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Sternengeschichten Folge 433: KIC 8462852 und die angebliche Alien-Zivilisation

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Staubige Geheimnisse

Sternengeschichten Folge 433: KIC 8462852 und die angebliche Alien-Zivilisation

KIC 8462852 ist nicht unbedingt ein griffiger Name für einen Stern. Es ist ja auch eigentlich kein echter Name, sondern einfach nur seine Bezeichnung im "Kepler Input Catalog", der Datenbank an Sternen, die das Kepler-Weltraumteleskop untersucht hat. Es kommt bei den Sternen ja aber auch nicht auf den Namen oder die Bezeichnung an. Sondern auf das, was wir bei ihrer Beobachtung lernen können. Und bei KIC 8462852 ist das jede Menge!

Kennen tun wir diesen speziellen Stern so sehr lange. Er taucht schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts in diversen Sternkatalogen auf. Er befindet sich im Sternbild Schwan und ist ungefähr 1470 Lichtjahre von der Erde entfernt. Er ist ein wenig schwerer und größer als unsere Sonne, ein klein wenig heißer und leuchtet circa drei mal so hell. Wie alt der Stern ist, wissen wir noch nicht so genau, aber er ist vermutlich noch sehr jung, ein paar hundert Millionen Jahre nur. Mit freiem Auge ist KIC 8462852 nicht zu sehen; da braucht es schon ein halbwegs starkes Teleskop. Kurz gesagt: Das Ding unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht sonderlich von den Milliarden anderen Sternen in unserer Milchstraße. Es ist halt ein Stern.

Das hat sich im Jahr 2015 geändert. Also KIC 8462852 ist schon immer noch ein Stern. Aber eben einer, der sich deutlich von allen Sternen unterscheidet, die wir bisher beobachtet hatten. Das Weltraumteleskop Kepler hat zwischen 2009 und 2018 sehr viele Sterne beobachtet. Fast 200.000 und natürlich ist es da nicht möglich, alle Daten sofort und letztgültig auszuwerten. Das eigentliche Ziel von Kepler war die Suche nach extrasolaren Planeten. Um herauszufinden, ob ein Stern von einem Planeten umkreist wird, hat Kepler nach Helligkeitsschwankungen gesucht. Ändert ein Stern seine Helligkeit periodisch, dann kann das ein Zeichen dafür sein, dass ein Planet um ihn kreist und von uns aus gesehen in regelmäßigen Abständen immer ein bisschen Sternenlicht blockiert. Unterstützung bei dieser Suche kam von der Öffentlichkeit. Beim Projekt "Planet Hunters" konnten alle, die wollten, die Helligkeitsmessungen von Kepler anschauen und dort nach charakteristischen Schwankungen suchen. Oder nach anderen Dingen, die irgendwie auffällig sind.

Das war bei KIC 8462852 der Fall. Seine Helligkeit änderte sich, aber nicht periodisch und nicht nur ein bisschen. Sondern ziemlich wild und teilweise wurde der Stern um 22 Prozent dunkler. Ein Planet kann so etwas nicht verursachen; der ist im Vergleich zum Stern so klein, dass er dessen Licht nur um Bruchteile eines Prozents verdunkeln kann. Was er dann auch auf jeden Fall regelmäßig tut. Die amerikanische Astronomin Tabetha Boyajian, zuständig für das Planet-Hunters-Projekt, sah sich die Sache genauer an. Und veröffentlichte gemeinsam mit vielen Kolleginnen und Kollegen im September 2015 einen Artikel über den Stern. Er hatte den Titel "KIC 8462852 - Where's the Flux?". Mit "Flux" ist das Sternenlicht gemeint und die große Frage war: Wo ist es hin und warum ist dieser Stern so komisch dunkler geworden? Und jetzt kann ich auch endlich aufhören, "dieser Stern" oder "KIC 8462852" zu sagen. Nach dieser Veröffentlichung wurde "dieser Stern" schnell als "Tabby's Stern" bekannt, nach dem Spitznamen von Tabetha Boyajian. Manche nannten ihn auch "WTF-Stern", was sich einerseits auf das "Where's the Flux" im Titel der Forschungsarbeit bezieht. Andererseits aber auch auf die gebräuchliche englische Abkürzung die - sagen wir es mal familienfreundlich - großes Erstaunen ausdrückt.

