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Das antike Sparta - Wie war das Leben dort wirklich?

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Lange galt Sparta als einzigartig, militaristisch, unbesiegbar. Doch heute glauben Historiker, dass es gar nicht so anders war als andere antike Städte. Wie spartanisch waren die Spartaner wirklich? Autorin: Imogen Rhia Herrad

Credits
Autorin dieser Folge: Imogen Rhia Herrad
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Berenike Beschle, Andreas Neumann, Stefan Wilkening, Katja Amberger
Technik: Fabian Zweck
Redaktion: Thomas Morawetz

Im Interview:
Andronike Makres (Archäologin am Hellenic Education and Research Center, Athen)

Literaturtipps:

Stephen Hodkinson, „Transforming Sparta. New approaches to the study of Spartan society“, in: „Ancient history. Resources for Teachers“ 41-44 (2015), S. 1-42.

Noreen Humble, „Sophrosyne Revisited: Was it ever a Spartan virtue?“, in: Stephen Hodkinson /Anton Powell (Hrsg.), “Sparta – Beyond the Mirage”, Swansea 2002, S. 85-109.

Claude Calame, „Pre-classical Sparta as song culture“, in: Anton Powell (Hrsg.), „A Companion to Sparta (2 Bde). Blackwell Companions to the Ancient World: Ancient History“, Hoboken 2018, S. 177-201.

Stephen Hodkinson, „Was classical Sparta a military society?“ in: Ders./Anton Powell, “Sparta and war”, London 2006, S. 133-141.

Linktipps:

Noch mehr Interesse an Geschichte? Dann empfehlen wir:
ALLES GESCHICHTE - HISTORY VON RADIOWISSEN
Skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Das Kalenderblatt erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum. Ein Angebot des Bayerischen Rundfunks.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

ZITATOR (Übersetzung Herrad)

Als ich einst darüber nachdachte, dass Sparta trotz seiner geringen Bevölkerung die mächtigste und berühmteste Stadt in Griechenland war, verwunderte ich mich, wie das wohl gekommen sein mochte...

ERZÄHLERIN

So beginnt eine berühmte Abhandlung über die staatliche Ordnung der Spartaner. Ihr Autor war der Feldherr, Historiker und Philosoph Xenophon. Seine Verwunderung ist übrigens rein rhetorisch – in den folgenden fünfzehn Kapiteln seiner Schrift legt Xenophon genau dar, wie vortrefflich alle Einrichtungen in Sparta sind. Am Ende ist es ganz offensichtlich, dass diese vorbildhafte Stadt eine Führungsrolle in der griechischen Welt übernehmen muss.

ERZÄHLER

Xenophon selber stammt übrigens nicht aus Sparta. Er ist Athener und lebt im vierten vorchristlichen Jahrhundert, als seine Heimatstadt mit Sparta schon seit längerem verfeindet ist. Trotzdem gibt es in Athen viele Sparta-Fans, die sich manchmal sogar wie Spartaner kleiden und ausstaffieren. Sparta ist “in”. Allerdings nicht bei allen. Der Philosoph Aristoteles, eine Generation jünger als Xenophon, gehört nicht zu den Bewunderern. Die Übersetzung aus dem Altgriechischen stammt von Franz Schwarz und ist im Reclam-Verlag erschienen:

ZITATOR streng (Übersetzung Franz Schwarz, Reclam)

Die gesamte Einrichtung der spartanischen Gesetze läuft nur auf einen Teil der Tugend hinaus, nämlich auf die Kriegstüchtigkeit. Daher nun hielten sich die Spartaner nur, wenn sie Krieg führten; sie versagten aber, wenn sie herrschten. Denn sie hatten es nicht verstanden, Ruhe zu gewinnen und sie hatten keine anderen wichtigen Dinge geübt als eben die Kriegskunst.

ERZÄHLERIN

Man merkt schnell, dass hinter den positiven wie den negativen Bildern viele Klischees stecken. Sparta und Athen gelten als sprichwörtliche Gegensätze. Zwischen den beiden Gemeinwesen herrscht auch zu Friedenszeiten eine Art Kalter Krieg. Und wie im Kalten Krieg des zwanzigsten Jahrhunderts geht es auch im alten Griechenland um einen ideologischen Gegensatz. Sparta ist für seine Demokratiefeindlichkeit bekannt. Hier herrscht nicht das Volk, sondern eine kleine Zahl reicher Aristokraten. Athen hingegen ist die Wiege der Demokratie. In einer Rede hat der athenische Staatsmann Perikles um 430, eine Generation vor Xenophon, verkündet:

ZITATOR (Übersetzung Herrad)

Unsere Verfassung gibt den vielen den Vorzug vor den wenigen, deswegen nennen wir sie Demokratie – Herrschaft des Volkes. Die Freiheit, die unserer politischen Verfassung zugrundeliegt, gewähren wir uns auch gegenseitig im Privaten. Wir wollen lieber leichten Herzens der Gefahr entgegentreten als nach mühevollem Training; lieber mit einem durch Gewohnheit gewonnenen Mut als mit einer Tapferkeit, die gesetzmäßig erzwungen ist – und stehen wir so dann nicht viel besser da?

ERZÄHLER

Das mühevolle Training und die strengen Gesetze sind natürlich eine Anspielung auf Sparta. Noch heute ist die strenge, militaristische Erziehung Spartas ebenso berühmt wie berüchtigt.

ERZÄHLERIN

Wie im modernen Kalten Krieg haben die beiden gegensätzlichen Staatsformen auch in der jeweils gegnerischen Stadt ihre Anhänger. Auch in Athen gibt es Aristokraten, die nur ungern die Macht mit dem Volk teilten. Sie schauen bewundernd und neidisch nach Sparta – so wie Xenophon und sein Zeitgenosse, der Philosoph Platon.

ERZÄHLER

In der Antike können sich nur reiche Aristokraten eine umfassende Bildung leisten. Nur sie haben die Zeit und das Geld, historische und philosophische Studien zu betreiben und Werke über Philosophie oder Geschichte zu schreiben. Auch daran liegt es, dass wir vor allem positive und bewundernde Beschreibungen Spartas haben. Daher ist beim Lesen der antiken Darstellungen immer Vorsicht geboten, sagt die griechische Archäologin Andronike Makres.

ZUSPIELUNG 1 (Andronike Makres)

A: We are very responsible, when we read the ancient sources...

