelke wuchs. Die beiden höchstpreisigen Gewürze damals, die wirklich extrem wertvoll waren. Und der hat dann dort alles an Pflanzen gesammelt, was er gefunden hat. Hat sich das aber natürlich auch von Einheimischen bringen lassen.

ERZÄHLERIN

Und Rumphius hat in seinen rund 50 Jahren auf den Gewürzinseln all diese exotischen Pflanzen exakt und penibel gezeichnet, auch benannt und in seinem Buch „Herbarium Amboniense“ zusammengefasst. Trotz der hochinteressanten Beschreibungen wurde es nicht mehr zu Rumpfius Lebzeiten veröffentlicht. Warum, das ist unter Biologen kein Geheimnis:

O-TON 9 Köster

Vermutlich vor allen Dingen deswegen, weil die niederländische Oostindien Kompagnie Konkurrenz fürchtete! Das waren nämlich ziemlich gute Zeichnungen. Und anhand derer hätte man solche Pflanzen auch ganz gut wiedererkennen können. Und deswegen haben die das blockiert sozusagen, die Publikation. Ja, um eben keine Konkurrenz zu bekommen im Gewürzhandel!

ERZÄHLER

Ihre Kunden in Europa bezahlten zwar seit eh und je horrende Preise für Muskatnüsse und Nelken, wussten aber lange nicht, wie und vor allem wo diese Gewürze überhaupt wachsen.

ERZÄHLERIN

Überhaupt duldete man die Tätigkeit von Naturforschern eher nur. Dieses Erbeuten von Pflanzen wurde während der gefährlichen Reisen an Bord von Handels- oder Kriegsschiffen lange Zeit nicht wirklich gefördert oder gar respektiert. Ankerte das Schiff an einer unbekannten Küste, blieb man nur solange, wie es für das Auffüllen der Wasserreserven und Proviant nötig war. Nicht solange, wie es der Naturkundler für seine Botanisier-Arbeiten [sic!] gebraucht hätte!

ERZÄHLER

Erst daheim, in Europa, wurde die Pflanzensammler für ihre pflanzenkundlichen Schriften und Zeichnungen gefeiert. Besonders für die kostbaren Herbarien: Bücher mit gepressten, getrockneten und beschrifteten zarten Pflanzen. Nun kam die Jagd nach Grünen Schätzen in Mode!

MUSIK

ZITATOR

„Guter Gott, wenn ich das traurige Schicksal so vieler Jünger der Botanik bedenke, fühle ich mich versucht, die Frage zu stellen, ob die Männer noch bei Verstand sind, die wegen ihrer Liebe zum Pflanzensammeln ihr Leben und alles andere so aufs Spiel setzen.“

ERZÄHLER

Dieser Stoßseufzer stammt aus dem 1737 erschienen Aufsatz „Lob des Naturforschers“ vom schwedischen Arzt und Botaniker Carl von Linné. Denn das 18. Jahrhunderte entwickelte sich zum goldenen Jahrhundert der Botanik! Bisher war Pflanzenkunde immer nur ein Teilgebiet der Medizin gewesen, nun wurde es ein eigenes Studienfach. Und Linné entwickelte 1753 eine Systematik, nach der bis heute alle Pflanzen klassifiziert und benannt werden können.

ERZÄHLERIN

Das taugte den Entdeckern neuer Pflanzen natürlich. Nun konnten sie sich per Namensgebung wissenschaftlich verewigen; ein Teil des Namens bezeichnet die Gattung, der andere die Unterart. Vor allem aber half Linnés System, die Fülle an nie gesehenen Pflanzen zu ordnen. Der Wissensdurst war enorm:

MUSIK

ERZÄHLER

Auch der englische Adelige Josef Banks wurde berühmt für diese Leidenschaft. Er zahlte einfach die Hälfte der Expeditionskosten, um 1768 mit Käpitän James Cook auf Weltumseglung gehen zu können.

O-TON 11 Köster

Ja, Joseph Banks war einer von den ganz Wichtigen. Er war nicht der einzige Botaniker an Bord. Da war noch Daniel Solander aus Schweden dabei. Und die haben, sobald man irgendwo an Land ging, dann Pflanzen gesammelt. Sie waren im Grunde die Ersten, die wirklich große Mengen aus Australien mitgebracht haben. Im Stadtgebiet von Sydney gibt es eine Bucht, die heißt auch heute „Botany Bay". Weil die damals dort an Land gegangen sind und einfach so viele, natürlich komplett neue Sachen, für ihre Augen gesehen haben, dass sie einfach so begeistert waren und wahrscheinlich da den guten Cook auch versucht hatten, zu überzeugen: nein, wir müssen jetzt einfach noch länger hier bleiben. Hier gibt es so viel zu entdecken. Wir stechen besser noch nicht in See.