Also. WTF. Was ist los mit Tabbys Stern? Die Daten zeigen, dass es dort am 5. März 2011 den ersten außergewöhnlichen Helligkeitseinbruch gab. Innerhalb eines Tages wurde seine Helligkeit um 16 Prozent geringer, einen Tag später war dort alles wieder normal. Am 28. Februar 2013 kam die nächste große Verdunkelung. Zuerst sank die Helligkeit nur um 1,5 Prozent für drei Tage. Dann ging es aber gleich um 22 Prozent runter und diese Verdunkelung war erst zwei Tage später wieder vorbei. Knapp drei Wochen später wurde es nochmal dunkler, diesmal nicht ganz so stark. Und nochmal knapp 5 Wochen später sank die Helligkeit ein weiters Mal für zehn Tage.

Das ist außergewöhnlich. So was macht ein Stern normalerweise nicht. Einen Planeten kann man definitiv als Ursache für diese Helligkeitsschwankungen ausschließen. Aber es gibt ja noch jede Menge andere Gründe, aus denen ein Stern seine Helligkeit verändern kann. Zum Beispiel, wenn er Teil eines Doppelsternsystems ist. Dann ändert der Stern selbst zwar seine Helligkeit nicht. Aber wenn die beiden Sterne sehr dicht aneinander stehen, dann erscheinen sie uns aus der Ferne wie EIN Stern und je nachdem, ob die beiden von uns aus gesehen nebeneinander oder hintereinander stehen, ändert sich die von uns beobachtete Helligkeit. Tatsächlich hat Tabbys Stern einen Begleiter; einen kleinen roten Zwergstern. Der ist aber sehr weit weg und kann mit den Helligkeitsschwankungen nichts zu tun haben. Sterne können auch von sich aus ihre Helligkeit verändern. Davon habe ich in den Folgen 64 und 65 ja schon ausführlicher erzählt. Sie tun das, wenn in ihrem Inneren spezielle Prozesse ablaufen, die zu Temperatur- und Größenschwankungen führen. Tabbys Stern ist aber eigentlich nicht die Art von Stern, die so etwas macht und die Schwankungen passen auch nicht zu dem, was man erwarten würde.

Boyajian und ihre Kolleg:innen haben noch weitere Hypothesen untersucht, die wir uns später noch anschauen werden. Über ein Thema haben sie in ihrem Fachartikel allerdings nicht gesprochen. Das Thema, das sämtliche Medienberichte über Tabbys Stern dominiert, taucht dort nicht auf. Dafür aber in einem Interview, in dem sich ein Kollege von Boyajian geäußert und das eine Wort verwendet hat, das verlässlich immer für gewaltige Aufregung sorgt: Aliens! Der Astronom Jason Wright wurde darin mit dem Satz "[D]as sieht so aus wie etwas, das eine außerirdische Zivilisation gebaut haben könnte". Unmittelbar davor sagte er zwar auch "Außerirdische sollten immer die letzte Hypothese sein, die man zur Erklärung von etwas heranzieht.". Aber wenn die Aliens einmal im Spiel sind, interessieren sich die meisten Medien nicht mehr sonderlich für irgendeine kritische Einordnung. Fortan war Tabbys Stern der Stern mit den außerirdischen "Megastrukturen". Und damit ist etwas gemeint, das man auch unter den Namen "Dyson-Sphäre" oder "Dyson-Schwarm" kennt. Ich habe darüber in Folge 159 gesprochen: Im Prinzip geht es darum, dass eine technisch sehr weit fortgeschrittene Zivilisation sich Gedanken darüber macht, wie man möglichst viel Energie eines Sterns nutzen kann. Auf der Erde kriegen wir zum Beispiel ja nur die Sonnenenergie, die auch auf unseren Planeten trifft. Der ganze Rest der Sonnenstrahlung verschwindet ungenutzt von uns in alle anderen Richtungen im All. Wenn man nun aber eine Kugelschale um die Sonne bauen würde, könnte man die gesamte Energie auffangen und nutzen. So ein Ding wäre eine Dyson-Sphäre, und es ist quasi unmöglich, es zu bauen. Immer noch sehr unmöglich, aber ein kleines bisschen weniger ist ein "Dyson-Schwarm", bei dem man den Stern nicht mit einer geschlossenen Schale sondern mit jeder Menge gigantischer Sonnenkollektoren umgibt. Und ja, so etwas würde tatsächlich dafür sorgen, dass wir Helligkeitsschwankungen sehen. Je nachdem wie viele von diesen Kollektoren gerade aus unserer Sicht vor dem Stern vorbei ziehen, würde sich dessen Licht verdunkeln. Es müsste aber ein Dyson-Schwarm unter Konstruktion sein. Denn die Schwankungen waren ja unregelmäßig und kamen in großen Abständen. Vielleicht haben wir auch gesehen, wie die Aliens irgendwelche großen Asteroiden und Planeten gesprengt haben, um das Material für ihre Konstruktionen zu gewinnen und die Verdunkelung kam durch den ganzen dabei erzeugten Staub zustande? Oder es war ein Alienkrieg im Gange und irgendwer hat eine gigantische Strahlenkanone benutzt um einen Planeten zu zerstören?

