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Heinrich Barth - Der vergessene Afrika-Forscher

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Er trank sein eigenes Blut, um in der Sahara nicht zu verdursten. Heinrich Barths Expedition nach Afrika gilt heute als Pionierleistung der Afrikaforschung. (BR 2017) Autor: Linus Lüring

Credits
Autor/in dieser Folge: Linus Lüring
Regie: Dorit Kreissl
Es sprachen: Rahel Comtesse, Rainer Buck, Jerzy May
Technik: Miriam Böhm
Redaktion: Thomas Morawetz

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

Sprecher

Vor 24 Stunden hatte Heinrich Barth zum letzten Mal etwas getrunken. Jetzt steigt die Sonne erbarmungslos immer höher. An Schatten ist nicht zu denken, die wenigen Bäume sind verdorrt. Der junge Deutsche ist allein unterwegs und weiß, dass er bald verdursten wird. In seiner Verzweiflung schneidet er sich in den Arm und trinkt sein eigenes Blut, um den Durst zu stillen. Dann fällt er in Ohnmacht. In der sengenden Hitze dämmert Barth dahin. Doch am Abend weckt ihn plötzlich der Schrei eines Kamels.

Zitator

Der klangreichste Ton, den ich je im Leben gehört! Ich erhob mich etwas vom Boden und sah einen Targi in einiger Entfernung langsam nach allen Seiten umherspähend, vor mir vorbeireiten. Ich öffnete meine trockenen Lippen, mit meiner geschwächten Stimme „Wasser, Wasser“ rufend.

Sprecher

Die Rettung für Heinrich Barth kommt in letzter Minute. Beinahe wäre sein Traum – das nördliche Afrika zu erforschen – schon hier im kargen Idinen-Gebirge am Rand der Sahara zu Ende gewesen. Jetzt aber lernt Barth aus dieser Erfahrung. Er teilt seine Kräfte künftig besser ein und riskiert nie wieder bei Alleingängen sein Leben. Das ist die Basis für eine beeindruckende Pionierleistung, die aber jahrzehntelang völlig in Vergessenheit geraten wird.

Sprecherin

Einige Wochen vorher, im März 1850, hat sich Heinrich Barth in Tripolis mit einer Expedition im Auftrag der britischen Regierung auf den Weg in Richtung Süden gemacht. Neben dem damals 29-jährigen Barth sind noch der deutsche Geologe Adolf Overweg und der Leiter der Expedition dabei, der britische Missionar James Richardson. Begleitet werden sie von einheimischen Führern und dutzenden Kamelen. Zuerst wollen sie die Sahara durchqueren und dann weiter in Richtung Tschadsee vorstoßen. Ihr Auftrag: Sie sollen das nördliche Afrika erforschen und dabei Absatzmärkte für britische Waren erschließen. Vor den Männern liegt ein Gebiet, das zur damaligen Zeit in Europa größtenteils noch unbekannt ist. Es gibt wenig verlässliche Informationen, stattdessen Gerüchte über angriffslustige Nomadenvölker, wilde Tiere und Dürren. Wie gefährlich die Expedition ist, das werden die Europäer schnell spüren. Barth wird der einzige der drei sein, der die Forschungsreise überlebt.

Sprecher

Nachdem sich Barth von seinem lebensgefährlichen Alleingang erholt hat, zieht die Karawane weiter in Richtung Air-Gebirge. Die wasserlose Region ist sagenumwoben, noch nie waren Europäer bis hierher vorgedrungen.

Sprecherin

Schon nach wenigen Tagen gerät die Expedition in einen Hinterhalt. Dutzende Tuareg, bewaffnet mit Schwertern und Speeren, überfallen die Karawane. Sie haben es auf die mit unzähligen Kisten und Gepäckstücken beladenen Kamele abgesehen. Die Expedition verliert etwa ein Viertel der Lebensmittelvorräte und andere Güter. Während Expeditionsleiter Richardson schon mit dem sicheren Tod rechnet, tritt Heinrich Barth den Nomaden entschlossener entgegen.

Schließlich kommen die drei Christen nach zähen Verhandlungen mit dem Leben davon.

Sprecher

Immer wieder wird Heinrich Barth bei der weiteren Reise bedrohliche Situationen erleben. Dennoch begegnet er den Einheimischen mit großem Respekt. Stets sucht er den Kontakt mit Ihnen und schließt viele Freundschaften. Dies ermöglicht ihm tiefe Einblicke in die Kulturen Nordafrikas. Dass Barth in Afrika so gewinnend auftritt, war keineswegs zu erwarten gewesen. In Deutschland galt Heinrich Barth als Einzelgänger, ja sogar als beziehungsunfähig.

Sprecherin

Im Februar 1821 wurde er als Sohn einer Kaufmanns-Familie in Hamburg geboren. Seine Eltern achteten auf Fleiß und eiserne Disziplin, Merkmale, die Barths Persönlichkeit prägten. Ein Mitschüler beschrieb ihn zwar als kränklich und schwach, fügte aber bewundernd hinzu, dass er im Winter in Eiswasser schwamm, um seinen Körper zu stärken. Bald soll Barth dann eine stattlichere Statur gehabt haben, trotzdem fanden ihn viele ziemlich merkwürdig, wie ein Klassenkamerad festhielt.

Zitator

Namentlich hieß es von ihm, dass er sich privat und ohne alle Anleitung mit dem Arabischen beschäftige, was uns gedankenlosen Schuljungen denn freilich als der Gipfel aller Verrücktheit erschien.

Sprecherin

Auch später im Studium hatte er wenig Kontakt zu anderen, stattdessen war er getrieben vom Wissensdrang, also studierte er in Berlin nicht nur Geschichte, sondern gleich auch noch Geografie, Jura und Germanistik. Nach der Promotion brach er zu einer Reise ums südliche Mittelmeer auf.

