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Ulrike Edschmid – Die letzte Patientin

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Es ist eine gespenstische Szene, mit der Ulrike Edschmid ihren Roman eröffnet: Die Ich-Erzählerin hat erfahren, dass eine alte Freundin von ihr in Barcelona im Sterben liegt und wird per Telefon in deren Krankenhaus-Zimmer durchgestellt. Das letzte, was sie von der Freundin hört, ist eine flüsternde, ersterbende Stimme. Nach diesem verstörenden Auftakt erfolgt ein Zeitsprung. Wer war diese Frau, die man als Leser in dieser intimen Situation belauscht hat? Im Jahr 1973, so die Erzählerin, die ebenso wie ihre Freundin namenlos bleibt, sei jene Frau in ihre Frankfurter Wohngemeinschaft eingezogen. Drei Jahre verbringen die beiden in einer Wohnung; die aus Luxemburg stammende Frau sei vor ihrem Elternhaus geflohen, so erzählte sie, und absolviert in Frankfurt erfolgreich ein Studium.

Lange Jahre der Unrast

Doch trotz dieser räumlichen Nähe, die die beiden Frauen verbindet, bleibt immer eine Distanz, eine unsichtbare Wand zwischen ihnen. Schließlich bricht die Luxemburgerin auf in ihre langen Jahre der Unrast, der Heimatlosigkeit. Sie lässt sich durch die Welt treiben oder reist Männern hinterher; Männern, vor denen sie dann aber flieht, wenn eine Bindung zu eng zu werden droht. Das Alleinsein hält sie ebenso wenig aus wie sie zu einer verlässlichen Partnerschaft im Stande ist. Die Ich-Erzählerin zitiert aus einem Brief, den die Freundin ihr aus Mexiko City geschrieben hat:
Liebe sei eine Kunst, die sie nicht beherrsche. Jeder ihrer Versuche sei gescheitert. Sie taumele von Affäre zu Affäre. Es sei eine Sucht. Sie sehe keinen Ausweg aus der Grundmelodie ihres Lebens, der Klage, dem Lamento. Für sie gebe es nirgendwo einen Platz, nicht in einer Familie, nicht in einer Gruppe, nicht innerhalb der Gesellschaft oder einer anderen sozialen Ordnung.

Quelle: Ulrike Edschmid – Die letzte Patientin

Gerade einmal 110 Seiten umfasst „Die letzte Patientin“. Das ist selbst für Ulrike Edschmid ein kurzes Buch. Ein Buch allerdings, in dem die Stärken der mittlerweile 84 Jahre alten Schriftstellerin voll zum Tragen kommen. Auf den ersten Blick erscheint die Ich-Erzählerin nur als Medium, das aus Briefen Telefonaten und Tonbandaufzeichnungen ein Leben rekonstruiert. Doch das, was den Roman ausmacht, seine Kälte und seine ungeheure Verdichtung, ist das Werk derjenigen, die all diese Informationen ordnet und versprachlicht.

Kälte und Verdichtung

Und die im ersten Teil des Romans die Flucht und die Sinnsuche ihrer Freundin protokolliert: Guatemala, Bolivien, Paraguay, Uruguay oder Argentinien sind nur einige wenige Stationen, die auch den politisch-historischen Kontext der Figur umreißen. Der zweite Teil von „Die letzte Patientin“ ist eine Spiegelung: Nach einer Krebsdiagnose lässt die Freundin sich in Barcelona nieder, absolviert spät ein Studium der Psychologie und praktiziert auch als Therapeutin. Ihre letzte Patientin, die dem Roman den Titel gibt, ist ein Mädchen aus Deutschland:
Sie nahm Drogen und war mit vierzehn Jahren von zu Hause zum Sozialamt geflohen und hatte Hilfe gesucht. Die Eltern getrennt. Zur Mutter kein Kontakt. Vater Geschäftsmann mit Unternehmen im Ausland. Sie war sechzehn. Schwer traumatisiert, hatte die Leiterin der Anlaufstelle gesagt, sei ihr Inneres angefüllt mit Schreckensbildern.

Quelle: Ulrike Edschmid – Die letzte Patientin

Die junge Ausreißerin wird in den letzten Jahren der Luxemburgerin zu deren Lebensthema: N., so wird das Mädchen genannt, spricht nicht. Über zehn Jahre hinweg sitzt N. in der Praxis ihrer Therapeutin und schweigt, unwillig oder unfähig, die eigenen Verletzungen in Worte zu fassen.