ERZÄHLER

Als Geldgeber hatte Banks Wunsch natürlich Gewicht. Acht Tage bekamen sie vom Kapitän zugestanden, zum Botanisieren, zum Sammeln und Pressen der überbordenden Pflanzenwelt. Ziel war nicht, diese kostbaren Beispiele aus „Neu Holland“ wie Australien damals hieß, zu Geld zu machen. Es ging Ihnen um Ruhm und Ehre.

O-TON 12 Köster

Genau! (lacht) Die hatten‘s ja auch einfach, weil da war ja fast alles noch unbekannt. Wenn man damals als erster Botaniker seinen Fuß auf australischen Boden setzte, da konnte man eigentlich nix sammeln, was schon bekannt war. Von daher, da konnte man mitnehmen was man wollte, es war etwas Neues.

MUSIK

ERZÄHLERIN

Auf alles Neue wartete man aufgereg! Nicht nur in den gelehrten Kreisen der 1860 frisch gegründeten Londoner Royal Society: Heil zurück gekehrte Naturforscher waren in den Salons und an den Höfen Europas gern gesehene Gäste. Ihre Reisebeschreibungen wurden gedruckt und gierig gelesen.

O-TON 13 Köster

Und Banks war dann ja nach seiner Rückkehr wirklich sehr schnell sehr bekannt. Wurde letztendlich dann, ja, der inoffizielle Direktor der Königlichen Botanischen Gärten in Kew. Und hat dann als solcher unheimlich viele andere Sammler in die Welt entsandt, um Material zu bekommen. Herbar-Belege aber auch lebende Pflanzen.

Musik aus

ERZÄHLER

Und Herbar-Belege, also gepresste und getrocknete Pflanzen in Büchern, den sogenannten „Herbarien“ waren lange Zeit die einzigen Originale, die man in Europa aus den neuen Pflanzenwelten sehen und kaufen konnte. Lebende Pflanzen zu transportieren, war fast unmöglich. Ob in der stickigen Dunkelheit unter Deck oder oben in der salzigen Luft, alles war ungünstig für das Überleben der Pflanzen: Sie konnten verschimmeln, bei Süßwassermangel vertrocknen und bei schwerem Seegang leicht über Bord gespült werden. Viele der mühsam erbeutete Pflanzen wurden auch einfach von hungrigen Schiffsratten und Mäusen aufgefressen. Die Verluste waren schlicht enorm!

ERZÄHLERIN

Auch Pflanzensamen waren nicht immer eine Lösung. Viele sind nur wenige Wochen keimfähig, wie die kostbare Muskatnuss: Bei ihr sind es nur knappe zehn Tage. Zu kurz für eine fruchtbare Schiffsreise nach Europa. In der Hochphase des Kolonialzeitalters gründete man deshalb unzählige Botanische Gärten, erklärt Biologe Niels Köster:

O-TON 14 Köster

Das waren wirklich Dreh und Angelpunkte der Pflanzentransfers von einer Kolonie, von mir aus in Südasien, dann in die nächste, in der Karibik. Und da hat man tatsächlich auch botanische Gärten, ja so bisschen wie Trittsteine dazwischen angelegt. So richtig lange Seetransporte haben die meisten Pflanzen nicht überlebt. Und so konnte man eben von einem Garten zum nächsten die Pflanzen transportieren, dann wieder aufpäppeln.

ERZÄHLERIN

Besser noch als dieses Aufpäppeln und ein echter Meilenstein für die Pflanzenjäger war die Erfindung von Nathaniel Ward: ein Kasten, in dem Pflanzen über lange Zeit quasi in einem geschlossenen Feuchtigkeits-System aufbewahrt werden können, wie in einem mini Gewächshaus. Der „Wardsche Kasten“: unten eine Kiste, oben aus Glas, wurde ab 1835 von Pflanzenjägern verwendet. Jetzt konnten sie ihre Auftraggeber in Europa mit heiß ersehnten lebenden Pflanzen beliefern.

ERZÄHLER

Trotzdem waren Pflanzensamen häufig die bessere Wahl, weil sie

so ein transportfreundliches Sammelgut sind. Gerade die Leidenschaftlichsten unter den Pflanzenjäger wussten das zu schätzen. Ihr Gepäck sollte überschaubar bleiben. Auch ihre Tauschwaren für einheimische Helfer waren möglichst klein: Knöpfe, Kautabak, kleine Ringe, solche Dinge.

MUSIK

O-TON 15 Köster

David Douglas ist eigentlich ein schönes Beispiel. Douglas aus Schottland, der ist mit 24 Jahren von der Royal Horticultural Society nach Nordamerika geschickt worden. In den Nordwesten, der war ja den europäischen Siedlern noch komplett unbekannt. Da ist er dann über drei Jahre lang komplett allein durch die Gegend gezogen. Weit über 11.000 Kilometer müssen das gewesen, die er da zurückgelegt hat. Zu Fuß, mit Pferd mit dem Kanu. Kam dann immer wieder mal total zerlottert in irgendwelchen kleinen Vorposten der europäischen Siedler an. Und da hielten sie ihn teilweise für einen Überlebenden einer schlimmen Katastrophe, weil er so heruntergekommen aussah. Kein Wunder, wenn man so viel Zeit in der Wildnis verbringt. Und der hat da vor allen Dingen Gehölzsamen gesammelt. Zum Beispiel eben auch von der Douglasie. Die dann nach ihm benannt wurde.

