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Femme fatale? Vor 150 Jahren wurde Bizets Oper „Carmen“ uraufgeführt

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Carmen als stereotype Femme fatale

An einem Sommerabend, draußen in einem Schlosspark: Vor den handbemalten Prospekten mit Taverne und Stierkampfarena tummeln sich Folklorefigürchen. Carmen trägt ein rotes, tief dekolletiertes Kleid und eine Rose in den schwarzen Locken. Spätestens seit Regisseur Franco Zeffirelli die Arena in Verona in Carmens Stierkampfarena verwandelt hat, ist dieser Look nicht wegzudenken. Carmen ist in diesem Outfit zur stereotypen Femme fatale mutiert – zur Frau, deren sexuelle Freiheit den Mann ins Verderben stürzt.

Eisige Stimmung bei der Uraufführung

Die Operndirektion in Paris hat Bizet von dem Stoff abgeraten. Der widersetzt sich und vertont die Novelle „Carmen“ von Prosper Mérimée. Am 3. März 1875 feiert „Carmen“ Premiere in der Pariser Opéra-Comique. Ludovic Halévy, einer der beiden Librettisten, hat den Abend dokumentiert: „Gute Wirkung des ersten Aktes. Viele Leute strömen auf die Bühne, Bizet wird umringt und herzlich beglückwünscht. Nach dem vierten Akt, der von Anfang bis Schluss mit eisiger Stimmung aufgenommen wird, bleibt die Bühne leer, nur drei oder vier wahre Freunde stellen sich bei Bizet ein. Carmen ist durchgefallen.“ Musikalisch ist das bürgerliche Publikum anderes gewohnt. Carmens Welt klingt pseudo-spanisch – Bizet war nie dort – und sie klingt nach Pariser Cabaret. In diesem verruchten Terrain hat sich das gutbürgerliche Opernpublikum wahrscheinlich selten herumgetrieben.

Maria Callas singt die Habanera aus „Carmen“

Musik drückt Klassenzugehörigkeit aus

Bizets Stil-Konzept macht aber Sinn: Carmens tanzbare und chansonartige Gesangsnummern sind Ausdruck ihrer Klassenzugehörigkeit. Sie lebt am Rand der Gesellschaft und durchbohrt mit ihren chromatischen Tonfolgen die aufgeräumte, lyrische Klangwelt ihres Verehrers Don José. „Frei ist sie geboren, frei wird sie sterben“, das singt Carmen über sich selbst, bevor José sie ersticht. Der radikale Anspruch auf weibliche Selbstbestimmung war zu viel für das bürgerliche Publikum. In einer Kritik zur Berliner Erstaufführung 1880 heißt es:
Carmen kann auf jeden Zuschauer, der Herz und Gemüt noch nicht eingebüßt hat, nur abstoßend wirken, und man gönnt ihr den gerechten Dolchstoß des durch sie elend gemachten José ohne Bedauern.

Carmen als abschreckendes Beispiel

„Carmen“ ist hier eine Lektion für die Frau und wie sie sich nicht zu verhalten hat! Wenn sie also als abschreckendes Beispiel herhalten muss – was zeichnet sie dann aus? Prosper Mérimée macht sie in seiner Novelle mal zur „Andalusierin“, „Maurin“, „Jüdin“ und schließlich zur Roma und Schmugglerin. Bizet verpasst ihr ein sinnliches, manchmal unberechenbares Klang-Image und katapultiert sich damit – posthum – auf den Opernolymp. Sie ist eine Protagonistin, an der auch Stereotype kleben: Roma-Frauen seien temperamentvoll, wild und anfällig für kriminelle Geschäfte. Mit diesem Erbe irgendwie umzugehen, gehört schon früh zur Aufführungs- und Bearbeitungsgeschichte von „Carmen“.

