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Als das Tier zum Freund wurde - Geschichte des Haustieres

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Manage episode 401032647 series 2459771
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Im Laufe der Zeit und unter dem Einfluss gesellschaftlicher Veränderung gewinnt das Haustier für den Menschen große emotionale Bedeutung bis hin zum ebenbürtigen Familienmitglied. Autorin: Silke Wolfrum (BR 2019)

Credits
Autorin dieser Folge: Silke Wolfrum
Regie: Rainer Schaller
Es sprachen: Christian Baumann, Hemma Michel, Carsten Fabian
Technik: Roladn Böhm
Redaktion: Bernhard Kastner

Im Interview:
Clemens Wischermann (Professor; Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Konstanz);
Rüdiger Korbel (Professor; Leiter der Klinik für Vögel, Kleinsäuger, Reptilien und Fische, LMU München);
Ernst Günther (Dr.; Autor des Buches "Wenn ich ein Vöglein wär" und Ehrenpräsident der Gesellschaft für arterhaltende Vogelzucht)

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

MUSIK

O-TON 1 Clemens Wischermann

Natürlich ist es auch so, dass die Beziehungen zwischen Mensch und Tier nicht herrschaftsfrei sind. Es gibt ne Ausnahme, mit so einer Ausnahme lebe ich auch zusammen, nämlich Katzen, die eine Katzenklappe haben, mit der sie rausgehen können oder nicht. Das ist sozusagen so das Ideal der freiheitsliebenden Tiervorstellung. Die Katze kommt und geht und wenn sie geht, sagt man zu ihr, ‚komm bitte wieder!‘

O-TON 2 Ernst Günther

Ich habe zum Beispiel in einer größeren Voliere einen Schwarm Zebrafinken fliegen. Wenn Sie diese Vögel in einem Schwarm fliegen haben, dann zeigen sie ein völlig anderes Verhältnis als wenn sie ein Paar in einem Käfig halten. Oder ich vergesellschafte Vögel verschiedener Arten miteinander, sie kommen ja auch in der Natur miteinander vor. Da erlebt man Verhaltensweisen, die man nicht gewusst hat bis dahin. Die Vogelhaltung wie auch die Tierhaltung in den zoologischen Gärten hat zur Kenntnis der Lebensweise der Tiere in erheblichem Maße beigetragen.

O-TON 3 Rüdiger Korbel

Auch wenn hier bei uns in der Klinik ein Schwerpunkt die Vogelhaltung darstellt, bin ich - ich traue es mich kaum zu sagen - aber ich bin ein Katzenmensch und habe hier eine sehr große emotionale Bindung zu Katzen. Wenn ich ein Haustier halten könnte, dann würde ich mir eine Katze zulegen.

MUSIK endet

SPRECHERIN:

Mit ihrer Vorliebe für Katzen liegen sie voll im Trend. Clemens Wischermann, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Konstanz und Professor Rüdiger Korbel, Leiter der Klinik für Vögel, Kleinsäuger, Reptilien und Fische der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Denn die Katze ist momentan mit Abstand das beliebteste Haustier der Deutschen, während Vögel deutlich an Attraktivität verlieren und wohl schon bald auf der Beliebtheitsskala von Reptilien und Kleinsäugern überholt werden. Warum ist das so? Werfen wir zunächst einen Blick zurück zu den Anfängen der Haustierhaltung:

SPRECHER:

Wobei mit Haustier hier diejenigen Tiere gemeint sind, die eng mit dem Menschen zusammenleben - ohne ihm vorrangig von wirtschaftlichem Nutzen zu sein. Wir haben also auf der einen Seite die Nutztiere, wie etwa Schweine, Rinder oder Hühner und auf der anderen die Haustiere oder besser noch Heimtiere, wie etwa Hunde, Katzen, Vögel, Fische, Reptilien und Kleinsäuger.

SPRECHERIN:

Die Ursprünge beider Mensch-Tier-Lebensformen liegen zigtausende Jahre zurück und gehen mit der Sesshaftwerdung des Menschen in der Jungsteinzeit einher:

O-TON 4 Ernst Günther

Jetzt plötzlich schafften Menschen sich Tiere an, weil sie nicht mehr jagen konnten, weil sie nicht mehr wanderten. Und sie mussten jetzt zusehen, dass sie die Tiere beschützen, die sie früher nur gejagt hatten. Sie mussten zusehen, dass ihre Tiere sich fortpflanzen, worum sie sich früher überhaupt nicht zu kümmern brauchten. Und es entstand aus der Jagdbeute ein notwendiger Partner und auf dieser Grundlage entstanden die Freiräume, wo Menschen dann auch sich eines Tieres annehmen konnten, weil sie plötzlich ein Mitempfinden entwickelten zu diesem Tier. Und das hat getragen, bis in unsere Zeit.

SPRECHERIN:

Dr. Ernst Günther, Ehrenpräsident der „Gesellschaft für arterhaltende Vogelzucht“, hat sich für sein Buch „Wenn ich ein Vöglein wär“ mit der Geschichte der Vogelhaltung beschäftigt.

Ihre Anfänge liegen etwa 1.000 v. Chr. im indischen Raum. Viel früher wird der Hund domestiziert. Er wird vor rund 15.000 Jahren zum Begleiter des Menschen und gilt als das älteste Haustier überhaupt.

In Israel gibt es dazu einen spektakulären Fund: Eine vor 12.000 Jahren beerdigte Frau hält einen Hundewelpen eng an sich gedrückt in den Armen, genau so, wie eine Mutter ihr Kind umarmt.

SPRECHER:

War dieser Hund bereits ein Familienmitglied? Eine stark emotionale Beziehung zu Tieren gibt es wohl zu allen Zeiten, dennoch ist eine solche Bindung lange einer privilegierten Schicht vorbehalten und stellt wohl eher die Ausnahme dar, so Clemens Wischermann:

O-TON 5 Clemens Wischermann

Es gibt dann Tiere, die nur sozialen Status demonstrieren sollen, wenn sie an höfische Gesellschaften in Europa zurückdenken, die hatten Menagieren, die hielten exotische Tiere, die sammelten Tierpräparate. Da demonstrierten Tiere Macht, Kraft, politischen Einfluss oder sie können auch Wissen demonstrieren, indem man große Sammlungen anlegte und daran zeigen konnte, wie viel man über die Welt und ihre Lebensformen und ihre Entwicklungen wusste.

