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Die Medusa - Schlangenhaar und tödlicher Blick

23:44
 
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Mit ihrem Schlangenhaar und ihrem versteinernden Blick ist sie zum Inbegriff des schrecklichen Monsters geworden. Andererseits wurde ihr abgeschlagenes Haupt zum allgegenwärtigen Schutzsymbol. Doch Medusa war nicht von jeher ein Ungeheuer, sondern wurde erst durch männliche Gewalt und weiblichen Neid dazu. Von Frank Halbach

Credits
Autor dieser Folge & Regie: Frank Halbach
Es sprachen: Katja Bürkle, Stefan Wilkening, Ines Hollinger
Redaktion: Andrea Bräu

Im Interview:
Prof. Dr. Volker Mergenthaler, Literaturwissenschaftler
Giulia Grossi, Althistorikerin

Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:

Wie wir ticken - Euer Psychologie Podcast
Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 radioWissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnah nimmt Euch „Wie wir ticken“ mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

ZITATORIN (zischend flüsternd)

Fürchterlich bin ich, rund umher mit drohendem Schrecken umkränzt.

(g Schlangenzischen)

SPRECHERIN

Angst ist die älteste und stärkste Emotion des Menschen.

ZITATORIN (wie oben, sich allmählich steigernd)

In Grauen und bleichem Entsetzen lässt mein wutfunkelnder Blick euch erstarren.

SPRECHERIN

Der Mensch ist bedroht - von Anfang an. Um diesem ursprünglichen Gefühl numinoser Angst zu begegnen, begann er zu erzählen.

SPRECHER

„Angst muss immer wieder rationalisiert werden, sowohl in der Geschichte der Menschheit wie in der des Einzelnen. Das geschieht primär nicht durch Erfahrung, sondern durch Kunstgriffe, wie Erklärungen für das Unerklärliche, Benennungen für das Unnennbare. Was durch Namen identifizierbar geworden ist, wird aus seiner Unvertrautheit durch die Metapher herausgehoben, durch das Erzählen von Geschichten erschlossen…“

SPRECHERIN

Schreibt der deutsche Philosoph Hans Blumenberg über den Ursprung mythischer Erzählungen in seinem Literaturklassiker „Arbeit am Mythos“.

SPRECHER

Mit den Mythen betrat der Held die Bühne menschlicher Fiktion.

ZITATORIN (hasserfüllt)

Mit Sichelschwert, Tarnhelm und spiegelndem Schild.

SPRECHERIN

Ihm gegenüber steht: das Monster.

ZITATORIN (trotzig)

Abscheulich, schlangenhaarig, menschenhassgetränkt!

SPRECHER

Was wäre Siegfried ohne Drachen? Beowulf ohne Grendel, Odysseus ohne den Zyklopen, Herkules ohne die Hydra, Ödipus ohne die Sphinx oder Perseus ohne…

SPRECHERIN

Die Medusa: Ihr Gesicht zur Fratze verzerrt, ihr Mund reißzahnbewehrt, statt Haaren züngelnde Schlangen. So grauenhaft sieht sie aus, dass zu Stein erstarrt, wer sie erblickt.

SPRECHER

Seit der Antike dargestellt in Skulpturen, Gemälden, besungen und in sich immer wieder verändernden Mythen erzählt, hat Medusa über Jahrtausende ihren Weg bis in die Popkultur der Gegenwart gefunden: Im Fantasy-Roman, Kinoblockbuster oder PC-Spiel.

MUSIK hoch und ENDE mit g Schwert

SPRECHERIN

Oder besser ihr abgeschlagener Kopf. Medusa und ihre Geschichte sind eines der berühmtesten Motive der griechisch-römischen Mythenwelt.

O-Ton 1 Mergenthaler (04:47)

Was man vielleicht vorweg stellen muss ist, dass man Medusa als mythologische Figur begreifen muss. Das heißt: da gibt es nicht irgendwie eine Quelle, die festlegt, was zu ihr dazugehört, sondern das ist das Ergebnis einer Akkumulation eines kontroversen differenzierten Akkumulationsprozesses, der über zweieinhalbtausend Jahre sich hinstreckt, mehr oder minder, und auch nicht eine Figur irgendwie produziert, sondern eine Reihe von Figuren, die unter dem Namen Medusa Karriere gemacht haben und unterschiedliche

Ausprägungen genommen haben. Je nachdem, welchen Aspekt man verfolgt.

SPRECHER

Sagt der Literaturwissenschaftler Professor Volker Mergenthaler, der sich eingehend mit dem Mythos Medusa beschäftigt hat.

MUSIK privat Take 001 „Prologue“; Album: Dracula Untold; Label: Back Lot Music – BLM0284; Interpret: Gavin Greenaway; Komponist: Ramin Djawadi; ZEIT: 01:04

SPRECHERIN

Wie bei den meisten Mythen liegt der Ursprung der Geschichte der Medusa im Dunklen. Was von Medusa rein mündlich erzählt wurde, vermag niemand zu sagen. Doch schon in einem der ältesten schriftlich fixierten fiktionalen Werke Europas, Homers Ilias, zu datieren auf etwa das 8. Jahrhundert vor Christus, findet die Medusa Erwähnung.

ZITATORIN

Das gorgonische Haupt, des entsetzlichen Ungeheuers,

Schreckenvoll und entsetzlich.

SPRECHER

Als furchterregendes Emblem auf dem Schild der Göttin Athene und des Anführers der Griechen im Trojanischen Krieg: Agamemnon.

ZITATORIN

Die Schreckengestalt der Gorgo drohete schlängelnd,

Mit wutfunkelndem Blick, und umher war Graun und Entsetzen.

SPRECHERIN

Das Schreckliche an Medusa, das Furchtbare, das von ihr ausgeht ist…

ZITATORIN (bitter)

Ihr Antlitz.

MUSIK ENDE

O-Ton 2 Mergenthaler (09:50)

In den Details wird das dann unterschiedlich ausbuchstabiert: Sie hat Schlangenhaar, sie hat einen furchtbaren Blick, das Gesicht ist irgendwie zu einer Fratze geschnitten, mit bleckenden Zähnen und heraushängender Zunge. Also ich würde sagen, wenn man das irgendwie psychologisieren wollte, in unserer moderne Welt, würde ich sagen das ist eine Entstellungserfahrung. Da begegnet uns etwas, das wir als menschlich in seinen Grundzügen erkennen, das aber so verzerrt verrückt entstellt ist, dass es auf mich selbst zurückfällt und mir Angst macht, sozusagen. Ich könnte selbst so aussehen und ich mich versichern möchte, dass ich nicht so aussehe. (…) Was ist das Monster eigentlich? Es ist ein Gegenüber, das aus der Norm fällt und das nicht deswegen verunsichert und dann eben zu Stein oder wie auch immer erstarren lässt.