Dass er unterwegs angeschossen und ausgeraubt wurde, warf ihn nur kurz aus der Bahn. Zu fasziniert war er von den antiken Stätten und den unterschiedlichen Kulturen denen er in Tunesien oder Syrien begegnete.

Sprecher

Obwohl ständig von Hunger und Geldsorgen geplagt, notierte er doch alle möglichen Details zu Namen, Entfernungen und Begegnungen. Daraus verfasste er später seine Habilitationsschrift in Geographie. Trotz dieser enormen Leistung erfüllte sich sein großer Wunsch nicht – eine eigene Professur. Er schafft es nicht, andere mit seinen enormen Kenntnissen zu begeistern. Seine Vorlesungen sind schlecht besucht. Entmutigt zieht Barth sich zurück und blickt einer unsicheren Zukunft entgegen. Sein Schwager charakterisiert ihn so:

Zitator

Sein Selbstgefühl erlaubt ihm nicht, sich zur rechten Zeit zu beugen. Er ist ein kühner und ausdauernder, aber kein gewandter Schwimmer auf dem Strome des Lebens.

Sprecherin

Nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für eine Expedition in unbekannte Gebiete, bei der es auf Diplomatie und Offenheit ankommen wird. Trotzdem: Für Barth kam die Einladung zur Teilnahme gerade recht. Die Briten wollten von seiner akribischen Arbeitsweise profitieren. Und dem ehrgeizigen Wissenschaftler wurde zugesichert, dass er - wenn er mit herausragenden Ergebnissen nach Europa zurückkehrt - eine passende Professur bekommt.

Darauf verließ sich Barth. Hochmotiviert brach er auf nach Afrika. Während der Expedition wird er ein anderer Mensch werden.

Sprecher

Im Januar 1851, knapp neun Monate nach dem Aufbruch, haben die Männer um Heinrich Barth bereits dreieinhalbtausend Kilometer zurückgelegt. Langsam lassen sie die Sahara hinter sich und sehen jetzt die ersten Kornfelder im Norden des heutigen Nigeria.

Sprecherin

Für Barth kommt die Karawane zu langsam voran, außerdem nerven ihn die ständigen finanziellen Sorgen, denn der Geldnachschub aus England ist schon seit längerem ausgeblieben. Allein wäre er nicht nur schneller und günstiger, sondern auch unauffälliger und damit sicherer unterwegs, hofft er. Expeditionsleiter Richardson stimmt schließlich zu, dass die drei Europäer sich trennen. Für die umfangreichen Forschungsarbeiten Barths und auch des anderen Wissenschaftlers Adolf Overweg hat er ohnehin immer weniger Verständnis. Die Männer vereinbaren, sich drei Monate später im 700 Kilometer entfernten Kukawa wiederzutreffen, der Hauptstadt des mächtigen Bornu-Reiches am Tschad-See.

Sprecher

Heinrich Barth zieht mit neuer Energie und nur wenigen Begleitern weiter. Dass er nun seinen Weg selbst bestimmen und ungehindert die Gegenden, die vor ihm liegen, erforschen kann, macht ihn glücklich. Wie besessen versucht er jedes Detail festzuhalten. Seine breite Bildung in Archäologie, Geographie und Linguistik ist dabei ein Schlüssel für bemerkenswerte Erkenntnisse.

Sprecherin

Schon kurz nach der Abreise hatte der deutsche Forscher im heutigen Libyen einige jahrtausendealte Felsbilder entdeckt. Weil er dort, mitten in der Wüste, Zeichnungen von Elefanten und Flusspferden sah, begriff er als erster überhaupt, dass die Region einen gewaltigen Klimawandel erlebt hat. Solche Erkenntnisse notiert er akribisch. Seine Schriften gibt er dann von Zeit zu Zeit Karawanen in Richtung Norden mit. Barths Briefe sind monatelang unterwegs, bis sie in Europa eintreffen.

Sprecher

Im März 1851, kurz vor Kukawa, dem vereinbarten Treffpunkt der drei Europäer, reiten Boten Heinrich Barth entgegen. Die Nachricht, die sie überbringen dämpft seinen Optimismus empfindlich. Expeditionsleiter Richardson ist vor wenigen Tagen an Entkräftung gestorben. Auf einmal muss sich Barth die Frage stellen, wie es mit der Expedition weitergeht. Er schreibt deshalb an die britische Regierung in London mit der Bitte um Anweisungen. Dabei steht er vor einem weiteren Problem: Der Deutsche weiß nicht, wie der mächtige Scheich von Bornu ihn in Kukawa empfangen wird. Weil Adolf Overweg noch nicht eingetroffen ist, muss er allein, ärmlich gekleidet und nach Richardsons Tod auch ohne offiziellen Auftrag in die Stadt einreiten.

Sprecherin

Unsicher reitet Heinrich Barth auf die in der Sonne schimmernden, weißen Lehmmauern der Stadt zu. Doch er wird erst vom Wesir, dem wichtigsten Minister des Scheichs und später von Scheich Omar selbst wohlwollend begrüßt und dann zu einem üppigen Abendessen eingeladen. Und obwohl er fast keine Gastgeschenke mitbringt, wird Barth sogar ein geräumiger Lehmziegelbau zugewiesen.

Sprecher

Schon nach wenigen Tagen ist es ihm gelungen, das Vertrauen des Scheichs zu gewinnen. Er wird mit Unterbrechungen insgesamt über ein Jahr in Kukawa verbringen.

