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Die Wunderkammer - Als die Welt noch in ein Zimmer passte

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Wunderkammern sind Sammlungen aus dem 14. bis 17. Jahrhundert, in denen Adelige Staunenswertes und Wertvolles zusammentrugen. Mit Verbreitung der Naturwissenschaften verloren sie ihre Bedeutung, aber nicht ihren Zauber. Von Brigitte Kramer (BR 2021)

Credits
Autorin dieser Folge: Brigitte Kramer
Regie: Christiane Klenz
Es sprach: Thomas Loibl
Technik: Wolfgang Lösch
Redaktion: Thomas Morawetz

Im Interview:
Veronika Sandbichler, Direktorin Schloss Ambras, Innsbruck
Annette Schommers, Bayerisches Nationalmuseum, München
Sabine Söll-Tauchert, Kunsthistorikerin, Historisches Museum, Basel
Georg Laue, Sammler und Kunsthändler, München

Noch mehr Interesse an Geschichte? Dann empfehlen wir:

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

O TON 1 Veronika Sandbichler (ab 0'15 ca)

Wir wissen, dass Automaten als Tafelaufsätze verwendet wurden, die scheinbar still und starr am Tisch standen aber dann durch das verborgene Uhrwerk zu einem bestimmten Zeitpunkt in Bewegung geraten sind.

MUSIK 1 (C1178870008 Yann Tiersen: La valse des monstres 0’14)

Drüber O TON 2 Annette Schommers

Zum Beispiel eine Figurengruppe der Diana auf dem Hirsch, begleitet von Hunden. Diese Silbergruppe ist montiert auf einem Sockel, in dem sich ein Schlüsselloch befindet...

ATMO 1 Figurenautomaten (Aufziehen, dann Rattern)

Drüber O TON 3 Schommers (nach 0'24, abruptes Stehenbleiben)

.. die Hunde konnten die Augen bewegen und der Gast, vor dem der Hirsch stehen blieb, der sollte aus dem Gefäß trinken.

MUSIK 2 (C1178870008 Yann Tiersen: La valse des monstres 0’14)

Drüber O TON 4 Sandbichler

Derartige Unterhaltungen, wenn man's so bezeichnen will, waren auch im Zeitgeist der Renaissance verankert, also Trinkspiele … Man hat das Ganze auch als Kurzweil bezeichnet.

ATMO 1 PFURZTRÖTE

Drüber O TON 5 Schommers

Das gab's dann halt eben nur im 16. Jahrhundert, diesen Spaß.

ATMO 1 PFURZTRÖTE

MUSIK 3 Ubert Naich: Canti di voi le ladi

SPRECHER

Mit Begeisterung und Sympathie sprechen die Kunsthistorikerinnen Annette Schommers und Veronika Sandbichler über höfisches Leben im 16. Jahrhundert, zu dem kleine, reich verzierte und ausgetüftelte Unterhaltungs-Mechanismen gehören. Deren Besitzer wollten ihre Gäste unterhalten, verzücken, überraschen, zum Staunen bringen – und ihre Freude am Schönen und Kostbaren teilen.

ATMO 2 Gelächter/Musik/Gerede

SPRECHER drüber

Das gelang ihnen nicht nur mit Trinkspiel-Automaten. Adelige, Gelehrte und Handelsleute – alle, die es sich leisten konnten und mit dem Geist der Zeit gehen wollten –, trugen in der Renaissance und im Barock Raritäten, Preziositäten, Kuriositäten zusammen, aus Nah und Fern. Geordnet wurden die Sammlungen grob nach folgenden Kategorien:

MUSIK 4 Yann Tiersen: Hent V

Exotica: Dinge von weit her. Das konnten Eskimo-Schuhe genauso sein wie ausgestopfte Vögel – Hauptsache, sie waren außereuropäischer Herkunft.

Naturalia: Pflanzen, Tiere und ihre Reste, Mineralien, Fossilien, Organisches wie Bezoar-Steine, das sind verhärtete Kugeln aus Unverdaulichem, die sich in Mägen von Wiederkäuern bilden. Sie galten als magisch, wurden als Mittel gegen Gift im Essen eingesetzt und sollten sogar gegen die Pest helfen.

Artificialia: Das sind Werke von Künstlern und Kunsthandwerkern, in denen oft Naturprodukte aufwändig verarbeitet waren: Bernstein, Elfenbein, Korallen, Nashorn-Hörner, Muscheln, Steine und erstaunlicherweise auch Kokosnüsse galten als gestalterisch interessant. Sie wurden reich verziert und zu Bechern, Kelchen, Duftkugeln, Türschlössern, Schachspielen, Schatullen oder Figurengruppen umgestaltet und sollten zeigen, dass der Mensch die Natur übertreffen kann.

MUSIK 5 Yann Tiersen: Comptine …

Scientifica: Wissenschaftliche Geräte wie Astrolabien, Bergbau-Instrumente, Vermessungsgeräte, Uhren-Automaten, Stundengläser, anatomische Modelle ...

Und Mirabilia: Schlicht Wunderwerke. Dazu gehörten abnormale „Launen der Natur“, wie man sie auf Gemälden von Haarmenschen oder einem armlosen Kalligraphen sehen konnte, der den Pinsel mit den Zehen greift. Oder auch anhand konservierter, missgebildeter Totgeburten. Auch außerordentlich kunstvolles oder komplexes Menschenwerk gehörte dazu: Es stand für fast göttliche Schöpfungskraft.

Erlaubt und begehrt war alles, was die „Affekte anrühren“ und die „Kenntnis der Dinge“ fördern konnte. Und es wurde bei jeder Gelegenheit hergezeigt. Annette Schommers vom Bayerischen Nationalmuseum:

O-TON 6 Schommers

Damals war nicht das Kriterium für die Sammelwürdigkeit die rein materielle Kostbarkeit eines Objekts, also man hat einen Automaten, der über den Tisch fährt, genauso bewundernswert, sammelwürdig angesehen wie ein Gemälde oder eine Skulptur.