SPRECHER

Ein Monster verlangt nach einem Helden. Die Medusa nach einem der berühmtesten Heroen in der griechischen Mythologie: Perseus, Sohn des Zeus, der sich in Gestalt eines Goldregens seiner Mutter Danaë genähert hatte.

MUSIK privat Take 012 „Necromancer“; Album: Black Death (Original Motion Picture Soundtrack); Label: MovieScore Media – MMS-10011; Interpret: Nick Ingman; Komponist: Christian Henson; ZEIT: 02:16

SPRECHERIN

Dem König von Argos war geweissagt worden, ein Sohn seiner Tochter Danaë würde ihm einst zum Verhängnis werden. Er setzt daher Danaë und ihren Sohn Perseus auf dem Meer aus. Die Götter aber retten beide, so dass sie auf einer Insel der Kykladen an Land gespült werden. Hier weckt Danaë die Begierde des Königs Polydektes.

SPRECHERIN

Der auch vor Drohungen und Erpressungen nicht zurückschreckt, als er Danaë nachstellt. Perseus und dem Fischer, der Mutter und Sohn bei sich aufgenommen hat, gelingt jedoch immer wieder Danaë zu beschützen.

SPRECHER

Dieser Perseus muss weg. König Polydektes verlangt daher von Perseus, ihm das Haupt der Gorgone Medusa zu bringen, das jeden, der es sieht, zu Stein verwandelt. Die Gorgonen sind gemäß der griechischen Mythologie drei Schwestern, Kinder des Meeresgottes Phorkys und seiner Schwester Keto. Drei geflügelte Schreckensgestalten, welche jeden, der sie erblickt, zu Stein erstarren lassen.

ZITATORIN

Der Gorgonen Geschlecht, jenseits des Okeanos wohnend,

Hart an der Grenze der Nacht, bei den singenden Hesperiden,

Stheino, Eurýale auch, und die jammervolle Medusa.

Sie war sterblich allein, doch Tod so wenig wie Alter

Kannten die zwo.

SPRECHER

Als echter Held macht sich Perseus natürlich sofort auf den Weg.

O-Ton 3 Mergenthaler (12:41)

Allerdings tut er das nicht als Soloplayer, sondern wenn man so will, als Teamplayer mit Backup. Und das Backup ist göttlicher Natur. Das ist Athene, die ihm ein bisschen was mitgebracht hat - wichtige Items: ein Sichelschwert, die „Harpe“, ein Beutelchen, Säckchen wie auch immer die „Kibisis“ und das entscheidende, die „Aigis“, ein Schild. Sie hat einen Schild mitgebracht, der blankpoliert ist, in dem man ein Spiegelbild sehen kann.

ZITATORIN

Perseus trat an die Schlafenden heran, mit abgewandtem Gesicht in seinen ehernen Schild blickend, der ihm das Bild der Gorgo zeigte, und indem ihm Athene die Hand führte, schnitt er ihr das Haupt ab.

g Schwert + MUSIK ENDE

O-Ton 4 Mergenthaler (14:10)

Also das ist die die Erfolgsgeschichte von Perseus. Und da ist eben, dass das Spannende dran, dass damit eigentlich erst mal eine Medientheorie verbunden ist: Also das denkbar Schrecklichste, dem kann ich mich eigentlich nicht aussetzen, ohne zugrunde zu gehen. Ich kann ihm aber begegnen, wenn ich es medialisiere. Das heißt, wenn ich vermittelt draufschaue. Und das kann man bis in unsere Zeit eigentlich übertragen.

SPRECHERIN

Dokumentierte Grausamkeiten aus dem ukrainischen Ort Butscha, verstörende Bilder ungeheurer Zerstörung und Gewalt aus Gaza, unerträgliche Aufnahmen von Morden der Hamas…

O-Ton 5 Mergenthaler (15:03)

Das ist entsetzlich, was wir da zu sehen haben. Wir gucken es aber an, auf dem TV-Bildschirm, auf dem Handy, und halten das irgendwie aus. Und so würde ich sagen das ist das ist das, was uns der der Mythos im Grunde für heute liefern kann: mit dem mit dem Entsetzlichen, mit dem Grauenhaften Können wir irgendwie umgehen, wenn es eingekastelt wird, nicht, wenn es auf einem kleinen Bildschirm ist, der jederzeit signalisiert: das ist nicht in echt, das ist eine Repräsentation des Schrecklichen. Und dann lässt sich das bearbeiten, bewältigen und aushalten in irgendeiner Form. Das ist also das sozusagen das medientheoretisch Interessante am Mythos.

SPRECHER

Mythos bedeutet zu erzählen. Aber warum erzählen wir?

SPRECHERIN

Indem wir erzählen, übernehmen wir die Kontrolle. Der Literaturwissenschaftler Volker Mergenthaler:

O-Ton 6 Mergenthaler (16:12)

Ich kann etwas in eine Ordnung bringen, das Unstrukturierte, das Schreckenerregende dieses Gegenübers, kann ich in eine Ordnung übertragen, indem ich sie auf die auf die Spiegelfläche bringe oder indem ich sie in eine Erzählung überführe. Beides sind Formen der Medialisierung. beides sind Formen der Strukturierung und der Ordnung. Und insofern Mythos das Schreckliche erzählt und weiterträgt und transformiert ist es immer auch eine Form der Kontrolle der Rationalisierung. Von daher ist dieser Medialisierungskniff, den Perseus mit Hilfe der Athene vollzogen hat, eben mythos-theorethisch interessant, aber auch für ganz moderne Medientheorie immer noch ganz brauchbar.

MUSIK privat Take 001 „Mercy In Darkness”; Album: Archangel; Label: Two Steps From Hell – TSFHCD02; Interpret: Aya Peard & Two Steps From Hell; Komponist: Nick Phoenix; ZEIT: 01:52

ZITATORIN

Athene nahm das Haupt der Gorgo in die Mitte ihres Schildes.

SPRECHERIN

Als Unheil abwehrendes magisches Schutz- und Schreckmittel schmückt das sogenannte Gorgoneion fortan Waffen, Wagen, Schiffe, Stadt-mauern, Amulette, Gewänder, Möbel und Sarkophage.

SPRECHER

Der abgeschlagene Kopf ist ein Zeichen, das Macht demonstriert. Das Ungeheuer ist besiegt - doch zugleich gegenwärtig.