Sprecherin

Es scheint paradox. In Europa ist Heinrich Barth noch der zurückgezogene, abweisende Einzelgänger. In Afrika tritt er dagegen völlig anders auf, erklärt Professor Klaus Schneider, Präsident der Heinrich-Barth-Gesellschaft:

ZUSP Schneider 1

Er hatte anscheinend ein ganz großes Geschick oder große Ausstrahlung diesen Menschen gegenüber. Er hatte überall, wo er war, und das sagt er in einem ganz berühmten Satz, überall wo ich gewesen bin, habe ich Freunde hinterlassen. Und das hat er auch ganz früh zu einer Methode gemacht und er sagte, man muss mit diesen Menschen persönlich in Kontakt geraten, und sie müssen sich um dich kümmern. Sonst wird das nicht gut gehen.

Sprecherin

Barth profitiert dabei auch von seinem außerordentlichen Sprachtalent. Innerhalb weniger Wochen schafft er es oft die Sprachen der Regionen, durch die er gerade reist, zu lernen und mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Dolmetscher braucht er so gut wie nie. Und noch etwas hilft ihm. Er hat keine Berührungsängste mit dem Islam, der in Nordafrika dominierenden Religion. Im Gegenteil, während in Europa im 19. Jahrhunderts der Antiislamismus weit verbreitet ist, faszinieren ihn die islamischen Einflüsse auf Wissenschaft und Kunst. In vielen Gegenden kleidet er sich sogar wie ein Muslim und reist unter dem Pseudonym „Abd el Karim“, übersetzt: „der Diener des Höchsten“. Ein gewaltiger Unterschied zu anderen Afrika-Forschern vor ihm, wie etwa Mungo Park. Sie bevorzugten bewusst europäische Kleidung um sich als Höherstehende abzugrenzen.

Sprecher

Mitte des Jahres 1852 ist Kukawa, die Hauptstadt des Bornu-Reiches, für Heinrich Barth seine „afrikanische Heimat“ geworden, wie er selbst sagt. Von hier aus unternimmt er monatelange Exkursionen ins Umland, begleitet von Adolf Overweg, der mit einigen Wochen Verspätung doch noch angekommen ist. Dabei bereisen sie Gebiete, die in Europa nicht mal dem Namen nach bekannt sind. Dann, nach über einem Jahr, kommt endlich ein Brief aus London.

Für Barth wird das einer der „glücklichsten Tage seines Lebens“, wie er sagt: denn die britische Regierung bestimmt ihn zum neuen Leiter der Expedition.

Mit diesem offiziellen Auftrag kann er schließlich den Handelsvertrag für Großbritannien mit dem Scheich abschließen – eines der Hauptziele der Expedition ist damit erreicht. Außerdem bekommt Barth lang ersehnte finanzielle Unterstützung. Nun kann er die weitere Route der Expedition selbst bestimmen. Und da fasst Heinrich Barth einen Ort ins Auge, der in Europa damals einen mythischen Ruf hatte – Timbuktu.

Sprecherin

Unvorstellbar reich soll die Wüstenstadt sein. Es heißt sogar, dass die Häuser mit Gold überzogen seien. Allerdings sind das eben nur Erzählungen. Wohl erst zwei Europäer haben Timbuktu bisher erreicht. Ihre jahrzehntealten Berichte sind ent-weder nicht überliefert oder werden angezweifelt. Barth möchte herausfinden, wie es in der Stadt wirklich aussieht. Er weiß, dass die Reise etwa ein Jahr dauern wird: von Kukawa nach Timbuktu sind es mehr als 2000 Kilometer. Trotzdem ist der deutsche Wissenschaftler voller Tatendrang. Aber kurz vor dem geplanten Aufbruch dann ein Rückschlag: Adolf Overweg stirbt an Malaria. Barth ist tief erschüttert, denn Overweg war für ihn zu einem wichtigen Freund geworden. Den-noch bleibt er bei seinem Ziel - er will Timbuktu unbedingt erreichen. Im November 1852 bricht er mit acht Begleitern sowie einigen Pferden und Kamelen auf.

Sprecher

Auf dem Weg nach Westen, in Richtung Timbuktu erlebt Barth, wie er später schreibt, „ununterbrochene Kriegsführung und Gewalttätigkeit“. Immer wieder müssen er und seine Begleiter deshalb große Umwege machen. Einmal reiten sie 30 Stunden ohne wirkliche Rast, in der ständigen Angst entdeckt zu werden. Dabei spürt Heinrich Barth die Überanstrengung immer deutlicher. Seit knapp drei Jahren ist er jetzt schon unterwegs. Rheuma, Fieber oder Skorpionstiche quälen ihn immer wieder. Dazu kommt die einseitige Ernährung: Auf dem Weg nach Timbuktu zum Beispiel gibt es monatelang fast nur Hirsebrei. Trotzdem treibt ihn eiserne Disziplin vorwärts, mit teilweise bizarren Folgen:

Zitator

Bald begann ich die Qual der Übermüdung zu fühlen. Um nicht im schläfrigen Zustande vom Kamele zu fallen, war ich genöthigt, einen großen Teil der Nacht mich zu Fuße hinzuschleppen, was nicht eben angenehm war.

Sprecher

Dass Barth es dabei schafft, seine Forschungsarbeiten nicht zu vernachlässigen, wirkt fast übermenschlich. Doch genau das bringt ihn jetzt in zusätzliche Schwierigkeiten. Weil er ständig Gebäude oder Landschaften zeichnet und sogar lange Vokabellisten für verschiedenste Sprachen anlegt, ist er vielen Afrikanern suspekt. In die Zeit fallen auch Berichte, dass französische Truppen beginnen, den Nordwesten Afrikas zu erobern. Für viele Einheimische steht deshalb fest: Barth muss ein Spion sein, der eine Invasion vorbereitet. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall.

