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Folge 47: Strohballen-Lehmbau: die Ökobilanz ist top! Mit Zimmerin Bettina Keller

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Podcast Cover mit Simone und dem Logo es Podcast. Daneben ein Kreis mit einem Bild von Bettina Keller darin, die über Stohballen-Lehmbau im Podcast berichtet.

Wir bauen in Sieben Linden gerade das nächste Strohballen-Lehmbau Projekt: Das Haus „Schloss Mü“ und bringen den Lehmputz auf die Wände auf.

Bettina Keller ist als Zimmerin und Architektin und lebt seit 2004 im Ökodorf Sieben Linden. Seitdem baut sie Strohballenhäuser aus Überzeugung – in Schloss Mü gedenkt sie zukünftig selbst zu residieren mit den anderen aus ihrer Baugruppe. Bettina hat mit anderen Fachleuten gemeinsam mittlerweile viel technisches Know-how entwickelt und berät Baugruppen, Architekt*innen, Handwerkende und Laien. Ihre Zimmerei in Sieben Linden ist auf Stroh-Lehmbau spezialisiert und hat bereits 14 Häuser im Ökodorf erstellt. Besonders hörenswert sind Bettinas Ausführungen zur Öko-Bilanz der Häuser sowie der Baustoffe Holz, Stroh und Lehm – alles ganz natürlich! DIE Alternative zu Beton & Co! Wie könnte es angesichts dieser Materialien anders sein: Das Wohnklima der Häuser ist überaus angenehm und gesund.

Autorin: Simone Britsch
Mail: podcast@siebenlinden.org
Interviewpartnerin: Bettina Keller

Veranstaltungen: Strohbau-Seminare im Ökodorf Sieben Linden:
https://lernort.siebenlinden.org/de/?Rubrik=%C3%96kologisch%20bauen
Info: Ökologisch Bauen in Sieben Linden: https://siebenlinden.org/de/oekologisch-bauen/
Mehr Infos und Beratung beim fasba Fachverband Strohballenbau Deutschland: https://fasba.de/
Veröffentlicht unter der Creative Commons (CC BY 4.0),
Copyright Freundeskreis Ökodorf e.V., 24.06.22

Der Podcast zum Lesen:

Simone Britsch: Hallo und herzlich willkommen! Folge 47 Ökodorf Podcast aus Sieben Linden. Heute geht es um Strohballen-Lehm-Bau. Das ist ein ganz großes Ding im Ökodorf Sieben Linden und wir haben bereits in einer Podcast Folge mit Michael Würfel darüber berichtet. Eine besonders ökologische Bauweise aus Holz, Stroh und Lehm. Und heute spreche ich darüber mit Bettina Keller, die seit vielen Jahren als Zimmerin in Sieben Linden tätig ist. Sie hat an den meisten Häusern mitgebaut und aktuell ist sie am Bau des Hauses „Schloss Mü“ beteiligt, in das sie selbst mit einer Gruppe einzuziehen gedenkt. Bettina gibt einen Einblick in ihre Arbeit hier vor Ort und es geht auch um den Blick über den Tellerrand hinaus, nämlich um globale Themen die aufkommen, wenn man sich um eine zukunftsfähige Bauweise Gedanken macht. Hallo Bettina, ich begrüße dich zu unserem Gespräch über Strohballenbau.

Bettina Keller: Hallo Simone, schön, dass du mich eingeladen hast.

Simone Britsch: Du bist seit anderthalb Jahrzehnten, muss man sagen, damit beschäftigt, in Sieben Linden Strohballen-Lehm-Häuser zu bauen. Wie sieht das aus?

Bettina Keller: Ja, tatsächlich kam ich sozusagen nach Sieben Linden und habe an meinem 1. Tag hier Strohballen in eines unserer Gebäude, damals das erste dreistöckige Haus als Stroballen-Lehmbau in Europa, reingestopft und war noch völlig unbeleckt. Ich hatte zwar eine Zimmerei-Lehre gemacht, aber Stroh hatte ich vorher noch nicht so in der Hand gehabt. Aber wie der Strohballenbau in Sieben Linden gewachsen ist und wie wir hier immer mehr die Bauweise etabliert haben, bin ich da auch reingewachsen und hab es mir angeeignet. Und jetzt kann ich es auch vielen anderen Leuten zeigen und habe auch schon in der Schweiz Strohballenhäuser gebaut. Also ich baue nicht nur hier. Genau, ich mache das sehr gerne und bin sehr überzeugt davon, dass das eine gute Bauweise ist, die wirklich Perspektiven für die Zukunft aufmacht.

Simone Britsch: Ja, nun ist ja Sieben Linden ein besonderer Ort für Strohballen-Lehmbau, weil hier eine neue Siedlung entsteht. Wie viele Häuser hast du denn hier schon gebaut oder mitgebaut?

Bettina Keller: Oh, da muss ich richtig zählen. Ich glaube, es sind jetzt so 14, 15, 16 – irgendwie so was. Und ja, es ist tatsächlich eine sehr luxuriöse Situation. Wir sind hier eine Ausnahmegenehmigung in der Altmark – ein Dorf aufzubauen für bis zu 300 Menschen. Und das ist eine sehr einzigartige Situation in Deutschland. Das wir wirklich so ein neues Siedlungskonzept machen können, in dem wir herausfinden wollen: wie geht denn eine nachhaltige Zukunft auf ganz unterschiedlichen Ebenen, aber eben auch ganz konkret und sehr praktisch im Bauen?

Und ja, ich erlebe das immer wieder als Spielplatz für Erwachsene, dass wir das überhaupt so dürfen und ausprobieren dürfen. Und mit dem Strohballen-Lehmbau sind wir sozusagen aus einer totalen Experimentierphase herausgewachsen, in etwas, was heute sehr, sehr marktfähig und auch für viele Städte interessant ist, als eine wirklich nachhaltige Perspektive für das Thema Bauen.

Simone Britsch: Ja, wie kann ich mir dann so eine Konstruktion vorstellen von einem Strohballen-Lehmhaus?

Bettina Keller: Erst mal ist so ein „Strohballen-Lehmhaus“, wie du es nennst, ein ganz klassischer Holzständerbau. Also viele Menschen haben vielleicht ein Fachwerkhaus vor Augen und wenn man da diese ganzen Querriegel usw. rausnimmt, dann hat man die Holzständerbauweise. Und wir stellen diese Holzstutzen sozusagen inzwischen in einem Rastermaß von fast einem Meter auseinander und dazwischen kommen Strohballen. Also die Dinger, womit wir als Kinder mal gespielt haben, diese kleinen Ballen kommen dazwischen, werden reingequetscht und dann noch mal besonders verdichtet. Dann kommt auf die Innenseite und auf die Außenseite Putz. Man kann dann außen auch noch eine Holzverschalung davor machen, man kann aber auch einen Kalkputz verwenden, dann ist es schon wetterfest und im Prinzip war es das schon. Das ist eine ganz einfache Bauweise, die auch relativ leicht zu erlernen ist.

Simone Britsch: Das heißt also, die Außenwand besteht im Prinzip aus Holzständern mit Strohballen und Lehmverputz? Das ist es schon.

Bettina Keller: Das ist es schon. Und tatsächlich ist das auch einer der Aspekte – wenn wir uns sozusagen Bauen in seiner Tiefe angucken, ist Strohballen-Lehmbau in diesem sehr schlichten, aber hocheffizienten Aufbau, deutlich praktikabler als viele moderne konventionelle Bauarten. Diese fügen eben sehr viele Baustoffe zusammen und noch dazu Baustoffe, die bis sie überhaupt in die Wand kommen, einen unglaublich langen Weg und Produktionsweise hinter sich haben, was wir beim Strohballenbau jeweils nicht haben. Wir haben eigentlich sehr unverbrauchte, natürliche Baustoffe, die auch alle quasi unbehandelt in die Wand kommen.