((ZITATORIN

Vor dem Anblick jedem stirbt des Lebens Hauch.

SPRECHER

Das Antlitz der Medusa behält seine Wirkung: Zunächst als bluttriefend hervorgezogenes Haupt und später als Abbild auf dem Schild.

SPRECHERIN

Die Enthauptung: blutige Machtdemonstration von Königen, Revolutionären und Terrorristen. ))

SPRECHER

Aber was genau speziell am Haupt der Medusa ist so schrecklich? Und: Wie ist dieses schreckliche Monster entstanden?

ZITATORIN (geflüstert)

accipe quaesiti causam. clarissima forma

multorumque fuit spes invidiosa procorum

illa, nec in tota conspectior ulla capillis

pars fuit: inveni, qui se vidisse referret.

hanc pelagi rector templo vitiasse Minervae

dicitur: aversa est et castos aegide vultus

nata Iovis texit, neve hoc inpune fuisset,

Gorgoneum crinem turpes mutavit in hydros.

nunc quoque, ut attonitos formidine terreat hostes,

pectore in adverso, quos fecit, sustinet angues.

(darüber)

Höre den Grund des, was du erfragst. Obsiegend in Schönheit

War der beneidete Wunsch zahlreicher Bewerber Medusa;

Aber es fiel kein Teil an der ganzen Gestalt in das Auge

Mehr, als das Haar. So hört' ich von manchen, die selbst es gesehen.

Diese entehrt der Fürst des Meers, wie es heißt, in Minervas Tempel.

(wegblenden)

[Von hinnen gewandt hielt Iupiters Tochter die Aigis

Vor ihr keusches Gesicht, und damit nicht fehlte die Strafe,

Ließ sie der Gorgo Haar sich wandeln in scheußliche Hydern.

Jetzt noch immer, mit Angst zu schlagen erbebende Feinde,

Trägt sie vorn auf der Brust von ihr selber geschaffene Schlangen.]

darüber

SPRECHERIN

Im ersten Jahrzehnt nach Christi Geburt erzählt auch der antike römische Dichter Ovid in seinem mythologischen Gedicht „Metamorphosen“ von Perseus und Medusa.

MUSIK ENDE

O-Ton 7 Grossi I (08:23)

Und eine Innovation des Ovid ist, dass er uns jetzt aber noch einen Hintergrund zu dieser Figur erzählt. Und zwar sei diese Gorgone, diese Medusa, nicht einfach immer schon ein Monster gewesen, sondern sie sei ursprünglich mal eine wunderschöne junge Frau gewesen, die sich vor männlichen Verehrern kaum retten konnte und vor menschlicher Aufmerksamkeit.

SPRECHER

Die Althistorikerin Giulia Grossi hat sich dem Medusa-Mythos aus feministischer Perspektive genähert.

O-Ton 8 Grossi (08:48)

Und diese wunderschöne junge Frau war allerdings eine Priesterin der Athene, also der Göttin, die später ganz wesentlich zu ihrem Tod beiträgt. Und ja, diese ungewollte männliche Aufmerksamkeit ist leider ein Leitmotiv ihres Lebens, denn sie zieht eben die Aufmerksamkeit von Poseidon beziehungsweise Neptun, auf sich, dem Meeresgott. Und dem kann sie leider nicht entkommen. Denn der tut ihr sexualisierte Gewalt an, und zwar in dem Tempel der Athene. Und statt also ihrer Schutzbefohlenen zu Hilfe zu kommen, sieht Athene das als ein schweres Vergehen gegen sie selbst, gegen die Integrität dieser Göttin und der Integrität dieses Heiligtums. Und sie bestraft Medusa dafür, indem sie ihr ein furchtbares Aussehen verleiht eben durch beispielsweise das Schlangenhaar, was heute noch ein sehr bekanntes Motiv oder das bekannteste ikonografische Motiv der Medusa ist und sie eben gleichzeitig auf diese Insel verbannt. Und zudem noch diese schreckliche Gabe des ja das versteinernden Blickes, was diese arme Frau, zusätzlich auch noch isoliert, komplett.

MUSIK privat Take 001 „Mercy In Darkness”; Album: Archangel; Label: Two Steps From Hell – TSFHCD02; Interpret: Aya Peard & Two Steps From Hell; Komponist: Nick Phoenix; ZEIT: 00:43

SPRECHERIN

Medusa wird vergewaltigt und dafür auch noch bestraft, von der, die sie eigentlich beschützen sollte, ihrer Priesterin.

SPRECHER

Sie wird also keineswegs nur Opfer männlicher Gewalt, sondern zugleich auch des weiblichen Neids.

ZITATORIN

Meine Locken wanden sich wild in Wut, mein Bewusstsein klammerte sich fest am Hass, der Wunsch nach Rache erfüllte mich und ich begann mich an ihm zu nähren. Mein Haar verwandelte sich in Vergeltung zischende Vipern und meine Augen sahen die Welt in Stein.

MUSIK ENDE

O-Ton 9 Grossi (12:35)

Wir wissen ganz genau, den Kontext, den politischen Kontext, den gesellschaftlichen Kontext, in dem Ovid schreibt. Und zwar ist es in dem ja ziemlich brisanten Zeitalter des Übergangs einer republikanischen Staatsform in eine monarchisch Staatsform der römischen Kaiserzeit, die eigentlich jetzt beginnt, also mitschreibt um die Zeitenwende der Herrschaft des Augustus, mit dem er ein sehr angespanntes Verhältnis hat. Und er macht gar kein Geheimnis daraus, dass Augustus in seinem Epos als quasi-göttliche Figur gleichgestellt wird. Und ein sehr wichtiges Thema, was sich durch die Metamorphose vor allem die ersten Metamorphosen-Bücher durchzieht, wo auch dieser Medusa-Mythos beziehungsweise Perseus-Mythos drin erzählt, ist die Ohnmacht der Menschen vor göttlicher Macht. Also alle Menschen sind dieser göttlichen Macht, der absoluten Willkür dieser olympischen Götter zu allen Zeiten unterworfen. Und was wir in diesem Epos ja auch sehen, ist, dass es keinerlei Konsequenzen für Athene gibt oder für Perseus, der ja der Held dieser Geschichte ist, und die soll es auch nicht geben.

