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Stig Dagerman – Gebranntes Kind | Buchkritik

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Stig Dagermans Roman erzählt von einer existenziellen Krise: Der 20-jährige Bengt hat seine Mutter verloren. Ausgerechnet am Tag ihrer Beerdigung findet er heraus, dass sein Vater seit längerer Zeit ein Verhältnis mit einer anderen Frau unterhält. Der junge Mann ist mit seinem Kummer allein. Denn nicht nur der Vater fällt als Gesprächspartner aus, auch Bengts furchtsame und stets kränkliche Freundin ist ihm keine Stütze. Den plötzlichen Tod der Mutter, die gegenüber dem Wohnhaus der Familie in einer Metzgerei gestorben ist, muss er ohne Hilfe verarbeiten: „Da drinnen starb meine Mutter, während mein Vater in der Küche saß und sich rasierte und während ich, ihr Sohn, in meinem Zimmer saß und mit mir selbst Poker spielte. Da drinnen sank sie von einem Stuhl, ohne dass einer von uns da bei war und sie auffangen konnte. Da drinnen lag sie im Dreck und in den Sägespänen auf dem Boden, während ein Metzger mit dem Rücken zu ihr ein Lamm zerlegte.“ Um seiner Trauer Herr zu werden, beginnt Bengt, Briefe zu schreiben. Die Perspektive des Romans wechselt fortan: Der zunächst personale Erzähler wird abgelöst von Bengt, der in der Ich-Form von seinen Gedanken und Gefühlen berichtet. Das ist psychologisch hochspannend, denn gerade in Bengts Briefen sollte man als Leser stets zwischen den Zeilen lesen.

Verliebt in die Frau des Vaters

Einerseits ist Bengt auskunftsfreudig. Er beschreibt die Enttäuschung und den Hass, die er empfindet, weil der Vater seine Mutter betrogen hat. Andererseits ist er mit gerade einmal zwanzig Jahren auf der Suche nach Gewissheiten über die Welt, aber auch über sich selbst. Und einigen Gewissheiten will sich Bengt lange nicht stellen, zum Beispiel der Tatsache, dass der Hass auf den Vater und Gun, so der Name der Geliebten, in Wahrheit ein Zeichen der Eifersucht ist – denn Bengt hat sich in die neue Frau seines Vaters verliebt. Als alle den Sommer in einem Haus auf den Schären vor Stockholm verbringen, lassen sich die Gefühle nicht länger unterdrücken. Bengt und Gun küssen sich und beginnen ihrerseits eine Affäre.

Eindringliches Seelenprotokoll

„Gebranntes Kind“ ist eine brillante psychologische Studie. Denn Stig Dagerman findet immer wieder eindrückliche Bilder für Bengts widersprüchliche Emotionen. So veranschaulicht eine brennende Kerze erst die Trauer um die verstorbene Mutter, dann wiederum steht sie für die Intensität der Gefühle, die den jungen Mann mit aller Kraft in Beschlag nehmen. Und genau diese Intensität sucht Bengt: „Wer wie wir liebt, ist rein. Erst jetzt habe ich begriffen, was Reinheit ist. Sie bedeutet, so in einem Gefühl aufzugehen, dass es jeden Zweifel, jede Feigheit und jede Rücksichtnahme in einem verbrennt. Man wird ganz und stark. Man nimmt direkten Kurs auf das Ziel, ohne zu zögern. Man wird auch mutig. Rein sein heißt, alles opfern zu können außer dem Einzigen, wofür man lebt. Ich bin bereit, das zu tun. Deshalb muss ich mich nicht schämen.“ „Gebranntes Kind“ liest sich wie ein Seelenprotokoll. Es hält fest, wie ein junger Mann versucht, den Verlust seiner Mutter zu verarbeiten und seinen Platz in der Welt zu finden. Es erzählt aber auch von der Liebe in all ihren Facetten: Das meint den anfänglichen Gefühlsrausch ebenso Eifersucht, Selbstbetrug und die Nähe der Liebe zum Hass. Auch mehr als 75 Jahre nachdem es im schwedischen Original erschienen ist, ist die Lektüre dieses Seelenprotokolls eindringlich und erschütternd.
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Verliebt in die Frau des Vaters

Einerseits ist Bengt auskunftsfreudig. Er beschreibt die Enttäuschung und den Hass, die er empfindet, weil der Vater seine Mutter betrogen hat. Andererseits ist er mit gerade einmal zwanzig Jahren auf der Suche nach Gewissheiten über die Welt, aber auch über sich selbst. Und einigen Gewissheiten will sich Bengt lange nicht stellen, zum Beispiel der Tatsache, dass der Hass auf den Vater und Gun, so der Name der Geliebten, in Wahrheit ein Zeichen der Eifersucht ist – denn Bengt hat sich in die neue Frau seines Vaters verliebt. Als alle den Sommer in einem Haus auf den Schären vor Stockholm verbringen, lassen sich die Gefühle nicht länger unterdrücken. Bengt und Gun küssen sich und beginnen ihrerseits eine Affäre.

Eindringliches Seelenprotokoll

„Gebranntes Kind“ ist eine brillante psychologische Studie. Denn Stig Dagerman findet immer wieder eindrückliche Bilder für Bengts widersprüchliche Emotionen. So veranschaulicht eine brennende Kerze erst die Trauer um die verstorbene Mutter, dann wiederum steht sie für die Intensität der Gefühle, die den jungen Mann mit aller Kraft in Beschlag nehmen. Und genau diese Intensität sucht Bengt: „Wer wie wir liebt, ist rein. Erst jetzt habe ich begriffen, was Reinheit ist. Sie bedeutet, so in einem Gefühl aufzugehen, dass es jeden Zweifel, jede Feigheit und jede Rücksichtnahme in einem verbrennt. Man wird ganz und stark. Man nimmt direkten Kurs auf das Ziel, ohne zu zögern. Man wird auch mutig. Rein sein heißt, alles opfern zu können außer dem Einzigen, wofür man lebt. Ich bin bereit, das zu tun. Deshalb muss ich mich nicht schämen.“ „Gebranntes Kind“ liest sich wie ein Seelenprotokoll. Es hält fest, wie ein junger Mann versucht, den Verlust seiner Mutter zu verarbeiten und seinen Platz in der Welt zu finden. Es erzählt aber auch von der Liebe in all ihren Facetten: Das meint den anfänglichen Gefühlsrausch ebenso Eifersucht, Selbstbetrug und die Nähe der Liebe zum Hass. Auch mehr als 75 Jahre nachdem es im schwedischen Original erschienen ist, ist die Lektüre dieses Seelenprotokolls eindringlich und erschütternd.
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