SPRECHER

Ausschlaggebend ist der Begriff „Wunder“ und wie er in der Renaissance und bis ins frühe 18. Jahrhundert hinein definiert wurde:

O TON 7 Schommers

Als Wunder galt, dass einfach ein Mensch sowas umsetzen kann zum Beispiel, also diese feinsten Miniaturschnitzereien auf einem Zwetschgenkern oder dass es einem Künstler gelingt, aus Elfenbein feinste Kugeln ineinander zu drechseln. Und man hat aber auch gleichzeitig einen Baumschwamm, der aussieht wie ein Brot, als Wunder angesehen.

SPRECHER

Gezeigt wurden die Schätze in so genannten Wunderkammern oder Kuriositätenkabinetten: Eigens eingerichtete Zimmer mit enormen Schränken, die Wände und Decken war dicht behängt mit Gemälden, ausgestopften Tieren oder Skeletten.

MUSIK 6 Ensemble Trictilla: Fusi pavana piana

Ihr Vorläufer war das private Arbeitszimmer, das Studiolo in italienischen Renaissance-Palästen. Es war anfangs karg eingerichtet, mit Schloss und Riegel ausgestattet, und diente dem Hausherrn als Rückzugsort. Hier konnte er lesen, Buch führen oder beten, es gab Schränkchen und Schatullen, Mauernischen zum Verwahren von Büchern und Schreibutensilien. Später kamen Geräte für Experimente dazu, bald auch Sammelgegenstände. Schließlich ähnelten die Studierzimmer begehbaren Möbeln, mit holzgetäfelten Wänden, Geheimfächern oder verborgene Türen. Wer sie besuchen durfte, hatte das Vertrauen des Gastgebers gewonnen.

Ihre Bedeutung wuchs mit der Entdeckung und Erforschung der Welt ab Ende des 15.Jahrhunderts. Tiere, Pflanzen und Kunsthandwerk aus den Kolonien und von fernen Handelsplätzen übten größte Faszination auf die Daheimgebliebenen aus. Die Schätze wollten bewundert werden, am bequemsten und sichersten ging das im Kuriositätenkabinett: Es war angelegt wie eine begehbare, ja sinnlich erlebbare Enzyklopädie. Die ganze Welt sollte in so eine Wunderkammer passen – beziehungsweise in ihre Schränke. Veronika Sandbichler vom Schloss Ambras in Innsbruck:

O 8 Sandbichler

Diese Schränke waren unermesslich voll. Die waren vollgefüllt mit Objekten, die zum Teil ineinander gestapelt waren. Und die hat man dann einzeln herausgenommen, konnte sie angreifen, von allen Seiten begutachten, bewundern, bestaunen und da glaub ich gab es auch diese Momente wo einem der Atem gestockt ist.

ATMO 2 Türschloss

SPRECHER drüber

Etwa 2000 Gegenstände sind in Innsbruck zu sehen. Allerdings sind sie heute in ausgeleuchteten Vitrinen ausgestellt – hinter Glas. Das sinnliche Erlebnis von früher muss man sich vorstellen ...

ATMO 3 Singekugeln

SPRECHER drüber

… mit Singekugeln zum Beispiel: kleine vegoldete, leicht klingende Kugeln, die Veronika Sandbichler und ihre Kollegin Katharina Seidl vorsichtig in die Hand nehmen:

O 9 Sandbichler_Seidl Singekugeln

Boa. Die sind ganz schön schwer, ja im Prinzip nicht unähnlich den heutigen Qigongkugeln. Das ist Messing vergoldet, und in am unglaublich guten Zustand. Kaum irgendwelche Bereibungen. Ja, die sind schon toll.

SPRECHER

Gesammelt hat die Singekugeln und mehrere tausend weitere Objekte Erzherzog Ferdinand der Zweite, der ab 1546 Landesfürst von Tirol war und in Innsbruck wohnte:

Der kunstliebende, gebildete Habsburger ließ das mittelalterliche Schloss zu einem Prunkschloss umbauen, seine Wunderkammer und diverse andere Sammlungen bekamen ein eigenes Gebäude, das Unterschloss. Veronika Sandbichler:

O 10 Sandbichler

Dieser Habsburger Fürst hat seine politische Karriere verwirkt, weil er sich in eine Patriziertochter verliebte. Das war Philippine Welser aus Augsburg. Diese Leidenschaft zu ihr muss wirklich sehr heftig gewesen sein, aber ebenso heftig war seine scheinbar unpolitische Leidenschaft für das Sammeln.

MUSIK 7 Orlando di Lasso / Ensemble Trictilla: Qui sequitur

SPRECHER

Wunderkammern waren nicht nur ein Zeichen für den Rückzug ins Private. Sie waren auch ein effizientes und elegantes Mittel der Diplomatie, Soft Diplomacy sozusagen: Gemeinsam staunen, dabei verwandtschaftliche Bande pflegen und politische Beziehungen vertiefen. Wunderkammern waren zudem eine charmante Art der Selbstdarstellung, mit einem Schuss Protzerei. Eine volle Wunderkammer zeigte, dass ihr Besitzer gebildet, weltgewandt, gut vernetzt, wohlhabend und einzigartig war … genauso wie seine Sammlung. Eine von Erzherzog Ferdinands Schwächen galt den Korallen. Agenten mussten sie ihm aus dem Mittelmeer beschaffen und er beauftragte Künstler mit ihrer Gestaltung. Veronika Sandbichler:

O 11 Sandbichler

Interessant ist ja auch die Tatsache, dass die Koralle im 16. Jahrhundert als rätselhafte Repräsentantin des damals weitgehend unerforschten Meeres gegolten hat. Also Ferdinand wusste ja eigentlich nicht: Handelte es sich um eine Pflanze, ein Mineral oder ein Tier?

SPRECHER

Die Korallen sind in der Innsbrucker Provinz geblieben. Sie haben es nicht, wie viele andere Objekte Ferdinands, ins Kunsthistorische oder Naturhistorische Museum in die Hauptstadt Wien geschafft. Ein „deutliches Zeichen für das geringe Interesse, das man heute diesen Dingen entgegenbringt“, schrieb der Kunsthistoriker Julius Schlosser im Jahr 1908.