Stéphanie d'Oustrac singt „Les tringles des sistres tintaient“

Carmen als schwarze Frau am Broadway

Anfang der 1940er-Jahre adaptiert der Texter Oscar Hammerstein II. die Oper für den Broadway: „Carmen Jones“ ist jetzt eine schwarze Frau, die in einer Rüstungsfabrik arbeitet – umgeben von einem ausschließlich schwarzen Ensemble. Etwa zehn Jahre später flimmert die Kino-Version über die Leinwände. Eine afroamerikanische Besetzung auf Zelluloid zu sehen, ist damals eine Revolution. Auch wenn die schwarze Dorothy Dandridge in der Hauptrolle bloß ihre Lippen zu den Mezzo-Tönen der weißen Marilyn Horne bewegt.

Stereotypen-Falle

„Carmen Jones“ hat für schwarze Sichtbarkeit gesorgt. Und tritt gleichzeitig auch wieder in die Stereotypen-Falle: Die schwarze Frau ist genauso wild wie die Roma-Frau. Was also tun mit „Carmen“? Regisseur Barrie Kosky liefert vielleicht einen entscheidenden Hinweis:
Ich denke, Jacques Offenbach beeinflusst die Struktur des ganzen Stücks und die musikalische Sprache der ersten Hälfte. Das Stück beginnt als leichte, ironische Varieté-Revue, fast schon operettenhaft.

Quelle: Barrie Kosky

Bizets Librettisten Halévy und Meilhac sind Offenbachs Hausdichter, die Satiriker vom Dienst. Vielleicht wird in „Carmen“ vieles gesagt und gesungen, was gar nicht so gemeint ist.

Nicht alles so ernst nehmen

Ist Josés Arie mit ihren affektierten Tonsprüngen und überspannten Melodiebögen nicht doch eine Spur zu groß für einen einfachen Soldaten vom Land? Warum muss das Publikum ewig auf die Titelfigur warten? Der Chor singt stets in neuen Variationen von einem belebten Platz. Ist das ein Seitenhieb auf die verkrustete Opernkonvention, die am Anfang immer einen Chor fordert – wahlweise mit Trinksprüchen oder Gebeten? Für die einen steckt in „Carmen“ emanzipatorisches Potenzial, für die anderen wabert darin nur heiße, reaktionäre Luft. Vielleicht sollte man „Carmen“ mit ihren Archetypen nicht allzu ernst nehmen – ganz im bissig-französischen Geiste des 19. Jahrhunderts.
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Carmen als stereotype Femme fatale

An einem Sommerabend, draußen in einem Schlosspark: Vor den handbemalten Prospekten mit Taverne und Stierkampfarena tummeln sich Folklorefigürchen. Carmen trägt ein rotes, tief dekolletiertes Kleid und eine Rose in den schwarzen Locken. Spätestens seit Regisseur Franco Zeffirelli die Arena in Verona in Carmens Stierkampfarena verwandelt hat, ist dieser Look nicht wegzudenken. Carmen ist in diesem Outfit zur stereotypen Femme fatale mutiert – zur Frau, deren sexuelle Freiheit den Mann ins Verderben stürzt.

Eisige Stimmung bei der Uraufführung

Die Operndirektion in Paris hat Bizet von dem Stoff abgeraten. Der widersetzt sich und vertont die Novelle „Carmen“ von Prosper Mérimée. Am 3. März 1875 feiert „Carmen“ Premiere in der Pariser Opéra-Comique. Ludovic Halévy, einer der beiden Librettisten, hat den Abend dokumentiert: „Gute Wirkung des ersten Aktes. Viele Leute strömen auf die Bühne, Bizet wird umringt und herzlich beglückwünscht. Nach dem vierten Akt, der von Anfang bis Schluss mit eisiger Stimmung aufgenommen wird, bleibt die Bühne leer, nur drei oder vier wahre Freunde stellen sich bei Bizet ein. Carmen ist durchgefallen.“ Musikalisch ist das bürgerliche Publikum anderes gewohnt. Carmens Welt klingt pseudo-spanisch – Bizet war nie dort – und sie klingt nach Pariser Cabaret. In diesem verruchten Terrain hat sich das gutbürgerliche Opernpublikum wahrscheinlich selten herumgetrieben.