Sprecherin

Während viele Europäer Afrika zur damaligen Zeit als Kontinent ohne Geschichte sehen und Afrikaner für primitive Wilde halten, fehlen bei Heinrich Barth solche rassistischen Bemerkungen. Er ist überzeugt, dass den afrikanischen Gesellschaften eine große Gefahr droht. Professor Klaus Schneider:

Zusp. Schneider 2

Also ich glaube der Kolonialismus, der sich anbahnte, der war für Barth schon gefühlt. Er war sicher, dass die Europäer Afrika überrennen würden. Und er sagt dann ja auch an manchen Stellen, er hätte davon geträumt, dass er an der Spitze eines panafrikanischen Heeres gegen die europäischen Kolonialmächte angehen würde. Und damit war er der einzige überhaupt zu der Zeit, der sich in irgendeiner Art und Weise wirklich artikuliert auf die Seite der Afrikaner gestellt hat.

Sprecherin

Ein Europäer an der Seite Afrikas – Heinrich Barth wird noch spüren, dass er sich mit dieser Einstellung nicht nur Freunde macht.

Sprecher

Endlich. Im September 1853 hat es Heinrich Barth trotz aller Widrigkeiten geschafft. In der Ferne taucht vor ihm die Stadt seiner Sehnsucht auf -Timbuktu. Doch der Anblick ist für den mittlerweile 32-jährigen eine Enttäuschung.

Zitator

Ihre dunklen, schmutzigen Tonmassen waren kaum vom Sande und umher aufgehäuften Schutt zu unterscheiden. Denn der Himmel war dick überzogen und mit Sand erfüllt.

Sprecher

Für Barth wird Timbuktu trotzdem eine der wichtigsten Stationen. Denn hier freundet er sich mit Scheich Al-Bakkai an, einem der berühmtesten Koran-gelehrten Westafrikas. Der mächtige Mann beschützt Barth als feindliche Herrscher herausbekommen, dass der Fremde Christ ist. Außerdem führen die beiden Männer lange Gespräche über die Gemeinsamkeiten von Islam und Christentum. Und Al-Bakkai gewährt ihm Einblicke in bedeutende historische Dokumente. So kann Barth die Geschichte der westafrikanischen Reiche erstmals umfassend nachvollziehen. Dabei bleibt seine Lage lebensgefährlich, mehrmals muss der Forscher Timbuktu verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. In dieser Zeit reißt auch der Kontakt nach Europa völlig ab. In der Heimat kursiert bereits die Nachricht, dass Heinrich Barth ums Leben gekommen sei, und zahlreiche Nachrufe werden verfasst.

Sprecherin

Nach sechs Monaten in Timbuktu macht sich Heinrich Barth Anfang 1854 auf den Rückweg nach Europa. Im August 1855 erreicht Barth völlig erschöpft wieder Tripolis. Hinter ihm liegen über 15.000 Kilometer in fünfeinhalb Jahren.

Als Heinrich Barth sich dann nur wenige Tage später auf die Weiterreise nach London macht, ist er sich sicher, dass das, was er zu berichten hat, in Europa für Furore sorgen und ihn in Wissenschaftskreisen weit bringen würde.

Sprecher

Doch angekommen in London erfährt er, dass England und Frankreich ihre Interessensgebiete in Nordafrika inzwischen abgesteckt haben. Die Gebiete, in denen Heinrich Barth Handelsverträge für England abgeschlossen hat, liegen jetzt im französischen Einflussbereich. Die zähen Verhandlungen Barths waren umsonst. Schwer enttäuscht schreibt er seinen Reisebericht. Bereits zwei Jahre später erscheint das Werk auf Deutsch und Englisch. Auf 3.500 Seiten erklärt Heinrich Barth in fünf Bänden geografische und sprachliche Details, schildert politische und wirtschaftliche Beziehungen und beschreibt Personen, die er getroffen hat. Doch anders als die Bücher früherer Afrikareisender wird das Werk ein Ladenhüter. Es ist zu detailliert, zu wenig spannend geschrieben. Der nächste Rückschlag für Barth. Wehmütig denkt er an seine Reisejahre zurück:

Zitator

Wie sehne ich mich nach einem freien Nachtlager in der Wüste. Wo ohne Ehrgeiz, ohne Sorge um die tausend Kleinigkeiten, die hier den Menschen quälen, ich mich im Hochgenuss der Freiheit nach Beendigung des Tagesmarsches auf meine Matte zu strecken pflegte.

Sprecher

Aber statt nach Nordafrika, kehrt Barth nun nach Deutschland zurück und wird wieder enttäuscht. Die versprochene Professur bekommt er nicht, stattdessen spürt er breite Ablehnung. Viele nehmen ihm übel, dass er im Auftrag der Briten unterwegs war. Und dass er dazu den Kolonialismus deutlich kritisiert und den Islam bewundert, passt so gar nicht zum damaligen Zeitgeist. Professor Klaus Schneider:

ZUSP: Schneider 4

Er hatte keine Möglichkeit in diese Wissenschaftskreise zu gelangen, von denen er sich dann die weitere Karriere versprochen hat. Das ist für ihn, glaube ich, auch ein Grund gewesen, zu resignieren und vielleicht auch durch diese Umstände depressiv zu werden und in Kombination mit einigen Krankheiten, die er aus Afrika mitgebracht hatte, dass er daran auch verstarb.

Sprecher

Mit nur 44 Jahren stirbt Heinrich Barth zurückgezogen im November 1865 in Berlin. Lange gerät er dann in Vergessenheit. Erst 100 Jahre später wird sein Werk wiederentdeckt und die Bedeutung seiner Arbeit gewürdigt. Gerade weil er vorurteilsfrei den direkten Kontakt suchte, erkannte er als einer der ersten Forscher die reiche Vergangenheit Afrikas und wies nach, dass die These vom Kontinent ohne eigene Geschichte nicht haltbar ist. Doch das passte nicht in eine Zeit, die gerade die Kolonialisierung Afrikas vorbereitete.