Also die Strohballen werden tatsächlich einfach direkt vom Acker genommen und ohne Zusatzstoffe kommen in die Wand gearbeitet. Bei uns kommen die Holzständer-Bohlen auch direkt vom Sägewerk, werden noch getrocknet, aber auch ohne technische Zusatzstoffe. Und auch der Lehm in seiner jeweiligen Mischung hat keine Beischlag-Stoffe, die irgendwie auch baubiologisch irgendwas nach innen ausdünsten. Und damit erreichen wir eben zwei Dinge, die unglaublich sind. Nämlich dass wir eine völlig unbelastete Wand haben, als auch Baustoffe, die eben nicht hochindustrielle Produkte sind, die schon unglaublich viel Energie gefressen haben.

Simone Britsch: Ja, die Natürlichkeit dieser Baustoffe ist auf jeden Fall bestechend und ich finde aber auch faszinierend, die gute Ökobilanz von einem Strohballen-Lehmbau schon im Bau, auch gerade, wenn man den Vergleich zieht zu konventionellen Bauweisen.

Bettina Keller: Ja, das ist ein sehr wichtiger Punkt. Wir müssen im Bauen insgesamt da hinkommen, wirklich das Gebäude als Ganzes zu betrachten und nicht nur während der Beheizungsphase, was wir gerne tun. Wenn wir ein Strohballenhaus mit einem konventionellen Bau vergleichen, dann können wir das Strohballen Haus 42 Jahre lang beheizen, bis es überhaupt die Energie verbraucht hat, die das konventionelle Haus am ersten Tag verbraucht hat.

Simone Britsch: Das müssen wir uns aber noch mal wirklich auf der Zunge zergehen lassen.

Bettina Keller: 42 Jahre lang Heizen, Heizen, Heizen – das ist die Energie, die schon in dem konventionellen Baustoff drin sind. Und das ist tatsächlich die Betrachtungsweise, die bisher in allen Energieeinsparverordnung und so weiter unbetrachtet blieb. Die Energie, die verbraucht wird vor der Fertigstellung, die sogenannte „graue Energie“ kennen wir in anderen Bereichen, da wird das immer wieder mal betrachtet. Aber diese „Cradle to Cradle“ Betrachtungsweise in der Nachhaltigkeitsdebatte ist gerade im Bauen elementar. Wir haben seit Einführung der Energieeinsparverordnung im Baubereich quasi keine Energie eingespart, weil diese Gesamtbetrachtung fehlt. Und umso wichtiger ist es, dass wir Baustoffe etablieren, die eben nicht so energieintensiv sind.

Simone Britsch: Ja, das ist natürlich total überzeugend, zumal der Strohballen-Lehmbau an sich ja auch ein Gebäude ist, mit sehr guter Wärmeisolationswirkung, oder?

Bettina Keller: Natürlich. Also, Stroh lässt sich ja auch relativ leicht nachfühlen, dass das ein guter Dämmstoff ist. Wir haben irgendwie einen Lambdawert von 0,15. Das ist schon wirklich sehr gut. Da gibt es aber noch hochwertigere Lambda-Werte, aber wir haben dann Wandstärken von 36 Zentimetern – mit beiden Putzflächen haben wir so 40 Zentimeter.

Das ist aber auch in der konventionellen Bauweise heute keine Wandstärke, die irgendwen erschreckt. Wenn wir Neubauten machen, haben wir eben einen mehrschichtigen Aufbau, der auch locker diese Wandstärken erzeugt. Und bei uns ist Stroh aber ein durchgehender Dämmstoff. Das wunderbare am Strohballen-Lehmbau ist nicht nur – ich habe irgendwie einen Dämmstoff, der toll seinen Job macht – sondern er ist gleichzeitig Putzträger, gleichzeitig Wandbaustoff und gleichzeitig Dämmstoff. Das gibt es sonst im Bauen nicht.

Da macht sozusagen jeder Baustoff sonst seine Funktion ganz allein. Dann baue ich also eine Stütze, die trägt das Haus. Darauf mache ich eine Platte, die hält den Dämmstoff. Dann schütte ich den Dämmstoff da rein, der tut seinen Job als Dämmstoff, tut er auch gut. Zellulose-Flocken sind auch ein super Dämmstoff, aber, sie können nur das. Und dann muss ich draußen wieder einen Putzträger drauf bringen. Auf den putz ich dann drauf. Und so weiter . All diese Stoffe müssen dann auch sozusagen bauphysikalisch sinnvoll in eine Kurve gebracht werden. Umso weniger Baustoffe ich zusammenfügen muss, umso weniger Übergangsprobleme habe ich.

Simone Britsch: Jetzt mal so eine ganz naive Frage. Ich stelle mir manchmal vor, so ein Strohballen-Lehmhaus in 100-150 Jahren, wenn es einfach altersschwach ist und verfällt, das ist dann einfach so ein schöner Komposthaufen, der da liegt. Ist es naiv oder ist da was dran?

Bettina Keller: Also nein, ist es nicht. Also so neu, wie wir uns das Denken, ist Strohballen-Lehmbau gar nicht. Er ist schon über 100 Jahre alt und zu den ersten Strohballenbauten ist unser Architekt Dirk Schamer persönlich hingereist und hat Proben aus der Wand rausgenommen – aus diesem über 100 Jahre alten Haus und das Stroh sieht goldgelb aus. Die Voraussetzungen dafür sind: ich muss es wettergeschützt halten. Das gilt aber auch für jedes andere Gebäude. Aber wenn ich es sozusagen abreißen will, dann habe ich den Komposthaufen. Und das ist auch das, was wir wollen. Wir wollen nicht einen Müllhaufen erzeugen, sondern wir wollen einen Komposthaufen erzeugen, der wieder zurück zur Natur geht. Aber eben, wenn ich für die Wassersicherheit sorge und das Gebäude entsprechend plane, dann sind Lebensjahre über 100 Jahre kein Problem.

Simone Britsch: Einige andere Baustoffe werden natürlich auch verwendet – das Glas für die Fenster, die Isolierungstoffe für die Leitungen und so weiter. So ganz romantisch ist es dann nicht nur, aber es ist doch ein großer Teil des Gebäudes, der in Kreisläufen gedacht werden kann.

Bettina Keller: Was ist denn an einer Heizleitung nicht romantisch!? Aber natürlich! Also wir sprechen, wenn wir vom Strohballen-Lehmbau sprechen, nur von den Außenwänden. Da gibt es noch ganz viele andere Entscheidungen, und Baustoffe natürlich, die ein Haus überhaupt zu einem Haus machen. Eine Außenwand ist … die eigenen vier Wände sind schon was Elementares, aber es gehört auch das Dach über dem Kopf dazu. Es gehört auch das Fundament dazu und es gehört natürlich die ganze Haustechnik und der ganze Innenausbau dazu. Das sind alles auch jeweils Optionen, wo ich noch mal gucken kann, okay, wie ökologisch will ich denn mein Haus machen? Weil auch da stehen noch viele Baustoff-Entscheidungen an.

Simone Britsch: Wie fällst du denn solche Entscheidungen gemeinsam mit dem Architekten? Welche Baustoffe für den Innenausbau verwendet werden? Welche Heiztechnologie wird eingebaut, welches Dach kommt auf das Haus? Du bist ja sogar im Moment selber Bauherrin – du baust mit einer Gruppe gerade das erste Mal für dich selber ein Gruppenhaus, das Haus „Mü“ in Sieben Linden. Wie geht ihr da vor?

Bettina Keller: Also erst mal kann man ganz schlicht sagen: möglichst unbehandelt, möglichst regional, möglichst geringe CO2-Bilanz. Das sind die Dinge, die ökologische Fragen immer erstmal gut beantworten. Baubiologisch kann man sagen alles, was möglichst wenig Chemikalien, Klebstoffe intus hat und so weiter kann es auch nicht wieder abgeben. Das heißt Holztüren, Holzfußböden, die einfach nur geölt sind. Da habe Ich nachweislich keine Ausdünstungen und kann auch, je nachdem, wo ich das Holz herbekomme, sehr regionale Baustoffe wirklich bekommen. Und übrigens gilt das auch für den Strohballen-Lehmbau. Wenn ich mir die Strohballen aus Übersee liefern lasse, dann ist die Ökobilanz meines Hauses auch dahin. Also es geht schon darum, wirklich für alle Baustoffe regionale Vertriebswege aufzubauen.