SPRECHERIN

In der patriarchalen Weltordnung hat die Schönheit Medusas eine gewaltige Schattenseite: Sie provoziert männliches Begehren und sexualisierte Gewalt. Erst mit der Verwandlung ins schlangenhaar-bewehrte zornige Ungeheuer gewinnt Medusa Sicherheit. Zudem kann sich die Medusa jetzt mit ihrem versteinernden Blick zur Wehr setzen und wird schließlich auch noch auf eine Insel verbannt, auf der sie nur mit ihren gorgonischen Schwestern lebt. Verwandlung und Verbannung gewährleisten also Schutz vor weiterer männlicher Gewalt. Giulia Grossi:

O-Ton 10 Grossi (33:15)

Die Tatsache, dass Medusa ja Opfer eines sexuellen Übergriffes wurde und das Ganze aber ja keinerlei Konsequenzen für ihren Aggressor einerseits bedeutet hat, andererseits aber auch für diese Gottheit ihre Schutzbefohlene, ihre Patronin, die sie dafür bestraft.

Das ist, glaube ich, ein Motiv, was ganz wichtig wird und ganz emblematisch für diese Auseinandersetzung mit eben der Normalisierung von solcher sexuellen Gewalt. Das ist einfach an der Tagesordnung ist. Und es gibt keine Konsequenzen mehr. Was für Konsequenzen soll es schon geben? Und andererseits eben auch

dieses die Thematik des weiblichen Neides. Dass Frauen gegeneinander ausgespielt werden und wenig Solidarität untereinander zeigen, ist eben auch ein Motiv, was hier ganz gut abgehandelt und diskutiert werden kann.

SPRECHER

In den 1960er und 70er Jahren entdeckt der Feminismus den Medusa-Mythos für sich.

SPRECHERIN

Es geht um weibliche Autonomie, um Selbstbestimmung, die sich eben auch auf sexuelle Selbstbestimmung erstreckt. Um autonome Organisations- und Lebensformen – die drei Gorgonen leben frei und unabhängig - ohne Männer – ihr eigenes Leben. Eine autonome Gemeinschaft, die sich mittels des versteinernden Blicks der Medusa auch verteidigen kann.

MUSIK privat Take 001 „Mercy In Darkness”; Album: Archangel; Label: Two Steps From Hell – TSFHCD02; Interpret: Aya Peard & Two Steps From Hell; Komponist: Nick Phoenix; ZEIT: 00:24

ZITATORIN

Es reicht Medusa ins Gesicht zu schauen, um sie zu sehen: und sie ist nicht tödlich. Sie ist schön und sie lacht.

MUSIK ENDE

SPRECHER

Schreibt die französische Schriftstellerin Hélène Cixous in ihrem Essay „Das Lachen der Medusa“ aus dem Jahr 1975, der als ein Schlüsseltext der feministischen Theorie gilt.

O-Ton 11 Grossi II (03:21)

Und Hélène Cixous eben dann darauf verweist, eben einerseits diese männliche Angst, die sich in Medusa manifestiert, vor weiblicher Selbstbestimmung und vor weiblicher Macht und andererseits die Tatsache eben, dass Medusa eine schöne Frau gewesen sei und gelacht hat.(…) 04:06 Dass eben diese männliche Angst vor weiblicher M acht, die jahrhundertelang eben zu solcher Unterdrückung geführt hat und eben auch zu einer Selbstunterdrückung von Frauen versucht zu lösen. Und eben die Selbstbestimmung und Freiheit von Medusa unterstreicht und nicht das Gefährliche, das ihre Schönheit hatte, auch aus weiblicher Perspektive die Gefahr eines sexuellen Übergriffs, sondern eben die Freiheit, die solche Schönheit und sexuelle Selbstbestimmtheit mit sich bringen kann.

MUSIK privat Take 001 „Mercy In Darkness”; Album: Archangel; Label: Two Steps From Hell – TSFHCD02; Interpret: Aya Peard & Two Steps From Hell; Komponist: Nick Phoenix; ZEIT: 00:58

ZITATORIN

Als Gefangene meiner selbst sehne ich mich danach, mein zischendes Haar abzuwerfen, meine verhängnisvollen Augen zu schließen, die verdreht sind von einer Wut, die ich nie wollte…

SPRECHERIN

Weit weniger optimistisch nähern sich Dichterinnen wie die amerikanische Lyrikerin Ann Stanford dem Medusa-Mythos. Düster und schonungslos erzählen sie von der Vergewaltigung durch Poseidon aus der Ich-Perspektive. Endlich erhält Medusa selbst eine Stimme. Und es ist keine göttliche Strafe, sondern die Wut über Poseidons Angriff, die Medusa verwandelt.

ZITATORIN

Mein zorngetränkter Blick tötete alles Lebendige. Ich war allein. Ich bin allein.

MUSIK ENDE

SPRECHERIN

Medusas entstelltes Antlitz: der Ausdruck weiblicher Wut. Wut, die seit jeher keinen Platz in der patriarchalen Gesellschaft hatte - sanktioniert, pathologisiert, weggeschlossen, wegerzogen.

SPRECHER

Medusa bleibt eine zutiefst ambivalente Figur: furchteinflößend und als Zeichen zugleich schützend.

SPRECHERIN

Opfer männlicher sexueller Gewalt einerseits, Symbolfigur autonomer Weiblichkeit andererseits.

SPRECHER

Der Mythos Medusa wird fortgeschrieben: Die Gorgone tritt in Computerspielen wie „Heroes of Might and Magic“, „God of War“ oder „Assassin’s Creed“ auf. In Kinoblockbustern wie „Kampf der Titanen“ in Jugend-Fantasy wie „Percy Jackson“…

SPRECHERIN

2022 veröffentlicht die britische Schriftstellerin Natalie Haynes ihren Roman „Stone Blind – Der Blick der Medusa“.

SPRECHER

Der Kopf der Gorgone werde hier zum Symbol dafür, wie Geschichten durch die Zeit verzerrt werden können und eine neue und kraftvolle Resonanz erhalten, urteilt „The Guardian.“

SPRECHERIN

2022 hat an den Münchner Kammerspielen „Like Lovers Do (Memoiren der Medusa)“ der israelischen Autorin Sivan Ben Yishai Premiere. Yishai schildert schonungslos in ihrem klageliedartig komponierten Textgeflecht alle erdenklichen Details sexualisierter Gewalt. Im Mai 2023 führt Sabine Fischmann das Stück „#MeToo Medusa. Ein feministischer Wutausbruch“ im Frankfurter Stalburg Theater auf.

MUSIK privat Take 001 „Mercy In Darkness”; Album: Archangel; Label: Two Steps From Hell – TSFHCD02; Interpret: Aya Peard & Two Steps From Hell; Komponist: Nick Phoenix; ZEIT: 00:58

ZITATORIN

Ich bin die für schuldig befundene Unschuldige. Die man enthauptete, während sie schlief. Deren verstümmelte Überreste ganze Heere in Schrecken versetzen. Ich bin, was nach einer Vergewaltigung von einer Frau bleibt.