Man kann nach Lust und Laune spekulieren; mit echter Wissenschaft hat das allerdings wenig zu tun. Das ist wichtig, das sollte man sich auf jeden Fall merken: Nur weil man nicht weiß, was die Ursache für ein Phänomen ist, folgt daraus NICHT, das jede beliebige Ursache in Frage kommt und jede beliebige Ursache gleich wahrscheinlich ist! Aliens sind zumindest theoretisch eine Möglichkeit, die Helligkeitsschwankungen von Tabbys Stern zu erklären. Andererseits kann man ausreichend fortschrittliche Aliens ja auch als Erklärung für so gut wie alles heranziehen. Und vor allem: Es gibt nicht mal ansatzweise einen Beleg dafür, dass irgendwo solche fortschrittlichen Aliens existieren und an ihren Sternen rumbasteln. Auch Tabbys Stern ist kein solcher Beleg. Dafür sind die Daten alles andere als eindeutig genug. Denn es gibt noch ausreichend andere Erklärungsansätze die nicht nur deutlich wahrscheinlicher sind sondern - im Gegensatz zu megaschlauen Aliens - von denen wir auch wissen, dass sie tatsächlich möglich sind, weil wir entsprechende Prozesse anderswo im Universum schon beobachtet haben.

Gehen wir lieber nochmal zurück zur echten Wissenschaft. Natürlich hat man den Stern weiter beobachtet. Und es gab weitere Verdunkelungsphasen, die ebenso seltsam waren wie die zuvor. Und man hat natürlich auch weiter darüber nachgedacht, was die Ursache dafür sein kann. Ein einzelnes Objekt kann es kaum sein. Es müsste gewaltig groß sein und komplett unvorhersagbar am Stern vorüber ziehen. Sowas machen Himmelskörper nicht. Aber Staub ist ein guter Kandidat. Staubwolken können enorm groß sein, sie können das Licht eines Sterns ebenfalls verdunkeln und vor allem kann sich die Größe und Dichte so einer Staubwolke vergleichsweise schnell ändern. Nur: Wo käme der Staub bei Tabbys Stern her? Er könnte zum Beispiel Ringe aus Staub haben; bei jungen Sternen wäre sowas durchaus möglich. Es könnte sich auch um einen Schwarm von Kometen handeln, die den Stern umkreisen und ihm dabei sehr nahe kommen. Durch die Erwärmung der Kometen würden sie auftauen und es käme immer wieder zu neuen "Staubausbrüchen". Solche dichten und großen Ansammlungen von Kometen sind allerdings eher ungewöhnlich. Es gäbe noch weitere Hypothesen, aber neue Beobachtungen haben die Sachlage ein wenig eingeschränkt.