ERZÄHLERIN

Douglas Funde passten wunderbar zur neuen europäischen Gartenmode: Englischen „Landschaftsgärten“. Französische Gärten mit geometrischen Blumenbeeten und zurecht gestutzten Büschen waren passé. Nun ging es um zart gehügelte Landschaften mit Bäumen und Büschen in aufeinander abgestimmten Blattformen und Farben.

MUSIK

ERZÄHLER

Die Pflanzenjäger sind im Lauf des 19. Jahrhunderts mit ihrer Sammelleidenschaft immer weiter gegangen: In Japan, das damals noch für Europäer tabu war, setzte sich der Würzburger Franz von Siebold größten Gefahren aus. Er wurde sogar wegen Spionage verurteilt und des Landes verwiesen. Aber er schaffte es trotzdem, hunderte von Kisten mit Pflanzen, darunter die blaue Hortensie, auch Porzellan, Waffen, Stoffen und Landkarten nach Europa zu bringen, was einen regelrechten Japan-Boom ausgelöst hat.

MUSIK

ERZÄHLER

Wenn die Pflanzenjagd bis dahin immer noch bedeutet hatte, dass Pflanzen respektvoll und in überschaubarer Menge entnommen wurden, dann bekam dieser Beruf mit den Orchideenjägern Ende des 19. Jahrhunderts einen räuberischen Zug: Ihre Beute war zart und variantenreich und wuchs meist hoch oben in den Kronen der Bäume. War das Klettern zu mühsam, fällten sie die Bäume kurzerhand und sammelten die Orchideen am Boden ab.

O-TON 16 Köster

Und es war wirklich ein Kampf zwischen den Leuten! Also zwischen den einzelnen Orchideenjägern. Die haben dann teilweise nach dem Motto Nach mir die Sintflut alles hinter sich abgefackelt, um bloß der Konkurrenz nicht auch noch etwas übrig zu lassen.

ERZÄHLER

Ob für Orchideen, für Lilien oder Kakteen – die Gewinnspanne war für Jäger und ihre europäischen Auftraggeber so groß, dass Sammelleidenschaft in Raub und Gier umschlug.

O-TON 17 Köster

Hat letztendlich auch dazu geführt, dass eben bei gewissen Pflanzengruppen man dann schon relativ früh gesagt hat, okay, damit müssen wir den Handel einschränken. Weil die an den Rand der Ausrottung gebracht wurden.

MUSIK

ERZÄHLERIN

Heute hat sich viel geändert in der Pflanzenjagd: Seit 1975 gilt das Washingtoner Artenschutzabkommen, weltweit haben es weit über 150 Staaten unterzeichnet. Wenn Biologen wie Niels Köster heute im Ausland Pflanzen sammeln wollen, dann brauchen sie vorher einiges an Anträgen und Genehmigungen:

O-TON 18 Köster

Heutzutage gibt es natürlich, Gott sei Dank muss man sagen, auch internationale Regelungen, dass man nicht einfach irgendwohin fahren kann, Pflanzen dort sammelt und wieder nach Hause bringt und dann wer weiß was damit macht. Das ist heutzutage nicht mehr möglich. Das ist schon auch gut!

MUSIK aus

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Pflanzenjäger - kein scherzhafter Begriff, sondern ein uralter Beruf! Ob im Auftrag eines Königs oder der Forschung, an Deck eines Schiffs oder mitten im Dschungel - lebensgefährlich war die Pflanzenjagd immer. Von Anja Mösing (BR 2019)

Credits
Autorin dieser Folge: Anja Mösing
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Beate Himmelstoß, Andreas Neumann
Technik: Ursula Kirstein
Redaktion: Iska Schreglmann

Im Interview:
Niels Köster (Dr.; Biologe und Kustos für tropische und subtropische Pflanzen am Botanischen Garten, Berlin)

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MUSIK

ATMO Dschungel

ERZÄHLER

Es sind 24 Kanus. Die Männer darin haben Musketen. Den ganzen Tag schon beschießen sich die beiden verfeindeten Gruppen. Sie sind kriegerisch, die Papua auf Neuguinea. Und es heißt sogar, dass sie die Köpfe ihrer besiegten Feinde sammeln, als Trophäen! Trotzdem: Wilhelm Micholitz braucht ihre Unterstützung. Er sitzt zwischen ihnen, in einem der Kanus. Und er hofft, dass sie bald weiterfahren können. Nur haben die Männer in Kriegsbemalung momentan ganz anderes im Sinn.