Wir heizen unsere Häuser, weil wir hier auch relativ viel Wald besitzen und weil wir damit eine sehr direkte Kopplung und einen geringen Verarbeitungsweg haben, mit Stückholz. Das heißt, wir fällen bei uns im Wald die Bäume, schneiden die auf, spalten die und dann kommen die in unsere Heizsysteme. Wir haben da sowohl ganz dezentrale Lösungen, also dass jedes Haus, einen eigenen Ofen hat, als auch kleine Nahwärmesysteme. Trotzdem gilt es da, wie auch bei allen anderen Sachen, weiter offen zu bleiben und zu gucken. Ist es der Weisheit letzter Schluss? Ist das für dieses Haus, diese Situation genau die richtige Lösung?

Aber es gibt eben auch noch ganz viele andere Faktoren, die noch viel früher vor der Heizung oder vor der Frage, welches Glas und welchen Fußboden ich nehme, entscheidend sind. Wohin stelle ich das Haus? Möglichst große Häuser zu bauen die zusammenhängend sind, die möglichst nach Süden ausgerichtet sind, möglichst kompakte Bauformen. Das sind auch Grundregeln des ökologischen Bauens, wo Ich ohne dass ich irgendwie etwas kaufe, sondern einfach mit der Entscheidung, mit der Positionierung schon viel ausrichten kann, was dieses Haus mal im Betrieb kosten soll.

Simone Britsch: Ja, wo du gerade noch mal so diese ganzen Möglichkeiten auch für den Innenausbau aufgeführt hast, möchte ich schon noch erwähnen, dass ich finde, die Häuser in Sieben Linden haben doch einen hohen Gemütlichkeitswert, wenn man da so reinkommt. Es ist einfach ganz viel Holz, es sind Holzfußböden, Holztüren, zum Teil selber getischlert. Manchmal sieht man Balken noch an einzelnen Stellen und dann der schöne Lehmputz, die runden Fensterlaibungen. Also es hat schon was sehr anziehendes und einen ganz großen Aufenthaltsreiz, finde ich. Die Häuser, die wir hier so erstellen.

Bettina Keller: Ja, also in Architektur kann man grundsätzlich sagen, dass alles wo man das Handwerk auch spüren kann, weil man es wirklich sehen kann, erhöht jeden Charme von einem Produkt. Wenn ich den Baustoff wahrnehmen kann, wenn Ich merke, das ist kein Industrieprodukt. Ob das jetzt ein Haus ist oder ein Messer ist, was von Hand geschmiedet ist. Man merkt sozusagen, wenn etwas durch Hände gegangen ist und Lehmputz zum Beispiel ist echte Handarbeit. Wir spritzen es zwar mit einer Maschine auf, aber er wird von Hand abgerieben und das merkt man diesen Gebäuden auch an. Und man merkt ihnen die geringen Verarbeitungswege an, man merkt diese Natürlichkeit.

Trotzdem möchte ich sagen, du kennst vor allen Dingen Strohballenhäuser in Sieben Linden. Man ist aber in der Architektur überhaupt nicht festgelegt, welche … Also wir müssen uns jetzt nicht nur die runden Hippiebauten, die Sieben Linden übrigens auch nicht hat, vorstellen. Es gibt sehr viele Beispiele im Strohballen-Lehmbau die auf eine hochmoderne Architektursprache zurückgreifen. Stroh ist eben nur ein Baustoff – keine Architektursprache. Aber wenn m in ein Strohballenhaus geht, sieht man ja erst mal kein Stroh, das versteckt sich hinter dem Lehmputz. Es gibt zwar meistens am Eingang einen kleinen Geheimtipp: das „Fenster der Wahrheit“, wo man dann mal sozusagen per Glas hinter den Lehm Putz gucken kann. Und ja! Es ist tatsächlich Stroh drin, aber sonst sieht man es nicht. Aber trotzdem würde ich sagen, allen Menschen, wenn sie in einen Strohballenhaus reinkommen, spüren die Atmosphäre von Natürlichkeit.

Simone Britsch: Sieben Linden hat mit der höchsten Dichte an Strohballenbauten, glaube ich, bundesweit, oder vielleicht sogar europaweit, und hat eine wichtige Rolle gespielt bei der Standardisierung der Bauform. Also am Anfang war es ja, hattest du auch schon erwähnt, wirkliche Pionier- und Experimentier-Leistung bis hin zu einem mittlerweile allgemein anerkannten Bauverfahren.

Bettina Keller: Sieben Linden hat viel für die Pionierphase des Strohballenbaus in Deutschland getan. Martin und Silke, die hier mit großer Pionier- und Visionskraft ausgestattet im Ökodorf gestartet sind, haben diese Idee des Strohballenbaus, der vor allen Dingen sich in der Hippiebewegung in den Siebzigern in Amerika noch mal etabliert hat, nach Deutschland geholt. Sie haben sich Vorträge angehört, haben eben hier die ersten Bauten gemacht und dann wurde hier eben auch der Fachverband Strohballen-Lehmbau, der FASBA, gegründet. Der es sich dann zur Aufgabe gemacht hat, tatsächlich aus einem totalen Nischen- und Sonderverfahren – damals brauchte man noch Baugenehmigungen im Einzelfall, wo man für jedes Haus selber ein sehr kompliziertes Verfahren machen musste. Der FASBA sich die Aufgabe gesetzt – Okay, wie können wir das, was wir wissen und was funktioniert, tatsächlich so umsetzen, dass es auch den deutschen Bauvorschriften entspricht.

Und das ist heute ohne Probleme möglich, weil der Baustoff an sich eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung hat. Das heißt alle Brandtests wurden gemacht, alle Schimmeltests wurden gemacht. Wir wissen welche Wandaufbauten funktionieren, welche auch nicht funktionieren. Und natürlich gehört zur Pionierphase „Trial and Error“ dazu. Also wir mussten auch auch mal baden gehen im wahrsten Sinne des Wortes. Also ich habe teilweise Wandaufbauten sechsmal auf- und wieder abgebaut. Ich habe komplett nasse Strohballenwände gehabt und musste sie wieder sanieren. Also ich habe so ungefähr jeden Fehler mal gemacht. Also ich weiß inzwischen welche Fehler man machen kann, aber sage trotzdem es ist keine komplizierte Bauweise. Wir wissen jetzt wie es geht und es ist total marktfähig.

Wir haben zwar in Sieben Linden sehr viele Strohballenbauten, trotzdem sind wir eigentlich im europäischen Vergleich schon weit hintendran. Also in Deutschland gibt es – es ist nicht ganz die aktuelle Zahl – aber gut 300 Strohballenbauten. Frankreich baut jedes Jahr 300 Strohballenbauten. Die sind einen ganz anderen Weg gegangen. Vor allen Dingen haben sie erst mal öffentliche Gebäude in Strohballenbauweise gemacht und nichts überzeugt mehr von einer Bauweise als es zu sehen und es wahrzunehmen. Ah! Es funktioniert! Und öffentliche Bauten haben viele Besucher und natürlich noch dazu ein Publikum, was gerade im bauwilligen Alter ist. Das heißt, sie haben einfach da eine sehr, sehr gute Strategie gefahren. Und Frankreich hat aber auch noch den Vorteil, dass sie über die Ressource Stroh noch viel leichter verfügen als Deutschland. Dort gibt es wirklich sehr direkte Bezugsquellen.

Simone Britsch: Wenn wir gerade schon bei den überregionalen oder vielleicht sogar globalen Bedeutungen sind, des Strohballenbaus. Was würdest du sagen, was ist der Impuls des Strohballenbaus weltweit? Klimawandel und so weiter…

Bettina Keller: Na ja, also der CO2-Fußabdruck von Strohbauten ist einfach ausschlaggebend erstmal. Aber es ist eben auch eine Bauweise die unabhängig macht von Großkapital. Stroh in jeder Art und Weise ist überall verfügbar global. Und wir ermöglichen es damit auch sehr armen Bevölkerungsschichten, auch in anderen landwirtschaftlichen Umgebungen, hochenergetische Gebäude zu bauen. Die – wenn wir jetzt an Bauweisen in Beton, Styropor, Styrodur und so weiterdenken- immer in großer Abhängigkeit von Kapital, von Industrie, von Absatz und so weiter stehen. Tatsächlich kann ich Strohballen aufeinander stapeln, Putz drauf machen und habe damit ein aus Klimasicht hochwirksames Gebäude.