Man hat zuerst einmal festgestellt, dass es sich wirklich um Staub handelt. Neue Beobachtungen haben gezeigt, dass der blaue Anteil des Lichts stärker abgeschwächt wird als der rote Anteil. Das ist genau das, was Staub mit Sternenlicht macht. Wäre es ein massives Objekt, also zum Beispiel irgendeine Alien-Struktur, würde man erwarten, dass alle Teile des Lichts gleichmäßig abgeschwächt werden. Man hat außerdem beobachtet, dass der Stern als ganzes dunkler wird. Nicht schnell, das ist ein Vorgang, der sich im Laufe von Jahrhunderten abspielt. Und dann hat man auch noch andere Sterne gefunden, die ein ähnliches Verhalten wie Tabbys Stern zeigen. Das alles sind deutliche Hinweise darauf, dass es sich um einen natürlichen Vorgang handelt, der vielleicht selten ist, aber nichts mit Aliens zu tun hat.

2019 haben Forscherinnen und Forscher eine Möglichkeit gefunden, wie sich all das erklären lässt. Das ganze läuft so: Der Stern wird von einem Planeten umkreist. Und der Planet von einem Mond. Vielleicht ist da noch ein weiterer Planet in größerer Entfernung, den braucht es aber nicht zwingend, denn da ist ja auch noch der vorhin erwähnte kleine Begleitstern. Wichtig ist nur, dass da zwei Himmelskörper sind, die über ihre Gravitationskraft miteinander wechselwirken können. Unter bestimmten Bedingungen kann das dazu führen, dass der Planet mit seinem Mond auf eine Bahn gerät, die ihn immer näher an den Stern heranführt. Dann kann der Planet vom Stern verschluckt werden; der Mond, der dadurch plötzlich aus dem gravitativen Griff seines Planeten entlassen wird, aber übrig bleiben. Er befindet sich nun in einer engen Umlaufbahn um den Stern und wird aufgeheizt. Nicht nur das: Er wird regelrecht Schicht für Schicht verdampft. Das führt einerseits dazu, dass sich im Laufe der Zeit eine immer dickere Schicht an Staub um den Stern bildet. Der Stern würde dadurch, wie beobachtet, langsam immer dunkler. Der Mond beziehungsweise seine Reste, sind aber immer noch da und umkreisen den Stern. Er zieht jetzt eine gewaltige Staubspur hinter sich her, immer wieder kommt es durch die Aufheizung zu neuen Staubausbrüchen. Der Staub kann im Laufe der Zeit auch verklumpen und größere Brocken bilden. Aus unserer Sicht sehen wir mal den ganzen Mond vor dem Stern vorüberziehen, inmitten seiner enormen Staubwolke. Mal aber auch nur die Ausläufer des Staubschweifs; mal dickere Klumpen im Staub und mal nicht. Wenn die Bahn des Mondes dann aus unserer Sicht auch noch ein wenig geneigt ist, führt das dazu, das wir nicht alle Verdunkelungsereignisse beobachten können. Wir würden ein unregelmäßiges Muster sehen, genau so wie wir es ja auch tun.

Es braucht eine spezielle Konfiguration von Stern, Mond und Planet damit sowas passieren kann. Das wird nicht häufig vorkommen, aber es gibt viele Sterne da draußen und bei ein paar von ihnen WIRD es vorkommen. Weswegen wir solche Objekte wie Tabbys Stern und ein paar andere ähnliche Sterne beobachten können.

Das klingt alles sehr plausibel. Auf jeden Fall plausibler als irgendwelche Alien-Baustellen. Und, wenn man sich einmal von der Vorstellung gelöst hat, dass nur Außerirdische spannend sein können, es ist auch ein wirklich faszinierender Vorgang. Wir beobachten die langsame Zerstörung eines Himmelskörpers; etwas, was vermutlich überall im Universum immer wieder Mal vorkommt. Etwas, was wir in unserem eigenen Sonnensystem - zum Glück - nicht beobachten können. Aber Tabbys Stern gibt uns einen Blick auf diesen Prozess. Oder auch nicht. Denn genau können wir es natürlich immer noch nicht wissen. Es wird noch viel mehr Beobachtungsdaten brauchen, bevor wir uns sicher sein können, was dort abgeht. Und wahrscheinlich entdecken wir unterwegs noch ein paar neue, seltsame Phänomene. Das Universum wird nicht aufhören, uns zu überraschen.