Micholitz lässt sich von den paar Musketenschüssen nicht beeindrucken. Auch nicht von der tropischen Hitze und Feuchtigkeit. Micholitz hat einen neuen Auftrag. Nur der interessiert ihn: Für seinen Chef in London soll er wieder Orchideen finden. Dieses Mal die mit den zartlilafarbenen Blütenblättern: „Dendrobium phaleanopsis“. Von denen gibt es in ganz Europa Ende der 1880er Jahre nur drei Exemplare.

Diese Pflanzen sind eine Rarität! Und Micholitz Chef will damit bei den Orchideen-Verrückten Sammlern in Europa einen großen Coup landen. Er [gemeint ist der Chef] hat alte Aufzeichnungen entdeckt und ist sicher, dass sie irgendwo hier wachsen müssen, bei den Kopfjägern in Neuguinea.

MUSIK

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Auftraggeber von Wilhelm Micholitz ist der Unternehmer Friedrich Sander. Aus dem Briefwechsel zwischen den beiden weiß man heute viel über den sogenannten „Orchideenkrieg“ im 19. Jahrhundert: ein Wettlauf europäischer Gärtnereien um exotische Pflanzen. – Der unrühmliche Höhepunkt einer jahrhundertelangen Entwicklung.

ERZÄHLER

Sander war als junger Gärtner aus Bremen nach London gekommen und wurde dort mit seiner Orchideengärtnerei weltberühmt. Um die sensationshungrige, meist adelige Kundschaft zufrieden zu stellen, beschäftigte der ungekrönte „Orchideenkönig“ Jäger – Pflanzenjäger!

O-TON 1 Köster

Der Begriff "plant hunter" bezog sich ursprünglich auf die Leute, die hauptberuflich durch bisher unbekannte Gegenden gezogen sind und neue Pflanzen nach Europa gebracht haben.

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Niels Köster ist promovierter Biologe am Botanischen Garten von Berlin. Für den Verband Botanischer Gärten hat er eine große Wanderausstellung über Forscher, Sammler und Pflanzenjäger kuratiert. Pflanzenjäger? Das klingt seltsam!

MUSIK aus

O-TON 2 Köster

Das waren normalerweise Auftragsjäger für größere Handelsgärtnereien. Also „Sanders“ oder „Veitch“ in Großbritannien. Die Briten als klassisches Gartenvolk hatten natürlich größere Gärtnereien, die ja extrem viele Pflanzen umgesetzt haben. Und einige von diesen Gärtnereien hatten bis zu 20 Leute gleichzeitig überall auf der Welt unterwegs, die für sie Pflanzen gesammelt haben.

ERZÄHLER

Im Ausland Pflanzen tausendfach einsammeln? Das ging im 19. Jahrhundert. Einer Zeit, in der sich manche Männer in Frack und Zylinder so benahmen, als seien fremde Kontinente große Schatztruhen und Europäer hätten die Lizenz, alle nach Belieben zu plündern.

MUSIK

ERZÄHLERIN

Dabei klingt „Pflanzensammeln“ erst mal nach einer harmlosen Tätigkeit. Tatsächlich brauchte es dazu Draufgängertum und Leidensfähigkeit, meint Niels Köster:

O-TON 3 Köster

Wenn sie sich überlegen, um allein schon, von Europa nach Amerika zu kommen: Wochenlange Seereisen zu extrem vielen Leuten an Bord. Wasserknappheit, es brechen Krankheiten aus wie Typhus. Es war nicht selten, dass gut die Hälfte der Leute, die an Bord gegangen sind, letztendlich unterwegs gestorben ist. Also das war relativ normal. Dann natürlich auch vor Ort oftmals monatelange Bootsreisen, Flüsse entlang, zu Fuß ganz viel, tropische Krankheiten verschiedenster Art, letztendlich das Klima verträgt auch weiß Gott nicht jeder, die große Hitze teilweise. Also schon kein leichtes Leben.

MUSIK aus und neu

ERZÄHLER

Leicht sicher nicht, aber eines voller Freiheit und Abenteuer mit Aussicht auf märchenhaften Erfolg! Darum hatte die Jagd nach seltenen oder in Europa noch völlig unbekannten Pflanzen schon immer eine ungeheure Anziehungskraft.

ERZÄHLERIN

Renate Hücking und Kej Hielscher beschreiben in ihrem packenden Buch „Pflanzenjäger“ Männer und Frauen, die alle Sicherheiten des europäischen Lebens hinter sich gelassen haben, auch ihre Familien und oft ihr Leben auf Spiel setzten, um diesem Beruf nach zu gehen.