OVERVOICE, WEIBLICH

Wir müssen beim Lesen der antiken Quellen immer aufpassen, dass wir da nicht unsere eigenen modernen Vorstellungen und Stereotypen hinein interpretieren.

E: ... clear our heads from whatever modern projections and stereotypes.

ATMO 1 (Straßenatmo Athen) aufblenden

ERZÄHLERIN

Andronike Makres sitzt in einem Straßencafé in Athen. Hier geht es nicht leise zu.

ZUSPIELUNG 2 (Andronike Makres)

A: Without, of course, going too far to the other extreme and deconstruct...

OVERVOICE, WEIBLICH

Dabei dürfen wir aber auch nicht ins andere Extrem verfallen und die Überlieferung vollständig dekonstruieren. Aber wir müssen sie immer wieder korrigieren und anpassen, und wir müssen unser Verständnis von ihr verbessern

E: ... understanding, rather than demolishing and revising one hundred per cent.

ATMO 1 (Straßenatmo Athen) wegblenden

ERZÄHLER

Es ist eine stete Gratwanderung. Auch professionelle Historiker können sich durchaus nicht auf ein einheitliches Spartabild einigen. Aber wie soll man da jemals wissen, wie es wirklich war? Zum Glück haben wir neben den antiken Werken auch noch andere Informationsquellen, berichtet Andronike Makres.

ZUSPIELUNG 3 (Andronike Makres)

A: The archaeology of ancient Sparta is extremely important because...

OVERVOICE, WEIBLICH

Die Archäologie des antiken Sparta ist von höchster Wichtigkeit. Der Geschichtsschreiber Thukydides zum Beispiel macht gleich am Anfang seines Geschichtswerkes eine bemerkenswerte archäologische Projektion...

E: ... he’s doing an amazing archaeological projection, Thucydides.

ERZÄHLERIN

Das Werk des Thukydides‘, den „Peloponnesischen Krieg“, hat Michael Weißenberger für den de Gruyter-Verlag übersetzt.

ZITATOR (Übersetzung Weißenberger)

Würde nämlich die Stadt der Lakedaimonier entvölkert und übrig gelassen nur die Heiligtümer und die Grundmauern der Bebauung, so würden, meine ich, nach dem Verstreichen von viel Zeit die Nachgeborenen angesichts dessen, was sie hörten, nie und nimmer glauben, dass Sparta so mächtig war –

dabei umfasst sein Territorium doch zwei Fünftel der Peloponnes und es ist Führungsmacht der gesamten Halbinsel sowie der vielen außerhalb lebenden Verbündeten.

ZUSPIELUNG 4 (Andronike Makres)

A: This is confirmed by the archaeology. The actual excavations have not...

OVERVOICE, WEIBLICH

Dies wird durch die Archäologie bestätigt. Bei Ausgrabungen haben wir keine großartigen Denkmäler oder Gebäude gefunden, die dem Ruhm der spartanischen Institutionen entsprechen. Wo sind die Häuser der Könige? Wo ist das große Ratsgebäude? Monumentale Bauten fehlen also – genau wie Thukydides das im fünften Jahrhundert schreibt.

E: ... Where is the building where the great gerousia would meet, and the ephors and all that.

ERZÄHLER

War Sparta also tatsächlich so spartanisch und so kriegerisch, wie Filme, Romane und Videospiele es darstellen? Dieses Bild hat seinen Ursprung in der Antike. Schon die Spartaner selber haben es fleißig verbreitet. Es ist schließlich nützlich, für unbesiegbar zu gelten.

ERZÄHLERIN

Schon im siebten oder sechsten vorchristlichen Jahrhundert haben die Spartaner in langwierigen Kriegen das Gebiet der benachbarten Messenier erobert und damit ihr eigenes Territorium verdoppelt. Die Messenier werden kollektiv versklavt und müssen nun als Leibeigene den Spartanern Dienst tun. Über so viel Land und so viele Arbeitskräfte verfügt sonst niemand in der griechischen Welt. Sparta ist groß, reich und mächtig. Aber interessanterweise gilt ihr Staat nicht als außergewöhnlich kriegerisch. Krieg führen in der antiken Welt alle großen und mächtigen Staaten.

ERZÄHLER

Der Wendepunkt ist eine verlorene Schlacht. Bei den Thermopylen, einem engen Gebirgspass in Mittelgriechenland, stehen im Spätsommer des Jahres 480 vor Christus dreihundert Spartaner einer persischen Übermacht gegenüber. Die Perser fordern das kleine Häuflein Griechen auf, sich zu ergeben und ihre Waffen abzuliefern. “Kommt und holt sie euch,” soll der spartanische König Leonidas erwidert haben.

ERZÄHLERIN

Genau das tun die Perser. Als der Kampf vorbei ist, liegen die Spartaner tot auf dem Schlachtfeld. Der heldenhafte Einsatz ist zwar militärisch bedeutungslos, doch in Sparta weiß man ihn weidlich auszuschlachten. Der Dichter Simonides erhält den Auftrag, einen mitreißenden Spruch für das Denkmal der Gefallenen zu verfassen.

ZITATOR (Übersetzung Schiller, Copyright verjährt)

Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.

ERZÄHLER

So übersetzte ergriffen Friedrich von Schiller. Der Opfertod der Dreihundert, die auch im Angesicht des sicheren Todes nicht zurückweichen, macht Sparta in der ganzen griechischen Welt berühmt. Noch dazu gewinnt im Folgejahr ein athenisch-spartanisches Heer die große Entscheidungsschlacht gegen die Perser.

ERZÄHLERIN

Die Spartaner haben gezeigt, dass sie nicht nur heldenhaft verlieren, sondern auch siegen können Noch einmal achzig Jahre später gewinnen sie auch den nächsten großen Krieg – gegen ihren ehemaligen Verbündeten, Athen. Fast dreißig Jahre hat der Peloponnesische Krieg gedauert, und an seinem Ende steht Sparta triumphierend da, ganz so wie Xenophon es beschrieben hat:

ZITATOR

die mächtigste und berühmteste Stadt in Griechenland.

ERZÄHLER

Warum dieser Ruhm auch heute noch anhält, erklärt die Archäologin Andronike Makres.

ZUSPIELUNG 5 (Andronike Makres)

A: Our modern society has departed from the idea of warfare, because we...