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Er trank sein eigenes Blut, um in der Sahara nicht zu verdursten. Heinrich Barths Expedition nach Afrika gilt heute als Pionierleistung der Afrikaforschung. (BR 2017) Autor: Linus Lüring

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Sprecher

Vor 24 Stunden hatte Heinrich Barth zum letzten Mal etwas getrunken. Jetzt steigt die Sonne erbarmungslos immer höher. An Schatten ist nicht zu denken, die wenigen Bäume sind verdorrt. Der junge Deutsche ist allein unterwegs und weiß, dass er bald verdursten wird. In seiner Verzweiflung schneidet er sich in den Arm und trinkt sein eigenes Blut, um den Durst zu stillen. Dann fällt er in Ohnmacht. In der sengenden Hitze dämmert Barth dahin. Doch am Abend weckt ihn plötzlich der Schrei eines Kamels.

Zitator

Der klangreichste Ton, den ich je im Leben gehört! Ich erhob mich etwas vom Boden und sah einen Targi in einiger Entfernung langsam nach allen Seiten umherspähend, vor mir vorbeireiten. Ich öffnete meine trockenen Lippen, mit meiner geschwächten Stimme „Wasser, Wasser“ rufend.

Sprecher

Die Rettung für Heinrich Barth kommt in letzter Minute. Beinahe wäre sein Traum – das nördliche Afrika zu erforschen – schon hier im kargen Idinen-Gebirge am Rand der Sahara zu Ende gewesen. Jetzt aber lernt Barth aus dieser Erfahrung. Er teilt seine Kräfte künftig besser ein und riskiert nie wieder bei Alleingängen sein Leben. Das ist die Basis für eine beeindruckende Pionierleistung, die aber jahrzehntelang völlig in Vergessenheit geraten wird.

Sprecherin

Einige Wochen vorher, im März 1850, hat sich Heinrich Barth in Tripolis mit einer Expedition im Auftrag der britischen Regierung auf den Weg in Richtung Süden gemacht. Neben dem damals 29-jährigen Barth sind noch der deutsche Geologe Adolf Overweg und der Leiter der Expedition dabei, der britische Missionar James Richardson. Begleitet werden sie von einheimischen Führern und dutzenden Kamelen. Zuerst wollen sie die Sahara durchqueren und dann weiter in Richtung Tschadsee vorstoßen. Ihr Auftrag: Sie sollen das nördliche Afrika erforschen und dabei Absatzmärkte für britische Waren erschließen. Vor den Männern liegt ein Gebiet, das zur damaligen Zeit in Europa größtenteils noch unbekannt ist. Es gibt wenig verlässliche Informationen, stattdessen Gerüchte über angriffslustige Nomadenvölker, wilde Tiere und Dürren. Wie gefährlich die Expedition ist, das werden die Europäer schnell spüren. Barth wird der einzige der drei sein, der die Forschungsreise überlebt.

Sprecher

Nachdem sich Barth von seinem lebensgefährlichen Alleingang erholt hat, zieht die Karawane weiter in Richtung Air-Gebirge. Die wasserlose Region ist sagenumwoben, noch nie waren Europäer bis hierher vorgedrungen.

Sprecherin

Schon nach wenigen Tagen gerät die Expedition in einen Hinterhalt. Dutzende Tuareg, bewaffnet mit Schwertern und Speeren, überfallen die Karawane. Sie haben es auf die mit unzähligen Kisten und Gepäckstücken beladenen Kamele abgesehen. Die Expedition verliert etwa ein Viertel der Lebensmittelvorräte und andere Güter. Während Expeditionsleiter Richardson schon mit dem sicheren Tod rechnet, tritt Heinrich Barth den Nomaden entschlossener entgegen.

Schließlich kommen die drei Christen nach zähen Verhandlungen mit dem Leben davon.

Sprecher

Immer wieder wird Heinrich Barth bei der weiteren Reise bedrohliche Situationen erleben. Dennoch begegnet er den Einheimischen mit großem Respekt. Stets sucht er den Kontakt mit Ihnen und schließt viele Freundschaften. Dies ermöglicht ihm tiefe Einblicke in die Kulturen Nordafrikas. Dass Barth in Afrika so gewinnend auftritt, war keineswegs zu erwarten gewesen. In Deutschland galt Heinrich Barth als Einzelgänger, ja sogar als beziehungsunfähig.

Sprecherin

Im Februar 1821 wurde er als Sohn einer Kaufmanns-Familie in Hamburg geboren. Seine Eltern achteten auf Fleiß und eiserne Disziplin, Merkmale, die Barths Persönlichkeit prägten. Ein Mitschüler beschrieb ihn zwar als kränklich und schwach, fügte aber bewundernd hinzu, dass er im Winter in Eiswasser schwamm, um seinen Körper zu stärken. Bald soll Barth dann eine stattlichere Statur gehabt haben, trotzdem fanden ihn viele ziemlich merkwürdig, wie ein Klassenkamerad festhielt.

Zitator

Namentlich hieß es von ihm, dass er sich privat und ohne alle Anleitung mit dem Arabischen beschäftige, was uns gedankenlosen Schuljungen denn freilich als der Gipfel aller Verrücktheit erschien.

Sprecherin

Auch später im Studium hatte er wenig Kontakt zu anderen, stattdessen war er getrieben vom Wissensdrang, also studierte er in Berlin nicht nur Geschichte, sondern gleich auch noch Geografie, Jura und Germanistik. Nach der Promotion brach er zu einer Reise ums südliche Mittelmeer auf.