Aber im engeren Sinne, das, was ich mit Familienmitgliedern meine, das ist was, was im 19. Jahrhundert einsetzt und sich bis in die Gegenwart entwickelt - und in der Gegenwart zum Massenphänomen wird.

SPRECHERIN:

Es dauert also eine ganze Weile, bis Tiere zum Freund, Kumpan oder eben Familienmitglied werden. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist das Städtewachstum, das im 18. Jahrhundert einsetzt und mit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts stark zunimmt:

O-TON 6 Clemens Wischermann

In den Großstädten verliert sich allmählich die Verbindung zum ländlichen Leben, das ja auf eine ganze andere Art auch ein enges Zusammenleben mit Nutztieren war und in den Städten, in den bürgerlichen Schichten v.a. findet man dann allmählich Tiere. Es gibt die Vögel und Hunde, Hunde werden ganz wichtig. Im 19. Jahrhundert entwickelt sich die moderne Hundezucht und das ist eigentlich die wichtigste Spezies, die nah an die Familie herankommt.

MUSIK m02

SPRECHERIN:

Lange Zeit halten sich höchstens Adlige einen Hund. Für den Rest der Gesellschaft stellen sie eher eine Gefahr dar. Sind herumstreunende Hunderudel doch potentielle Überträger von lebensbedrohlichen Seuchenkrankheiten wie Pest, Lepra oder Pocken. Doch mit der modernen Medizin und der Bekämpfung dieser Krankheiten werden Hunde auch für das Bürgertum interessant.

SPRECHER:

Der Brite Charles Cruft arbeitet Ende des 19. Jahrhunderts für einen Hundekuchenhersteller. Er hat die Idee, durch Hunde- oder später auch Katzen-Schauen die Tiere aufzuwerten, damit ihre Besitzer dann auch mehr Wert auf Futter und Equipment legen. Eine Überlegung, die mehr als aufgeht.

Schon bald ist es in, Rasse-Hunde oder Rasse-Katzen zu halten und zu züchten, mit ihnen über den Laufsteg zu schreiten und Preise zu gewinnen. Die Tiere verhelfen dem Bürger zu Ansehen, sie bieten ihm Aufstiegsmöglichkeiten in der Gesellschaft. Sie sind Statussymbole. Das hierarchische Denken der Gesellschaft spiegelt sich auch in der Tierhaltung wieder: Das „Herrchen“ herrscht über das Tier und bestimmt wie, wann und mit wem es sich fortzupflanzen hat.

SPRECHERIN:

Doch nicht nur Hunde werden in dieser Zeit gezüchtet, sondern auch Vögel. Die Vogelzucht gibt es zwar schon seit dem 16. Jahrhundert in Europa, doch erst im 19. Jahrhundert wird sie zu einem Massenphänomen, so der Vogelexperte Ernst Günther:

O-TON 7 Ernst Günther

Dann begann im 19. Jahrhundert das Auftreten von Mutationen, von farblichen Veränderungen, von neuen Rassen, die es von Natur gar nicht gibt. Und die waren dann Gegenstand der Vogelzüchtervereine, die die massenhaft gezüchtet haben. Der Altvater der Vogelzucht, Karl Ruß, hat gesagt: Vogelzüchtervereine sind so gut wie die Ausstellungen, die sie machen. Die Vogelzüchter haben sich zusammengetan um erstens ihre Vögel zu tauschen und gegenseitig zu verkaufen, weil sie damit auch die Preisgeschichte im Griff hatten. Und zweitens um sich gesellschaftlich darzustellen in Gestalt von Ausstellungen, die gleichzeitig auch der Werbefaktor dafür waren, dass mehr Leute sich diesem Hobby zuwenden.

SPRECHER:

In Europa wurden und werden fast ausschließlich fremdländische, exotische Vögel gehalten und gezüchtet. Besonders beliebt sind Vögel, die sprechen oder besonders schön singen können, wie viele Papageienarten oder der Kanarienvogel. Mit den neuen Reisemöglichkeiten des 19. Jahrhunderts können immer mehr Menschen sich so einen Exoten nach Hause kommen lassen:

O-TON 8 Ernst Günther

Die Weltreisen der Segelschiffe brachten aus allen Ländern, die sie neu kennenlernten, unter anderem auch lebende Tiere mit, weil die sich wahnsinnig gut absetzen ließen. Und wir hatten dann schon Mitte des 19. Jahrhunderts Hunderttausende von Vögeln, die als Importe ins Land kamen. Und dann entstand natürlich ein Markt und die Preise gingen auch zurück und dann konnte auch der kleine Mann sich die Vögel leisten.

MUSIK m03

SPRECHERIN:

Ähnliches gilt für Fische, mit dem Unterschied, dass die Meereswelt bis ins 18. Jahrhundert hinein als ein unheimlicher Ort voller monsterhafter Wesen gilt, vor denen man sich eher gruselt.

Doch im 19. Jahrhundert beginnen Forscher und Wissenschaftler sich für Meerespflanzen und -Tiere zu interessieren und sammeln diese an der Küste.

SPRECHER:

Lange Zeit waren Goldfische und andere robuste Süßwasserfische die einzigen im Haus gehaltenen Fische. Für die Haltung von Meerestieren fehlte schlicht und einfach das Wissen und die dafür nötige Technik. Dies ändert sich nun. Maßgeblich trägt dazu der Engländer Philip Henry Gosse bei. 1854 erscheint sein Buch „Das Aquarium – die Enthüllung der Tiefseewunder“ - das Wort ‚Aquarium‘ stammt übrigens von ihm – und erregt großes Interesse. Im gleichen Jahr wird auch in Deutschland über diesen neuen Apparat unter dem Titel „Der Ocean auf dem Tische“ geschrieben. Das Aquarium sei, so heißt es …

ZITATOR:

… gefüllt mit Leben aus der Tiefe des Meeres, das man nun darin in seinem ganzen, tiefen geheimnisvollen Reichthume auf dem Tische studieren kann, im Schlafrock und Pantoffeln.