OVERVOICE, WEIBLICH

Wir leben heute im Frieden, deswegen ist der Krieg uns fremd. Aber die archetypischen Elemente des Krieges sind in unserem Gehirn und unserer Psyche verankert. Wenn wir dann einen Film sehen oder eine Geschichte lesen, in der Feinde einmarschieren und es darum geht, das eigene Haus und Land und im Grunde auch die eigenen Werte zu verteidigen – dann versteht man, warum die Schlacht bei den Thermopylen so berühmt und ikonisch ist: sie verkörpert den Sieg einer kleinen Schar über eine Übermacht. Das ist heroisch. Man versetzt sich in diese Situation, gerade weil sie nicht in unsere Realität gehört. Es ist ein Gedankenexperiment.

E. ... because it’s not part of our reality. It’s a mental experiment. (lacht)

ERZÄHLERIN

Auch für die Archäologin hat sich die militärische Niederlage längst in einen moralischen Sieg verwandelt.

Aber was ist nun mit all den berühmten und berüchtigten spartanischen Besonderheiten? Gab es sie oder gab es sie nicht, die strenge militärische Erziehung für Jungen und für Mädchen, die anspruchslose, sprichwörtlich spartanische Lebensweise, die Konformität, den staatlich verordneten Gehorsam?

ERZÄHLER

Fangen wir – ganz wie auch Xenophon in seiner Schrift über die spartanische Ordnung – mit der Erziehung an.

ZITATOR (Übersetzung Herrad)

In den anderen Griechenstädten hält man es für gut, dass die Mädchen still zuhause sitzen und sich mit Wollarbeit beschäftigen. Lykurg aber meinte, dass auch Sklavinnen geeignet wären, Stoff und Kleider herzustellen...

ERZÄHLERIN

Lykurg ist eine wahrscheinlich legendäre Figur. In der Antike gilt er als großer Gesetzgeber, dem Sparta seine staatliche Ordnung verdankt.

ZITATOR (Übersetzung Herrad)

Die wichtigste Aufgabe der freien Bürgerinnen aber wäre es, Kinder zu bekommen. Als erstes bestimmte Lykurg also, dass das weibliche Geschlecht nicht weniger als das männliche seinen Körper stärken sollte. Er richtete Wettrennen und Kräftemessen für Frauen und Männer ein, da er meinte, dass ein kräftiges Elternpaar auch kräftige Kinder bekommen würde.

ERZÄHLER

Was Xenophon hier berichtet, ist geradezu skandalös für antike Verhältnisse. Anständige Bürgerfrauen haben im Haus zu bleiben. In die Außenwelt gehen sie nur zu religiösen Anlässen – die sind allerdings gar nicht mal so selten; es ist also nicht so, dass Griechinnen immer nur im Hause sitzen. Alle außer den reichsten Bauersfrauen packen bei der Ernte mit an. Händlerinnen bieten auf dem Marktplatz ihre Ware feil. Sklavinnen gehen einkaufen.

ERZÄHLERIN

„Draußen“ ist in der Welt der antiken Stadtstaaten der politische, öffentliche Raum, in dem Bürger und Philosophen über Krieg und Politik debattieren. In dem haben Frauen nichts zu suchen. „Draußen“ ist auch der Sportplatz.

Auch der ist kein Ort für Frauen – jedenfalls in Athen. In Sparta schon. Das wissen wir nicht nur von Xenophon. Auch hier kommt uns die Archäologie zur Hilfe. In der Region um Sparta sind mehrere Statuetten gefunden worden, die durchtrainierte junge Frauen beim Wettlauf und beim Tanzen zeigen. Sie tragen eine ärmellose kurze Tunika, die ihre muskulösen Beine frei lässt. Auch das ist in der Antike ganz ungewöhnlich.

ERZÄHLER

Es ist allerdings fraglich, ob der Frauensport den Grund hatte, den Xenophon angibt – das Trainieren des Frauenkörpers für die Geburt gesunder Kinder. Öffentliche sportliche Wettkämpfe in der Antike haben oft einen religiösen Charakter: So zum Beispiel die Olympischen Spiele am Wohnort der griechischen Götter, die zu Ehren des Obergottes Zeus stattfinden.

ERZÄHLERIN

Sparta ist berühmt für seine Frömmigkeit. Hier werden viele Feste für die Götter gefeiert. Religiöse Feste in der Antike sind immer öffentliche Feiern. Es gibt Prozessionen, sportliche Wettkämpfe, Blumen, Musik, Wein, leckeres Essen. Man kann sich das ein bisschen wie ein kirchliches Fest heute in Griechenland oder Italien auf dem Land vorstellen.

ERZÄHLER

In der Komödie „Lysistrate“ verbünden sich athenische und spartanische Frauen, um ein Ende des Peloponnesischen Kriegs herbeizuführen. Ihr Autor, der Athener Aristophanes, spöttelt über die durchtrainierte Spartanerin Lampito – allerdings spöttelt Aristophanes über alles und jeden und nimmt davon auch seine athenischen Landsleute nicht aus. Am Ende des Stücks feiern Spartanerinnen und Spartaner, Athenerinnen und Athener die (fiktive) Versöhnung mit einem Tanz.

ZITATOR beschwingt (Übersetzung nach Johannes Minckwitz, Copyright abgelaufen)

Jubelt im Tanzschritt,

Auf, jubelt leichten Sprunges!

Mein Preislied feiert Sparta,

Welches den Chor für die Götter liebt,

und die stampfenden Tanzfüße.

Wo die Mädchen springen,

Fohlen gleich, staubwirbelnd am Fluss

behend, mit stürmenden Füßen

und fliegenden Haaren...

ERZÄHLERIN

Die Götter sind vom Spott der Komödiendichter ausgenommen, deswegen können wir diese Szene durchaus ernst nehmen. Und so ist es, als hätte sich ein Fenster aufgetan, durch das wir einen kurzen Blick auf das tatsächliche Sparta erhaschen können. Wir sehen die Stadt – nicht sehr groß, und schlicht, die Gebäude bescheiden. Am Eurotas-Fluss, der auch heute noch durch Sparta fließt, hat sich eine Volksmenge versammelt. Die Tempel sind mit Blumengirlanden geschmückt; viele Menschen tragen Blumenkränze. Ein Chor singt. Verkäufer bieten Naschwerk zum Verkauf. Und auf dem weiten Platz am Ufer wirbeln mit fliegenden Haaren die Mädchen im Tanz.

ERZÄHLER

Und was ist mit der Erziehung der Jungen? Xenophon berichtet:

ZITATOR (Übersetzung Herrad)

Wenn der Knabe vom Kind- ins Jugendalter kommt, schrieb Lykurg ihm vor, auch beim Gehen auf der Straße die Hände in seinem Mantel zu verbergen, Schweigen zu bewahren und nichts anzuschauen, sondern die Augen gesenkt zu halten.

