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Abstinenzregel

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Die Abstinenzregel in Beratung und Therapie

Die Abstinenzregel in Beratung und Therapie

In der heutigen Folge geht es um die so genannten Abstinenzregeln und ihre Bedeutung für die Beratung und die Therapie. Um sich diesem Thema einmal nicht zu theoretisch zu nähern, möchte ich heute mit einer persönliche Erfahrung anfangen.

Im Rahmen meines Studiums zum Mediator mussten wir immer wieder Fälle vorstellen, in denen wir bereits selbständig Konflikte geschlichtet hatten.
Als es an mir war einen Fall vorzustellen, berichtete ich von einem Konflikte in der KiTa meiner Tochter. Die Einzelheiten der Angelegenheit sind natürlich vertraulich. Aber ich kann soviel sagen, dass es sich dabei um eine Mediation im Arbeitsrecht handelte: Ein Mitarbeiter hatte mit Kündigung gedroht. Durch die Mediation gelang es, die Sache ins Reine zu bringen und er blieb der KiTa erhalten.

Alle Beteiligten — inclusive mir — waren mit dem Ergebnis zufrieden. Doch während der Supervisionsrunde warf man mir vor, dass ich nicht selbstlos und unbeteiligt an den Konflikt heran gegangen wäre. Ganz im Gegenteil, der Vorwurf lautete, dass ich zielgerichtet vorgegangen wäre, da ich ja selbst von der erarbeiteten Konfliktlösung profitiert hätte.

Ich war erstaunt und mir keiner Schuld bewusst, doch die Argumentation war nicht ganz unbegründet: Wenn der Mitarbeiter gegangen wäre, wäre in der KiTa ein personeller Engpass entstanden. Darunter hätte möglicherweise meine Tochter und damit ich selbst auch gelitten. Indem ich also die vorliegende Lösung erarbeitet habe, habe ich nicht nur die Interessen der Konfliktparteien im Auge gehabt, sondern auch meine eigenen Interessen vertreten.

Diese Argumentation brachte mich ins Grübeln. Wo beginnt das Eigeninteresse und wo hört es auf? Und steckt in jeder Handlung nicht immer auch ein Fünkchen Eigeninteresse? Und wo beginnt oder endet das Eigeninteresse in meiner Tätigkeit als Gesprächstherapeut?

Genau diese Fragen wollen wir in der heutigen Folge beantworten. Denn auch bei der so genannten Abstinenzregeln geht es um das Abwägen von eigenen und fremden Interessen. Aber klären wir erstmal, was „Abstinenz“ eigentlich bedeutet.

Und nun zurück zum Thema: Der Begriff Abstinenz bedeutet eigentlich „Enthaltung“ oder „Verzicht“. Den Begriff kennt wohl jeder im Zusammenhang mit der katholischen Kirche. Man spricht dort von sexueller Abstinenz, also dem bewussten Verzicht auf sexuelle Betätigung. Jemand der auf den Konsum von Alkohol verzichtet, wird ebenfalls häufig als Abstinenzler bezeichnet.

Im Rahmen der Psychotherapie wird der Begriff der Abstinenz sowohl auf den Patienten, als auch auf den Therapeuten angewendet. Schauen wir uns das mal etwas genauer an:

Auf den Patienten bezogen bedeutet Abstinenz, dass der Therapeut dem Klienten bestimmte Handlungen verbieten muss, die den therapeutischen Erfolg gefährden könnten.

Was bedeutet das konkret? Der Therapeut darf beispielsweise nicht auf Forderungen des Patienten eingehen, die die unmittelbare therapeutische Beziehung übersteigen. Er darf zum Beispiel keine Auskünfte über die eigene Person geben, weil der Therapeut dadurch seinen neutralen Status verlieren könnte. Ein Therapeut ist kein anteilnehmender Freund. Sie ist vielmehr eine neutrale Fachfrau, die sich dem Patienten ohne Vorbehalte und ohne eigene Interessen widmet.

Der Patient darf auch nicht in Versuchung kommen, sich über die therapeutische Situation zu erheben. Er darf zum Beispiel nicht anfangen, die Therapie von außen betrachten zu wollen. Denn das ist der erste Schritt dazu, sich selbst therapieren zu wollen. Und eine Selbst-Therapie funktioniert leider nicht.