SPRECHERIN:

Das unheimliche und unüberschaubare Meer wird nun in eine manierliche und geordnete Form gebracht und dient dem naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, aber durchaus auch der Unterhaltung. Ein Aquarium zu besitzen – egal, ob Salzwasser- oder ein Süßwasseraquarium – gehört zum guten Ton. Es wertet das Wohnzimmer auf und demonstriert, dass sich sein Eigentümer auf der Höhe der Zeit befindet. Zahlreiche Vereine der Aquaristen entstehen. Während man zunächst vor allem Wasserpflanzen und wirbellose Tiere wie Schnecken und Muscheln hält, werden bald Fische immer beliebter. Je farbenprächtiger, desto besser. Das haben sie mit den Vögeln gemein.

MUSIK m04

SPRECHERIN:

Doch der Boom um die Haustiere hat natürlich auch seine Kehrseite. Hunde und Katzen werden nach bestimmten Schönheitsidealen gezüchtet. Eine Entwicklung, an deren Ende Tiere entstehen, wie wir sie heute gut kennen: Der Mops mit Glubschaugen und extrem platter Nase, die unter der Reizung ihrer Hornhaut leidet und permanent nach Luft ringt oder Katzen ohne Fell, die sich nicht mehr vor der Sonne schützen können. Im 19. Jahrhundert setzt auch ein rücksichtsloser Raubbau an der Natur ein, da viele exotische Tiere wie Papageien oder Zierfische Wildfänge sind.

O-TON 9 Ernst Günther

Die Menschheit, speziell die Europäer mit ihrem hohen Lebensstandard, haben in einer Weise auf Naturbestände zugegriffen, das war unerträglich. Und unerträglich war auch zu sehen, wie viele Vögel dabei zugrunde gegangen sind.

SPRECHER:

Ähnliches gilt für die Küsten- und Unterwasserwelt. 1907 zieht Edmund Gosse, der Sohn von Philip Henry Gosse, ein deprimierendes Fazit über eine Entwicklung, die sein Vater - ohne die Folgen zu ahnen oder zu wollen, mit ausgelöst hat:

MUSIK m05

ZITATOR:

Diese Felsenbecken, gesäumt von Korallenalgen, angefüllt mit stillem Wasser, das fast so klar war wie die Luft selbst, reich bestückt mit schönen, sensiblen Lebensformen – es gibt sie nicht mehr, alle sind sie profaniert und geleert und entwürdigt worden. Eine Armee von Sammlern ist über sie hergefallen und hat sie bis auf den letzten Winkel geplündert.

MUSIK

SPRECHERIN:

So ist es nicht verwunderlich, dass schon im 19. Jahrhundert die ersten Tierschutzvereine entstehen. Doch ursprünglich geht es ihnen noch mehr um das Wohl des Menschen als um das Tierwohl:

O-TON 10 Clemens Wischermann

Da gibt es erste Gesetze, die verbieten etwa das Prügeln von Tieren in der Öffentlichkeit, weil man Angst davor hatte, dass diese Grausamkeit gegenüber den Tieren sich in Grausamkeit gegen Menschen verwandeln wird. Da ging es nicht so sehr um die einzelnen Tiere, sondern um Menschen.

SPRECHER:

Doch mit der Zeit rückt immer mehr das Wohl des Tieres in den Vordergrund und der Einfluss der Tierschützer nimmt zu.

Seit 2005 ist der Import von Wildvögeln in die Europäische Union verboten. Auch die Art und Weise, wie man zum Beispiel Vögel hält, hat sich stark verändert, erläutert Rüdiger Korbel:

O-TON 11 Rüdiger Korbel

Beispielsweise weiß man auch heute, dass die Vogelkäfige nicht rund sein dürfen. Da muss man sich auch vor Augen führen, dass der Vogel in einem runden Käfig überhaupt keinen Rückzugsraum hatte, womöglich auch noch von allen Seiten betrachtet werden konnte und dann permanent unter Stress stand.

SPRECHER:

Von Tierschützern stark kritisiert ist auch die auch die Einzelhaltung von Vögeln. Eine Haltungsform, die - so ist sich Ernst Günther sicher - Jahrhunderte lang DIE Haltungsform überhaupt war:

O-TON 12 Ernst Günther

Wenn vor tausend Jahren die Vogelhaltung entstanden ist, dann hat doch niemand Volieren gebaut. Aber vorstellen könnte ich mir eine Prinzessin aus Tausendundeiner Nacht, die in ihren Gemächern ein Körbchen stehen hat mit einem Halsbandsittich. Und dem sie süße Feigen füttert und der sie dafür beplappert. Es hat anteilig an der Vogelhaltung eine unterschiedliche Rolle gespielt und ich bin überzeugt am Anfang war es ausschließlich diese Haltung.

SPRECHERIN:

Tiere hinter Gittern? Das – so sind sich viele Tierfreunde einig – ist überhaupt nicht mehr zeitgemäß und die Diskussionen darüber, wie eine artgerechte Tierhaltung aussehen könnte, sind zahlreich und oft hitzig. Fakt ist, dass die Vogelhaltung aus der Mode gekommen ist und die Vogelzuchtvereine an Mitgliedern verlieren.

Das liegt, so Clemens Wischermann, auch an veränderten Wertvorstellungen, wie man sie am Beispiel der Hunde- und Katzenhaltung sehen kann.

O-TON 13 Clemens Wischermann

Es gibt so um die 7 Millionen Hunde in der Bundesrepublik und 12 Millionen Katzen und das Interessante daran ist, dass es eigentlich immer mehr Hunde gab und weniger Katzen und dieses Zahlenverhältnis hat sich in den letzten 20 Jahren umgekehrt. Hunde stehen für eine hierarchische Gesellschaft mit Abstufungen, Hunde stehen für Treue, Zugehörigkeit und Katzen haben den Ruf, dass sie freiheitsliebend sind und sich nicht sehr disziplinieren lassen, da stehen diese beiden Tiere auch für unterschiedliche Wertigkeiten, für unterschiedliche gesellschaftliche Werte.

SPRECHERIN:

Mag sein, dass der eine oder andere lieber ein Tier hält, das sich frei bewegen kann. Ernst Günther führt für die Abnahme der Vogelhaltung jedoch einen anderen Grund ins Feld.