MUSIK 8 (Ludwig van Beethoven / Stephan Schrader: Finale furioso 0’50)

SPRECHER drüber

Der Drang zu Klassifizierung und Einordnung, die Verbreitung wissenschaftlichen Denkens, die Abwertung magischen Denkens ab dem 19. Jahrhundert – das war das Ende der Wunderkammer. Wer glaubte überhaupt noch an Wunder? Wohl nur die Ungebildeten! Die Sammlungen entsprechen ja einem vor-wissenschaftlichen Weltverständnis. Es ging um Fülle und Herrlichkeit – nicht um Systematik.

Für ihre Besitzer sollten sie den Ruhm des Hauses weitertragen, für deren Erben waren sie oft nur noch „unsystematische Sammelsurien“. Deswegen sind die meisten Wunderkammern heute nicht mehr vollständig. Sie wurden neu sortiert, das „Wichtigste“ wurde auf die gerade entstehenden, öffentlichen Museen verteilt. Der Rest – konnte weg.

MUSIK 9 Romain Lateltin: à la source

SPRECHER

Heute dagegen sind Wunderkammern wieder sehr beliebt. Gerade wegen ihrer scheinbaren Unordnung, der Naivität, Verspieltheit und Freude, die sie ausstrahlen. In vielen europäischen Schlössern und Museen werden neu arrangierte Wunderkammern mit Original-Objekten gezeigt. Auch die Wittelsbacher waren emsige Sammler. Die Kunst- und Wunderkammern von Herzog Albrecht dem Fünften und seinem Sohn Wilhelm dem Fünften gehörten zu den bedeutendsten Europas. Annette Schommers vom Bayerischen Nationalmuseum:

O TON 12 Schommers

Das war, ja man kann schon fast sagen so'n Wetteifern, ich meine Albrecht der Fünfte war mit der Kaisertochter Anna verheiratet und es war auch wichtig, dass man im diplomatischen Dienst Geschenke hin und her geschickt hat …

SPRECHER

Albrecht, der Vater, begann ab 1565 als einer der Ersten, ein Kabinett anzulegen. Die Sammlung war im zweiten Stockwerk des Marstallgebäudes der Münchner Residenz untergebracht. Die des Sohnes Wilhelm in der Burg Trausnitz in Landshut.

O TON 13 Schommers

Das hatte natürlich zur Folge, dass da sehr viel Geld floss, was den Staatsfinanzen nicht sonderlich gutgetan hat. Albrecht der Fünfte der wurde schon sehr früh von seinen Räten ermahnt, er solle mal bitte seine Sammelleidenschaft zügeln, aber das ähm … das hat er wohl nicht so gehört oder hören wollen und Wilhelm der Fünfte hatte dasselbe Problem mit dem Geld.

SPRECHER

Später wurden die beiden Wunderkammern in München zusammengelegt: Mehr als 6.000 Objekte. Archivarisch sind sie komplett erfasst, dank des Ficklerschen Inventars von 1598. Man kann die Liste in der Münchner Staatsbibliothek als kommentierte Ausgabe einsehen. Annette Schommers:

MUSIK 10 Jasmin Seidl: Glasperlen

O TON 14 Schommers drüber

Es gibt natürlich auch zahlreiche Mineralien von denen man glaubte, dass die Steine heilende Wirkung haben.

MUSIK hoch

O TON 15 Schommers drüber

Fast jede Kunstkammer besaß eine von diesen Alraunen, also diese Wurzel aus dem Mittelmeergebiet, die so'n bisschen aussieht wie ein kleines Männlein oder Weiblein, zum Teil hat man die auch angekleidet. Besonders begehrt waren Alraunen, die unter einem Galgen wuchsen.

MUSIK hoch

O TON 16 Schommers drüber

Ja, vielleicht kann man als ein Wahrzeichen der Kunstkammer das Krokodil nennen, das unter der Decke hängt. Sehr mächtige Tiere, die an Drachen erinnerten, also es waren auch furchterregende Wesen. Und man weiß aus den Quellen, dass tatsächliche lebende Tiere aus Äthiopien über Alexandrien als Geschenke nach Bayern gelangt sind, und speziell nach Landshut, denn dort hatte Wilhelm der Fünfte eine Menagerie exotischer Tiere angelegt, da gab's Strauße und Krokodile, Schildkröten und so weiter, aber Sie können sich vorstellen, also ein langes Leben war diesen Viechern nicht beschert. Das ein oder andere Krokodil landete im Kochtopf, in der Hofküche, aber natürlich auch in der Kunst- und Wunderkammer.

MUSIK 10 Ende

O TON 19 Schommers

Das gewaltsame Ende der Kunst- und Wunderkammer fand im 30-jährigen Krieg statt. König Gustav Adolf von Schweden und seine protestantischen Truppen plünderten die Münchner Residenz und leider auch die Kunstkammer. Und so befinden sich manche der ursprünglich in München beheimateten Werke in schwedischen Sammlungen oder sie sind über die ganze Welt zerstreut. Und leider hat man das, was man nicht als wertvoll genug eingeschätzt hat, zerschlagen und zerstört.

SPRECHER

Wie auch in Innsbruck wurden die besten Stücke unter den Resten auf die neu entstandenen Münchner Spezialmuseen verteilt: Kunst in die Pinakothek, Exotica ins Museum Fünf Kontinente, Münzen in die Münzsammlung, Kunsthandwerk ins Bayerische Nationalmuseum …

Seit dem Jahr 2004 ist in der Burg Trausnitz in Landshut wieder eine Wunderkammer zu sehen, mit 750 beispielhaften Objekten.

MUSIK 11 ( Alessandro Scarlatti: (006) 2. Satz aus Cembalokonzert Nr. 6 Es-Dur 0’44)

SPRECHER drüber

Die bürgerlichen Sammlungen rissen keine Löcher in den Staatshaushalt und waren auch keine Mittel der Diplomatie. Auch wohlhabende Kaufleute und Gelehrte an Universitäten legten sich Wunderkammern zu.

Sie dienten der eigenen Erbauung, dem Studium und Verständnis der Welt, und dem Austausch mit Gleichgesinnten. Sie waren reines Privatvergnügen, für den Rechtsgelehrten Basilius Amerbach zum Beispiel, der im 16. Jahrhundert in Basel lebte:

O 20 Söll-Tauchert

Er hat geheiratet und hat leider bei der Geburt des ersten Sohnes sowohl sein Kind als auch seine Frau verloren. Nach diesem schrecklichen Schicksal hat er sich immer mehr zurückgezogen im sein Haus in der Rheingasse in Kleinbasel und hat sich sehr stark auch neben seiner Tätigkeit an der Universität auf das Sammeln selbst fokussiert.