Narzistische Bedürfnisse des Patienten können sich auch in Form von erotischen Interessen an dem Therapeuten oder der Therapeutin äußern. Diese erotischen Interessen in aller Deutlichkeit zu verweigern, gehört ebenfalls zu der Abstinenzregel. Erotische Beziehungen zwischen Patient und Therapeut sind absolut tabu!

Hin und wieder kann es auch vorkommen, dass der Patient anbietet das vereinbarte Honorar zu erhöhen. Auch hier greift die Abstinenzregel: Einerseits würde die therapeutische Neutralität verletzt, andererseite könnte der Patient hierdurch glauben, dass ihm von nun an ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit zustünde.

Schauen wir uns als nächstes die Abstinenzregel aus der Sicht des Therapeuten an: Im Hinblick auf dem Therapeuten wiederum gelten natürlich ebenfalls Einschränkungen:
Auch der Therapeutin sind bestimmte Abstinenzen verordnet, die bei Nichteinhaltung dem Patienten schaden und rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können. Grundsätzlich ist dem Therapeuten die Befriedigung aller persönlichen Bedürfnisse verboten: An erster Stelle steht hier die Befriedigung sexueller oder sinnlicher Bedürfnisse. Tatsächlich ist eine Therapie zumindest phasenweise ein ungeheuer intimer Vorgang. In den meisten Fällen sind Therapeuten und Patienten hierbei allein. Die Intimität der Situation kann dann schnell mit einer erotischen Situation verwechselt werden.

In Deutschland kann ein Psychotherapeut, der sich darüber hinwegsetzt, nach § 174c Abs. 2 StGB bestraft werden. Ich möchte den Paragraphen an dieser Stelle wörtlich zitieren, da er nicht nur für psychologische Psychotherapeuten, sondern auch für Heilpraktiker Psychotherapie sehr relevant ist:

§ 174c Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses (1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer körperlichen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist, unter Missbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm zur psychotherapeutischen Behandlung anvertraut ist, unter Missbrauch des Behandlungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt. (3) Der Versuch ist strafbar.

Was das heißt das in „normales“ deutsch übersetzt? Ganz konkret: — sexuelle Handlungen sind zwischen Therapeut und Patient verboten. — auch einvernehmliche sexuelle Handlungen sind verboten. Es spielt also keine Rolle, ob der Patient an einem sexuellen Kontakt mit dem Therapeuten interessiert ist. Der Kontakt ist in jedem Fall verboten. — auch der Versuch ist verboten und strafbar.

Nehmen wir aber einmal an, dass sich Therapeut und Klient trotz aller therapeutisch notwendigen Distanz und rechtlicher Bedenken ineinander verlieben und privaten Kontakt aufnehmen wollen.

In einem solchen Fall muss die Therapie sofort abgebrochen werden. Zusätzlich sollte noch mindestens en Jahr vergehen, bis eine solche Beziehung ethisch zu rechtfertigen wäre. Das sagt zumindest die „Pschyrembl Psychiatrie“ — das Standardwerk der therapeutischen Praxis. Diese Jahresfrist gilt übrigens auch für rein freundschaftliche Kontakte ohne sexuelle Interessen.

Neben der sexuellen und freundschaftlichen Abstinenz während der Therapie sollten auch sämtliche anderen familiären oder geschäftlichen Kontakte vermieden werden.

Aus meiner eigenen Praxis kann ich auch hierfür ein Beispiel geben: Als ich neben meiner Praxis noch als Lehrer gearbeitet hatte, habe ich einmal einen Kollegen als Patienten angenommen. Wir hatten beruflich kaum Kontakt und sind uns im Alltag fast nie begegnet. Daher waren wir beide davon ausgegangen, dass diese Therapie kein Problem sein würde. Tatsächlich stellte sich jedoch bald heraus, dass uns beiden der erforderliche Wechsel zwischen der kollegialen und der therapeutischen Rolle nicht gelang, so dass wir die Therapie nach kurzer Zeit wieder abbrechen mussten.