O-TON 14 Ernst Günther

Vögel sind diejenigen Heimtiere, die die stärkste Bindung des Menschen erfordern. Es gibt nur unter ganz ausgesuchten Bedingungen die Möglichkeit, einen Vogel nicht jeden Tag betreuen zu müssen. Wenn Sie heute eine Schlange oder ein paar Eidechsen oder ein Aquarium haben, dann können Sie ohne weiteres mal drei Tage wegfahren. Bei einem Vogel geht das nicht, ein Vogel muss jeden Tag frisches Wasser bekommen und jeden Tag frisches Futter bekommen.

Hunde kann man mitnehmen. Wo Leute überall Hunde mitnehmen heutzutage! Ich warte darauf, dass ich demnächst in der Oper neben einem Hund sitze und einen Vogel habe ich dort noch nicht gesehen.

SPRECHER:

Rüdiger Korbel, der Leiter der Klinik für Vögel, Kleinsäuger, Reptilien und Zierfische in München, bestätigt diese Einschätzung. Auch wenn es durchaus auch sehr enge Beziehungen zwischen Mensch und Reptil gebe, würden in der Summe Reptilienbesitzer doch weniger Zeit in ihr Tier investieren als Besitzer anderer Tierarten. Während z.B. Hundebesitzer oft alles tun und viel Geld aufbringen, um ihren kranken Hund zu heilen, kaufen sich Reptilienbesitzer eher einfach ein neues Tier, bevor sie ihr Reptil kostenaufwendig behandeln lassen.

O-TON 15 Rüdiger Korbel

Das hat sicher etwas damit zu tun, dass in vielen Fällen - kann man auch nicht pauschalisieren - Patientenbesitzer und Patientenbeziehung alleine schon von der Lebensäußerungen und von den Verhaltensweisen bei einem Reptil, wo die Distanz mit Sicherheit größer ist als beispielsweise bei einem Vogel, der menschliche Lautäußerungen nachmacht und wo es dann bei einem Kleinsäuger, ein Kaninchen beispielsweise, noch sehr viel ausgeprägter ist, das Kindchen Schema, was hier ausgelöst wird und hier die Bereitschaft ist, dass man hier höhere Aufwendungen unternimmt um die Gesundheit des Tieres zu erhalten.

SPRECHERIN:

Je mehr Kommunikation und Nähe mit dem Tier möglich ist, desto leichter wird es zum Familienmitglied. Das ist keine schöne Metapher, sondern ganz real: Haustiere haben Namen, bekommen ausgewähltes Essen, viele schlafen im Bett ihres Besitzers, sie werden mit feinster Ausrüstung versehen und erhalten neben dem Impfpass eine exzellente Gesundheitsversorgung. Rüdiger Korbel beschreibt das so:

O-TON 16 Rüdiger Korbel

Radiologische Untersuchung, Röntgenbilder natürlich, Ultraschalluntersuchung, Computertomographie, Kernspintomographie, also alles was in der Humanmedizin eingesetzt wird, wird auch bei der Tierversorgung grundsätzlich und auch im Heimtierbereich eingesetzt. Die Kosten, die damit verbunden sind, sind teilweise ganz erheblich.

SPRECHER:

Und genauso wie es heute möglich ist, über ein künstliches Gelenk für sein Haustier nachzudenken, genauso selbstverständlich ist es, um sein Haustier zu trauern, wie um einen Menschen. Denn die Gefühle für ein Tier sind eben oft die gleichen.

O-TON 17 Rüdiger Korbel

Wenn ein Tier stirbt oder schwerkrank zu uns in der Klinik vorgestellt wird, dann sind das teilweise wirklich dramatische Situationen, die hier gegeben sind und die dann Situationen erfordern, wo es nicht um die tierärztliche Behandlung mehr geht, sondern einfach um die Patientenbesitzer-Betreuung.

Es gibt sogar einzelne Firmen, die hier anbieten eine Bestattung von Tieren nach ihrem Tod und was häufig dann als Bitte an uns herangetragen wird, dass dann Tiere ausgestopft werden, damit sie über ihren Tod hinaus noch physisch zumindest da sind.

SPRECHER:

Wie sehr Menschen an ihren Haustieren hängen und was sie alles für sie zu tun bereit sind, wirkt oft kurios. Manch einer bringt seine Schildkröte ins Wellness-Center, um ihr eine Entspannungsmassage zu gönnen oder lässt den Hund mittels Laufbänder oder Aqua-Aerobic trainieren, ganz zu schweigen von all den Behandlungen, die so manches Tier im Beauty-Bereich erwarten. Tierbesitzer skypen mit ihren Liebsten, wenn sie getrennt sind oder schreiben ihnen Postkarten. Für den einen ersetzt das Tier ein Kind für den anderen vielleicht den Ehemann oder die Ehefrau? Fakt ist, dass Tiere in vielen Haushalten zum Lebensmittelpunkt werden.

SPRECHER:

Die Gründe dafür sind vielfältig. Während Tiere im 19. Jahrhundert noch dazu dienen, in der Leistungsgesellschaft mithalten zu können, sollen sie heute eher helfen, ihr zu entfliehen.

Tiere dienen der Entlastung, halten körperlich fit, bieten unproblematische Nähe ein Tier gibt keine Widerworte! oder fungieren als Kontaktvermittler. Wer einen Hund spazieren führt, bleibt selten allein.

SPRECHERIN:

Und während man früher noch stolz den Rassehund vorzeigte, ist es heute angesagt einen Mischling aus dem Tierheim zu holen. Das fühlt sich für viele inzwischen besser an.

MUSIK m03

SPRECHER:

Es ist wissenschaftlich mehrfach bewiesen, dass Tiere uns Menschen guttun. Wie sehr das auch anders herum der Fall ist, ist eine Frage, die heute eingehend diskutiert wird. Natürlich auch im Zusammenhang mit der Massentierhaltung, die im krassem Gegensatz zur Heimtierhaltung steht. Vielleicht kann das enge und liebevolle Miteinander mit Haustieren, wie es heute üblich ist, ja Auslöser sein für eine Entwicklung, an deren Ende man auch dem Tier und SEINEN Bedürfnissen möglichst gerecht wird. Ein Umdenken in diese Richtung gibt es auf alle Fälle längst und zeigt gerade im Bereich der Vogelhaltung erste Früchte. Noch einmal Ernst Günther:

O-TON 19 Ernst Günther

In den 60er und 70er Jahren hat der Vogelhandel jeden Vogel in der Welt gefangen, den der Vogelhalter haben und bezahlen wollte. Und das ist einfach nicht schön. Das ändert sich im Moment gerade grundlegend. Es gibt eine Gruppe von Vogelzüchtern, die sich vollkommen von diesen Traditionen trennen und jetzt dazu übergehen Vögel zu halten und zu vermehren im Dienste der Arterhaltung, sich also direkt den zoologischen Einrichtungen als Partner zugesellen und Vögel so halten und pflegen, dass sie, wie man so schön sagt, als genetische Reserve für eventuell untergehende Arten in der Welt gelten können.