Maria Callas singt die Habanera aus „Carmen“

Musik drückt Klassenzugehörigkeit aus

Bizets Stil-Konzept macht aber Sinn: Carmens tanzbare und chansonartige Gesangsnummern sind Ausdruck ihrer Klassenzugehörigkeit. Sie lebt am Rand der Gesellschaft und durchbohrt mit ihren chromatischen Tonfolgen die aufgeräumte, lyrische Klangwelt ihres Verehrers Don José. „Frei ist sie geboren, frei wird sie sterben“, das singt Carmen über sich selbst, bevor José sie ersticht. Der radikale Anspruch auf weibliche Selbstbestimmung war zu viel für das bürgerliche Publikum. In einer Kritik zur Berliner Erstaufführung 1880 heißt es:
Carmen kann auf jeden Zuschauer, der Herz und Gemüt noch nicht eingebüßt hat, nur abstoßend wirken, und man gönnt ihr den gerechten Dolchstoß des durch sie elend gemachten José ohne Bedauern.

Carmen als abschreckendes Beispiel

„Carmen“ ist hier eine Lektion für die Frau und wie sie sich nicht zu verhalten hat! Wenn sie also als abschreckendes Beispiel herhalten muss – was zeichnet sie dann aus? Prosper Mérimée macht sie in seiner Novelle mal zur „Andalusierin“, „Maurin“, „Jüdin“ und schließlich zur Roma und Schmugglerin. Bizet verpasst ihr ein sinnliches, manchmal unberechenbares Klang-Image und katapultiert sich damit – posthum – auf den Opernolymp. Sie ist eine Protagonistin, an der auch Stereotype kleben: Roma-Frauen seien temperamentvoll, wild und anfällig für kriminelle Geschäfte. Mit diesem Erbe irgendwie umzugehen, gehört schon früh zur Aufführungs- und Bearbeitungsgeschichte von „Carmen“.

Stéphanie d'Oustrac singt „Les tringles des sistres tintaient“

Carmen als schwarze Frau am Broadway

Anfang der 1940er-Jahre adaptiert der Texter Oscar Hammerstein II. die Oper für den Broadway: „Carmen Jones“ ist jetzt eine schwarze Frau, die in einer Rüstungsfabrik arbeitet – umgeben von einem ausschließlich schwarzen Ensemble. Etwa zehn Jahre später flimmert die Kino-Version über die Leinwände. Eine afroamerikanische Besetzung auf Zelluloid zu sehen, ist damals eine Revolution. Auch wenn die schwarze Dorothy Dandridge in der Hauptrolle bloß ihre Lippen zu den Mezzo-Tönen der weißen Marilyn Horne bewegt.

Stereotypen-Falle

„Carmen Jones“ hat für schwarze Sichtbarkeit gesorgt. Und tritt gleichzeitig auch wieder in die Stereotypen-Falle: Die schwarze Frau ist genauso wild wie die Roma-Frau. Was also tun mit „Carmen“? Regisseur Barrie Kosky liefert vielleicht einen entscheidenden Hinweis:
Ich denke, Jacques Offenbach beeinflusst die Struktur des ganzen Stücks und die musikalische Sprache der ersten Hälfte. Das Stück beginnt als leichte, ironische Varieté-Revue, fast schon operettenhaft.

Quelle: Barrie Kosky

Bizets Librettisten Halévy und Meilhac sind Offenbachs Hausdichter, die Satiriker vom Dienst. Vielleicht wird in „Carmen“ vieles gesagt und gesungen, was gar nicht so gemeint ist.

Nicht alles so ernst nehmen

Ist Josés Arie mit ihren affektierten Tonsprüngen und überspannten Melodiebögen nicht doch eine Spur zu groß für einen einfachen Soldaten vom Land? Warum muss das Publikum ewig auf die Titelfigur warten? Der Chor singt stets in neuen Variationen von einem belebten Platz. Ist das ein Seitenhieb auf die verkrustete Opernkonvention, die am Anfang immer einen Chor fordert – wahlweise mit Trinksprüchen oder Gebeten? Für die einen steckt in „Carmen“ emanzipatorisches Potenzial, für die anderen wabert darin nur heiße, reaktionäre Luft. Vielleicht sollte man „Carmen“ mit ihren Archetypen nicht allzu ernst nehmen – ganz im bissig-französischen Geiste des 19. Jahrhunderts.
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