Aus ähnlichen Gründen verbietet sich auch ein therapeutisches Verhältnis innerhalb der Familie oder des Freundeskreises. Wenn Ihr Eurer Familie oder Euren Freunden etwas Gutes tun wollt, so empfehlt Ihnen einen fähigen Kollegen, aber macht es nicht selber. Ein solches therapeutisches Verhältnis ist immer zum Scheitern verurteilt und schafft mehr Probleme als es lösen könnte.

Zu der Abstinenzregel gehört auch jedes weitere Interesse des Therapeuten an seinem Patienten. Denn die Beziehung zum Patienten muss von einer größtmöglichen Professionalität geprägt sein. Hierzu gehört selbstverständlich der verantwortungsvolle Umgang mit den Daten des Patienten und natürlich die Einhaltung der Schweigepflicht. Beides sollte dem Patienten im Rahmen eines Behandlungsvertrages und einer Datenschutzerklärung zugesichert werden.

Zu einem solchen professionellen Umgang gehört auch, dass der Therapeut die Informationen, die er von seinen Patienten erhält, absolut vertraulich behandelt. Und auch nicht anonymisiert weitergibt. Zum Beispiel, in dem er sie für launige Partygespräche mißbraucht. Denn selbst wenn dieses anonymisiert geschieht, schadet der Therapeut damit gleich mehreren: — sich selbst — seinem ganzen Berufsstand und — Menschen, die eine Therapie erwägen, sich aber dagegen entscheiden, weil sie nicht als die nächste Party-Anekdote enden wollen.

Hier nun kommen wir zum schwierigsten Bereich der Abstinenzregel, nämlich die Motivation des Therapeuten oder der Therapeutin selbst. Tatsächlich gibt es die unterschiedlichsten Gründe sich für die therapeutische Arbeit zu entscheiden. Sicherlich liegt einer solchen Berufswahl in den meisten Fällen Altruisimus und ehrliche Menschenliebe zugrunde: Man möchte helfen.

Manche angehenden Therapeuten sind von den Abgründen des Menschen fasziniert. Man darf jedoch nicht übersehen, dass ein Therapeut über eine gewisse Macht verfügt, die er zum Wohl des Patienten oder zu eigenen Interessen einsetzen kann.

Hierzu gehören sicherlich die oben erwähnten sexuellen Übergriffe. Doch auch das bloße Bewusstsein gebraucht zu werden und eine wichtige Rolle im Leben eines anderen Menschen zu spielen, kann das Ego streicheln.
Daher sollte jeder, der therapeutisch arbeiten möchte, die Supervision nutzen, um sich der eigenen verborgenen Motive bewusst zu werden.

Schließlich gehört zur Abstinenz auch der Umgang mit dem Honorar. Grundsätzlich wird dies im Behandlungsvertrag festgesetzt. Dort sollte man auch Regelungen zu Ausfallhonoraren und Zahlungsweisen nachlesen können. Eine willkürlich Erhöhung oder Minderung des Honorars sollte vermieden werdne, denn es kann bei den Patienten zu Überinterpretationen führen. Kurz gesagt: ein guter Zaun macht einen guten Nachbarn und ein guter Behandlungsvertrag macht ein gutes Therapeut-Patienten-Verhältnis.

Kommen wir am Schluss noch einmal auf die eingangs beschrieben Situation in der KiTa meiner Tochter zurück. Zwar bin ich dort nicht als Therapeut tätig gewesen, aber trotzdem hatte ich eine beratende Funktion erfüllt. Habe ich nun gegen eine der hier beschriebenen Abstinenzregeln verstoßen? Genau genommen hätte ich als Vater eines Kita-Kindes dort nicht als Berater arbeiten dürfen. Denn gegen das Verbot des Rollenwechsels habe ich bestimmt verstoßen. Also, es wäre besser gewesen, ich hätte einen Kollegen empfohlen, als die Beratung selbst durchzuführen.

Ich habe dieses Beispiel bewusst gewählt, weil ich Euch zeigen wollte, wie schwierig es sein kann, die Abstinenzregeln in jeder Situation zu bedenken und danach zu handeln. Im Zweifelsfall, lieber noch einmal darüber nachdenken und ggfls einen Kollegen empfehlen, denn die Abstinenzregel ist ein ethisches Gebot. Zu eurem Schutz und zum Wohl eurer Patienten. Und das sollte man nicht vergessen.