Simone Britsch: Dasselbe gilt ja für Holz und Lehm. Das sind ja auch ganz regionale und einfache Baustoffe. Aber wie steht es denn mit dem Bedarf? Also ich frage mich immer wieder, ob es denn auch eine Bauweise ist, die für tropische und subtropische Gegenden interessant ist? Oder ist es etwas für die gemäßigten und kühlen Breitengrade, wo eben der Dämmwert der Strohwände so unschlagbar toll ist?

Bettina Keller: Na ja, tatsächlich muss ich sozusagen in tropischen Gebieten hochgedämmten Gebäude bauen. Da kann ich tatsächlich bei den traditionellen Bauweisen der Bambushütten bleiben. Es gibt überhaupt keinen Bedarf. Tatsächlich greift die Betonlobby, da sozusagen trotzdem ein und sagt „Ihr braucht ein Betonhaus!“ – was sie natürlich nicht brauchen. Aber es ist tatsächlich eben für Regionen, die durchaus kühlere Winter, kühlere Zeiten haben, total interessant.

Simone Britsch: Wenn du dir die Sustainable Development Goals anschaust, welche stechen dir von den 17 Zielen ins Auge, wenn du an den Strohballen-Lehmbau denkst?

Bettina Keller: Na ja, also natürlich ist es der große Beitrag zum Klimaschutz durch die geringe Verarbeitung. Aber es ist eben auch diese Konzeption von nachhaltigen Städten und Gemeinden. Die bedeutet eben, dass wir Bauen ganz neu denken. Tatsächlich ist es aber gar nicht so leicht, Bauen neu zu denken. Bauen gehört zu den Zweigen des Menschseins, wo wir fast, würde ich sagen, am konservativsten sind.

Das ist der Zeitpunkt, wo wir sehr viel Geld in die Hand nehmen und wenn wir so viel Geld in die Hand nehmen, dann machen wir es am liebsten so, wie wir wissen, dass es Papa schon gemacht hat. Was dazu führt, dass Entwicklungen im Bauen sehr langsam vor sich gehen, obwohl sie überzeugend sind. Und wir kennen das aus dem Holzbau. Die Regionen, die Holzbautraditionen haben, haben es sehr viel leichter in einen fortschrittlichen Holzbau zu gehen. Aber man muss eben sehr, überproportional, viel Überzeugungsarbeit für den Strohballen-Lehmbau machen, als er an sich an Antworten gibt.

Simone Britsch: Was ist deine persönliche Vision oder vielleicht auch ein eigener nächster Schritt? Hast du was im Kopf, wo du sagst, da will ich jetzt noch mal ran in Sachen Bauen?

Bettina Keller: Ich finde tatsächlich, dass Dirk Scharmer, der Architekt, der bei uns hier in Sieben Linden viele Häuser geplant hat, gerade die richtigen nächsten Schritte geht. Nämlich das urbane Bauen von Strohballenbauten voranzutreiben. Also in einem größeren Stil, in mehrstöckiger Bauweise das voranzutreiben. Gerade werden 40 Wohneinheiten in Lüneburg gebaut. Das sind einfach Dimensionen, die wir in Sieben Linden so natürlich nicht bedienen, die aber total nötig sind. In einigen Jahren werden 80 % der Menschen in Städten wohnen. Das heißt, wir müssen vor allen Dingen das urbane Bauen global vorantreiben. Dass das nicht mehr in Betonklötzen in Megacitys ist, sondern dass wir dafür nachhaltige Alternativen entwickeln.

Simone Britsch: Ja, wenn du Dirk Scharmer erwähnst, möchte ich auch seine Fach-Seminare gerne mit anfügen, die hier in Sieben Linden immer wieder stattfinden. Also man kann an einem Wochenende von einem der Strohballen-Lehmbau-Fachleute schlechthin in Deutschland lernen, wie diese Gebäude zu erstellen sind. Und in allem was mit Genehmigungsverfahren und Richtlinien zu tun hat, ist er echt immer auf dem neuesten Stand. Dann gibt es noch Praxisstrohbau-Seminare, wo unsere Gäste in Sieben Linden selber Hand anlegen und hier mal lernen in fünf Tagen eine Strohballenwand zu erstellen. Und das mal so ganz griffig mitnehmen. Die kommen eigentlich immer sehr gut an, diese Seminare, zumal die Gäste seit 2021 in Sieben Linden auch im Strohbau-Gästehaus „Strohtel“ schlafen. Das hast du ja auch mitgebaut, ganz maßgeblich, der bis jetzt größte Klotz, den wir hier hingestellt haben in Sieben Linden.

Bettina Keller: Gar nicht der größte aber das war schon nochmal eine neue Herausforderung, weil es eben eine Versammlungsstätte ist. Also ich habe ja die öffentlichen Gebäude in Frankreich erlebt und öffentliche Gebäude stehen zu Recht unter anderen Anforderungen, was Brandschutz und was Standsicherheit angeht. Wobei die jetzt nicht irgendwie schwierig ist beim Strohballen-Lehmbau, explizit schwierig. Trotzdem mussten wir für einige Details noch mal neue Lösungen finden, um den F30-Brandschutz, den wir eh mit unseren Wänden haben, auch konsequent in jede letzte Nische durchzubringen und auch einer Brandschutzprüfung für ein Sondergebäude, nämlich ein Hotel, Genüge zu tun. So oder so ist aber das „Strohtel“ wirklich eine Reise wert. Wir haben uns wirklich viel Mühe gegeben, auch im Innenausbau noch mal eine ganz neue Architektursprache tatsächlich auch zu entwickeln und da was unglaublich Schönes hingestellt.

Simone Britsch: Und du hast noch die Möbel selber gebaut mit deiner Zimmerei – unglaublicher Kraftakt nach der langen Bauphase. Also Respekt, ja.

Bettina Keller: Ja, ich finde es einfach schön, wenn die Sachen wirklich möglichst vor Ort produziert werden. Einkaufen kann ja jeder.

Simone Britsch: Das stimmt, du hast allerdings so viele Aufträge, Bettina, dass wir uns entschlossen haben, nicht deine E-Mail-Adresse oder Telefonnummer, deine Website oder sonst was zu posten, weil du gar keine Zeit hast, das alles zu beantworten. Du möchtest Menschen, die sich jetzt nach dieser Podcast Folge noch mehr für Strohballen-Lehmbau interessieren, verweisen an den Strohballen-Lehmbau-Fachverband.

Bettina Keller: Ja, der Fachverband, habe ich ja schon erwähnt, ist der FASBA. Und genau unter fasba.de findet man ihn auch im Internet und da gibt es eine Expertenliste, wo man sozusagen für die Region – ich werbe hier nochmal für regionales Arbeiten, Wirtschaften und Bauen – für seine Region gucken kann, wer passt denn da an Architekten oder auch Handwerkenden. Aber da gibt es eben auch Beratung und noch mal viel mehr Hintergrundwissen zur Geschichte vom Strohballen-Lehmbau, zu einzelnen Projekten und so weiter. Da kriegt man auch eine Inspiration: wie können Strohballen Häuser alle so aussehen? Man kriegt Verweise zu europäischen Strohballen-Lehmbau. Also das ist erst mal die Adresse, die total viel zeigt und möglich macht, aber eben sehr konkret auch Personen im Fokus hat. Und wenn ihr mich da auch noch findet, dann könnt ihr mich auch anrufen.

Simone Britsch: Gut, das gleiche gilt auch für Dirk Scharmer. Der ist natürlich auch als Referent gelistet beim FASBA und man kann dort auch bundesweit Seminare abrufen und sehen, wo in der eigenen Region Fortbildungen und Infoveranstaltungen zum Strohballen-Lehmbau laufen.

Ja, dann danke ich dir für das Gespräch und wünsche dir allzeit viel Glück mit deinem tollen Handwerk.

Bettina Keller: Danke schön.