ATMO

ERZÄHLER

Amalie Dietrichs war eine von ihnen. Sie stammte aus einfachen Verhältnissen im sächsischen Siebenlehen und arbeitete Mitte des 19. Jahrhunderts ganze zehn Jahre als Pflanzenjägerin in Australien. Sie durchwanderte die Küstengebiete, sammelte Holzproben australischer Bäume, presste Moose, Farne und Gräser, sogar Algen und Pilze und schickte alles exklusiv an den reichen hanseatischen Kaufmann Godeffroy. So konnte sie den Lebensunterhalt und die Schule ihrer Tochter in Deutschland finanziern. Ein neuer Vollzeitberuf im 19. Jahrhundert.

MUSIK

O-TON 4 Köster

Letztendlich ist dieses Suchen nach Pflanzen aber sehr-sehr alt. Die ersten konkreten Belege kann man sich am Totentempel der Hatschepsut, einer Pharaonin in Ägypten, so um 1.500 vor Christi Geburt, anschauen. Da hat sie nämlich darstellen lassen, wie sie eine Expedition nach Punt, das war dieses sagenumwobene Land, irgendwo am Horn von Afrika, ausgesandt hat, um Weihrauch-Bäume und vor allem auch Myrrhe-Bäume nach Ägypten zu bringen. Die sie dann wirklich als ganze Bäume mit riesigen Wurzelballen hat herbringen lassen: über See, über Land. Und die wurden dann am Eingang ihres Tempels eingepflanzt, in riesige Kübel.

ERZÄHLERIN

Schon bei dieser ersten belegten Pflanzenjagd der Geschichte ging es keineswegs darum, mit den erbeuteten Pflanzen leere Vorratskammern zu füllen.

O-TON 5 Köster

Da ging es natürlich auch schon drum: Schaut her was ich kann! Von tausenden von Kilometern entfernt Pflanzen hierherbringen lassen! Und die hier kultivieren lassen! Das war natürlich, ja, extrem spektakulär. Das ging damals schon los.

ERZÄHLER

Etwas Exotisches zu besitzen war schon immer eine starke Triebfeder für menschliche Unternehmungen. Überall auf der Welt!

MUSIK

ERZÄHLERIN

Im Europa nördlich der Alpen wurde das Bedürfnis nach Exotik noch durch einen gewissen Mangel befeuert. Einen Mangel, den man heute leicht vergisst, bei all der bunten Fülle an fremdländischen Pflanzen und Bäumen, die hier inzwischen heimisch gemacht wurden; all den Geranien, Pfingstrosen, Lupinen, Clematis, Blauregen, Goldregen, Akazien, Douglasien, den Rosskastanien undundund.

MUSIK

ERZÄHLER

Tatsächlich war Europa nördlich der Alpen über Jahrtausende hinweg relativ arm an Pflanzenarten.

O-TON 6 Köster

Richtung Äquator nimmt die Artenzahl zu. Das ist generell so. In Europa haben wir aber den Spezialfall, dass wir die Eiszeiten hatten, die ja erst vor 10.000 Jahren, die letzte, aufhörte. Und die haben dazu geführt, dass ganz-ganz viele Arten ausgestorben sind, die es vorher in Europa auch gab. Wenn Sie heute in der rheinischen Braunkohle buddeln, finden sie ganz-ganz viele Gattungen, die es in Nordamerika und in Ostasien noch gibt. Die in Europa aber damals in den Eiszeiten ausgestorben sind.

ERZÄHLER

Natürlich fanden die eisigen Perioden auch auf den anderen Kontinenten statt. Nur konnten die Pflanzenarten dort durch langsame Samenausbreitung wieder zurückwandern. Bei uns waren da die Alpen im Weg, erklärt Niels Köster:

O-TON 7 Köster

Wenn Sie sich ne Landkarte anschauen, in Europa verlaufen ja die Gebirge, die Pyrenäen, die Alpen, von Ost nach West. Als es kälter wurde, sich die Eisschilde über Skandinavien bildeten, die Arten nach Süden abgedrängt wurden, irgendwann standen die sozusagen vor den Alpen und konnten nicht weiter! Denn die waren schon vergletschert. Und sind dann letztendlich ausgestorben. Und das ist in Nordamerika und Ostasien nicht passiert. Denn in Nordamerika zum Beispiel die Rocky Mountains, die Appalachen, die verlaufen ja von Nord nach Süden. Da konnten also die Arten nach Süden wandern. Und später, als es wieder wärmer wurde, wieder nach Norden zurückwandern. Deswegen haben wir, gerade wenn wir Baumarten vergleichen, viel-viel mehr Arten in Nordamerika und Ostasien als in Europa.

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Nachdem die Menschen nördlich der Alpen vor rund 12.000 Jahren von Jägern und Sammlern langsam zu Ackerbauern wurden, kam auch der Tauschhandel bald in Schwung. In unseren Breiten wurden schon um 5000 vor Christus weit mehr als Feuersteinknollen und Keramiken getauscht. Immer wieder kamen auf diese Art wichtige neue Pflanzenarten hinzu: wie der Flachs für Bekleidung, die Erbsen als Nahrungsmittel oder Kräuter für Zeremonien.