SPRECHERIN

Medusa-Varianten, die Frauen, die Opfer sexueller Gewalt wurden, ihre eigene Stimme zurückzugeben versuchen. Medusa steht heute mehr denn je für ein sehr intimes und persönliches Thema, das zugleich doch höchst politisch ist.


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Redaktion: Andrea Bräu

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ZITATORIN (zischend flüsternd)

Fürchterlich bin ich, rund umher mit drohendem Schrecken umkränzt.

(g Schlangenzischen)

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Angst ist die älteste und stärkste Emotion des Menschen.

ZITATORIN (wie oben, sich allmählich steigernd)

In Grauen und bleichem Entsetzen lässt mein wutfunkelnder Blick euch erstarren.

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Der Mensch ist bedroht - von Anfang an. Um diesem ursprünglichen Gefühl numinoser Angst zu begegnen, begann er zu erzählen.

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„Angst muss immer wieder rationalisiert werden, sowohl in der Geschichte der Menschheit wie in der des Einzelnen. Das geschieht primär nicht durch Erfahrung, sondern durch Kunstgriffe, wie Erklärungen für das Unerklärliche, Benennungen für das Unnennbare. Was durch Namen identifizierbar geworden ist, wird aus seiner Unvertrautheit durch die Metapher herausgehoben, durch das Erzählen von Geschichten erschlossen…“

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Schreibt der deutsche Philosoph Hans Blumenberg über den Ursprung mythischer Erzählungen in seinem Literaturklassiker „Arbeit am Mythos“.

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Mit den Mythen betrat der Held die Bühne menschlicher Fiktion.

ZITATORIN (hasserfüllt)

Mit Sichelschwert, Tarnhelm und spiegelndem Schild.

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Ihm gegenüber steht: das Monster.

ZITATORIN (trotzig)

Abscheulich, schlangenhaarig, menschenhassgetränkt!

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Was wäre Siegfried ohne Drachen? Beowulf ohne Grendel, Odysseus ohne den Zyklopen, Herkules ohne die Hydra, Ödipus ohne die Sphinx oder Perseus ohne…

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Die Medusa: Ihr Gesicht zur Fratze verzerrt, ihr Mund reißzahnbewehrt, statt Haaren züngelnde Schlangen. So grauenhaft sieht sie aus, dass zu Stein erstarrt, wer sie erblickt.

SPRECHER

Seit der Antike dargestellt in Skulpturen, Gemälden, besungen und in sich immer wieder verändernden Mythen erzählt, hat Medusa über Jahrtausende ihren Weg bis in die Popkultur der Gegenwart gefunden: Im Fantasy-Roman, Kinoblockbuster oder PC-Spiel.

MUSIK hoch und ENDE mit g Schwert

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Oder besser ihr abgeschlagener Kopf. Medusa und ihre Geschichte sind eines der berühmtesten Motive der griechisch-römischen Mythenwelt.

O-Ton 1 Mergenthaler (04:47)

Was man vielleicht vorweg stellen muss ist, dass man Medusa als mythologische Figur begreifen muss. Das heißt: da gibt es nicht irgendwie eine Quelle, die festlegt, was zu ihr dazugehört, sondern das ist das Ergebnis einer Akkumulation eines kontroversen differenzierten Akkumulationsprozesses, der über zweieinhalbtausend Jahre sich hinstreckt, mehr oder minder, und auch nicht eine Figur irgendwie produziert, sondern eine Reihe von Figuren, die unter dem Namen Medusa Karriere gemacht haben und unterschiedliche

Ausprägungen genommen haben. Je nachdem, welchen Aspekt man verfolgt.

SPRECHER

Sagt der Literaturwissenschaftler Professor Volker Mergenthaler, der sich eingehend mit dem Mythos Medusa beschäftigt hat.

MUSIK privat Take 001 „Prologue“; Album: Dracula Untold; Label: Back Lot Music – BLM0284; Interpret: Gavin Greenaway; Komponist: Ramin Djawadi; ZEIT: 01:04

SPRECHERIN

Wie bei den meisten Mythen liegt der Ursprung der Geschichte der Medusa im Dunklen. Was von Medusa rein mündlich erzählt wurde, vermag niemand zu sagen. Doch schon in einem der ältesten schriftlich fixierten fiktionalen Werke Europas, Homers Ilias, zu datieren auf etwa das 8. Jahrhundert vor Christus, findet die Medusa Erwähnung.

ZITATORIN

Das gorgonische Haupt, des entsetzlichen Ungeheuers,

Schreckenvoll und entsetzlich.

SPRECHER

Als furchterregendes Emblem auf dem Schild der Göttin Athene und des Anführers der Griechen im Trojanischen Krieg: Agamemnon.

ZITATORIN

Die Schreckengestalt der Gorgo drohete schlängelnd,

Mit wutfunkelndem Blick, und umher war Graun und Entsetzen.

SPRECHERIN

Das Schreckliche an Medusa, das Furchtbare, das von ihr ausgeht ist…

ZITATORIN (bitter)

Ihr Antlitz.

MUSIK ENDE

O-Ton 2 Mergenthaler (09:50)

In den Details wird das dann unterschiedlich ausbuchstabiert: Sie hat Schlangenhaar, sie hat einen furchtbaren Blick, das Gesicht ist irgendwie zu einer Fratze geschnitten, mit bleckenden Zähnen und heraushängender Zunge. Also ich würde sagen, wenn man das irgendwie psychologisieren wollte, in unserer moderne Welt, würde ich sagen das ist eine Entstellungserfahrung. Da begegnet uns etwas, das wir als menschlich in seinen Grundzügen erkennen, das aber so verzerrt verrückt entstellt ist, dass es auf mich selbst zurückfällt und mir Angst macht, sozusagen. Ich könnte selbst so aussehen und ich mich versichern möchte, dass ich nicht so aussehe. (…) Was ist das Monster eigentlich? Es ist ein Gegenüber, das aus der Norm fällt und das nicht deswegen verunsichert und dann eben zu Stein oder wie auch immer erstarren lässt.

SPRECHER

Ein Monster verlangt nach einem Helden. Die Medusa nach einem der berühmtesten Heroen in der griechischen Mythologie: Perseus, Sohn des Zeus, der sich in Gestalt eines Goldregens seiner Mutter Danaë genähert hatte.