SPRECHER

Die Kunsthistorikerin Sabine Söll-Tauchert arbeitet im Historischen Museum Basel, das im Untergeschoss der Barfüßerkirche eine neu zusammengefügte Kunst- und Wunderkammer zeigt: 2000 Objekte aus dem 16., 17. und frühen 18. Jahrhundert. Ein Teil davon stammt aus dem so genannten Amerbach-Kabinett.

O 21 Söll-Tauchert

Beispielsweise interessierte er sich in besonderem Maße für den Entstehungsprozess von Kunstwerken. Da nicht nur die Zeichnungen, sondern er hat eben auch ganze Nachlässe von Goldschmieden aufgekauft. In den 1560er und 70er Jahren sind einige Goldschmiede an der Pest gestorben, da grassierte die Pest auch in Basel. Das sind wirklich tausende von Goldschmiedemodellen aus Blei, ursprünglich auch noch aus Brotteig, aus Wachs, die dann leider später nicht aufbewahrt wurden, im 18. Jahrhundert hat man sie aussortiert, weil sie als wertlos galten.

SPRECHER

Basel war in der Renaissance die Stadt der Humanisten und Buchdrucker, die viele Gelehrte anzog und über den Rheinhafen auch intensiven Handel betrieb. Der ideale Ort zum Sammeln.

MUSIK 12 Domenico Scarlatti: Klaviersonate c-Moll, K99

SPRECHER drüber

Auch die Kunst- und Raritätensammlung des Rechtsprofessors Remigius Faesch ist heute im Besitz der Stadt Basel. Faesch gehörte zur reichsten Familie der Stadt, war ledig und kinderlos und legte in mehr als 30 Jahren eine beeindruckende Kunst- und Raritätensammlung an, die er ab 1651 in seinem Haus am Petersplatz ausgewählten Besuchern zeigte. Zwei französische Besucher schilderten in einem Brief Ende des 17. Jahrhunderts folgendermaßen ihren Eindruck:

O 22 Söll-Tauchert

Gegenüber dem Zeughaus ist das Haus des Herrn Faesch, von dessen Kabinett man so viel hört! Wir sahen dieses Kabinett mehrere Male. Man sieht hier: Metallspiegel mit überwältigenden Verzierungen, Trompeten und Messer aus China, Mumien, Skelette und tausend Vögel, die man bisher noch nie gesehen hat und von denen man nicht einmal den Namen kennt.

MUSIK 13 Jasmin Seidl: Melting

SPRECHER drüber

Die Fähigkeit zum Staunen haben wir, so hat das zumindest Sabine Söll-Tauchert erlebt, noch nicht verlernt:

O 23 Söll-Tauchert

Das ist wirklich auch so, wenn die Besucher eintreten in das Kabinett des Staunens bei uns, das hab ich jetzt wirklich schon mehrfach erlebt, dass sie so wie mit offenem Mund dastehen und staunen.

SPRECHER

Und das, obwohl für uns kaum mehr etwas exotisch ist und wir vom Überfluss der Dinge umgeben sind. Ein Kokosnuss-Becher, ein Nautilus-Pokal, eine präparierte Schildkröte, die mit Figürchen auf dem Rücken über den Tisch saust …

ATMO 1 Figurenautomaten (Aufziehen, dann Rattern)

SPRECHER

… ist das nicht einfach nur alter Kitsch, Tand und Nippes?

O 24 Laue

Das hab ich eigentlich noch nie gehört: Ach, was willst'n mit dem alten Graffl.

SPRECHER

Sagt der Münchner Kunsthändler Georg Laue.

ATMO 4 Tür Geschäft Laue

In seiner Kunst- und Wunderkammer hängt das obligatorische ausgestopfte Krokodil an der Decke. Sie ist vollgestopft, wie eine historische Wunderkammer.

ATMO 5 Gerede Laden Laue

O 25 Laue

Es handelt sich jetzt hier nicht um Alltagsgegenstände, die irgendwann abgenutzt oder abgelebt sind, die man als klassische Antiquitäten bezeichnen kann. Sondern es sind immer Dinge, die für sich was ganz Besonderes haben. Und wenn Sie davorstehen, spüren Sie sofort, dass es sich da um was Ungewöhnliches handelt. Es sind immer Sammelgegenstände gewesen.

SPRECHER

Die sind heute schwer zu kriegen und dementsprechend teuer.

O 26 Laue

Naja, wenn Sie jetzt so 'ne geschnittene Kokosnuss haben, die jetzt nicht gerade in Silber montiert ist und kostbar als Gefäß ist und nur als Kokosnuss alleine ist … sowas können Sie schon mal für'n paar hundert Euro finden.

SPRECHER

Nach oben sind die Grenzen offen. Denn: Die historischen Objekte sind im Gegensatz zu ihrem ursprünglichen Sinn und Zweck, die unendliche Fülle der Welt zu repräsentieren, heute natürlich nur noch begrenzt vorhanden. Die allermeisten sind in Museen. Und sie haben nur Sammlerwert, wenn, wie Laue das nennt, ihre Provenienz, ihre Herkunft, nachweisbar ist. Fälschungen gibt und gab es zuhauf:

O 27 Laue Bernstein

Na, es wurde eigentlich alles gefälscht, immer wieder. Da hab ich jetzt vor Kurzem ein dickes Buch gefunden, das war von 1724 und da drin waren Bernsteinstücke abgebildet, transparente, und da waren Fliegen drin. Und das waren Fälschungen. Das heißt, man hat schon im 18. Jahrhundert Bernstein-Inklusen gefälscht, weil die so kostbar waren. Das heißt man hat einfach nen Bernstein genommen, hat ihn aufgebohrt, hat nie Fliege reingesteckt und wieder zugemacht.

MUSIK 14 Romain Lateltin: à la source

SPRECHER

Wer sich eine echte Wunderkammer nicht leisten konnte, der sammelte eben billige Fälschungen. Ach ja, warum denn nicht! Schließlich ist alles sammelwürdig, was den Sammler erfreut. Die Wohnzimmervitrine, der Setzkasten, der Sekretär, sie sind die armen, kleinbürgerlichen Schwestern der prunkvollen, atemberaubenden Wunderkammer von damals. Und in ihr war alles erlaubt – nur keine Langeweile.