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Sternengeschichten Folge 433: KIC 8462852 und die angebliche Alien-Zivilisation

KIC 8462852 ist nicht unbedingt ein griffiger Name für einen Stern. Es ist ja auch eigentlich kein echter Name, sondern einfach nur seine Bezeichnung im "Kepler Input Catalog", der Datenbank an Sternen, die das Kepler-Weltraumteleskop untersucht hat. Es kommt bei den Sternen ja aber auch nicht auf den Namen oder die Bezeichnung an. Sondern auf das, was wir bei ihrer Beobachtung lernen können. Und bei KIC 8462852 ist das jede Menge!

Kennen tun wir diesen speziellen Stern so sehr lange. Er taucht schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts in diversen Sternkatalogen auf. Er befindet sich im Sternbild Schwan und ist ungefähr 1470 Lichtjahre von der Erde entfernt. Er ist ein wenig schwerer und größer als unsere Sonne, ein klein wenig heißer und leuchtet circa drei mal so hell. Wie alt der Stern ist, wissen wir noch nicht so genau, aber er ist vermutlich noch sehr jung, ein paar hundert Millionen Jahre nur. Mit freiem Auge ist KIC 8462852 nicht zu sehen; da braucht es schon ein halbwegs starkes Teleskop. Kurz gesagt: Das Ding unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht sonderlich von den Milliarden anderen Sternen in unserer Milchstraße. Es ist halt ein Stern.

Das hat sich im Jahr 2015 geändert. Also KIC 8462852 ist schon immer noch ein Stern. Aber eben einer, der sich deutlich von allen Sternen unterscheidet, die wir bisher beobachtet hatten. Das Weltraumteleskop Kepler hat zwischen 2009 und 2018 sehr viele Sterne beobachtet. Fast 200.000 und natürlich ist es da nicht möglich, alle Daten sofort und letztgültig auszuwerten. Das eigentliche Ziel von Kepler war die Suche nach extrasolaren Planeten. Um herauszufinden, ob ein Stern von einem Planeten umkreist wird, hat Kepler nach Helligkeitsschwankungen gesucht. Ändert ein Stern seine Helligkeit periodisch, dann kann das ein Zeichen dafür sein, dass ein Planet um ihn kreist und von uns aus gesehen in regelmäßigen Abständen immer ein bisschen Sternenlicht blockiert. Unterstützung bei dieser Suche kam von der Öffentlichkeit. Beim Projekt "Planet Hunters" konnten alle, die wollten, die Helligkeitsmessungen von Kepler anschauen und dort nach charakteristischen Schwankungen suchen. Oder nach anderen Dingen, die irgendwie auffällig sind.

Das war bei KIC 8462852 der Fall. Seine Helligkeit änderte sich, aber nicht periodisch und nicht nur ein bisschen. Sondern ziemlich wild und teilweise wurde der Stern um 22 Prozent dunkler. Ein Planet kann so etwas nicht verursachen; der ist im Vergleich zum Stern so klein, dass er dessen Licht nur um Bruchteile eines Prozents verdunkeln kann. Was er dann auch auf jeden Fall regelmäßig tut. Die amerikanische Astronomin Tabetha Boyajian, zuständig für das Planet-Hunters-Projekt, sah sich die Sache genauer an. Und veröffentlichte gemeinsam mit vielen Kolleginnen und Kollegen im September 2015 einen Artikel über den Stern. Er hatte den Titel "KIC 8462852 - Where's the Flux?". Mit "Flux" ist das Sternenlicht gemeint und die große Frage war: Wo ist es hin und warum ist dieser Stern so komisch dunkler geworden? Und jetzt kann ich auch endlich aufhören, "dieser Stern" oder "KIC 8462852" zu sagen. Nach dieser Veröffentlichung wurde "dieser Stern" schnell als "Tabby's Stern" bekannt, nach dem Spitznamen von Tabetha Boyajian. Manche nannten ihn auch "WTF-Stern", was sich einerseits auf das "Where's the Flux" im Titel der Forschungsarbeit bezieht. Andererseits aber auch auf die gebräuchliche englische Abkürzung die - sagen wir es mal familienfreundlich - großes Erstaunen ausdrückt.