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Die Abstinenzregel in Beratung und Therapie

In der heutigen Folge geht es um die so genannten Abstinenzregeln und ihre Bedeutung für die Beratung und die Therapie. Um sich diesem Thema einmal nicht zu theoretisch zu nähern, möchte ich heute mit einer persönliche Erfahrung anfangen.

Im Rahmen meines Studiums zum Mediator mussten wir immer wieder Fälle vorstellen, in denen wir bereits selbständig Konflikte geschlichtet hatten.
Als es an mir war einen Fall vorzustellen, berichtete ich von einem Konflikte in der KiTa meiner Tochter. Die Einzelheiten der Angelegenheit sind natürlich vertraulich. Aber ich kann soviel sagen, dass es sich dabei um eine Mediation im Arbeitsrecht handelte: Ein Mitarbeiter hatte mit Kündigung gedroht. Durch die Mediation gelang es, die Sache ins Reine zu bringen und er blieb der KiTa erhalten.

Alle Beteiligten — inclusive mir — waren mit dem Ergebnis zufrieden. Doch während der Supervisionsrunde warf man mir vor, dass ich nicht selbstlos und unbeteiligt an den Konflikt heran gegangen wäre. Ganz im Gegenteil, der Vorwurf lautete, dass ich zielgerichtet vorgegangen wäre, da ich ja selbst von der erarbeiteten Konfliktlösung profitiert hätte.

Ich war erstaunt und mir keiner Schuld bewusst, doch die Argumentation war nicht ganz unbegründet: Wenn der Mitarbeiter gegangen wäre, wäre in der KiTa ein personeller Engpass entstanden. Darunter hätte möglicherweise meine Tochter und damit ich selbst auch gelitten. Indem ich also die vorliegende Lösung erarbeitet habe, habe ich nicht nur die Interessen der Konfliktparteien im Auge gehabt, sondern auch meine eigenen Interessen vertreten.

Diese Argumentation brachte mich ins Grübeln. Wo beginnt das Eigeninteresse und wo hört es auf? Und steckt in jeder Handlung nicht immer auch ein Fünkchen Eigeninteresse? Und wo beginnt oder endet das Eigeninteresse in meiner Tätigkeit als Gesprächstherapeut?

Genau diese Fragen wollen wir in der heutigen Folge beantworten. Denn auch bei der so genannten Abstinenzregeln geht es um das Abwägen von eigenen und fremden Interessen. Aber klären wir erstmal, was „Abstinenz“ eigentlich bedeutet.

Und nun zurück zum Thema: Der Begriff Abstinenz bedeutet eigentlich „Enthaltung“ oder „Verzicht“. Den Begriff kennt wohl jeder im Zusammenhang mit der katholischen Kirche. Man spricht dort von sexueller Abstinenz, also dem bewussten Verzicht auf sexuelle Betätigung. Jemand der auf den Konsum von Alkohol verzichtet, wird ebenfalls häufig als Abstinenzler bezeichnet.

Im Rahmen der Psychotherapie wird der Begriff der Abstinenz sowohl auf den Patienten, als auch auf den Therapeuten angewendet. Schauen wir uns das mal etwas genauer an:

Auf den Patienten bezogen bedeutet Abstinenz, dass der Therapeut dem Klienten bestimmte Handlungen verbieten muss, die den therapeutischen Erfolg gefährden könnten.

Was bedeutet das konkret? Der Therapeut darf beispielsweise nicht auf Forderungen des Patienten eingehen, die die unmittelbare therapeutische Beziehung übersteigen. Er darf zum Beispiel keine Auskünfte über die eigene Person geben, weil der Therapeut dadurch seinen neutralen Status verlieren könnte. Ein Therapeut ist kein anteilnehmender Freund. Sie ist vielmehr eine neutrale Fachfrau, die sich dem Patienten ohne Vorbehalte und ohne eigene Interessen widmet.

Der Patient darf auch nicht in Versuchung kommen, sich über die therapeutische Situation zu erheben. Er darf zum Beispiel nicht anfangen, die Therapie von außen betrachten zu wollen. Denn das ist der erste Schritt dazu, sich selbst therapieren zu wollen. Und eine Selbst-Therapie funktioniert leider nicht.