Eine unheilbar erkrankte Therapeutin

Ob das realistisch ist oder nicht, hat keine Bedeutung für den Roman. Viel wichtiger ist, dass sich in diesem Prozess des Schweigens zwei Menschen ineinander erkennen, bis es zu einer Art von kathartischem Ausbruch und zu jenem Moment kommt, in dem die nun unheilbar erkrankte Therapeutin erstmals so etwas wie Geborgenheit spürt. Man darf sich von Ulrike Edschmids kühlem, vermeintlich protokollarischen Tonfall nicht täuschen lassen – dieser Roman ist ein kurzes und scharfes Kunststück.
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Lange Jahre der Unrast

Doch trotz dieser räumlichen Nähe, die die beiden Frauen verbindet, bleibt immer eine Distanz, eine unsichtbare Wand zwischen ihnen. Schließlich bricht die Luxemburgerin auf in ihre langen Jahre der Unrast, der Heimatlosigkeit. Sie lässt sich durch die Welt treiben oder reist Männern hinterher; Männern, vor denen sie dann aber flieht, wenn eine Bindung zu eng zu werden droht. Das Alleinsein hält sie ebenso wenig aus wie sie zu einer verlässlichen Partnerschaft im Stande ist. Die Ich-Erzählerin zitiert aus einem Brief, den die Freundin ihr aus Mexiko City geschrieben hat:
Liebe sei eine Kunst, die sie nicht beherrsche. Jeder ihrer Versuche sei gescheitert. Sie taumele von Affäre zu Affäre. Es sei eine Sucht. Sie sehe keinen Ausweg aus der Grundmelodie ihres Lebens, der Klage, dem Lamento. Für sie gebe es nirgendwo einen Platz, nicht in einer Familie, nicht in einer Gruppe, nicht innerhalb der Gesellschaft oder einer anderen sozialen Ordnung.

Quelle: Ulrike Edschmid – Die letzte Patientin

Gerade einmal 110 Seiten umfasst „Die letzte Patientin“. Das ist selbst für Ulrike Edschmid ein kurzes Buch. Ein Buch allerdings, in dem die Stärken der mittlerweile 84 Jahre alten Schriftstellerin voll zum Tragen kommen. Auf den ersten Blick erscheint die Ich-Erzählerin nur als Medium, das aus Briefen Telefonaten und Tonbandaufzeichnungen ein Leben rekonstruiert. Doch das, was den Roman ausmacht, seine Kälte und seine ungeheure Verdichtung, ist das Werk derjenigen, die all diese Informationen ordnet und versprachlicht.

Kälte und Verdichtung

Und die im ersten Teil des Romans die Flucht und die Sinnsuche ihrer Freundin protokolliert: Guatemala, Bolivien, Paraguay, Uruguay oder Argentinien sind nur einige wenige Stationen, die auch den politisch-historischen Kontext der Figur umreißen. Der zweite Teil von „Die letzte Patientin“ ist eine Spiegelung: Nach einer Krebsdiagnose lässt die Freundin sich in Barcelona nieder, absolviert spät ein Studium der Psychologie und praktiziert auch als Therapeutin. Ihre letzte Patientin, die dem Roman den Titel gibt, ist ein Mädchen aus Deutschland:
Sie nahm Drogen und war mit vierzehn Jahren von zu Hause zum Sozialamt geflohen und hatte Hilfe gesucht. Die Eltern getrennt. Zur Mutter kein Kontakt. Vater Geschäftsmann mit Unternehmen im Ausland. Sie war sechzehn. Schwer traumatisiert, hatte die Leiterin der Anlaufstelle gesagt, sei ihr Inneres angefüllt mit Schreckensbildern.

Quelle: Ulrike Edschmid – Die letzte Patientin

Die junge Ausreißerin wird in den letzten Jahren der Luxemburgerin zu deren Lebensthema: N., so wird das Mädchen genannt, spricht nicht. Über zehn Jahre hinweg sitzt N. in der Praxis ihrer Therapeutin und schweigt, unwillig oder unfähig, die eigenen Verletzungen in Worte zu fassen.

Eine unheilbar erkrankte Therapeutin

Ob das realistisch ist oder nicht, hat keine Bedeutung für den Roman. Viel wichtiger ist, dass sich in diesem Prozess des Schweigens zwei Menschen ineinander erkennen, bis es zu einer Art von kathartischem Ausbruch und zu jenem Moment kommt, in dem die nun unheilbar erkrankte Therapeutin erstmals so etwas wie Geborgenheit spürt. Man darf sich von Ulrike Edschmids kühlem, vermeintlich protokollarischen Tonfall nicht täuschen lassen – dieser Roman ist ein kurzes und scharfes Kunststück.
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