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Shashlyk Mashlyk (11): Heißer Wahlherbst in Zentralasien

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Chaotische Tage liegen hinter Kirgistan: Nach den Parlamentswahlen Anfang Oktober kam es zu tagelangen Protesten. Die Regierung wurde gestürzt, Präsident Sooronbaj Dscheenbekow ist zurückgetreten. Nun steht mit Sadyr Dschaparow ein Politiker an der Staatsspitze, der zu Beginn der Demonstrationen noch im Gefängnis saß.

Grund genug für Shashlyk Maschlyk, nach Kirgistan zu schauen und das dortige Geschehen zu analysieren. Außerdem waren im Nachbarland Tadschikistan die Menschen aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu wählen. Es war also ein heißer Wahlherbst in Zentralasien.

Gescheiterte Parlamentswahlen in Kirgistan

Bereits im Vorfeld der Parlamentswahlen in Kirgistan am 4. Oktober war es zu massiven Manipulationen gekommen, unter anderem durch den Kauf von Stimmen. Als am Wahlabend die ersten Hochrechnungen kamen, riefen bereits einige Parteien und Aktivisten dazu auf, das Ergebnis nicht anzuerkennen und dagegen zu protestieren.

Nach dem vorläufig verkündeten Wahlergebnis hätten vier der 16 zur Wahl angetretenen Parteien den Einzug ins Parlament geschafft. Das waren die regierungstreue Partei Birimdik mit 24,5 Prozent der Stimmen, die als liberal geltende Oligarchenpartei Mekenim Kirgistan mit 23,9 Prozent, die Parteien Kirgistan (8,8 Prozent) und Bütün Kirgistan (7,1 Prozent). Zusammengerechnet wäre über ein Drittel der abgegebenen Stimmen gar nicht im Parlament vertreten gewesen. Die Wahlbeteiligung lag bei 56,5 Prozent.

Springe zu: 8:49 Was ist passiert?

Людей меньше не становится pic.twitter.com/1VJO1R7xsr

— Kloop (@kloopnews) October 5, 2020
“Die Menschen werden nicht weniger” – Das Online-Medium Kloop hat die Proteste von Anfang live begleitet.

Friedliche Proteste schlagen in Gewalt um

Einen Tag nach den Parlamentswahlen, am 5. Oktober, hatten sich mehrere Parteien in Bischkek versammelt, um gegen das Wahlergebnis zu protestieren. Bis zum Abend strömten immer mehr Menschen auf den zentralen Ala-Too-Platz, bis es schließlich Tausende waren. Beobachter vor Ort beschreiben die Stimmung als ausgelassen und friedlich. Es habe fast schon Volksfest-Atmosphäre geherrscht.

Am späten Abend griffen Sicherheitkräfte ein und gingen mit Wasserwerfern, Tränengas und Blendgranaten gegen die Demonstranten vor. Es gab mindestens einen Toten und etwa 700 Verletzte. Die Auseinandersetzungen führten schließlich zur Besetzung des Weißen Hauses, das sowohl Sitz des Präsidenten als auch des Parlaments ist. Anschließend drangen Demonstranten in das Gebäude des Nationalen Sicherheitskomitees ein und befreiten den dort inhaftierten Ex-Präsidenten Almasbek Atambajew. Auch andere Regierungsgebäude und Gefängnisse wurden gestürmt. Anhänger befreiten den früheren Premierminister Sapar Iskarow und den Ex-Abgeordneten Sadyr Dschaparow.

Springe zu: 10:32 Die Proteste gehen weiter

Das Weiße Haus in Bischkek am 6. Oktober, nachdem es von Demonstranten besetzt wurde.

Wer ist Dschaparow?

Dschaparow hat sich in den Tagen nach den Parlamentswahlen vom Parlament mehrmals zum Premierminister wählen lassen. Bis heute ist umstritten, ob seine Ernennung zum Regeriungschef rechtmäßig war. Als der damals amtierende Präsident Sooronbaj Dscheenbekow am 15. Oktober seinen Rücktritt erklärte, ernannte sich Dschaparow schließlich einfach selbst zum Staatschef. Seitdem ist er Premierminister und Präsident in Personalunion.