Also. WTF. Was ist los mit Tabbys Stern? Die Daten zeigen, dass es dort am 5. März 2011 den ersten außergewöhnlichen Helligkeitseinbruch gab. Innerhalb eines Tages wurde seine Helligkeit um 16 Prozent geringer, einen Tag später war dort alles wieder normal. Am 28. Februar 2013 kam die nächste große Verdunkelung. Zuerst sank die Helligkeit nur um 1,5 Prozent für drei Tage. Dann ging es aber gleich um 22 Prozent runter und diese Verdunkelung war erst zwei Tage später wieder vorbei. Knapp drei Wochen später wurde es nochmal dunkler, diesmal nicht ganz so stark. Und nochmal knapp 5 Wochen später sank die Helligkeit ein weiters Mal für zehn Tage.

Das ist außergewöhnlich. So was macht ein Stern normalerweise nicht. Einen Planeten kann man definitiv als Ursache für diese Helligkeitsschwankungen ausschließen. Aber es gibt ja noch jede Menge andere Gründe, aus denen ein Stern seine Helligkeit verändern kann. Zum Beispiel, wenn er Teil eines Doppelsternsystems ist. Dann ändert der Stern selbst zwar seine Helligkeit nicht. Aber wenn die beiden Sterne sehr dicht aneinander stehen, dann erscheinen sie uns aus der Ferne wie EIN Stern und je nachdem, ob die beiden von uns aus gesehen nebeneinander oder hintereinander stehen, ändert sich die von uns beobachtete Helligkeit. Tatsächlich hat Tabbys Stern einen Begleiter; einen kleinen roten Zwergstern. Der ist aber sehr weit weg und kann mit den Helligkeitsschwankungen nichts zu tun haben. Sterne können auch von sich aus ihre Helligkeit verändern. Davon habe ich in den Folgen 64 und 65 ja schon ausführlicher erzählt. Sie tun das, wenn in ihrem Inneren spezielle Prozesse ablaufen, die zu Temperatur- und Größenschwankungen führen. Tabbys Stern ist aber eigentlich nicht die Art von Stern, die so etwas macht und die Schwankungen passen auch nicht zu dem, was man erwarten würde.

Boyajian und ihre Kolleg:innen haben noch weitere Hypothesen untersucht, die wir uns später noch anschauen werden. Über ein Thema haben sie in ihrem Fachartikel allerdings nicht gesprochen. Das Thema, das sämtliche Medienberichte über Tabbys Stern dominiert, taucht dort nicht auf. Dafür aber in einem Interview, in dem sich ein Kollege von Boyajian geäußert und das eine Wort verwendet hat, das verlässlich immer für gewaltige Aufregung sorgt: Aliens! Der Astronom Jason Wright wurde darin mit dem Satz "[D]as sieht so aus wie etwas, das eine außerirdische Zivilisation gebaut haben könnte". Unmittelbar davor sagte er zwar auch "Außerirdische sollten immer die letzte Hypothese sein, die man zur Erklärung von etwas heranzieht.". Aber wenn die Aliens einmal im Spiel sind, interessieren sich die meisten Medien nicht mehr sonderlich für irgendeine kritische Einordnung. Fortan war Tabbys Stern der Stern mit den außerirdischen "Megastrukturen". Und damit ist etwas gemeint, das man auch unter den Namen "Dyson-Sphäre" oder "Dyson-Schwarm" kennt. Ich habe darüber in Folge 159 gesprochen: Im Prinzip geht es darum, dass eine technisch sehr weit fortgeschrittene Zivilisation sich Gedanken darüber macht, wie man möglichst viel Energie eines Sterns nutzen kann. Auf der Erde kriegen wir zum Beispiel ja nur die Sonnenenergie, die auch auf unseren Planeten trifft. Der ganze Rest der Sonnenstrahlung verschwindet ungenutzt von uns in alle anderen Richtungen im All. Wenn man nun aber eine Kugelschale um die Sonne bauen würde, könnte man die gesamte Energie auffangen und nutzen. So ein Ding wäre eine Dyson-Sphäre, und es ist quasi unmöglich, es zu bauen. Immer noch sehr unmöglich, aber ein kleines bisschen weniger ist ein "Dyson-Schwarm", bei dem man den Stern nicht mit einer geschlossenen Schale sondern mit jeder Menge gigantischer Sonnenkollektoren umgibt. Und ja, so etwas würde tatsächlich dafür sorgen, dass wir Helligkeitsschwankungen sehen. Je nachdem wie viele von diesen Kollektoren gerade aus unserer Sicht vor dem Stern vorbei ziehen, würde sich dessen Licht verdunkeln. Es müsste aber ein Dyson-Schwarm unter Konstruktion sein. Denn die Schwankungen waren ja unregelmäßig und kamen in großen Abständen. Vielleicht haben wir auch gesehen, wie die Aliens irgendwelche großen Asteroiden und Planeten gesprengt haben, um das Material für ihre Konstruktionen zu gewinnen und die Verdunkelung kam durch den ganzen dabei erzeugten Staub zustande? Oder es war ein Alienkrieg im Gange und irgendwer hat eine gigantische Strahlenkanone benutzt um einen Planeten zu zerstören?