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Wunderkammern sind Sammlungen aus dem 14. bis 17. Jahrhundert, in denen Adelige Staunenswertes und Wertvolles zusammentrugen. Mit Verbreitung der Naturwissenschaften verloren sie ihre Bedeutung, aber nicht ihren Zauber. Von Brigitte Kramer (BR 2021)

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Autorin dieser Folge: Brigitte Kramer
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Es sprach: Thomas Loibl
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Redaktion: Thomas Morawetz

Im Interview:
Veronika Sandbichler, Direktorin Schloss Ambras, Innsbruck
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O TON 1 Veronika Sandbichler (ab 0'15 ca)

Wir wissen, dass Automaten als Tafelaufsätze verwendet wurden, die scheinbar still und starr am Tisch standen aber dann durch das verborgene Uhrwerk zu einem bestimmten Zeitpunkt in Bewegung geraten sind.

MUSIK 1 (C1178870008 Yann Tiersen: La valse des monstres 0’14)

Drüber O TON 2 Annette Schommers

Zum Beispiel eine Figurengruppe der Diana auf dem Hirsch, begleitet von Hunden. Diese Silbergruppe ist montiert auf einem Sockel, in dem sich ein Schlüsselloch befindet...

ATMO 1 Figurenautomaten (Aufziehen, dann Rattern)

Drüber O TON 3 Schommers (nach 0'24, abruptes Stehenbleiben)

.. die Hunde konnten die Augen bewegen und der Gast, vor dem der Hirsch stehen blieb, der sollte aus dem Gefäß trinken.

MUSIK 2 (C1178870008 Yann Tiersen: La valse des monstres 0’14)

Drüber O TON 4 Sandbichler

Derartige Unterhaltungen, wenn man's so bezeichnen will, waren auch im Zeitgeist der Renaissance verankert, also Trinkspiele … Man hat das Ganze auch als Kurzweil bezeichnet.

ATMO 1 PFURZTRÖTE

Drüber O TON 5 Schommers

Das gab's dann halt eben nur im 16. Jahrhundert, diesen Spaß.

ATMO 1 PFURZTRÖTE

MUSIK 3 Ubert Naich: Canti di voi le ladi

SPRECHER

Mit Begeisterung und Sympathie sprechen die Kunsthistorikerinnen Annette Schommers und Veronika Sandbichler über höfisches Leben im 16. Jahrhundert, zu dem kleine, reich verzierte und ausgetüftelte Unterhaltungs-Mechanismen gehören. Deren Besitzer wollten ihre Gäste unterhalten, verzücken, überraschen, zum Staunen bringen – und ihre Freude am Schönen und Kostbaren teilen.

ATMO 2 Gelächter/Musik/Gerede

SPRECHER drüber

Das gelang ihnen nicht nur mit Trinkspiel-Automaten. Adelige, Gelehrte und Handelsleute – alle, die es sich leisten konnten und mit dem Geist der Zeit gehen wollten –, trugen in der Renaissance und im Barock Raritäten, Preziositäten, Kuriositäten zusammen, aus Nah und Fern. Geordnet wurden die Sammlungen grob nach folgenden Kategorien:

MUSIK 4 Yann Tiersen: Hent V

Exotica: Dinge von weit her. Das konnten Eskimo-Schuhe genauso sein wie ausgestopfte Vögel – Hauptsache, sie waren außereuropäischer Herkunft.

Naturalia: Pflanzen, Tiere und ihre Reste, Mineralien, Fossilien, Organisches wie Bezoar-Steine, das sind verhärtete Kugeln aus Unverdaulichem, die sich in Mägen von Wiederkäuern bilden. Sie galten als magisch, wurden als Mittel gegen Gift im Essen eingesetzt und sollten sogar gegen die Pest helfen.

Artificialia: Das sind Werke von Künstlern und Kunsthandwerkern, in denen oft Naturprodukte aufwändig verarbeitet waren: Bernstein, Elfenbein, Korallen, Nashorn-Hörner, Muscheln, Steine und erstaunlicherweise auch Kokosnüsse galten als gestalterisch interessant. Sie wurden reich verziert und zu Bechern, Kelchen, Duftkugeln, Türschlössern, Schachspielen, Schatullen oder Figurengruppen umgestaltet und sollten zeigen, dass der Mensch die Natur übertreffen kann.

MUSIK 5 Yann Tiersen: Comptine …

Scientifica: Wissenschaftliche Geräte wie Astrolabien, Bergbau-Instrumente, Vermessungsgeräte, Uhren-Automaten, Stundengläser, anatomische Modelle ...

Und Mirabilia: Schlicht Wunderwerke. Dazu gehörten abnormale „Launen der Natur“, wie man sie auf Gemälden von Haarmenschen oder einem armlosen Kalligraphen sehen konnte, der den Pinsel mit den Zehen greift. Oder auch anhand konservierter, missgebildeter Totgeburten. Auch außerordentlich kunstvolles oder komplexes Menschenwerk gehörte dazu: Es stand für fast göttliche Schöpfungskraft.

Erlaubt und begehrt war alles, was die „Affekte anrühren“ und die „Kenntnis der Dinge“ fördern konnte. Und es wurde bei jeder Gelegenheit hergezeigt. Annette Schommers vom Bayerischen Nationalmuseum:

O-TON 6 Schommers

Damals war nicht das Kriterium für die Sammelwürdigkeit die rein materielle Kostbarkeit eines Objekts, also man hat einen Automaten, der über den Tisch fährt, genauso bewundernswert, sammelwürdig angesehen wie ein Gemälde oder eine Skulptur.

SPRECHER

Ausschlaggebend ist der Begriff „Wunder“ und wie er in der Renaissance und bis ins frühe 18. Jahrhundert hinein definiert wurde:

O TON 7 Schommers

Als Wunder galt, dass einfach ein Mensch sowas umsetzen kann zum Beispiel, also diese feinsten Miniaturschnitzereien auf einem Zwetschgenkern oder dass es einem Künstler gelingt, aus Elfenbein feinste Kugeln ineinander zu drechseln. Und man hat aber auch gleichzeitig einen Baumschwamm, der aussieht wie ein Brot, als Wunder angesehen.