Von einem Stein würde man eher einen Laut hören, eher von einer Bronzestatue einen Blick einfangen als von einem dieser Jünglinge; man würde sie für schamhafter halten als die Jungfrauen in ihren Kammern.

ERZÄHLERIN

Schamhafte und züchtige spartanische Jugendliche? Teenager, die brav zu Boden blicken und schamhaft die Hände im Ärmel verbergen? Irgendwie hat man sich die Ausbildung der männlichen Jugend in Sparta anders vorgestellt. Härter. Schweißtreibender. Kriegerischer.

ERZÄHLER

Natürlich gibt es das auch. Die Jugendlichen trainieren auf dem Sportplatz und üben sich darin, Strapazen und Schmerzen auszuhalten. In kleinen Gruppen oder alleine werden sie in die Wildnis geschickt, wo sie sich einen Winter lang behaupten müssen. Wer das erfolgreich meistert, wird unter die Männer aufgenommen. Gedrillt wie in Preußen wird hingegen nicht. Eher kann man das Ethos der antiken Krieger mit dem mittelalterlichen Ritterideal vergleichen. Man denkt sich den Krieg als die edelste und männlichste Beschäftigung, und zugleich als erste Bürgerpflicht.

ERZÄHLERIN

Und hier liegt wohl auch der Grund dafür, dass Xenophon die Zurückhaltung der spartanischen Jünglinge so herausstreicht. Selbstbeherrschung gilt als eine der wichtigsten und edelsten Tugenden. Nur wer sich selbst und seine Leidenschaften im Zaum halten kann, so lehren die Philosophen, ist auch in der Lage, über andere zu herrschen. Die Selbstbeherrschung gilt als schlechthin spartanische Tugend.

ERZÄHLER

Schließlich herrschen in Sparta Aristokraten. Das demokratische Athen hingegen ist bekannt – bisweilen sogar berüchtigt – dafür, dass das Volk seine Meinung immer wieder ändert; dass die Volksversammlung heute ein Todesurteil verhängt, nur um es am nächsten Tage reumütig zurückzunehmen. Wie viel besser ist es doch in Sparta, sagen aristokratische Denker wie Xenophon: dort verstehen sogar die Jugendlichen, ihre Leidenschaften zu zügeln.

ERZÄHLERIN

Gut anderthalb Jahrhunderte gibt Sparta in der griechischen Welt den Ton an: mal gemeinsam mit Athen, mal ganz alleine auf dem Siegertreppchen. Dann ist die Herrlichkeit vorbei. Das Undenkbare geschieht. Spartanische Kämpfer unterliegen in einer offenen Feldschlacht. Das ist noch nie passiert. Die Dreihundert bei den Thermopylen standen einer riesigen Übermacht gegenüber. Wenn seitdem Spartaner gegen andere Heere kämpften, ging das schlimmstenfalls unentschieden aus.

ERZÄHLER

Doch im Jahr 371 in der Schlacht bei Leuktra wird Sparta geschlagen. Es kommt noch schlimmer: das Heer der Thebaner marschiert in Lakonien – der Landschaft, deren Hauptstadt Sparta ist – ein. Feinde im Land, und Sparta ist machtlos. Theben diktiert den Frieden und zwingt die Spartaner, das eroberte Messenien aufzugeben und die versklavten Leibeigenen in die Freiheit zu entlassen.

ERZÄHLERIN

Meist wird an dieser Stelle in den Geschichtsbüchern der Schlussstrich gesetzt. Geschichte wird ab jetzt anderswo gemacht: in Makedonien, von wo demnächst Alexander der Große aufbricht, um die Welt zu erobern. In Rom, wo nicht lange darauf eine neue Weltmacht entsteht, die schließlich – im Jahr 195 vor Christus – auch Sparta ihrem Reich einverleiben wird. Aber Sparta besteht weiter fort. Und es hat immer noch Fans, wie die Archäologin Andronike Makres weiß.

ZUSPIELUNG 6 (Andronike Makres)

A: The Romans added a lot to the stereotype, by reinventing and projecting...

OVERVOICE, WEIBLICH

Die Römer haben das stereotypische Spartabild weiter ausgebaut, indem sie ihre eigenen Vorstellungen darauf projizierten. Wir machen es ja nicht anders: wir gestalten unser Bild von anderen Kulturen ja auch so, wie es am besten zu unseren Vorstellungen und Werten passt. Die Römer mochten beispielsweise die athenische Demokratie nicht, deswegen haben sie die spartanische politische Ordnung gelobt, und die spartanische Disziplin.

E: ... right, their political ideology and the idea of discipline. (reißt etwas ab)

ERZÄHLER

Im ersten Jahrhundert stellt der römische Autor Valerius Maximus eine Sammlung vorbildlicher und abschreckender Beispiele aus der römischen Geschichte zusammen. Er schreibt:

ZITATOR (Übersetzung Herrad)

Unseren Vorfahren war die Genügsamkeit die Mutter ihres Wohlergehens. Feindlich standen sie üppigen Gelagen gegenüber und fremd war ihnen der übermäßige Genuss von Wein ebenso wie von fleischlichen Lüsten. Die Stadt der Spartaner war dem Ernst unserer Vorfahren von allen am nächsten.

ZUSPIELUNG 7 (Andronike Makres)

A: The Spartans cooperated with the Romans in creating the mirage...

OVERVOICE, WEIBLICH

Die Spartaner haben bei der Entwicklung dieses Mythos durchaus mitgemacht, sie haben keinen Widerstand geleistet. Sparta war nur noch eine kleine Stadt, der Ruhm der alten Zeit das einzige, was noch geblieben war. Wir in Athen vermarkten heute die Akropolis; genauso haben es die Spartaner damals gemacht, um sich mit den Römern besser zu stellen.

Die Athener haben Jahrhunderte lang ihre heldenhaften Siege in den Perserkriegen ausgeschlachtet! Man nutzt halt, was man hat. (lacht)

E. ... centuries. So whatever you have to improve your position, you use it.

ERZÄHLERIN

Eines müssen wir aber noch erwähnen: den spartanischen Humor. So sprichwörtlich ist die Schlagfertigkeit der Spartaner, dass es dafür ein eigenes Wort gibt. Lakonien heißt die Landschaft, in der die Stadt liegt. „Lakonisch“ heißt bis heute eine kurze, treffende, oft ironische Bemerkung. Es gibt eine ganze Sammlung lakonischer Aussprüche. Sie zeigen, dass den Spartanern am Ende nicht nur der Ruhm geblieben ist – sondern auch der Stolz.