Simone Britsch: Das war sie, die neue Folge des Ökodorf Podcast aus Sieben Linden. Besuche uns auf www. siebenlinden.org oder direkt im schönen Ökodorf. In unseren Seminaren lernst du, die Welt von morgen nachhaltig und gemeinsam zu gestalten. Der Ökodorf Podcast aus Sieben Linden ist eine Produktion vom Freundeskreis Ökodorf e.V.

Der Beitrag Folge 47: Strohballen-Lehmbau: die Ökobilanz ist top! Mit Zimmerin Bettina Keller erschien zuerst auf Ökodorf Sieben Linden.

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Wir bauen in Sieben Linden gerade das nächste Strohballen-Lehmbau Projekt: Das Haus „Schloss Mü“ und bringen den Lehmputz auf die Wände auf.

Bettina Keller ist als Zimmerin und Architektin und lebt seit 2004 im Ökodorf Sieben Linden. Seitdem baut sie Strohballenhäuser aus Überzeugung – in Schloss Mü gedenkt sie zukünftig selbst zu residieren mit den anderen aus ihrer Baugruppe. Bettina hat mit anderen Fachleuten gemeinsam mittlerweile viel technisches Know-how entwickelt und berät Baugruppen, Architekt*innen, Handwerkende und Laien. Ihre Zimmerei in Sieben Linden ist auf Stroh-Lehmbau spezialisiert und hat bereits 14 Häuser im Ökodorf erstellt. Besonders hörenswert sind Bettinas Ausführungen zur Öko-Bilanz der Häuser sowie der Baustoffe Holz, Stroh und Lehm – alles ganz natürlich! DIE Alternative zu Beton & Co! Wie könnte es angesichts dieser Materialien anders sein: Das Wohnklima der Häuser ist überaus angenehm und gesund.

Autorin: Simone Britsch
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Interviewpartnerin: Bettina Keller

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Simone Britsch: Hallo und herzlich willkommen! Folge 47 Ökodorf Podcast aus Sieben Linden. Heute geht es um Strohballen-Lehm-Bau. Das ist ein ganz großes Ding im Ökodorf Sieben Linden und wir haben bereits in einer Podcast Folge mit Michael Würfel darüber berichtet. Eine besonders ökologische Bauweise aus Holz, Stroh und Lehm. Und heute spreche ich darüber mit Bettina Keller, die seit vielen Jahren als Zimmerin in Sieben Linden tätig ist. Sie hat an den meisten Häusern mitgebaut und aktuell ist sie am Bau des Hauses „Schloss Mü“ beteiligt, in das sie selbst mit einer Gruppe einzuziehen gedenkt. Bettina gibt einen Einblick in ihre Arbeit hier vor Ort und es geht auch um den Blick über den Tellerrand hinaus, nämlich um globale Themen die aufkommen, wenn man sich um eine zukunftsfähige Bauweise Gedanken macht. Hallo Bettina, ich begrüße dich zu unserem Gespräch über Strohballenbau.

Bettina Keller: Hallo Simone, schön, dass du mich eingeladen hast.

Simone Britsch: Du bist seit anderthalb Jahrzehnten, muss man sagen, damit beschäftigt, in Sieben Linden Strohballen-Lehm-Häuser zu bauen. Wie sieht das aus?

Bettina Keller: Ja, tatsächlich kam ich sozusagen nach Sieben Linden und habe an meinem 1. Tag hier Strohballen in eines unserer Gebäude, damals das erste dreistöckige Haus als Stroballen-Lehmbau in Europa, reingestopft und war noch völlig unbeleckt. Ich hatte zwar eine Zimmerei-Lehre gemacht, aber Stroh hatte ich vorher noch nicht so in der Hand gehabt. Aber wie der Strohballenbau in Sieben Linden gewachsen ist und wie wir hier immer mehr die Bauweise etabliert haben, bin ich da auch reingewachsen und hab es mir angeeignet. Und jetzt kann ich es auch vielen anderen Leuten zeigen und habe auch schon in der Schweiz Strohballenhäuser gebaut. Also ich baue nicht nur hier. Genau, ich mache das sehr gerne und bin sehr überzeugt davon, dass das eine gute Bauweise ist, die wirklich Perspektiven für die Zukunft aufmacht.

Simone Britsch: Ja, nun ist ja Sieben Linden ein besonderer Ort für Strohballen-Lehmbau, weil hier eine neue Siedlung entsteht. Wie viele Häuser hast du denn hier schon gebaut oder mitgebaut?

Bettina Keller: Oh, da muss ich richtig zählen. Ich glaube, es sind jetzt so 14, 15, 16 – irgendwie so was. Und ja, es ist tatsächlich eine sehr luxuriöse Situation. Wir sind hier eine Ausnahmegenehmigung in der Altmark – ein Dorf aufzubauen für bis zu 300 Menschen. Und das ist eine sehr einzigartige Situation in Deutschland. Das wir wirklich so ein neues Siedlungskonzept machen können, in dem wir herausfinden wollen: wie geht denn eine nachhaltige Zukunft auf ganz unterschiedlichen Ebenen, aber eben auch ganz konkret und sehr praktisch im Bauen?

Und ja, ich erlebe das immer wieder als Spielplatz für Erwachsene, dass wir das überhaupt so dürfen und ausprobieren dürfen. Und mit dem Strohballen-Lehmbau sind wir sozusagen aus einer totalen Experimentierphase herausgewachsen, in etwas, was heute sehr, sehr marktfähig und auch für viele Städte interessant ist, als eine wirklich nachhaltige Perspektive für das Thema Bauen.

Simone Britsch: Ja, wie kann ich mir dann so eine Konstruktion vorstellen von einem Strohballen-Lehmhaus?

Bettina Keller: Erst mal ist so ein „Strohballen-Lehmhaus“, wie du es nennst, ein ganz klassischer Holzständerbau. Also viele Menschen haben vielleicht ein Fachwerkhaus vor Augen und wenn man da diese ganzen Querriegel usw. rausnimmt, dann hat man die Holzständerbauweise. Und wir stellen diese Holzstutzen sozusagen inzwischen in einem Rastermaß von fast einem Meter auseinander und dazwischen kommen Strohballen. Also die Dinger, womit wir als Kinder mal gespielt haben, diese kleinen Ballen kommen dazwischen, werden reingequetscht und dann noch mal besonders verdichtet. Dann kommt auf die Innenseite und auf die Außenseite Putz. Man kann dann außen auch noch eine Holzverschalung davor machen, man kann aber auch einen Kalkputz verwenden, dann ist es schon wetterfest und im Prinzip war es das schon. Das ist eine ganz einfache Bauweise, die auch relativ leicht zu erlernen ist.

Simone Britsch: Das heißt also, die Außenwand besteht im Prinzip aus Holzständern mit Strohballen und Lehmverputz? Das ist es schon.

Bettina Keller: Das ist es schon. Und tatsächlich ist das auch einer der Aspekte – wenn wir uns sozusagen Bauen in seiner Tiefe angucken, ist Strohballen-Lehmbau in diesem sehr schlichten, aber hocheffizienten Aufbau, deutlich praktikabler als viele moderne konventionelle Bauarten. Diese fügen eben sehr viele Baustoffe zusammen und noch dazu Baustoffe, die bis sie überhaupt in die Wand kommen, einen unglaublich langen Weg und Produktionsweise hinter sich haben, was wir beim Strohballenbau jeweils nicht haben. Wir haben eigentlich sehr unverbrauchte, natürliche Baustoffe, die auch alle quasi unbehandelt in die Wand kommen.

Also die Strohballen werden tatsächlich einfach direkt vom Acker genommen und ohne Zusatzstoffe kommen in die Wand gearbeitet. Bei uns kommen die Holzständer-Bohlen auch direkt vom Sägewerk, werden noch getrocknet, aber auch ohne technische Zusatzstoffe. Und auch der Lehm in seiner jeweiligen Mischung hat keine Beischlag-Stoffe, die irgendwie auch baubiologisch irgendwas nach innen ausdünsten. Und damit erreichen wir eben zwei Dinge, die unglaublich sind. Nämlich dass wir eine völlig unbelastete Wand haben, als auch Baustoffe, die eben nicht hochindustrielle Produkte sind, die schon unglaublich viel Energie gefressen haben.

