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Michael Glawogger – 69 Hotelzimmer

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In Reynosa, Mexiko, wird der Reisende von Schüssen geweckt. Das stört ihn aber nicht weiter, er ist es noch gewohnt von seinem letzten Besuch hier. Ihn stört es auch nicht, dass das Hotel, in dem er schläft, der Mafia gehört. Um genau zu sein, liebt er seine Unterkunft. Vor allem aus einem Grund: Sein Hotelzimmer hat einen Schreibtisch. Und dieser steht so, dass man sich selbst nicht in einem Spiegel sieht. Denn in neunzig Prozent der Fälle, so erklärt es der weit gereiste Erzähler, hängt in Hotelzimmern ein Spiegel über dem Schreibtisch. Das sei falsch, schließlich würde zuhause kein Mensch auf so eine Idee kommen. Wer will sich schon selbst beim Nachdenken zuschauen? Dieser Blick – auf die großen und die kleinen Details, machen die Texte von Michael Glawogger so wunderbar. Es ist ein Buch voll mit Geschichten aus der ganzen Welt - von Äthiopien bis Nordkorea, von Vietnam bis Norwegen. Manche von ihnen märchenhaft, manche voller rätselhafter Begegnungen und seltsamen Dingen, die in Hotelzimmern zurückgelassen wurden. Der vielfach ausgezeichnete Filmemacher Michael Glawogger portraitierte in Dokus wie „Whores Glory“ oder „Megacities“ die Ausgebeuteten, die ums Überleben-Kämpfenden. Dieser Band ist vielleicht eines seiner persönlichsten Werke, denn er bringt uns den Reisenden Glawogger näher. Wunderschön ist auch diese Ausgabe, die bei Der Anderen Bibliothek erschienen ist. 2015, posthum, nachdem Glawogger bei Dreharbeiten in Liberia an einer Malaria-Infektion gestorben ist. Auf dem Buchrücken leuchtet wie ein Neon-Schriftzug das Wort „Hotel“. Innen beginnt jede Geschichte mit orange-farbenen Buchstaben, die langsam von Rot und Violett ins Schwarze verlaufen – ein in Druckertinte festgehaltener Sonnenuntergang. Die letzte Geschichte spielt 2012 in einem Hotel in Karlsruhe. Natürlich räumt der Reisende erst mal das Hotelzimmer um und stellt Tisch und Stuhl vor das Fenster für den perfekten Blick auf den Bahnhofsvorplatz. Beim Umbau sieht er sich selbst im Spiegel. Er denkt, für seine Nachwelt möchte er gerne so, als – Zitat – „Der Mann mit dem hellbraunen Tisch in den Armen“ überliefert werden. Das Bild, das mir aber vom Filmemacher und Autor Michael Glawogger bleibt, ist das hier: Das Bild eines Reisenden, der einen besseren Platz für sich selbst sucht, einen Platz mit Aussicht auf das Getümmel und Geschehen, auf die Menschen, für die Glawogger einen so einfühlsamen Blick hatte. Michael Glawogger - 69 Hotelzimmer, Die Andere Bibliothek, Bandnummer 363, 408 Seiten, 24 Euro, ISBN: 978-3-8477-2010-2
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In Reynosa, Mexiko, wird der Reisende von Schüssen geweckt. Das stört ihn aber nicht weiter, er ist es noch gewohnt von seinem letzten Besuch hier. Ihn stört es auch nicht, dass das Hotel, in dem er schläft, der Mafia gehört. Um genau zu sein, liebt er seine Unterkunft. Vor allem aus einem Grund: Sein Hotelzimmer hat einen Schreibtisch. Und dieser steht so, dass man sich selbst nicht in einem Spiegel sieht. Denn in neunzig Prozent der Fälle, so erklärt es der weit gereiste Erzähler, hängt in Hotelzimmern ein Spiegel über dem Schreibtisch. Das sei falsch, schließlich würde zuhause kein Mensch auf so eine Idee kommen. Wer will sich schon selbst beim Nachdenken zuschauen? Dieser Blick – auf die großen und die kleinen Details, machen die Texte von Michael Glawogger so wunderbar. Es ist ein Buch voll mit Geschichten aus der ganzen Welt - von Äthiopien bis Nordkorea, von Vietnam bis Norwegen. Manche von ihnen märchenhaft, manche voller rätselhafter Begegnungen und seltsamen Dingen, die in Hotelzimmern zurückgelassen wurden. Der vielfach ausgezeichnete Filmemacher Michael Glawogger portraitierte in Dokus wie „Whores Glory“ oder „Megacities“ die Ausgebeuteten, die ums Überleben-Kämpfenden. Dieser Band ist vielleicht eines seiner persönlichsten Werke, denn er bringt uns den Reisenden Glawogger näher. Wunderschön ist auch diese Ausgabe, die bei Der Anderen Bibliothek erschienen ist. 2015, posthum, nachdem Glawogger bei Dreharbeiten in Liberia an einer Malaria-Infektion gestorben ist. Auf dem Buchrücken leuchtet wie ein Neon-Schriftzug das Wort „Hotel“. Innen beginnt jede Geschichte mit orange-farbenen Buchstaben, die langsam von Rot und Violett ins Schwarze verlaufen – ein in Druckertinte festgehaltener Sonnenuntergang. Die letzte Geschichte spielt 2012 in einem Hotel in Karlsruhe. Natürlich räumt der Reisende erst mal das Hotelzimmer um und stellt Tisch und Stuhl vor das Fenster für den perfekten Blick auf den Bahnhofsvorplatz. Beim Umbau sieht er sich selbst im Spiegel. Er denkt, für seine Nachwelt möchte er gerne so, als – Zitat – „Der Mann mit dem hellbraunen Tisch in den Armen“ überliefert werden. Das Bild, das mir aber vom Filmemacher und Autor Michael Glawogger bleibt, ist das hier: Das Bild eines Reisenden, der einen besseren Platz für sich selbst sucht, einen Platz mit Aussicht auf das Getümmel und Geschehen, auf die Menschen, für die Glawogger einen so einfühlsamen Blick hatte. Michael Glawogger - 69 Hotelzimmer, Die Andere Bibliothek, Bandnummer 363, 408 Seiten, 24 Euro, ISBN: 978-3-8477-2010-2
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