MUSIK privat Take 012 „Necromancer“; Album: Black Death (Original Motion Picture Soundtrack); Label: MovieScore Media – MMS-10011; Interpret: Nick Ingman; Komponist: Christian Henson; ZEIT: 02:16

SPRECHERIN

Dem König von Argos war geweissagt worden, ein Sohn seiner Tochter Danaë würde ihm einst zum Verhängnis werden. Er setzt daher Danaë und ihren Sohn Perseus auf dem Meer aus. Die Götter aber retten beide, so dass sie auf einer Insel der Kykladen an Land gespült werden. Hier weckt Danaë die Begierde des Königs Polydektes.

SPRECHERIN

Der auch vor Drohungen und Erpressungen nicht zurückschreckt, als er Danaë nachstellt. Perseus und dem Fischer, der Mutter und Sohn bei sich aufgenommen hat, gelingt jedoch immer wieder Danaë zu beschützen.

SPRECHER

Dieser Perseus muss weg. König Polydektes verlangt daher von Perseus, ihm das Haupt der Gorgone Medusa zu bringen, das jeden, der es sieht, zu Stein verwandelt. Die Gorgonen sind gemäß der griechischen Mythologie drei Schwestern, Kinder des Meeresgottes Phorkys und seiner Schwester Keto. Drei geflügelte Schreckensgestalten, welche jeden, der sie erblickt, zu Stein erstarren lassen.

ZITATORIN

Der Gorgonen Geschlecht, jenseits des Okeanos wohnend,

Hart an der Grenze der Nacht, bei den singenden Hesperiden,

Stheino, Eurýale auch, und die jammervolle Medusa.

Sie war sterblich allein, doch Tod so wenig wie Alter

Kannten die zwo.

SPRECHER

Als echter Held macht sich Perseus natürlich sofort auf den Weg.

O-Ton 3 Mergenthaler (12:41)

Allerdings tut er das nicht als Soloplayer, sondern wenn man so will, als Teamplayer mit Backup. Und das Backup ist göttlicher Natur. Das ist Athene, die ihm ein bisschen was mitgebracht hat - wichtige Items: ein Sichelschwert, die „Harpe“, ein Beutelchen, Säckchen wie auch immer die „Kibisis“ und das entscheidende, die „Aigis“, ein Schild. Sie hat einen Schild mitgebracht, der blankpoliert ist, in dem man ein Spiegelbild sehen kann.

ZITATORIN

Perseus trat an die Schlafenden heran, mit abgewandtem Gesicht in seinen ehernen Schild blickend, der ihm das Bild der Gorgo zeigte, und indem ihm Athene die Hand führte, schnitt er ihr das Haupt ab.

g Schwert + MUSIK ENDE

O-Ton 4 Mergenthaler (14:10)

Also das ist die die Erfolgsgeschichte von Perseus. Und da ist eben, dass das Spannende dran, dass damit eigentlich erst mal eine Medientheorie verbunden ist: Also das denkbar Schrecklichste, dem kann ich mich eigentlich nicht aussetzen, ohne zugrunde zu gehen. Ich kann ihm aber begegnen, wenn ich es medialisiere. Das heißt, wenn ich vermittelt draufschaue. Und das kann man bis in unsere Zeit eigentlich übertragen.

SPRECHERIN

Dokumentierte Grausamkeiten aus dem ukrainischen Ort Butscha, verstörende Bilder ungeheurer Zerstörung und Gewalt aus Gaza, unerträgliche Aufnahmen von Morden der Hamas…

O-Ton 5 Mergenthaler (15:03)

Das ist entsetzlich, was wir da zu sehen haben. Wir gucken es aber an, auf dem TV-Bildschirm, auf dem Handy, und halten das irgendwie aus. Und so würde ich sagen das ist das ist das, was uns der der Mythos im Grunde für heute liefern kann: mit dem mit dem Entsetzlichen, mit dem Grauenhaften Können wir irgendwie umgehen, wenn es eingekastelt wird, nicht, wenn es auf einem kleinen Bildschirm ist, der jederzeit signalisiert: das ist nicht in echt, das ist eine Repräsentation des Schrecklichen. Und dann lässt sich das bearbeiten, bewältigen und aushalten in irgendeiner Form. Das ist also das sozusagen das medientheoretisch Interessante am Mythos.

SPRECHER

Mythos bedeutet zu erzählen. Aber warum erzählen wir?

SPRECHERIN

Indem wir erzählen, übernehmen wir die Kontrolle. Der Literaturwissenschaftler Volker Mergenthaler:

O-Ton 6 Mergenthaler (16:12)

Ich kann etwas in eine Ordnung bringen, das Unstrukturierte, das Schreckenerregende dieses Gegenübers, kann ich in eine Ordnung übertragen, indem ich sie auf die auf die Spiegelfläche bringe oder indem ich sie in eine Erzählung überführe. Beides sind Formen der Medialisierung. beides sind Formen der Strukturierung und der Ordnung. Und insofern Mythos das Schreckliche erzählt und weiterträgt und transformiert ist es immer auch eine Form der Kontrolle der Rationalisierung. Von daher ist dieser Medialisierungskniff, den Perseus mit Hilfe der Athene vollzogen hat, eben mythos-theorethisch interessant, aber auch für ganz moderne Medientheorie immer noch ganz brauchbar.

MUSIK privat Take 001 „Mercy In Darkness”; Album: Archangel; Label: Two Steps From Hell – TSFHCD02; Interpret: Aya Peard & Two Steps From Hell; Komponist: Nick Phoenix; ZEIT: 01:52

ZITATORIN

Athene nahm das Haupt der Gorgo in die Mitte ihres Schildes.

SPRECHERIN

Als Unheil abwehrendes magisches Schutz- und Schreckmittel schmückt das sogenannte Gorgoneion fortan Waffen, Wagen, Schiffe, Stadt-mauern, Amulette, Gewänder, Möbel und Sarkophage.

SPRECHER

Der abgeschlagene Kopf ist ein Zeichen, das Macht demonstriert. Das Ungeheuer ist besiegt - doch zugleich gegenwärtig.

((ZITATORIN

Vor dem Anblick jedem stirbt des Lebens Hauch.

SPRECHER

Das Antlitz der Medusa behält seine Wirkung: Zunächst als bluttriefend hervorgezogenes Haupt und später als Abbild auf dem Schild.

SPRECHERIN

Die Enthauptung: blutige Machtdemonstration von Königen, Revolutionären und Terrorristen. ))

SPRECHER

Aber was genau speziell am Haupt der Medusa ist so schrecklich? Und: Wie ist dieses schreckliche Monster entstanden?