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Kaufleute, Seefahrer, auch Söldner und Eroberer, sie alle brachten neue Gewächse wie die weiße Lilie, auch Samen oder Wurzelstöcke, aber immer nur in sehr kleiner Stückzahl, von Ort zu Ort. Als Andenken, als Kuriosum, oder weil sie, wie die Römer, ihre Ernährungsgewohnheiten auch in den eroberten Gebieten beibehalten wollten. Darum bauten sie auch in Germanien ihre heimischen Weinstöcke an und in Britannien ihre römischen Rettiche und Gurken.

Zu den ersten „Nebenerwerbs-Pflanzenjägern“ gehörten vor allem Mönche und Nonnen. In ihren Klostergärten sammelten und kultivierten sie Heilkräuter als Arzneimittel und gaben sie auch von Kloster zu Kloster weiter.

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und ATMO

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Erst mit dem Zeitalter der Entdeckungsfahrten im 15. Und 16. Jahrhundert kam Schwung in die Pflanzenjagd. Der Gewürzhandel war damals eine mächtige Triebfeder. Portugiesische, spanische, italienische und englische Seeleute spielten eine große Rolle. Aber auch die niederländischen Kaufleute der „Oostindien Kompagnie“ brachten mit ihren Segelschiffen nie dagewesene Pflanzen nach Europa. Allzu oft hatten knallharte Handelsinteressen Vorrang vor naturkundlichem Wissendurst. Das bekamen Pflanzensammler Ende des 16. Jahrhunderts immer wieder unangenehm zu spüren:

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Ein Beispiel wäre Georg Rumpf, den man vor allem unter seinem latinisierten Namen „Rumphius“ kennt. Der war Offizier bei der niederländischen Ostindien Compagnie und ist mit denen auf die Molukken gereist und ist da jahrzehntelang auf der Insel Ambon gewesen. Das war eine der Herkunftsinseln, wo die Muskatnuss und die Nelke wuchs. Die beiden höchstpreisigen Gewürze damals, die wirklich extrem wertvoll waren. Und der hat dann dort alles an Pflanzen gesammelt, was er gefunden hat. Hat sich das aber natürlich auch von Einheimischen bringen lassen.

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Und Rumphius hat in seinen rund 50 Jahren auf den Gewürzinseln all diese exotischen Pflanzen exakt und penibel gezeichnet, auch benannt und in seinem Buch „Herbarium Amboniense“ zusammengefasst. Trotz der hochinteressanten Beschreibungen wurde es nicht mehr zu Rumpfius Lebzeiten veröffentlicht. Warum, das ist unter Biologen kein Geheimnis:

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Vermutlich vor allen Dingen deswegen, weil die niederländische Oostindien Kompagnie Konkurrenz fürchtete! Das waren nämlich ziemlich gute Zeichnungen. Und anhand derer hätte man solche Pflanzen auch ganz gut wiedererkennen können. Und deswegen haben die das blockiert sozusagen, die Publikation. Ja, um eben keine Konkurrenz zu bekommen im Gewürzhandel!

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Ihre Kunden in Europa bezahlten zwar seit eh und je horrende Preise für Muskatnüsse und Nelken, wussten aber lange nicht, wie und vor allem wo diese Gewürze überhaupt wachsen.

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Überhaupt duldete man die Tätigkeit von Naturforschern eher nur. Dieses Erbeuten von Pflanzen wurde während der gefährlichen Reisen an Bord von Handels- oder Kriegsschiffen lange Zeit nicht wirklich gefördert oder gar respektiert. Ankerte das Schiff an einer unbekannten Küste, blieb man nur solange, wie es für das Auffüllen der Wasserreserven und Proviant nötig war. Nicht solange, wie es der Naturkundler für seine Botanisier-Arbeiten [sic!] gebraucht hätte!

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Erst daheim, in Europa, wurde die Pflanzensammler für ihre pflanzenkundlichen Schriften und Zeichnungen gefeiert. Besonders für die kostbaren Herbarien: Bücher mit gepressten, getrockneten und beschrifteten zarten Pflanzen. Nun kam die Jagd nach Grünen Schätzen in Mode!

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„Guter Gott, wenn ich das traurige Schicksal so vieler Jünger der Botanik bedenke, fühle ich mich versucht, die Frage zu stellen, ob die Männer noch bei Verstand sind, die wegen ihrer Liebe zum Pflanzensammeln ihr Leben und alles andere so aufs Spiel setzen.“

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Dieser Stoßseufzer stammt aus dem 1737 erschienen Aufsatz „Lob des Naturforschers“ vom schwedischen Arzt und Botaniker Carl von Linné. Denn das 18. Jahrhunderte entwickelte sich zum goldenen Jahrhundert der Botanik! Bisher war Pflanzenkunde immer nur ein Teilgebiet der Medizin gewesen, nun wurde es ein eigenes Studienfach. Und Linné entwickelte 1753 eine Systematik, nach der bis heute alle Pflanzen klassifiziert und benannt werden können.