Dschaparow gilt als Nationalist, der nach der Tulpenrevolution 2005 für Ex-Präsident Kurmanbek Bakijew in die Politik ging. Zuvor war er als Geschäftsmann in der Landwirtschaft und im Treibstoffsektor tätig. Zweimal wurde er ins Parlament gewählt. Außerdem leitete er unter dem 2010 gestürzten Präsidenten Kurmanbek Bakijew die Anti-Korruptionsbehörde. Später forderte er die Verstaatlichung der größten Goldmine des Landes, die bis heute von einem kanadischen Unternehmen betrieben wird. 2013 kam es deshalb in der Stadt Karakol zu Unruhen, während derer der Gouverneur des Gebiets Issyk-Kul von Dschaparow und seinen Verbündeten als Geisel genommen wurde. Dschaparow floh nach Kasachstan, kehrte aber 2017 nach Kirgistan zurück, wurde vor Gericht gestellt und zu 11,5 Jahren Gefängnis verurteilt.

Springe zu: 19:46 Wer ist Dschaparow?

Sadyr Dschaparow | Foto: president.kg

Wo war Präsident Dscheenbekow?

Eine Frage, die viele während der andauernden Proteste und des ständigen Machtgerangels beschäftigte, war der Verbleib von Sooronbaj Dscheenbekow. Er war kurz vor der Stürmung des Weißen Hauses in Sicherheit gebracht worden und meldete sich von da an nur noch per Video. Während sich sein Volk also auf den Straßen versammelte, und das nicht nur in Bischkek, versteckte sich der Präsident an einem unbekannten Ort.

Dscheenbekow war 2017 zum Staatsoberhaupt gewähl worden, also anders als viele kirgisische Politiker zuvor tatsächlich legitim in sein Amt gekommen. Nachdem er mehrfach bekräftigt hatte, Präsident bleiben zu wollen, kam sein Rücktritt am 15. Oktober überraschend. Offiziell sagte er: „Ich möchte in die Geschichte Kirgistans nicht als Präsident eingehen, der Blut vergossen und auf seine eigenen Bürger geschossen hat.“ Er sehe keinen anderen Ausweg, um die Aggressionen und Proteste gegen ihn zu beenden. Auch hier rätseln Beobachter noch, ob die Entscheidung freiwillig fiel oder Dscheenbekow nicht von jemanden dazu gedrängt wurde.

Springe zu: 15:03 Das Verschwinden des Sooronbaj Dscheenbekow

Im Kampf gegen Gauner

Denn es gibt auch Stimmen, die behaupten, Dschaparow sei mit Hilfe von Kriminellen an die Macht gekommen. Um diese Vorwürfe zu entkräften und seine Popularität zu steigern, hat der Interimspräsident angekündigt, gegen Korruption vorgehen zu wollen. Gleich zwei der einflussreichsten Kriminellen des Landes ließ er bereits festnehmen. Korrupten Beamten hat er eine Amnestie angeboten, wenn sie ihr ergaunertes Geld an den Staat zurückzahlen.

Als eine seiner ersten Amtshandlungen machte Dschaparow einen alten Freund zum Leiter des Nationalen Sicherheitskomitees. Was folgte, war laut offizieller Darstellung, ein fulminanter Start: Nachdem Dschaparow dem flüchtigen ehemaligen Vize-Chef des Zolldienstes, Rayimbek Matraimow, öffentlich dazu geraten hatte, „Gerechtigkeit walten zu lassen“, stellte sich dieser am 20. Oktober den Behörden. Matraimow wird vorgeworfen, rund 700 Millionen US-Dollar unterschlagen zu haben. Der Untersuchungsrichter stellte ihn jedoch nur unter Hausarrest – mit der Begründung, Matraimow habe bereits 24 Millionen US-Dollar Schadenersatz an den Staat gezahlt.

Zwei Tage später nahmen Beamte des Sicherheitskomitees Kamtschybek Kolbajew fest, der als wichtigster Unterweltboss Kirgistans gilt. Einige Beobachter behaupten, dass Kolbajew womöglich hinter dem raschen Aufstieg Dschaparows stecke und seine Verhaftung nur Show sei. Kolbajews Verbrechen sollen von Drogenschmuggel über Menschenhandel bis hin zu Mord reichen. Der erst kürzlich neu ernannte Generalstaatsanwalt, der die Ermittlungen leiten würde, ist ebenfalls ein alter Vertrauter von Dschaparow.

Springe zu: 22:12 Kriminelles Spiel?