MUSIK m03 endet

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Im Laufe der Zeit und unter dem Einfluss gesellschaftlicher Veränderung gewinnt das Haustier für den Menschen große emotionale Bedeutung bis hin zum ebenbürtigen Familienmitglied. Autorin: Silke Wolfrum (BR 2019)

Credits
Autorin dieser Folge: Silke Wolfrum
Regie: Rainer Schaller
Es sprachen: Christian Baumann, Hemma Michel, Carsten Fabian
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Clemens Wischermann (Professor; Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Konstanz);
Rüdiger Korbel (Professor; Leiter der Klinik für Vögel, Kleinsäuger, Reptilien und Fische, LMU München);
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

MUSIK

O-TON 1 Clemens Wischermann

Natürlich ist es auch so, dass die Beziehungen zwischen Mensch und Tier nicht herrschaftsfrei sind. Es gibt ne Ausnahme, mit so einer Ausnahme lebe ich auch zusammen, nämlich Katzen, die eine Katzenklappe haben, mit der sie rausgehen können oder nicht. Das ist sozusagen so das Ideal der freiheitsliebenden Tiervorstellung. Die Katze kommt und geht und wenn sie geht, sagt man zu ihr, ‚komm bitte wieder!‘

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O-TON 3 Rüdiger Korbel

Auch wenn hier bei uns in der Klinik ein Schwerpunkt die Vogelhaltung darstellt, bin ich - ich traue es mich kaum zu sagen - aber ich bin ein Katzenmensch und habe hier eine sehr große emotionale Bindung zu Katzen. Wenn ich ein Haustier halten könnte, dann würde ich mir eine Katze zulegen.

MUSIK endet

SPRECHERIN:

Mit ihrer Vorliebe für Katzen liegen sie voll im Trend. Clemens Wischermann, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Konstanz und Professor Rüdiger Korbel, Leiter der Klinik für Vögel, Kleinsäuger, Reptilien und Fische der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Denn die Katze ist momentan mit Abstand das beliebteste Haustier der Deutschen, während Vögel deutlich an Attraktivität verlieren und wohl schon bald auf der Beliebtheitsskala von Reptilien und Kleinsäugern überholt werden. Warum ist das so? Werfen wir zunächst einen Blick zurück zu den Anfängen der Haustierhaltung:

SPRECHER:

Wobei mit Haustier hier diejenigen Tiere gemeint sind, die eng mit dem Menschen zusammenleben - ohne ihm vorrangig von wirtschaftlichem Nutzen zu sein. Wir haben also auf der einen Seite die Nutztiere, wie etwa Schweine, Rinder oder Hühner und auf der anderen die Haustiere oder besser noch Heimtiere, wie etwa Hunde, Katzen, Vögel, Fische, Reptilien und Kleinsäuger.

SPRECHERIN:

Die Ursprünge beider Mensch-Tier-Lebensformen liegen zigtausende Jahre zurück und gehen mit der Sesshaftwerdung des Menschen in der Jungsteinzeit einher:

O-TON 4 Ernst Günther

Jetzt plötzlich schafften Menschen sich Tiere an, weil sie nicht mehr jagen konnten, weil sie nicht mehr wanderten. Und sie mussten jetzt zusehen, dass sie die Tiere beschützen, die sie früher nur gejagt hatten. Sie mussten zusehen, dass ihre Tiere sich fortpflanzen, worum sie sich früher überhaupt nicht zu kümmern brauchten. Und es entstand aus der Jagdbeute ein notwendiger Partner und auf dieser Grundlage entstanden die Freiräume, wo Menschen dann auch sich eines Tieres annehmen konnten, weil sie plötzlich ein Mitempfinden entwickelten zu diesem Tier. Und das hat getragen, bis in unsere Zeit.

SPRECHERIN:

Dr. Ernst Günther, Ehrenpräsident der „Gesellschaft für arterhaltende Vogelzucht“, hat sich für sein Buch „Wenn ich ein Vöglein wär“ mit der Geschichte der Vogelhaltung beschäftigt.

Ihre Anfänge liegen etwa 1.000 v. Chr. im indischen Raum. Viel früher wird der Hund domestiziert. Er wird vor rund 15.000 Jahren zum Begleiter des Menschen und gilt als das älteste Haustier überhaupt.

In Israel gibt es dazu einen spektakulären Fund: Eine vor 12.000 Jahren beerdigte Frau hält einen Hundewelpen eng an sich gedrückt in den Armen, genau so, wie eine Mutter ihr Kind umarmt.

SPRECHER:

War dieser Hund bereits ein Familienmitglied? Eine stark emotionale Beziehung zu Tieren gibt es wohl zu allen Zeiten, dennoch ist eine solche Bindung lange einer privilegierten Schicht vorbehalten und stellt wohl eher die Ausnahme dar, so Clemens Wischermann:

O-TON 5 Clemens Wischermann

Es gibt dann Tiere, die nur sozialen Status demonstrieren sollen, wenn sie an höfische Gesellschaften in Europa zurückdenken, die hatten Menagieren, die hielten exotische Tiere, die sammelten Tierpräparate. Da demonstrierten Tiere Macht, Kraft, politischen Einfluss oder sie können auch Wissen demonstrieren, indem man große Sammlungen anlegte und daran zeigen konnte, wie viel man über die Welt und ihre Lebensformen und ihre Entwicklungen wusste.

Aber im engeren Sinne, das, was ich mit Familienmitgliedern meine, das ist was, was im 19. Jahrhundert einsetzt und sich bis in die Gegenwart entwickelt - und in der Gegenwart zum Massenphänomen wird.