SPRECHER

Gezeigt wurden die Schätze in so genannten Wunderkammern oder Kuriositätenkabinetten: Eigens eingerichtete Zimmer mit enormen Schränken, die Wände und Decken war dicht behängt mit Gemälden, ausgestopften Tieren oder Skeletten.

MUSIK 6 Ensemble Trictilla: Fusi pavana piana

Ihr Vorläufer war das private Arbeitszimmer, das Studiolo in italienischen Renaissance-Palästen. Es war anfangs karg eingerichtet, mit Schloss und Riegel ausgestattet, und diente dem Hausherrn als Rückzugsort. Hier konnte er lesen, Buch führen oder beten, es gab Schränkchen und Schatullen, Mauernischen zum Verwahren von Büchern und Schreibutensilien. Später kamen Geräte für Experimente dazu, bald auch Sammelgegenstände. Schließlich ähnelten die Studierzimmer begehbaren Möbeln, mit holzgetäfelten Wänden, Geheimfächern oder verborgene Türen. Wer sie besuchen durfte, hatte das Vertrauen des Gastgebers gewonnen.

Ihre Bedeutung wuchs mit der Entdeckung und Erforschung der Welt ab Ende des 15.Jahrhunderts. Tiere, Pflanzen und Kunsthandwerk aus den Kolonien und von fernen Handelsplätzen übten größte Faszination auf die Daheimgebliebenen aus. Die Schätze wollten bewundert werden, am bequemsten und sichersten ging das im Kuriositätenkabinett: Es war angelegt wie eine begehbare, ja sinnlich erlebbare Enzyklopädie. Die ganze Welt sollte in so eine Wunderkammer passen – beziehungsweise in ihre Schränke. Veronika Sandbichler vom Schloss Ambras in Innsbruck:

O 8 Sandbichler

Diese Schränke waren unermesslich voll. Die waren vollgefüllt mit Objekten, die zum Teil ineinander gestapelt waren. Und die hat man dann einzeln herausgenommen, konnte sie angreifen, von allen Seiten begutachten, bewundern, bestaunen und da glaub ich gab es auch diese Momente wo einem der Atem gestockt ist.

ATMO 2 Türschloss

SPRECHER drüber

Etwa 2000 Gegenstände sind in Innsbruck zu sehen. Allerdings sind sie heute in ausgeleuchteten Vitrinen ausgestellt – hinter Glas. Das sinnliche Erlebnis von früher muss man sich vorstellen ...

ATMO 3 Singekugeln

SPRECHER drüber

… mit Singekugeln zum Beispiel: kleine vegoldete, leicht klingende Kugeln, die Veronika Sandbichler und ihre Kollegin Katharina Seidl vorsichtig in die Hand nehmen:

O 9 Sandbichler_Seidl Singekugeln

Boa. Die sind ganz schön schwer, ja im Prinzip nicht unähnlich den heutigen Qigongkugeln. Das ist Messing vergoldet, und in am unglaublich guten Zustand. Kaum irgendwelche Bereibungen. Ja, die sind schon toll.

SPRECHER

Gesammelt hat die Singekugeln und mehrere tausend weitere Objekte Erzherzog Ferdinand der Zweite, der ab 1546 Landesfürst von Tirol war und in Innsbruck wohnte:

Der kunstliebende, gebildete Habsburger ließ das mittelalterliche Schloss zu einem Prunkschloss umbauen, seine Wunderkammer und diverse andere Sammlungen bekamen ein eigenes Gebäude, das Unterschloss. Veronika Sandbichler:

O 10 Sandbichler

Dieser Habsburger Fürst hat seine politische Karriere verwirkt, weil er sich in eine Patriziertochter verliebte. Das war Philippine Welser aus Augsburg. Diese Leidenschaft zu ihr muss wirklich sehr heftig gewesen sein, aber ebenso heftig war seine scheinbar unpolitische Leidenschaft für das Sammeln.

MUSIK 7 Orlando di Lasso / Ensemble Trictilla: Qui sequitur

SPRECHER

Wunderkammern waren nicht nur ein Zeichen für den Rückzug ins Private. Sie waren auch ein effizientes und elegantes Mittel der Diplomatie, Soft Diplomacy sozusagen: Gemeinsam staunen, dabei verwandtschaftliche Bande pflegen und politische Beziehungen vertiefen. Wunderkammern waren zudem eine charmante Art der Selbstdarstellung, mit einem Schuss Protzerei. Eine volle Wunderkammer zeigte, dass ihr Besitzer gebildet, weltgewandt, gut vernetzt, wohlhabend und einzigartig war … genauso wie seine Sammlung. Eine von Erzherzog Ferdinands Schwächen galt den Korallen. Agenten mussten sie ihm aus dem Mittelmeer beschaffen und er beauftragte Künstler mit ihrer Gestaltung. Veronika Sandbichler:

O 11 Sandbichler

Interessant ist ja auch die Tatsache, dass die Koralle im 16. Jahrhundert als rätselhafte Repräsentantin des damals weitgehend unerforschten Meeres gegolten hat. Also Ferdinand wusste ja eigentlich nicht: Handelte es sich um eine Pflanze, ein Mineral oder ein Tier?

SPRECHER

Die Korallen sind in der Innsbrucker Provinz geblieben. Sie haben es nicht, wie viele andere Objekte Ferdinands, ins Kunsthistorische oder Naturhistorische Museum in die Hauptstadt Wien geschafft. Ein „deutliches Zeichen für das geringe Interesse, das man heute diesen Dingen entgegenbringt“, schrieb der Kunsthistoriker Julius Schlosser im Jahr 1908.

MUSIK 8 (Ludwig van Beethoven / Stephan Schrader: Finale furioso 0’50)

SPRECHER drüber

Der Drang zu Klassifizierung und Einordnung, die Verbreitung wissenschaftlichen Denkens, die Abwertung magischen Denkens ab dem 19. Jahrhundert – das war das Ende der Wunderkammer. Wer glaubte überhaupt noch an Wunder? Wohl nur die Ungebildeten! Die Sammlungen entsprechen ja einem vor-wissenschaftlichen Weltverständnis. Es ging um Fülle und Herrlichkeit – nicht um Systematik.