Man kann nach Lust und Laune spekulieren; mit echter Wissenschaft hat das allerdings wenig zu tun. Das ist wichtig, das sollte man sich auf jeden Fall merken: Nur weil man nicht weiß, was die Ursache für ein Phänomen ist, folgt daraus NICHT, das jede beliebige Ursache in Frage kommt und jede beliebige Ursache gleich wahrscheinlich ist! Aliens sind zumindest theoretisch eine Möglichkeit, die Helligkeitsschwankungen von Tabbys Stern zu erklären. Andererseits kann man ausreichend fortschrittliche Aliens ja auch als Erklärung für so gut wie alles heranziehen. Und vor allem: Es gibt nicht mal ansatzweise einen Beleg dafür, dass irgendwo solche fortschrittlichen Aliens existieren und an ihren Sternen rumbasteln. Auch Tabbys Stern ist kein solcher Beleg. Dafür sind die Daten alles andere als eindeutig genug. Denn es gibt noch ausreichend andere Erklärungsansätze die nicht nur deutlich wahrscheinlicher sind sondern - im Gegensatz zu megaschlauen Aliens - von denen wir auch wissen, dass sie tatsächlich möglich sind, weil wir entsprechende Prozesse anderswo im Universum schon beobachtet haben.

Gehen wir lieber nochmal zurück zur echten Wissenschaft. Natürlich hat man den Stern weiter beobachtet. Und es gab weitere Verdunkelungsphasen, die ebenso seltsam waren wie die zuvor. Und man hat natürlich auch weiter darüber nachgedacht, was die Ursache dafür sein kann. Ein einzelnes Objekt kann es kaum sein. Es müsste gewaltig groß sein und komplett unvorhersagbar am Stern vorüber ziehen. Sowas machen Himmelskörper nicht. Aber Staub ist ein guter Kandidat. Staubwolken können enorm groß sein, sie können das Licht eines Sterns ebenfalls verdunkeln und vor allem kann sich die Größe und Dichte so einer Staubwolke vergleichsweise schnell ändern. Nur: Wo käme der Staub bei Tabbys Stern her? Er könnte zum Beispiel Ringe aus Staub haben; bei jungen Sternen wäre sowas durchaus möglich. Es könnte sich auch um einen Schwarm von Kometen handeln, die den Stern umkreisen und ihm dabei sehr nahe kommen. Durch die Erwärmung der Kometen würden sie auftauen und es käme immer wieder zu neuen "Staubausbrüchen". Solche dichten und großen Ansammlungen von Kometen sind allerdings eher ungewöhnlich. Es gäbe noch weitere Hypothesen, aber neue Beobachtungen haben die Sachlage ein wenig eingeschränkt.