SPRECHERIN:

Es dauert also eine ganze Weile, bis Tiere zum Freund, Kumpan oder eben Familienmitglied werden. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist das Städtewachstum, das im 18. Jahrhundert einsetzt und mit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts stark zunimmt:

O-TON 6 Clemens Wischermann

In den Großstädten verliert sich allmählich die Verbindung zum ländlichen Leben, das ja auf eine ganze andere Art auch ein enges Zusammenleben mit Nutztieren war und in den Städten, in den bürgerlichen Schichten v.a. findet man dann allmählich Tiere. Es gibt die Vögel und Hunde, Hunde werden ganz wichtig. Im 19. Jahrhundert entwickelt sich die moderne Hundezucht und das ist eigentlich die wichtigste Spezies, die nah an die Familie herankommt.

MUSIK m02

SPRECHERIN:

Lange Zeit halten sich höchstens Adlige einen Hund. Für den Rest der Gesellschaft stellen sie eher eine Gefahr dar. Sind herumstreunende Hunderudel doch potentielle Überträger von lebensbedrohlichen Seuchenkrankheiten wie Pest, Lepra oder Pocken. Doch mit der modernen Medizin und der Bekämpfung dieser Krankheiten werden Hunde auch für das Bürgertum interessant.

SPRECHER:

Der Brite Charles Cruft arbeitet Ende des 19. Jahrhunderts für einen Hundekuchenhersteller. Er hat die Idee, durch Hunde- oder später auch Katzen-Schauen die Tiere aufzuwerten, damit ihre Besitzer dann auch mehr Wert auf Futter und Equipment legen. Eine Überlegung, die mehr als aufgeht.

Schon bald ist es in, Rasse-Hunde oder Rasse-Katzen zu halten und zu züchten, mit ihnen über den Laufsteg zu schreiten und Preise zu gewinnen. Die Tiere verhelfen dem Bürger zu Ansehen, sie bieten ihm Aufstiegsmöglichkeiten in der Gesellschaft. Sie sind Statussymbole. Das hierarchische Denken der Gesellschaft spiegelt sich auch in der Tierhaltung wieder: Das „Herrchen“ herrscht über das Tier und bestimmt wie, wann und mit wem es sich fortzupflanzen hat.

SPRECHERIN:

Doch nicht nur Hunde werden in dieser Zeit gezüchtet, sondern auch Vögel. Die Vogelzucht gibt es zwar schon seit dem 16. Jahrhundert in Europa, doch erst im 19. Jahrhundert wird sie zu einem Massenphänomen, so der Vogelexperte Ernst Günther:

O-TON 7 Ernst Günther

Dann begann im 19. Jahrhundert das Auftreten von Mutationen, von farblichen Veränderungen, von neuen Rassen, die es von Natur gar nicht gibt. Und die waren dann Gegenstand der Vogelzüchtervereine, die die massenhaft gezüchtet haben. Der Altvater der Vogelzucht, Karl Ruß, hat gesagt: Vogelzüchtervereine sind so gut wie die Ausstellungen, die sie machen. Die Vogelzüchter haben sich zusammengetan um erstens ihre Vögel zu tauschen und gegenseitig zu verkaufen, weil sie damit auch die Preisgeschichte im Griff hatten. Und zweitens um sich gesellschaftlich darzustellen in Gestalt von Ausstellungen, die gleichzeitig auch der Werbefaktor dafür waren, dass mehr Leute sich diesem Hobby zuwenden.

SPRECHER:

In Europa wurden und werden fast ausschließlich fremdländische, exotische Vögel gehalten und gezüchtet. Besonders beliebt sind Vögel, die sprechen oder besonders schön singen können, wie viele Papageienarten oder der Kanarienvogel. Mit den neuen Reisemöglichkeiten des 19. Jahrhunderts können immer mehr Menschen sich so einen Exoten nach Hause kommen lassen:

O-TON 8 Ernst Günther

Die Weltreisen der Segelschiffe brachten aus allen Ländern, die sie neu kennenlernten, unter anderem auch lebende Tiere mit, weil die sich wahnsinnig gut absetzen ließen. Und wir hatten dann schon Mitte des 19. Jahrhunderts Hunderttausende von Vögeln, die als Importe ins Land kamen. Und dann entstand natürlich ein Markt und die Preise gingen auch zurück und dann konnte auch der kleine Mann sich die Vögel leisten.

MUSIK m03

SPRECHERIN:

Ähnliches gilt für Fische, mit dem Unterschied, dass die Meereswelt bis ins 18. Jahrhundert hinein als ein unheimlicher Ort voller monsterhafter Wesen gilt, vor denen man sich eher gruselt.

Doch im 19. Jahrhundert beginnen Forscher und Wissenschaftler sich für Meerespflanzen und -Tiere zu interessieren und sammeln diese an der Küste.

SPRECHER:

Lange Zeit waren Goldfische und andere robuste Süßwasserfische die einzigen im Haus gehaltenen Fische. Für die Haltung von Meerestieren fehlte schlicht und einfach das Wissen und die dafür nötige Technik. Dies ändert sich nun. Maßgeblich trägt dazu der Engländer Philip Henry Gosse bei. 1854 erscheint sein Buch „Das Aquarium – die Enthüllung der Tiefseewunder“ - das Wort ‚Aquarium‘ stammt übrigens von ihm – und erregt großes Interesse. Im gleichen Jahr wird auch in Deutschland über diesen neuen Apparat unter dem Titel „Der Ocean auf dem Tische“ geschrieben. Das Aquarium sei, so heißt es …

ZITATOR:

… gefüllt mit Leben aus der Tiefe des Meeres, das man nun darin in seinem ganzen, tiefen geheimnisvollen Reichthume auf dem Tische studieren kann, im Schlafrock und Pantoffeln.

SPRECHERIN:

Das unheimliche und unüberschaubare Meer wird nun in eine manierliche und geordnete Form gebracht und dient dem naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, aber durchaus auch der Unterhaltung. Ein Aquarium zu besitzen – egal, ob Salzwasser- oder ein Süßwasseraquarium – gehört zum guten Ton. Es wertet das Wohnzimmer auf und demonstriert, dass sich sein Eigentümer auf der Höhe der Zeit befindet. Zahlreiche Vereine der Aquaristen entstehen. Während man zunächst vor allem Wasserpflanzen und wirbellose Tiere wie Schnecken und Muscheln hält, werden bald Fische immer beliebter. Je farbenprächtiger, desto besser. Das haben sie mit den Vögeln gemein.