ZITATOR (Übersetzung Herrad)

Einst wurde ein besiegter Spartaner in die Sklaverei verkauft. Ein Marktbesucher fragte: „Bist du tüchtig, wenn ich dich kaufe?“ – „Ja,” sagte der Spartaner, “und auch, wenn du mich nicht kaufst.”

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Lange galt Sparta als einzigartig, militaristisch, unbesiegbar. Doch heute glauben Historiker, dass es gar nicht so anders war als andere antike Städte. Wie spartanisch waren die Spartaner wirklich? Autorin: Imogen Rhia Herrad

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Im Interview:
Andronike Makres (Archäologin am Hellenic Education and Research Center, Athen)

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Stephen Hodkinson, „Transforming Sparta. New approaches to the study of Spartan society“, in: „Ancient history. Resources for Teachers“ 41-44 (2015), S. 1-42.

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Claude Calame, „Pre-classical Sparta as song culture“, in: Anton Powell (Hrsg.), „A Companion to Sparta (2 Bde). Blackwell Companions to the Ancient World: Ancient History“, Hoboken 2018, S. 177-201.

Stephen Hodkinson, „Was classical Sparta a military society?“ in: Ders./Anton Powell, “Sparta and war”, London 2006, S. 133-141.

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Als ich einst darüber nachdachte, dass Sparta trotz seiner geringen Bevölkerung die mächtigste und berühmteste Stadt in Griechenland war, verwunderte ich mich, wie das wohl gekommen sein mochte...

ERZÄHLERIN

So beginnt eine berühmte Abhandlung über die staatliche Ordnung der Spartaner. Ihr Autor war der Feldherr, Historiker und Philosoph Xenophon. Seine Verwunderung ist übrigens rein rhetorisch – in den folgenden fünfzehn Kapiteln seiner Schrift legt Xenophon genau dar, wie vortrefflich alle Einrichtungen in Sparta sind. Am Ende ist es ganz offensichtlich, dass diese vorbildhafte Stadt eine Führungsrolle in der griechischen Welt übernehmen muss.

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Xenophon selber stammt übrigens nicht aus Sparta. Er ist Athener und lebt im vierten vorchristlichen Jahrhundert, als seine Heimatstadt mit Sparta schon seit längerem verfeindet ist. Trotzdem gibt es in Athen viele Sparta-Fans, die sich manchmal sogar wie Spartaner kleiden und ausstaffieren. Sparta ist “in”. Allerdings nicht bei allen. Der Philosoph Aristoteles, eine Generation jünger als Xenophon, gehört nicht zu den Bewunderern. Die Übersetzung aus dem Altgriechischen stammt von Franz Schwarz und ist im Reclam-Verlag erschienen:

ZITATOR streng (Übersetzung Franz Schwarz, Reclam)

Die gesamte Einrichtung der spartanischen Gesetze läuft nur auf einen Teil der Tugend hinaus, nämlich auf die Kriegstüchtigkeit. Daher nun hielten sich die Spartaner nur, wenn sie Krieg führten; sie versagten aber, wenn sie herrschten. Denn sie hatten es nicht verstanden, Ruhe zu gewinnen und sie hatten keine anderen wichtigen Dinge geübt als eben die Kriegskunst.

ERZÄHLERIN

Man merkt schnell, dass hinter den positiven wie den negativen Bildern viele Klischees stecken. Sparta und Athen gelten als sprichwörtliche Gegensätze. Zwischen den beiden Gemeinwesen herrscht auch zu Friedenszeiten eine Art Kalter Krieg. Und wie im Kalten Krieg des zwanzigsten Jahrhunderts geht es auch im alten Griechenland um einen ideologischen Gegensatz. Sparta ist für seine Demokratiefeindlichkeit bekannt. Hier herrscht nicht das Volk, sondern eine kleine Zahl reicher Aristokraten. Athen hingegen ist die Wiege der Demokratie. In einer Rede hat der athenische Staatsmann Perikles um 430, eine Generation vor Xenophon, verkündet:

ZITATOR (Übersetzung Herrad)

Unsere Verfassung gibt den vielen den Vorzug vor den wenigen, deswegen nennen wir sie Demokratie – Herrschaft des Volkes. Die Freiheit, die unserer politischen Verfassung zugrundeliegt, gewähren wir uns auch gegenseitig im Privaten. Wir wollen lieber leichten Herzens der Gefahr entgegentreten als nach mühevollem Training; lieber mit einem durch Gewohnheit gewonnenen Mut als mit einer Tapferkeit, die gesetzmäßig erzwungen ist – und stehen wir so dann nicht viel besser da?

ERZÄHLER

Das mühevolle Training und die strengen Gesetze sind natürlich eine Anspielung auf Sparta. Noch heute ist die strenge, militaristische Erziehung Spartas ebenso berühmt wie berüchtigt.

ERZÄHLERIN

Wie im modernen Kalten Krieg haben die beiden gegensätzlichen Staatsformen auch in der jeweils gegnerischen Stadt ihre Anhänger. Auch in Athen gibt es Aristokraten, die nur ungern die Macht mit dem Volk teilten. Sie schauen bewundernd und neidisch nach Sparta – so wie Xenophon und sein Zeitgenosse, der Philosoph Platon.

ERZÄHLER

In der Antike können sich nur reiche Aristokraten eine umfassende Bildung leisten. Nur sie haben die Zeit und das Geld, historische und philosophische Studien zu betreiben und Werke über Philosophie oder Geschichte zu schreiben. Auch daran liegt es, dass wir vor allem positive und bewundernde Beschreibungen Spartas haben. Daher ist beim Lesen der antiken Darstellungen immer Vorsicht geboten, sagt die griechische Archäologin Andronike Makres.

ZUSPIELUNG 1 (Andronike Makres)

A: We are very responsible, when we read the ancient sources...

OVERVOICE, WEIBLICH

Wir müssen beim Lesen der antiken Quellen immer aufpassen, dass wir da nicht unsere eigenen modernen Vorstellungen und Stereotypen hinein interpretieren.

E: ... clear our heads from whatever modern projections and stereotypes.

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Andronike Makres sitzt in einem Straßencafé in Athen. Hier geht es nicht leise zu.