Dass er unterwegs angeschossen und ausgeraubt wurde, warf ihn nur kurz aus der Bahn. Zu fasziniert war er von den antiken Stätten und den unterschiedlichen Kulturen denen er in Tunesien oder Syrien begegnete.

Sprecher

Obwohl ständig von Hunger und Geldsorgen geplagt, notierte er doch alle möglichen Details zu Namen, Entfernungen und Begegnungen. Daraus verfasste er später seine Habilitationsschrift in Geographie. Trotz dieser enormen Leistung erfüllte sich sein großer Wunsch nicht – eine eigene Professur. Er schafft es nicht, andere mit seinen enormen Kenntnissen zu begeistern. Seine Vorlesungen sind schlecht besucht. Entmutigt zieht Barth sich zurück und blickt einer unsicheren Zukunft entgegen. Sein Schwager charakterisiert ihn so:

Zitator

Sein Selbstgefühl erlaubt ihm nicht, sich zur rechten Zeit zu beugen. Er ist ein kühner und ausdauernder, aber kein gewandter Schwimmer auf dem Strome des Lebens.

Sprecherin

Nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für eine Expedition in unbekannte Gebiete, bei der es auf Diplomatie und Offenheit ankommen wird. Trotzdem: Für Barth kam die Einladung zur Teilnahme gerade recht. Die Briten wollten von seiner akribischen Arbeitsweise profitieren. Und dem ehrgeizigen Wissenschaftler wurde zugesichert, dass er - wenn er mit herausragenden Ergebnissen nach Europa zurückkehrt - eine passende Professur bekommt.

Darauf verließ sich Barth. Hochmotiviert brach er auf nach Afrika. Während der Expedition wird er ein anderer Mensch werden.

Sprecher

Im Januar 1851, knapp neun Monate nach dem Aufbruch, haben die Männer um Heinrich Barth bereits dreieinhalbtausend Kilometer zurückgelegt. Langsam lassen sie die Sahara hinter sich und sehen jetzt die ersten Kornfelder im Norden des heutigen Nigeria.

Sprecherin

Für Barth kommt die Karawane zu langsam voran, außerdem nerven ihn die ständigen finanziellen Sorgen, denn der Geldnachschub aus England ist schon seit längerem ausgeblieben. Allein wäre er nicht nur schneller und günstiger, sondern auch unauffälliger und damit sicherer unterwegs, hofft er. Expeditionsleiter Richardson stimmt schließlich zu, dass die drei Europäer sich trennen. Für die umfangreichen Forschungsarbeiten Barths und auch des anderen Wissenschaftlers Adolf Overweg hat er ohnehin immer weniger Verständnis. Die Männer vereinbaren, sich drei Monate später im 700 Kilometer entfernten Kukawa wiederzutreffen, der Hauptstadt des mächtigen Bornu-Reiches am Tschad-See.

Sprecher

Heinrich Barth zieht mit neuer Energie und nur wenigen Begleitern weiter. Dass er nun seinen Weg selbst bestimmen und ungehindert die Gegenden, die vor ihm liegen, erforschen kann, macht ihn glücklich. Wie besessen versucht er jedes Detail festzuhalten. Seine breite Bildung in Archäologie, Geographie und Linguistik ist dabei ein Schlüssel für bemerkenswerte Erkenntnisse.

Sprecherin

Schon kurz nach der Abreise hatte der deutsche Forscher im heutigen Libyen einige jahrtausendealte Felsbilder entdeckt. Weil er dort, mitten in der Wüste, Zeichnungen von Elefanten und Flusspferden sah, begriff er als erster überhaupt, dass die Region einen gewaltigen Klimawandel erlebt hat. Solche Erkenntnisse notiert er akribisch. Seine Schriften gibt er dann von Zeit zu Zeit Karawanen in Richtung Norden mit. Barths Briefe sind monatelang unterwegs, bis sie in Europa eintreffen.

Sprecher

Im März 1851, kurz vor Kukawa, dem vereinbarten Treffpunkt der drei Europäer, reiten Boten Heinrich Barth entgegen. Die Nachricht, die sie überbringen dämpft seinen Optimismus empfindlich. Expeditionsleiter Richardson ist vor wenigen Tagen an Entkräftung gestorben. Auf einmal muss sich Barth die Frage stellen, wie es mit der Expedition weitergeht. Er schreibt deshalb an die britische Regierung in London mit der Bitte um Anweisungen. Dabei steht er vor einem weiteren Problem: Der Deutsche weiß nicht, wie der mächtige Scheich von Bornu ihn in Kukawa empfangen wird. Weil Adolf Overweg noch nicht eingetroffen ist, muss er allein, ärmlich gekleidet und nach Richardsons Tod auch ohne offiziellen Auftrag in die Stadt einreiten.

Sprecherin

Unsicher reitet Heinrich Barth auf die in der Sonne schimmernden, weißen Lehmmauern der Stadt zu. Doch er wird erst vom Wesir, dem wichtigsten Minister des Scheichs und später von Scheich Omar selbst wohlwollend begrüßt und dann zu einem üppigen Abendessen eingeladen. Und obwohl er fast keine Gastgeschenke mitbringt, wird Barth sogar ein geräumiger Lehmziegelbau zugewiesen.

Sprecher

Schon nach wenigen Tagen ist es ihm gelungen, das Vertrauen des Scheichs zu gewinnen. Er wird mit Unterbrechungen insgesamt über ein Jahr in Kukawa verbringen.