MUSIK m04

SPRECHERIN:

Doch der Boom um die Haustiere hat natürlich auch seine Kehrseite. Hunde und Katzen werden nach bestimmten Schönheitsidealen gezüchtet. Eine Entwicklung, an deren Ende Tiere entstehen, wie wir sie heute gut kennen: Der Mops mit Glubschaugen und extrem platter Nase, die unter der Reizung ihrer Hornhaut leidet und permanent nach Luft ringt oder Katzen ohne Fell, die sich nicht mehr vor der Sonne schützen können. Im 19. Jahrhundert setzt auch ein rücksichtsloser Raubbau an der Natur ein, da viele exotische Tiere wie Papageien oder Zierfische Wildfänge sind.

O-TON 9 Ernst Günther

Die Menschheit, speziell die Europäer mit ihrem hohen Lebensstandard, haben in einer Weise auf Naturbestände zugegriffen, das war unerträglich. Und unerträglich war auch zu sehen, wie viele Vögel dabei zugrunde gegangen sind.

SPRECHER:

Ähnliches gilt für die Küsten- und Unterwasserwelt. 1907 zieht Edmund Gosse, der Sohn von Philip Henry Gosse, ein deprimierendes Fazit über eine Entwicklung, die sein Vater - ohne die Folgen zu ahnen oder zu wollen, mit ausgelöst hat:

MUSIK m05

ZITATOR:

Diese Felsenbecken, gesäumt von Korallenalgen, angefüllt mit stillem Wasser, das fast so klar war wie die Luft selbst, reich bestückt mit schönen, sensiblen Lebensformen – es gibt sie nicht mehr, alle sind sie profaniert und geleert und entwürdigt worden. Eine Armee von Sammlern ist über sie hergefallen und hat sie bis auf den letzten Winkel geplündert.

MUSIK

SPRECHERIN:

So ist es nicht verwunderlich, dass schon im 19. Jahrhundert die ersten Tierschutzvereine entstehen. Doch ursprünglich geht es ihnen noch mehr um das Wohl des Menschen als um das Tierwohl:

O-TON 10 Clemens Wischermann

Da gibt es erste Gesetze, die verbieten etwa das Prügeln von Tieren in der Öffentlichkeit, weil man Angst davor hatte, dass diese Grausamkeit gegenüber den Tieren sich in Grausamkeit gegen Menschen verwandeln wird. Da ging es nicht so sehr um die einzelnen Tiere, sondern um Menschen.

SPRECHER:

Doch mit der Zeit rückt immer mehr das Wohl des Tieres in den Vordergrund und der Einfluss der Tierschützer nimmt zu.

Seit 2005 ist der Import von Wildvögeln in die Europäische Union verboten. Auch die Art und Weise, wie man zum Beispiel Vögel hält, hat sich stark verändert, erläutert Rüdiger Korbel:

O-TON 11 Rüdiger Korbel

Beispielsweise weiß man auch heute, dass die Vogelkäfige nicht rund sein dürfen. Da muss man sich auch vor Augen führen, dass der Vogel in einem runden Käfig überhaupt keinen Rückzugsraum hatte, womöglich auch noch von allen Seiten betrachtet werden konnte und dann permanent unter Stress stand.

SPRECHER:

Von Tierschützern stark kritisiert ist auch die auch die Einzelhaltung von Vögeln. Eine Haltungsform, die - so ist sich Ernst Günther sicher - Jahrhunderte lang DIE Haltungsform überhaupt war:

O-TON 12 Ernst Günther

Wenn vor tausend Jahren die Vogelhaltung entstanden ist, dann hat doch niemand Volieren gebaut. Aber vorstellen könnte ich mir eine Prinzessin aus Tausendundeiner Nacht, die in ihren Gemächern ein Körbchen stehen hat mit einem Halsbandsittich. Und dem sie süße Feigen füttert und der sie dafür beplappert. Es hat anteilig an der Vogelhaltung eine unterschiedliche Rolle gespielt und ich bin überzeugt am Anfang war es ausschließlich diese Haltung.

SPRECHERIN:

Tiere hinter Gittern? Das – so sind sich viele Tierfreunde einig – ist überhaupt nicht mehr zeitgemäß und die Diskussionen darüber, wie eine artgerechte Tierhaltung aussehen könnte, sind zahlreich und oft hitzig. Fakt ist, dass die Vogelhaltung aus der Mode gekommen ist und die Vogelzuchtvereine an Mitgliedern verlieren.

Das liegt, so Clemens Wischermann, auch an veränderten Wertvorstellungen, wie man sie am Beispiel der Hunde- und Katzenhaltung sehen kann.

O-TON 13 Clemens Wischermann

Es gibt so um die 7 Millionen Hunde in der Bundesrepublik und 12 Millionen Katzen und das Interessante daran ist, dass es eigentlich immer mehr Hunde gab und weniger Katzen und dieses Zahlenverhältnis hat sich in den letzten 20 Jahren umgekehrt. Hunde stehen für eine hierarchische Gesellschaft mit Abstufungen, Hunde stehen für Treue, Zugehörigkeit und Katzen haben den Ruf, dass sie freiheitsliebend sind und sich nicht sehr disziplinieren lassen, da stehen diese beiden Tiere auch für unterschiedliche Wertigkeiten, für unterschiedliche gesellschaftliche Werte.

SPRECHERIN:

Mag sein, dass der eine oder andere lieber ein Tier hält, das sich frei bewegen kann. Ernst Günther führt für die Abnahme der Vogelhaltung jedoch einen anderen Grund ins Feld.

O-TON 14 Ernst Günther

Vögel sind diejenigen Heimtiere, die die stärkste Bindung des Menschen erfordern. Es gibt nur unter ganz ausgesuchten Bedingungen die Möglichkeit, einen Vogel nicht jeden Tag betreuen zu müssen. Wenn Sie heute eine Schlange oder ein paar Eidechsen oder ein Aquarium haben, dann können Sie ohne weiteres mal drei Tage wegfahren. Bei einem Vogel geht das nicht, ein Vogel muss jeden Tag frisches Wasser bekommen und jeden Tag frisches Futter bekommen.

Hunde kann man mitnehmen. Wo Leute überall Hunde mitnehmen heutzutage! Ich warte darauf, dass ich demnächst in der Oper neben einem Hund sitze und einen Vogel habe ich dort noch nicht gesehen.