ZUSPIELUNG 2 (Andronike Makres)

A: Without, of course, going too far to the other extreme and deconstruct...

OVERVOICE, WEIBLICH

Dabei dürfen wir aber auch nicht ins andere Extrem verfallen und die Überlieferung vollständig dekonstruieren. Aber wir müssen sie immer wieder korrigieren und anpassen, und wir müssen unser Verständnis von ihr verbessern

E: ... understanding, rather than demolishing and revising one hundred per cent.

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Es ist eine stete Gratwanderung. Auch professionelle Historiker können sich durchaus nicht auf ein einheitliches Spartabild einigen. Aber wie soll man da jemals wissen, wie es wirklich war? Zum Glück haben wir neben den antiken Werken auch noch andere Informationsquellen, berichtet Andronike Makres.

ZUSPIELUNG 3 (Andronike Makres)

A: The archaeology of ancient Sparta is extremely important because...

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Die Archäologie des antiken Sparta ist von höchster Wichtigkeit. Der Geschichtsschreiber Thukydides zum Beispiel macht gleich am Anfang seines Geschichtswerkes eine bemerkenswerte archäologische Projektion...

E: ... he’s doing an amazing archaeological projection, Thucydides.

ERZÄHLERIN

Das Werk des Thukydides‘, den „Peloponnesischen Krieg“, hat Michael Weißenberger für den de Gruyter-Verlag übersetzt.

ZITATOR (Übersetzung Weißenberger)

Würde nämlich die Stadt der Lakedaimonier entvölkert und übrig gelassen nur die Heiligtümer und die Grundmauern der Bebauung, so würden, meine ich, nach dem Verstreichen von viel Zeit die Nachgeborenen angesichts dessen, was sie hörten, nie und nimmer glauben, dass Sparta so mächtig war –

dabei umfasst sein Territorium doch zwei Fünftel der Peloponnes und es ist Führungsmacht der gesamten Halbinsel sowie der vielen außerhalb lebenden Verbündeten.

ZUSPIELUNG 4 (Andronike Makres)

A: This is confirmed by the archaeology. The actual excavations have not...

OVERVOICE, WEIBLICH

Dies wird durch die Archäologie bestätigt. Bei Ausgrabungen haben wir keine großartigen Denkmäler oder Gebäude gefunden, die dem Ruhm der spartanischen Institutionen entsprechen. Wo sind die Häuser der Könige? Wo ist das große Ratsgebäude? Monumentale Bauten fehlen also – genau wie Thukydides das im fünften Jahrhundert schreibt.

E: ... Where is the building where the great gerousia would meet, and the ephors and all that.

ERZÄHLER

War Sparta also tatsächlich so spartanisch und so kriegerisch, wie Filme, Romane und Videospiele es darstellen? Dieses Bild hat seinen Ursprung in der Antike. Schon die Spartaner selber haben es fleißig verbreitet. Es ist schließlich nützlich, für unbesiegbar zu gelten.

ERZÄHLERIN

Schon im siebten oder sechsten vorchristlichen Jahrhundert haben die Spartaner in langwierigen Kriegen das Gebiet der benachbarten Messenier erobert und damit ihr eigenes Territorium verdoppelt. Die Messenier werden kollektiv versklavt und müssen nun als Leibeigene den Spartanern Dienst tun. Über so viel Land und so viele Arbeitskräfte verfügt sonst niemand in der griechischen Welt. Sparta ist groß, reich und mächtig. Aber interessanterweise gilt ihr Staat nicht als außergewöhnlich kriegerisch. Krieg führen in der antiken Welt alle großen und mächtigen Staaten.

ERZÄHLER

Der Wendepunkt ist eine verlorene Schlacht. Bei den Thermopylen, einem engen Gebirgspass in Mittelgriechenland, stehen im Spätsommer des Jahres 480 vor Christus dreihundert Spartaner einer persischen Übermacht gegenüber. Die Perser fordern das kleine Häuflein Griechen auf, sich zu ergeben und ihre Waffen abzuliefern. “Kommt und holt sie euch,” soll der spartanische König Leonidas erwidert haben.

ERZÄHLERIN

Genau das tun die Perser. Als der Kampf vorbei ist, liegen die Spartaner tot auf dem Schlachtfeld. Der heldenhafte Einsatz ist zwar militärisch bedeutungslos, doch in Sparta weiß man ihn weidlich auszuschlachten. Der Dichter Simonides erhält den Auftrag, einen mitreißenden Spruch für das Denkmal der Gefallenen zu verfassen.

ZITATOR (Übersetzung Schiller, Copyright verjährt)

Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.

ERZÄHLER

So übersetzte ergriffen Friedrich von Schiller. Der Opfertod der Dreihundert, die auch im Angesicht des sicheren Todes nicht zurückweichen, macht Sparta in der ganzen griechischen Welt berühmt. Noch dazu gewinnt im Folgejahr ein athenisch-spartanisches Heer die große Entscheidungsschlacht gegen die Perser.

ERZÄHLERIN

Die Spartaner haben gezeigt, dass sie nicht nur heldenhaft verlieren, sondern auch siegen können Noch einmal achzig Jahre später gewinnen sie auch den nächsten großen Krieg – gegen ihren ehemaligen Verbündeten, Athen. Fast dreißig Jahre hat der Peloponnesische Krieg gedauert, und an seinem Ende steht Sparta triumphierend da, ganz so wie Xenophon es beschrieben hat:

ZITATOR

die mächtigste und berühmteste Stadt in Griechenland.

ERZÄHLER

Warum dieser Ruhm auch heute noch anhält, erklärt die Archäologin Andronike Makres.

ZUSPIELUNG 5 (Andronike Makres)

A: Our modern society has departed from the idea of warfare, because we...

OVERVOICE, WEIBLICH

Wir leben heute im Frieden, deswegen ist der Krieg uns fremd. Aber die archetypischen Elemente des Krieges sind in unserem Gehirn und unserer Psyche verankert. Wenn wir dann einen Film sehen oder eine Geschichte lesen, in der Feinde einmarschieren und es darum geht, das eigene Haus und Land und im Grunde auch die eigenen Werte zu verteidigen – dann versteht man, warum die Schlacht bei den Thermopylen so berühmt und ikonisch ist: sie verkörpert den Sieg einer kleinen Schar über eine Übermacht. Das ist heroisch. Man versetzt sich in diese Situation, gerade weil sie nicht in unsere Realität gehört. Es ist ein Gedankenexperiment.