Sprecherin

Es scheint paradox. In Europa ist Heinrich Barth noch der zurückgezogene, abweisende Einzelgänger. In Afrika tritt er dagegen völlig anders auf, erklärt Professor Klaus Schneider, Präsident der Heinrich-Barth-Gesellschaft:

ZUSP Schneider 1

Er hatte anscheinend ein ganz großes Geschick oder große Ausstrahlung diesen Menschen gegenüber. Er hatte überall, wo er war, und das sagt er in einem ganz berühmten Satz, überall wo ich gewesen bin, habe ich Freunde hinterlassen. Und das hat er auch ganz früh zu einer Methode gemacht und er sagte, man muss mit diesen Menschen persönlich in Kontakt geraten, und sie müssen sich um dich kümmern. Sonst wird das nicht gut gehen.

Sprecherin

Barth profitiert dabei auch von seinem außerordentlichen Sprachtalent. Innerhalb weniger Wochen schafft er es oft die Sprachen der Regionen, durch die er gerade reist, zu lernen und mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Dolmetscher braucht er so gut wie nie. Und noch etwas hilft ihm. Er hat keine Berührungsängste mit dem Islam, der in Nordafrika dominierenden Religion. Im Gegenteil, während in Europa im 19. Jahrhunderts der Antiislamismus weit verbreitet ist, faszinieren ihn die islamischen Einflüsse auf Wissenschaft und Kunst. In vielen Gegenden kleidet er sich sogar wie ein Muslim und reist unter dem Pseudonym „Abd el Karim“, übersetzt: „der Diener des Höchsten“. Ein gewaltiger Unterschied zu anderen Afrika-Forschern vor ihm, wie etwa Mungo Park. Sie bevorzugten bewusst europäische Kleidung um sich als Höherstehende abzugrenzen.

Sprecher

Mitte des Jahres 1852 ist Kukawa, die Hauptstadt des Bornu-Reiches, für Heinrich Barth seine „afrikanische Heimat“ geworden, wie er selbst sagt. Von hier aus unternimmt er monatelange Exkursionen ins Umland, begleitet von Adolf Overweg, der mit einigen Wochen Verspätung doch noch angekommen ist. Dabei bereisen sie Gebiete, die in Europa nicht mal dem Namen nach bekannt sind. Dann, nach über einem Jahr, kommt endlich ein Brief aus London.

Für Barth wird das einer der „glücklichsten Tage seines Lebens“, wie er sagt: denn die britische Regierung bestimmt ihn zum neuen Leiter der Expedition.

Mit diesem offiziellen Auftrag kann er schließlich den Handelsvertrag für Großbritannien mit dem Scheich abschließen – eines der Hauptziele der Expedition ist damit erreicht. Außerdem bekommt Barth lang ersehnte finanzielle Unterstützung. Nun kann er die weitere Route der Expedition selbst bestimmen. Und da fasst Heinrich Barth einen Ort ins Auge, der in Europa damals einen mythischen Ruf hatte – Timbuktu.

Sprecherin

Unvorstellbar reich soll die Wüstenstadt sein. Es heißt sogar, dass die Häuser mit Gold überzogen seien. Allerdings sind das eben nur Erzählungen. Wohl erst zwei Europäer haben Timbuktu bisher erreicht. Ihre jahrzehntealten Berichte sind ent-weder nicht überliefert oder werden angezweifelt. Barth möchte herausfinden, wie es in der Stadt wirklich aussieht. Er weiß, dass die Reise etwa ein Jahr dauern wird: von Kukawa nach Timbuktu sind es mehr als 2000 Kilometer. Trotzdem ist der deutsche Wissenschaftler voller Tatendrang. Aber kurz vor dem geplanten Aufbruch dann ein Rückschlag: Adolf Overweg stirbt an Malaria. Barth ist tief erschüttert, denn Overweg war für ihn zu einem wichtigen Freund geworden. Den-noch bleibt er bei seinem Ziel - er will Timbuktu unbedingt erreichen. Im November 1852 bricht er mit acht Begleitern sowie einigen Pferden und Kamelen auf.

Sprecher

Auf dem Weg nach Westen, in Richtung Timbuktu erlebt Barth, wie er später schreibt, „ununterbrochene Kriegsführung und Gewalttätigkeit“. Immer wieder müssen er und seine Begleiter deshalb große Umwege machen. Einmal reiten sie 30 Stunden ohne wirkliche Rast, in der ständigen Angst entdeckt zu werden. Dabei spürt Heinrich Barth die Überanstrengung immer deutlicher. Seit knapp drei Jahren ist er jetzt schon unterwegs. Rheuma, Fieber oder Skorpionstiche quälen ihn immer wieder. Dazu kommt die einseitige Ernährung: Auf dem Weg nach Timbuktu zum Beispiel gibt es monatelang fast nur Hirsebrei. Trotzdem treibt ihn eiserne Disziplin vorwärts, mit teilweise bizarren Folgen:

Zitator

Bald begann ich die Qual der Übermüdung zu fühlen. Um nicht im schläfrigen Zustande vom Kamele zu fallen, war ich genöthigt, einen großen Teil der Nacht mich zu Fuße hinzuschleppen, was nicht eben angenehm war.

Sprecher

Dass Barth es dabei schafft, seine Forschungsarbeiten nicht zu vernachlässigen, wirkt fast übermenschlich. Doch genau das bringt ihn jetzt in zusätzliche Schwierigkeiten. Weil er ständig Gebäude oder Landschaften zeichnet und sogar lange Vokabellisten für verschiedenste Sprachen anlegt, ist er vielen Afrikanern suspekt. In die Zeit fallen auch Berichte, dass französische Truppen beginnen, den Nordwesten Afrikas zu erobern. Für viele Einheimische steht deshalb fest: Barth muss ein Spion sein, der eine Invasion vorbereitet. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall.