SPRECHER:

Rüdiger Korbel, der Leiter der Klinik für Vögel, Kleinsäuger, Reptilien und Zierfische in München, bestätigt diese Einschätzung. Auch wenn es durchaus auch sehr enge Beziehungen zwischen Mensch und Reptil gebe, würden in der Summe Reptilienbesitzer doch weniger Zeit in ihr Tier investieren als Besitzer anderer Tierarten. Während z.B. Hundebesitzer oft alles tun und viel Geld aufbringen, um ihren kranken Hund zu heilen, kaufen sich Reptilienbesitzer eher einfach ein neues Tier, bevor sie ihr Reptil kostenaufwendig behandeln lassen.

O-TON 15 Rüdiger Korbel

Das hat sicher etwas damit zu tun, dass in vielen Fällen - kann man auch nicht pauschalisieren - Patientenbesitzer und Patientenbeziehung alleine schon von der Lebensäußerungen und von den Verhaltensweisen bei einem Reptil, wo die Distanz mit Sicherheit größer ist als beispielsweise bei einem Vogel, der menschliche Lautäußerungen nachmacht und wo es dann bei einem Kleinsäuger, ein Kaninchen beispielsweise, noch sehr viel ausgeprägter ist, das Kindchen Schema, was hier ausgelöst wird und hier die Bereitschaft ist, dass man hier höhere Aufwendungen unternimmt um die Gesundheit des Tieres zu erhalten.

SPRECHERIN:

Je mehr Kommunikation und Nähe mit dem Tier möglich ist, desto leichter wird es zum Familienmitglied. Das ist keine schöne Metapher, sondern ganz real: Haustiere haben Namen, bekommen ausgewähltes Essen, viele schlafen im Bett ihres Besitzers, sie werden mit feinster Ausrüstung versehen und erhalten neben dem Impfpass eine exzellente Gesundheitsversorgung. Rüdiger Korbel beschreibt das so:

O-TON 16 Rüdiger Korbel

Radiologische Untersuchung, Röntgenbilder natürlich, Ultraschalluntersuchung, Computertomographie, Kernspintomographie, also alles was in der Humanmedizin eingesetzt wird, wird auch bei der Tierversorgung grundsätzlich und auch im Heimtierbereich eingesetzt. Die Kosten, die damit verbunden sind, sind teilweise ganz erheblich.

SPRECHER:

Und genauso wie es heute möglich ist, über ein künstliches Gelenk für sein Haustier nachzudenken, genauso selbstverständlich ist es, um sein Haustier zu trauern, wie um einen Menschen. Denn die Gefühle für ein Tier sind eben oft die gleichen.

O-TON 17 Rüdiger Korbel

Wenn ein Tier stirbt oder schwerkrank zu uns in der Klinik vorgestellt wird, dann sind das teilweise wirklich dramatische Situationen, die hier gegeben sind und die dann Situationen erfordern, wo es nicht um die tierärztliche Behandlung mehr geht, sondern einfach um die Patientenbesitzer-Betreuung.

Es gibt sogar einzelne Firmen, die hier anbieten eine Bestattung von Tieren nach ihrem Tod und was häufig dann als Bitte an uns herangetragen wird, dass dann Tiere ausgestopft werden, damit sie über ihren Tod hinaus noch physisch zumindest da sind.

SPRECHER:

Wie sehr Menschen an ihren Haustieren hängen und was sie alles für sie zu tun bereit sind, wirkt oft kurios. Manch einer bringt seine Schildkröte ins Wellness-Center, um ihr eine Entspannungsmassage zu gönnen oder lässt den Hund mittels Laufbänder oder Aqua-Aerobic trainieren, ganz zu schweigen von all den Behandlungen, die so manches Tier im Beauty-Bereich erwarten. Tierbesitzer skypen mit ihren Liebsten, wenn sie getrennt sind oder schreiben ihnen Postkarten. Für den einen ersetzt das Tier ein Kind für den anderen vielleicht den Ehemann oder die Ehefrau? Fakt ist, dass Tiere in vielen Haushalten zum Lebensmittelpunkt werden.

SPRECHER:

Die Gründe dafür sind vielfältig. Während Tiere im 19. Jahrhundert noch dazu dienen, in der Leistungsgesellschaft mithalten zu können, sollen sie heute eher helfen, ihr zu entfliehen.

Tiere dienen der Entlastung, halten körperlich fit, bieten unproblematische Nähe ein Tier gibt keine Widerworte! oder fungieren als Kontaktvermittler. Wer einen Hund spazieren führt, bleibt selten allein.

SPRECHERIN:

Und während man früher noch stolz den Rassehund vorzeigte, ist es heute angesagt einen Mischling aus dem Tierheim zu holen. Das fühlt sich für viele inzwischen besser an.

MUSIK m03

SPRECHER:

Es ist wissenschaftlich mehrfach bewiesen, dass Tiere uns Menschen guttun. Wie sehr das auch anders herum der Fall ist, ist eine Frage, die heute eingehend diskutiert wird. Natürlich auch im Zusammenhang mit der Massentierhaltung, die im krassem Gegensatz zur Heimtierhaltung steht. Vielleicht kann das enge und liebevolle Miteinander mit Haustieren, wie es heute üblich ist, ja Auslöser sein für eine Entwicklung, an deren Ende man auch dem Tier und SEINEN Bedürfnissen möglichst gerecht wird. Ein Umdenken in diese Richtung gibt es auf alle Fälle längst und zeigt gerade im Bereich der Vogelhaltung erste Früchte. Noch einmal Ernst Günther:

O-TON 19 Ernst Günther

In den 60er und 70er Jahren hat der Vogelhandel jeden Vogel in der Welt gefangen, den der Vogelhalter haben und bezahlen wollte. Und das ist einfach nicht schön. Das ändert sich im Moment gerade grundlegend. Es gibt eine Gruppe von Vogelzüchtern, die sich vollkommen von diesen Traditionen trennen und jetzt dazu übergehen Vögel zu halten und zu vermehren im Dienste der Arterhaltung, sich also direkt den zoologischen Einrichtungen als Partner zugesellen und Vögel so halten und pflegen, dass sie, wie man so schön sagt, als genetische Reserve für eventuell untergehende Arten in der Welt gelten können.

MUSIK m03 endet

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