ZITATORIN (geflüstert)

accipe quaesiti causam. clarissima forma

multorumque fuit spes invidiosa procorum

illa, nec in tota conspectior ulla capillis

pars fuit: inveni, qui se vidisse referret.

hanc pelagi rector templo vitiasse Minervae

dicitur: aversa est et castos aegide vultus

nata Iovis texit, neve hoc inpune fuisset,

Gorgoneum crinem turpes mutavit in hydros.

nunc quoque, ut attonitos formidine terreat hostes,

pectore in adverso, quos fecit, sustinet angues.

(darüber)

Höre den Grund des, was du erfragst. Obsiegend in Schönheit

War der beneidete Wunsch zahlreicher Bewerber Medusa;

Aber es fiel kein Teil an der ganzen Gestalt in das Auge

Mehr, als das Haar. So hört' ich von manchen, die selbst es gesehen.

Diese entehrt der Fürst des Meers, wie es heißt, in Minervas Tempel.

(wegblenden)

[Von hinnen gewandt hielt Iupiters Tochter die Aigis

Vor ihr keusches Gesicht, und damit nicht fehlte die Strafe,

Ließ sie der Gorgo Haar sich wandeln in scheußliche Hydern.

Jetzt noch immer, mit Angst zu schlagen erbebende Feinde,

Trägt sie vorn auf der Brust von ihr selber geschaffene Schlangen.]

darüber

SPRECHERIN

Im ersten Jahrzehnt nach Christi Geburt erzählt auch der antike römische Dichter Ovid in seinem mythologischen Gedicht „Metamorphosen“ von Perseus und Medusa.

MUSIK ENDE

O-Ton 7 Grossi I (08:23)

Und eine Innovation des Ovid ist, dass er uns jetzt aber noch einen Hintergrund zu dieser Figur erzählt. Und zwar sei diese Gorgone, diese Medusa, nicht einfach immer schon ein Monster gewesen, sondern sie sei ursprünglich mal eine wunderschöne junge Frau gewesen, die sich vor männlichen Verehrern kaum retten konnte und vor menschlicher Aufmerksamkeit.

SPRECHER

Die Althistorikerin Giulia Grossi hat sich dem Medusa-Mythos aus feministischer Perspektive genähert.

O-Ton 8 Grossi (08:48)

Und diese wunderschöne junge Frau war allerdings eine Priesterin der Athene, also der Göttin, die später ganz wesentlich zu ihrem Tod beiträgt. Und ja, diese ungewollte männliche Aufmerksamkeit ist leider ein Leitmotiv ihres Lebens, denn sie zieht eben die Aufmerksamkeit von Poseidon beziehungsweise Neptun, auf sich, dem Meeresgott. Und dem kann sie leider nicht entkommen. Denn der tut ihr sexualisierte Gewalt an, und zwar in dem Tempel der Athene. Und statt also ihrer Schutzbefohlenen zu Hilfe zu kommen, sieht Athene das als ein schweres Vergehen gegen sie selbst, gegen die Integrität dieser Göttin und der Integrität dieses Heiligtums. Und sie bestraft Medusa dafür, indem sie ihr ein furchtbares Aussehen verleiht eben durch beispielsweise das Schlangenhaar, was heute noch ein sehr bekanntes Motiv oder das bekannteste ikonografische Motiv der Medusa ist und sie eben gleichzeitig auf diese Insel verbannt. Und zudem noch diese schreckliche Gabe des ja das versteinernden Blickes, was diese arme Frau, zusätzlich auch noch isoliert, komplett.

MUSIK privat Take 001 „Mercy In Darkness”; Album: Archangel; Label: Two Steps From Hell – TSFHCD02; Interpret: Aya Peard & Two Steps From Hell; Komponist: Nick Phoenix; ZEIT: 00:43

SPRECHERIN

Medusa wird vergewaltigt und dafür auch noch bestraft, von der, die sie eigentlich beschützen sollte, ihrer Priesterin.

SPRECHER

Sie wird also keineswegs nur Opfer männlicher Gewalt, sondern zugleich auch des weiblichen Neids.

ZITATORIN

Meine Locken wanden sich wild in Wut, mein Bewusstsein klammerte sich fest am Hass, der Wunsch nach Rache erfüllte mich und ich begann mich an ihm zu nähren. Mein Haar verwandelte sich in Vergeltung zischende Vipern und meine Augen sahen die Welt in Stein.

MUSIK ENDE

O-Ton 9 Grossi (12:35)

Wir wissen ganz genau, den Kontext, den politischen Kontext, den gesellschaftlichen Kontext, in dem Ovid schreibt. Und zwar ist es in dem ja ziemlich brisanten Zeitalter des Übergangs einer republikanischen Staatsform in eine monarchisch Staatsform der römischen Kaiserzeit, die eigentlich jetzt beginnt, also mitschreibt um die Zeitenwende der Herrschaft des Augustus, mit dem er ein sehr angespanntes Verhältnis hat. Und er macht gar kein Geheimnis daraus, dass Augustus in seinem Epos als quasi-göttliche Figur gleichgestellt wird. Und ein sehr wichtiges Thema, was sich durch die Metamorphose vor allem die ersten Metamorphosen-Bücher durchzieht, wo auch dieser Medusa-Mythos beziehungsweise Perseus-Mythos drin erzählt, ist die Ohnmacht der Menschen vor göttlicher Macht. Also alle Menschen sind dieser göttlichen Macht, der absoluten Willkür dieser olympischen Götter zu allen Zeiten unterworfen. Und was wir in diesem Epos ja auch sehen, ist, dass es keinerlei Konsequenzen für Athene gibt oder für Perseus, der ja der Held dieser Geschichte ist, und die soll es auch nicht geben.

SPRECHERIN

In der patriarchalen Weltordnung hat die Schönheit Medusas eine gewaltige Schattenseite: Sie provoziert männliches Begehren und sexualisierte Gewalt. Erst mit der Verwandlung ins schlangenhaar-bewehrte zornige Ungeheuer gewinnt Medusa Sicherheit. Zudem kann sich die Medusa jetzt mit ihrem versteinernden Blick zur Wehr setzen und wird schließlich auch noch auf eine Insel verbannt, auf der sie nur mit ihren gorgonischen Schwestern lebt. Verwandlung und Verbannung gewährleisten also Schutz vor weiterer männlicher Gewalt. Giulia Grossi:

O-Ton 10 Grossi (33:15)

Die Tatsache, dass Medusa ja Opfer eines sexuellen Übergriffes wurde und das Ganze aber ja keinerlei Konsequenzen für ihren Aggressor einerseits bedeutet hat, andererseits aber auch für diese Gottheit ihre Schutzbefohlene, ihre Patronin, die sie dafür bestraft.