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Das taugte den Entdeckern neuer Pflanzen natürlich. Nun konnten sie sich per Namensgebung wissenschaftlich verewigen; ein Teil des Namens bezeichnet die Gattung, der andere die Unterart. Vor allem aber half Linnés System, die Fülle an nie gesehenen Pflanzen zu ordnen. Der Wissensdurst war enorm:

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Auch der englische Adelige Josef Banks wurde berühmt für diese Leidenschaft. Er zahlte einfach die Hälfte der Expeditionskosten, um 1768 mit Käpitän James Cook auf Weltumseglung gehen zu können.

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Ja, Joseph Banks war einer von den ganz Wichtigen. Er war nicht der einzige Botaniker an Bord. Da war noch Daniel Solander aus Schweden dabei. Und die haben, sobald man irgendwo an Land ging, dann Pflanzen gesammelt. Sie waren im Grunde die Ersten, die wirklich große Mengen aus Australien mitgebracht haben. Im Stadtgebiet von Sydney gibt es eine Bucht, die heißt auch heute „Botany Bay". Weil die damals dort an Land gegangen sind und einfach so viele, natürlich komplett neue Sachen, für ihre Augen gesehen haben, dass sie einfach so begeistert waren und wahrscheinlich da den guten Cook auch versucht hatten, zu überzeugen: nein, wir müssen jetzt einfach noch länger hier bleiben. Hier gibt es so viel zu entdecken. Wir stechen besser noch nicht in See.

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Als Geldgeber hatte Banks Wunsch natürlich Gewicht. Acht Tage bekamen sie vom Kapitän zugestanden, zum Botanisieren, zum Sammeln und Pressen der überbordenden Pflanzenwelt. Ziel war nicht, diese kostbaren Beispiele aus „Neu Holland“ wie Australien damals hieß, zu Geld zu machen. Es ging Ihnen um Ruhm und Ehre.

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Genau! (lacht) Die hatten‘s ja auch einfach, weil da war ja fast alles noch unbekannt. Wenn man damals als erster Botaniker seinen Fuß auf australischen Boden setzte, da konnte man eigentlich nix sammeln, was schon bekannt war. Von daher, da konnte man mitnehmen was man wollte, es war etwas Neues.

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Auf alles Neue wartete man aufgereg! Nicht nur in den gelehrten Kreisen der 1860 frisch gegründeten Londoner Royal Society: Heil zurück gekehrte Naturforscher waren in den Salons und an den Höfen Europas gern gesehene Gäste. Ihre Reisebeschreibungen wurden gedruckt und gierig gelesen.

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Und Banks war dann ja nach seiner Rückkehr wirklich sehr schnell sehr bekannt. Wurde letztendlich dann, ja, der inoffizielle Direktor der Königlichen Botanischen Gärten in Kew. Und hat dann als solcher unheimlich viele andere Sammler in die Welt entsandt, um Material zu bekommen. Herbar-Belege aber auch lebende Pflanzen.

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Und Herbar-Belege, also gepresste und getrocknete Pflanzen in Büchern, den sogenannten „Herbarien“ waren lange Zeit die einzigen Originale, die man in Europa aus den neuen Pflanzenwelten sehen und kaufen konnte. Lebende Pflanzen zu transportieren, war fast unmöglich. Ob in der stickigen Dunkelheit unter Deck oder oben in der salzigen Luft, alles war ungünstig für das Überleben der Pflanzen: Sie konnten verschimmeln, bei Süßwassermangel vertrocknen und bei schwerem Seegang leicht über Bord gespült werden. Viele der mühsam erbeutete Pflanzen wurden auch einfach von hungrigen Schiffsratten und Mäusen aufgefressen. Die Verluste waren schlicht enorm!

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Auch Pflanzensamen waren nicht immer eine Lösung. Viele sind nur wenige Wochen keimfähig, wie die kostbare Muskatnuss: Bei ihr sind es nur knappe zehn Tage. Zu kurz für eine fruchtbare Schiffsreise nach Europa. In der Hochphase des Kolonialzeitalters gründete man deshalb unzählige Botanische Gärten, erklärt Biologe Niels Köster:

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Das waren wirklich Dreh und Angelpunkte der Pflanzentransfers von einer Kolonie, von mir aus in Südasien, dann in die nächste, in der Karibik. Und da hat man tatsächlich auch botanische Gärten, ja so bisschen wie Trittsteine dazwischen angelegt. So richtig lange Seetransporte haben die meisten Pflanzen nicht überlebt. Und so konnte man eben von einem Garten zum nächsten die Pflanzen transportieren, dann wieder aufpäppeln.