Simone Britsch: Ja, die Natürlichkeit dieser Baustoffe ist auf jeden Fall bestechend und ich finde aber auch faszinierend, die gute Ökobilanz von einem Strohballen-Lehmbau schon im Bau, auch gerade, wenn man den Vergleich zieht zu konventionellen Bauweisen.

Bettina Keller: Ja, das ist ein sehr wichtiger Punkt. Wir müssen im Bauen insgesamt da hinkommen, wirklich das Gebäude als Ganzes zu betrachten und nicht nur während der Beheizungsphase, was wir gerne tun. Wenn wir ein Strohballenhaus mit einem konventionellen Bau vergleichen, dann können wir das Strohballen Haus 42 Jahre lang beheizen, bis es überhaupt die Energie verbraucht hat, die das konventionelle Haus am ersten Tag verbraucht hat.

Simone Britsch: Das müssen wir uns aber noch mal wirklich auf der Zunge zergehen lassen.

Bettina Keller: 42 Jahre lang Heizen, Heizen, Heizen – das ist die Energie, die schon in dem konventionellen Baustoff drin sind. Und das ist tatsächlich die Betrachtungsweise, die bisher in allen Energieeinsparverordnung und so weiter unbetrachtet blieb. Die Energie, die verbraucht wird vor der Fertigstellung, die sogenannte „graue Energie“ kennen wir in anderen Bereichen, da wird das immer wieder mal betrachtet. Aber diese „Cradle to Cradle“ Betrachtungsweise in der Nachhaltigkeitsdebatte ist gerade im Bauen elementar. Wir haben seit Einführung der Energieeinsparverordnung im Baubereich quasi keine Energie eingespart, weil diese Gesamtbetrachtung fehlt. Und umso wichtiger ist es, dass wir Baustoffe etablieren, die eben nicht so energieintensiv sind.

Simone Britsch: Ja, das ist natürlich total überzeugend, zumal der Strohballen-Lehmbau an sich ja auch ein Gebäude ist, mit sehr guter Wärmeisolationswirkung, oder?

Bettina Keller: Natürlich. Also, Stroh lässt sich ja auch relativ leicht nachfühlen, dass das ein guter Dämmstoff ist. Wir haben irgendwie einen Lambdawert von 0,15. Das ist schon wirklich sehr gut. Da gibt es aber noch hochwertigere Lambda-Werte, aber wir haben dann Wandstärken von 36 Zentimetern – mit beiden Putzflächen haben wir so 40 Zentimeter.

Das ist aber auch in der konventionellen Bauweise heute keine Wandstärke, die irgendwen erschreckt. Wenn wir Neubauten machen, haben wir eben einen mehrschichtigen Aufbau, der auch locker diese Wandstärken erzeugt. Und bei uns ist Stroh aber ein durchgehender Dämmstoff. Das wunderbare am Strohballen-Lehmbau ist nicht nur – ich habe irgendwie einen Dämmstoff, der toll seinen Job macht – sondern er ist gleichzeitig Putzträger, gleichzeitig Wandbaustoff und gleichzeitig Dämmstoff. Das gibt es sonst im Bauen nicht.

Da macht sozusagen jeder Baustoff sonst seine Funktion ganz allein. Dann baue ich also eine Stütze, die trägt das Haus. Darauf mache ich eine Platte, die hält den Dämmstoff. Dann schütte ich den Dämmstoff da rein, der tut seinen Job als Dämmstoff, tut er auch gut. Zellulose-Flocken sind auch ein super Dämmstoff, aber, sie können nur das. Und dann muss ich draußen wieder einen Putzträger drauf bringen. Auf den putz ich dann drauf. Und so weiter . All diese Stoffe müssen dann auch sozusagen bauphysikalisch sinnvoll in eine Kurve gebracht werden. Umso weniger Baustoffe ich zusammenfügen muss, umso weniger Übergangsprobleme habe ich.

Simone Britsch: Jetzt mal so eine ganz naive Frage. Ich stelle mir manchmal vor, so ein Strohballen-Lehmhaus in 100-150 Jahren, wenn es einfach altersschwach ist und verfällt, das ist dann einfach so ein schöner Komposthaufen, der da liegt. Ist es naiv oder ist da was dran?

Bettina Keller: Also nein, ist es nicht. Also so neu, wie wir uns das Denken, ist Strohballen-Lehmbau gar nicht. Er ist schon über 100 Jahre alt und zu den ersten Strohballenbauten ist unser Architekt Dirk Schamer persönlich hingereist und hat Proben aus der Wand rausgenommen – aus diesem über 100 Jahre alten Haus und das Stroh sieht goldgelb aus. Die Voraussetzungen dafür sind: ich muss es wettergeschützt halten. Das gilt aber auch für jedes andere Gebäude. Aber wenn ich es sozusagen abreißen will, dann habe ich den Komposthaufen. Und das ist auch das, was wir wollen. Wir wollen nicht einen Müllhaufen erzeugen, sondern wir wollen einen Komposthaufen erzeugen, der wieder zurück zur Natur geht. Aber eben, wenn ich für die Wassersicherheit sorge und das Gebäude entsprechend plane, dann sind Lebensjahre über 100 Jahre kein Problem.

Simone Britsch: Einige andere Baustoffe werden natürlich auch verwendet – das Glas für die Fenster, die Isolierungstoffe für die Leitungen und so weiter. So ganz romantisch ist es dann nicht nur, aber es ist doch ein großer Teil des Gebäudes, der in Kreisläufen gedacht werden kann.

Bettina Keller: Was ist denn an einer Heizleitung nicht romantisch!? Aber natürlich! Also wir sprechen, wenn wir vom Strohballen-Lehmbau sprechen, nur von den Außenwänden. Da gibt es noch ganz viele andere Entscheidungen, und Baustoffe natürlich, die ein Haus überhaupt zu einem Haus machen. Eine Außenwand ist … die eigenen vier Wände sind schon was Elementares, aber es gehört auch das Dach über dem Kopf dazu. Es gehört auch das Fundament dazu und es gehört natürlich die ganze Haustechnik und der ganze Innenausbau dazu. Das sind alles auch jeweils Optionen, wo ich noch mal gucken kann, okay, wie ökologisch will ich denn mein Haus machen? Weil auch da stehen noch viele Baustoff-Entscheidungen an.

Simone Britsch: Wie fällst du denn solche Entscheidungen gemeinsam mit dem Architekten? Welche Baustoffe für den Innenausbau verwendet werden? Welche Heiztechnologie wird eingebaut, welches Dach kommt auf das Haus? Du bist ja sogar im Moment selber Bauherrin – du baust mit einer Gruppe gerade das erste Mal für dich selber ein Gruppenhaus, das Haus „Mü“ in Sieben Linden. Wie geht ihr da vor?

Bettina Keller: Also erst mal kann man ganz schlicht sagen: möglichst unbehandelt, möglichst regional, möglichst geringe CO2-Bilanz. Das sind die Dinge, die ökologische Fragen immer erstmal gut beantworten. Baubiologisch kann man sagen alles, was möglichst wenig Chemikalien, Klebstoffe intus hat und so weiter kann es auch nicht wieder abgeben. Das heißt Holztüren, Holzfußböden, die einfach nur geölt sind. Da habe Ich nachweislich keine Ausdünstungen und kann auch, je nachdem, wo ich das Holz herbekomme, sehr regionale Baustoffe wirklich bekommen. Und übrigens gilt das auch für den Strohballen-Lehmbau. Wenn ich mir die Strohballen aus Übersee liefern lasse, dann ist die Ökobilanz meines Hauses auch dahin. Also es geht schon darum, wirklich für alle Baustoffe regionale Vertriebswege aufzubauen.

Wir heizen unsere Häuser, weil wir hier auch relativ viel Wald besitzen und weil wir damit eine sehr direkte Kopplung und einen geringen Verarbeitungsweg haben, mit Stückholz. Das heißt, wir fällen bei uns im Wald die Bäume, schneiden die auf, spalten die und dann kommen die in unsere Heizsysteme. Wir haben da sowohl ganz dezentrale Lösungen, also dass jedes Haus, einen eigenen Ofen hat, als auch kleine Nahwärmesysteme. Trotzdem gilt es da, wie auch bei allen anderen Sachen, weiter offen zu bleiben und zu gucken. Ist es der Weisheit letzter Schluss? Ist das für dieses Haus, diese Situation genau die richtige Lösung?