Für ihre Besitzer sollten sie den Ruhm des Hauses weitertragen, für deren Erben waren sie oft nur noch „unsystematische Sammelsurien“. Deswegen sind die meisten Wunderkammern heute nicht mehr vollständig. Sie wurden neu sortiert, das „Wichtigste“ wurde auf die gerade entstehenden, öffentlichen Museen verteilt. Der Rest – konnte weg.

MUSIK 9 Romain Lateltin: à la source

SPRECHER

Heute dagegen sind Wunderkammern wieder sehr beliebt. Gerade wegen ihrer scheinbaren Unordnung, der Naivität, Verspieltheit und Freude, die sie ausstrahlen. In vielen europäischen Schlössern und Museen werden neu arrangierte Wunderkammern mit Original-Objekten gezeigt. Auch die Wittelsbacher waren emsige Sammler. Die Kunst- und Wunderkammern von Herzog Albrecht dem Fünften und seinem Sohn Wilhelm dem Fünften gehörten zu den bedeutendsten Europas. Annette Schommers vom Bayerischen Nationalmuseum:

O TON 12 Schommers

Das war, ja man kann schon fast sagen so'n Wetteifern, ich meine Albrecht der Fünfte war mit der Kaisertochter Anna verheiratet und es war auch wichtig, dass man im diplomatischen Dienst Geschenke hin und her geschickt hat …

SPRECHER

Albrecht, der Vater, begann ab 1565 als einer der Ersten, ein Kabinett anzulegen. Die Sammlung war im zweiten Stockwerk des Marstallgebäudes der Münchner Residenz untergebracht. Die des Sohnes Wilhelm in der Burg Trausnitz in Landshut.

O TON 13 Schommers

Das hatte natürlich zur Folge, dass da sehr viel Geld floss, was den Staatsfinanzen nicht sonderlich gutgetan hat. Albrecht der Fünfte der wurde schon sehr früh von seinen Räten ermahnt, er solle mal bitte seine Sammelleidenschaft zügeln, aber das ähm … das hat er wohl nicht so gehört oder hören wollen und Wilhelm der Fünfte hatte dasselbe Problem mit dem Geld.

SPRECHER

Später wurden die beiden Wunderkammern in München zusammengelegt: Mehr als 6.000 Objekte. Archivarisch sind sie komplett erfasst, dank des Ficklerschen Inventars von 1598. Man kann die Liste in der Münchner Staatsbibliothek als kommentierte Ausgabe einsehen. Annette Schommers:

MUSIK 10 Jasmin Seidl: Glasperlen

O TON 14 Schommers drüber

Es gibt natürlich auch zahlreiche Mineralien von denen man glaubte, dass die Steine heilende Wirkung haben.

MUSIK hoch

O TON 15 Schommers drüber

Fast jede Kunstkammer besaß eine von diesen Alraunen, also diese Wurzel aus dem Mittelmeergebiet, die so'n bisschen aussieht wie ein kleines Männlein oder Weiblein, zum Teil hat man die auch angekleidet. Besonders begehrt waren Alraunen, die unter einem Galgen wuchsen.

MUSIK hoch

O TON 16 Schommers drüber

Ja, vielleicht kann man als ein Wahrzeichen der Kunstkammer das Krokodil nennen, das unter der Decke hängt. Sehr mächtige Tiere, die an Drachen erinnerten, also es waren auch furchterregende Wesen. Und man weiß aus den Quellen, dass tatsächliche lebende Tiere aus Äthiopien über Alexandrien als Geschenke nach Bayern gelangt sind, und speziell nach Landshut, denn dort hatte Wilhelm der Fünfte eine Menagerie exotischer Tiere angelegt, da gab's Strauße und Krokodile, Schildkröten und so weiter, aber Sie können sich vorstellen, also ein langes Leben war diesen Viechern nicht beschert. Das ein oder andere Krokodil landete im Kochtopf, in der Hofküche, aber natürlich auch in der Kunst- und Wunderkammer.

MUSIK 10 Ende

O TON 19 Schommers

Das gewaltsame Ende der Kunst- und Wunderkammer fand im 30-jährigen Krieg statt. König Gustav Adolf von Schweden und seine protestantischen Truppen plünderten die Münchner Residenz und leider auch die Kunstkammer. Und so befinden sich manche der ursprünglich in München beheimateten Werke in schwedischen Sammlungen oder sie sind über die ganze Welt zerstreut. Und leider hat man das, was man nicht als wertvoll genug eingeschätzt hat, zerschlagen und zerstört.

SPRECHER

Wie auch in Innsbruck wurden die besten Stücke unter den Resten auf die neu entstandenen Münchner Spezialmuseen verteilt: Kunst in die Pinakothek, Exotica ins Museum Fünf Kontinente, Münzen in die Münzsammlung, Kunsthandwerk ins Bayerische Nationalmuseum …

Seit dem Jahr 2004 ist in der Burg Trausnitz in Landshut wieder eine Wunderkammer zu sehen, mit 750 beispielhaften Objekten.

MUSIK 11 ( Alessandro Scarlatti: (006) 2. Satz aus Cembalokonzert Nr. 6 Es-Dur 0’44)

SPRECHER drüber

Die bürgerlichen Sammlungen rissen keine Löcher in den Staatshaushalt und waren auch keine Mittel der Diplomatie. Auch wohlhabende Kaufleute und Gelehrte an Universitäten legten sich Wunderkammern zu.

Sie dienten der eigenen Erbauung, dem Studium und Verständnis der Welt, und dem Austausch mit Gleichgesinnten. Sie waren reines Privatvergnügen, für den Rechtsgelehrten Basilius Amerbach zum Beispiel, der im 16. Jahrhundert in Basel lebte:

O 20 Söll-Tauchert

Er hat geheiratet und hat leider bei der Geburt des ersten Sohnes sowohl sein Kind als auch seine Frau verloren. Nach diesem schrecklichen Schicksal hat er sich immer mehr zurückgezogen im sein Haus in der Rheingasse in Kleinbasel und hat sich sehr stark auch neben seiner Tätigkeit an der Universität auf das Sammeln selbst fokussiert.