Reaktionen in anderen Ländern

Die Umbrüche in Kirgistan kommen zu einer im postsowjetischen Raum ausgesprochen bewegten Zeit: die Proteste in Belarus, der Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan um Berg-Karabach, die Vergiftung von Alexej Nawalny in Russland. Da ist Kirgistan in der deutschsprachigen Berichterstattung fast untergegangen.

In Zentralasien wurden die Proteste in Kirgistan durchaus wahrgenommen und vor allem in den sozialen Medien heiß diskutiert. Insbesondere Twitter ist in den vergangenen Wochen eine beliebte Plattform geworden, auf der sich Aktivisten, Politiker und Journalistan aus Kirgistan austauschen. In Kasachstan wurden in den sozialen Netzwerken Witze darüber gemacht, dass Kirgistan direkt zum Höhepunkt kommt, während sich Belarus nach Wochen immer noch mit dem Vorspiel aufhält. Und gleichzeitig schaut man auch auf das eigene Land, wo die Protestbewegung nach Nasarbajews Rücktritt im vergangenen Jahr durch Corona wieder zum Erliegen gekommen ist.

Auch wenn die Proteste in Kirgistan, wie von einigen behauptet, eher nicht von den Ereignissen in Belarus beeinflusst waren, schauten sich die Demonstranten in Bischkek doch einiges ab. Aktivisten bildeten zum Beispiel Frewilligeneinheiten, um Essen während der Protestaktionen zu verteilen, aufzuräumen und Geschäfte nachts vor Plünderungen zu schützen.

Springe zu: 29:05 Reaktionen im Ausland

Gepflegte Langeweile in Tadschikistan

Während die Menschen in Kirgistan also auf die Straßen gingen, fanden im Nachbarland Tadschikistan am 11. Oktober Präsidentschaftswahlen statt. Die boten wenig Überraschendes. Amtsinhber Emomali Rahmon hat mit 90,1 Prozent der Stimmen gewonnen. Die vier Gegenkandidaten gelten als regimetreu und wurden eher pro forma aufgestellt.

Mit den vergleichsweise frischen Erinnerungen an den Bürgerkrieg in den 90er Jahren sind Proteste in Tadschikistan eher unwahrscheinlich. Die Bürger sind froh, dass sie in Ruhe und Frieden leben können. Allerdings leidet das Land ähnlich wie Kirgistan stark unter der Coronakrise und dem Einbruch der sowieso schon schwachen Wirtschaft. Einige Analysten rechnen deshalb damit, dass es in den kommenden sieben Jahren – also der wohl letzten Amtszeit von Rahmon – durchaus auch in Tadschikistan zu größeren Protesten kommen könnte.

Springe zu: 36:00 Präsidentschaftswahlen in Tadschikistan

Wie weiter in Kirgistan?

Momentan ist in Kirgistan Ruhe eingekehrt. Doch die Machtkämpfe gehen weiter. Die Wahlkommission hat vorgezogene Präsidentschaftswahlen für den 10. Januar angekündigt. Um daran teilnehmen zu könenn, will Dschaparow die Verfassung ändern. Denn als Amtsinhaber wäre das ausgeschlossen. Mit einem cleveren Schachzug sorgte er deshalb dafür, dass die Parlamentswahlen, die im Dezember hätten wiederholt werden sollen, nun frühesten im Juni 2021 stattfinden. Das hätte ihm Zeit für die Verfassungsänderung gebracht.
Allerdings ist die aktuelle Verfassung die wichtigste Errungenschaft des Regierungsumsturzes von 2010. Damals kamen bei Protesten 87 Menschen ums Leben. In einem anschließenden Referendum stimmten die Kirgisen für die Einführung des Parlamentarismus, darauffolgende Parlamentswahlen besiegelten die neue Ordnung. Dschaparow, der sich bereits für die Wiedereinführung eines präsidentiellen Regierungssystems ausgesprochen hat, scheint dieses Erbe von 2010 kaum zu schätzen.

Das dürfe ihm anders als sein Anti-Korruptions-Kampf nicht nur Sympathien bringen. Am 26. Oktober verkündete Dschaparow, Anfang Dezember seine Ämter niederlegen zu wollen: „Ich werde als normaler Bürger am Wahlkampf teilnehmen. Wenn ich gewinne, dann werde ich Präsident, wenn nicht, dann bleibe ich ein gewöhnlicher Bürger.“ Es bleibt also spannend in Kirgistan.