E. ... because it’s not part of our reality. It’s a mental experiment. (lacht)

ERZÄHLERIN

Auch für die Archäologin hat sich die militärische Niederlage längst in einen moralischen Sieg verwandelt.

Aber was ist nun mit all den berühmten und berüchtigten spartanischen Besonderheiten? Gab es sie oder gab es sie nicht, die strenge militärische Erziehung für Jungen und für Mädchen, die anspruchslose, sprichwörtlich spartanische Lebensweise, die Konformität, den staatlich verordneten Gehorsam?

ERZÄHLER

Fangen wir – ganz wie auch Xenophon in seiner Schrift über die spartanische Ordnung – mit der Erziehung an.

ZITATOR (Übersetzung Herrad)

In den anderen Griechenstädten hält man es für gut, dass die Mädchen still zuhause sitzen und sich mit Wollarbeit beschäftigen. Lykurg aber meinte, dass auch Sklavinnen geeignet wären, Stoff und Kleider herzustellen...

ERZÄHLERIN

Lykurg ist eine wahrscheinlich legendäre Figur. In der Antike gilt er als großer Gesetzgeber, dem Sparta seine staatliche Ordnung verdankt.

ZITATOR (Übersetzung Herrad)

Die wichtigste Aufgabe der freien Bürgerinnen aber wäre es, Kinder zu bekommen. Als erstes bestimmte Lykurg also, dass das weibliche Geschlecht nicht weniger als das männliche seinen Körper stärken sollte. Er richtete Wettrennen und Kräftemessen für Frauen und Männer ein, da er meinte, dass ein kräftiges Elternpaar auch kräftige Kinder bekommen würde.

ERZÄHLER

Was Xenophon hier berichtet, ist geradezu skandalös für antike Verhältnisse. Anständige Bürgerfrauen haben im Haus zu bleiben. In die Außenwelt gehen sie nur zu religiösen Anlässen – die sind allerdings gar nicht mal so selten; es ist also nicht so, dass Griechinnen immer nur im Hause sitzen. Alle außer den reichsten Bauersfrauen packen bei der Ernte mit an. Händlerinnen bieten auf dem Marktplatz ihre Ware feil. Sklavinnen gehen einkaufen.

ERZÄHLERIN

„Draußen“ ist in der Welt der antiken Stadtstaaten der politische, öffentliche Raum, in dem Bürger und Philosophen über Krieg und Politik debattieren. In dem haben Frauen nichts zu suchen. „Draußen“ ist auch der Sportplatz.

Auch der ist kein Ort für Frauen – jedenfalls in Athen. In Sparta schon. Das wissen wir nicht nur von Xenophon. Auch hier kommt uns die Archäologie zur Hilfe. In der Region um Sparta sind mehrere Statuetten gefunden worden, die durchtrainierte junge Frauen beim Wettlauf und beim Tanzen zeigen. Sie tragen eine ärmellose kurze Tunika, die ihre muskulösen Beine frei lässt. Auch das ist in der Antike ganz ungewöhnlich.

ERZÄHLER

Es ist allerdings fraglich, ob der Frauensport den Grund hatte, den Xenophon angibt – das Trainieren des Frauenkörpers für die Geburt gesunder Kinder. Öffentliche sportliche Wettkämpfe in der Antike haben oft einen religiösen Charakter: So zum Beispiel die Olympischen Spiele am Wohnort der griechischen Götter, die zu Ehren des Obergottes Zeus stattfinden.

ERZÄHLERIN

Sparta ist berühmt für seine Frömmigkeit. Hier werden viele Feste für die Götter gefeiert. Religiöse Feste in der Antike sind immer öffentliche Feiern. Es gibt Prozessionen, sportliche Wettkämpfe, Blumen, Musik, Wein, leckeres Essen. Man kann sich das ein bisschen wie ein kirchliches Fest heute in Griechenland oder Italien auf dem Land vorstellen.

ERZÄHLER

In der Komödie „Lysistrate“ verbünden sich athenische und spartanische Frauen, um ein Ende des Peloponnesischen Kriegs herbeizuführen. Ihr Autor, der Athener Aristophanes, spöttelt über die durchtrainierte Spartanerin Lampito – allerdings spöttelt Aristophanes über alles und jeden und nimmt davon auch seine athenischen Landsleute nicht aus. Am Ende des Stücks feiern Spartanerinnen und Spartaner, Athenerinnen und Athener die (fiktive) Versöhnung mit einem Tanz.

ZITATOR beschwingt (Übersetzung nach Johannes Minckwitz, Copyright abgelaufen)

Jubelt im Tanzschritt,

Auf, jubelt leichten Sprunges!

Mein Preislied feiert Sparta,

Welches den Chor für die Götter liebt,

und die stampfenden Tanzfüße.

Wo die Mädchen springen,

Fohlen gleich, staubwirbelnd am Fluss

behend, mit stürmenden Füßen

und fliegenden Haaren...

ERZÄHLERIN

Die Götter sind vom Spott der Komödiendichter ausgenommen, deswegen können wir diese Szene durchaus ernst nehmen. Und so ist es, als hätte sich ein Fenster aufgetan, durch das wir einen kurzen Blick auf das tatsächliche Sparta erhaschen können. Wir sehen die Stadt – nicht sehr groß, und schlicht, die Gebäude bescheiden. Am Eurotas-Fluss, der auch heute noch durch Sparta fließt, hat sich eine Volksmenge versammelt. Die Tempel sind mit Blumengirlanden geschmückt; viele Menschen tragen Blumenkränze. Ein Chor singt. Verkäufer bieten Naschwerk zum Verkauf. Und auf dem weiten Platz am Ufer wirbeln mit fliegenden Haaren die Mädchen im Tanz.

ERZÄHLER

Und was ist mit der Erziehung der Jungen? Xenophon berichtet:

ZITATOR (Übersetzung Herrad)

Wenn der Knabe vom Kind- ins Jugendalter kommt, schrieb Lykurg ihm vor, auch beim Gehen auf der Straße die Hände in seinem Mantel zu verbergen, Schweigen zu bewahren und nichts anzuschauen, sondern die Augen gesenkt zu halten.

Von einem Stein würde man eher einen Laut hören, eher von einer Bronzestatue einen Blick einfangen als von einem dieser Jünglinge; man würde sie für schamhafter halten als die Jungfrauen in ihren Kammern.

ERZÄHLERIN

Schamhafte und züchtige spartanische Jugendliche? Teenager, die brav zu Boden blicken und schamhaft die Hände im Ärmel verbergen? Irgendwie hat man sich die Ausbildung der männlichen Jugend in Sparta anders vorgestellt. Härter. Schweißtreibender. Kriegerischer.