Aber es gibt eben auch noch ganz viele andere Faktoren, die noch viel früher vor der Heizung oder vor der Frage, welches Glas und welchen Fußboden ich nehme, entscheidend sind. Wohin stelle ich das Haus? Möglichst große Häuser zu bauen die zusammenhängend sind, die möglichst nach Süden ausgerichtet sind, möglichst kompakte Bauformen. Das sind auch Grundregeln des ökologischen Bauens, wo Ich ohne dass ich irgendwie etwas kaufe, sondern einfach mit der Entscheidung, mit der Positionierung schon viel ausrichten kann, was dieses Haus mal im Betrieb kosten soll.

Simone Britsch: Ja, wo du gerade noch mal so diese ganzen Möglichkeiten auch für den Innenausbau aufgeführt hast, möchte ich schon noch erwähnen, dass ich finde, die Häuser in Sieben Linden haben doch einen hohen Gemütlichkeitswert, wenn man da so reinkommt. Es ist einfach ganz viel Holz, es sind Holzfußböden, Holztüren, zum Teil selber getischlert. Manchmal sieht man Balken noch an einzelnen Stellen und dann der schöne Lehmputz, die runden Fensterlaibungen. Also es hat schon was sehr anziehendes und einen ganz großen Aufenthaltsreiz, finde ich. Die Häuser, die wir hier so erstellen.

Bettina Keller: Ja, also in Architektur kann man grundsätzlich sagen, dass alles wo man das Handwerk auch spüren kann, weil man es wirklich sehen kann, erhöht jeden Charme von einem Produkt. Wenn ich den Baustoff wahrnehmen kann, wenn Ich merke, das ist kein Industrieprodukt. Ob das jetzt ein Haus ist oder ein Messer ist, was von Hand geschmiedet ist. Man merkt sozusagen, wenn etwas durch Hände gegangen ist und Lehmputz zum Beispiel ist echte Handarbeit. Wir spritzen es zwar mit einer Maschine auf, aber er wird von Hand abgerieben und das merkt man diesen Gebäuden auch an. Und man merkt ihnen die geringen Verarbeitungswege an, man merkt diese Natürlichkeit.

Trotzdem möchte ich sagen, du kennst vor allen Dingen Strohballenhäuser in Sieben Linden. Man ist aber in der Architektur überhaupt nicht festgelegt, welche … Also wir müssen uns jetzt nicht nur die runden Hippiebauten, die Sieben Linden übrigens auch nicht hat, vorstellen. Es gibt sehr viele Beispiele im Strohballen-Lehmbau die auf eine hochmoderne Architektursprache zurückgreifen. Stroh ist eben nur ein Baustoff – keine Architektursprache. Aber wenn m in ein Strohballenhaus geht, sieht man ja erst mal kein Stroh, das versteckt sich hinter dem Lehmputz. Es gibt zwar meistens am Eingang einen kleinen Geheimtipp: das „Fenster der Wahrheit“, wo man dann mal sozusagen per Glas hinter den Lehm Putz gucken kann. Und ja! Es ist tatsächlich Stroh drin, aber sonst sieht man es nicht. Aber trotzdem würde ich sagen, allen Menschen, wenn sie in einen Strohballenhaus reinkommen, spüren die Atmosphäre von Natürlichkeit.

Simone Britsch: Sieben Linden hat mit der höchsten Dichte an Strohballenbauten, glaube ich, bundesweit, oder vielleicht sogar europaweit, und hat eine wichtige Rolle gespielt bei der Standardisierung der Bauform. Also am Anfang war es ja, hattest du auch schon erwähnt, wirkliche Pionier- und Experimentier-Leistung bis hin zu einem mittlerweile allgemein anerkannten Bauverfahren.

Bettina Keller: Sieben Linden hat viel für die Pionierphase des Strohballenbaus in Deutschland getan. Martin und Silke, die hier mit großer Pionier- und Visionskraft ausgestattet im Ökodorf gestartet sind, haben diese Idee des Strohballenbaus, der vor allen Dingen sich in der Hippiebewegung in den Siebzigern in Amerika noch mal etabliert hat, nach Deutschland geholt. Sie haben sich Vorträge angehört, haben eben hier die ersten Bauten gemacht und dann wurde hier eben auch der Fachverband Strohballen-Lehmbau, der FASBA, gegründet. Der es sich dann zur Aufgabe gemacht hat, tatsächlich aus einem totalen Nischen- und Sonderverfahren – damals brauchte man noch Baugenehmigungen im Einzelfall, wo man für jedes Haus selber ein sehr kompliziertes Verfahren machen musste. Der FASBA sich die Aufgabe gesetzt – Okay, wie können wir das, was wir wissen und was funktioniert, tatsächlich so umsetzen, dass es auch den deutschen Bauvorschriften entspricht.

Und das ist heute ohne Probleme möglich, weil der Baustoff an sich eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung hat. Das heißt alle Brandtests wurden gemacht, alle Schimmeltests wurden gemacht. Wir wissen welche Wandaufbauten funktionieren, welche auch nicht funktionieren. Und natürlich gehört zur Pionierphase „Trial and Error“ dazu. Also wir mussten auch auch mal baden gehen im wahrsten Sinne des Wortes. Also ich habe teilweise Wandaufbauten sechsmal auf- und wieder abgebaut. Ich habe komplett nasse Strohballenwände gehabt und musste sie wieder sanieren. Also ich habe so ungefähr jeden Fehler mal gemacht. Also ich weiß inzwischen welche Fehler man machen kann, aber sage trotzdem es ist keine komplizierte Bauweise. Wir wissen jetzt wie es geht und es ist total marktfähig.

Wir haben zwar in Sieben Linden sehr viele Strohballenbauten, trotzdem sind wir eigentlich im europäischen Vergleich schon weit hintendran. Also in Deutschland gibt es – es ist nicht ganz die aktuelle Zahl – aber gut 300 Strohballenbauten. Frankreich baut jedes Jahr 300 Strohballenbauten. Die sind einen ganz anderen Weg gegangen. Vor allen Dingen haben sie erst mal öffentliche Gebäude in Strohballenbauweise gemacht und nichts überzeugt mehr von einer Bauweise als es zu sehen und es wahrzunehmen. Ah! Es funktioniert! Und öffentliche Bauten haben viele Besucher und natürlich noch dazu ein Publikum, was gerade im bauwilligen Alter ist. Das heißt, sie haben einfach da eine sehr, sehr gute Strategie gefahren. Und Frankreich hat aber auch noch den Vorteil, dass sie über die Ressource Stroh noch viel leichter verfügen als Deutschland. Dort gibt es wirklich sehr direkte Bezugsquellen.

Simone Britsch: Wenn wir gerade schon bei den überregionalen oder vielleicht sogar globalen Bedeutungen sind, des Strohballenbaus. Was würdest du sagen, was ist der Impuls des Strohballenbaus weltweit? Klimawandel und so weiter…

Bettina Keller: Na ja, also der CO2-Fußabdruck von Strohbauten ist einfach ausschlaggebend erstmal. Aber es ist eben auch eine Bauweise die unabhängig macht von Großkapital. Stroh in jeder Art und Weise ist überall verfügbar global. Und wir ermöglichen es damit auch sehr armen Bevölkerungsschichten, auch in anderen landwirtschaftlichen Umgebungen, hochenergetische Gebäude zu bauen. Die – wenn wir jetzt an Bauweisen in Beton, Styropor, Styrodur und so weiterdenken- immer in großer Abhängigkeit von Kapital, von Industrie, von Absatz und so weiter stehen. Tatsächlich kann ich Strohballen aufeinander stapeln, Putz drauf machen und habe damit ein aus Klimasicht hochwirksames Gebäude.

Simone Britsch: Dasselbe gilt ja für Holz und Lehm. Das sind ja auch ganz regionale und einfache Baustoffe. Aber wie steht es denn mit dem Bedarf? Also ich frage mich immer wieder, ob es denn auch eine Bauweise ist, die für tropische und subtropische Gegenden interessant ist? Oder ist es etwas für die gemäßigten und kühlen Breitengrade, wo eben der Dämmwert der Strohwände so unschlagbar toll ist?