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Besser noch als dieses Aufpäppeln und ein echter Meilenstein für die Pflanzenjäger war die Erfindung von Nathaniel Ward: ein Kasten, in dem Pflanzen über lange Zeit quasi in einem geschlossenen Feuchtigkeits-System aufbewahrt werden können, wie in einem mini Gewächshaus. Der „Wardsche Kasten“: unten eine Kiste, oben aus Glas, wurde ab 1835 von Pflanzenjägern verwendet. Jetzt konnten sie ihre Auftraggeber in Europa mit heiß ersehnten lebenden Pflanzen beliefern.

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Trotzdem waren Pflanzensamen häufig die bessere Wahl, weil sie

so ein transportfreundliches Sammelgut sind. Gerade die Leidenschaftlichsten unter den Pflanzenjäger wussten das zu schätzen. Ihr Gepäck sollte überschaubar bleiben. Auch ihre Tauschwaren für einheimische Helfer waren möglichst klein: Knöpfe, Kautabak, kleine Ringe, solche Dinge.

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David Douglas ist eigentlich ein schönes Beispiel. Douglas aus Schottland, der ist mit 24 Jahren von der Royal Horticultural Society nach Nordamerika geschickt worden. In den Nordwesten, der war ja den europäischen Siedlern noch komplett unbekannt. Da ist er dann über drei Jahre lang komplett allein durch die Gegend gezogen. Weit über 11.000 Kilometer müssen das gewesen, die er da zurückgelegt hat. Zu Fuß, mit Pferd mit dem Kanu. Kam dann immer wieder mal total zerlottert in irgendwelchen kleinen Vorposten der europäischen Siedler an. Und da hielten sie ihn teilweise für einen Überlebenden einer schlimmen Katastrophe, weil er so heruntergekommen aussah. Kein Wunder, wenn man so viel Zeit in der Wildnis verbringt. Und der hat da vor allen Dingen Gehölzsamen gesammelt. Zum Beispiel eben auch von der Douglasie. Die dann nach ihm benannt wurde.

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Douglas Funde passten wunderbar zur neuen europäischen Gartenmode: Englischen „Landschaftsgärten“. Französische Gärten mit geometrischen Blumenbeeten und zurecht gestutzten Büschen waren passé. Nun ging es um zart gehügelte Landschaften mit Bäumen und Büschen in aufeinander abgestimmten Blattformen und Farben.

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Die Pflanzenjäger sind im Lauf des 19. Jahrhunderts mit ihrer Sammelleidenschaft immer weiter gegangen: In Japan, das damals noch für Europäer tabu war, setzte sich der Würzburger Franz von Siebold größten Gefahren aus. Er wurde sogar wegen Spionage verurteilt und des Landes verwiesen. Aber er schaffte es trotzdem, hunderte von Kisten mit Pflanzen, darunter die blaue Hortensie, auch Porzellan, Waffen, Stoffen und Landkarten nach Europa zu bringen, was einen regelrechten Japan-Boom ausgelöst hat.

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Wenn die Pflanzenjagd bis dahin immer noch bedeutet hatte, dass Pflanzen respektvoll und in überschaubarer Menge entnommen wurden, dann bekam dieser Beruf mit den Orchideenjägern Ende des 19. Jahrhunderts einen räuberischen Zug: Ihre Beute war zart und variantenreich und wuchs meist hoch oben in den Kronen der Bäume. War das Klettern zu mühsam, fällten sie die Bäume kurzerhand und sammelten die Orchideen am Boden ab.

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Und es war wirklich ein Kampf zwischen den Leuten! Also zwischen den einzelnen Orchideenjägern. Die haben dann teilweise nach dem Motto Nach mir die Sintflut alles hinter sich abgefackelt, um bloß der Konkurrenz nicht auch noch etwas übrig zu lassen.

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Ob für Orchideen, für Lilien oder Kakteen – die Gewinnspanne war für Jäger und ihre europäischen Auftraggeber so groß, dass Sammelleidenschaft in Raub und Gier umschlug.

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Hat letztendlich auch dazu geführt, dass eben bei gewissen Pflanzengruppen man dann schon relativ früh gesagt hat, okay, damit müssen wir den Handel einschränken. Weil die an den Rand der Ausrottung gebracht wurden.

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Heute hat sich viel geändert in der Pflanzenjagd: Seit 1975 gilt das Washingtoner Artenschutzabkommen, weltweit haben es weit über 150 Staaten unterzeichnet. Wenn Biologen wie Niels Köster heute im Ausland Pflanzen sammeln wollen, dann brauchen sie vorher einiges an Anträgen und Genehmigungen:

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Heutzutage gibt es natürlich, Gott sei Dank muss man sagen, auch internationale Regelungen, dass man nicht einfach irgendwohin fahren kann, Pflanzen dort sammelt und wieder nach Hause bringt und dann wer weiß was damit macht. Das ist heutzutage nicht mehr möglich. Das ist schon auch gut!

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