Das ist, glaube ich, ein Motiv, was ganz wichtig wird und ganz emblematisch für diese Auseinandersetzung mit eben der Normalisierung von solcher sexuellen Gewalt. Das ist einfach an der Tagesordnung ist. Und es gibt keine Konsequenzen mehr. Was für Konsequenzen soll es schon geben? Und andererseits eben auch

dieses die Thematik des weiblichen Neides. Dass Frauen gegeneinander ausgespielt werden und wenig Solidarität untereinander zeigen, ist eben auch ein Motiv, was hier ganz gut abgehandelt und diskutiert werden kann.

SPRECHER

In den 1960er und 70er Jahren entdeckt der Feminismus den Medusa-Mythos für sich.

SPRECHERIN

Es geht um weibliche Autonomie, um Selbstbestimmung, die sich eben auch auf sexuelle Selbstbestimmung erstreckt. Um autonome Organisations- und Lebensformen – die drei Gorgonen leben frei und unabhängig - ohne Männer – ihr eigenes Leben. Eine autonome Gemeinschaft, die sich mittels des versteinernden Blicks der Medusa auch verteidigen kann.

MUSIK privat Take 001 „Mercy In Darkness”; Album: Archangel; Label: Two Steps From Hell – TSFHCD02; Interpret: Aya Peard & Two Steps From Hell; Komponist: Nick Phoenix; ZEIT: 00:24

ZITATORIN

Es reicht Medusa ins Gesicht zu schauen, um sie zu sehen: und sie ist nicht tödlich. Sie ist schön und sie lacht.

MUSIK ENDE

SPRECHER

Schreibt die französische Schriftstellerin Hélène Cixous in ihrem Essay „Das Lachen der Medusa“ aus dem Jahr 1975, der als ein Schlüsseltext der feministischen Theorie gilt.

O-Ton 11 Grossi II (03:21)

Und Hélène Cixous eben dann darauf verweist, eben einerseits diese männliche Angst, die sich in Medusa manifestiert, vor weiblicher Selbstbestimmung und vor weiblicher Macht und andererseits die Tatsache eben, dass Medusa eine schöne Frau gewesen sei und gelacht hat.(…) 04:06 Dass eben diese männliche Angst vor weiblicher M acht, die jahrhundertelang eben zu solcher Unterdrückung geführt hat und eben auch zu einer Selbstunterdrückung von Frauen versucht zu lösen. Und eben die Selbstbestimmung und Freiheit von Medusa unterstreicht und nicht das Gefährliche, das ihre Schönheit hatte, auch aus weiblicher Perspektive die Gefahr eines sexuellen Übergriffs, sondern eben die Freiheit, die solche Schönheit und sexuelle Selbstbestimmtheit mit sich bringen kann.

MUSIK privat Take 001 „Mercy In Darkness”; Album: Archangel; Label: Two Steps From Hell – TSFHCD02; Interpret: Aya Peard & Two Steps From Hell; Komponist: Nick Phoenix; ZEIT: 00:58

ZITATORIN

Als Gefangene meiner selbst sehne ich mich danach, mein zischendes Haar abzuwerfen, meine verhängnisvollen Augen zu schließen, die verdreht sind von einer Wut, die ich nie wollte…

SPRECHERIN

Weit weniger optimistisch nähern sich Dichterinnen wie die amerikanische Lyrikerin Ann Stanford dem Medusa-Mythos. Düster und schonungslos erzählen sie von der Vergewaltigung durch Poseidon aus der Ich-Perspektive. Endlich erhält Medusa selbst eine Stimme. Und es ist keine göttliche Strafe, sondern die Wut über Poseidons Angriff, die Medusa verwandelt.

ZITATORIN

Mein zorngetränkter Blick tötete alles Lebendige. Ich war allein. Ich bin allein.

MUSIK ENDE

SPRECHERIN

Medusas entstelltes Antlitz: der Ausdruck weiblicher Wut. Wut, die seit jeher keinen Platz in der patriarchalen Gesellschaft hatte - sanktioniert, pathologisiert, weggeschlossen, wegerzogen.

SPRECHER

Medusa bleibt eine zutiefst ambivalente Figur: furchteinflößend und als Zeichen zugleich schützend.

SPRECHERIN

Opfer männlicher sexueller Gewalt einerseits, Symbolfigur autonomer Weiblichkeit andererseits.

SPRECHER

Der Mythos Medusa wird fortgeschrieben: Die Gorgone tritt in Computerspielen wie „Heroes of Might and Magic“, „God of War“ oder „Assassin’s Creed“ auf. In Kinoblockbustern wie „Kampf der Titanen“ in Jugend-Fantasy wie „Percy Jackson“…

SPRECHERIN

2022 veröffentlicht die britische Schriftstellerin Natalie Haynes ihren Roman „Stone Blind – Der Blick der Medusa“.

SPRECHER

Der Kopf der Gorgone werde hier zum Symbol dafür, wie Geschichten durch die Zeit verzerrt werden können und eine neue und kraftvolle Resonanz erhalten, urteilt „The Guardian.“

SPRECHERIN

2022 hat an den Münchner Kammerspielen „Like Lovers Do (Memoiren der Medusa)“ der israelischen Autorin Sivan Ben Yishai Premiere. Yishai schildert schonungslos in ihrem klageliedartig komponierten Textgeflecht alle erdenklichen Details sexualisierter Gewalt. Im Mai 2023 führt Sabine Fischmann das Stück „#MeToo Medusa. Ein feministischer Wutausbruch“ im Frankfurter Stalburg Theater auf.

MUSIK privat Take 001 „Mercy In Darkness”; Album: Archangel; Label: Two Steps From Hell – TSFHCD02; Interpret: Aya Peard & Two Steps From Hell; Komponist: Nick Phoenix; ZEIT: 00:58

ZITATORIN

Ich bin die für schuldig befundene Unschuldige. Die man enthauptete, während sie schlief. Deren verstümmelte Überreste ganze Heere in Schrecken versetzen. Ich bin, was nach einer Vergewaltigung von einer Frau bleibt.

SPRECHERIN

Medusa-Varianten, die Frauen, die Opfer sexueller Gewalt wurden, ihre eigene Stimme zurückzugeben versuchen. Medusa steht heute mehr denn je für ein sehr intimes und persönliches Thema, das zugleich doch höchst politisch ist.


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