Bettina Keller: Na ja, tatsächlich muss ich sozusagen in tropischen Gebieten hochgedämmten Gebäude bauen. Da kann ich tatsächlich bei den traditionellen Bauweisen der Bambushütten bleiben. Es gibt überhaupt keinen Bedarf. Tatsächlich greift die Betonlobby, da sozusagen trotzdem ein und sagt „Ihr braucht ein Betonhaus!“ – was sie natürlich nicht brauchen. Aber es ist tatsächlich eben für Regionen, die durchaus kühlere Winter, kühlere Zeiten haben, total interessant.

Simone Britsch: Wenn du dir die Sustainable Development Goals anschaust, welche stechen dir von den 17 Zielen ins Auge, wenn du an den Strohballen-Lehmbau denkst?

Bettina Keller: Na ja, also natürlich ist es der große Beitrag zum Klimaschutz durch die geringe Verarbeitung. Aber es ist eben auch diese Konzeption von nachhaltigen Städten und Gemeinden. Die bedeutet eben, dass wir Bauen ganz neu denken. Tatsächlich ist es aber gar nicht so leicht, Bauen neu zu denken. Bauen gehört zu den Zweigen des Menschseins, wo wir fast, würde ich sagen, am konservativsten sind.

Das ist der Zeitpunkt, wo wir sehr viel Geld in die Hand nehmen und wenn wir so viel Geld in die Hand nehmen, dann machen wir es am liebsten so, wie wir wissen, dass es Papa schon gemacht hat. Was dazu führt, dass Entwicklungen im Bauen sehr langsam vor sich gehen, obwohl sie überzeugend sind. Und wir kennen das aus dem Holzbau. Die Regionen, die Holzbautraditionen haben, haben es sehr viel leichter in einen fortschrittlichen Holzbau zu gehen. Aber man muss eben sehr, überproportional, viel Überzeugungsarbeit für den Strohballen-Lehmbau machen, als er an sich an Antworten gibt.

Simone Britsch: Was ist deine persönliche Vision oder vielleicht auch ein eigener nächster Schritt? Hast du was im Kopf, wo du sagst, da will ich jetzt noch mal ran in Sachen Bauen?

Bettina Keller: Ich finde tatsächlich, dass Dirk Scharmer, der Architekt, der bei uns hier in Sieben Linden viele Häuser geplant hat, gerade die richtigen nächsten Schritte geht. Nämlich das urbane Bauen von Strohballenbauten voranzutreiben. Also in einem größeren Stil, in mehrstöckiger Bauweise das voranzutreiben. Gerade werden 40 Wohneinheiten in Lüneburg gebaut. Das sind einfach Dimensionen, die wir in Sieben Linden so natürlich nicht bedienen, die aber total nötig sind. In einigen Jahren werden 80 % der Menschen in Städten wohnen. Das heißt, wir müssen vor allen Dingen das urbane Bauen global vorantreiben. Dass das nicht mehr in Betonklötzen in Megacitys ist, sondern dass wir dafür nachhaltige Alternativen entwickeln.

Simone Britsch: Ja, wenn du Dirk Scharmer erwähnst, möchte ich auch seine Fach-Seminare gerne mit anfügen, die hier in Sieben Linden immer wieder stattfinden. Also man kann an einem Wochenende von einem der Strohballen-Lehmbau-Fachleute schlechthin in Deutschland lernen, wie diese Gebäude zu erstellen sind. Und in allem was mit Genehmigungsverfahren und Richtlinien zu tun hat, ist er echt immer auf dem neuesten Stand. Dann gibt es noch Praxisstrohbau-Seminare, wo unsere Gäste in Sieben Linden selber Hand anlegen und hier mal lernen in fünf Tagen eine Strohballenwand zu erstellen. Und das mal so ganz griffig mitnehmen. Die kommen eigentlich immer sehr gut an, diese Seminare, zumal die Gäste seit 2021 in Sieben Linden auch im Strohbau-Gästehaus „Strohtel“ schlafen. Das hast du ja auch mitgebaut, ganz maßgeblich, der bis jetzt größte Klotz, den wir hier hingestellt haben in Sieben Linden.

Bettina Keller: Gar nicht der größte aber das war schon nochmal eine neue Herausforderung, weil es eben eine Versammlungsstätte ist. Also ich habe ja die öffentlichen Gebäude in Frankreich erlebt und öffentliche Gebäude stehen zu Recht unter anderen Anforderungen, was Brandschutz und was Standsicherheit angeht. Wobei die jetzt nicht irgendwie schwierig ist beim Strohballen-Lehmbau, explizit schwierig. Trotzdem mussten wir für einige Details noch mal neue Lösungen finden, um den F30-Brandschutz, den wir eh mit unseren Wänden haben, auch konsequent in jede letzte Nische durchzubringen und auch einer Brandschutzprüfung für ein Sondergebäude, nämlich ein Hotel, Genüge zu tun. So oder so ist aber das „Strohtel“ wirklich eine Reise wert. Wir haben uns wirklich viel Mühe gegeben, auch im Innenausbau noch mal eine ganz neue Architektursprache tatsächlich auch zu entwickeln und da was unglaublich Schönes hingestellt.

Simone Britsch: Und du hast noch die Möbel selber gebaut mit deiner Zimmerei – unglaublicher Kraftakt nach der langen Bauphase. Also Respekt, ja.

Bettina Keller: Ja, ich finde es einfach schön, wenn die Sachen wirklich möglichst vor Ort produziert werden. Einkaufen kann ja jeder.

Simone Britsch: Das stimmt, du hast allerdings so viele Aufträge, Bettina, dass wir uns entschlossen haben, nicht deine E-Mail-Adresse oder Telefonnummer, deine Website oder sonst was zu posten, weil du gar keine Zeit hast, das alles zu beantworten. Du möchtest Menschen, die sich jetzt nach dieser Podcast Folge noch mehr für Strohballen-Lehmbau interessieren, verweisen an den Strohballen-Lehmbau-Fachverband.

Bettina Keller: Ja, der Fachverband, habe ich ja schon erwähnt, ist der FASBA. Und genau unter fasba.de findet man ihn auch im Internet und da gibt es eine Expertenliste, wo man sozusagen für die Region – ich werbe hier nochmal für regionales Arbeiten, Wirtschaften und Bauen – für seine Region gucken kann, wer passt denn da an Architekten oder auch Handwerkenden. Aber da gibt es eben auch Beratung und noch mal viel mehr Hintergrundwissen zur Geschichte vom Strohballen-Lehmbau, zu einzelnen Projekten und so weiter. Da kriegt man auch eine Inspiration: wie können Strohballen Häuser alle so aussehen? Man kriegt Verweise zu europäischen Strohballen-Lehmbau. Also das ist erst mal die Adresse, die total viel zeigt und möglich macht, aber eben sehr konkret auch Personen im Fokus hat. Und wenn ihr mich da auch noch findet, dann könnt ihr mich auch anrufen.

Simone Britsch: Gut, das gleiche gilt auch für Dirk Scharmer. Der ist natürlich auch als Referent gelistet beim FASBA und man kann dort auch bundesweit Seminare abrufen und sehen, wo in der eigenen Region Fortbildungen und Infoveranstaltungen zum Strohballen-Lehmbau laufen.

Ja, dann danke ich dir für das Gespräch und wünsche dir allzeit viel Glück mit deinem tollen Handwerk.

Bettina Keller: Danke schön.

Simone Britsch: Das war sie, die neue Folge des Ökodorf Podcast aus Sieben Linden. Besuche uns auf www. siebenlinden.org oder direkt im schönen Ökodorf. In unseren Seminaren lernst du, die Welt von morgen nachhaltig und gemeinsam zu gestalten. Der Ökodorf Podcast aus Sieben Linden ist eine Produktion vom Freundeskreis Ökodorf e.V.

Der Beitrag Folge 47: Strohballen-Lehmbau: die Ökobilanz ist top! Mit Zimmerin Bettina Keller erschien zuerst auf Ökodorf Sieben Linden.

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