Parlamentswahlen im Herbst 2010: Kurz zuvor hatten sich die Kirgisen in einem Referendum für die Einführung eines parlamentarischen Regierungssystems entschieden. | Foto: Edda Schlager
Parlamentswahlen im Herbst 2010: Kurz zuvor hatten sich die Kirgisen in einem Referendum für die Einführung eines parlamentarischen Regierungssystems entschieden. | Foto: Edda Schlager

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Chaotische Tage liegen hinter Kirgistan: Nach den Parlamentswahlen Anfang Oktober kam es zu tagelangen Protesten. Die Regierung wurde gestürzt, Präsident Sooronbaj Dscheenbekow ist zurückgetreten. Nun steht mit Sadyr Dschaparow ein Politiker an der Staatsspitze, der zu Beginn der Demonstrationen noch im Gefängnis saß.

Grund genug für Shashlyk Maschlyk, nach Kirgistan zu schauen und das dortige Geschehen zu analysieren. Außerdem waren im Nachbarland Tadschikistan die Menschen aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu wählen. Es war also ein heißer Wahlherbst in Zentralasien.

Gescheiterte Parlamentswahlen in Kirgistan

Bereits im Vorfeld der Parlamentswahlen in Kirgistan am 4. Oktober war es zu massiven Manipulationen gekommen, unter anderem durch den Kauf von Stimmen. Als am Wahlabend die ersten Hochrechnungen kamen, riefen bereits einige Parteien und Aktivisten dazu auf, das Ergebnis nicht anzuerkennen und dagegen zu protestieren.

Nach dem vorläufig verkündeten Wahlergebnis hätten vier der 16 zur Wahl angetretenen Parteien den Einzug ins Parlament geschafft. Das waren die regierungstreue Partei Birimdik mit 24,5 Prozent der Stimmen, die als liberal geltende Oligarchenpartei Mekenim Kirgistan mit 23,9 Prozent, die Parteien Kirgistan (8,8 Prozent) und Bütün Kirgistan (7,1 Prozent). Zusammengerechnet wäre über ein Drittel der abgegebenen Stimmen gar nicht im Parlament vertreten gewesen. Die Wahlbeteiligung lag bei 56,5 Prozent.

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— Kloop (@kloopnews) October 5, 2020
“Die Menschen werden nicht weniger” – Das Online-Medium Kloop hat die Proteste von Anfang live begleitet.

Friedliche Proteste schlagen in Gewalt um

Einen Tag nach den Parlamentswahlen, am 5. Oktober, hatten sich mehrere Parteien in Bischkek versammelt, um gegen das Wahlergebnis zu protestieren. Bis zum Abend strömten immer mehr Menschen auf den zentralen Ala-Too-Platz, bis es schließlich Tausende waren. Beobachter vor Ort beschreiben die Stimmung als ausgelassen und friedlich. Es habe fast schon Volksfest-Atmosphäre geherrscht.

Am späten Abend griffen Sicherheitkräfte ein und gingen mit Wasserwerfern, Tränengas und Blendgranaten gegen die Demonstranten vor. Es gab mindestens einen Toten und etwa 700 Verletzte. Die Auseinandersetzungen führten schließlich zur Besetzung des Weißen Hauses, das sowohl Sitz des Präsidenten als auch des Parlaments ist. Anschließend drangen Demonstranten in das Gebäude des Nationalen Sicherheitskomitees ein und befreiten den dort inhaftierten Ex-Präsidenten Almasbek Atambajew. Auch andere Regierungsgebäude und Gefängnisse wurden gestürmt. Anhänger befreiten den früheren Premierminister Sapar Iskarow und den Ex-Abgeordneten Sadyr Dschaparow.

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Das Weiße Haus in Bischkek am 6. Oktober, nachdem es von Demonstranten besetzt wurde.

Wer ist Dschaparow?

Dschaparow hat sich in den Tagen nach den Parlamentswahlen vom Parlament mehrmals zum Premierminister wählen lassen. Bis heute ist umstritten, ob seine Ernennung zum Regeriungschef rechtmäßig war. Als der damals amtierende Präsident Sooronbaj Dscheenbekow am 15. Oktober seinen Rücktritt erklärte, ernannte sich Dschaparow schließlich einfach selbst zum Staatschef. Seitdem ist er Premierminister und Präsident in Personalunion.