Man hat zuerst einmal festgestellt, dass es sich wirklich um Staub handelt. Neue Beobachtungen haben gezeigt, dass der blaue Anteil des Lichts stärker abgeschwächt wird als der rote Anteil. Das ist genau das, was Staub mit Sternenlicht macht. Wäre es ein massives Objekt, also zum Beispiel irgendeine Alien-Struktur, würde man erwarten, dass alle Teile des Lichts gleichmäßig abgeschwächt werden. Man hat außerdem beobachtet, dass der Stern als ganzes dunkler wird. Nicht schnell, das ist ein Vorgang, der sich im Laufe von Jahrhunderten abspielt. Und dann hat man auch noch andere Sterne gefunden, die ein ähnliches Verhalten wie Tabbys Stern zeigen. Das alles sind deutliche Hinweise darauf, dass es sich um einen natürlichen Vorgang handelt, der vielleicht selten ist, aber nichts mit Aliens zu tun hat.

2019 haben Forscherinnen und Forscher eine Möglichkeit gefunden, wie sich all das erklären lässt. Das ganze läuft so: Der Stern wird von einem Planeten umkreist. Und der Planet von einem Mond. Vielleicht ist da noch ein weiterer Planet in größerer Entfernung, den braucht es aber nicht zwingend, denn da ist ja auch noch der vorhin erwähnte kleine Begleitstern. Wichtig ist nur, dass da zwei Himmelskörper sind, die über ihre Gravitationskraft miteinander wechselwirken können. Unter bestimmten Bedingungen kann das dazu führen, dass der Planet mit seinem Mond auf eine Bahn gerät, die ihn immer näher an den Stern heranführt. Dann kann der Planet vom Stern verschluckt werden; der Mond, der dadurch plötzlich aus dem gravitativen Griff seines Planeten entlassen wird, aber übrig bleiben. Er befindet sich nun in einer engen Umlaufbahn um den Stern und wird aufgeheizt. Nicht nur das: Er wird regelrecht Schicht für Schicht verdampft. Das führt einerseits dazu, dass sich im Laufe der Zeit eine immer dickere Schicht an Staub um den Stern bildet. Der Stern würde dadurch, wie beobachtet, langsam immer dunkler. Der Mond beziehungsweise seine Reste, sind aber immer noch da und umkreisen den Stern. Er zieht jetzt eine gewaltige Staubspur hinter sich her, immer wieder kommt es durch die Aufheizung zu neuen Staubausbrüchen. Der Staub kann im Laufe der Zeit auch verklumpen und größere Brocken bilden. Aus unserer Sicht sehen wir mal den ganzen Mond vor dem Stern vorüberziehen, inmitten seiner enormen Staubwolke. Mal aber auch nur die Ausläufer des Staubschweifs; mal dickere Klumpen im Staub und mal nicht. Wenn die Bahn des Mondes dann aus unserer Sicht auch noch ein wenig geneigt ist, führt das dazu, das wir nicht alle Verdunkelungsereignisse beobachten können. Wir würden ein unregelmäßiges Muster sehen, genau so wie wir es ja auch tun.

Es braucht eine spezielle Konfiguration von Stern, Mond und Planet damit sowas passieren kann. Das wird nicht häufig vorkommen, aber es gibt viele Sterne da draußen und bei ein paar von ihnen WIRD es vorkommen. Weswegen wir solche Objekte wie Tabbys Stern und ein paar andere ähnliche Sterne beobachten können.

Das klingt alles sehr plausibel. Auf jeden Fall plausibler als irgendwelche Alien-Baustellen. Und, wenn man sich einmal von der Vorstellung gelöst hat, dass nur Außerirdische spannend sein können, es ist auch ein wirklich faszinierender Vorgang. Wir beobachten die langsame Zerstörung eines Himmelskörpers; etwas, was vermutlich überall im Universum immer wieder Mal vorkommt. Etwas, was wir in unserem eigenen Sonnensystem - zum Glück - nicht beobachten können. Aber Tabbys Stern gibt uns einen Blick auf diesen Prozess. Oder auch nicht. Denn genau können wir es natürlich immer noch nicht wissen. Es wird noch viel mehr Beobachtungsdaten brauchen, bevor wir uns sicher sein können, was dort abgeht. Und wahrscheinlich entdecken wir unterwegs noch ein paar neue, seltsame Phänomene. Das Universum wird nicht aufhören, uns zu überraschen.

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