Narzistische Bedürfnisse des Patienten können sich auch in Form von erotischen Interessen an dem Therapeuten oder der Therapeutin äußern. Diese erotischen Interessen in aller Deutlichkeit zu verweigern, gehört ebenfalls zu der Abstinenzregel. Erotische Beziehungen zwischen Patient und Therapeut sind absolut tabu!

Hin und wieder kann es auch vorkommen, dass der Patient anbietet das vereinbarte Honorar zu erhöhen. Auch hier greift die Abstinenzregel: Einerseits würde die therapeutische Neutralität verletzt, andererseite könnte der Patient hierdurch glauben, dass ihm von nun an ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit zustünde.

Schauen wir uns als nächstes die Abstinenzregel aus der Sicht des Therapeuten an: Im Hinblick auf dem Therapeuten wiederum gelten natürlich ebenfalls Einschränkungen:
Auch der Therapeutin sind bestimmte Abstinenzen verordnet, die bei Nichteinhaltung dem Patienten schaden und rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können. Grundsätzlich ist dem Therapeuten die Befriedigung aller persönlichen Bedürfnisse verboten: An erster Stelle steht hier die Befriedigung sexueller oder sinnlicher Bedürfnisse. Tatsächlich ist eine Therapie zumindest phasenweise ein ungeheuer intimer Vorgang. In den meisten Fällen sind Therapeuten und Patienten hierbei allein. Die Intimität der Situation kann dann schnell mit einer erotischen Situation verwechselt werden.

In Deutschland kann ein Psychotherapeut, der sich darüber hinwegsetzt, nach § 174c Abs. 2 StGB bestraft werden. Ich möchte den Paragraphen an dieser Stelle wörtlich zitieren, da er nicht nur für psychologische Psychotherapeuten, sondern auch für Heilpraktiker Psychotherapie sehr relevant ist:

§ 174c Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses (1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer körperlichen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist, unter Missbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm zur psychotherapeutischen Behandlung anvertraut ist, unter Missbrauch des Behandlungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt. (3) Der Versuch ist strafbar.

Was das heißt das in „normales“ deutsch übersetzt? Ganz konkret: — sexuelle Handlungen sind zwischen Therapeut und Patient verboten. — auch einvernehmliche sexuelle Handlungen sind verboten. Es spielt also keine Rolle, ob der Patient an einem sexuellen Kontakt mit dem Therapeuten interessiert ist. Der Kontakt ist in jedem Fall verboten. — auch der Versuch ist verboten und strafbar.

Nehmen wir aber einmal an, dass sich Therapeut und Klient trotz aller therapeutisch notwendigen Distanz und rechtlicher Bedenken ineinander verlieben und privaten Kontakt aufnehmen wollen.

In einem solchen Fall muss die Therapie sofort abgebrochen werden. Zusätzlich sollte noch mindestens en Jahr vergehen, bis eine solche Beziehung ethisch zu rechtfertigen wäre. Das sagt zumindest die „Pschyrembl Psychiatrie“ — das Standardwerk der therapeutischen Praxis. Diese Jahresfrist gilt übrigens auch für rein freundschaftliche Kontakte ohne sexuelle Interessen.

Neben der sexuellen und freundschaftlichen Abstinenz während der Therapie sollten auch sämtliche anderen familiären oder geschäftlichen Kontakte vermieden werden.

Aus meiner eigenen Praxis kann ich auch hierfür ein Beispiel geben: Als ich neben meiner Praxis noch als Lehrer gearbeitet hatte, habe ich einmal einen Kollegen als Patienten angenommen. Wir hatten beruflich kaum Kontakt und sind uns im Alltag fast nie begegnet. Daher waren wir beide davon ausgegangen, dass diese Therapie kein Problem sein würde. Tatsächlich stellte sich jedoch bald heraus, dass uns beiden der erforderliche Wechsel zwischen der kollegialen und der therapeutischen Rolle nicht gelang, so dass wir die Therapie nach kurzer Zeit wieder abbrechen mussten.