Dschaparow gilt als Nationalist, der nach der Tulpenrevolution 2005 für Ex-Präsident Kurmanbek Bakijew in die Politik ging. Zuvor war er als Geschäftsmann in der Landwirtschaft und im Treibstoffsektor tätig. Zweimal wurde er ins Parlament gewählt. Außerdem leitete er unter dem 2010 gestürzten Präsidenten Kurmanbek Bakijew die Anti-Korruptionsbehörde. Später forderte er die Verstaatlichung der größten Goldmine des Landes, die bis heute von einem kanadischen Unternehmen betrieben wird. 2013 kam es deshalb in der Stadt Karakol zu Unruhen, während derer der Gouverneur des Gebiets Issyk-Kul von Dschaparow und seinen Verbündeten als Geisel genommen wurde. Dschaparow floh nach Kasachstan, kehrte aber 2017 nach Kirgistan zurück, wurde vor Gericht gestellt und zu 11,5 Jahren Gefängnis verurteilt.

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Wo war Präsident Dscheenbekow?

Eine Frage, die viele während der andauernden Proteste und des ständigen Machtgerangels beschäftigte, war der Verbleib von Sooronbaj Dscheenbekow. Er war kurz vor der Stürmung des Weißen Hauses in Sicherheit gebracht worden und meldete sich von da an nur noch per Video. Während sich sein Volk also auf den Straßen versammelte, und das nicht nur in Bischkek, versteckte sich der Präsident an einem unbekannten Ort.

Dscheenbekow war 2017 zum Staatsoberhaupt gewähl worden, also anders als viele kirgisische Politiker zuvor tatsächlich legitim in sein Amt gekommen. Nachdem er mehrfach bekräftigt hatte, Präsident bleiben zu wollen, kam sein Rücktritt am 15. Oktober überraschend. Offiziell sagte er: „Ich möchte in die Geschichte Kirgistans nicht als Präsident eingehen, der Blut vergossen und auf seine eigenen Bürger geschossen hat.“ Er sehe keinen anderen Ausweg, um die Aggressionen und Proteste gegen ihn zu beenden. Auch hier rätseln Beobachter noch, ob die Entscheidung freiwillig fiel oder Dscheenbekow nicht von jemanden dazu gedrängt wurde.

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Im Kampf gegen Gauner

Denn es gibt auch Stimmen, die behaupten, Dschaparow sei mit Hilfe von Kriminellen an die Macht gekommen. Um diese Vorwürfe zu entkräften und seine Popularität zu steigern, hat der Interimspräsident angekündigt, gegen Korruption vorgehen zu wollen. Gleich zwei der einflussreichsten Kriminellen des Landes ließ er bereits festnehmen. Korrupten Beamten hat er eine Amnestie angeboten, wenn sie ihr ergaunertes Geld an den Staat zurückzahlen.

Als eine seiner ersten Amtshandlungen machte Dschaparow einen alten Freund zum Leiter des Nationalen Sicherheitskomitees. Was folgte, war laut offizieller Darstellung, ein fulminanter Start: Nachdem Dschaparow dem flüchtigen ehemaligen Vize-Chef des Zolldienstes, Rayimbek Matraimow, öffentlich dazu geraten hatte, „Gerechtigkeit walten zu lassen“, stellte sich dieser am 20. Oktober den Behörden. Matraimow wird vorgeworfen, rund 700 Millionen US-Dollar unterschlagen zu haben. Der Untersuchungsrichter stellte ihn jedoch nur unter Hausarrest – mit der Begründung, Matraimow habe bereits 24 Millionen US-Dollar Schadenersatz an den Staat gezahlt.

Zwei Tage später nahmen Beamte des Sicherheitskomitees Kamtschybek Kolbajew fest, der als wichtigster Unterweltboss Kirgistans gilt. Einige Beobachter behaupten, dass Kolbajew womöglich hinter dem raschen Aufstieg Dschaparows stecke und seine Verhaftung nur Show sei. Kolbajews Verbrechen sollen von Drogenschmuggel über Menschenhandel bis hin zu Mord reichen. Der erst kürzlich neu ernannte Generalstaatsanwalt, der die Ermittlungen leiten würde, ist ebenfalls ein alter Vertrauter von Dschaparow.