ERZÄHLER

Natürlich gibt es das auch. Die Jugendlichen trainieren auf dem Sportplatz und üben sich darin, Strapazen und Schmerzen auszuhalten. In kleinen Gruppen oder alleine werden sie in die Wildnis geschickt, wo sie sich einen Winter lang behaupten müssen. Wer das erfolgreich meistert, wird unter die Männer aufgenommen. Gedrillt wie in Preußen wird hingegen nicht. Eher kann man das Ethos der antiken Krieger mit dem mittelalterlichen Ritterideal vergleichen. Man denkt sich den Krieg als die edelste und männlichste Beschäftigung, und zugleich als erste Bürgerpflicht.

ERZÄHLERIN

Und hier liegt wohl auch der Grund dafür, dass Xenophon die Zurückhaltung der spartanischen Jünglinge so herausstreicht. Selbstbeherrschung gilt als eine der wichtigsten und edelsten Tugenden. Nur wer sich selbst und seine Leidenschaften im Zaum halten kann, so lehren die Philosophen, ist auch in der Lage, über andere zu herrschen. Die Selbstbeherrschung gilt als schlechthin spartanische Tugend.

ERZÄHLER

Schließlich herrschen in Sparta Aristokraten. Das demokratische Athen hingegen ist bekannt – bisweilen sogar berüchtigt – dafür, dass das Volk seine Meinung immer wieder ändert; dass die Volksversammlung heute ein Todesurteil verhängt, nur um es am nächsten Tage reumütig zurückzunehmen. Wie viel besser ist es doch in Sparta, sagen aristokratische Denker wie Xenophon: dort verstehen sogar die Jugendlichen, ihre Leidenschaften zu zügeln.

ERZÄHLERIN

Gut anderthalb Jahrhunderte gibt Sparta in der griechischen Welt den Ton an: mal gemeinsam mit Athen, mal ganz alleine auf dem Siegertreppchen. Dann ist die Herrlichkeit vorbei. Das Undenkbare geschieht. Spartanische Kämpfer unterliegen in einer offenen Feldschlacht. Das ist noch nie passiert. Die Dreihundert bei den Thermopylen standen einer riesigen Übermacht gegenüber. Wenn seitdem Spartaner gegen andere Heere kämpften, ging das schlimmstenfalls unentschieden aus.

ERZÄHLER

Doch im Jahr 371 in der Schlacht bei Leuktra wird Sparta geschlagen. Es kommt noch schlimmer: das Heer der Thebaner marschiert in Lakonien – der Landschaft, deren Hauptstadt Sparta ist – ein. Feinde im Land, und Sparta ist machtlos. Theben diktiert den Frieden und zwingt die Spartaner, das eroberte Messenien aufzugeben und die versklavten Leibeigenen in die Freiheit zu entlassen.

ERZÄHLERIN

Meist wird an dieser Stelle in den Geschichtsbüchern der Schlussstrich gesetzt. Geschichte wird ab jetzt anderswo gemacht: in Makedonien, von wo demnächst Alexander der Große aufbricht, um die Welt zu erobern. In Rom, wo nicht lange darauf eine neue Weltmacht entsteht, die schließlich – im Jahr 195 vor Christus – auch Sparta ihrem Reich einverleiben wird. Aber Sparta besteht weiter fort. Und es hat immer noch Fans, wie die Archäologin Andronike Makres weiß.

ZUSPIELUNG 6 (Andronike Makres)

A: The Romans added a lot to the stereotype, by reinventing and projecting...

OVERVOICE, WEIBLICH

Die Römer haben das stereotypische Spartabild weiter ausgebaut, indem sie ihre eigenen Vorstellungen darauf projizierten. Wir machen es ja nicht anders: wir gestalten unser Bild von anderen Kulturen ja auch so, wie es am besten zu unseren Vorstellungen und Werten passt. Die Römer mochten beispielsweise die athenische Demokratie nicht, deswegen haben sie die spartanische politische Ordnung gelobt, und die spartanische Disziplin.

E: ... right, their political ideology and the idea of discipline. (reißt etwas ab)

ERZÄHLER

Im ersten Jahrhundert stellt der römische Autor Valerius Maximus eine Sammlung vorbildlicher und abschreckender Beispiele aus der römischen Geschichte zusammen. Er schreibt:

ZITATOR (Übersetzung Herrad)

Unseren Vorfahren war die Genügsamkeit die Mutter ihres Wohlergehens. Feindlich standen sie üppigen Gelagen gegenüber und fremd war ihnen der übermäßige Genuss von Wein ebenso wie von fleischlichen Lüsten. Die Stadt der Spartaner war dem Ernst unserer Vorfahren von allen am nächsten.

ZUSPIELUNG 7 (Andronike Makres)

A: The Spartans cooperated with the Romans in creating the mirage...

OVERVOICE, WEIBLICH

Die Spartaner haben bei der Entwicklung dieses Mythos durchaus mitgemacht, sie haben keinen Widerstand geleistet. Sparta war nur noch eine kleine Stadt, der Ruhm der alten Zeit das einzige, was noch geblieben war. Wir in Athen vermarkten heute die Akropolis; genauso haben es die Spartaner damals gemacht, um sich mit den Römern besser zu stellen.

Die Athener haben Jahrhunderte lang ihre heldenhaften Siege in den Perserkriegen ausgeschlachtet! Man nutzt halt, was man hat. (lacht)

E. ... centuries. So whatever you have to improve your position, you use it.

ERZÄHLERIN

Eines müssen wir aber noch erwähnen: den spartanischen Humor. So sprichwörtlich ist die Schlagfertigkeit der Spartaner, dass es dafür ein eigenes Wort gibt. Lakonien heißt die Landschaft, in der die Stadt liegt. „Lakonisch“ heißt bis heute eine kurze, treffende, oft ironische Bemerkung. Es gibt eine ganze Sammlung lakonischer Aussprüche. Sie zeigen, dass den Spartanern am Ende nicht nur der Ruhm geblieben ist – sondern auch der Stolz.

ZITATOR (Übersetzung Herrad)

Einst wurde ein besiegter Spartaner in die Sklaverei verkauft. Ein Marktbesucher fragte: „Bist du tüchtig, wenn ich dich kaufe?“ – „Ja,” sagte der Spartaner, “und auch, wenn du mich nicht kaufst.”

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