Sprecherin

Während viele Europäer Afrika zur damaligen Zeit als Kontinent ohne Geschichte sehen und Afrikaner für primitive Wilde halten, fehlen bei Heinrich Barth solche rassistischen Bemerkungen. Er ist überzeugt, dass den afrikanischen Gesellschaften eine große Gefahr droht. Professor Klaus Schneider:

Zusp. Schneider 2

Also ich glaube der Kolonialismus, der sich anbahnte, der war für Barth schon gefühlt. Er war sicher, dass die Europäer Afrika überrennen würden. Und er sagt dann ja auch an manchen Stellen, er hätte davon geträumt, dass er an der Spitze eines panafrikanischen Heeres gegen die europäischen Kolonialmächte angehen würde. Und damit war er der einzige überhaupt zu der Zeit, der sich in irgendeiner Art und Weise wirklich artikuliert auf die Seite der Afrikaner gestellt hat.

Sprecherin

Ein Europäer an der Seite Afrikas – Heinrich Barth wird noch spüren, dass er sich mit dieser Einstellung nicht nur Freunde macht.

Sprecher

Endlich. Im September 1853 hat es Heinrich Barth trotz aller Widrigkeiten geschafft. In der Ferne taucht vor ihm die Stadt seiner Sehnsucht auf -Timbuktu. Doch der Anblick ist für den mittlerweile 32-jährigen eine Enttäuschung.

Zitator

Ihre dunklen, schmutzigen Tonmassen waren kaum vom Sande und umher aufgehäuften Schutt zu unterscheiden. Denn der Himmel war dick überzogen und mit Sand erfüllt.

Sprecher

Für Barth wird Timbuktu trotzdem eine der wichtigsten Stationen. Denn hier freundet er sich mit Scheich Al-Bakkai an, einem der berühmtesten Koran-gelehrten Westafrikas. Der mächtige Mann beschützt Barth als feindliche Herrscher herausbekommen, dass der Fremde Christ ist. Außerdem führen die beiden Männer lange Gespräche über die Gemeinsamkeiten von Islam und Christentum. Und Al-Bakkai gewährt ihm Einblicke in bedeutende historische Dokumente. So kann Barth die Geschichte der westafrikanischen Reiche erstmals umfassend nachvollziehen. Dabei bleibt seine Lage lebensgefährlich, mehrmals muss der Forscher Timbuktu verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. In dieser Zeit reißt auch der Kontakt nach Europa völlig ab. In der Heimat kursiert bereits die Nachricht, dass Heinrich Barth ums Leben gekommen sei, und zahlreiche Nachrufe werden verfasst.

Sprecherin

Nach sechs Monaten in Timbuktu macht sich Heinrich Barth Anfang 1854 auf den Rückweg nach Europa. Im August 1855 erreicht Barth völlig erschöpft wieder Tripolis. Hinter ihm liegen über 15.000 Kilometer in fünfeinhalb Jahren.

Als Heinrich Barth sich dann nur wenige Tage später auf die Weiterreise nach London macht, ist er sich sicher, dass das, was er zu berichten hat, in Europa für Furore sorgen und ihn in Wissenschaftskreisen weit bringen würde.

Sprecher

Doch angekommen in London erfährt er, dass England und Frankreich ihre Interessensgebiete in Nordafrika inzwischen abgesteckt haben. Die Gebiete, in denen Heinrich Barth Handelsverträge für England abgeschlossen hat, liegen jetzt im französischen Einflussbereich. Die zähen Verhandlungen Barths waren umsonst. Schwer enttäuscht schreibt er seinen Reisebericht. Bereits zwei Jahre später erscheint das Werk auf Deutsch und Englisch. Auf 3.500 Seiten erklärt Heinrich Barth in fünf Bänden geografische und sprachliche Details, schildert politische und wirtschaftliche Beziehungen und beschreibt Personen, die er getroffen hat. Doch anders als die Bücher früherer Afrikareisender wird das Werk ein Ladenhüter. Es ist zu detailliert, zu wenig spannend geschrieben. Der nächste Rückschlag für Barth. Wehmütig denkt er an seine Reisejahre zurück:

Zitator

Wie sehne ich mich nach einem freien Nachtlager in der Wüste. Wo ohne Ehrgeiz, ohne Sorge um die tausend Kleinigkeiten, die hier den Menschen quälen, ich mich im Hochgenuss der Freiheit nach Beendigung des Tagesmarsches auf meine Matte zu strecken pflegte.

Sprecher

Aber statt nach Nordafrika, kehrt Barth nun nach Deutschland zurück und wird wieder enttäuscht. Die versprochene Professur bekommt er nicht, stattdessen spürt er breite Ablehnung. Viele nehmen ihm übel, dass er im Auftrag der Briten unterwegs war. Und dass er dazu den Kolonialismus deutlich kritisiert und den Islam bewundert, passt so gar nicht zum damaligen Zeitgeist. Professor Klaus Schneider:

ZUSP: Schneider 4

Er hatte keine Möglichkeit in diese Wissenschaftskreise zu gelangen, von denen er sich dann die weitere Karriere versprochen hat. Das ist für ihn, glaube ich, auch ein Grund gewesen, zu resignieren und vielleicht auch durch diese Umstände depressiv zu werden und in Kombination mit einigen Krankheiten, die er aus Afrika mitgebracht hatte, dass er daran auch verstarb.

Sprecher

Mit nur 44 Jahren stirbt Heinrich Barth zurückgezogen im November 1865 in Berlin. Lange gerät er dann in Vergessenheit. Erst 100 Jahre später wird sein Werk wiederentdeckt und die Bedeutung seiner Arbeit gewürdigt. Gerade weil er vorurteilsfrei den direkten Kontakt suchte, erkannte er als einer der ersten Forscher die reiche Vergangenheit Afrikas und wies nach, dass die These vom Kontinent ohne eigene Geschichte nicht haltbar ist. Doch das passte nicht in eine Zeit, die gerade die Kolonialisierung Afrikas vorbereitete.

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