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Reaktionen in anderen Ländern

Die Umbrüche in Kirgistan kommen zu einer im postsowjetischen Raum ausgesprochen bewegten Zeit: die Proteste in Belarus, der Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan um Berg-Karabach, die Vergiftung von Alexej Nawalny in Russland. Da ist Kirgistan in der deutschsprachigen Berichterstattung fast untergegangen.

In Zentralasien wurden die Proteste in Kirgistan durchaus wahrgenommen und vor allem in den sozialen Medien heiß diskutiert. Insbesondere Twitter ist in den vergangenen Wochen eine beliebte Plattform geworden, auf der sich Aktivisten, Politiker und Journalistan aus Kirgistan austauschen. In Kasachstan wurden in den sozialen Netzwerken Witze darüber gemacht, dass Kirgistan direkt zum Höhepunkt kommt, während sich Belarus nach Wochen immer noch mit dem Vorspiel aufhält. Und gleichzeitig schaut man auch auf das eigene Land, wo die Protestbewegung nach Nasarbajews Rücktritt im vergangenen Jahr durch Corona wieder zum Erliegen gekommen ist.

Auch wenn die Proteste in Kirgistan, wie von einigen behauptet, eher nicht von den Ereignissen in Belarus beeinflusst waren, schauten sich die Demonstranten in Bischkek doch einiges ab. Aktivisten bildeten zum Beispiel Frewilligeneinheiten, um Essen während der Protestaktionen zu verteilen, aufzuräumen und Geschäfte nachts vor Plünderungen zu schützen.

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Gepflegte Langeweile in Tadschikistan

Während die Menschen in Kirgistan also auf die Straßen gingen, fanden im Nachbarland Tadschikistan am 11. Oktober Präsidentschaftswahlen statt. Die boten wenig Überraschendes. Amtsinhber Emomali Rahmon hat mit 90,1 Prozent der Stimmen gewonnen. Die vier Gegenkandidaten gelten als regimetreu und wurden eher pro forma aufgestellt.

Mit den vergleichsweise frischen Erinnerungen an den Bürgerkrieg in den 90er Jahren sind Proteste in Tadschikistan eher unwahrscheinlich. Die Bürger sind froh, dass sie in Ruhe und Frieden leben können. Allerdings leidet das Land ähnlich wie Kirgistan stark unter der Coronakrise und dem Einbruch der sowieso schon schwachen Wirtschaft. Einige Analysten rechnen deshalb damit, dass es in den kommenden sieben Jahren – also der wohl letzten Amtszeit von Rahmon – durchaus auch in Tadschikistan zu größeren Protesten kommen könnte.

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Wie weiter in Kirgistan?

Momentan ist in Kirgistan Ruhe eingekehrt. Doch die Machtkämpfe gehen weiter. Die Wahlkommission hat vorgezogene Präsidentschaftswahlen für den 10. Januar angekündigt. Um daran teilnehmen zu könenn, will Dschaparow die Verfassung ändern. Denn als Amtsinhaber wäre das ausgeschlossen. Mit einem cleveren Schachzug sorgte er deshalb dafür, dass die Parlamentswahlen, die im Dezember hätten wiederholt werden sollen, nun frühesten im Juni 2021 stattfinden. Das hätte ihm Zeit für die Verfassungsänderung gebracht.
Allerdings ist die aktuelle Verfassung die wichtigste Errungenschaft des Regierungsumsturzes von 2010. Damals kamen bei Protesten 87 Menschen ums Leben. In einem anschließenden Referendum stimmten die Kirgisen für die Einführung des Parlamentarismus, darauffolgende Parlamentswahlen besiegelten die neue Ordnung. Dschaparow, der sich bereits für die Wiedereinführung eines präsidentiellen Regierungssystems ausgesprochen hat, scheint dieses Erbe von 2010 kaum zu schätzen.

Das dürfe ihm anders als sein Anti-Korruptions-Kampf nicht nur Sympathien bringen. Am 26. Oktober verkündete Dschaparow, Anfang Dezember seine Ämter niederlegen zu wollen: „Ich werde als normaler Bürger am Wahlkampf teilnehmen. Wenn ich gewinne, dann werde ich Präsident, wenn nicht, dann bleibe ich ein gewöhnlicher Bürger.“ Es bleibt also spannend in Kirgistan.

Parlamentswahlen im Herbst 2010: Kurz zuvor hatten sich die Kirgisen in einem Referendum für die Einführung eines parlamentarischen Regierungssystems entschieden. | Foto: Edda Schlager
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