SPRECHER

Die Kunsthistorikerin Sabine Söll-Tauchert arbeitet im Historischen Museum Basel, das im Untergeschoss der Barfüßerkirche eine neu zusammengefügte Kunst- und Wunderkammer zeigt: 2000 Objekte aus dem 16., 17. und frühen 18. Jahrhundert. Ein Teil davon stammt aus dem so genannten Amerbach-Kabinett.

O 21 Söll-Tauchert

Beispielsweise interessierte er sich in besonderem Maße für den Entstehungsprozess von Kunstwerken. Da nicht nur die Zeichnungen, sondern er hat eben auch ganze Nachlässe von Goldschmieden aufgekauft. In den 1560er und 70er Jahren sind einige Goldschmiede an der Pest gestorben, da grassierte die Pest auch in Basel. Das sind wirklich tausende von Goldschmiedemodellen aus Blei, ursprünglich auch noch aus Brotteig, aus Wachs, die dann leider später nicht aufbewahrt wurden, im 18. Jahrhundert hat man sie aussortiert, weil sie als wertlos galten.

SPRECHER

Basel war in der Renaissance die Stadt der Humanisten und Buchdrucker, die viele Gelehrte anzog und über den Rheinhafen auch intensiven Handel betrieb. Der ideale Ort zum Sammeln.

MUSIK 12 Domenico Scarlatti: Klaviersonate c-Moll, K99

SPRECHER drüber

Auch die Kunst- und Raritätensammlung des Rechtsprofessors Remigius Faesch ist heute im Besitz der Stadt Basel. Faesch gehörte zur reichsten Familie der Stadt, war ledig und kinderlos und legte in mehr als 30 Jahren eine beeindruckende Kunst- und Raritätensammlung an, die er ab 1651 in seinem Haus am Petersplatz ausgewählten Besuchern zeigte. Zwei französische Besucher schilderten in einem Brief Ende des 17. Jahrhunderts folgendermaßen ihren Eindruck:

O 22 Söll-Tauchert

Gegenüber dem Zeughaus ist das Haus des Herrn Faesch, von dessen Kabinett man so viel hört! Wir sahen dieses Kabinett mehrere Male. Man sieht hier: Metallspiegel mit überwältigenden Verzierungen, Trompeten und Messer aus China, Mumien, Skelette und tausend Vögel, die man bisher noch nie gesehen hat und von denen man nicht einmal den Namen kennt.

MUSIK 13 Jasmin Seidl: Melting

SPRECHER drüber

Die Fähigkeit zum Staunen haben wir, so hat das zumindest Sabine Söll-Tauchert erlebt, noch nicht verlernt:

O 23 Söll-Tauchert

Das ist wirklich auch so, wenn die Besucher eintreten in das Kabinett des Staunens bei uns, das hab ich jetzt wirklich schon mehrfach erlebt, dass sie so wie mit offenem Mund dastehen und staunen.

SPRECHER

Und das, obwohl für uns kaum mehr etwas exotisch ist und wir vom Überfluss der Dinge umgeben sind. Ein Kokosnuss-Becher, ein Nautilus-Pokal, eine präparierte Schildkröte, die mit Figürchen auf dem Rücken über den Tisch saust …

ATMO 1 Figurenautomaten (Aufziehen, dann Rattern)

SPRECHER

… ist das nicht einfach nur alter Kitsch, Tand und Nippes?

O 24 Laue

Das hab ich eigentlich noch nie gehört: Ach, was willst'n mit dem alten Graffl.

SPRECHER

Sagt der Münchner Kunsthändler Georg Laue.

ATMO 4 Tür Geschäft Laue

In seiner Kunst- und Wunderkammer hängt das obligatorische ausgestopfte Krokodil an der Decke. Sie ist vollgestopft, wie eine historische Wunderkammer.

ATMO 5 Gerede Laden Laue

O 25 Laue

Es handelt sich jetzt hier nicht um Alltagsgegenstände, die irgendwann abgenutzt oder abgelebt sind, die man als klassische Antiquitäten bezeichnen kann. Sondern es sind immer Dinge, die für sich was ganz Besonderes haben. Und wenn Sie davorstehen, spüren Sie sofort, dass es sich da um was Ungewöhnliches handelt. Es sind immer Sammelgegenstände gewesen.

SPRECHER

Die sind heute schwer zu kriegen und dementsprechend teuer.

O 26 Laue

Naja, wenn Sie jetzt so 'ne geschnittene Kokosnuss haben, die jetzt nicht gerade in Silber montiert ist und kostbar als Gefäß ist und nur als Kokosnuss alleine ist … sowas können Sie schon mal für'n paar hundert Euro finden.

SPRECHER

Nach oben sind die Grenzen offen. Denn: Die historischen Objekte sind im Gegensatz zu ihrem ursprünglichen Sinn und Zweck, die unendliche Fülle der Welt zu repräsentieren, heute natürlich nur noch begrenzt vorhanden. Die allermeisten sind in Museen. Und sie haben nur Sammlerwert, wenn, wie Laue das nennt, ihre Provenienz, ihre Herkunft, nachweisbar ist. Fälschungen gibt und gab es zuhauf:

O 27 Laue Bernstein

Na, es wurde eigentlich alles gefälscht, immer wieder. Da hab ich jetzt vor Kurzem ein dickes Buch gefunden, das war von 1724 und da drin waren Bernsteinstücke abgebildet, transparente, und da waren Fliegen drin. Und das waren Fälschungen. Das heißt, man hat schon im 18. Jahrhundert Bernstein-Inklusen gefälscht, weil die so kostbar waren. Das heißt man hat einfach nen Bernstein genommen, hat ihn aufgebohrt, hat nie Fliege reingesteckt und wieder zugemacht.

MUSIK 14 Romain Lateltin: à la source

SPRECHER

Wer sich eine echte Wunderkammer nicht leisten konnte, der sammelte eben billige Fälschungen. Ach ja, warum denn nicht! Schließlich ist alles sammelwürdig, was den Sammler erfreut. Die Wohnzimmervitrine, der Setzkasten, der Sekretär, sie sind die armen, kleinbürgerlichen Schwestern der prunkvollen, atemberaubenden Wunderkammer von damals. Und in ihr war alles erlaubt – nur keine Langeweile.


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