Aus ähnlichen Gründen verbietet sich auch ein therapeutisches Verhältnis innerhalb der Familie oder des Freundeskreises. Wenn Ihr Eurer Familie oder Euren Freunden etwas Gutes tun wollt, so empfehlt Ihnen einen fähigen Kollegen, aber macht es nicht selber. Ein solches therapeutisches Verhältnis ist immer zum Scheitern verurteilt und schafft mehr Probleme als es lösen könnte.

Zu der Abstinenzregel gehört auch jedes weitere Interesse des Therapeuten an seinem Patienten. Denn die Beziehung zum Patienten muss von einer größtmöglichen Professionalität geprägt sein. Hierzu gehört selbstverständlich der verantwortungsvolle Umgang mit den Daten des Patienten und natürlich die Einhaltung der Schweigepflicht. Beides sollte dem Patienten im Rahmen eines Behandlungsvertrages und einer Datenschutzerklärung zugesichert werden.

Zu einem solchen professionellen Umgang gehört auch, dass der Therapeut die Informationen, die er von seinen Patienten erhält, absolut vertraulich behandelt. Und auch nicht anonymisiert weitergibt. Zum Beispiel, in dem er sie für launige Partygespräche mißbraucht. Denn selbst wenn dieses anonymisiert geschieht, schadet der Therapeut damit gleich mehreren: — sich selbst — seinem ganzen Berufsstand und — Menschen, die eine Therapie erwägen, sich aber dagegen entscheiden, weil sie nicht als die nächste Party-Anekdote enden wollen.

Hier nun kommen wir zum schwierigsten Bereich der Abstinenzregel, nämlich die Motivation des Therapeuten oder der Therapeutin selbst. Tatsächlich gibt es die unterschiedlichsten Gründe sich für die therapeutische Arbeit zu entscheiden. Sicherlich liegt einer solchen Berufswahl in den meisten Fällen Altruisimus und ehrliche Menschenliebe zugrunde: Man möchte helfen.

Manche angehenden Therapeuten sind von den Abgründen des Menschen fasziniert. Man darf jedoch nicht übersehen, dass ein Therapeut über eine gewisse Macht verfügt, die er zum Wohl des Patienten oder zu eigenen Interessen einsetzen kann.

Hierzu gehören sicherlich die oben erwähnten sexuellen Übergriffe. Doch auch das bloße Bewusstsein gebraucht zu werden und eine wichtige Rolle im Leben eines anderen Menschen zu spielen, kann das Ego streicheln.
Daher sollte jeder, der therapeutisch arbeiten möchte, die Supervision nutzen, um sich der eigenen verborgenen Motive bewusst zu werden.

Schließlich gehört zur Abstinenz auch der Umgang mit dem Honorar. Grundsätzlich wird dies im Behandlungsvertrag festgesetzt. Dort sollte man auch Regelungen zu Ausfallhonoraren und Zahlungsweisen nachlesen können. Eine willkürlich Erhöhung oder Minderung des Honorars sollte vermieden werdne, denn es kann bei den Patienten zu Überinterpretationen führen. Kurz gesagt: ein guter Zaun macht einen guten Nachbarn und ein guter Behandlungsvertrag macht ein gutes Therapeut-Patienten-Verhältnis.

Kommen wir am Schluss noch einmal auf die eingangs beschrieben Situation in der KiTa meiner Tochter zurück. Zwar bin ich dort nicht als Therapeut tätig gewesen, aber trotzdem hatte ich eine beratende Funktion erfüllt. Habe ich nun gegen eine der hier beschriebenen Abstinenzregeln verstoßen? Genau genommen hätte ich als Vater eines Kita-Kindes dort nicht als Berater arbeiten dürfen. Denn gegen das Verbot des Rollenwechsels habe ich bestimmt verstoßen. Also, es wäre besser gewesen, ich hätte einen Kollegen empfohlen, als die Beratung selbst durchzuführen.

Ich habe dieses Beispiel bewusst gewählt, weil ich Euch zeigen wollte, wie schwierig es sein kann, die Abstinenzregeln in jeder Situation zu bedenken und danach zu handeln. Im Zweifelsfall, lieber noch einmal darüber nachdenken und ggfls einen Kollegen empfehlen, denn die Abstinenzregel ist ein ethisches Gebot. Zu eurem Schutz und zum Wohl eurer Patienten. Und das sollte man nicht vergessen.

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